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Igelmanu
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Mülheim

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Insgesamt 1033 Bewertungen
Bewertung vom 16.09.2022
Cotterill, Colin

Dr. Siri und seine Toten / Dr. Siri Bd.1


gut

»Insofern war es nicht weiter verwunderlich, dass er auch um sechzehn Uhr dreißig noch nicht die leiseste Ahnung hatte, woran Frau Nitnoy gestorben war. Dafür hatte er eine ellenlange Liste von Dingen beisammen, die als Ursache getrost ausgeschlossen werden konnten. … Er hatte von forensischen Pathologen gelesen, die bei der Lösung solcher Rätsel regelrecht zu Hochform aufliefen. Er gehörte bislang nicht zu ihnen.«

Laos, im Jahr 1976. Dr. Siri Paiboun hatte nach einem arbeitsreichen Leben eigentlich auf eine Rente und einen erholsamen Ruhestand gehofft. Doch die kommunistische Partei, die erst kürzlich die Macht im Land übernommen hat, versorgt den 72jährigen mit einer neuen Aufgabe: Er wird zum Leichenbeschauer von ganz Laos ernannt. Notgedrungen schickt Siri sich, aber tut sich mangels Erfahrung und vernünftiger Ausrüstung sehr schwer. Über fehlende Arbeit kann er sich hingegen nicht beklagen, denn kurz hintereinander stirbt eine hochgestellte Genossin bei einem Festessen und in einem See werden drei Männer gefunden, die offenbar unter höchst mysteriösen Umständen ums Leben gekommen sind.

Ich hatte mich auf diesen Krimi sehr gefreut, der Schauplatz reizte mich enorm und auch der höchst ungewöhnliche Ermittler klang vielversprechend.
Tatsächlich betrat ich beim Lesen des Buchs eine ganz besondere Welt. Ich hatte keine Ahnung, was mich im Laos Mitte der siebziger Jahre erwarten würde, aber die Atmosphäre wirkte sehr stimmig und vermittelte zahlreiche Eindrücke der kulturellen und politischen Situation.
Siri war mir sehr sympathisch. Ein Mann mit eigenem Kopf, der durchaus kritisch aber immer mit humorvollem Unterton agiert. Wenn er mit Hilfe von uralten französischen Lehrbüchern versucht, eine Todesursache zu ermitteln, ist das engagiert und unterhaltsam zugleich.
Auch einige der Nebencharaktere mochte ich, insbesondere die beiden Mitarbeiter Siris, so wie er auch ziemlich ausgefallene Charaktere.

Was mir allerdings nicht so zusagte, waren Siris paranormale Begegnungen. Diese traten im Verlauf der Handlung verstärkt auf und wirkten sich letztlich auch auf die Auflösung aus. So ein Geisterglaube mag zur Kultur gehören und irgendwo fand ich ihn auch ganz interessant, hätte mir aber gewünscht, dass der Schwerpunkt doch bei normal irdischen Ermittlungen geblieben wäre. Ich hatte wohl auch nicht mit einem solchen geisterhaften Umfang gerechnet. ;-) So war das hier zwar ein unterhaltsamer Ausflug, die Reihe werde ich aber nicht weiterverfolgen.

Fazit: Reizvoller Schauplatz und ungewöhnlicher Ermittler, aber für meinen Geschmack zu viel Paranormales.

Bewertung vom 06.09.2022
Rademacher, Cay

Mord im Tal der Könige


sehr gut

Kenherchepeschef stand schreckensstarr im kleinen hellen Schimmer seiner Öllampe.
»Du kannst mich nicht töten!«, rief er mit halb erstickter, krächzender Stimme in die Dunkelheit hinein. »Es ist dir verboten, mich zu töten!«
Er lauschte nach Schritten oder Atemzügen in der Finsternis, doch er konnte nichts vernehmen. Er griff mit der Rechten nach dem magischen Papyrus, den er um den Hals trug, und flüsterte einen Spruch, mit dem das Böse gebannt werden sollte.
Doch er sollte die Zauberformel nie beenden.

