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VolkerM

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Insgesamt 194 Bewertungen
Bewertung vom 05.10.2025
Schwandt, Jörg

Die Magie der Glasur


ausgezeichnet

Bei Royal Kopenhagen denkt man wohl zuerst an Porzellan und übersieht leicht, dass auch in der Steinzeugabteilung unter Nils Thorsson über fast 40 Jahre Herausragendes geleistet wurde. Anders als sein Vorgänger Hans Madslund, der als Chemiker mit reinen Ausgangsmaterialien experimentierte, stützte Thorsson seine Glasurrezepte mehr auf naturnahe Grundmaterialien, wie z. B. rohes Eisenerz. Die Vorbilder waren Typen der ostasiatischen Keramik, z. B. chinesische Seladonglasuren oder die expressiven Temmoku-Glasuren Japans.

Die Beispiele, die Jörg Schwandt in seiner Monografie herangezogen hat, lassen diese ostasiatischen Referenzen schon auf den ersten Blick erkennen und zeigen die absoluten Spitzenprodukte aus der Steingut-Abteilung von Royal Kopenhagen. Es sind Stücke, die man auf Auktionen kaum einmal zu sehen bekommt, nämlich die echten „Glasur“-Objekte, die keine figürliche oder geometrische Dekoration tragen (diese sind relativ häufig). Alleine deswegen ist der exzellent illustrierte Band schon lesenswert. Hinzu kommt, dass sich der Autor auch technischen Fragen stellt, indem er grundlegende Informationen zu Brandtechniken und Glasurrezepturen liefert. Diese sind allerdings nicht bis ins letzte Detail aufgeschlüsselt, sondern vermitteln eher Prinzipien als konkrete Rezepte oder Temperaturkurven. Es geht dem Autor darum, dass der Leser versteht, welche Randbedingungen zu bestimmten Glasurmerkmalen führen, z. B. Auskristallisieren, Phasentrennung oder „Störeffekte“, die einen gewissen Grad an Zufälligkeit in das Ergebnis bringen. Auch Spannungsrisse (Craquelée) lassen sich nur im begrenzten Umfang steuern. Nils Thorsson hat in diesen Bereichen viel geleistet, indem er diese aufwendigen Glasuren vom Experiment in die Serienfertigung brachte. Dennoch sind diese Stücke, wie schon gesagt, selten auf dem Markt.
Im Anhang des Buches findet sich auch noch eine sehr informative Aufstellung von Signaturen, Stempeln und Datierungshilfen. Auch die Bronzemontierungen von Knut Andersen, die bis etwa 1950 von Royal Kopenhagen verwendet wurden, werden thematisiert.

„Die Magie der Glasur“ kann natürlich nur den visuellen Eindruck wiedergeben, die besondere und viel komplexere Haptik als bei Porzellan muss man sich dagegen vorstellen, was aufgrund der ausgezeichneten Aufnahmen und zahlreicher Vergrößerungen tatsächlich ganz gut funktioniert. Diese ungewöhnliche Werkschau erschließt einen eher unbekannten Teil der „Porzellanmanufaktur“ Kopenhagen, der zwar selten in Erscheinung tritt, aber definitiv einen zweiten und dritten Blick wert ist. Man braucht nur Geduld und Hartnäckigkeit bei der Suche.

Bewertung vom 04.10.2025
Stevenson, Robert Louis

Reise mit einer Eselin durch die Cevennen


ausgezeichnet

Robert Louis Stevenson war gerade einmal 27 Jahre alt, als er mit einem Esel per pedes durch die Cevennen zog. Das war im Jahr 1878 und seine Tagebuchaufzeichnungen, die er ein Jahr darauf publizierte, gehören zu den absoluten Klassikern der Reiseliteratur. Die Auswirkungen reichen bis in die Gegenwart, denn auch heute noch kann man in den Cevennen aus einem reichhaltigen Angebot von Eselverleihern wählen.

