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Herbstrose

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Insgesamt 218 Bewertungen
Bewertung vom 30.03.2018
Vargas, Fred

Das barmherzige Fallbeil / Kommissar Adamsberg Bd.11


gut

Ein Selbstmord beschäftigt Kommissar Jean-Baptiste Adamsberg von der Brigade Criminelle und es widerstrebt ihm, die Akte endgültig abzuschließen. Die pensionierte Lehrerin Alice Gauthier wurde mit aufgeschnittenen Pulsadern in ihrer Badewanne aufgefunden. Sie hinterließ keinen Abschiedsbrief, lediglich am Waschtisch befand sich ein mit Kajalstift hingekritzeltes seltsames Zeichen. Als dann noch bekannt wird, dass die Dame einige Tage zuvor einen Brief abgeschickt hatte und kurz vor ihrem Ableben den Besuch eines jungen Mannes bekam, wird Adamsberg hellhörig. Er sucht den Briefempfänger auf und muss erfahren, dass sich dessen Vater ebenfalls tags zuvor umgebracht hatte. Das kann kein Zufall sein, denn auch dort findet man dieses seltsame Zeichen. Recherchen ergeben, dass sich die beiden Toten während einer Islandreise vor zehn Jahren bereits begegnet sind und möglicherweise einer geheimen Gesellschaft angehörten, die sich mit Robespierre und der Französischen Revolution beschäftigt. Adamsberg übernimmt zusammen mit einigen Kollegen die Ermittlungen, sie reisen nach Island und schleusen sich anonym bei den Robespierre-Anhängern ein. Die Zeit drängt, denn plötzlich geschehen weitere, als Selbstmord getarnte Morde …

Fred Vargas ist der Künstlername der französischen Schriftstellerin und studierten Archäologin Frédérique Audoin-Rouzeau, die am 7.6.1957 in Paris geboren wurde. Für ihre Romane erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, u. A. 2004 und 2016 den Deutschen Krimipreis International. Sie lebt in Paris, arbeitet noch immer als Archäologin und schreibt ihre Kriminalromane in ihrer Ferienzeit.

„Das barmherzige Fallbeil“ ist bereits der 10. Roman um Kommissar Adamsberg, was im Buch leider nirgends ersichtlich ist. Ein Hinweis darauf oder ein Personenverzeichnis am Anfang oder Ende des Buches wäre äußerst hilfreich, denn die Fülle der Akteure (allein die Brigade Criminelle besteht aus 25 Personen, die mal mit Vor- und mal mit Nachnamen benannt werden – hinzu kommen noch unzählige weitere Personen) erschweren das Lesen ohne Vorkenntnisse doch sehr. Der gewöhnungsbedürftige Schreibstil und die manchmal recht seltsamen Dialoge der Protagonisten hemmen den Lesefluss zusätzlich. Die Geschichte beginnt recht gut und mit viel Spannung, wird aber leider im Verlauf immer verwirrender und unübersichtlicher. Die Handlung wird langatmig und wirkt zusammenkonstruiert, manchmal unwahrscheinlich und im Nebel von Island sogar metaphysisch. Immerhin gelingt es der Autorin, die verschiedenen Handlungsfäden am Schluss doch einigermaßen plausibel miteinander zu verknoten.

Positiv wäre zu bemerken, dass der Streifzug in die französische Geschichte zur Zeit der Revolution durchaus fesselt und die Reden von Robespierre neue Erkenntnisse bringen und das Allgemeinwissen erweitern. Sehr interessant beschrieben ist auch die karge, kalte und abweisende Landschaft von Island und der vorgelagerten Insel Grimsey. Ebenfalls erwähnenswert ist die beeindruckende Darstellung von Kommissar Adamsberg, seines skurrilen Charakters, seiner Marotten und seiner langsamen Art zu denken – ein Mensch, den man durchaus ins Herz schließen kann. Doch für ein Buch mit 500 Seiten ist mir das zu wenig.

Fazit: Ein Kriminalroman der wohl nur dann richtig Spaß macht, wenn man Adamsberg und seine Mannschaft von der Brigade Criminelle aus den vorangegangenen Büchern bereits kennt.

Bewertung vom 15.03.2018
Traven, B.