Ägypten, zur Zeit des Pharao Merenptah. Rechmire, ein junger Schreiber, wird ins Tal der Könige geschickt, um dort einen rätselhaften Mord aufzuklären. In einer Welt, die von Gottheiten bestimmt wird, voller Mythen, Ritualen und Aberglauben steckt, sind nicht wenige Menschen geneigt, auch eine übernatürliche Lösung in Betracht zu ziehen. Die Ermittlung wird ein harter Brocken für Rechmire, der bald schon zahlreiche Verdächtige auf der Liste hat, aber keinen einzigen Beweis findet. Mehr als deutlich muss er zudem am eigenen Leib erfahren, dass er sich mit seiner Ermittlungsarbeit nicht nur Freunde macht.
Als dann auch noch ein weiterer Mord geschieht, wird es für den armen Schreiber brisant, denn der Pharao erwartet ein Ergebnis…

Das war ja mal ein ungewöhnlicher Krimi! Der Autor schafft es, das alte Ägypten lebendig werden zu lassen. Tolle Beschreibungen, in die zahlreiche historische Fakten einfließen, schaffen eine beeindruckende Kulisse und eine dichte Atmosphäre. Dazu kommt der spannende Fall, der ordentlich knifflig ist und bei dem der junge Ermittler immer wieder in heikle und gefährliche Situationen gerät. Ich hatte an diesem gelungenen Mix großen Spaß!

Fazit: Hier wird das alte Ägypten lebendig. Eine spannende Handlung vor beeindruckender Kulisse.

Bewertung vom 06.09.2022
Horst, Jørn Lier

Wisting und die Stunde der Wahrheit / William Wisting - Cold Cases Bd.0


sehr gut

»Wisting betrachtete das Loch eingehend, bis ihm schließlich klar wurde, was er da eigentlich sah. Es war ein Einschussloch.«

Kommissar William Wisting, erfahrener und routinierter Ermittler, wird überraschend mit einem 33 Jahre zurückliegenden Fall konfrontiert. Damals war er noch ein junger Streifenpolizist und gerade Vater von Zwillingen geworden. Der Alltag voller Sonder- und Wechselschichten bringt gutes Geld, doch Wisting wünscht sich, als Ermittler arbeiten zu können. Als in einer Scheune ein alter Wagen mit Einschusslöchern gefunden wird und die Kollegen der Kriminalpolizei zeitgleich mit der Aufklärung eines spektakulären Banküberfalls beschäftigt sind, bekommt er seine Chance, dem Rätsel auf die Spur zu kommen…

Jeder große Ermittler hat irgendwann mal klein angefangen. Wisting, seit einiger Zeit Spezialist für Cold Cases, bekommt hier die Chance, einen ganz besonderen ungelösten Fall zu klären, nämlich seinen ersten Fall überhaupt. Es muss schon frustrierend sein, wenn so ein Erstling mit noch offenen Fragen zu den Akten gelegt wird. Bevor man sich als Leser gemeinsam mit dem Kommissar über die Auflösung freuen darf, reist man zunächst in die Vergangenheit und erlebt die mühseligen und manchmal noch etwas unbeholfenen Ermittlungen mit. Trotz aller Anfangsschwierigkeiten merkt man die Begabungen, die den später großartigen Ermittler ausmachen werden. Alles wirkt dabei sehr realistisch, das mag ich sehr.

Zusätzlich gibt es auch ein paar Einblicke in Wistings Privatleben. Wer die letzten Bände der Cold Cases gelesen hat, darf sich darauf freuen, Wistings Tochter Line, die später selbst immer bei den Ermittlungen mitmischt, als Baby zu erleben. Grundsätzlich sind für diesen Fall aber keine Vorkenntnisse der früheren Bände erforderlich.

Fazit: Wistings ganz persönlicher Cold Case. Ein schöner Rückblick und ein wieder einmal gelungenes und realistisch wirkendes Stück Ermittlungsarbeit.

Bewertung vom 19.08.2022
Griffiths, Elly

Knochenhaus / Ruth Galloway Bd.2


sehr gut

»Aber warum schreibt denn jemand meinen Namen mit Blut an eine Mauer?«

In einer Baugrube in Norfolk, direkt unter einem ehemaligen Kinderheim, wird das Skelett eines kleinen Kindes gefunden. Da im Umkreis archäologische Ausgrabungsarbeiten stattfinden und es zahlreiche Funde aus der Römerzeit gibt, wird Dr. Ruth Galloway, eine forensische Archäologin, hinzugezogen. Die Expertin erkennt jedoch schnell, dass der Fund, obwohl die Art der Bestattung nach einem römischen Ritual aussieht, aus sehr viel jüngerer Zeit stammt.

