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kaffeeelse
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psychologiebegeiste und Ethnographie liebende Vielleserin

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Insgesamt 92 Bewertungen
Bewertung vom 10.06.2025
Ammaniti, Niccolò

Intimleben


ausgezeichnet

Scheinbare Idylle

Maria Cristina Palma ist schön, reich und berühmt. Sie ist die Frau des italienischen Ministerpräsidenten Domenico Mascagni. Eine Frau an der Spitze Italiens. Italien bewundert sie, verehrt sie. Und Italien beobachtet sie. Nun ja. Die Vorstellung, dass man es geschafft hat, wenn man an der Spitze der Nahrungskette angekommen ist. Sie trügt. Denn natürlich hat die Macht auch Schattenseiten. Denn wer oben ist möchte auch oben bleiben. Und dies geschieht natürlich nicht ohne Folgen.

Niccolò Ammaniti beobachtet hier scharfzüngig und humorvoll, was es bedeuten könnte mit der Macht zu klüngeln. Denn ist Maria Cristina glücklich? Nun mag das Glücklichsein nicht unbedingt und ausschließlich mit dem Thema Macht und Geld verbunden sein. Aber wenn man ehrlich ist, hilft es nun einmal wenn man finanziell sorgenbefreit ist. Doch das finanziell sorgenbefreite Leben garantiert nun mal nicht allein das Glück. Und dies weiß Maria Cristina. Denn ist sie glücklich mit ihrem Mann? Ist sie glücklich in ihrem außergewöhnlichen Leben. Denn dieses Leben beinhaltet keine Ungestörtheit, um sie herum ist immer ein Gefolge. Und ihre Ehe. Nun. Diese ist ebenso in die Jahre gekommen und durch die Politik erkaltet. Denn die Politik, der Machterhalt bestimmt das Leben von Domenico und damit auch das Leben von Maria Cristina.

Und in diese schon allein recht brisante Gemengelage klopft nun die Vergangenheit an. In Gestalt von Nicola Sarti. Einem smarten Jugendfreund, mit dem Maria Cristina an ihr Leben vor dem Glamour und vor der Enge, die das Leben als Frau des Ministerpräsidenten so mit sich bringt, erinnert wird. Und damals war Maria Cristina eine Andere, lebenslustig, frech und recht unbedarft. Und dieses Unbedarfte zeigt sich in einem Video, welches Nicola ihr schickt. Ein sehr eindeutiges Video, in dem Maria Cristina und Nicola die lustvollen Hauptrollen spielen. Ein Schock für Maria Cristina. Denn was soll dieses Video für sie und ihren Mann bedeuten? Was will Nicola? Soll das eine Erpressung sein? Maria Cristina verfällt in eine Panik, hat Angst, aber andererseits führt ihr dies alles auch ihre jetzige Lage vor, ihre doch recht unglückliche Situation.

Niccolò Ammaniti blickt mit seinem Buch „Intimleben“ in die italienische Gesellschaft, aber ebenso in unsere gesamte westliche Welt des Scheins. Man möchte der Umwelt ein Sein präsentieren, was der Umwelt zeigt, schaut her ich bin glücklich und mir geht es sehr gut. Doch wenn man dann die Masken fallen lässt, die Verkleidungen enthüllt, was bleibt dann? Und was ist letztendlich wichtig im Leben. Nun ja, dies ist jetzt nicht die allerneuste These. Aber Niccolò Ammaniti erzählt diese These leicht und mitreißend, und auch recht humorvoll. „Intimleben“ ist ein sehr schönes, mit bösem Humor durchsetztes kluges Buch über unsere Scheinwelten, die ja nicht nur in der Haute Volée bestehen, sondern überall zu finden sind.

Lesen!

