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allegra
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Insgesamt 295 Bewertungen
Bewertung vom 22.02.2013
Jameson, Hanna

Kalter Schmerz


gut

Inhalt

Nic Caruana wird als siebzehnjähriger von einer Bande Jugendlicher überfallen. Aus Versehen tötet er dabei einen Jungen. Sein älterer Bruder Anthony möchte versuchen, die Tat zu vertuschen, aber Nic beichtet alles seinem Vater. Was danach folgt ist für diesen, der von Beruf Polizist ist, eine große Enttäuschung. Nic kommt in den Jugendstrafvollzug. Dadurch scheint sein Leben vorgezeichnet zu sein.

Als junger Erwachsener ist Nic zwar bereits zu einigem Wohlstand gekommen. Aber um welchen Preis? Er arbeitet als eine Art Privatermittler: Er spürt Menschen auf oder löst Probleme wie die Entsorgung einer Leiche. Mit anderen Worten, er lebt im Milieu der Verbrecher und Dealer.

In der Haupthandlung wird Nic vom Waffenhändler Pat Dyer beauftragt, seine Tochter Emma zu suchen, die nicht zu einer Verabredung mit ihrer Freundin erschienen und seither verschwunden ist. Das Mädchen wird tot aufgefunden und Nic soll den Täter finden und vermutlich nicht nur das.

Bei den Ermittlungen kommt Nic Emmas Mutter Clare näher, die bildhübsch ist. Von Beruf ist sie Tänzerin und Model. Die Suche nach den Tätern führt den Leser in die Londoner Unterwelt, die regiert wird durch Sex, Drugs und viel Geld aus illegalen Geschäften.


Meine Meinung

Der Thriller hat auf mich den Eindruck eines rasanten Gangsterfilms gemacht. Die Story ist durchaus interessant angelegt und das Buch ist auch durchgehend spannend. Dennoch ist mir sehr vieles zu oberflächlich geblieben. Die Figuren sind zum Großteil mehr skizziert als charakterisiert. Die Hauptfiguren Nic, sein Freund Mark, Clare und Pat sind alles sehr komplizierte Persönlichkeiten, mit denen ich mich naturgemäß überhaupt nicht identifizieren konnte, weil sie in einem, mir völlig fremden Umfeld agieren.

Für sensiblere Gemüter würde ich das Buch nicht empfehlen, das es an sehr gewalttätigen und blutigen Szenen nicht gerade mangelt. Da mir diese Unterwelt der Verbrecher als sehr unwirklich erschien, hatte ich genügend Distanz, dass ich es nicht so schlimm fand. Überhaupt hat mich das Buch nicht wirklich mitgerissen.

Die Ausdrucksweise ist sehr modern, gerade aus und hat Schwung, ist vom Wortschatz her eher einfach, aber in keiner Weise unangenehm zu lesen.

Die Autorin Hanna Jameson ist erst 22 Jahre alt. Ich finde es schon erstaunlich, in diesem Alter einen Thriller zu schreiben. Aber ich habe den Eindruck, dass sich ein gewisser Mangel an Lebenserfahrung doch zeigt. Ich nehme an, dass Hanna Jameson nicht in der geschilderten Welt der Illegalität zu Hause ist. Dennoch fehlten mir zwischenmenschliche Aspekte. Das Buch fühlte sich für mich an, wie eine Bleistiftsskizze, bei der nur einige Figuren etwas angemalt sind.


Mein Fazit

Ich habe diesen Thriller innerhalb weniger Tage durchgelesen und fand ihn rasant und recht spannend. Aber wirklich mitgenommen hat er mich nicht und ich glaube nicht, dass ich noch mehr aus der Welt des Nic Caruana erfahren muss. Lesbar, aber kein Muss.

Von mir 3 Sterne.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.02.2013
Taylor, Kathrine Kressmann

Adressat Unbekannt


ausgezeichnet

Adressat unbekannt


Zur Vorgeschichte: Die beiden Freunde Martin Schulse und der Jude Max Eisenstein studierten gemeinsam in Deutschland. Nach ihrem Studium wandern sie als mittellose Künstler nach Amerika aus, wo sie gemeinsam eine gut laufende Galerie aufbauen. Martin ist verheiratet und hat Familie. 1932 kehrt er nach München zurück, weil er möchte, dass seine Kinder in Deutschland aufwachsen. Max führt derweil die Galerie weiter und überweist Martin regelmäßig seine Anteile am Gewinn. Zum Kundenstamm gehören vorwiegend ältere „jüdische Matronen“.