Dabei war das Verhältnis zwischen Robert und Modestine, so der Name des Grautiers, zu Beginn etwas getrübt. Mit der seiner Rasse eigenen Sturheit verweigerte die Eselin zunächst den ordnungsgemäßen Dienst und ließ sich nur mit aus heutiger Sicht etwas zweifelhaften Methoden überzeugen. Der Nadelstock sorgte für Tempo und Stevenson durchquerte eine Landschaft, die mit ihrer Kargheit und Weite seine Seele berührte. Auch die Menschen hinterließen Eindruck bei ihm. Er begegnete eisiger Gefühlskälte ebenso wie mitfühlender Hilfe und überall fand er Spuren des gewaltsamen Religionskrieges, der zu Beginn des 18. Jahrhunderts die Region heimsuchte. Stevenson, der zwar protestantisch, aber eher wenig religiös war, verwunderte, wie unterschiedlich die Gemeinschaften in den einzelnen Dörfern mit ihrem historischen Erbe umgingen. Von religiöser Engstirnigkeit bis zu äußerst harmonischem Miteinander fand er jede Spielart.

Stevenson hat einen ganz eigenen Tonfall, um das Land und seine Bewohner zu charakterisieren. Er bezieht moralisch Position und sein für einen 27-Jährigen erstaunlicher Bildungshintergrund ordnet das Gesehene mit dem Geschehenen, stets mit einem wohlwollenden Augenzwinkern kommentiert. Seine Bilder und Metaphern, die er für die Natur findet, brillant ins Deutsche übertragen, sind intensiv und von eindringlicher Wirkung, zumal er meist mit Schlafsack in offener Landschaft campierte. Ungewöhnlich für die Zeit, in der diese Art des Reisens den Vagabunden vorbehalten war, was regelmäßig zu Misstrauen der Bevölkerung führte, wenn er beim „wilden Campen“ entdeckt wurde.

Nach 12 Tagen endet die Tour und die Trennung von Modestine, der anfangs Verfluchten, ist herzzerreißend. So kurz diese Reise auch war, der Eindruck hallt auch 150 Jahre später noch nach. Der Fernwanderweg GR 70 zwischen Monastier-sur-Gazeille und Saint-Jean-du-Gard trägt heute den Namen „Robert Louis Stevenson Weg“.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.10.2025
Hauser, Françoise

DUMONT Reise-Handbuch Reiseführer Japan


ausgezeichnet

Japan ist im Moment in, leider muss man fast schon sagen, denn der Übertourismus wütet hier besonders schlimm. Umso wichtiger ist es, gut informiert ins Land zu reisen, damit man ggf. ausweichen kann. Françoise Hauser macht in ihrem Reiseführer als eine der wenigen Reisebuchautoren tatsächlich auf das Problem aufmerksam und weist auf besonders belastete Ziele hin. Sie sucht neben den Höhepunkten, die natürlich nicht fehlen dürfen, auch nach interessanten Alternativen.

Das Buch bietet eine ausgewogene Mischung aus Kultur und Reiseinformation, also Hintergrund und praktische Orientierung. Das Kartenmaterial der Großstädte ist übersichtlich (z. B. farbliche Markierung für unterschiedliche Interessen), allerdings fehlen z. T. Straßen oder sie sind zu klein abgebildet, so dass die Karten bei der Orientierung vor Ort nicht helfen. Man braucht entweder präzises Kartenmaterial (Straßenkreuzungen zählen, viele Straßen sind nicht beschriftet) oder ein Navi (japanische SIM-Karte!). Die Übersichtskarten dienen auch der Strukturierung von Regionalkapiteln, was die Tagesplanung einfacher macht, weil man die Entfernungen zwischen den Sehenswürdigkeiten abschätzen kann. Das gilt aber nur für die Großstädte, kleinere Städte haben kein Kartenmaterial mehr, was die Planung erschwert. Die Auswahl der Orte ist sehr durchdacht und bedient verschiedene Interessen: Kultur, Natur, Aktivitäten und Kulinarik. In allen Bereichen gibt es in Japan viel zu erleben.

Strukturiert ist der Reiseführer nach den Großregionen: Von Hokkaido im Norden bis Kyushu im Süden (Okinawa wird nur kurz gestreift), wobei der Fokus aus naheliegenden Gründen auf Kanto und Kansai liegt, den Gebieten um Tokio und Osaka, wo sich auch viele der Top-Sehenswürdigkeiten befinden. In allen Kapiteln geht die Autorin vom Allgemeinen ins Spezielle: Zuerst eine Übersicht des Gebiets mit überregionalen Empfehlungen, dann die Orte mit lokalen Tipps. Jede Location wird kurz vorgestellt, es folgen Adressen, Öffnungszeiten, Links, Markierungspunkte in den Karten (sofern vorhanden) und Telefonnummern. Die sind übrigens weniger zum Telefonieren gedacht als für die Programmierung des Navi. Das läuft in Japan wegen des erratischen Hausnummernsystems (die werden nach Baujahr vergeben) nämlich über Telefonnummern. In vielen Fällen gibt es auch Angaben zu Eintrittspreisen, die in Japan erstaunlich niedrig und vor allem stabil sind. Ich reise seit fast 20 Jahren immer wieder nach Japan und da hat sich kaum etwas bewegt, trotz Inflation. Unterkünfte und Restaurants sind in drei Preiskategorien eingeteilt.