Bewertung vom 10.06.2025
Gibson, Marion

Hexen


ausgezeichnet

Hexenmacht und die Angst davor

Marion Gibson schaut hier in diesem wirklich gut recherchierten Buch auf das Thema Hexen. Ein mich seit Jahren umtreibendes Thema. Denn wie geht so etwas? Gut, das mag vielleicht etwas naiv klingen. Denn der Mensch ist halt der Mensch. Dann kommt noch der patriarchal tickende Mensch hinzu. Und naja. Frauen mit Macht. Dies geht nun mal gar nicht. Und bei uns in Deutschland, Gefilden, in denen die Hexenprozesse sehr massiv wüteten, waren die Hexenjäger recht agil. Schätzungen besagen, dass es allein in Deutschland 40000 Hexenverbrennungen von 1450 bis 1750 gab, das ist mehr als die Hälfte der Hexenverbrennungen in Gesamteuropa. Und dies spricht nicht unbedingt für uns als Gesellschaft. Nun könnte man sagen, dies war damals. Doch ist dies wirklich nur auf das Damals zu beziehen? Frauen mit Macht. Frauen in Machtpositionen. Wo sind sie bei uns zu finden in Zeiten der Frauenquoten? Und wenn sie denn mal in Machtpositionen angekommen sind. Was passiert dann? Man schaue mal auf unsere ehemalige Kanzlerin. Wie ist über sie geredet worden? Was war damals ihr Erscheinungsbild wichtig? Als ob dies irgendetwas über ihre Fähigkeiten aussagt. Oder haben wir schon einmal gelesen, dass es wichtig wäre, wie unser jetziger Kanzler auftritt, was er angezogen hat. Übrigens auch jemand, der damals an Angies Macht kratzte, sägte. Wie so viele andere. Wie reden bestimmte Kreise noch heute über sie? Wie wird über Frau Baerbock und Frau Lang gehetzt? In teilweise sehr beschämender Weise! Und was passiert? Nichts. Über Frau Merkel sagte damals ein führender Politiker der unsäglichen Blauen, Wir müssen Sie jagen. Und. Was passierte? Nichts. So etwas darf man anscheinend sagen. Nun ist das keine Hexenverbrennung, aber vergleichbar ist es dennoch. Denn Frauen in Machtpositionen sehen patriarchale Kräfte nicht so gern und versuchen gegen sie vorzugehen.

Marion Gibson schaut in ihrem Buch „Hexen“ auf 13 Hexenprozesse, angesiedelt vom Mittelalter bis in die heutige Zeit und sie zeigt damit, dass eben jene Hexenverfolgung des Mittelalters nicht aufgehört hat, sich nur verändert hat. Marion Gibson schaut auf die Opfer, gibt ihnen Gesichter und verleiht ihnen ihre Stimme. Sie schaut auf die Gründe, auf diese unsägliche Machtgier, auf den Kolonialismus, auf die Angst vor nicht passender und/oder indigener Spiritualität, auf politische Verschwörungen. Sie schaut auf das Damals, aber eben nicht nur, denn über dieses Damals gibt es Überschneidungen ins Jetzt. Man sollte niemals glauben, dass es Hexenverfolgungen nicht mehr gibt. Sie enden halt nur nicht auf dem Scheiterhaufen. Denn mundtot gemacht werden funktioniert in recht vielfältiger Weise. Das Patriarchat ist da recht erfinderisch und wird sich niemals ohne kämpferische Aktivitäten die Macht nehmen lassen. Man braucht nur in die heutige politische Landschaft zu schauen und dann findet man sie, unsere heutigen Hexenverfolgungen. Unsere heutigen Diffamierungen an den Menschen, die an der patriarchalen Macht sägen. Dies trifft nicht nur Frauen. Siehe Habeck. Denn das Patriarchat hat auch mediale Verflechtungen und die Springer Presse agiert hier recht fleißig. Und diese Presse hat eine immense Reichweite, wie uns auch diese beschämende Covid-Zeit zeigte. Noch heute befinden wir uns in den Folgen dieser Hetzwelle, die damals und heute auf viele offene Ohren stieß und auch diese Zeit hat viele Hexenverfolgungen gezeigt.

Also Obacht, denn auch heute gibt es dieses Verfolgen von Personen, die dem ach so heiligen Patriarchat gefährlich werden können. Die Angst vor dem Machtverlust gebiert fürchterliche Dinge!!!

Marion Gibsons Buch „Hexen“ kann ich nur empfehlen, denn es schaut recht weit gefächert und sehr gut recherchiert auf das Damals und das Jetzt der Hexenverfolgungen. Ein wirklich erhellendes Buch!!!

Bewertung vom 10.06.2025
Levy, Deborah

Heim schwimmen


ausgezeichnet

Urlaubspläne und deren extravagante Umsetzung

Urlaub. Was für ein schönes Wort! Ausruhen. Entspannen. Relaxen. Auftanken.

Herrlich, nicht!?!?

Aber geht dies eigentlich wirklich?

