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clematis

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Insgesamt 262 Bewertungen
Bewertung vom 19.06.2025
Maly, Beate

Gold aus der Wiener Werkstätte (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Die Halskette

Max von Krause, kaiserlicher Polizeiagent, hat es diesmal mit einem pikanten Mord zu tun, liegt doch eine Prostituierte übel zugerichtet in ihrem Hotelzimmer, und das ausgerechnet im Hotel Kaiserkrone, dessen Besitzer mit dem Oberkommissar verwandt ist. Natürlich muss alles dafür getan werden, dass nichts an die Presse dringt, da wird schon eine zweite Leiche gemeldet. Und weil es sonst nicht halb so spannend wäre, führt eine Halskette in die Wiener Werkstätte, wo Krause zum zweiten Mal auf die selbstbewusste Putzfrau Lili Feigl trifft.

Bildreich und bisweilen mit dem passenden Dialekt präsentiert sich Wien im Jahre 1906. Nach genauester Recherche zu einem historisch belegten Verbrechen fügt Beate Maly nun wahre Grundlagen und einen fiktiven Mordfall zusammen, was beste Unterhaltung verspricht und tatsächlich auch hält. Sorgfältig charakterisierte Figuren und interessante Details zur Kunst in der Wiener Werkstätte bilden den Kern für Max von Krauses Ermittlungen, die nicht nur in erlesene Salons der „besseren“ Gesellschaft führen, sondern auch in dunkle Hinterhöfe, wo man kaum weiß, wie man den nächsten Tag überleben soll. Unglaubliche Gegensätze zwischen Arm und Reich prägen die Zeit, in der gerade Fotografie und Daktyloskopie Einzug halten in die Polizeiarbeit. Und so gibt es auch hier Spannungen zwischen jenen Ermittlern, die den Fortschritt begrüßen und jenen, welchen diesen strikt ablehnen. Aufgrund ihrer detailgetreuen, aber niemals fade ausschweifenden Beschreibungen findet sich der Leser rasch selbst mitten im Geschehen und weiß anhand unterschiedlicher Erzählperspektiven oft mehr als die handelnden Personen, sodass man gespannt darauf wartet, wie Max und Lili vorgehen werden. Nach wenigen Tagen und logischen Schlussfolgerungen ist – nach kurzer Aufregung – schließlich der Täter gefasst und Max‘ Mutter, die eine durchaus humorvolle Rolle spielt, mehr beteiligt als ihr selbst bewusst ist.

Ein wunderbarer zweiter Teil rund um Mord und Wiener Werkstätte mit überaus sympathischen Charakteren, schönen und weniger heimeligen Plätzen (wie dem Ratzengrund) in Wien und spritzigen Dialogen, bisweilen mit passender Mundart. In der Kürze liegt die Würze, könnte man sagen, denn die etwa 250 Seiten lesen sich absolut kurzweilig und bieten beste Unterhaltung im Genre Historischer Kriminalroman. Leseempfehlung!

Bewertung vom 19.06.2025
Furniss, Jo

Der Stau (eBook, ePUB)


weniger gut

Stillstand

In London herrscht Bombenalarm, etliche Straßen sind gesperrt, darunter die Autobahn, auf der sich Belinda Kidd, Polizistin knapp vor der Pension, befindet. Stillstand. Warten. Aber da kommt Unruhe auf, denn der Mann im Auto nebenan bewegt sich nicht. Hat er einen Herzinfarkt? Kann man ihn noch wiederbeleben? Belinda, genannt Billy, stellt sich in den Dienst und entdeckt das Unglaubliche: im Nacken des Autofahrers steckt ein Spieß aus Metall. Nun heißt es, klug vorzugehen, um keine Panik unter den anderen „Gefangenen“ im Stau zu erzeugen und rasch Kontakt aufzunehmen zu ihrem Kollegen Dominic Day.