Mich hat die Auswahl der Ziele insgesamt überzeugt. Sie sind sowohl für Neulinge wie für Fortgeschrittene geeignet. Die Fokussierung auf die Regionen Kanto und Kansai hat den Vorteil, dass das Buch ein taschentaugliches Format behalten hat, den Nachteil, dass die außerhalb liegenden Ziele oft große Distanzen haben und nicht ganz so detailliert beschrieben sind. Sie sind auch oft aufwendig zu erreichen (und damit teuer). Dieses Problem hat Japan aber generell und die Kompromisslösung finde ich insgesamt gelungen. Kein „Geheimtipp“-Führer, aber solide und kenntnisreich gemacht.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.10.2025
Fine Food Days Cologne

Genial einfach


ausgezeichnet

„Spitzengastronomie“ klingt zuerst mal nach viel Schischi, aber ich wurde angenehm überrascht. Kaum etwas in diesem Rezeptbuch ist wirklich kompliziert, die Zutaten sind leicht erhältlich und meist auch bezahlbar. Die Food-Stylisten haben ebenfalls ganze Arbeit geleistet, die Präsentation hat Sterneküche-Niveau. Ich denke, das ist auch eine Form des Respekts vor den Lebensmitteln (oder vor dem „Produkt“, wie der Schischi-Koch sagt) und ein schöner Teller ist immer auch ein Kunstwerk.

Die Kunst ist es tatsächlich, ungewöhnliche Aromen zu kombinieren. Man nennt sowas „Foodpairing“ und es gibt ein ausgezeichnetes Buch von Peter Coucquyt zum Thema, das einem die Augen öffnet. „Genial einfach“ ist quasi die Umsetzung des Prinzips in die Praxis. Steak Tartar mit gebratenem Römersalat oder konfierte Garnele mit Flöns sind solche Beispiele. Aber auch viele Klassiker folgen den Foodpairing-Regeln wie z. B. das Lachsfilet mit Schalotten-Gurkengemüse oder die Topfenknödel mit Zabaione. Aromatische Gemeinsamkeiten und Gegensätze ergänzen sich hier perfekt.

Ein paar Rezepte brauchen schon ein wenig Übung (z. B. die Wantan und ein pochiertes Ei gelingen in der Regel auch nicht beim ersten Mal), die meisten sind aber unkompliziertes Küchenhandwerk. Unüberwindbar ist nichts. Hummerschwanz und Rinderfilet sind heutzutage schon eine echte Investition, aber das ist die Ausnahme und die meisten Zutaten sind absolut erschwinglich.

Interessant sind die „Küchen-Hacks“ von den beteiligten Köchen, mit teilweise echt raffinierten Tipps. Manchmal kann man mit einem kleinen Detail ein Gericht vom Normalen zum Außergewöhnlichen heben. Und gerade diese „Hacks“ kann wirklich jeder in seiner Küche umsetzen.

Mir hat das Buch ausgesprochen gut gefallen. Originell, informativ und eben gar kein Schischi.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.09.2025
Andree, Martin

Krieg der Medien


ausgezeichnet

In „Krieg der Medien“ beschreibt Martin Andree, wie große Tech-Konzerne, libertäre Denker und rechtspopulistische Politiker gemeinsam die Kontrolle über die digitale Öffentlichkeit übernehmen. Diese Akteure nutzen das Versprechen unbegrenzter Meinungsfreiheit, um demokratische Regeln zu umgehen und gezielt Desinformation zu verbreiten. Der Libertarismus dient dabei als ideologisches Fundament, das jede Form von Regulierung als Zensur darstellt. Besonders die USA fördern diese Entwicklung durch ein Haftungsprivileg, das Plattformen von Verantwortung für Inhalte befreit, während die EU mit schwacher Regulierung kaum gegensteuert.

