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Andy
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Frankfurt am Main

Bewertungen

Insgesamt 46 Bewertungen
Bewertung vom 04.03.2025
Kempen, Sarah M.

Lichterloh - Stadt unter Ruß


sehr gut

Gelungene Kohle-Dystopie für die Jugend
Wenn man in Cleos Welt landet, dann fragt man sich schlagartig, was hier wohl schief läuft. Menschen leiden unter dem Kapitalismus. Energieversorgung, die nur über Kohle funktioniert, ist das gesellschaftlich prägendste Thema. Und in dieser Welt folgt man einer Jugendlichen, Cleo, deren Hoffnung, die Welt zu verbessern, dem Roman seine Spannungskurve gibt. Der Roman weißt dabei einige wohl gewollte Parallelen zu unserer Gesellschaft auf und lädt das jüngere Zielpublikum hierüber gezielt dazu ein, die ein oder andere echte gesellschaftliche Entwicklung zu hinterfragen bzw. sich vielleicht überhaupt damit zu beschäftigen.
Aber deswegen liest man, besser: ich, ja keine Bücher. Zumindest nicht in erster Instanz. Ich lese Bücher, weil mich schnell ein Erzählstil anspricht und ich eine Identifikationsebene mit den Charakteren finde. Bei Cleo ist es ihre helfende Art und ihr Optimismus, die mich sie schnell ins Herz schließen haben lassen. Cleos Geschichte ist zudem spannend und originell genug erzählt, so dass ich gerne am Ball geblieben bin. Der einzige Wermutstropfen, bei diesem insgesamt sehr guten Buch, ist das aus meiner Sicht etwas zu langsame Erzähltempo. Dies mag aber auch dem Fakt geschuldet sein, dass ich nicht Teil der Kern-Zielgruppe bin. Ich empfehle das Buch in jedem Fall gerne weiter.

Bewertung vom 02.03.2025
Würger, Takis

Für Polina


ausgezeichnet

Sehr erinnerungswürdig!

Ich habe eine klare Meinung zu Takis Würgers neuem Roman „Für Polina“ vom Cover weg, über die Leseprobe bis hin zum kompletten Werk. Ich mag dieses Buch sehr. Dies liegt sowohl an den Charakteren, an den Kernmotiven als auch an der Handlung des Buchs. Hannes, Polina, Fritzi und Co. habe ich alle schnell ins Herz geschlossen, weil sie interessant und vielseitig und vor allem liebenswert sind. In Handlung geht es um Themen wie Erfüllung, Liebe und Heimat unter den unterschiedlichsten Vorzeichen. Die Handlung führt die Charaktere von ihrer Heimat auf dem niedersächsischen Land, über Hamburg, Istanbul und München wieder zurück zum Ursprung. In der Zwischenzeit passieren so viele denkwürdige und tiefgreifende Dinge, die Spuren hinterlassen und Richtungen verändern.
Insgesamt hat die Lektüre unter diesen Voraussetzungen einfach nur viel Spaß gemacht. Es war immer spannend, wie die Geschichte weiter verläuft und am Ende weiß man immer noch nicht genau, wie man diesen Zwischenpunkt einordnen soll, der zum Ende erreicht wurde. Insgesamt bisher eines der Lese-Highlights in 2025!

Bewertung vom 23.02.2025
Wagner, Tobias

Death in Brachstedt


ausgezeichnet

Was für eine berührende Geschichte!
Tobias Wagner erzählt in „Death in Brachstedt“ die Geschichte der Halbwaise Leo, nachdem sein Vater verschwindet. Zusammen mit seinem besten Freund Henri macht es sich auf, einen Kurzfilm zu drehen und eine Party zu veranstalten. In einem zweiten Erzählstrang wird eingewoben, was in der Zwischenzeit mit seinem Vater passiert. Dies klingt erstmal recht banal. Tobias Wagner ist dabei handwerklich sehr geschickt vorgegangen. Er hat die Geschichte einerseits mit popkulturellen und anderen Details aufgeladen. Allein dieser Aspekt macht Spaß. Auf der anderen Seite schafft er es, ein ordentliches Spannungslevel über die gesamte Geschichte zu bewahren.
Das Buch hat ein jüngeres Zielpublikum. In diesem Zusammenhang gefällt mir sehr, wie seriös Tobias Wagner mit ernsthaften Gefühlen umgeht. Mir gefällt zudem, dass er trotz des Zielpublikums sich nicht vor schwierigen Themen weg duckt, sondern diese im Buch sogar eine prominente Rolle einnehmen (Trigger Warnung an Trauernde). Insgesamt hat mich das Buch dann sehr an ähnliche Bücher für Erwachsene erinnert wie Christian Hubers „Man vergisst nicht, wie man schwimmt.´“ Das habe ich damals auch sehr gemocht. Und „Death in Brachstedt“ ist mindestens genauso gut. Volle Empfehlung meinerseits!