Der Frage geht Deborah Levy in ihrem Buch „Heim schwimmen“ nach. Eine Gruppe von Menschen macht in einer Villa bei Nizza Urlaub. Sie kommen aus London und wollen in dieser inspirierenden französischen Welt am Mittelmeer, in flirrender Hitze, inmitten von Lavendelfeldern entspannen. Doch geht das so einfach, denn man nimmt ja das eigene Leben, das eigene Erleben mit in den Urlaub. Man nimmt die familiären Zwiste mit und wie hier, denn diese Urlauber sind zwei befreundete Familien, man nimmt auch die Probleme der Freunde untereinander mit. Denn obwohl man familiär und freundschaftlich verbandelt ist, es gibt auch das Dunkle innerhalb des menschlichen Miteinanders. Und so finden das Ehepaar Josef und Isabel Jacobs, ihre Tochter Nina und das befreundete Paar, Mitchell und Laura ihren wohlverdienten Urlaub. Und sie finden nicht nur diesen, nicht nur die notwendige Erholung.

In diese schon allein recht gefährliche Gemengelage trifft noch Kitty Finch. Eine junge Frau, die Probleme mit ihrer Unterkunft hat und deswegen ebenso in der Villa Unterschlupf findet, der ihr von den Mietern der Villa gewährt wird.

Ein Zufall. Ja. Nein. Vielleicht.

Deborah Levy hatte mich schon mit ihrem Buch „Heiße Milch“ richtig begeistert und dies schafft sie hier bei „Heim schwimmen“ wieder. Ihre Zeichnung der Charaktere, diese Zeichnung des menschlichen Miteinanders ist fulminant und zeigt eine besondere Beobachtungsgabe der Autorin und ebenso zeigen die Bücher von Deborah Levy auch eindrucksvoll, dass sie eben das Beobachtete menschliche Miteinander auch authentisch und spannend, sinnlich, lebendig und anschaulich in Romanform umsetzen kann. Alles bisher von dieser Autorin Gelesene empfehle ich uneingeschränkt. Also los Leute, ran an die Bücher von Deborah Levy.

Bewertung vom 10.06.2025
Dolovai, Verena

Dorf ohne Franz


sehr gut

Ein Blick auf weibliches Leben

Maria, Josef und Franz wachsen in den 60er Jahren in einem österreichischen Dorf in den Bergen auf. Ihre Familie ist patriarchal geprägt, der Vater ist autoritär, gegen ihn lehnt sich niemand in der Familie auf. Nun könnte man meinen, dass die Struktur des dörflichen Lebens das Althergebrachte fördert und das Leben der drei Geschwister auch auf die Umgebung anwendbar wäre. Aber dies ist eindeutig zu einfach gedacht und diesen Fehler macht die Autorin Verena Dolovai nicht. Denn Freundinnen von Maria schaffen den Absprung aus der engen dörflichen Welt in die weitere Welt der Stadt. Nur Maria schafft dies nicht. Denn sie wird schon von früh an in ihre spätere Lebenswelt gedrängt. Sie ist das Sandwich-Kind der Familie, sie ist eine Frau, also wird sie nichts erben, aber sie darf von früh an sehr viel arbeiten, Ausbildung ist auch nicht so wichtig, aber ihre Arbeitskraft auf dem eigenen Hof. Und diese Strukturen bedient halt leider die Mutter von Maria genauso. Was traurig ist! Sehr traurig! Denn wie sollen sich die althergebrachten patriarchalen Strukturen verändern, wenn diese selbst von dem benachteiligten Geschlecht gefördert werden!?!?

Als Einziger in der Familie schafft es Franz als das Nesthäkchen der Familie, als der geliebte Sohn der Mutter der familiären Struktur und Gewalt zu entkommen und er ermöglicht dadurch erst dieses Dorf ohne Franz. Maria bemerkt erst relativ spät die Ursache dieser Flucht von Franz, wobei hier der Neid sicher auch eine Rolle spielt und das Hadern mit der eigenen Rolle und das bildungsferne Leben.

Nun ist das Erzählte sehr traurig, aber es macht mich auch wütend. Denn solche Strukturen machen ja alle Beteiligten erst möglich. Ja. Alle Beteiligten! Die Frauen in der Familie und die Frauen der Umgebung. Die Männer auch. Aber bekanntlich nutzt ihnen dieses Procedere auch mehr. In der Vergangenheit, aber manchmal auch im Jetzt.