Martin Andree ist ein deutscher Medienwissenschaftler und Professor an der Universität zu Köln, spezialisiert auf digitale Medien und deren gesellschaftliche Wirkung. Schon in seinen früheren Publikationen warnte er eindringlich vor der wachsenden Macht der Digitalkonzerne – ein Appell, der, wie er selbst kritisch anmerkt, in Politik und Öffentlichkeit kaum Gehör fand. In seinem aktuellen Werk „Krieg der Medien“ erklärt er den Kampf um die digitale Meinungsfreiheit zwar noch nicht für entschieden, doch seine Zuversicht auf einen demokratischen Befreiungsschlag ist spürbar erschöpft.

Dennoch warnt der Wissenschaftler unverändert, aber in drastischeren Worten vor einer kommenden digitalokratischen Medienordnung, in der Algorithmen entscheiden, was sichtbar ist, und Aufmerksamkeit wichtiger wird als Wahrheit. Das erste Grundproblem sieht er in der ungleichen Haftung: Medienhäuser müssen für Inhalte geradestehen, Plattformen nicht. Das zweite Problem sind die Algorithmen selbst, die extreme und polarisierende Inhalte bevorzugen und so die Gesellschaft spalten.

Andree bleibt nicht bei der Diagnose stehen: Um sich aus dieser digitalen Abhängigkeit zu befreien, schlägt er vor, Plattformen zu regulieren, ihre Algorithmen offenzulegen und digitale Monopole zu zerschlagen. Am Ende entwirft er zwei Szenarien: den Aufstand, bei dem Gesellschaft und Politik die Kontrolle zurückgewinnen, und die Unterwerfung, bei der die Demokratie den Plattformen endgültig ausgeliefert ist.

„Krieg der Medien“ ist damit nicht nur Analyse, sondern ein flammender Appell zur Verteidigung der demokratischen Medienkultur.

Andrees genderfreie Sprache ist auf die Zielgruppe (= jedermann) zugeschnitten, sehr verständlich und kurzweilig. Ich bin zwar von den notwendigen Maßnahmen überzeugt, befürchte aber, dass die Umsetzung wieder einmal an den entscheidungsschwachen Politikern scheitern wird. Die Mühlen der EU mahlen extrem langsam, laufen den Entwicklungen meist Jahre, manchmal Jahrzehnte hinterher und Fehlentwicklungen werden so gut wie nie korrigiert. Nichtsdestoweniger ein absolut lesenswertes Buch, damit später niemand sagt, er habe es nicht gewusst.

Bewertung vom 14.09.2025
Die SOPHISTen

KI im Requirements Engineering


ausgezeichnet

Die Komplexität moderner IT-Systeme nimmt stetig zu, während gleichzeitig die Entwicklungszyklen immer kürzer werden. Diese Beschleunigung geht nicht selten mit einer erhöhten Fehleranfälligkeit einher. Die Ursachen für das Scheitern von Entwicklungsprojekten sind vielfältig – ein zentraler Faktor liegt jedoch in unklaren Zieldefinitionen sowie in fehlenden, fehlerhaften oder sich häufig ändernden Anforderungen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwieweit Künstliche Intelligenz einen Beitrag zur Verbesserung des Anforderungsmanagements leisten kann. Genau hier setzt das Buch „KI im Requirements Engineering“ von Die SOPHISTEN an und bietet einen praxisorientierten Einstieg in den Einsatz von KI-Technologien in diesem Bereich.

Das Buch vermittelt zunächst ein solides theoretisches Fundament zu den vier Hauptelementen: Ermittlung, Dokumentation, Prüfung und Verwaltung von Anforderungen. Darauf aufbauend zeigen die Autoren, wie KI – insbesondere Large Language Models – diese Tätigkeiten unterstützen und teilweise automatisieren kann. Anhand des durchgängigen Beispiels eines Smart-Home-Systems wird die praktische Umsetzung veranschaulicht, wobei konkrete Prompts und KI-generierte Ergebnisse vorgestellt und bewertet werden. Unbedingt selber ausprobieren und nachvollziehen!

Die Autoren beleuchten, wie KI in bestehende Unternehmensprozesse eingebettet werden kann und welche Rolle der Mensch in einer KI-gestützten RE-Umgebung spielt. Besonders hervorgehoben wird die Bedeutung von Prompt Engineering als neue Kompetenz im Berufsbild des Requirement Engineers. Auch Herausforderungen wie Datenschutz und die Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern werden thematisiert.
Das Buch ist allerdings aus meiner Sicht sehr optimistisch gegenüber KI-Anwendungen. Eine stärkere kritische Reflexion über ethische Risiken, mögliche Fehlinterpretationen durch KI oder systematische Verzerrungen wäre hilfreich gewesen.