DCI Nelson, mit dem Ruth bereits zusammengearbeitet hat und von dem sie nach einem One-Night-Stand schwanger ist, nimmt die Ermittlungen auf. Kurz darauf spitzt sich die Situation dramatisch zu, denn Ruth wird bedroht. In ihrer Umgebung geschehen gruselige Dinge und auf einer alten Mauer steht, in Blut geschrieben, ihr Name…

Bei diesem Buch ärgere ich mich gerade, dass ich keine halben Sterne vergeben kann, 3,5 Sterne hätten es eigentlich werden müssen. Ich fühlte mich gut unterhalten, die Thematik war spannend, die Atmosphäre sehr intensiv und Ruth ist für mich ein durch und durch sympathischer Charakter. Ich mag es halt sehr, wenn eine Protagonistin nicht durch Schönheit und Jugend besticht, sondern herrlich normal daherkommt.

Ein wenig schade fand ich jedoch, dass mir die Zusammenhänge sehr schnell klar waren. Ich ermittle ja gern mit und bin schon enttäuscht, wenn ich nicht wenigstens einmal auf der falschen Fährte bin. Aber nun gut, vielleicht lese ich schlicht zu viele Krimis. Jedoch hätte ich wirklich erwartet, dass Ruths Anteil an den Ermittlungen höher wäre. Ich hatte mich auf mehr forensische Untersuchungen gefreut, ein Gedankenaustausch über römische Rituale hat für mich nicht den gleichen Reiz. Na ja, vielleicht hat sie beim nächsten Mal wieder mehr zu tun. Ich werde es herausfinden.

Fazit: Ich hatte etwas mehr erwartet, fühlte mich aber trotzdem gut unterhalten.

Bewertung vom 14.08.2022
Sjöwall, Maj;Wahlöö, Per

Der Mann auf dem Balkon


sehr gut

»Es war Sommer. Die Leute gingen schwimmen. Touristen irrten mit Stadtplänen in den Händen umher. Und in dem Gebüsch zwischen der Hügelkuppe und dem roten Zaun lag ein totes Kind. Das war widerwärtig. Aber am schlimmsten war, dass es noch viel schlimmer werden konnte.«

Stockholm, in den 1960er Jahren. Die Bevölkerung ist bereits durch eine Serie brutaler Raubüberfälle verängstigt, doch es wird noch schlimmer kommen. An einem Abend wird nicht nur eine kleine Händlerin krankenhausreif geprügelt und um ihre gesamten Tageseinnahmen gebracht, sondern in einem Gebüsch liegt ein kleines, ermordetes Mädchen.
Für das Team um Kommissar Martin Beck gibt es kein Privatleben und keine Freizeit mehr, denn die böse Ahnung, dass einem toten Kind noch weitere folgen werden, bewahrheitet sich schon bald…

Das war mal wieder ein sehr gelungener, spannender und intensiver Polizeiroman! Als Leser ist man fast die ganze Zeit über bei den Ermittlern, jeder Teil ihrer Arbeit wird detailliert beschrieben. Verhörprotokolle und Zeugenbefragungen werden ausführlich und als wörtliche Notizen gebracht, das wirkt extrem realistisch. Manchmal ist auch Kreativität gefragt, wenn man sich Aussagen von einem anderen inhaftierten Verbrecher oder einem Kleinkind erhofft.

Realistisch ist auch das Wort, mit dem man die Ermittler beschreiben kann. Sie wirken wie völlig normale Menschen mit ganz normalen Problemen. Und keiner von ihnen ist in der Lage, einfach abzuschalten, das Wissen wegzuschieben, dass der von ihnen noch nicht gefasste Triebtäter vielleicht exakt in diesem Moment dem nächsten kleinen Mädchen auflauert.

Fazit: Toller Polizeiroman, realistisch, spannend und intensiv. Die Reihe verfolge ich gerne weiter.

Bewertung vom 14.08.2022
Pötzsch, Oliver

Das Mädchen und der Totengräber / Inspektor Leopold von Herzfeldt Bd.2 (eBook, ePUB)


sehr gut

»Der Professor ist also der Ermordete?«
»Ob er ermordet wurde, ist noch nicht ganz klar. Auch nicht wann oder wie.«
»Was wollen Sie damit andeuten? Könnte es Selbstmord gewesen sein?«
»Nein, das glaube ich kaum. Es sei denn, der Professor hätte sich vorher selbst die Eingeweide entfernt, sich in Natronlauge gelegt und dann in Bandagen gewickelt.«

Wien, 1894. Es ist ein wirklich ungewöhnlicher Fall, der Inspektor Leopold von Herzfeldt beschäftigt. Der Tote, Professor für Archäologie, war erst kürzlich durch seine Entdeckungen in Ägypten berühmt geworden. Und nun liegt er selbst perfekt mumifiziert in einer Ecke des Kunsthistorischen Museums. Als bekannt wird, dass auch noch andere Beteiligte der Ägypten-Expedition zu Tode gekommen sind, wird sofort über einen Fluch spekuliert. Für Leo stellt eine übernatürliche Ursache jedoch keine Option dar.