Der Briefroman setzt ein, als Martin Schulse 1932 bereits wieder in München lebt, wo er mit seinem erworbenen Reichtum ein Schloss erwerben kann. Die Bevölkerung in Deutschland leidet zu dieser Zeit unter einer Wirtschaftskrise, es herrscht viel Arbeitslosigkeit, Armut und Unzufriedenheit.

Im ersten Brief, der datiert auf den 12. November 1932 erkundigt sich Max bei Martin wie er sich in München eingelebt hat. Anhand der danach alle 3-6 Wochen folgenden Briefe, kann man mitverfolgen, wie sich in Deutschland die Stimmung ändert. Der Nationalsozialismus verbreitet sich und die skeptische und anfänglich „nur“ opportunistische Haltung von Martin Schulse wandelt sich in einen Fanatismus, der darin gipfelt, dass Martin zwar gerne das Geld aus der Galerie annimmt, aber sonst den Kontakt zu Max abbrechen möchte, weil er sich in seiner Position keinen Briefkontakt zu einem Juden leisten kann. Max darf, wenn es denn nötig ist, die Briefe nur noch mit der Geschäftspost an die Bank richten.

Max Eisensteins Schwester Griselle ist Schauspielerin und nimmt ein Engagement an einem Berliner Theater an. Bald ist der Antisemitismus so verbreitet, dass sie in Bedrängnis gerät. Ein Brief, den Max an Griselle richtet, kommt zurück mit dem Vermerk „Adressat unbekannt“. Max fürchtet das Schlimmste und bittet Martin um Hilfe

Der Briefkontakt geht weiter bis zum 3. März 1934. Für das Verständnis des Romans ist es von Vorteil, wenn man mit den wichtigsten Eckdaten der Geschichte wie der Machtergreifung Hitlers und der Judenverfolgung etwas vertraut ist. Im zweiten Teil des Briefromans nimmt die Handlung eine unerwartete Wendung. Der von seinem Freund schwer enttäuschte Max wechselt in seinen Briefen, die er wieder an die Privatadresse von Martin schickt, zu einem auffallend freundlichen Ton und lässt die Gefahr zwischen den Zeilen lauern.

Eine Geschichte, die zur Zeit des Nationalsozialismus spielt, wie es recht viele gibt, könnte man im ersten Moment meinen. Doch weit gefehlt! Die Qualität dieses Werks liegt nicht mur im originellen Format des Briefromans. Die amerikanische Autorin Katherine Kressmann Taylor hat dieses Buch im Jahre 1938 veröffentlicht, im Jahr der Reichsprogromnacht. Zu einer Zeit also, wo in Deutschland angeblich noch viele Leute „nicht wussten“ was mit der jüdischen Bevölkerung geschah und was es mit Konzentrationslagern auf sich hatte.

Das Hörbuch ist gesprochen von Matthias Brandt und Stephan Schad. Ich war beeindruckt von der Eiseskälte, die Stephan Schad Martin Schulse in den Mund zu legen vermag. Auch Matthias Brandt interpretiert die Briefe aus Eisensteins Feder mit sehr warmem, freundschaftlichem Ton, aber auch die panische Angst um seine Schwester kann man förmlich spüren.

Ich habe dieses relativ kurze Hörbuch von 60 Minuten Dauer mehrmals sehr aufmerksam gehört und konnte jedes mal wieder einen neuen Aspekt entdecken, der mir bislang entgangen war. Es gibt noch immer ein paar Punkte, die ich noch nicht bis ins letzte Detail verstanden habe. Aber ich denke ich habe den Sinn zwischen den Zeilen von Eisensteins letzten Briefen richtig interpretiert und am Ende stockte mir echt der Atem.