Ein absolutes Highlight sind die digitalen Zusatzmaterialien wie Erklärvideos und animierte Inhalte, die den Lernprozess unterstützen und laut Autoren stets aktualisiert werden, um der Dynamik des KI-Themas gerecht zu werden. Der gesamte Buchinhalt wurde digital aufbereitet und bildet gemeinsam mit den multimedialen Komponenten eine umfassende Wissensplattform, die deutlich über den Funktionsumfang eines herkömmlichen eBooks hinausgeht.

Die KI-Thematik ist sehr komplex. Obwohl das Buch versucht, KI verständlich zu erklären, bleibt das Thema für Einsteiger anspruchsvoll. Wer keine Vorkenntnisse in KI oder Requirements Engineering hat, muss sich auf eine steile Lernkurve einstellen.

Ein kleiner Wermutstropfen ist die gewählte Broschurbindung, die dazu führt, dass das Buch beim Lesen leicht zuklappt. Hier sollte der Verlag dem Buch für die nächste Auflage vielleicht ein Hardcover gönnen.

Insgesamt verdeutlicht das Werk, dass Künstliche Intelligenz im Requirements Engineering nicht als Ersatz menschlicher Expertise, sondern als unterstützendes Werkzeug verstanden werden sollte – dies aber mit ungeahnten Möglichkeiten. Ziel ist es, Prozesse effizienter zu gestalten und die Qualität der Anforderungen nachhaltig zu verbessern. Für den Einsatz im unternehmerischen Kontext empfehlen die Autoren die Initiierung eines eigenständigen Projekts, in dem klare Rahmenbedingungen und Richtlinien für den Umgang mit KI-Systemen definiert werden.

Trotz kleinerer Schwächen verdient das Buch aus meiner Sicht uneingeschränkt fünf Sterne – nicht zuletzt, weil es diese zukunftsweisende Thematik fundiert und praxisnah behandelt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.09.2025

Kosmos Schloss Erbach


ausgezeichnet

Schloss Erbach ist heute in erster Linie bekannt als Sitz des Deutschen Elfenbeinmuseums, war die Stadt Erbach doch bis ins 20. Jahrhundert hinein ein weltweit führendes Zentrum der Elfenbeinschnitzerei. Die unternehmerischen Grundlagen dieses erfolgreichen „Industriezweiges“ schuf Graf Franz I. zu Erbach-Erbach, ein im besten Sinne aufgeklärter Herrscher des 18. Jahrhunderts, der selber das fürstliche Hobby der Elfenbeindrechselei betrieb. Franz sammelte auch mit Leidenschaft - nicht etwa Elfenbein, sondern Antiken, asiatisches Porzellan, Rüstungen, Waffen, ethnologische und zoologische Exponate, worunter die (nicht jagdliche!) Geweihsammlung wohl das Kurioseste ist. Mit für seine Zeit großer Sachkunde trug er zu einigen Themen enzyklopädische Kollektionen zusammen, die er in opulent ausgestatteten Katalogen dokumentierte und bearbeitete. Seit 2005 ist Schloss Erbach inklusive der erhaltenen gräflichen Sammlung in staatlichem Besitz und gehört zu den bedeutenden nationalen Kulturgütern Hessens.

