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leseeule
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Eisenhüttenstadt

Bewertungen

Insgesamt 33 Bewertungen
Bewertung vom 02.04.2024
Das Mörderarchiv Bd.1
Perrin, Kristen

Das Mörderarchiv Bd.1


gut

Starke Motive mit schwächelnden Charakteren
Wer sucht schon seinen eigenen zukünftigen Mörder? Na klar, eine verrückte alte englische Dame, die dazu auch noch sehr reich ist. Frances Gravesdown wurde in ihrer Jugend geweissagt, dass eines Tages ermordet werden wird. Dies führte unteranderem dazu, dass sie ihr ganzes Leben damit verbrachte ihren zukünftigen Mörder finden zu wollen. Ihr Leben lang sammelte sie mögliche Tatverdächtige und Motive. Annie hat ihre skurrile Großtante Frances noch nie persönlich kennengelernt. Umso verwunderlicher, dass ausgerechnet Annie in Frances Testament mit aufgenommen werden sollte. Am Tag des ersten Treffens scheint sich die Weissagung zu erfüllen und Frances wird ermordet. Mit ihrem letzten Willen verfügte sie, dass unteranderem Annie den Fall lösen muss, um an das Erbe zu gelangen. Annie scheint im Nachteil zu sein, da ihr im Vergleich zu ihren Mitstreitern, das nötige Hintergrundwissen fehlt. Meist gibt es 4 klassische Tatmotive für einen Mord. Habgier, Rache, Leidenschaft oder Rache. In diesem Fall mangelt es außerdem nicht an Verdächtigen, da wirklich jeder in ihrem Umfeld einen mehr oder weniger guten Grund hatte, Frances nach dem Leben zu trachten. Annie steht ein kniffliges Unterfangen bevor, bei dem es die Ereignisse aus Vergangenheit und Zukunft miteinander in Verbindung zu setzten, gilt. Denn, wenn sie den Mörder ihrer Tante Frances finden will, muss sie nicht nur die Weissagung entschlüsseln, sondern auch ein Jahrzehnte zurückliegendes Verbrechen aufklären. Durch Frances Mörderarchiv hat sie zwar alle möglichen Puzzelteile, doch diese richtig zu kombinieren, erweist sich als äußerst kompliziert. War es doch selbst Frances nicht möglich 60 Jahre lang des Rätsels Lösung zu finden.
Die Grundidee hat mich von Anfang an begeistert und erinnerte mich inhaltlich an die alten Agatha Christie Filme mit ihrem morbiden englischen Charme. Die Geschichte brauchte eine Weile, um in Fahrt zu kommen und überraschte dann mit einigen Wendungen, die ich so nicht habe kommen sehen. Die Umgebung wurde sehr ausführlich und bildhaft beschrieben, sodass ich mir alles vorstellen konnte. Die Motive jedes einzelnen waren für mich schlüssig, nachvollziehbar und gut kombiniert. Die Brotkrumen waren erstaunlich gut gestreut. Mit dem tatsächlichen Täter habe ich so nicht gerechnet, da die Hinweise mich auf eine falsche Fährte führten. Mit den Charakteren hatte ich dagegen so meine Schwierigkeiten. Typisch für die Art Story ist, die große Anzahl an handelnden Personen. Und ja, quasi das ganze Dorf scheint involviert zu sein. Genau aus diesem Grund musste ich immer wieder innehalten, um im Kopf die entsprechenden Beziehungen noch ein Mal nachzuvollziehen. Außerdem fehlte es mir Tiefe bei den Charakteren, deren Dialoge etwas flach waren. Viele wirkten teils blass und langweilig. Eine Person war sogar so nichtssagend, sodass ich beim besten Willen nicht mehr wusste in welcher Beziehung sie zum Gesamten stand. Auch mit der Hauptperson Annie wurde ich nicht ganz warm. Sie wirkte auf mich noch sehr unreif und naiv. Frances war mir von allen am sympathischsten, auch wenn ich nicht ganz verstand, warum sie so an ihrer toxischen Freundin Emily hing. Ohne das Tagebuch von Frances wäre Annie wahrscheinlich nie auf den wahren Täter gekommen. Sprachlich gefielen mir die Tagebucheinträge besser, als die Darstellung der Gegenwart. Die Charaktere hatten dort mehr Tiefe und es herrschte eine ganz eigene düstere Dynamik und Stimmung.
Trotz einiger Kritikpunkte habe ich mich gut unterhalten gefühlt, da nichts wirklich vorhersehbar war.
Ein Cozy-Crime Roman für alle die Aghatha Christie und Cluedo mögen und auch mit schwächelden Charakteren leben können.