Das Totenschiff


ausgezeichnet

„Wer hier `reingeht, ist ledig aller Qualen!“

Als der amerikanische Seemann Gale vom Landgang in Antwerpen zum Hafen zurück kommt, ist sein Schiff, die S.S. Tuscaloosa, weg. Ausgelaufen ohne ihn, aber mit seinem ganzen Hab und Gut, seinem Seemannsbuch und seinem Pass. Unmöglich, ohne Seemannsbuch ein anderes Schiff zu bekommen, und noch unmöglicher ein neues Seemannsbuch ohne Pass oder einen neuen Pass ohne Identitätsnachweis. Er ist nun ein „Niemand“, er existiert einfach nicht. Diese leidvolle Erfahrung bleibt Gale nicht erspart, der nun als „Staatenloser“ von einem Land zum anderen abgeschoben wird. In Portugal schließlich gelingt es Gale, auf der Yorikke, einem Schmuggelschiff bei dem man es mit den Papieren nicht so genau nimmt, als Kohlenschlepper anzuheuern. Bald muss er feststellen, dass es sich um ein Totenschiff handelt, denn auch die anderen Seeleute sind ohne Papiere, also „lebende Tote“. Dort lernt er auch einen weiteren Kohlenschlepper, Stanislaw Koslowski, kennen, den ein ähnliches Schicksal auf das Schiff verschlagen hat und der bald sein bester Freund werden sollte. Bei einem Landgang im Hafen von Dakar werden die beiden shanghait und landen auf der Empress of Madagascar, einem Totenschiff der anderen Art. Mit ihrer wertlosen aber hoch versicherten Ladung Alteisen soll sie mit Mann und Maus versenkt werden, um der Reederei und dem Kapitän ein hübsches Sümmchen einzubringen. Doch anders als geplant läuft sie auf einem Riff auf, Gale und Stanislaw können sich total erschöpft auf eine Planke retten und treiben nun hilflos im Ozean …

B. Traven, geb. 1882 – gest. 1969, nannte sich der Autor, der wie viele andere auch anonym veröffentlichte. Er schrieb zwölf Romane, einige Erzählungen und einen Reisebericht, alle in seiner ironisch-sarkastischen Ausdrucksweise und alle verbinden Abenteuer mit kapitalismuskritischem Hintergrund. Wie 1974 festgestellt wurde, soll Traven mit dem Theaterschauspieler und Anarchisten Ret Marut, der 1924 nach Mexiko floh, identisch sein. Recherchen bestätigten dann 2012, dass B. Traven und Ret Marut beides Pseudonyme eines gewissen Otto Feige, Maschinenschlosser und Gewerkschaftssekretär aus Schwiebus in der preußischen Provinz Brandenburg, sein sollen.

Ganz egal wie sich der Autor genannt haben mag, schreiben konnte er, und zwar sehr gut. Traven lässt seinen Protagonisten selbst erzählen, manchmal wütend und traurig, manchmal ironisch und sarkastisch, voll hintergründig beißendem Humor, aber immer hoffnungsvoll und zuversichtlich. Man wird geradezu in die Geschichte hinein gezogen, in das traurige Los des heimatlosen Seemannes ohne Schiff und ohne Papiere, der eigentlich nur überleben will. Engstirniger Bürokratismus einerseits und aufopferungsvolle Hilfsbereitschaft und Freundschaft andererseits berühren den interessierten Leser. Obwohl nicht allzu viel geschieht und die Handlung nur wenige Höhepunkte hat, fand ich das Buch nie langweilig. Auch die ab und zu verwendeten seemännischen Ausdrücke dürften jedermann geläufig sein und bereiteten mir keine Schwierigkeiten. Die Thematik ist heute, bedingt durch die vielen Flüchtlinge ohne Ausweis, aktueller denn je. Darf man, ja soll man, einer Person auf Treu und Glauben gültige Papiere ausstellen, obwohl man deren Identität nicht feststellen kann? Gewiss hat man heute ganz andere Möglichkeiten (der Roman entstand 1926) als damals, dennoch bleibt das Problem. Ein weiteres großes Thema des Romans ist die Ausbeutung der Schwächeren durch die jeweils Höhergestellten, was sich in der Hierarchie bis ganz nach oben fortsetzt und auch heute noch seine Gültigkeit hat.