Man weiß ja bei der Lektüre des Buches, wann und wo das Geschehen spielt. Aber das Geschilderte ließe sich auch unproblematisch auf frühere Zeiten implizieren. Also ist in manchen Gefilden, in manchen Familien die Vergangenheit sehr aktiv und man wähnt sich als feministisch eingestellte Leserin auf einem fremden Planeten. Schlimm!

Dennoch ließ mich das Buch auch etwas kalt, denn die Charakterzeichnung der Maria wirkt recht kühl gezeichnet. Jeder, der mich und meine Sichten auf die buchige Welt kennt, wird wissen, dass da etwas für mich fehlt. Deswegen auch meine 4 Sterne Bewertung. Denn die Thematik trifft mich natürlich vollkommen! Aber die Charaktere tun dies nicht, sie lassen mich relativ kalt und ich schaue aus einer gewissen Distanz.

Bewertung vom 10.06.2025
Erdrich, Louise

Spuren


ausgezeichnet

Ein Blick auf das indigene Gestern

Die Lebenswelt der Indigenen in Amerika Anfang des vorigen Jahrhunderts. Louise Erdrich gibt in ihren Büchern gute Überblicke über das Geschehen in den Indigenen-Gemeinschaften in der damaligen Zeit. Von dieser wunderbaren Autorin kenne ich schon „Der Klang der Trommel“, „Von Büchern und Inseln“, „Die Wunder von Little No Horse“, „Liebeszauber“ und „Die Rübenkönigin“. Und ich liebe diese Blicke in eine fremde Welt, ich liebe den Magischen Realismus in den Texten. Louise Erdrich hat selbst indigene Wurzeln in der mütterlichen Linie, ihre Familie war im Kontakt mit den Indigenen der USA, von daher hatte sie von früh an Einblicke in die indigenen Lebenswelten. Und genau dies merkt man den Büchern der Autorin an. Seit meinem ersten gelesenen Buch von Louise Erdrich, „Der Klang der Trommel“ bin ich begeistert von dieser Autorin. Ich hatte mir nach der Lektüre von „Die Wunder von Little No Horse“ vorgenommen, die Bücher der Erdrich in der Reihenfolge ihres Erscheinens in den USA zu lesen. Denn in den Büchern erscheinen Figuren aus den älteren Romanen wieder. Die Bücher sind nicht unbedingt in chronologischer Reihenfolge geschrieben. Dennoch finde ich es gut das Leben dieser Charaktere in der USA-Reihenfolge zu betrachten. „Liebeszauber“ und „Die Rübenkönigin“ sind die ersten beiden Romane von Louise Erdrich, „Liebeszauber“ ist in den USA 1984 erschienen und „Die Rübenkönigin“ im Jahre 1986. „Spuren“ ist das dritte Buch von Louise Erdrich, in den USA wurde es 1988 herausgebracht. Ich finde es sehr gut, dass es in den USA auch Bestrebungen gibt, das Augenmerk auf das Erleben der Indigenen zu richten. Seit dem Erscheinen des Films „Little Big Man“ von Arthur Penn im Jahre 1970 scheint sich in den USA da etwas zu verändern. Dass einer indigenen Autorin ein Podium geboten wird, ist ein richtiger und wichtiger Schritt. Dass Louise Erdrich natürlich mit ihren Romanen auch ihre schriftstellerische Stärke zeigt, trägt natürlich auch zu ihren Erfolgen bei.

In den bisherigen Romanen spielten Menschen der Familien Kashpaw, Lamartine, Lazarre, Nanapush, Morrissey, Pillager und Adare eine bedeutende Rolle. Und genau diese Familien, ihre Charaktere, besonders die indigenen Familien spielen auch in „Spuren“ eine tragende Rolle. Was passierte mit den Indigenen Anfang des vorigen Jahrhunderts in den USA. Beispielhaft dafür stehen hier die Chippewa in North Dakota, genau das Volk, dem auch die Vorfahren der Autorin Louise Erdrich und auch die Autorin selbst entstammen. Die Chippewa waren früher auch unter dem Namen Ojibwa bekannt und sind ein Volk, welches sich früher als Wildreis-Ernter, Jäger, Fischer und in einem kleinen Umfang auch Gartenbauer ernährte. Der große Bezug zur Natur müsste bei dieser Lebensweise völlig nachvollziehbar sein, besonders wenn man hier noch bedenkt wie lebensfeindlich ihre Umwelt in den US-amerikanischen Bundesstaaten North Dakota, Minnesota, Wisconsin, Michigan und den kanadischen Provinzen Manitoba und Ontario sein kann, dem einstigen Wohngebiet der Chippewa (Saulteaux) und Chippewa (Ojibwa).