Bewertung vom 09.02.2025
Blake, Katherine

Not your Darling


sehr gut

Spaß und Spannung in Hollywood

Loretta ist eine Power-Frau. Als sie nach Los Angeles kommt, weiß sie das noch nicht. Ihre Geschichte, die von Katherine Blake erzählt wird, ist ein modernes Märchen. Sie muss unterschiedlichste Widrigkeiten überwinden. Nachdem die Handlung nach einer Weile – und das Buch hat am Anfang seine Längen – in Schwung gekommen ist, surft man auf der Spannungskurve mit. Lorette gerät immer wieder in unangenehme und verzwickte Situationen, als sie sich im Machtgefüge von Hollywood versucht zu bewegen. Hinter den glänzenden Fassaden steckt viel Lug und Betrug.

Die klare Erzählweise, die gerade in der zweiten Hälfte die Spannung hoch hält hat mir gut gefallen. Ich habe das Buch als gelungene Unterhaltung und Ablenkung vom Alltag wahrgenommen und bin am Ende im Lesestrudel gelandet, weil ich unbedingt wissen wollte wie es weitergeht. Ich mochte Loretta. Ich mochte auch die antikapitalistischen und anti-patriarchalen Töne im Buch. Die große Gesellschaftskritik ist es nicht. Aber originell und auch ein bisschen böse. Ich empfehle es für das Lesevergnügen am Wochenende gerne weiter.

Bewertung vom 01.02.2025
Wiesböck, Laura

Digitale Diagnosen


sehr gut

Wichtiges Thema, sinnvoll aufbereitet liefert TOP-Insights

„Digitale Diagnosen“ ist ein tolles Sachbuch. Es beschäftigt sich mit dem Zusammenhang zwischen sozialen Medien und der Diagnose von psychischen Erkrankungen. Mich hat dies sofort angesprochen, weil interessante Fragen untersucht werden. Beispielhaft kann man hier nennen: Führt die Nutzung von sozialen Medien dazu, dass mehr psychische Krankheiten diagnostiziert werden? Wer nimmt diese Diagnosen vor? Wenn man Wiesböcks Ausführungen zu diesem Thema liest, dann merkt man diesen an, dass sie sich fundiert mit diesem Thema beschäftigt hat. Sie schafft es zudem ihre Erkenntnisse sachlich präzise und trotzdem nicht überbordend lang darzustellen. Manche Sachbücher haben die Neigung, dass sie komplexe Themen zu sehr vereinfachen. Auf der anderen Seite gibt es die Sachbücher, die zwar sehr genau ein Thema auseinandernehmen, dabei aber auch den Leser sehr ermüden und das Ganze unnötig in die Länge ziehen. Wiesböck gelingt dieser Spagat wunderbar. Wenn man ihr in diesem Zusammenhang überhaupt etwas vorwerfen will: Das Buch hat keinerlei Selbsthilfe-Charakter. Keinerlei: wer sein eigenes Risiko reduzieren will, sollte… . Einerseits ist das lobenswert, bei der Schwemme von Büchern, die direkte Verhaltenshinweise in den Mittelpunkt des Ganzen stellen. Auf der anderen Seite hätten die aufbereiteten wissenschaftlichen Erkenntnisse auch in eine wissenschaftliche fundierte Do and Don’ts Liste am Ende des Buchs einfließen können. Insgesamt ist dies Meckern auf sehr hohem Niveau. Ich werde Digitale Diagnosen weiterempfehlen!

