„Meine Mutter hatte ständig etwas an mir auszusetzen, mein Vater war wie immer distanziert, mein Bruder bestenfalls drollig und schlimmstenfalls eine Nervensäge, und meine Großmutter ein Ehrfurcht gebietender Fels in der Brandung, so stark und verwittert wie eh und je. Ich hatte das Gefühl, jeder dieser Menschen liebte mich auf seine Weise. Doch keiner von ihnen schien sich besonders für mich zu interessieren.“
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Himmlischer Frieden ist eine bewegende, poetisch erzählte Geschichte über Freundschaft, Familie, Verlust, Krieg und Reifung. Über Jahre hinweg begleitet man Lai, deren Weg von Kindheit bis Revolution nicht nur von politischen Umbrüchen, sondern auch von innerem Wachstum geprägt ist.
Die Erzählweise ist von Anfang an durchzogen von leiser Unheilsschwere, und doch bleibt Raum für Wärme, besonders in der nuancierten Darstellung familiärer Bindungen und der fein gezeichneten Beziehung zum Buchhändler, der Lais Entwicklung entscheidend mitprägt.
Jede Figur wirkt lebendig, jede Freundschaft glaubwürdig. Der Übergang vom Alltag zur politischen Radikalisierung ist ebenso eindringlich wie authentisch geschildert. Trotz seines Umfangs von über 500 Seiten, die mich normalerweise immer davor abschrecken mich für ein Buch zu entscheiden, liest sich das Buch mit einer Sogwirkung, der ich mich nicht entziehen konnte – ich habe es verschlungen. Für mich eines der besten Bücher des Jahres.
*Intermezzo* erzählt die feinfühlige und vielschichtige Geschichte zweier Brüder, Ivan und Peter, in der Zeit nach dem Tod ihres Vaters. Der 22-jährige Ivan, ein begabter Schachspieler, dessen Karriere durch die Krebserkrankung des Vaters ins Stocken geraten ist, lernt bei einer Schachausstellung die 36-jährige Margaret kennen – eine verheiratete Kunstdirektorin, mit der er vorsichtig eine Beziehung beginnt.
Sein zehn Jahre älterer Bruder Peter arbeitet als Menschenrechtsanwalt und steht selbst an einem Wendepunkt: Er schwankt zwischen einer unkonventionellen Beziehung zu der jungen Studentin Naomi und seiner anhaltenden emotionalen Bindung an Sylvia – seine ehemals große Liebe, die ihn nach einem tragischen Unfall verlassen hat.
Im Kern ist *Intermezzo* eine tief berührende Geschichte über Verlust, Liebe und Vergebung. Sie geht der Frage nach, warum wir oft gerade die Menschen am meisten verletzen, die wir am tiefsten lieben – und wie wir trotz Schmerz und Schuld wieder zueinanderfinden können.
Die Figuren haben sich in die emotionalen Zwischenräume des Erzählers eingenistet – besonders Ivan mit seiner unbeholfenen, aufrichtigen Art, die schnell Sympathie weckt. Peter hingegen ist komplexer, schwieriger zu durchdringen, doch gerade das macht ihn so faszinierend. In den dunkelsten Momenten seines Lebens offenbart er eine verletzliche Menschlichkeit, der man sich kaum entziehen kann.
Rooneys Prosa in Peters Kapiteln ist stilistisch außergewöhnlich: abgebrochene Sätze, ausgelassene Wörter spiegeln seine innere Zerrissenheit und den brüchigen Zustand seiner Psyche wider. Anfangs irritierend, entfalten diese Passagen bald eine eindringliche emotionale Wirkung – gebrochene Sprache für einen gebrochenen Mann.
Die Struktur des Romans ist kunstvoll komponiert. In drei Teilen entfaltet sich die Handlung spannungsvoll und findet im letzten Abschnitt ihren emotionalen Höhepunkt, wenn sich die Handlungsstränge verdichten und überkreuzen. Doch anstelle eines klaren Abschlusses lässt Rooney uns mit einem tiefen Gefühl von Mitgefühl für diese fehlerhaften, zutiefst menschlichen Figuren zurück.