Ein kurzes Buch in einer meisterhaften Hörbuch Umsetzung, das mich sehr berührt hat. Von mir 5 Sterne.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.01.2013
Eastland, Sam

Roter Zar / Inspektor Pekkala Bd.1


sehr gut

Sam Eastland erzählt in diesem Krimi auf zwei Zeitebenen, wie es zu der Ermordung der Zarenfamilie kam und stellt die 1929 herrschenden Lebensbedingungen in der noch relativ jungen Sowjetunion kritisch dar. So zeigt er zum Beispiel, wie ausländische Journalisten systematisch getäuscht wurden, damit sie nicht erkannten, dass in der Sowjetunion eigentlich eine Hungersnot herrschte. Sehr interessant fand ich als Ergänzung den Anhang, in dem man nachlesen kann, was mit der Zarenfamilie wirklich geschehen ist und um die Historie auch noch mit Bildmaterial zu untermalen kann man sich auf der Homepage zur Serie (http://www.inspectorpekkala.com/) Fotos zur Russischen Revolution ansehen. Besonders interessant fand ich die Bilder des Ipatiew Hauses, des Hauses für besondere Zwecke, in dem man die Zarenfamilie in Swerdlowsk (Jekaterinburg) untergebracht hat. Da überschneidet sich das Buch thematisch mit John Boynes Roman „Das Haus zur besonderen Verwendung“, das ich aber leider noch nicht gelesen habe.

Ich konnte mir das Leben am Hofe des Zaren sowie später im Ipatiew-Haus gut vorstellen. Die Ortsbeschreibungen waren ausreichend anschaulich, so dass ich die Stimmung gut nachempfinden konnte. Besonders gut haben mir die Beschreibungen der Taiga gefallen, wo Pekkala anfangs gefangen gehalten war.

Die Charaktere sind mir noch etwas auf Distanz geblieben, aber das ist nicht ungewöhnlich bei dieser Thematik, die so weit entfernt von meiner Lebenswirklichkeit ist. Als Einstieg in die Serie, die im Original mittlerweile vier Teile umfasst, halte ich die Personenbeschreibungen für ausreichend. Echte Gefühle konnte ich noch nicht so wirklich entwickeln, da hat die etwas künstlich aufgedrückte Liebesgeschichte auch nichts geändert. Aber die Ermittlungen sind eigentlich spannend genug, dass es weder die Verlobte noch die ebenfalls etwas aufgesetzt wirkende „lustige“ Szene mit einem Fahrrad ohne Bremsen, nicht gebraucht hätte.

Von mir erhält dieser historische Krimi eine Leseempfehlung mit 4 Sternen.

3 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.01.2013
Schier, Petra

Tod im Beginenhaus


sehr gut

Mit „Tod im Beginenhaus“ ist Petra Schier ein schöner Start in eine Serie um die Apothekertochter Adelina gelungen. Der historische Krimi spielt zu einer politisch sehr unruhigen Zeit in Köln. Auf den ersten Blick lässt die Autorin vor den Augen des Lesers eine mittelalterliche Stadt erstehen, aber die Renaissance steht bereits vor der Tür. So gibt man sich bei Erkrankungen nicht zufrieden damit, Gott anzurufen sondern forscht im Verborgenen auch nach organischen Ursachen von Leiden

Die Stimmung, in der die Schicht der Handwerkszünfte, zu denen auch die Apotheker zählen, an Selbstvertrauen gewinnt und einen Willen zur Mitbestimmung entwickelt, ist sehr gut eingefangen. Der Apothekerberuf stand auch Frauen offen, so dass Adelina durchaus auch eine berufliche Zukunft vor sich hat.

Die Hauptfiguren sind alle sehr sorgfältig beschrieben und charakterisiert, so dass man eine gute Vorstellung von der Familie des Apothekers gewinnt. Dabei nehmen die familiären Beziehungen zwischen Adelina, ihrem kleinen Bruder und ihrem Vater, dem langsam aber sicher seine zunehmende Vergesslichkeit Probleme beschert, sehr viel Raum ein. Man kann ihre Ängste und Hoffnungen sehr gut nachvollziehen und mit ihnen mitfühlen. Die Lösung des Kriminalfalles tritt stellenweise eher ins Hintertreffen, ist aber interessant und spannend zu verfolgen. Die Aufklärung erfolgt im Vergleich zu Krimis, die in der Gegenwart spielen, eher gemächlich, was sehr gut passt zu den vergleichsweise einfachen Mitteln, die man zur Verfügung hatte. Die Täterschaft war für mich überhaupt nicht absehbar, so dass die Spannung bis zum Ende erhalten blieb.