Bewertung vom 25.01.2025
Bußmann, Nina

Drei Wochen im August


gut

Ein Sommer ohne Spannung

Ein Sommerroman im Winter. Zwei interessante Hauptfiguren mit Elena und Eve. Beziehungsdynamiken, spannende äußere Einflüsse, Geheimnisse und Ungeklärtes. Insgesamt ein Setting, was sehr vielversprechend aussah. Eine Sprache, die klar und direkt klang und gut lesbar daher kommt. Aus vielen guten Grundideen wird aber dann trotzdem kein überzeugendes Ganzes. Dies liegt an mehreren Gründen. Die Handlungsstränge sind und werden nicht klar und so ergibt sich kein richtiger Spannungsbogen. So ergeben sich auch viele Hänger, weil die anekdotischen Teile der Handlung das Gesamtkonstrukt nicht tragen. Die Details sind nicht kunstvoll genug, um die leere Leinwand genug zu füllen und ein ansprechendes Kunstwerk zu schaffen.
Und so bleibt für dieses Buch ein bisschen die Enttäuschung über nicht erfüllte Versprechen. Warum entwickeln sich die Handlungspfade nicht anders? Warum werden die Charaktere nicht greifbarer? Ich persönlich habe nicht den Zugang gefunden, den ich mir gewünscht hätte und erlebe die erste Lektüre-Enttäuschung des Jahres 2025.

Bewertung vom 21.12.2024
Buchholz, Simone

Nach uns der Himmel


sehr gut

Weirdes Fegefeuer

Simone Buchholz hat sich für diesen Roman wieder etwas Besonderes ausgedacht. Das Setting von „Nach uns der Himmel“ ist etwas, das eine Weile braucht bis es sich entfaltet. Der Hauptteil der Handlung spielt auf einer Urlaubsinsel, was durch das Cover sehr schön angedeutet wird. Was dort allerdings genau passiert, wird lange nur durch Andeutungen weitergetrieben und löst sich erst spät auf. Die Idee ist allerdings originell (auch wenn es Abwandlungen hiervon in Werken anderer Schriftsteller:innen zu lesen gibt) und hat mich gut unterhalten gelassen.
Die Geschichte hin zur Auflösung, die gerade auch von der Entwicklung der Charaktere lebt, ist klar und präzise geschrieben und hat keine Längen. Das ist aus meiner Sicht sehr schön, denn – nachdem recht viel erstmal unklar ist – lebt der Roman von seinem Erzähltempo und seiner klaren, präzisen Sprache. Die Beschränkung auf 10 Hauptfiguren macht schon fast ein Kammerspiel aus dem Roman und Unterhaltung ist hier immer geboten.
Grundsätzlich habe ich den Roman sehr gerne gemocht und gelesen. Zum Ende hätte ich mir noch einen großen Aha-Moment gewünscht, der leider (vielleicht auch nur bei mir) ausgeblieben ist. Aber auch so ist das Werk die beste Kombination aus den Welten des Traumschiffs und Emily St. John Mandels, die einem unterkommen kann. Lest das gerne mal, das ist prima.

Bewertung vom 08.12.2024
Bregman, Rutger

Moralische Ambition


sehr gut

Ein begründeter Aufruf
Rutger Bregman ist aus meiner Perspektive einer der klarsten Denker dieser Welt, der seine Gedanken zudem geradlinig und wohl begründet zu Papier bringen kann. So ist es auch diesmal bei „Moralische Ambition“ wieder. „Moralische Ambition“ ist dennoch kein Sachbuch wie jedes andere.
Zu Beginn des Buches hinterfragt Bregman das Streben nach Glück. Für was braucht es Glück, wenn die Welt zu Grunde geht. Geht es nicht um mehr? Er arbeitet über das Buch hinweg heraus, was „mehr“ bedeutet, wie man sein „mehr“ identifiziert und wie man es nachverfolgt. An sich ist „Moralische Ambition“ gerade auch über die vermittelte Dringlichkeit kein Sachbuch im klassischen Sinne mehr, sondern eher ein Aufruf.
Bregman zu lesen macht dabei weiterhin Spaß. Er ist weiterhin ein guter Storyteller. Das Buch verfolgt einen klaren roten Faden und die Sprache ist klar und präzise. Der moralische Anspruch und „Aufruf“-Charakter sorgen aber zumindest bei mir für einen Widerstand, auch wenn es viele gute Vorbilder im Buch gibt, die den ersten Schritt eigentlich erleichtern sollen. Ich hoffe dennoch, dass das Buch sein Publikum findet und dieses Bregmans Ansinnen auch unterstützt. Die Welt würde es danken. Für mich ist der Sprung allerdings gerade zu groß.