Fazit: Nicht einfach nur ein einzigartiger Abenteuerroman, sondern auch eine Anklage gegen Bürokratismus und Geldgier und nicht zuletzt eine Hymne an die Freundschaft.

Bewertung vom 03.03.2018
Gabaldon, Diana

Ein Schatten von Verrat und Liebe / Highland Saga Bd.8


sehr gut

Wir sind in Philadelphia im Jahr 1778. Jamie ist zurückgekommen, er und seine Schwester Jenny waren nicht auf dem untergegangenen Schiff, aber Claire ist jetzt mit Lord John verheiratet. Die Armee der Briten zieht sich aus Philadelphia zurück, mit ihnen William, der inzwischen erfahren hat, dass er der uneheliche Sohn von Jamie ist. Außerdem sind in der britischen Armee noch Denzell Hunter als Militärarzt mit seiner Schwester Rachel.

Die Kontinentalarmee unter General Washington formiert sich neu und Jamie und Claire schließen sich der Truppe an. Auch Lord John ist dabei, allerdings als Kriegsgefangener, außerdem Ian als indianischer Kundschafter. Es kommt zur Schlacht von Monmouth. Claire wird schwer verletzt und Jaimie quittiert den Dienst. Zunächst wohnen sie in Philadelphia bei Fergus und Marsalie, wo inzwischen auch Jamies Schwester, die verwitwete Jenny, wohnt. Dort beschließen sie, mit der gesamten Familie nach Fraser‘s Ridge zurück zu gehen, um das abgebrannte Haus wieder aufzubauen.

Lallybroch 1980. Roger geht mit William Buccleigh MacKenzie, Rogers Urahn der versehentlich durch die Steine in die Gegenwart gekommen ist, zurück ins 18. Jahrhundert, da sie den von Rob Cameron entführten Jemmy dort vermuten. Sie kommen aber nicht wie berechnet an, sondern Jahrzehnte früher, etwa Ende der 1730er Jahre. Jemmy jedoch konnte seinem Entführer entkommen und ist wieder bei Brianna. Diese beschließt nun, mit ihren Kindern Jemmy und Mandy ins 18. Jahrhundert zurück zu gehen, um Roger zu suchen. Wird sie ihn finden?

In „Ein Schatten von Verrat und Liebe“, dem achten Band der Highland-Saga, nimmt Diana Gabaldon, in ihrem gewohnt angenehmen Schreibstil, den Leser wieder mit auf eine abenteuerliche Zeitreise ins Amerika des 18. Jahrhunderts sowie nach Schottland im Jahr 1980. Sehr genau recherchiert und historisch korrekt führt sie ihn in die Schlacht von Monmouth zwischen der britischen Armee und der Armee der amerikanischen Südstaaten und schreckt auch vor brutalen Kampfszenen nicht zurück. Innig und liebevoll lässt sie ihre Leserschaft teilhaben am Familienleben der Frasers und ihrer mittlerweile großen Verwandtschaft. Gefühlvoll und äußerst plastisch erlebt man die einzelnen Szenen und wird mit großer Lust am Detail durch die Landschaften geführt. Die in den vorhergehenden Büchern lieb gewonnenen Protagonisten sind nun nicht mehr die Jüngsten, doch geblieben ist die tiefe Liebe und das unendliche gegenseitige Vertrauen, was Gabaldon wieder wunderschön und sehr poetisch zum Ausdruck bringt.

Mehrere Handlungsstränge ziehen sich durch das Buch, treffen zusammen, kreuzen und verflechten sich. Erzählt wird wieder meist aus der Ich-Perspektive von Claire, aber auch im Erzählstil aus Sicht der anderen Protagonisten. Dadurch ergeben sich interessante Perspektiven und immer wieder neue Aspekte, was das Geschehen ungemein belebt aber manchmal leider dazu führt, dass man gelegentlich mal kurz den Überblick verliert. Ein Personenverzeichnis, das im Taschenbuch nicht enthalten ist, wäre hier sehr hilfreich. Manche Passagen sind für meinen Geschmack etwas langatmig ausgefallen, da hätte man vielleicht etwas kürzen können. Das überraschende Eintreffen von Neuankömmlingen in Fraser’s Ridge lässt auf den 9. Band hoffen, der wohl 2018 noch herauskommen wird.