Louise Erdrichs Bücher zeigen eine andere Welt, andere Sichten aufs Leben und besonders zeigen sie charismatische Charaktere, die die Erdrich sofort in das geneigte Herz der Leser schreibt.

Und so kann ich natürlich nur rufen:

Lesen!!!

Bewertung vom 10.06.2025
Beer, Elisabeth

Die Bücherjägerin


ausgezeichnet

Eine Ode an Sarah

Sarah ist der Hauptcharakter in dem Buch „Die Bücherjägerin“ von Elisabeth Beer. Sarah ist ebenjene Bücherjägerin. Damit ist Sarah eine von uns. Sarah mag Bücher, mag sie sehr! Weniger mag sie Menschen. Sie ist schrullig und sie ist liebenswert. Sehr liebenswert!

Sarah wurde mit ihrer Schwester Milena von ihrer Tante Amalia großgezogen, da die Eltern der beiden Schwestern bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kamen. Sarah war damals 9 Jahre alt und Milena war siebenjährig. Ein Drama für zarte Kinderherzen. Und ein Trauma. Dieser Wechsel aus dem streng und hierarchisch und auch etwas lieblos aufgebauten Elternhaus zu einer locker und allein lebenden Frau, kombiniert mit dem erlittenen Verlust macht natürlich etwas mit den Mädchen. Dennoch gleichen sich die beiden Mädchen in einem wichtigen Aspekt nicht. Sarah trägt autistische Züge, hat Probleme die Signale ihrer menschlichen Umwelt richtig zu deuten, eckt mit ihrer Art an und flüchtet sich in eine bibliophile Welt. Amalia entdeckt diese Wesenszüge von Sarah und fördert das Mädchen dementsprechend. Amalia ist Antiquitätenhändlerin und bibliophil, führt Sarah in ihre Welt hinein. So findet Sarah für sich einen Lebenszweck. Bis zum Tod von Amalia. Wieder bricht eine Welt ein. Da Amalia nicht so eine perfekte Organisatorin war, hängt die Zukunft von Sarah an einem seidenen Faden, Schulden häufen sich auf. Die Ankunft von Bibliothekar Ben in Sarahs Welt bringt eine Veränderung. Er sucht eine alte Karte, an der schon ihre Tante Amalia interessiert war, erst blockt Sarah ab, aber ihre etwas prekäre Lage lässt sie dann in eine Aktion kommen. Ben und Sarah machen sich gemeinsam auf die Suche nach der alten Karte und finden gemeinsam so Vieles.

Die Suche nach dieser Karte macht aus diesem Buch eine Art Abenteuerroman, der aber gespickt ist von Rückblicken auf Amalias und Sarahs Leben. Sarahs Wesen inspiriert wiederum Ben und in Bens Wesen gibt es viele Gleichnisse zu Sarah. Gemeinsamkeiten verbinden halt auch irgendwie. Dieses Miteinander der beiden Charaktere habe ich sehr geliebt!

Ansonsten bezaubert das Buch „Die Bücherjägerin“ durch das Bibliophile im Text, durch die vielen Verweise auf Bücher, durch das darin enthaltene neugierig machen, durch das Hinführen zum Buch, durch die lockere und humorvolle Schreibe

Aber am meisten hat mich aber der Charakter Sarah berührt! Wegen so einiger Gemeinsamkeiten, wegen ihrer Art, ich bin so dermaßen Team Sarah! Love it!

Lesen!!!

Bewertung vom 10.06.2025
Büsing, Annika

Wir kommen zurecht


ausgezeichnet

Anspruchsvolles Familienleben

Wir kommen zurecht. Ja. Wir kommen zurecht. Aber kommen wir füreinander zuträglich zurecht? Dieser Frage geht Annika Büsing in ihrem neuen Roman „Wir kommen zurecht“ nach. Denn Familienleben sind auch oft Höhlen voller dunkler Geheimnisse.