Bewertung vom 26.10.2024
Rooney, Sally

Intermezzo


ausgezeichnet

Über Brüder und Beziehungen
Ich habe zumindest Überschriften über das neue Buch von Sally Rooney gelesen, bevor ich mit Dir Lektüre startete. In der Zeit heiß es, der Roman sei Rooneys bestes Werk bis dato, weil es sich tiefgründig mit Trauer beschäftigt. Das machte mich vorsichtig. Ich mochte Rooneys vorherige Werke schon sehr und hatte die Befürchtung, dass „Intermezzo“ durch die Trauer-Komplexität nicht mehr so viel Spaß machen würde, wie ihre anderen Bücher. Und so begann ich die Lektüre zwar mit Vorfreude, aber auch mit etwas Skepsis. War dies das Buch, bei dem mich Rooney verlieren würde?
Die Befürchtungen waren vollkommen unbegründet. Rooneys „Intermezzo“ ist wieder sehr gut lesbar, weil sie ihrem Schreibstil treu geblieben ist und Zoe Beck als Übersetzerin das Ganze gut übertragen bekommen hat. Zudem hat das Buch als Startpunkt zwar einen Trauerfall, aber die Geschichte wird aus meiner Sicht mehr geprägt von der Beziehung der zwei Brüder Peter und Ivan untereinander und ihren Beziehungen mit den Frauen in ihrem Leben. Und dann sind die Beziehungen durch die Bruderbeziehung vielleicht etwas komplexer als in Rooneys mehr fokussierten Vorgänger-Werken.
Das ist für mich aber ein klares Plus. Gerade die Bruderbeziehung hat mich total abgeholt und auch selbst sehr beschäftigt. Die Charaktere sind erneut glaubwürdig und greifbar und Rooney spielt schön mit Vorurteilen, moralischen und gesellschaftlichen Standards. Mir hat das in Summe (Charaktere, Handlungsstränge und Erzählstil) sehr gut gefallen und ich empfehle die Lektüre sehr gerne weiter.

Bewertung vom 16.10.2024
Sanyal, Mithu

Antichristie


ausgezeichnet

Auf einer Achterbahn zwischen indischem Freiheitskampf und aktueller Empire-Kritik

Ich gebe zu, ich bin ein Fanboy. Ich habe Identitti sehr gern gelesen. Es hat mich auf eine Achterbahnfahrt mitgenommen und rasant durch seine Geschichte katapultiert. In Anti-Christie habe ich erst reingelesen und es dann bestellt, weil mich der Ton und die Erzählebene direkt wieder angesprochen hat. Erst während der Lektüre habe ich dann festgestellt, dass es neben dem Gegenwarts-Erzählstrang von Durga noch einen Erzählstrang von Sanjeev in der Vergangenheit gibt, beide in London angesiedelt. Beide Erzählstränge sind über eine Zeitreise-Geschichte verbunden. Und während der Gegenwartsstrang leicht zugänglich und besser lesbar ist, überrascht der Vergangenheitsstrang mit dem indischen Widerstand in London zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Insgesamt hat es viele Fakten und Argumente. Zusammen ergibt das ein diffuses Bild der Nerd-Bytes und Bits, die Sanal wieder in die Geschichte verwebt. Und das macht die Geschichte länger und mit ihrer Komplexität schwerer lesbarer. Auf der anderen Seite finde ich das persönlich höchst spektakulär. Ich stehe auf genau diese Nerd- Häppchen. Geschichte und Gesellschaftskritik ist nicht einfach in Literaturform bearbeitbar, gerade wenn es mit einer gehörigen Portion Fantasie vermixt wird und gerade der von Sanyal bearbeitete Komplex ist einer der sich mir durch ihre Erzählung erst eröffnet hat. Und das hebt das Buch deutlich von anderen Formen der Unterhaltung ab. Es gibt nicht nur eine singuläre Perspektive auf die historischen Ereignisse wieder, sondern es führt die Leser auch hinab in die Tiefe dieser Ereignisse und zeigt Komplexitäten und Debatten auf (z.B. Gandhi vs. Savarkar). Und ich feiere das total.
Mir ist nicht klar, wie Mithu Sanyal das bewerkstelligt, zwischen Writer`s Room und Popkultur auf der einen Seite und klassischen historischen auf der anderen Seite über 530 Seiten eine Geschichte zu schaffen, die bildet, unterhält und einen nicht mehr loslässt (in der dazu Doctor Who eine wesentliche Rolle spielt). Für mich ist Mithu Sanyal damit eine echte Künstlerin der deutschen Literaturszene und ich empfehle auch dieses Buch mit Verehrung.