Bewertung vom 24.02.2024
The Fort
Korman, Gordon

The Fort


sehr gut

Der Sommer ihres Lebens
Evan, Jason, Mitchell und C.J. kennen sich schon ihr ganzes Leben und sind unzertrennlich. Ricky ist eher zufällig mit dabei, als sie alle gemeinsam im Wald zufällig einen Bunker entdecken. Bestens ausgestattet bietet er weit mehr als einen geheimen Treffpunkt. Es soll ihr Geheimnis bleiben. Dies beinhaltet leider auch Ricky, den niemand wirklich dabei haben will aber aufgrund des gemeinsamen Geheimnisses ein Teil dieser Gemeinschaft wird. Es hätte ein Sommer voll grenzenloser Freiheit und Abenteuer werden können. Doch jeder von ihnen schleppt sein eigenes Päckchen mit sich herum, die einige Ereignisse in Gang setzten. Die Jungs müssen sich mit vielschichtigen Themen wie Scheidung, häusliche Gewalt, Zwangsstörungen und Außenseitertum auseinandersetzten.
Die Bewertung dieser Geschichte fällt mir dieses Mal schwerer als sonst. Dies ist einfach dem geschuldet, dass ich mich altersmäßig nicht mehr ganz zur Zielgruppe zähle. Damit möchte ich keinesfalls etwas Negatives ausdrücken oder der Zielgruppe etwas Absprechen. Deshalb wird mein persönliches Empfinden dieses Mal nicht so sehr in die Gesamtbewertung einfließen wie sonst. Begründen möchte ich dies damit, dass der Autor ja nichts dafür kann, dass ich mich in der Altersgruppe völlig vergriffen habe. Ich wusste zwar, dass es sich um einen Jugendroman handelte, aber mir war nicht ganz bewusst, dass die Charaktere dann doch so jung sind. Dies war einfach mein Fehler. Für Kinder ab 11 Jahren ist dieser Roman genau richtig so wie er ist. Die Story an sich war spannend, mit einem gewissen Nervenkitzel und einem guten Spannungsbogen. Die dargestellten Problematiken empfand ich als äußerst wichtig und altersgerecht beschrieben. Die Handlungen und Gedankengänge der Charaktere waren in meinen Augen sehr authentisch und nachvollziehbar. Der Schreibstil ist sehr einfach gehalten und liest sich demnach sehr flüssig. Hervorheben möchte ich, dass jedes Kapitel aus der Sicht eines anderen Charakters erzählt wurde und man dadurch viel mehr in die Gedankenwelt aller Charaktere eintauchen konnte.
Für mich wäre dieser Roman ideal als Schullektüre. Ein Coming-of-Age Roman, der zeigt wie wichtig Freundschaft ist und das Zuhause kein Ort, sondern ein Gefühl ist.

Bewertung vom 24.02.2024
Demon Copperhead
Kingsolver, Barbara

Demon Copperhead


ausgezeichnet

Stimme einer verlorenen Generation
Es scheint, als haben einige Menschen von Beginn an ihres Lebens, ein schwereres Los als andere.
Einer dieser Menschen ist ein Junge namens Damon Fields, von allen nur Demon Copperhead genannt.
Damon selbst tritt hier als Ich-Erzähler auf und erzählt uns ungeschönt seine Lebensgeschichte. Er scheint bereits am Ende der Geschichte zu stehen und versucht den Auslöser für das Fallen nachzuvollziehen. Dabei bemerkt er, dass es nicht nur ein konkretes Ereignis war, sondern die Summe seines Lebens. Schon seine Geburt war ein reiner Kampf, der sich durch sein ganzes Leben ziehen sollte. Dabei war aber nicht alles immer nur schlecht. Auch wenn die ersten Jahre seiner Kindheit entbehrungsreich zu sein schienen, so waren sie doch relativ glücklich. Seine Mutter war zwar nicht immer in der Lage sich vollumfänglich um ihn zu kümmern, doch schufen die Freiheit der Umgebung und die Fürsorge der Nachbarsfamilie einen guten Ausgleich.
Durch eine Reihe unglücklicher Umstände gerät Damon ins Pflegesystem und lernt nicht unbedingt dessen positive Seite kennen. Durch die Erfahrungen in dieser Zeit entwickelte sich ein unglaublicher Hunger in ihm. Dabei rede ich nicht nur vom körperlichen Empfinden. Seine Seele hungert förmlich nach Sicherheit, Anerkennung und Zugehörigkeit. Dies führte zu einer Vielzahl von ungünstigen Entscheidungen und Co-Abhängigkeiten. Zwischenzeitlich scheint sich das Blatt für Damon zum Guten zu wenden, doch wer hochsteigt, kann auch tief fallen. Und in seinem Fall ist es die Medikamentenabhängigkeit. Wieder aufzustehen fällt schwerer, als wieder liegenzubleiben.
Durch Damon als Erzähler ist der Sprachstil sehr flüssig zu lesen und durch die Umgangssprache sehr authentisch. Damons Gedankengänge und Ausdrucksweise gingen mir sehr nahe, da sie schonungslos ehrlich und direkt war. Und trotz all der Tragik gibt es dennoch einiges zum Schmunzeln.
Der Name Demon Copperhead hat in meinen Augen einen sehr symbolischen Charakter. Zum einen erinnert er natürlich an die Romanvorlage David Copperfield. Demon deutet an, dass sein Schicksal ihm schon vorherbestimmt zu sein scheint. Und Copperhead scheint sich nicht nur auf seine markante Haarfarbe zu beziehen, sondern auch auf die gefährlichen Giftschlangen der Region. Von der er nie eine zu Gesicht bekommen hat. Man hört immer nur von den Verlierern des Systems aber man sieht sie meist nie oder erst, wenn es zu spät ist. Neben dem Hunger hat auch das Meer eine ganz große Bedeutung für Damon. Trotz vieler Versuche hatte er nie die Möglichkeit es hautnah zu erleben. Für mich drückt diese Suche seine Sehnsucht nach Freiheit aus und seine Sorgen einfach fortzuspülen.
Ich glaube, dass Damons Leben ganz anders ausgegangen wäre, wenn nicht derart viele Resilienzfaktoren vorhanden gewesen wären. Er hat die Fähigkeit in seinen Zeichnungen Dinge zu verarbeiten und eine Handvoll Menschen, die immer an seiner Seite waren.
Barbara Kingsolver hat mit Demon Copperhead aber nicht nur einen Roman geschaffen, der von einer verkorksten Kindheit erzählt. Es geht nicht nur um Damon allein, sondern auch um die Menschen um ihn herum und gar eine ganze Region im vergessenen Herzen Amerikas.
Eine ganze Generation und die nachfolgende wurden, egal ob wissentlich oder unwissentlich, kaputtgemacht und im Stich gelassen. Das besondere Lebensgefühl der Menschen Appalachiens wird hier auf ganz besondere Weise zum Ausdruck gebracht. Sie mögen zwar nicht so fortschrittlich sein, wodurch lange auf sie herab geblickt wurde, doch ist ihr Gemeinschaftssinn ihr größtes Gut. Nicht umsonst käme dort niemand auf die Idee sein Haus oder Auto abzuschließen. Umso schlimmer ist es, wie diese Menschen behandelt wurden. Neben Ausbeutung und Perspektivlosigkeit, herrscht ein Mangel Schulbildung und das desaströse Gesundheitswesen ebnete der Profitgier der Pharmaindustrie den Weg, um eine wahre Opioidepidemie auszulösen. Eine Kettenreaktion, für die sich niemand mehr verantwortlich fühlt, obwohl sie dafür sorgte, dass 15-35% der Kinder nicht bei ihren Eltern aufwachsen konnten und vergessen wurden.
Das relativ offene Ende lässt den Leser selbst entscheiden, welche Abfahrt Demons Leben letztendlich nehmen könnte.
Dass Barbara Kingsolver selbst aus Appalachien stammt, macht diese ganze Geschichte für mich noch authentischer. Für mich ist dieser Roman eine längst überfällige Aufarbeitung der Geschehnisse in Appalachien und er gibt den Menschen eine Stimme, die lange überhört wurden.