So auch in der Familie von Philipp, der Hauptperson in „Wir kommen zurecht“. Er lebt mit seinem Vater Lothar, einem erfolgreichen Chirurgen und dessen Freundin Stella zusammen. Seine Mutter Astrid hat die Familie verlassen, ist psychisch erkrankt und damit eine gewisse Belastung für die Familie, aber ebenso ein mit sich selbst hadernder Mensch. Das Fehlen der Mutter und die durch die psychische Erkrankung belastete vergangene Zeit beschäftigen Philipp sehr. Halt findet er bei seinem Freund Lorenz. Philipp und Lorenz stützen sich und durchschreiten gemeinsam ihre Jugend. Auch ein Liebeschaos fehlt natürlich nicht, einst war Philipp mit Lisa verbändelt, bis deren Schwester Mascha in Philipp etwas entzündet und so die Welt in ein gewisses Feuer taucht. Doch auch Philipps Mutter Astrid sorgt für Spannung, hat sie sich doch nicht vollkommen aus Philipps Leben zurückgezogen, sondern taucht halt immer wieder auf und je nach Stimmungslage gestalten sich diese Momente mehr oder weniger schwierig. Eine Gemengelage, die Erwachsene schon stark fordern können, was macht aber so etwas mit einem Heranwachsenden?

Coming of age ist ein für mich relativ schwieriges Gebiet. Oft kann ich mich nicht so richtig für die Charaktere erwärmen und ich erlebe solche Bücher oft etwas von außen. Nicht so bei Annika Büsing. Sie trifft mich ins Herz mit ihrer Charakterzeichnung. Selbst die männliche Rolle Philipp erreicht mich völlig. Natürlich schlägt mein Herz für psychisch Erkrankte, mein Arbeitsfeld ist denke ich sehr gut gewählt. Von daher hat das Buch durch den Charakter Astrid schon einmal völlig meine Aufmerksamkeit. Denn psychiatrische Erkrankungen treffen den Betroffenen und seine Familie, sein Umfeld. Alle müssen sich plötzlich mit stark veränderten Gegebenheiten auseinandersetzen und müssen sehen, wie sie mit diesen neuen Umständen klarkommen. Dies fängt Annika Büsing empathisch und sehr gekonnt in ihrem neuen Buch ein und begeistert mich damit sehr. Denn was kann es bedeuten einen psychisch kranken Menschen in der eigenen Familie zu haben? Dies noch in Kombination zu setzen mit dem Thema Coming of age, welches ja ebenso ein Ausnahmezustand ist, ist absolut interessant gewählt. Damit stellt sich ein Schreibender einer großen Herausforderung. Dies glaubhaft zu schildern ist nicht einfach.

Annika Büsing meistert diese Thematik gekonnt und intensiv. Ich habe das Buch sehr geliebt und wünsche ihm viele Leser. Denn dieser Abstand zu psychiatrischen Erkrankungen muss verschwinden, gerade wegen der großen Anzahl der Betroffenen. Unsere momentan sehr anspruchsvolle Zeit fördert psychische Erkrankungen, von daher müssen wir alle einen neuen und empathischen Umgang damit erlernen. Annika Büsing hat einen Beitrag dazu mit ihrem Buch „Wir kommen zurecht“ geliefert. Danke dafür!

Lesen!

Bewertung vom 10.06.2025
Kanapé Fontaine, Natasha

Kanatuut


ausgezeichnet

Indigene Sichten

Indigene Sichten. Schon früh begeisterte mich die Welt der Indigenen der Amerikas. Dann kamen die Welten des Sudan in Afrika hinzu, die Adivasi-Stämme in Indien, die südostasiatischen Bergstämme und die Aborigines in Australien. Meine Liebe zur Ethnographie wurde geboren. Dass ich dann auch heute die Lektüre von indigenen Sichten favorisiere, dürfte jedem geneigten Leser meiner Ergüsse klar sein.

„Kanatuut“ hüpfte während der Buchmesse in Leipzig vor meine Augen und ich war natürlich sofort Feuer und Flamme.