Das Buch wird ergänzt durch ein sehr informatives Nachwort, das die historischen Hintergründe sowohl was die Politik betrifft, als auch die Stellung einer Frau als Apothekerin, erklärt und erfreulicherweise auch im Hörbuch gelesen wird.

Bei der Lesung durch Sabine Swoboda hatte ich anfangs das Gefühl, dass sich während den ersten Kapiteln etwas einlesen musste. Anfangs fand ich ihre Interpretation etwas flach. Da die Geschichte aber sehr flüssig formuliert ist und gut nachvollziehbar aufgebaut ist, hatte ich keine Probleme mit der Aufmerksamkeit. Mit der Zeit wird die Lesung aber etwas lebhafter und Sabine Swoboda gibt dem Krimi, der aus der Perspektive Adelinas erzählt wird, eine sehr passende und glaubwürdige Stimme.


Ich konnte mit diesem Hörbuch wunderbar ins spätmittelalterliche Köln eintauchen. Die Figuren sind vor meinen inneren Augen zum Leben erwacht und ich konnte Adelinas Liebe zu ihrem Bruder, aber auch ihren Drang zu unabhängigem Handeln und das Ausleben ihrer Neugierde sehr gut nachvollziehen. Ich werde auf jeden Fall noch weitere Fälle von Adelinas Detektivkunst lesen oder lauschen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.01.2013
Winterberg, Liv

Sehet die Sünder


gut

Liv Winterberg zeichnet mit der Handlung im Umfeld des Barons Amédé de Troyenne eine wahre Geschichte nach, die sich 1440 in der Bretagne zugetragen hat. Erklärungen dazu findet man in einem sehr informativen Nachwort. An dieser Stelle möchte ich davor warnen, das Nachwort zuerst zu lesen. Es ist zwar bei der Lektüre oft hilfreich, wenn man den historischen Kontext kennt. In diesem Fall ist es aber schade, weil man dann beim Kriminalfall nicht mehr unvoreingenommen miträtseln kann. Neben einer Personenübersicht der fiktiven Figuren befindet sich hinten im Buch ein Glossar, in dem auch die historisch verbürgten Personen aufgeführt sind.

Obwohl mich das Buch vom Inhalt her sehr anspricht und ich auch mit großem Interesse mit den Dorfangehörigen mitgefiebert habe, ob ein marodierender Söldner als Serientäters durch die Gegend zieht oder ob der Täter innerhalb der Dorfgemeinschaft zu suchen ist, hat mich die Handlung doch nicht so berührt, wie ich es mir gewünscht hätte. Durch die sehr kurzen Kapitel, die jeweils mit dem jeweiligen Schauplatz übertitelt sind und die häufigen Perspektivwechsel wurde der Spannungsbogen zwar immer recht hoch gehalten, mir war es aber schon zu hektisch, so dass ich nicht richtig ins Geschehen eintauchen konnte.
Die Hauptfiguren sind anschaulich und ausführlich charakterisiert, so dass ich mir eine gute Vorstellung von ihnen machen konnte. Leider ist mir das von einigen Nebenfiguren nicht gelungen. Julien Lacante, der als Bindeglied zwischen den verschiedenen Ständen eigentlich eine Schlüsselrolle inne hat, blieb mir zu flach.

Ganz besonders interessant fand ich die Darstellung des Inquisitonsprozesses. Das war weit mehr als was man so landläufig unter der Inquisition erwartet: dass eine Frau nur rote Haare brauchte und gleich auf dem Scheiterhaufen landete. Man merkt bei der Lektüre, dass es sich die Autorin nicht leicht gemacht hat und intensiv recherchiert hat.

Sprachlich hat Liv Winterberg im Vergleich zu ihrem ersten Roman „Vom anderen Ende der Welt“ noch einen Zacken zugelegt. Es ist ihr sehr gut gelangen durch die Wahl der Ausdrucksweise die Stellung der einzelnen Figuren in der Gesellschaft zu unterstreichen.