Originell, temporeich und absolut fesselnd – das verspricht der Klappentext. Vielleicht sind die Erwartungen deshalb besonders hoch, aber außer einem originellen Schauplatz trifft nichts davon zu. Die Handlung wird gemäß der aktuellen Uhrzeit erzählt, einzelne auf der Strecke gestrandete Figuren schildern zwischendurch ihre Sicht der Dinge. So lernt der gespannte Leser einzelne Personen rund um den Ermordeten kennen, allerdings bleibt es eher bei flüchtigen Bekanntschaften, wie es denn so ist, wenn man nur wenige Stunden in einer zwangsweise entstandenen Gemeinschaft ausharren muss. Niemand ist derart charakterisiert, dass man sich ihm nahe fühlt oder Emotionen geweckt werden. Jeder spult sozusagen seiner Persönlichkeit entsprechend sein Programm ab und Billy versucht, innerhalb weniger Stunden einen Kriminalfall aufzuklären. Inzwischen vertreten sich etliche Fahrzeuginsassen die Beine, werden Pferde ausgeladen, geschehen absonderliche, mitunter kaum glaubwürdige Dinge auf der Straße, die sich allerdings eher langatmig und zäh anfühlen als aufregend und atemberaubend. Auch vom Schreibstil her selbst erinnert die Angelegenheit eher an ein Abhaken einzelner Szenen denn an den Aufbau stetig steigender Spannung. Natürlich geraten mehrere Personen unter Verdacht, bevor sich ein doch unerwarteter Schwenk ergibt und der Mordfall aufgeklärt werden kann.

Eine überzeugende Idee, die leider wenig überzeugend umgesetzt wird, eine Geschichte, die deutlich mehr Potential gehabt hätte. Schade.

Bewertung vom 18.06.2025
Russ, Rebecca

Der Weg - Jeder Schritt könnte dein letzter sein (eBook, ePUB)


sehr gut

Königspfad

Wenige Tage vor Julias Hochzeit mit Lars überredet ihre beste Freundin Nicki sie noch zu einer gemeinsamen Wanderung am Schwedischen Königspfad, dem Kungsleden. Schon oft hat Julia davon gesprochen, nun wird das Vorhaben anstatt einer Junggesellinnenparty in die Tat umgesetzt. Erst ist Nicki recht wortkarg, dann plötzlich aus dem Zelt verschwunden. Ratlos begibt sich Julia auf die Suche nach der Freundin, von der sie sich zuletzt doch recht entfremdet hat.

Julia erzählt diese beklemmende Geschichte aus ihrer Sicht in der Ich-Form, bedient sich oft knapper Sätze und eines sachlichen Tons, als müsste sie all das Erlebte in einen Bericht fassen. Wir begleiten Julia und Nicki von Frankfurt aus nach Ammarnäs, den Startpunkt der geplanten Wanderung. Das Wetter ist schlecht, es regnet, aber das hält die beiden jungen Frauen nicht davon ab, am nächsten Tag - wie geplant - loszumarschieren. Bald unterbrechen kursiv geschriebene Kapitel den Ausflug, erzählen vom ersten Kennenlernen über gemeinsame Kurzurlaube bis hin zu Hochzeitsplanungen. So lernt der Leser durch einen Blick in die Vergangenheit die handelnden Figuren noch besser kennen und die Spannung in der Wildnis neben dem Königspfad steigt stetig an. Geschickt wählt Rebecca Russ die einsame, raue Landschaft Nordschwedens als Kulisse und fesselt mit ihrem flotten Schreibstil die Leser an die Seiten des Buches. Wenige Figuren beherrschen die Handlung und präsentieren sich daher dem Leser besonders plastisch, wodurch die Überraschung im Laufe der Handlung umso verblüffender ausfällt. Ab und zu muss aber auch der Zufall aushelfen, dass alles so läuft wie es läuft, was mitunter die Glaubwürdigkeit ein klein wenig mindert. Auch hätte da und dort ein zusätzliches Detail vielleicht für mehr Klarheit an manchen Stellen gesorgt.

Fazit: ein sehr gutes Buch mit vielen spannenden und überraschenden Momenten, das jedenfalls kurzweilige Unterhaltung bietet und am Besten in einem Schwung gelesen wird.

Bewertung vom 18.06.2025
Paulsen, Hanna

Föhrer Zuflucht


sehr gut

Leoni auf Föhr

Nach der Trennung von Marcel wird Leoni gestalkt, als letzten Ausweg flüchtet sie sich auf die Insel Föhr, von der aus ihre Freundin ihr einst eine hübsche Ansichtskarte geschickt hat. In Wyk sucht die fünfundzwanzigjährige Hamburgerin Arbeit und Quartier, was aber gar nicht so einfach ist wie gedacht. Schließlich kommt ihr ein fescher Polizist zu Hilfe.