Natasha Kanapé Fontaine ist eine Autorin der Innu, einem Volk, welches früher unter dem Namen Montagnais bekannt war. Von diesem Volk kenne ich schon die Autorin Naomi Fontaine und ihr Buch „Die kleine Schule der großen Hoffnung“, übrigens ein wundervolles Buch. Die Nachnamen verwirrten mich etwas, Natasha Kanapé Fontaine ist 1991 in Baie-Comeau geboren, ist Teil der Innu-Gemeinschaft von Pessamit und Naomi Fontaine wurde 1987 in Uashat (Sept-Iles) geboren, ist Teil der Innu-Gemeinschaft von Uashat. Beide Innu-Gemeinschaften leben in Quebec. Die Innu gehörten früher dem subarktischen Kulturarreal an, waren früher subarktische Jäger und Sammler. Von den 18000 Innu sprechen noch 10000 ihre Ilnu-Aimun-Sprache oder Innu-Aimun-Sprache, was darauf schließen lässt, dass die alte Innu-Kultur noch recht lebendig ist. Besonders wenn man dies mit anderen Indigenen-Gemeinschaften von Nordamerika vergleicht.

Nun hat sich die Autorin Natasha Kanapé Fontaine zum Ziel gesetzt mit ihrem Buch die alte Kultur der Innu am Leben zu erhalten und so fließen in ihre Geschichten in „Kanatuut“ die alten Mythen der Innu mit hinein. Aber nicht nur der Innu, auf ihren Reisen begegnet sie auch in Neuseeland und Hawaii altem Wissen und verbindet auch die dortigen polynesischen Sichten in ihre Geschichten, oder sie begegnet auch in Grönland altem Wissen und flicht dies in ihre Geschichten hinein. Ja, das alte Wissen gibt es eigentlich überall, auch in unseren europäischen Gefilden findet sich viel Altes in unseren vom Christentum übertünchten Festen. Man muss sich halt nur damit befassen und plötzlich findet man das Alte überall und bemerkt, dass es nicht verschwunden ist, nur verändert wurde.

Und ja, vielleicht ist dieses Alte auch ein Schlüssel für ein neues Verständnis unserer Umwelt. Denn alles hat auch irgendwann ein Ende, ist abgebaut, ist verbraucht und verdaut. Und was ist dann?!

„Kanatuut“ ist eine Sammlung von Geschichten, die mit Magischem Realismus gespickt sind, die in mir klingen und die ich liebe. Eröffnen sie doch eine Welt, der wir alle entspringen. In unserer Vergangenheit. Oder auch in der Welt der Indigenen, in einem Jetzt.

Lesen!!!

Bewertung vom 10.06.2025
Choi, Susan

Vertrauensübung


sehr gut

Das Gestern und das Heute

Sarah und David und das Spiel um Freundschaft, Sex und Liebe. Sarah und David gehören zu den Glücklichen, die auf der Elite-Schauspielschule CAPA aufgenommen werden. Sie lernen dort die Feinheiten der Schauspielkunst. Aber nicht nur das. Sie lernen auch die Feinheiten des Zwischenmenschlichen. Also ein Coming of age Roman, der im ersten Teil im Jahre 1982 angesiedelt ist. Erinnert mich stark an „Fame – der Weg zum Ruhm“, der mich in den vergangenen Jahren stark beschäftigte. Die Süße der Jugend, die Unbedarftheit, die auf die Realität trifft. Man will gefallen, will alles richtig machen, will gut sein und dazu kommen dann die Gefühlsstürme, die gerade in der Jugend das Einzige, einfach Alles sind. In diesen Gefühlsstürmen verkennt man die Realität und macht Fehler. Aus denen man vielleicht, aus denen man hoffentlich etwas lernt. Aber nicht nur das Erwachsenwerden der beiden Hauptfiguren wird in diesem ersten Teil des Buches thematisiert. Auch ihre Ankunft in der Realität, in der CAPA mit ihren Machtfiguren, den Lehrern, die schlussendlich mit ihren Urteilen das weitere Leben der jungen Probanden bestimmen. Dies zum Titel des Buches, „Vertrauensübung“, in einen Kontext zu bringen erklärt so einiges über unsere Welt. Denn wenn man mit diesen Machtpersonen übereinkommt, kann dies sehr gehaltvoll sein. Dies lernen die jungen und neuen Mitglieder unserer Gesellschaft in diesen Schulen, wenn sie es nicht schon vorher verinnerlicht haben. Und so kommt eine Gesellschaftskritik in diese Coming of age Story. Dies zum ersten Teil des Buches.