Die Handlung wird zu dem Abschluss geführt, den das historische Vorbild vorgibt, was mir sehr gut gefällt. Allerdings bleiben bei mir noch einige kleine Unklarheiten offen, die ich gerne auch noch aufgeklärt gehabt hätte. Wenn Personen als Verdächtige für falsche Fährten eingeführt werden, dann erfahre ich dennoch gerne, wo sie abgeblieben sind, auch wenn das die Geschichte an sich nicht voran bringt. Deshalb erscheint mir dieser Roman nicht so wirklich abgerundet.


Mein Fazit:

Dieser spannende historische Krimi hat mich recht gut unterhalten. Ich habe neben dem Kriminalfall einiges mitnehmen können, was die kirchliche Gerichtsbarkeit im Frankreich des 15. Jahrhunderts betrifft. Leider haben die häufigen Perspektivwechsel auf mich hektisch gewirkt. Ich wurde dadurch aus der Handlung herausgerissen und hatte Mühe, mit den Figuren Fühlung aufzunehmen.

3 von 11 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.01.2013
Volks, Sybil

Torstraße 1


ausgezeichnet

Dieses Buch ist eine Familiensaga, die die Geschichte zweier miteinander befreundeter Familien von 1929 bis in die Gegenwart erzählt. Drehpunkt ist das Haus Torstraße 1 in Berlin, das genau wie die Menschen im Buch eine sehr wechselhafte Geschichte durchlebt.

Die Eröffnung des Kreditkaufhauses Jonass ist der Geburtstag von Elsa, die im Jonass selber auf die Welt kommt und dem kleinen Bernhard, dessen Vater bei Elsas Geburt ihrer Mutter beisteht. Durch diesen Zufall sind die beiden Familien unentrinnbar miteinander verbunden.

Die Charaktere der Hauptfiguren sind sehr liebevoll herausgearbeitet und machen eine Entwicklung durch, die nicht zu letzt durch die politischen Wirren der Zeit geprägt ist. Als die Nationalsozialisten die Macht ergreifen, muss Familie Grünberg, die das Jonass besitzt, in die USA auswandern. In dem Haus wird in den folgenden Jahren die Hitlerjugend organisiert. Nach dem Krieg wird es zur Zentrale der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands.
Die Figuren verhalten sich völlig unterschiedlich und werden oft von Zweifeln und Ängsten geplagt. Sie arrangieren sich zum Teil mit dem System, profitieren auch nicht wenig von den Ungeheuerlichkeiten, die sich abspielen. Und doch bleiben sie menschlich, und ihr Handeln nachvollziehbar, weil man durch die Liebe, die sie verbindet, alles in einem etwas anderen Licht steht.

Das Buch ist in längere Kapitel eingeteilt, die die historisch unterschiedlichen Abschnitte widerspiegeln. In der Haupthandlung, die aus den verschiedenen Perspektiven der Protagonisten vorangetrieben wird, sind die Geschehnisse der Zwischenzeiten als Rückblicke eingestreut. Das ist manchmal etwas verwirrend, man merkt aber meist schnell, in welcher Zeit man sich befindet, vorausgesetzt man ist etwas vertraut mit den Meilensteinen der Geschichte.

Die Ausdrucksweise von Sibyl Volks hat mir sehr zugesagt. Sie verwendet Ausdrücke, die für die entsprechende Zeit passend sind. Es kommt aber nie zu Verständnisschwierigkeiten, weil man die Bedeutung aus dem Kontext erkennen kann. Ein paar Kenntnisse über das Leben in der DDR wären hilfreich gewesen. Da steht es bei mir nicht zum Besten, aber ich habe das Buch dennoch genießen können und ich bin sicher, dass ich bei einer erneuten Lektüre wieder andere Aspekte finden würde, die mir beim ersten Mal entgangen sind.


Mein Fazit:

„Torstraße 1“ erzählt einige wichtige Kapitel der innerdeutschen Geschichte aus unterschiedlicher Perspektive. Man erkennt Bedenken und Ängste von ganz normalen Menschen und kann sein Geschichtsbuchwissen durch neue Eindrücke ergänzen.
Mich hat das Buch richtig gefesselt, da mich immer sehr interessiert, wie ganz normale Menschen diesen Wahnsinn, der sich in relativ wenigen Jahren abgespielt hat, überleben konnten.

Von mir erhält dieses sehr wichtige Buch seltene 5 Sterne.