Fazit: Für Fans der Highland-Saga ist auch dieser Bank wieder ein Muss und ein erfreuliches Treffen mit alten Bekannten.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.02.2018
Basile, Salvatore

Die wundersame Reise eines verlorenen Gegenstands


gut

Michele ist sieben Jahre alt, als seine Mutter eines Morgens mit Koffer und seinem roten Tagebuch in der Hand in den Zug steigt, wegfährt und nicht wieder zurück kommt. Heute, mit dreißig, leidet er noch immer unter diesem Verlust. Er ist zum Eigenbrötler geworden, lebt alleine im Elternhaus am Bahnhof und hat nach dem Tod des Vaters dessen Arbeit übernommen. Jeden Abend kontrolliert er den einzigen Zug, der noch in den kleinen Bahnhof fährt, nach vergessenen und verlorenen Gegenständen. Diese zu sammeln und aufzubewahren sind die einzige Freude seines ansonsten trostlosen Lebens. Eines Abends steht Elena vor seiner Tür, eine quirlige junge Frau, die ihre im Zug vergessene Puppe abholen möchte. Sie wirbelt Micheles beschauliches Leben gründlich durcheinander. Als er dann noch sein rotes Tagebuch aus Kindertagen im Zug entdeckt, ist seine Ruhe endgültig dahin. Er beschließt mit Elenas Hilfe seine Mutter zu suchen – eine abenteuerliche Reise beginnt …

Der Autor Salvatore Basile ist gebürtiger Neapolitaner und lebt heute in Rom. Er ist Regisseur und Drehbuchautor, was seinem ersten Roman „Die wundersame Reise eines verlorenen Gegenstands“ meiner Meinung nach auch anzumerken ist. Landschaften, Gebäude und vieles mehr werden herrlich plastisch und bis ins kleinste Detail beschrieben, ebenso die Gesten und Bewegungen der Personen - über Aussehen und Statur der Protagonisten konnte ich mir jedoch, außer vielleicht Augen- und Haarfarbe, bis zum Schluss kein klares Bild machen. Der Schreibstil ist gut lesbar, mit viel Lust am Detail und von großer erzählerischer Kraft. Die Dialoge empfand ich manchmal etwas hölzern, was vielleicht der Übersetzung zuzuschreiben ist.

Das Buch beginnt sehr vielversprechend mit einem wunderbaren Zitat von Saint-Exupéry. Auch der Plot (junger Mann begibt sich auf die Suche nach seiner verschollenen Mutter, begegnet dabei verschiedenen Charakteren und macht selbst eine bemerkenswerte Entwicklung durch) weckt die Hoffnung auf ein außergewöhnliches Werk. Es hätte ein modernes Märchen werden können, hätte der Autor die Geschichte nicht vollgepackt mit philosophischen Lebensweisheiten und psychologischen Erkenntnissen. Der Protagonist Michele macht innerhalb weniger Tage eine innere Wandlung durch, die recht unglaubwürdig anmutet und real nicht nachvollziehbar ist. Anfangs ist die Geschichte ruhig und einfühlsam und kann den Leser durchaus in seinen Bann ziehen. Doch gegen Ende zu, vermutlich aus dramaturgischen Gründen, wird die Handlung immer rasanter. Geheimnisvolle Zufälle und mystische Wunder geschehen, manche Aktionen erinnern gar an Slapstick-Komödien und sind für mich nur haarsträubender Unsinn. Selbst das versöhnliche Ende, in dem wie im Märchen alles aufgeklärt wird, konnte mich nicht mehr überzeugen, da meiner Meinung nach der Grundgedanke der Geschichte verloren gegangen ist.

Fazit: Ein Roman mit Stärken und Schwächen – eine unterhaltsame Lektüre für Leser, die sich auf „märchenhaftes“ einlassen können.