Der zweite Teil des Buches lässt die Geschichte zwanzig Jahre später aus der Sicht einer anderen Erzählerin ganz anders wirken. Was ist die Wahrheit? Jeder hat bekanntlich eigene Wahrheiten zu vergangenen Dingen. So auch hier. Was man sich als Leserin hier herausnehmen kann, bleibt auch dem bisherigen eigenen Erleben unserer Welt überlassen. Denn sicher spielt das Erleben der Leserschaft hier eine große Rolle. Wo stand man selbst irgendwann? Was kann man daher in diese Geschichte spiegeln? Wo sind die eigenen Vertrauensübungen? Und was haben sie mit einem selbst gemacht. Welche Teile dieser Reise kennt man eigentlich? Bewusst und unbewusst. Was können einem eigene Vergangenheiten darüber mitteilen?

Aus dieser Sicht heraus finde ich das Buch recht gelungen, auch wenn mich die Schreibe hier doch nicht vollkommen erreicht hat und die Charaktere für mich doch etwas blass blieben. Aber auch das hat sicher einen Grund, wenn ich noch einmal darüber resümiere.

Bewertung vom 10.06.2025
Ferraro, Nicolás

Ámbar


ausgezeichnet

Ámbars Weg

„Ámbar“ von Nicolás Ferraro. Dieses Buch hat mich auf eine richtig interessante Reise mitgenommen. Einerseits wird mit der Titelheldin Ámbar eine Coming of age Story erzählt, die aber eben nicht in dieser doch etwas eintönig und lahm erzählten Weise das Thema Erwachsenwerden beschreibt, sondern eher von einem Mädchen berichtet, dass schon viel früher gezwungen wurde erwachsener zu reagieren. Denn Ámbar ist die Tochter eines argentinischen Gangsters, der es mit der trauten Familienidylle nicht so hat, schon allein aus dem ihm selbst entsprungenen Überlebenswillen heraus. Denn Victor Mondragón hat schon einiges gesehen, hat auch einiges auf dem Kerbholz, sodass seine Tochter mit vielem konfrontiert wird, was sonst den Töchtern der Familien eher erspart bleibt. Und so wächst natürlich ein anderes Geschöpf an der Seite von Victor Mondragón heran, als dass man sich einen Charakter in einem Coming of age Roman so vorstellt. Da das Buch ja auch dem Genre Thriller unterstellt ist, passt das natürlich auch in der Vermarktung und in der Story. Denn das Buch ist genau das, obwohl eine Coming of age Story ebenso darin angesiedelt wurde.


Das Genre Thriller ist bei diesem Buch gut gewählt. Denn langweilig und eintönig kann man dieses Buch sicher nicht nennen. Eher wähnt sich der geneigte Leser in einem blutigen Tarantino-Streifen. Denn zimperlich ist der Autor Nicolás Ferraro in seinem Buch beileibe nicht und zimperlich ist auch Ámbars Vater Victor Mondragón eher nicht.


Nun hätte ich mir auf diesem Roadtrip von Vater und Tochter durch Argentiniens Welten etwas mehr Informationen zur Landschaft gewünscht, doch erscheint mir dieser Wunsch in einem Buch der Gattung Thriller nun doch etwas vermessen.


Herausragend an diesem Buch ist für mich die Entwicklung der titelgebenden Figur Ámbar. Eine Tochter an der Seite ihres kriminellen Vaters. Eine fehlende Mutterfigur und die vielschichtigen Gründe ihrer Abwesenheit, ein Thema, das richtig gut in diesem Buch bearbeitet und dargestellt wird. Und etwas, was für die Entwicklung der Figur Ámbar absolut wichtig erscheint. Einerseits wird so die Bindung zwischen Victor und Ámbar noch drastischer und intensiver, andererseits erklärt das Fehlen der Mutterfigur ebenso einiges in Ámbars Wesen. Genau wie die Entwicklung der Titelfigur dadurch noch nachvollziehbarer wird. Ámbar war mir in diesem Buch sehr nahe, ihre Gestaltung, ihre Art und ihre Entwicklung. Ich habe mein Herz an Ámbar verloren, denn die Entwicklung des Mädchens berührt mich sehr.


Gerade die Gestaltung des Buches als Thriller und als Entwicklungsroman ist in meinen Augen definitiv herausragend. Ein spannendes und inhaltvolles Buch, welches für mich vollkommen nachvollziehbar ausgezeichnet wurde und dem ich definitiv eine große Leserschaft wünsche.