Bewertung vom 04.02.2024
Heinz Labensky - und seine Sicht auf die Dinge
Tsokos, Anja;Tsokos, Michael

Heinz Labensky - und seine Sicht auf die Dinge


sehr gut

Zeitreise mit einer besonderen Sicht auf die Dinge

Häufig trifft man auf Reisen Menschen, mit denen man auch ins Gespräch kommt. Und bei einer dieser Begegnungen trefft ihr auf einen Mann, der euch so abenteuerliche Geschichten aus seinem Leben und einer längst vergangenen Zeit berichtet. Sie kommen euch so abstrus vor, wie ein Wolkenkuckucksheim.
Dieser Mensch ist Heinz Labensky. Aufgewachsen in einem kleinen Dorf in Brandenburg, erlebte er die Nachkriegszeit, sowie die Ära der DDR. Mittlerweile ist Heinz ein 79-jähriger Feierabendheimbewohner, der nie den Osten Deutschlands geografisch wie gedanklich verlassen hat und es bestimmt auch nie getan hätte. Eines Tages erreicht ihn aber ein Brief, der ihn dazu veranlasst, die Geschehnisse von damals zu betrachten. Auf seine ganz eigene Weise beleuchtet Heinz dabei die Geschichte der DDR und zeigt uns und seinen Mitreisenden seine Sicht auf die Dinge.
Heinzi, der bei der Hirnvergabe nicht schnell genug war, hatte kein leichtes Leben. Als förderungsunfähig nahm ihn niemand wirklich ernst. Doch aufgrund seiner Denkweise und seiner besten Freundin Rita machte ihm dies nie viel aus. Sein Beschützerinstinkt Rita gegenüber, trieb ihn sein ganzes Leben an, auch wenn er sie immer wieder aus den Augen verlor.
Heinzi war mir von Beginn an sehr sympathisch. Seine herzerwärmende Fürsorge und Loyalität, in Verbindung mit seiner kindlich naiven Denkweise, machten ihn zu einem ganz besonderen Charakter, dem ich gern persönlich zuhören würde. Aufgrund seiner einfacheren Intelligenz wird Heinzi oft nicht ernst genommen und ausgenutzt. Oft hat er die richtigen Gedankengänge, die dann aber, wie in einem Kreisverkehr, die falsche Ausfahrt nahmen. Er versteht nicht immer alles oder aber falsch. Seine Allgemeinbildung stammt quasi aus einer Frauenzeitschrift. Doch weiß er, was Recht und Unrecht ist, wodurch viele unerwartete und irrwitzige Dinge passierten. Heinz zeigt uns die Geschichte der DDR, durch seine Augen, bei der er unbewusst und in zahlreiche historische Ereignisse involviert zu sein scheint, ohne dass er wirklich etwas davon mitbekam. Auch
Auf der Suche nach seiner besten Freundin, der er sich geschworen hatte auf ewig zu beschützen. Doch Rita war ein Mensch, der es ihm nicht leicht machte, dieses Versprechen zu halten. Ich konnte nicht verstehen, wie sie den einzigen Menschen, der sich so um sie sorgte, derart behandeln konnte.
Ich persönlich habe mit dem Ausgang der Geschichte nicht gerechnet. Es gab der Geschichte einen völlig neuen Blickwinkel und hat mich tief berührt. Leider wirkten auf mich einige Dinge unlogisch, abstrus und wirkten zu konstruiert. Ein ums andere Mal wusste er selbst nicht mehr, was der Realität entsprach oder doch seinem Wolkenkuckucksheim entsprang. Beispielsweise ist Heinzi Analphabet und kann dennoch komplizierte Wörter einer Geheimakte entziffern und teilweise begreifen.
Der Aufbau der Geschichte hat mich während des Lesens sehr überrascht. Ich wusste zwar, dass es viel um die DDR gehen würde, doch ahnte ich nicht, dass dieser geschichtsträchtige Teil Deutschlands derart viel Raum einnehmen würde. Auf der einen Seite war es wirklich interessant diese Historie nachzuerleben. Aber manchmal war es einfach nur anstrengend. Des Öfteren benötigte Ich eine Pause, um das Gelesene sacken zu lassen. Manches Mal waren es, in meinen Augen, lange Aufzählungen starrer Fakten, die eher an ein Geschichtsbuch aus der 9. Klasse erinnerten. Als wäre dieses Buch eine Zeitleiste und Heinzi wäre der rote Faden darin. Auch wenn ich ein Ostkind bin, so bin ich doch zu jung, um zu sagen, wie viel Korrektheit in der geschichtlichen Abfolge steckt. Mir kam sogar der Gedanke das Buch abzubrechen. Der Schreibstil war an einigen Stellen, aufgrund vieler Geschichtsfakten, recht trocken. Doch wenn Heinzi uns seine Sichtweise dazu zeigte, war es teilweise unfreiwillig komisch und versprühte eine gewisse Ostalgie. Viele Redewendungen und Bezeichnungen weckten in mir Erinnerungen und ich frage mich, warum man nicht mehr von Fisimatenten oder Erdmöbel spricht.
Trotz Heinzis besonderer Sicht auf die Geschehnisse der DDR Geschichte, wird dennoch nichts verklärt oder beschönigt. Es wurden auch viele negative Aspekte beleuchtet und dargestellt.
Für mich persönlich hatten die Mitreisenden keinen besonderen Mehrwert. Sie waren eher ein nettes Beiwerk, die Heinzi zuhörten und ab und an die richtigen Fragen stellten. Wäre ich an ihrer Stelle gewesen, so hätte ich es glaube nicht geschafft, diese Unterhaltung abzubrechen, ohne das Ende der Geschichte gehört zu haben.
Auch wenn ich mich öfters zwischen all den starren Fakten verloren fühlte, bin ich froh Heinzi auf seiner Reise durch die Vergangenheit in die Gegenwart begleitet und seine Sicht der Dinge erlebt zu haben.