„Kosmos Schloss Erbach“ ist die erste große Monografie über die Bau- und Sammlungsgeschichte dieses Kulturdenkmals, Resultat eines wissenschaftlichen Symposiums aus 2023. Die Autoren behandeln neben der erstmals systematisch bearbeiteten Baugeschichte der Burg, die bis ins 12. Jahrhundert zurückreicht, auch die Geschichte des Adelsgeschlechts derer von Erbach, die ihre Abstammung (unbelegt) auf Karl den Großen gründen. Der Schwerpunkt liegt hier auf der Ausnahmeerscheinung Franz I. und seiner Sammlungstätigkeit. Er dokumentierte seine Sammlung so mustergültig, dass selbst heute verlorene Objekte in einen größeren Kontext gesetzt werden können, wie einer der Beiträge im Buch zeigt. Sie war eine aufgeklärte Wunderkammer, die Franz selber qualifiziert kuratierte und dies nicht durch Angestellte erledigen ließ, wie die meisten Fürsten der Zeit. Texte, Zeichnungen, Aquarelle, später auch Fotos zeigen Ausstellungskonzepte und Nutzung, sowie die zeitgenössische Bewertung der mehr oder weniger kostbaren Stücke. Ein fast schon moderner wissenschaftlicher Zugang richtete sich nicht mehr nach dem reinen Schauwert, sondern bezog den Erkenntnisgewinn in die Auswahl mit ein: So sammelte Franz die ersten römischen Limes-Funde im Odenwald. Die renaissancezeitliche Rüstungssammlung im „Rittersaal“ war auch schon früh ein touristischer Anziehungspunkt und ist es bis heute. Die relative Vollständigkeit des ganzen Konvoluts macht es für die Forschung heute so interessant.

Die Beiträge sind anschaulich geschrieben, auch für Laien gut verständlich und hervorragend illustriert. Die geplante Sanierung des Schlosses wird sicher noch einige Überraschungen zu Tage fördern. Der jetzt vorliegende Band sammelt das derzeit vorhandene Wissen, bereitet es strukturiert und qualifiziert auf und vermittelt ein lebendiges Bild von Graf Franz und seiner Zeit, und seiner geistigen Offenheit für die „Wunder der Welt“, die er in seinem Schloss abzubilden suchte.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.09.2025
Hagey, Keach

Sam Altman


sehr gut

Sam Altman ist die zentrale Figur hinter OpenAI. Doch wer steckt wirklich hinter dem erfolgreichen Unternehmer und Investor? Die Journalistin Keach Hagey wollte genau das herausfinden und hat dafür zahlreiche Gespräche geführt – nicht nur mit Altman selbst, sondern auch mit seiner Familie, engen Freunden, Wegbegleitern und Geschäftspartnern. Aus diesen intensiven Recherchen entstand die aufschlussreiche und lesenswerte Biografie mit dem Titel „Sam Altman: OpenAI, Künstliche Intelligenz und der Wettlauf um unsere Zukunft“.

Keach Hagey bietet in ihrem Buch einen Einblick in das Leben und Wirken des Tech-Visionärs Sam Altman. Sie schildert seinen Weg vom talentierten Jugendlichen in St. Louis über seine Zeit als Präsident des Gründerzentrums Y Combinator bis hin zur Gründung und Leitung von OpenAI. Altman wird als strategischer Denker dargestellt, der nicht nur technologische Innovationen vorantreibt, sondern auch politische und gesellschaftliche Debatten beeinflusst. Selbst eigene politische Ambitionen als Gouverneur von Kalifornien oder US-Präsident werden ihm nachgesagt. Besonders im Fokus steht die Veröffentlichung von ChatGPT, die OpenAI schlagartig ins Zentrum der globalen KI-Diskussion rückte. Hagey beleuchtet die komplexe Struktur von OpenAI, die zwischen gemeinnütziger Mission und kommerziellem Erfolg balanciert. Die dramatische Episode rund um Altmans kurzzeitige Absetzung als CEO im Jahr 2024 zeigt die internen Spannungen und Machtkämpfe innerhalb des Unternehmens, die für den außenstehenden Leser aufgrund der Komplexität und der vielen involvierten Personen nicht immer ganz einfach nachzuvollziehen sind. Das Buch basiert auf über 250 Interviews und zeichnet das Bild eines Mannes, der zwischen Idealismus und Pragmatismus agiert. Die Autorin beleuchtet auch kritische Themen wie zum Beispiel zur Verantwortung von KI-Entwicklern und zur Kontrolle über mächtige Technologien. Gleichzeitig zeigt sie, wie Altman versucht, ethische Leitplanken für die Zukunft der KI zu etablieren. Trotzdem hätte ich mir bei vielen Themen gewünscht, dass Sam Altman selbst zu Wort kommt – statt nur die Sichtweise und Interpretation der Autorin zu lesen.