8 von 9 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.01.2013
Neuhaus, Nele

Böser Wolf / Oliver von Bodenstein Bd.6 (6 Audio-CDs)


sehr gut

In ihrem 6. Band der Reihe um das sympathische Ermittlerpaar Pia Kirchhoff und Oliver Bodenstein reißt Nele Neuhaus ein sehr schwieriges Thema an. Es geht um sexuellen Missbrauch an Kindern. Einerseits ist das ein sehr wichtiges Thema, das man nicht totschweigen darf. Andererseits ist es schwierig sexuellen Missbrauch an Kindern in einem Roman so zu thematisieren, ohne dass es in Effekthascherei ausartet, was ich jetzt mit Kindern gar nicht schätzen würde.
Ich weiß nicht in wie weit in der Printausgabe des Buches Beschreibungen der Verbrechen an den Kindern ausgeführt sind. Zumindest im Hörbuch ist das sehr dezent gelöst. Es hat mich natürlich trotzdem betroffen gemacht, aber eine respektvolle Distanz wurde bewahrt, was mir sehr wichtig war. Sonst hätte ich das Hörbuch abgebrochen. Es gibt im Leben noch Gründe genug, schlecht zu schlafen. Da benötige ich nicht auch noch belastende innere Bilder aus meiner Lektüre.
Da das für mich bereits das dritte Buch aus dieser Serie ist, war ich mit den Hauptpersonen aus der Kripo Hofheim K11 bereits vertraut. Da Nele Neuhaus immer mit einer Vielzahl an Figuren aufwartet, hätte ich mich sonst nicht an die Hörbuchversion gewagt. Aber so viel es mir leicht, den Überblick zu wahren.
Obwohl ich diesmal vorher keine Inhaltsangaben oder ausufernde Rezensionen gelesen habe und nicht einmal wusste, dass Kindesmissbrauch drin vorkommt, war mir sofort klar, in welche Richtung die Handlung geht, als von diesem Verein „Sonnenkinder e.V.“ die Rede war. Von daher war die Auflösung leider relativ absehbar. Durch die Wahl unterschiedlicher Erzählperspektiven, weiß der Leser jeweils sehr viel mehr, als die Ermittler und da man davon ausgehen kann, dass die Autorin keine unwichtigen Nebenfiguren und Nebenschauplätze bewirtschaftet, war es nicht wirklich erstaunlich, dass die einzelnen Fälle in einem Zusammenhang stehen. Dennoch empfand ich den Aufbau des Krimis als sehr sorgfältig und beängstigenderweise auch glaubwürdig. Das heißt, eigentlich bin ich da doch noch mehr Optimist. Ich mag nicht hinter jedem sozialen Engagement zugunsten benachteiligter Kinder, gleich Böses wittern und hoffe auch, dass unsere Politiker und höheren Beamten nicht in zwielichtige Machstrukturen verstrickt sind.
Beim Titel „Böser Wolf“ habe ich natürlich einen Bezug zum Märchen erwartet. Einerseits drängt sich natürlich das Bild des Wolfs im Schafspelz auf. Das Märchen vom Wolf und den sieben (bzw. im Buch sechs) Geißlein kommt auch mal am Rande vor. Aber ich hätte etwas mehr von diesem Märchenbezug erwartet.
Abgesehen von zwei oder drei kleineren Punkten, die mir nicht so ganz schlüssig waren, fand ich die Handlung nachvollziehbar dargestellt, spannend und auch gefühlvoll, da wo es passt. Die Personen sind anschaulich und glaubhaft beschrieben, abgesehen von der kleinen Lilli und Hannah Herzmanns Tochter Meike, die mir beide zu einseitig und auch nervig erschienen.

Ich fand sehr angenehm, dass das Privatleben der beiden Ermittler in diesem Band eine vergleichsweise untergeordnete Rolle spielt. Ich war auch erfreut, dass Pias Übelkeit am Ende des letzten Bandes nicht zu einem neuen Baby geführt hat, wie ich schon befürchtet hatte.

Die Sprache des Buches ist Alltagssprache mitten aus dem Leben. Der Satzbau ist eher einfach, wirkt aber authentisch und ist angenehm abwechslungsreich und flüssig zum Zuhören.