Bewertung vom 14.01.2024
Der Spurenfinder Bd.1
Kling, Marc-Uwe;Kling, Johanna;Kling, Luise

Der Spurenfinder Bd.1


ausgezeichnet

Sherlock Holmes mit einem Hauch Magie

„Wer sicher gehen möchte, dass in seinem Leben garantiert nichts Aufregendes mehr passiert, dem empfehle ich nach Friedhofen zu ziehen.“ So steht es in „Wanderungen durch das Königreich Dreibrücken“ von Deidra Harfner. Ich denke, dass jeder von uns mehr oder weniger solch ein Kaff kennt. Dabei stellt sich unweigerlich die Frage, weshalb es jemanden an solch einen Ort ziehen sollte. Die Antwort scheint ganz simpel. Menschen, denen zu viel passiert ist. Aber egal, wo man hinreist, man hat sich immer selbst im Gepäck.
Aus diesem Grund zieht es auch Elos von Bergen, bekannt als der beste Spurenfinder in den umliegenden Provinzen, in dieses stille Örtchen. Nach einem missglückten Mordanschlag auf ihn und seine Familie, hängt er seinen Beruf an den Nagel und setzt sich, mit seinen Kindern in Friedhofen zur Ruhe. Doch dann geschieht das Unfassbare und es findet ausgerechnet im langweiligsten Dorf Dreibrückens ein Verbrechen statt. Während Elos sich dem Spurenfinden widmet, sind seine Zwillingskinder, Ada und Naru, Feuer und Flamme ihren Vater bei der Lösung des Falles zu helfen. Ob dieser das nun will oder nicht. Denn, wenn man bedenkt, wer ihr Vater ist, ist es nicht verwunderlich, dass beide den Wunsch hegen in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten. Ada und Naru sind zwei unglaubliche Wildfänge. Obgleich sie Zwillinge sind, könnten beide nicht unterschiedlicher sein. Ada ist ruhiger und besitzt einen cleveren Verstand, dagegen ist Naru etwas tollpatschig und manchmal schwer von Begriff. Und wie Geschwister nun einmal sind, necken sie sich mit Vorliebe, wodurch viele komische Momente entstehen. Es war eine wahre Freude den Dreien bei Suche nach dem Täter über die Schulter zu schauen. Elos geht relativ ruhig und gelassen an die Sache. Er hat ein gutes Gespür für Details und kann auch komplizierte Gegebenheiten kombinieren, wodurch er meist den Spuren nur zu folgen braucht. Ada und Naru dagegen sind natürlich impulsiver. Auch, wenn es dadurch öfter brenzlig wird, ergänzen die Drei sich wirklich gut. Es gab einige Sackgassen, die mich verzweifeln ließen und Wendungen, die mich sehr überraschten. Ein paar Details konnte ich gut erahnen aber auf die Auflösung des Falles wäre ich im Leben nicht gekommen. Bis zum Ende bleibt es spannend. Die größte Wendung gab es für mich im Epilog, der mich hoffen lässt noch mehr Abenteuer vom Spurenfinder und seinen Kindern zu lesen.
Die Welt, in die ich eintauchen durfte, empfand ich als sehr gut aufgebaut und beschrieben. Es hatte für mich eine mittelalterliche Atmosphäre, verwoben mit einem Hauch Magie und Mystik. Auch ein kleiner Gruselfaktor und spannungsvolle Momente wurden mit eingebaut. Der Schreibstil passte sich, in Satzbau und Wortwahl, dieser altertümlichen Umgebung bestens an und wurde untermalt mit viel Wortwitz und Ironie. Besonders lebhaft wurde es durch die vielen Skizzen, die es im Buch zu entdecken gab und den Eindruck verstärkten einen Märchenkrimi in den Händen zu halten.
Zusätzlich zum Buch habe ich mir die Hörbuchfassung angehört. Diese wurde vom Autor höchstpersönlich eingelesen. Ich muss zugeben, dass Marc-Uwe Kling hier ganz besondere Arbeit geleistet hat. Seine Darbietung unterstrich die Charakterzüge der handelnden Personen wirklich sehr gut und sorgte für noch mehr Spannung.
Marc-Uwe Kling hat mit seinen Töchtern, einen für mich sehr überzeugenden All-Age Märchenkrimi geschaffen, von dem ich gerne mehr lesen möchte.