Eine malerische Insel, ein guter Grund zur Flucht, ein mutiger Neuanfang – bewährte Zutaten für einen Roman zum Abschalten und Träumen, auch wenn manche Szenen eher einem Alptraum gleichen. Gekonnt verknüpft Hanna Paulsen in dieser Geschichte die herrliche Landschaft mit fast kriminalistischen Elementen, setzt den hilfsbereiten Menschen auf Föhr eine Figur des Bösewichts in Form von Marcel entgegen. So entsteht eine abwechslungsreiche Handlung, während der wir sogar auf liebgewonnene Bekannte aus der Föhrer Jahreszeiten-Reihe „Neuanfang an der Nordsee“ treffen. Schwungvoll führt uns die Autorin durchs Geschehen, erzählt einfühlsam und liebevoll, was sich dieser Tage auf der kleinen Insel zuträgt, erklärt Brauchtum und typische landschaftliche Besonderheiten wie das Watt, sodass man sich auch von Ferne gut zurechtfinden kann. Die Kulinarik im Café Friesenstübchen hätte gerne noch etwas ausführlicher sein dürfen, da bekomme ich gleich Sehnsucht nach Friesentorte und Tee mit Kluntjes.

Ein herzlich gestalteter Roman mit vielen sympathischen Figuren für entspannte Lesestunden.

Bewertung vom 17.06.2025
Winkelmann, Andreas

Ihr werdet sie nicht finden (eBook, ePUB)


sehr gut

Privatermittlung

Privatdetektivin Franka wird von einer älteren Frau engagiert, um deren 22jährige verschwundene Enkelin Silvia wiederzufinden. Bei den Recherchen stößt Franka auf einen weiteren Vermisstenfall vor sieben Jahren, zu dem es eventuell einen Zusammenhang gibt. Damals ist Isabell nie von einer Jugendparty heimgekommen, der Vater, ein Polizist, hat den mutmaßlichen Entführer kurzerhand selbst überwältigt. Nun ermitteln Franka und Jonas gemeinsam auf eigene Faust, denn die Polizei sieht sich nicht zuständig.

In abwechslungsreichen Kapiteln lernen wir Franka und Jonas bei ihren privaten Nachforschungen kennen, der zurückliegende Fall von Isabell wird immer wieder dazwischengeschoben, sodass sich das gesamte Puzzle nach und nach zusammensetzt. Und wer spricht zum Leser in kursiver Schrift? Geschickt baut Winkelmann Spannung auf und überzeugt mit zwei sehr speziellen Charakteren in der Ermittlerrolle. Die Fälle scheinen gänzlich verschieden, aber da gibt es noch die Tatsache, dass Isabell und Silvia sich gekannt haben. Nochmals werden die Zeugen zu Isabells Verschwinden befragt, nicht alle sind kooperativ, aber sind sie deshalb gleich verdächtig? Und ist der Täter nicht ohnehin zur Rechenschaft gezogen worden? Gibt es einen Komplizen? Frage über Fragen werden gestellt, komplizierte Verstrickungen aufgedeckt, nicht immer ganz realitätsnah, aber am Ende herrscht Klarheit in beiden Fällen.

Ein flotter Thriller, der sich gut lesen lässt und unterhaltsame Stunden garantiert.

Bewertung vom 17.06.2025
Beyer, Anja Saskia

Sommersehnsucht und Meeresglitzern


sehr gut

Capris Ruine

Lina ist erst kürzlich von Capri zurückgekommen, da sitzt sie schon wieder im Flieger gen Süden. Hat sie zuletzt ihre italienische Großmutter nach vielen Jahren wiedergesehen, so zieht es sie nun aufgrund einer Ehekrise auf die wunderbare Insel vor Neapel. Ob sie hier eine Entscheidung treffen kann, wie es weitergehen soll?

Ein schönes Wiedersehen mit Lina, Tilda, Ann und Mutter Ulla steht uns hier bevor. Auch wenn die Bände einzeln lesbar sind, so ist es doch sinnvoll, wenn man die Reihenfolge beim Lesen einhält und die Entwicklung der einzelnen Charaktere mitverfolgt. Wie auch schon zuvor, schildert Anja Saskia Beyer das italienische Eiland in bunten Farben, lässt uns bereits bei der Überfahrt mit der Fähre den Sonnenuntergang genießen und kurz darauf den schokoladigen Duft der Torta Caprese einatmen. Wunderbar, dass auch hier einige mediterrane Rezepte das Buch am Ende abrunden. Während also diesmal Lina im Mittelpunkt steht und darüber nachsinnt, warum sie in Deutschland immer unglücklicher geworden ist, stößt die Mutter zweier fast erwachsener Kinder auf eine Ruine, ein heruntergekommenes Häuschen, in dem ein attraktiver Mann herumwerkt. Bei der ausgebildeten Architektin ist die Neugierde geweckt, sie spaziert schnurstracks in den wilden Garten und findet alsbald einige Gemeinsamkeiten mit dem Hausbesitzer namens Luca. Die Liebe zur Natur, Nachhaltigkeit, gesundes Essen, Rückbesinnung auf die eigenen Bedürfnisse werden thematisiert und zuweilen, Kalendersprüchen gleich, ins Geschehen geworfen, an anderer Stelle subtiler in die Handlung eingeflochten.