Die Sprecherin Julia Nachtmann hat diesem Buch ihre Stimme sehr glaubhaft verliehen. Sie schafft es, den verschiedenen Personen Charakter in die Stimme zu lesen, ohne in irgendeiner weise lächerlich zu klingen. Das gelingt ihr sogar bei richtig stämmigen Rockern, was für eine Frau alles andere als selbstverständlich ist. Ich werde auf jeden Fall gerne wieder Hörbüchern von Julia Nachtmann lauschen.

Der böse Wolf hat mir zwar nicht gerade Gänsehautschauer beschert, aber ich habe mich damit dennoch gut unterhalten gefühlt. Im Vergleich zu anderen Bücher von Nele Neuhaus fand ich diesen Band etwas schwächer.

8 von 10 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.12.2012
Jary, Micaela

Die Bucht des blauen Feuers


sehr gut

Inhalt

Mit „Die Bucht des blauen Feuers“ entführt uns Micaela Jary in ein relativ wenig bekanntes Land – in die Kolonie Deutsch-Südwestafrika , dem heutigen Namibia. Die junge Emma Thieme, die gerade ihren Vater verloren hat, erfährt, dass ihre totgeglaubte Mutter in DeutschSüdwest lebt. Sie ergreift die Gelegenheit, die bekannte Pianistin Dorothee von Hirschberg als Fotografin auf ihre Konzertreise zu begleiten, die sie nach Lüderitzbucht, der Hauptstadt von Deutschsüdwest führt. Dort sind vor Kurzem Diamantenvorkommen gefunden worden und inzwischen herrscht ein regelrechtes Diamantenfieber.
Die beiden Frauen werden von Dorothees Vater, dem charmanten Manfred von Paschen sowie dem Reiseschriftsteller Ernst Keller auf der langen Schiffsreise begleitet. Die Überfahrt sowie die Ankunft in Lüderitzbucht verlaufen durchaus ereignisreich und die beiden Frauen finden durch ihre Reise zu sich selber und lernen interessante Männer kennen.


Meine Meinung

„Die Bucht des blauen Feuers“ ist ein leicht zu lesender Auswandererroman, der nicht nur große Gefühle sondern auch Spannungsmomente beinhaltet. Die Hauptfiguren werden anschaulich beschrieben und charakterisiert. Die beiden jungen Frauen erscheinen einem bisweilen etwas blauäugig und naiv, angesichts ihres bisher durch ihre Väter beschützten Lebens, ist das aber durchaus glaubwürdig.

Den geheimnisvollen Glanz eines geschliffenen Diamanten bezeichnet man häufig als „blaues Feuer“, das sich im Titel des Buches niederschlägt. Man erfährt im Buch einiges über den Diamantenhandel, aber ich hätte von diesem Feuer gerne etwas mehr gelesen. Bei mir ist der Funke der Faszination für Diamanten leider nicht so gesprungen, wie ich es mir gewünscht hätte.

Die Reise von Berlin an den südlichen Zipfel Afrikas durchläuft viele verschiedene Klimazonen, die sich auch auf die Befindlichkeit der Figuren individuell auswirkt. Man spürt, dass Micaela Jary das sehr sehr gut recherchiert hat. Auch das neblige Klima von Lüderitzbucht und die Eintönigkeit der Wüstenlandschaft ist sehr gut eingefangen.


Mein Fazit

Das vorliegende Buch hat mir ein noch unbekanntes Kapitel der deutschen Kolonialgeschichte vor Augen geführt. Ich habe mich mit dem Buch gut unterhalten gefühlt und konnte etwas vom stressigen Alltag abschalten. Da ich reine Liebesromane vor egal welcher Kulisse nicht so mag, war ich sehr froh, dass dieser Aspekt zwar durchaus zum Zug kommt, aber das Buch auch besticht mit sehr interessanten und undurchsichtigen Figuren, die die Spannung bis zum Schluss aufrecht erhalten.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.12.2012
Fitzpatrick, Kylie

Am Horizont das rote Land


ausgezeichnet

Rhia Mahoney muss miterleben, wie der Textilbetrieb ihres Vaters, „Mahoney Linen“, in Flammen aufgeht und damit auch die wirtschaftliche Grundlage für den Reichtum ihrer Familie in Schutt und Asche liegt. Rhia, die sehr stark verankert ist in der keltischen Sagenwelt, reist von Irland nach London, um eine Stellung als Gouvernante zu suchen. Ihr Onkel Ryan bringt unter bei seiner Bekannten, Antonia Blake, die kürzlich ihren Mann verloren hat. Antonia ist Quäkerin und engagiert sich bei den Damen des Convict Ship Committees, das von Elizabeth Fry gegründet wurde als Folge der Gefängnisreform. Sie wohnt zusammen mit dem Cousin ihres Mannes, der Porträts erstellt mit Hilfe der neuen Technik der fotogenen Zeichnung.