Bewertung vom 20.11.2023
Kein guter Mann
Izquierdo, Andreas

Kein guter Mann


ausgezeichnet

Was macht (k)einen guten Menschen aus?
Dieses Buch ist wie der Hauptprotagonist selbst. Auf den ersten Blick hat man ein klares Bild davon, was einen erwartet. Doch je mehr man sich auf beides einlässt, umso deutlicher wird, wie sehr man sich vom ersten Eindruck täuschen lässt.
Walter ist Postbote mit Leib und Seele. Mit seiner Überkorrektheit und Regelkonformität, die er akribisch auch von anderen einfordert, eckt er natürlich im Privaten sowie Beruflichen ziemlich an. Er ist geschieden, das Verhältnis zu seinen Kindern mehr als angespannt. Seine Chefin möchte ihn einfach nur in den Vorruhestand schicken. Als letzten Ausweg bleibt ihm nur die Versetzung in die Christkindfiliale. Für einen beinahe misanthropen Menschen wie Walter, scheint dies die Höchststrafe zu sein. Doch als ihn der Brief vom kleinen Ben erreicht, verändert dies das Leben beider. Beginnt hier ein Weihnachtswunder? Es scheint alles nach dem altbekannten Schema abzulaufen. Ein griesgrämiger alter Mann, wird durch den Einfluss eines Kindes an Weihnachten mit der Welt versöhnt und für beide wird am Ende alles gut. Doch lasst euch nicht täuschen. Dies ist bei Weitem kein Weihnachtswohlfühlroman, wie man ihn sonst kennt. Es kommen viele ernste Themen zu Sprache, die mir auch im Nachhinein noch sehr unter die Haut gingen.
Trotz seiner zynischen Art, war mir Walter von Anfang an sehr sympathisch oder vielleicht gerade auch deswegen. Ich ertappte mich sogar zu Beginn dabei, dass ich mir wünschte, er wäre noch etwas bissiger in seinen Äußerungen. Dennoch ist Walter schon sehr direkt und sagt frei heraus, was er denkt, ohne darauf zu achten, ob er die Gefühle anderer damit verletzten könnte. Eigentlich ist es ihm schlichtweg egal was andere von ihm denken. Trotzdem spürt man bei Walter, besonders in Bezug auf seine Familie eine tiefe Verbitterung. Man könnte meinen, dass er es durch die Art wie er seine Mitmenschen behandelt verdient hätte allein zu sein. Doch wird niemand so geboren. Zum größten Teil formt erst das Leben selbst einen Menschen. So ist es auch bei Walter. Die Rückblicke seines Lebens nehmen einen Großteil der Geschichte ein. Auch wenn einige Passagen belanglos erscheinen, so ist doch jedes Puzzleteil wichtig, um am Ende das große Ganze erkennen zu können. Man lernt Walter als jungen Burschen kennen, der freundlich, beliebt und voller Träume war. Er war zeit seines Lebens stets ein loyaler Mensch, der die Bedürfnisse und Wünsche anderer stets über die seine gestellt hat.
Und in den Augen anderer war er immer ein guter Mann. Doch was macht einen zu einem guten Menschen? Ist es unser Wesen, unser Leben an sich oder ist es die Gesellschaft, die uns diesen Titel verleiht? An Walter merkt man nur zu deutlich, wie schnell man vor anderen in Ungnade fallen kann. Gerade gefährliches Halbwissen und verletzte Gefühle tragen meist dazu bei. Diese Stigmatisierung kann das ganze weitere Leben prägen. Es machte mich betroffen und wütend, womit sich Walter alles konfrontiert sah. Und je mehr ich in seine Vergangenheit eintauchte, desto bedeutsamer wurde mir sein Lieblingssatz „Nicht meine Schuld“, der sich wie ein Mantra durch sein gegenwärtiges Leben zog. Der kleine Ben war ein sehr faszinierender Charakter. Trotz der Last auf seinen Schultern war Ben so unfassbar freundlich und hoffnungsvoll. Ich bewundere ihn für seine innere Stärke und Verantwortungsbewusstsein. Sein Schicksal ging mir sehr nah.
Die Konversationen zwischen Walter und Ben waren trotz der Schwere sehr unterhaltsam. Diese auch optisch in Briefform darzustellen mochte ich sehr. Mir gefiel es außerdem, dass Walter zwischendurch Gewissensbisse hatte, sich als Gott in Bens Leben einzumischen. Denn, wie er einige Male feststellen musste, ist gut gemeint nicht immer auch gut gemacht. Ich bin sehr froh, dass die Beiden sich gefunden haben. Man könnte es glatt Schicksal nennen. Aber macht es nicht auch ein wenig traurig, dass man durch eine fremde Person manchmal mehr Halt findet, als durch einen Nahestehenden?
Der Schreibstil war sehr angenehm und flüssig. Humor und Tragik waren gut herausgearbeitet. Ich habe die Personen und deren Gefühle förmlich spüren können. Der unaufgeregte Erzählstil machte die Schwere der angesprochenen Themen sehr dramatisch. Die psychologischen Aspekte gaben die besondere Spannung. Dennoch hatte die Geschichte ein paar Längen.
Besonders das Ende hat mich schwer getroffen und ich weiß bis heute nicht, wie ich damit umgehen soll. Es traf mich völlig unvorbereitet und ließ mich ein wenig zerbrochen zurück. Wie ich anfangs schon sagte, dies ist kein Weihnachtswohlfühlroman.