Tan Twan Engs „Das Haus der Türen“ präsentiert sich als eleganter, sprachlich fein gearbeiteter Roman, der viel will – aber für mich letztlich mehr dekorativen als erzählerischen Wert hat.
Eine Geschichte über Ehebruch, gesellschaftliche Zwänge und historische Ereignisse, die jedoch mehr Kulisse als tragender Teil der Handlung sind. Viele historische Bezüge bleiben an der Oberfläche und werden nicht tief genug ausgearbeitet, um wirklich zu fesseln.
Zwar war es spannend, einen Einblick in Malaysias Geschichte zu bekommen – ein Thema, das in der westlichen Literatur selten eine Rolle spielt. Doch gerade diese kulturelle Tiefe wird häufig durch die Verwendung malaysischer Begriffe ohne Übersetzung oder klare Kontextualisierung erschwert. Statt Atmosphäre zu schaffen, entstehen so oft Verständnislücken, die den Lesefluss stören.
Auch die Figuren blieben für mich seltsam blass. Willies Beziehung zu seinem Partner verläuft im Sand, ohne Auflösung. Leslies Geschichte wirkt stellenweise interessanter – ihre Arbeit im chinesischen Zentrum, ihre Verbindung zu Ethel –, doch auch hier fehlt der emotionale Tiefgang. Ihre Erlebnisse fühlen sich wie Randnotizen an, statt Teil eines lebendigen Erzählbogens zu sein.
Hinzu kommt eine verwirrende Erzählstruktur mit häufigem Wechsel zwischen Ich-Perspektive und personaler Erzählweise sowie zwischen verschiedenen Zeitformen. Dieser stilistische Kniff wirkte auf mich eher sperrig als kunstvoll.
Garrett Carr entführt uns in Der Junge aus dem Meer in das raue, mystisch aufgeladene Irland der frühen 1970er Jahre. Die Geschichte beginnt mit einem beinahe märchenhaften Ereignis: Ein kleiner Junge wird an der Küste Donegals angespült – wortwörtlich ein Findelkind, dem das Schicksal einen neuen Anfang schenken will. Der Fischer Ambrose Bonnar, ein Mann von großer körperlicher wie seelischer Präsenz, nimmt das Kind ohne Zögern in seine Familie auf. Gemeinsam mit seiner Frau Christine, seinem Sohn Declan, seiner Schwägerin und dem alternden Großvater wächst Brendan, wie das Kind fortan genannt wird, inmitten der spröden Herzlichkeit des kleinen Fischerdorfes auf.
Der Roman verspricht mit dieser Ausgangslage eine tiefgründige Auseinandersetzung mit Zugehörigkeit, Identität und familiärer Bindung – Themen, die besonders in einem kulturell und historisch vielschichtigen Setting wie dem ländlichen Irland viel Potenzial bergen. Doch trotz dieser verheißungsvollen Anlage gelingt es dem Text nicht durchgehend, das emotionale oder erzählerische Gewicht aufzubauen, das man sich erhofft.
Carrs Sprache bleibt über weite Strecken sehr nüchtern und beinahe sachlich – eine stilistische Entscheidung, die dem Stoff nicht gerecht wird. Gerade in einem Roman, der von geheimnisvoller Herkunft, menschlicher Wärme und dörflicher Dynamik lebt, hätte man sich mehr poetische Tiefe oder sprachliche Eigenwilligkeit gewünscht. Es fehlt das Funkeln, das einem solchen Inhalt Leben einhauchen könnte.
Auch die Figuren – obwohl von ihrer Konstellation her durchaus interessant – bleiben merkwürdig blass. Weder wächst einem Brendan als Kind besonders ans Herz, noch gelingt es dem Roman, Ambrose, Christine oder Declan in ihrer Komplexität wirklich greifbar zu machen. Man folgt den Personen durch ihre Alltage, durch Spannungen und kleine Dramen, ohne je das Gefühl zu haben, sie wirklich zu kennen oder mit ihnen zu fühlen.
Fazit: Letztlich bleibt Der Junge aus dem Meer eine ruhige, solide erzählte Geschichte über Familie, Zusammenhalt und das Fremde im Vertrauten. Doch wer sich von einem solchen Buch mehr emotionale Tiefe, stärkere Charaktere oder stilistische Raffinesse erhofft, wird hier nicht fündig.