Kurz nach Rhias Ankunft in London findet man ihren Onkel Ryan tot in seinem Lagerhaus. Es handelt sich augenscheinlich um einen Selbstmord, aber es fällt Rhia sehr schwer, das zu akzeptieren. Ein befreundeter Journalist beginnt Fragen zu stellen, während Rhia beruflich Fuß fasst. Sie ist eine begabte Zeichnerin und hofft, einige Entwürfe an den Seidenhändler Montgomery verkaufen zu können. Dieser scheint ernsthaft interessiert zu sein und stellt Rhia vorerst als Verkäuferin in seinem Ladengeschäft ein.

Schon bald wird Rhia von einem neuen Schicksalsschlag getroffen. Sie wird verdächtigt ein wertvolles Stück Stoff im Hause ihres Arbeitgebers entwendet zu haben und wird verurteilt. Sie soll für 7 Jahre nach Australien deportiert werden. Ihrer Freundin Antonia Blake gelingt es nicht, rechtzeitig Berufung einzulegen, so dass Rhia mit dem Gefangenenschiff „Rajah“ in Richtung Sydney ausläuft. Das Convict Ship Committee der Quäker engagiert sich sehr für die gefangenen Frauen und versorgt sie mit Stoffresten und Nähzeug, damit sie auf der Reise Quilts für den Verkauf anfertigen können. Dadurch können sie sich etwas Geld verdienen und durch die Näharbeit haben die Frauen eine Aufgabe, was sich beruhigend auf ihr Gemüt auswirkt.

Auf der „Rajah“ beschließen die Frauen einen besonders schönen Quilt anzufertigen und ihn den Quäkerfrauen als Zeichen ihrer Dankbarkeit zu schenken. Dabei handelt es sich um den „Rajah Quilt“, die einzige noch erhaltene Arbeit der Gefangenenschiffe, der in der National Gallery of Australia in Canberra aufbewahrt wird.

Die 10 Monate lange Überfahrt auf der „Rajah“ bildet das Herzstück des Buches und ist so ausführlich und anschaulich beschrieben, dass ich selber manchmal das Gefühl hatte, der Boden schwankte unter meinen Füßen.

Die Handlung wird langsam und sorgfältig aufgebaut und durch die abwechslungsreichen Beschreibungen der Orte und des Textilhandels, der beginnenden Industrialisierung, die die Handweber in Irland in ihrer Existenz bedrohen und nicht zuletzt der Technik der Kalotypie, einer Urform der heutigen Fotografie, wird die Spannung immer hoch gehalten. Sehr interessant sind auch die politischen Aspekte um den Opiumhandel, den England zwischen Indien und China betrieb.

Das Buch besteht aus drei größeren Teilen, die wiederum in zahlreiche kürzere Kapitel unterteilt sind. Die Kapitelüberschriften tragen jeweils die Namen von Stoffarten, Farben oder Mustern, die im betreffenden Kapitel eine Rolle spielen. Ich wusste nicht, dass es für so viele Mischgewebe eigene Namen gibt.

Vom Inhalt und von der Schreibweise her, hat mir das Buch ausgesprochen gut gefallen. Der Schreibstil ist flüssig. Die Geschichte wird aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt, was für Abwechslung sorgt. Rhia fühlt sich eng verbunden mit ihrer verstorbenen Großmutter, der sie Briefe in Form eines Tagebuches schreibt, was den Leser direkt in die Gedanken und Gefühlswelt von Rhia schauen lässt.

Schade finde ich, dass weder Klappentext noch Cover dem Inhalt des Buches gerecht werden. Das Buch – also der reine Inhalt zwischen den Buchdeckeln – erhält von mir 5 Sterne.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.