Bewertung vom 07.02.2018
Sendker, Jan-Philipp

Das Flüstern der Schatten / China-Trilogie Bd.1


ausgezeichnet

Seit vor drei Jahren sein achtjähriger Sohn gestorben ist, ist das Leben für Paul Leibovitz nicht mehr lebenswert. Seine Ehe scheiterte an diesem Schicksalsschlag und Paul zog sich daraufhin mit seiner Trauer in die Einsamkeit einer kleinen Insel vor Hongkong zurück. Seine Erinnerung an Justin sollte nicht durch Kontakt mit anderen Menschen zerstört werden. Auch seinem Freund David Zhang und Freundin Christine Wu, die Paul aufrichtig liebt, gelang es nicht, ihn aus seiner selbst gewählten Isolation zu befreien. Dies änderte sich erst als er dem amerikanischen Ehepaar Owen begegnet, deren Sohn ermordet wurde. Zunächst nur widerstrebend ist er bereit seinem Freund Zhang, der bei der Mordkommission arbeitet, als verdeckter Ermittler bei der Aufklärung des Falles behilflich zu sein – und ganz allmählich kann er sich wieder dem Leben zuwenden …

„Das Flüstern der Schatten“ erschien 2007 und ist der erste Band einer China-Trilogie des 1960 in Hamburg geborenen Autors Jan-Philipp Sendker, der von 1995 bis 1999 Asienkorrespondent des Magazins Stern war. Dabei hatte er Gelegenheit China und die chinesische Mentalität kennen zu lernen und fundierte Informationen über Land und Leute zu erwerben. Die weiteren Bände sind „Drachenspiele“ (2009) und „Am anderen Ende der Nacht (2016). Sendker lebt heute mit seiner Familie in Potsdam.

Das moderne China als aufstrebende Wirtschaftsgroßmacht ist eines der Grundthemen des Romans, der im heutigen Hongkong und der angrenzenden chinesischen Provinz Guangdong spielt (Karten von Hongkong und China sind zur Orientierung im Buch abgedruckt). Ein weiteres großes Thema ist Vergangenheitsbewältigung. Rückblenden zur Zeit der Kulturrevolution zeigen, dass die damaligen Gräueltaten lange Schatten werfen und noch bis heute ihre Auswirkungen haben. Ein spannender Kriminalfall, Intrigen, Korruption und Ausbeutung sowie eine leidvolle Liebesgeschichte sind weitere relevante Erzählstränge, die in diesem Roman gefühlvoll und empfindsam verwoben sind.

Der Schreibstil ist überaus fesselnd und von beeindruckender Intensität. Die einzelnen Charaktere sind sehr differenziert und gut heraus gearbeitet. Szenen, Beziehungen und Landschaften sind atmosphärisch treffend erfasst ohne zu langweilen oder in Sentimentalität zu verfallen. Das pulsierende Hongkong erwacht förmlich zum Leben und macht die Geschichte sehr lebendig. Es geht um Vertrauen, um die Macht der Liebe, um Schicksale einzelnen Menschen und ebenso um die Entwicklung und die Probleme eines ganzen Landes.

Fazit: Ein wunderbares Buch, eine spannende Kombination aus Kriminalroman, dezenter Liebesgeschichte und Reportage über die wirtschaftliche Entwicklung Chinas – sehr empfehlenswert.

Bewertung vom 07.02.2018
Foenkinos, David

Souvenirs


sehr gut

Er ist fünfundzwanzig Jahre alt und sucht noch nach einer Perspektive im Leben. Schriftsteller will er werden und berühmt, sein Job als Nachtportier in einem Pariser Hotel soll ihm das passende Ambiente dazu liefern. Doch es will nicht so recht voran gehen mit seinem Roman. Dann überstürzen sich plötzlich die Ereignisse und die Prioritäten im Leben verschieben sich. Der geliebte Großvater stirbt, seine Eltern leben sich auseinander, Vater geht in Rente, Mutter bekommt Depressionen, Großmutter verschwindet spurlos aus dem Altenheim und unser Held lernt endlich Louise, die Frau seines Lebens kennen …

Der Autor David Foenkinos, geb. 28.10.1974 in Paris, studierte an der Sorbonne Literatur und Musik. Er hat nach eigenen Angaben elf Bücher geschrieben, die in vierzig Sprachen übersetzt wurden und für die er in Frankreich bereits zahlreiche Auszeichnungen erhalten hat. Einige seiner Romane hat er, zusammen mit seinem Bruder Stéphane, selbst verfilmt. Seine Werke seien nicht autobiografisch, wie er anlässlich einer Lesung 2013 in Weimer erklärte.