Bewertung vom 24.09.2023
Heldenhörnchen und Drachenfreund
Scheffel, Annika

Heldenhörnchen und Drachenfreund


ausgezeichnet

Das kleine Eichhörnchen lebt mit vielen anderen Tieren zusammen auf einer Lichtung. Zum ersten Mal erlebt es den Herbst und versucht es zu verstehen. Die anderen Tiere im Wald sind ihm dabei keine große Hilfe. Erwachsenen ähnlich, nehmen sie die Gedanken des kindlichen Eichhörnchens nicht ernst und sehen mehr über ihn hinweg, als dass sie es wahrnehmen. Ständig wird ihm vorgehalten, was es doch alles nicht weiß. Niemand nimmt sich wirklich Zeit. Durch einen Zufall lernt das kleine Eichhörnchen einen Drachen kennen. Die Waldtiere haben große Angst vor diesem Ungeheuer und beschließen, dass das Eichhörnchen den Drachen fortbringen soll. Es versteht zwar deren Beweggründe nicht, doch um endlich einen Platz in der Gemeinschaft zu erhalten fügt es sich seiner Aufgabe. Während ihrer Reise kommen dem kleinen Eichhörnchen immer wieder Zweifel, ob das was er tut wirklich richtig ist. Als er endlich am Ziel seiner Wünsche angekommen ist, muss es aber feststellen, dass es trotzdem nicht glücklich ist.
Heldenhörnchen und Drachenfreund ist eine sehr poetische Geschichte für Groß und Klein. Die Art und Weise, wie hier Gefühle in kindlicher Logik erklärt werden ist einzigartig. Die Bildhaftigkeit der Sprache ist gewaltig und lädt zum Philosophieren über das wirklich ist ein. Die Geschichte an sich hat mich sehr berührt. Auch wenn das kleine Eichhörnchen nicht immer richtig gehandelt hat, so waren seine Handlungen doch für mich sehr nachvollziehbar. Es war so hin und hergerissen zwischen seinen Gefühlen und Wünschen. Es dachte wirklich, wenn es die Wünsche anderer erfüllt, dass man es dann mehr beachtet. Manchmal ist das was wir uns wünschen, nicht genau das was wir auch wirklichen brauchen. Und am Ende hat es das auch verstanden. Es hat gelernt für sich einzustehen und für andere Verantwortung zu übernehmen. Das kleine Eichhörnchen wusste es eigentlich vorher schon instinktiv aber durch den Druck von außen hat es sich sehr beeinflussen lassen. Die Reise mit dem Drachen hat es innerlich wachsen lassen, da es das erste Wesen war, das es ernst nahm und für wichtig ansah. Es hat viel über sich selbst gelernt. Manchmal ist es wichtiger, wer uns auf einer Reise begleitet, als der Weg oder das Ziel selbst.
Ich habe dieses Buch regelrecht gefühlt. Die Philosophie darin hallt noch lange nach und lässt einen schwer los. Ich empfehle dieses Buch allen, die sich auf das wirklich Wichtige besinnen wollen. Es handelt von Freundschaft, Angst, verschiedenen Arten von Einsamkeit und Mut. Es zeigt, das Zuhause kein Ort, sondern ein Gefühl ist.

Bewertung vom 09.09.2023
Weil da war etwas im Wasser
Kieser, Luca

Weil da war etwas im Wasser


weniger gut

Verworren wie das Spiel der Tentakelarme

Gleich zu Beginn der Geschichte wurde ich in die unendliche Tiefe des Meeres gezogen. Mir bot sich eine unvorstellbare neue Welt, die aufgrund seiner einzigartigen Schreibweise eine psychedelische Umgebung a la Jules Verne in meinem Kopf entstehen ließ. Die Idee, die Geschichte aus der Sicht eines Riesenkalmars zu erzählen empfand ich als sehr innovativ und versprach eine besondere Authentizität. Anfangs noch euphorisiert durch das traumhafte Setting, verlor ich aufgrund der eigenwilligen Erzählweise immer häufiger den Faden. Sobald ich mich wieder einigermaßen in der Geschichte zurecht fand, wurde ich aufgrund zahlreicher Einschübe wieder unterbrochen. Die Dialoge der Tentakelarme machten es mir da besonders schwer. Auch wenn sie Namen hatten, konnte ich sie nicht auseinanderhalten. In Fußnoten drängten sie sich noch mehr in die laufende Geschichte und ich wusste nie, ob es besser wäre diese komplett zu ignorieren oder ihnen zu folgen.
Jeder Tentakel erzählt seine eigene Geschichte, wird von den anderen unterbrochen oder nimmt Bezug auf ein geschichtliches Ereignis. Dazwischen kommen auch menschliche Stimmen zu Wort, die auf spezielle Weise mit dem Riesenkalmar verbunden sind. Auch der Autor selbst schiebt sich selbst in die Erzählung mit. Die einzelnen Erzählstränge sollten eigentlich ein großes Ganzes ergeben, doch konnte ich es nicht ganz finden. In meinen Augen wurde zu viel in diesen Roman gepackt. Auch wenn jedes dieser Themen an sich wichtig ist, so fühlte ich mich doch von der Masse erschlagen. Ich hatte vermehrt das Gefühl ein Sachbuch vor mir zu haben, als einen Roman. Diese vermehrt eingeschoben Sachtexte bezogen sich auf Geschichte, Wirtschaft, Wissenschaft, Umweltproblematik und Nachhaltigkeit. Zu vielem hatte ich einfach keinen Bezug und konnte dementsprechend vieles nicht wirklich verstehen.
Mein Fazit: Dieses Buch hat mich mehr verwirrt als unterhalten. Ich war des Öfteren davor einfach abzubrechen. Die Idee des Autors ist an sich wunderbar. Ich verstand auch, dass alles auf der Welt in Verbindung steht. Dennoch empfand ich es als sehr mühselig mich zwischen Tentakelarmen durch zu schlängeln. Vielleicht war ich einfach nicht die richtige Zielgruppe für diese Art von Roman.