Der junge Inspektor, dem in seiner Dienststelle aufgrund seiner jüdischen Herkunft und seines reinen Hochdeutsch regelmäßig mit Vorurteilen, Sticheleien und offener Abneigung begegnet wird, wendet sich ratsuchend an den Totengräber Augustin Rothmayer. Dieser hat sich bereits in der Vergangenheit als Experte für alles, was mit Tod und Begräbnisritualen zu tun hat, einen Namen gemacht. Gern würde sich Leo ganz auf die Suche nach einer rationalen Erklärung konzentrieren, doch in Wien geht noch ein unheimlicher Serienmörder um, der eine blutige Spur grausam verstümmelter Opfer hinterlässt.

Auch dieser zweite Fall für Leopold von Herzfeldt und Augustin Rothmayer gefiel mir sehr. Die beiden intelligenten und eigensinnigen Außenseiter sind abgesehen von diesen Gemeinsamkeiten grundverschieden. Vor allem der Totengräber verleitet die Menschen, auf die er trifft, dazu, ihn völlig zu unterschätzen. Ich mag die Idee, einen solch kauzigen Charakter als Ermittler einzusetzen.

Die Fälle, die die beiden zu knacken haben, empfand ich als sehr spannend, wobei ich persönlich das Rätsel um den mumifizierten Professor noch reizvoller fand als die Jagd auf den Serienkiller. Überhaupt hätte ich mir einen größeren Ermittlungsanteil von Augustin Rothmayer gewünscht. Er liefert zwar immer wieder entscheidende Hinweise, mehr Platz im Buch wird aber Leo zugestanden. Und wer ist das Mädchen vom Titel? Leos Freundin, die sich ebenfalls als Ermittlerin versucht oder Rothmayers Pflegetochter, die er sehr liebt, die aber für den Fall ansonsten keine Bedeutung hat? Ein wenig irritierend…

Fazit: Spannende Fälle und reizvolle Charaktere, ich mag diese Reihe sehr und hoffe auf eine baldige Fortsetzung. Wenn dann der Ermittlungsanteil des Totengräbers noch ein wenig höher wäre, wäre alles perfekt.

Bewertung vom 29.07.2022
Fuchsberger, Joachim

Altwerden ist nichts für Feiglinge


sehr gut

»Da saßen wir alten Männer uns im Rollstuhl gegenüber und hielten unsere Hörgeräte in die Höhe und lachten Tränen. Nach wenigen Minuten kamen die Begleiter, um uns zu unseren Flugzeugen zu bringen. Wir sahen uns lange in die Augen, dachten wohl beide diesen Augenblick lang darüber nach, ob wir uns im Leben noch mal wiedersehen werden? Dann schoben sie uns auseinander. Altwerden ist nichts für Feiglinge!«

Joachim „Blacky“ Fuchsberger – ich mochte ihn immer. Er war mein Lieblingsermittler in den alten Edgar-Wallace-Filmen, einen Lehrer, wie er ihn im „Fliegenden Klassenzimmer“ spielte, hätte ich gerne gehabt und auch als Showmaster gefiel er mir. Über den Privatmenschen wusste ich bislang sehr wenig, aber immer wirkte er ehrlich und authentisch. Sein Buch hier unterstützt diesen Eindruck.

Als er es schrieb, war er 82 Jahre alt und damit schon irgendwo auf der Zielgerade des Lebens. Locker plaudert er über all die Dinge, die mit dieser Lebensphase einhergehen. Ich konnte mir beim Lesen gut vorstellen, wie er beim Erzählen diesen leicht verschmitzt-charmanten Gesichtsausdruck zeigt, den er so gut beherrschte.