„Souvenirs“ ist die Geschichte dreier Generationen einer Familie, mitten aus dem Leben gegriffen, fesselnd, berührend und menschlich. Ein Buch über Altern und Krankheit, Abschied nehmen und Neuanfang, über Probleme in der Ehe und in der Liebe und über den Konflikt zwischen den Generationen in allgemeinen. Foenkinos‘ Schreibstil ist sehr poetisch, dabei trotz melancholischer Grundstimmung immer zuversichtlich und mit ironischem Humor gewürzt. Zwischen den einzelnen Kapiteln eingebunden findet man die „Souvenirs“, Gedanken und Erinnerungen bekannter und unbekannter Personen, die zuvor in der Erzählung erwähnt wurden und diese angenehm auflockern.

Anfangs wird das Geschehen aus Sicht des Enkels langsam und bedächtig erzählt, die Zeit rinnt gemächlich dahin, was ich persönlich sehr schön fand. Doch leider ändert sich dies ab etwa der Mitte des Buches. Die Zeit rast plötzlich dahin, man erfährt nur noch wenige Einzelheiten, und im Nu sind acht Jahre vergangen. Das war für mich unbefriedigend und mindert meiner Meinung nach den guten Gesamteindruck. Angenehmer Anfang – übereiltes Ende!

Fazit: Ein einfühlsamer und außergewöhnlicher Roman, ernsthaft und doch unterhaltend, der den Leser innehalten lässt und einlädt, über das eigene Verhältnis zu Eltern und Großeltern nachzudenken.

Bewertung vom 17.01.2018
Stratmann, Cordula

Danke für meine Aufmerksamkeit


sehr gut

Nachdem Britta sich von ihrem Lebensgefährten getrennt hat, braucht sie eine neue Bleibe. Doch dies ist gar nicht so einfach, denn Britta ist eine gewöhnliche Hausmaus, allerdings eine, die sprechen kann. Durch Zufall landet sie im Haus von Polly, welches das elfjährige Mädchen mit ihren Eltern bewohnt. Fortan nimmt Britta teil am menschlichen Leben, lernt Pollys Freunde und deren Probleme mit den Eltern kennen, verliebt sich in Nachbars Kater Rico und trifft endlich auf Ferdinand, den Mäusemann ihres Lebens …
Bevor die Autorin Cordula Stratmann als Komödiantin im TV bekannt wurde, war sie als Sozialarbeiterin mit Ausbildung als Familientherapeutin tätig. Sie hat es gut verstanden, ihre diesbezüglichen Erfahrungen in diesem Buch einzubringen. Humorvoll geht es um ernsthafte Themen wie Kindererziehung, Eltern, die kaum für ihre Kinder Zeit haben, überforderte Lehrer und Verunstaltung der deutschen Sprache. Leicht überzogen lernt man aus Sicht der Maus einige, teils groteske und teils bizarre, Familienverhältnisse, sowohl in der Wahrnehmung der Eltern, als auch der der Kinder kennen. Das Buch ist in einem lebendigen, flüssigen Schreibstil geschrieben, der die Szenen und Begebenheiten treffend wiedergibt, die auch sehr viel Lebensweisheiten enthalten.
Fazit: Ein Buch, bei dem man Schmunzeln kann, das aber auch zum Nachdenken anregt.

Bewertung vom 23.12.2017
Haruf, Kent

Lied der Weite


ausgezeichnet

Sie leben alle in Holt, einer Kleinstadt im US-Bundesstaat Colorado. Sie kennen sich kaum, und doch sind ihre Schicksale auf eine Weise miteinander verbunden, die sie anfangs noch nicht ahnen können. Da ist zunächst Guthrie, Lehrer an der Highschool, der von seiner Frau verlassen wird und nun eine neue Liebe sucht. Dann Ike und Bobby, die beiden zehn und neun Jahre alten Jungen des Paares, die von älteren Schülern aus Rache an ihrem Vater gemobbt und gequält werden, sich aber durchzusetzen lernen. Außerdem ist da noch Victoria, die sechzehnjährige Schülerin, schwanger, von ihrem Freund verlassen und von ihrer Mutter vor die Tür gesetzt. Dann gibt es noch die McPherson-Brüder, zwei alte Männer mit einer kleinen Farm, aber mit großen Herzen. Ferner ist da noch Maggie Jones, eine Lehrerin, die sich mehr um die Sorgen anderer kümmert, als um ihre eigenen …