Bewertung vom 30.07.2023
Die Erinnerungsfotografen
Hiiragi, Sanaka

Die Erinnerungsfotografen


sehr gut

Am Ende zählt nur der Moment
Wenn du stirbst, dann zieht dein ganzes Leben an dir vorbei. So oder so ähnlich stellen sich viele ihre letzten Augenblicke im Leben vor. Auch, wenn die Idee dahinter nicht neu ist, hat Sanaka Hiiragi in ihrem Roman diesem Thema eine ganz neue Bedeutung gegeben.
Dreh- und Angelpunkt dieser Geschichte ist ein ganz besonderes Fotoatelier. Es scheint auf den ersten Blick ganz gewöhnlich zu wirken, doch ist es ein mystischer Ort. Hier arbeitet Hirasaki und empfängt seine besonderen Kunden. Diese sind zeitnah verstorben und befinden sich nun in einer Art Zwischenwelt. Um weitergehen zu können, müssen sich seine Kunden aus den Fotografien ihres Lebens, ihre eigene Diashow voller Erinnerungen erstellen. Während dieses Prozesses steht Hirasaki stehts mit Rat und Tat zur Seite. Dabei kann es vorkommen, dass gewisse Fotografien abgegriffen wie Erinnerungen sein können. Hirasaki gibt seinen Kunden die Möglichkeit, zu diesem Tag zurück zu reisen und ihren besonderen Moment erneut aufzunehmen.
In 3 kurzen Episoden erhalten wir einen Einblick in Hirasakis Arbeit und deren Bedeutung dahinter. Ich muss gestehen, dass ich nach dem Besuch der alten Dame ein wenig Sorge hatte, dass es nun langweilig werden könnte beziehungsweise die Handlungen sich zu sehr ähneln würden. Meine Sorgen waren aber unbegründet. Natürlich sind Hirasakis Arbeitsabläufe in gewisser Weise stets gleich, doch macht die Individualität seiner Kunden den Unterschied.
Es kam mir so vor, als würde die Zeit hier wirklich still stehen. Auch wenn das Thema Tod kein fröhliches ist, so fühlte es sich nie schwermütig an. Ich empfand die hier geschaffene Atmosphäre eher heimelig, als würde ich selbst auf eine Tasse zu Besuch sein. Dies lag vor allem an Hirasaki selbst. Er besitzt eine unglaublich ruhige empathische Art. Während er seinen Kunden ihre Erinnerungen wiederherstellt, bleibt sein eigener Hintergrund blass wie eine abgegriffene Fotografie. Sein eigenes Schicksal wird am Ende nur dem Leser in kleinen Details offenbart. Dies machte mich doch traurig, da ich mir wünschte Hirasaki einen Teil seiner Erinnerungen wiedergeben zu können.
Die Idee mit den Fotografien war einfach nur bezaubernd. In unserer heutigen schnelllebigen Welt werden Erinnerungen meist nur noch digital festgehalten und schnell wieder vergessen. Diese aber in den Händen zu halten, macht sie aber wieder viel realer.
Man erfährt nur das Allernötigste über Hirakis Arbeit und dass es anscheinend noch mehr Ateliers dieser Art zu geben scheint. Normalerweise würde es mich stören, nicht mehr über das große Ganze dahinter zu erfahren. Doch hier lag der Fokus auf dem Leben an sich und die Bedeutung des Einzelnen. Daher mochte ich es, dass nicht das gesamte Leben der Verstorbenen beleuchtet wurde und ihr Leben nicht in Schwarz und Weiß unterteilt wurde. Ihr letzter Gedanke sollte eine besondere Bedeutung für sie haben. Es macht mich glücklich zu wissen, dass es die Möglichkeit gibt, mit seinen bedeutenden und vielleicht längst verblassten Erinnerungen von dieser Welt zu gehen. Und dabei zu bemerken, dass das eigene Leben doch nicht sinnlos oder vergeudet war. Es reicht meist eine vermeintlich bedeutungslose Tat, die für andere die Welt bedeuten. Ebenso zeigt diese Geschichte, wie unscheinbare Momente uns unbewusst beeinflussen können.
Es ist erstaunlich wie sehr ein Bild etwas in uns auslösen kann. Man fühlt sich in den Augenblick zurück versetzt, als er entstanden ist. Der Moment von einst ist fast körperlich spürbar mit all seinen Empfindungen, Gerüchen und Geräuschen. Selbst nach Beendigung des Buches ließ mich die Geschichte nicht los. Ich stellte mir selbst die Frage, wie ich entscheiden würde, sollte ich eines Tages in Hirasakis Fotoatelier erwachen. Welche Fotos meines Lebens würde ich für meine letzte Reise auswählen? Vor allem wie würde dieses letzte besondere Foto aussehen, deren Moment ich noch ein Mal rückblickend erleben dürfte?
Was die japanische Literatur ausmacht ist die Tatsache, dass sie sich nicht mit vermeintlich überflüssigen Details aufhält. Sie erzählt auf eine nüchterne Art und dennoch unterschwellig poetisch. Es mag zwar oft unspektakulär wirken, doch berührt mich diese ruhige Direktheit umso mehr. So passierte es, dass mich während des Lesens ein paar Sätze unvorbereitet tief getroffen haben. Für andere mag diese Szene unbedeutend erscheinen, doch mir wird sie noch lange im Gedächtnis bleiben. Am Ende hätte ich mir vielleicht noch mehr Episoden gewünscht, um noch länger in dieser Zwischenwelt zu verweilen.
Ein Buch für alle die das Entschleunigte suchen und sich auf das Wesentliche besinnen wollen.