Aber natürlich gibt es nicht nur nette Dinge zu berichten. Immer wieder wird sein Ton sehr kritisch, da sorgt er sich um die Welt, um die Art und Weise, in der Menschen miteinander umgehen. Schlimme Zeiten und Tragödien gab es einige in seinem Leben. Wenn er darüber spricht, teilt er sehr ehrlich seine Gefühle mit, jedoch ohne großes Jammern. Das fand ich sehr beeindruckend! Offen teilt er auch gemachte Fehler, vielleicht, damit andere etwas daraus lernen können? Ohnehin sind eine Reihe von Lebensweisheiten dabei, das muss gestattet sein, wenn man so alt geworden ist. Mir gefiel, dass er mehrfach betont, dass früher eben nicht alles besser war. Nur anders.

Liebenswert fand ich auch die Art und Weise, wie er über seine Ehefrau („meine Regierung“) spricht. Wie wunderbar sind doch diese Paare, die ein ganzes Leben miteinander verbracht haben, immer noch glücklich sind und sich täglich weiter Mühe geben, ihre Beziehung zu pflegen.

So las das Buch sich sehr leicht und flott. Und ich mag ihn nach diesen sehr persönlichen Einblicken noch ein wenig mehr.

Fazit: Lebenshöhepunkte und Tragödien, sehr offen und mit einem Augenzwinkern geschildert.

Bewertung vom 27.07.2022
Schwiecker, Florian;Tsokos, Michael

Die siebte Zeugin / Eberhardt & Jarmer ermitteln Bd.1


sehr gut

»Nölting bekam das alles nur noch wie durch einen Filter mit. Vor seinen Augen verschwammen die Bilder zu einem Farbbrei, die Schreie der Menschen hörte er wie durch Watte. Für einen Moment dachte er, er würde ohnmächtig werden, doch er wusste, dass das jetzt nicht passieren durfte. Er biss sich auf die Unterlippe, bis sie blutete, um bei Bewusstsein zu bleiben. Es dauerte eine Weile, bis er seine Umgebung wieder wahrnahm und sein Gehör zurückkehrte. Benommen blickte er sich um und starrte in angsterfüllte Gesichter. Dann ließ er, von einer Sekunde auf die nächste, die Waffe neben sich fallen, kniete sich auf den Boden und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Er hatte es getan.«

Es ist ein ganz durchschnittlicher Sonntagmorgen in Berlin Charlottenburg, als ein völlig durchschnittlich aussehender Mann namens Nikolas Nölting eine Bäckerei betritt und anfängt, um sich zu schießen. Er tötet einen Menschen, verletzt zwei und lässt sich anschließend widerstandslos festnehmen, verweigert jedoch jede Aussage. Zeugen für die Tat gibt es einige und die Verurteilung des „Killer-Beamten“, wie ihn die Presse nennt, wegen Mordes scheint eine glasklare Angelegenheit zu sein. Doch Strafverteidiger Rocco Eberhardt will Nöltings Motiv herausfinden und macht sich, unterstützt von dem Rechtsmediziner Dr. Justus Jarmer daran, das Rätsel um seinen schweigenden Mandanten zu knacken…

Dieses Buch hatte seinen ganz eigenen Reiz. Im Gegensatz zu anderen Krimis, bei denen man sich fragt, wer wohl der Täter ist und ob weitere Gefahr von ihm ausgeht, weiß man hier bereits im ersten Kapitel genau, was Nölting getan hat. Und es sieht nicht so aus, als ob weitere Verbrechen von ihm zu befürchten wären. Aber was hat ihn, den glücklich verheirateten Familienvater und Verwaltungsbeamten, zu dieser Tat getrieben?

Ich muss zugeben, wenn man Krimierfahrung hat, denkt man recht schnell in die korrekte Richtung. Das macht aber nichts, denn der Stil des Buchs ist packend, die kurzen Kapitel lesen sich flott und verleiten zum Dranbleiben. So fügt man gemeinsam mit Rocco Eberhardt ein Puzzlesteinchen zum nächsten, bis die Frage des Motivs und der Hintergründe geklärt ist. Doch wird diese Erkenntnis auch vor Gericht von Nutzen sein?

Alles wirkt sehr realistisch, was nicht erstaunt, da beide Autoren vom Fach sind. Florian Schwiecker hat viele Jahre in Berlin als Strafverteidiger gearbeitet und Michael Tsokos leitet das Institut für Rechtsmedizin der Charité. Die beiden wissen also, wovon sie schreiben und das merkt man. Ich mag das sehr und freue mich auf weitere Fälle für Eberhardt & Jarmer.

Fazit: Spannender Justiz-Krimi, packend geschrieben und sehr realistisch.