„Lied der Weite“ des US-Schriftstellers Kent Haruf (1943-2014) erschien in deutscher Sprache bereits 2001 unter dem Titel „Flüchtiges Glück“ und wurde jetzt vom Diogenes-Verlag neu überarbeitet und übersetzt. Die amerikanische Originalausgabe unter dem Titel „Plainsong“ stand 1999 auf der Shortlist des „National Book Award for Fiction“ und wurde ein Bestseller in den USA. Der in Colorado beheimatete Lehrer und Autor Kent Haruf schrieb insgesamt sechs Romane, die alle in der fiktiven Kleinstadt Holt spielen.

Der Schreibstil Harufs ist ruhig und distanziert. Es gelingt ihm großartig, Gefühle einfach und schön auszudrücken. Er fesselt den Leser an die Geschichte, ohne unnötige Spannung entstehen zu lassen. Nach kurzer Zeit hat man sich auch daran gewöhnt, dass die wörtlichen Reden nicht durch Satzzeichen hervorgehoben sind. Kurze Kapitel und knappe Dialoge erzeugen mit sparsamen Worten das unbestimmte Gefühl, dass bald noch etwas Entscheidendes passieren wird. Bemerkenswert ist der meist liebevolle und feinfühlige Umgang der Protagonisten untereinander. Doch man findet auch andere Töne. So kann man einige Szenen durchaus als kalt und hartherzig, ja manchmal sogar als brutal bezeichnen. Dennoch ist es ein Buch, das zufrieden und glücklich macht - das ich sehr gerne gelesen habe und sicher noch einmal zur Hand nehmen werde.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.08.2017
Mankell, Henning

Der Sandmaler


gut

Die Schulzeit ist beendet und Elisabeth ist noch auf der Suche nach einem Platz im Leben. So beschließt sie, zunächst einmal zwei Wochen Urlaub in Afrika zu machen, um Land und Leute kennen zu lernen. Auch Stefan, mit dem sie vor einem Jahr mal kurz befreundet war, möchte nach Afrika, seine Gründe sind jedoch profaner. Er will feiern, schwarze Frauen kennen lernen und das Strandleben genießen. Am Flughafen treffen sie sich zufällig wieder …
Henning Mankell (1948-2015) unternahm als junger Mann von 24 Jahren seine erste Reise nach Afrika. Seine Eindrücke verarbeitete er in seinem ersten Roman „Der Sandmaler“, der 1974 in schwedischer Originalausgabe gedruckt wurde und erst jetzt, 2017, in deutscher Übersetzung erschien. Anhand der beiden Protagonisten Elisabeth und Stefan zeichnet Mankell die typischen, meist gedankenlosen, Verhaltensweisen der Urlauber auf. Er spricht Themen an, die auch heute noch aktuell sind und den Leser dazu anregen, über sein eigenes Verhalten nachzudenken. Während Stefan nur seinen Spaß haben will und sich nicht für Land und Leute interessiert, möchte Elisabeth mehr über ihr Reiseland erfahren. Sie geht auf ihre Umgebung ein, lernt die Lebensweise einer einheimischen Familie kennen und lässt sich von Sven, einem schwedischen Lehrer, einiges über die Geschichte des Landes, über Kolonialismus und Ausbeutung erzählen. Sie zieht Nutzen aus dieser Reise, wird gereifter und sicherer für ihr zukünftiges Leben, während Stefan nichts dazu gelernt hat.
Der Schreibstil ist sehr schlicht und einfach, ohne Tiefgang, ganz anders als man ihn von Mankell in seinen späteren Romanen kennt. Zu den Protagonisten und ihrem Erleben bleibt stets eine gewisse Distanz. Anspruchsvolle Lektüre sucht man hier vergebens. Was man aber bekommt, ist ein leichter, flott zu lesender Roman, der in Ansätzen sogar manchmal die Atmosphäre und die Schönheit Afrikas vermittelt. Leider ist nie davon die Rede, in welchem Land „im Westen Afrikas am Meer“ sich die Geschichte abspielt.
Fazit: Ein interessantes Frühwerk Mankells – kann man lesen, muss man aber nicht.