„Wir alle wandeln auf dieser Welt herum, unwissend, weshalb irgendwas existiert, wie lange es existieren wird und ob dieses Irgendwas, das unser Alles ist, reiner Willkür oder einem Plan entspringt.“
Von der ersten Seite an fesselt mich Elisas Lebensgeschichte. Ein junges Mädchen verliert von jetzt auf gleich ihr Zuhause und muss alleine in der großen Welt zurechtkommen. Wie lange braucht ein Schmetterling um aus dem Kokon zu schlüpfen? Jeder Schmetterling braucht seine eigene Zeit, so auch Elisa. Doch ihre unermüdliche Art zu lieben hält sie am Leben. Besonders die Liebe zur Dichterin Mascha Kaleko. Und hier muss ich mich bei Sarah Lorenz bedanken. Denn die Werke der Dichterin erweitern wirklich meinen Horizont. Und dass auf der Liebe des Lesens so ein brillantes Buch herausgekommen ist - Chapeau!
Insbesondere die Blickweise auf Freund*innenschaften hat mich wahnsinnig berührt.
Ich hoffe sehr, dass es nicht bei einem Roman bleibt!
„Aber jeder, der sich an sie erinnerte, sah eine Frau mit weißen Haaren und Lachfältchen um die Augen, in ihrer Lieblingskittelschürze mit den Kornblumen über dem Dunkelblau, die immer fadenscheiniger wurde. Und es blieb die olfaktorische Erinnerung an den Geruch zwischen Achselhöhle und Ärmelsaum des Kittels. Weiblich. Würzig.“
Hanna wächst als vierte und jüngste Schwester in Magdeburg auf. Sie wird von ihren Halbschwestern als Arbeitskraft hin und hergereicht, bis sie ihren eigenen Blumenladen eröffnet. Damit beginnt für Hanna der glücklichste Abschnitt ihres Lebens. Doch wer braucht Blumen im Krieg?
Trotz eines invaliden Mannes gelingt es Hanna die ganze Familie zu ernähren und zum Teil ihr Monatsgehalt aufzugeben, um kein weiteres Kind zu gebären.
Hanna ist stark, mutig, diszipliniert, fürsorglich. Sie stellt ihre eigenen Bedürfnisse hinter die aller Familienmitglieder an.
Auf nur 280 Seiten durchlebt man Hannas Leben und lernt eine gewaltige Überlebenskünstlerin kennen, dessen Liebe zur Floristik sie bis zu ihrem Atemzug begleitet.
Am Anfang hatte ich etwas Schwierigkeiten ins Buch reinzukommen. Zunächst hatte ich auch etwas Bedenken, dass es keine Gespräche/Beziehungen/ Parallelen zwischen weiblichen Protagonistinnen geben wird. Doch das hat sich schnell gelegt und es wurde sogar sehr ernsthaft Kritik an Partnerschaftsgewalt verübt - was ich als sehr positiv wahrgenommen habe. (Vielleicht waren noch Anlaufstellen für Betroffene als Hilfsmöglichkeit zum Ende des Buches nicht verkehrt.)
Zwischendrin kamen immer mehr Menschen namentlich (teilweise ziemlich ähnlich) vor, sodass ich kurzzeitig den Uberblick über die Personen im Buch verloren habe. Aber irgendwann konnte man doch recht eindeutig erkennen, welchen Familien und Zusammenhänge eine wesentliche Rolle in der Geschichte spielen.
Der Hirschunfall stand den ganzen Roman über sehr im Mittelpunkt und wurde am Ende aber leider relativ beiläufig „zu Ende" abgewickelt, da hätte man auf jeden Fall mehr draus machen können.
Grundsätzlich möchte ich aber den Schreibstil gerne und fand die Zeitsprünge in die Vergangenheit auch sehr hilfreich und es machte die Geschichte damit noch etwas aufregender. Allerdings braucht man Ausdauer um es bis zum Ende zu lesen, weil die Spannungskurve nicht wirklich vorhanden ist.
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