Bewertung vom 24.07.2022
Beckmann, Herbert

Die Konitzer Mordaffäre


ausgezeichnet

»Alles in allem war damit auch Lewys Alibi für den gesamten Sonntag lückenlos. Diese Tatsache muss nach meinem Dafürhalten unbedingt im Hinterkopf bleiben, um die nachfolgenden katastrophalen Ereignisse in Konitz und weit darüber hinaus richtig bewerten zu können – wenn dies denn überhaupt möglich ist.«

Konitz, Westpreußen im März 1900. Der 18jährige Schüler Ernst Winter wird ermordet aufgefunden, eine grausame und blutige Tat, die die ganze Bevölkerung erschüttert. Aus Berlin werden nacheinander zwei Ermittler geschickt, die sich nach Kräften um eine ordentliche Aufklärung bemühen. Doch sie werden beide scheitern, denn die Volksseele hat schon längst den „wahren“ Schuldigen gefunden: Es müssen die Juden gewesen sein.

Das war wieder mal ein Buch von der Sorte, bei der ich aus dem Kopfschütteln nicht herauskam. Wie kann man nur so komplett jeden vernünftigen Hinweis und jede ordentliche Spur ignorieren, den Verstand so vollständig abschalten, nur um ausschließlich das zu sehen, was man sehen will?! Was dabei besonders erschüttert ist die Tatsache, dass es diese Konitzer Mordaffäre wirklich gab, der Roman also vor historischem Hintergrund stattfindet.
Ich hatte große Hochachtung vor den beiden Ermittlern, die auf der Suche nach der Wahrheit den Kampf gegen Windmühlen aufnehmen. Am Ende wird nicht nur ihre Existenz in Trümmern liegen, denn der Konitzer Weg führt über Gewalt, Hetze und Ausschreitungen hin zu Pogromen. Hier beginnt, was vierzig Jahre später auf die Spitze getrieben werden wird.

Fazit: Einfach nur erschütternd. Man liest mit wachsendem Entsetzen und kann das Buch trotzdem nicht aus der Hand legen.

Bewertung vom 17.07.2022
Muriel, Oscar de

Die Schatten von Edinburgh / Frey & McGray Bd.1


ausgezeichnet

»Lassen Sie mich meine Situation bewerten: Ich muss mit Schimpf und Schande in das von Schotten wimmelnde Edinburgh fahren, dort vorgeben, Mitglied einer erbärmlichen Sondereinheit zu sein, die von einem behämmerten Kerl geleitet wird, der an Elfen glaubt, und mir auf der Jagd nach einem schwerfassbaren Trittbrettfahrer von Jack the Ripper den Rücken krumm arbeiten und den Kopf zerbrechen, und das alles unter strengster Geheimhaltung.«

Nein, Inspector Ian Frey ist nicht begeistert. Gerade noch jagte er Jack the Ripper, nun wird er nach Schottland strafversetzt und soll dort in einer neu gegründeten Sondereinheit arbeiten, die sich mit „Erscheinungen“ befasst. Geht es noch schlimmer? Oh ja, das wird er schon kurz nach seiner Ankunft erfahren, als er seinen neuen Vorgesetzten und Partner McGray kennenlernt, der sämtliche Vorurteile bestätigt, die ein kultivierter Engländer gegenüber einem ungehobelten Schotten haben kann. Wobei das mit den Vorurteilen umgekehrt genauso funktioniert…

Dieses Buch hat mich bestens unterhalten, die beiden Ermittler sind in ihrer Gegensätzlichkeit und ihrer Art, miteinander umzugehen, höchst unterhaltsam! Daneben mag ich die ganze Atmosphäre, die ein stimmiges und dichtes Bild schafft und natürlich den spannenden Fall! Die Mordserie in Edinburgh weist einige blutige Gemeinsamkeiten mit der des Londoner Rippers auf, unterscheidet sich aber in einem wesentlichen Punkt, denn die schottischen Opfer sind Violinisten.

Nun darf man keine Thrillerhochspannung erwarten, dafür ist das Tempo zu ruhig und die Handlung durch die zahlreichen unterhaltsamen Passagen zu aufgelockert. Für mich resultierte die Spannung aus dem interessant angelegten Fall, der sich dramatisch steigert und am Ende ordentlich aufgelöst wird. Ich freue mich auf die weiteren Fälle für Frey und McGray.

Fazit: Gelungener Reihenauftakt für ein unterhaltsames Ermittlerduo. Hier lese ich gerne weiter!

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