Locker-leicht geht es durch Hoch und Tief, über einige Missverständnisse zu Entscheidungen, die von Herzen kommen. Capri, die Insel mit ihren magischen Momenten, lädt ein zum Träumen und Verweilen, zum Nachdenken und zu-sich-Finden. Mit den vorgestellten Figuren fällt das leicht, ich bin bestimmt wieder dabei, wenn Ann die Hauptrolle spielt.

Bewertung vom 16.06.2025
Bradley, Jessica

Ein tödlicher Gast (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Serienmörder in Köln

Emma Hansen und Felix Lukas bilden ein fixes Team in der Kriminalpolizei Köln. Als aktuelle Herausforderung gilt es, einen Täter zu finden, der ältere, alleinstehende Frauen mit Wein, Pralinen und Kerzenschein verwöhnt, um sie dann tot zurückzulassen.

Kurze, flott zu lesende Kapitel führen durch diese außergewöhnliche Geschichte von Jessica Bradley. Die beiden Ermittler wirken charmant, haben ihre ganz eigene Charakteristik, ebenso wie der aktuelle Fall rund um einen möglichen Serienmörder. Eine bizarre Fallkonstellation steht sympathischen persönlichen Szenen gegenüber, wobei humorvolle und witzige Episoden nicht ausbleiben, ohne aufdringlich zu wirken. Spannende Momente wechseln ab mit interessant dargestellten Alltagsproblemen, sodass stete Kurzweil garantiert wird, die Wendungen und immer wieder auftauchenden neuen Erkenntnisse lassen den Leser gerne durchgehend am Buch bleiben.

Mir haben der flüssige Schreibstil und die sehr spezielle Handlung überaus gut gefallen, sodass ich gerne fünf Sterne vergebe und eine Leseempfehlung ausspreche.

Bewertung vom 12.06.2025
Heerma van Voss, Daan

Heute kein Abschied


sehr gut

Warum?

Oskar J. R. van Bohemen ereilt am Flughafen Schiphol ein Herzinfarkt, der Weg in den Urlaub führt in den Tod. Nun sollen seine drei erwachsenen Kinder und seine Ex-Frau Abschied nehmen, aber irgendwie fehlen ihnen die Worte.

Tessel, Moor und Cat planen gemeinsam mit ihrer Mutter Elise die Beerdigung und merken schnell, wie fremd ihnen Oskar auch nach seinem Tod noch ist. Was soll man in die Traueranzeige schreiben, in wessen Wohnung den Verstorbenen aufbahren, warum ist er zu dem geworden, der er war, was ist in seinem Leben wirklich passiert? Erst nach und nach begreifen die Töchter, der Sohn, dass die Rollen im Leben weitergegeben werden, man nachrückt an des Älteren Stelle und dessen Sein einen größeren Einfluss auf einen selbst hat als bislang gedacht. Oskar hat fotografiert und Kisten an Bildern gesammelt. Und diese Bilder sind es nun, die Stück für Stück sein Leben zusammensetzen und auf eine neue Art und Weise wiedergeben. Gemeinsam mit anderen Erbstücken kann jetzt endlich begriffen werden, was zuvor wie Qual und Leid gewirkt hat.

In einem kunterbunten Querschnitt aus Oskars Leben, verbunden durch das aktuelle Geschehen nach seinem plötzlichen Ableben, erfahren die einzelnen Familienmitglieder endlich, was sich von Generation zu Generation fortpflanzt, was Oskars Charakter geprägt, wer ihn schließlich zu „Oskar“ werden hat lassen. Mit seiner ganz eigenen Art zu erzählen, mit überaus authentischen Figuren, die mitunter fremdartige Ausdrücke aus dem Englischen verwenden (vor allem Moor) und dem kurzweiligen Hin und Her zwischen Jetzt und längst vergangenen Zeiten bringt Autor Daan Heerma van Voss Licht ins Dunkel. „Alles Gute, fremder, fremder Mann, den ich Papa nenne.“ [kindle, Pos. 4937] spricht Moor und kann hoffentlich irgendwann verstehen, wer dieser Fremde denn wirklich war. Begleitet wird der Abschied immer wieder von Leonard Cohens Liedern, die wunderbaren Melodien zu „Hallelujah“ und „There ain’t no cure for love“ werden noch länger in mir nachklingen.