Die deutsche Übersetzung des Buches „Sam Altman“ nimmt sich sprachliche Freiheiten heraus, die im Original nicht vorgesehen sind. Durch die Verwendung von gendergerechter Sprache – etwa partizipialen Formen wie „Forschende“ oder binären Paarungen wie „Gründerinnen und Gründer“ – wird dem Text eine ideologische Färbung verliehen, die mit dem sachlichen, nüchternen Stil der englischen Ausgabe nicht vereinbar ist.
Diese Eingriffe sind nicht nur stilistisch fragwürdig, sondern auch inhaltlich problematisch. Sie verändern den Ton des Buches und suggerieren eine Haltung, die die Autorin selbst nicht formuliert hat. Gerade bei einem Sachbuch, das eine reale Person porträtiert und komplexe technologische Entwicklungen beschreibt, sollte die Übersetzung dem Original so nahe wie möglich bleiben – und nicht als Bühne für sprachpolitische Experimente dienen.
Wer eine werkgetreue Übersetzung erwartet, wird hier enttäuscht.

Das Buch gibt spannende Einblicke in Altmans Leben und zeigt, wie er zu einem der einflussreichsten Köpfe der Tech-Welt wurde. Es ist eine Mischung aus Biografie, Wirtschaftskrimi und gesellschaftspolitischer Analyse und regt dazu an, über die Chancen und Risiken der KI-Revolution nachzudenken.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.08.2025

Das Alte Ägypten


gut

Als ich das Vorwort las, bekam ich ein sehr ungutes Gefühl: Alles sauber durchgegendert, schön unästhetisch mit Gender-Sternchen, triefend vor wokem Aktionismus und die moralische Keule bereits im Niedersausen: Europa böse, Ägypten guuuut.
Die Beiträge haben den Verdacht dann aber nicht bestätigt, sieht man von Eva Maria Schnurrs „Interview“ einmal ab, in dem der Historiker Jürgen Zimmer die Rückgabe der Nofretete fordern darf, mit strategisch unterstützenden „Fragen“ der Interviewerin. Wie überall in der sogenannten „postkolonialen Debatte“ werden hier Fakten verschwiegen oder verkürzt, wenn sie nicht ins Konzept passen, gerne auch mal die Unwahrheit verbreitet, wenn‘s der „guten“ Sache dient. Geschichten statt Geschichte. Hat in einem Sachbuch meiner Meinung nach nichts zu suchen. Auffällig auch, dass nur Museumsdirektorinnen zu Wort kommen. Männer sind in Führungspositionen von Museen tatsächlich eine aussterbende Spezies, ohne dass sich ein wokes Interessengrüppchen bisher darüber echauffiert hätte. Männer böse, Frauen guuuut.

Die Beiträge sind bereits 2020 im Band „Das alte Ägypten“ der SPIEGEL-Reihe Geschichte erschienen, sind also nicht mehr ganz taufrisch, aber inhaltlich, soweit ich es beurteilen kann, immer noch richtig. Es gab in der Zwischenzeit weitere Theorien und natürlich auch Entdeckungen, die besprochenen Themen bleiben davon aber weitgehend unberührt.

Nicht zufrieden war ich mit dem Themenbereich Alltagsleben. Der Untertitel des Buches „Wie die Menschen im Reich der Pharaonen lebten“ suggeriert, dass der Alltag der normalen Leute im Mittelpunkt steht, ein Gebiet, über das es fast keine Laienliteratur gibt. Leider löst auch dieser Band das Rätsel nicht. Hier findet man die üblichen Kapitel mit Bezug zur Oberschicht: Religiöse Ansichten und Rituale, die Rolle des Pharaos, Schriftkultur, Wissenschaft und Medizin etc.. Alles schon gelesen, leider nur sehr wenig Neues darunter, aber unbestritten haben die Autoren eine gute „Schreibe“. Die Beiträge sind kurzweilig und anschaulich.

Wer einen gut lesbaren Einstieg zu verschiedenen Aspekten der Ägyptologie sucht, ist mit dem Buch gut bedient. Man muss sich aber im Klaren sein, dass es isolierte Einzelbeiträge sind, ohne das Ziel einer vollständigen (oder auch nur annähernd vollständigen) Darstellung. Es gibt kein übergeordnetes Konzept, außer dem „du sollst gut unterhalten werden“. Da gibt es deutlich systematischere, besser strukturierte und wesentlich vollständigere Monografien zum Thema.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.08.2025
Schloß, Bernhard;Botta, Christian