Bewertung vom 30.07.2023
Genial normal
Sutcliffe, William

Genial normal


sehr gut

Wenn alle besonders sind, dann sind am Ende doch alle gleich
Heutzutage versucht jeder irgendwie besonders zu sein und sich von der Masse abzuheben. Durchschnittlichkeit gilt als verpönt und bedeutet quasi langweilig zu sein. Doch es gibt sie, diese Menschen, die sich damit wohlfühlen und nicht herausstechen müssen. Der 15jährige Sam ist einer von ihnen. Er lebt mit seiner Familie in einer ganz normalen Stadt in England, hat ganz normale Freunde und ist damit mehr als zufrieden. Nur leider ist seine Familie alles andere als normal. Sein älterer Bruder Ethan ist ein begeisterter Musiker und scheint sehr talentiert zu sein. Zusätzlich ist seine kleine Schwester Freya ein kleines Zeichentalent und schreibt dazu Geschichten. Sams Mutter dagegen hat ständig wechselnde Interessen, in denen sie Bestimmung sucht. Sam scheint der einzige talentfreie in der Familie zu sein. Bisher hat ihn dies auch nie gestört, bis sein Vater der Familie eine beträchtliche Geldsumme einbringt und damit Sams bisheriges Leben auf den Kopf gestellt wird. Unerwartet zieht die gesamte Familie in einen noblen Vorort von London. Dies bedeutet natürlich auch, dass Sam seine Freunde verlassen muss und eine neue Schule besuchen muss. Als wäre dies nicht schon schlimm genug, muss es für seine Mutter unbedingt eine Schule für besonders kreativ-begabte Kinder sein. Für einen normalen Jungen wie Sam eine Katastrophe.
Auch, wenn ich eigentlich nicht mehr zur Zielgruppe gehöre, konnte ich mich sehr gut in Sam hineinversetzten. Ich muss gestehen, dass mich Sam wirklich beeindruckt hat. Er ist wirklich ein ganz normaler Teenager, der mit ganz normalen Umständen zu kämpfen hat. Nur dass seine Familie und seine Schule es ihm noch schwerer machen. Der Neue irgendwo zu sein ist schon nicht leicht. Mir selber wäre es glaube auch echt schwer gefallen mich in einer solchen Umgebung einzuleben.
Er hat gelernt nur sich selbst etwas beweisen zu müssen. Denn auch, wenn du etwas besonders gut kannst, macht es dich nicht automatisch zu einem besseren Menschen. Du kannst dich zwar vor anderen verstellen um akzeptiert zu werden aber es macht dich auf Dauer nicht glücklich. Schön war, dass Sam etwas gefunden hatte in dem er gut war aber nicht versuchte sich darüber zu definieren.
Sams Familie gegenüber bin ich doch etwas zwiegspalten. Von außen betrachtet wirkten die Gespräche schon sehr skurril und sehr witzig. Aber je mehr Zeit man in Sams Kopf verbrachte, desto belastender wurde es für mich. Was mich wirklich störte, war die Tatsache, dass sie doch sehr aneinander vorbei leben. Auch wenn der Vater nicht immer präsent ist, so empfinde ich es doch als sehr unglaubwürdig, dass keines der Kinder wusste beziehungsweise daran interessiert war, was ihr Vater beruflich macht. Aber am meisten hat mich die Mutter aufgeregt. Sie scheint sich in einem Selbstfindungsprozess zu befinden, um etwas Besonderes aus sich heraus zu holen. Dabei überträgt sie anscheinend vieles unbewusst auf Sam. Ich meine es ist schon schlimm von seinem sozialen Umfeld das Gefühl zu bekommen ungenügend zu sein. Wenn man dies aber auch noch von seiner eigenen Mutter zu spüren bekommt, sei es auch nur unbewusst, dann macht mich das echt wütend. Mich wundert es wirklich, dass Sam trotz allem so normal geblieben ist. Ich an seiner Stelle wäre längst durchgedreht. Zwar gab es auch einen Moment, in denen seine Geschwister sich für ihn eingesetzt haben. Dennoch hatte ich dabei kein schönes Gefühl, da ihm quasi vorgeworfen wurde, dass seine Probleme (Mobbing) von ihm selbst verschuldet wurden.
Der Schreibstil war sehr faszinierend. Durch die Ich-Perspektive war man direkt an Sams Gefühls- und Gedankenwelt beteiligt. Es wurde alles sehr bildreich geschildert. Für einen 15jährigen hat Sam recht tiefgreifende Gedankengänge. Aber gerade zum Ende hin, wurde es mir doch manchmal zu umgangssprachlich und auch ein bisschen zum fremdschämen. Dennoch gefiel mir der Erzählstil, da er auf der einen Seite sehr humorvoll aber dennoch einen melancholischen Grundton besaß.
Für mich ein sehr inspirierendes Buch über Akzeptanz und die eigene innere Stärke für Jugendliche ab 15 Jahren.