Ein berührender Roman, obwohl die einzelnen Personen eher hinter einem Schleier von Fremdheit und Distanz verborgen bleiben.

Bewertung vom 10.06.2025
Römer, Lotte

Das verstoßene Mädchen


ausgezeichnet

Gletschermilch

In einer angesehenen Kaufmannsfamilie wächst Fannerl Nader mit ihren beiden jüngeren Schwestern zur jungen Frau heran. Wie es sich im Jahre 1881 so gehört, knüpft sie unter der gestrengen Aufsicht der Eltern zarte Kontakte zu Johann, dem Sohn eines eleganten Innsbrucker Herrenausstatters. Bevor aber noch Verlobung gefeiert werden kann, verunglückt Fannerls Vater tödlich und hinterlässt einen Schuldenberg. So sieht sich die Mutter gezwungen, rasch wieder zu heiraten, wobei die Vermählung an eine Bedingung geknüpft ist: Fannerl muss aus dem Haus, denn das Mädchen hat porzellanweiße Haut und auffällig helles Haar, was dem abergläubigen Bräutigam Unglück bringen könnte.

Malerische Szenen rund um den Besuch des Kaisers in Innsbruck, das aufgeregte Tun der wohlhabenden Bevölkerung, die Liebe innerhalb der Familie Nader und die zart beginnende Zuneigung zwischen Fannerl und Johann – schöner könnte dieser bewegende Roman kaum beginnen. Mit vielen außergewöhnlichen Details fesselt Lotte Römer ihre Leser und führt alsbald die böse Wende im vermeintlichen Glück herbei: der künftige Stiefvater will nichts mit Fannerl zu tun haben, die Mutter schickt ihr Kind kurzerhand ins Sellraintal zu den Wäscherinnen, es ist bestimmt das Beste so für alle. Auf einen Schlag steht das Leben des jungen Mädchens auf dem Kopf, statt von Bediensteten verwöhnt zu werden, muss sie nun selbst im eiskalten Wasser, im Sellraintal Gletschermilch genannt, Wäsche für andere waschen, unter einem undichten Dach wohnen und mit einfacher Nahrung vorlieb nehmen.

Bestens recherchierte Wäscherinnenarbeit inmitten des wunderschönen Sellrain neben Figuren, die trotz ihrer harten Schale einen umso weicheren Kern haben beeindrucken in diesem lesenswerten Roman, in dem auch allerlei Gefühle nicht zu kurz kommen. Von mir gibt es jedenfalls eine Empfehlung für Teil 1 der „Töchter aus Innsbruck“.

Bewertung vom 10.06.2025
Sünderhauf, Tim

Die Wölfe unter uns (eBook, ePUB)


sehr gut

Der Hüne

Richtung Klöpper Mühl im Fichtelgebirge ist Johann mit seinen Eltern und seiner älteren Schwester Anna unterwegs. Dort will die vertriebene Müllerfamilie im Jahre 1630 neu beginnen. Aber der Ort ist sonderbar, es gibt hier – außer einem Säugling – keine Kinder.

Mystisch und voll düsterer Atmosphäre beschreibt Tim Sonderhauf in seinem Roman die Stimmung, die dichten Wälder, das unwegsame Gebirge. Auch Johann und seine Familie bekommen rasch ein Gesicht. Kurz nach seiner Ankunft begegnet der Bub im Dorf einem wahrhaften Hünen, dessen Aufgabe als Wildhüter es ist, die Ursache für das Verschwinden der Kinder zu ergründen und die immer näher kommenden Wölfe fernzuhalten. Mit einem scharfen Blick fürs Detail wird die Zeit um 1630 zum Leben erweckt, werden die sonderbaren Vorgänge im Ort ergründet. Ist es ein Wolfsrudel, sind es die Zigeuner, oder gar Wiedergänger, die hier ihr Unwesen treiben? Bald verbindet Johann und den Wildhüter Hildner ein unsichtbares Band von Vertrauen, von Gemeinsamkeit, das sie zusammen durch die Gegend streifen lässt. Was werden sie herausfinden? Gibt es überhaupt eine logische Erklärung?

Eher ruhig vom Schreibstil her, aber deshalb nicht minder spannend, begeben wir uns auf eine Zeitreise in ein Land von Söldnern im Krieg, von Gegnern im Namen der Religion. Wer sich nicht darauf versteht, die Zeichen der Natur zu deuten und im Wald zurecht zu kommen, hat es schwer. Und schließlich hält der Autor noch eine verblüffende Wende bereit, die dem Ganzen einen stimmigen Abschluss verleiht. Ungewöhnliche Lesestunden gehen mit dieser Historie jedenfalls einher.