Das Methodensystem für Projekte


gut

Wer schon einmal ein Softwareprojekt geleitet hat weiß, es gibt unzählige Methoden, Werkzeuge und Konzepte. Einige sind sehr nützlich – andere weniger hilfreich. Manche erfordern viel Zeit und Aufwand, um sie zu verstehen und richtig anzuwenden. Dabei den Überblick zu gewinnen und zu behalten, ist eine echte Herausforderung.
Bernhard Schloß und Christian Botta haben den Versuch gewagt und das Buch „Das Methodensystem für Projekte“ herausgebracht. Es ist ein praxisorientierter Leitfaden, der über 130 Methoden, Werkzeuge und Modelle für den erfolgreichen Einsatz in Projekten vorstellt und dabei nicht ein dogmatisches Vorgehen in den Vordergrund stellt, sondern die flexible und situationsgerechte Anwendung – je nach Bedarf, Teamgröße oder Projektphase. Herzstück des Buches ist die (im Business-Neusprech:) „Table of PM Elements“– eine visuelle Systematik, die an das Periodensystem der Elemente erinnern soll. Allerdings zeigt die Struktur, dass die Autoren das Prinzip des chemischen Periodensystems eindeutig nicht verstanden haben. Aber es klingt halt so schön wissenschaftlich. Ob das „Methodensystem" bei der Suche wirklich hilft, da habe ich meine Zweifel, mir hat es jedenfalls nicht geholfen, dazu gleich mehr. Immerhin sind die kurzen und qualifizierten Methodenbeschreibungen und -bewertungen ein guter Einstieg.

Das Buch behandelt alle wichtigen Themen im Projektmanagement – von Planung und Steuerung über Zusammenarbeit im Team und das Sammeln von Anforderungen bis hin zu Qualitätssicherung, Risikomanagement und allgemeinen Managementansätzen. Die Autoren machen dabei deutlich, dass die Sammlung nicht vollständig ist und bei Bedarf durch weitere Methoden ergänzt werden kann. Besonders im Bereich der Künstlichen Intelligenz ist in Zukunft mit vielen neuen Tools zu rechnen.

Gelungen ist die einheitliche Struktur, nach der jede Methode vorgestellt wird: Zunächst gibt es eine kurze Einführung, die erklärt, was die Methode leistet und wofür sie geeignet ist. Danach folgen Hinweise zur Anwendung, eine Übersicht über Vor- und Nachteile, praktische Tipps für den Einsatz im Alltag sowie Hinweise auf ähnliche oder ergänzende Methoden. Zusätzlich ist jede Methode farblich gekennzeichnet – je nach Kategorie, etwa Projektmanagement-Methode, Management, Kommunikation oder Kreativität. Dabei sollte jedoch beachtet werden, dass diese Zuordnung zu einem gewissen Teil subjektiv ist, da manche Methoden mehreren Kategorien zugeordnet werden könnten, die Autoren sie aber nur einer zuordnen. Da das Entscheidungssystem nach Kategorien sortiert ist, bekommt der Nutzer in diesem Fall also nicht alle geeigneten Methoden vorgeschlagen. Letztlich ist das System eine Entscheidungstabelle mit mehreren Filtern. Die grafische Aufteilung, die in der Tat etwas an das Periodensystem der Elemente erinnert, ist absolut willkürlich und weder intuitiv noch übersichtlich.

Im Anhang des Buches finden sich Tabellen, in denen die Methoden und Werkzeuge nach verschiedenen Kriterien sortiert sind – zum Beispiel nach Aufwand, Schwierigkeitsgrad oder Bewertung. Das sind im übertragenen Sinn die „Filter“ der dahinterliegenden Auswahltabelle. Das Stichwortverzeichnis enthält nur die Namen der Methoden. Leider fehlen ein Literaturverzeichnis oder weiterführende Links, was den Zugang zu vertiefender Information einschränkt.

Beim Kauf des Buches erhält man einen persönlichen Code, mit dem man das zugehörige eBook kostenlos als PDF- oder epub-Datei herunterladen kann – ein praktischer Bonus für alle, die lieber digital lesen und recherchieren.

Das Buch eignet sich gut als grundlegendes Nachschlagewerk – sowohl für Einsteiger als auch für erfahrene Projektmanager. Es bietet eine schnelle Orientierung im Projektalltag und unterstützt bis zu einem gewissen Grad bei der Auswahl und Anwendung von Methoden. Wenig überzeugend finde ich das sogenannte „Methodensystem“. Es wirkt auf mich willkürlich und subjektiv, weshalb es sich aus meiner Sicht auch nicht als zuverlässiger „Methoden-Finder“ eignet.