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kaffeeelse
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psychologiebegeiste und Ethnographie liebende Vielleserin

Bewertungen

Insgesamt 86 Bewertungen
Bewertung vom 10.06.2025
Büsing, Annika

Wir kommen zurecht


ausgezeichnet

Anspruchsvolles Familienleben

Wir kommen zurecht. Ja. Wir kommen zurecht. Aber kommen wir füreinander zuträglich zurecht? Dieser Frage geht Annika Büsing in ihrem neuen Roman „Wir kommen zurecht“ nach. Denn Familienleben sind auch oft Höhlen voller dunkler Geheimnisse.

So auch in der Familie von Philipp, der Hauptperson in „Wir kommen zurecht“. Er lebt mit seinem Vater Lothar, einem erfolgreichen Chirurgen und dessen Freundin Stella zusammen. Seine Mutter Astrid hat die Familie verlassen, ist psychisch erkrankt und damit eine gewisse Belastung für die Familie, aber ebenso ein mit sich selbst hadernder Mensch. Das Fehlen der Mutter und die durch die psychische Erkrankung belastete vergangene Zeit beschäftigen Philipp sehr. Halt findet er bei seinem Freund Lorenz. Philipp und Lorenz stützen sich und durchschreiten gemeinsam ihre Jugend. Auch ein Liebeschaos fehlt natürlich nicht, einst war Philipp mit Lisa verbändelt, bis deren Schwester Mascha in Philipp etwas entzündet und so die Welt in ein gewisses Feuer taucht. Doch auch Philipps Mutter Astrid sorgt für Spannung, hat sie sich doch nicht vollkommen aus Philipps Leben zurückgezogen, sondern taucht halt immer wieder auf und je nach Stimmungslage gestalten sich diese Momente mehr oder weniger schwierig. Eine Gemengelage, die Erwachsene schon stark fordern können, was macht aber so etwas mit einem Heranwachsenden?

Coming of age ist ein für mich relativ schwieriges Gebiet. Oft kann ich mich nicht so richtig für die Charaktere erwärmen und ich erlebe solche Bücher oft etwas von außen. Nicht so bei Annika Büsing. Sie trifft mich ins Herz mit ihrer Charakterzeichnung. Selbst die männliche Rolle Philipp erreicht mich völlig. Natürlich schlägt mein Herz für psychisch Erkrankte, mein Arbeitsfeld ist denke ich sehr gut gewählt. Von daher hat das Buch durch den Charakter Astrid schon einmal völlig meine Aufmerksamkeit. Denn psychiatrische Erkrankungen treffen den Betroffenen und seine Familie, sein Umfeld. Alle müssen sich plötzlich mit stark veränderten Gegebenheiten auseinandersetzen und müssen sehen, wie sie mit diesen neuen Umständen klarkommen. Dies fängt Annika Büsing empathisch und sehr gekonnt in ihrem neuen Buch ein und begeistert mich damit sehr. Denn was kann es bedeuten einen psychisch kranken Menschen in der eigenen Familie zu haben? Dies noch in Kombination zu setzen mit dem Thema Coming of age, welches ja ebenso ein Ausnahmezustand ist, ist absolut interessant gewählt. Damit stellt sich ein Schreibender einer großen Herausforderung. Dies glaubhaft zu schildern ist nicht einfach.

Annika Büsing meistert diese Thematik gekonnt und intensiv. Ich habe das Buch sehr geliebt und wünsche ihm viele Leser. Denn dieser Abstand zu psychiatrischen Erkrankungen muss verschwinden, gerade wegen der großen Anzahl der Betroffenen. Unsere momentan sehr anspruchsvolle Zeit fördert psychische Erkrankungen, von daher müssen wir alle einen neuen und empathischen Umgang damit erlernen. Annika Büsing hat einen Beitrag dazu mit ihrem Buch „Wir kommen zurecht“ geliefert. Danke dafür!

Lesen!

Bewertung vom 10.06.2025
Kanapé Fontaine, Natasha

Kanatuut


ausgezeichnet

Indigene Sichten

Indigene Sichten. Schon früh begeisterte mich die Welt der Indigenen der Amerikas. Dann kamen die Welten des Sudan in Afrika hinzu, die Adivasi-Stämme in Indien, die südostasiatischen Bergstämme und die Aborigines in Australien. Meine Liebe zur Ethnographie wurde geboren. Dass ich dann auch heute die Lektüre von indigenen Sichten favorisiere, dürfte jedem geneigten Leser meiner Ergüsse klar sein.

„Kanatuut“ hüpfte während der Buchmesse in Leipzig vor meine Augen und ich war natürlich sofort Feuer und Flamme.

Natasha Kanapé Fontaine ist eine Autorin der Innu, einem Volk, welches früher unter dem Namen Montagnais bekannt war. Von diesem Volk kenne ich schon die Autorin Naomi Fontaine und ihr Buch „Die kleine Schule der großen Hoffnung“, übrigens ein wundervolles Buch. Die Nachnamen verwirrten mich etwas, Natasha Kanapé Fontaine ist 1991 in Baie-Comeau geboren, ist Teil der Innu-Gemeinschaft von Pessamit und Naomi Fontaine wurde 1987 in Uashat (Sept-Iles) geboren, ist Teil der Innu-Gemeinschaft von Uashat. Beide Innu-Gemeinschaften leben in Quebec. Die Innu gehörten früher dem subarktischen Kulturarreal an, waren früher subarktische Jäger und Sammler. Von den 18000 Innu sprechen noch 10000 ihre Ilnu-Aimun-Sprache oder Innu-Aimun-Sprache, was darauf schließen lässt, dass die alte Innu-Kultur noch recht lebendig ist. Besonders wenn man dies mit anderen Indigenen-Gemeinschaften von Nordamerika vergleicht.

Nun hat sich die Autorin Natasha Kanapé Fontaine zum Ziel gesetzt mit ihrem Buch die alte Kultur der Innu am Leben zu erhalten und so fließen in ihre Geschichten in „Kanatuut“ die alten Mythen der Innu mit hinein. Aber nicht nur der Innu, auf ihren Reisen begegnet sie auch in Neuseeland und Hawaii altem Wissen und verbindet auch die dortigen polynesischen Sichten in ihre Geschichten, oder sie begegnet auch in Grönland altem Wissen und flicht dies in ihre Geschichten hinein. Ja, das alte Wissen gibt es eigentlich überall, auch in unseren europäischen Gefilden findet sich viel Altes in unseren vom Christentum übertünchten Festen. Man muss sich halt nur damit befassen und plötzlich findet man das Alte überall und bemerkt, dass es nicht verschwunden ist, nur verändert wurde.

Und ja, vielleicht ist dieses Alte auch ein Schlüssel für ein neues Verständnis unserer Umwelt. Denn alles hat auch irgendwann ein Ende, ist abgebaut, ist verbraucht und verdaut. Und was ist dann?!

„Kanatuut“ ist eine Sammlung von Geschichten, die mit Magischem Realismus gespickt sind, die in mir klingen und die ich liebe. Eröffnen sie doch eine Welt, der wir alle entspringen. In unserer Vergangenheit. Oder auch in der Welt der Indigenen, in einem Jetzt.

Lesen!!!

Bewertung vom 10.06.2025
Choi, Susan

Vertrauensübung


sehr gut

Das Gestern und das Heute

Sarah und David und das Spiel um Freundschaft, Sex und Liebe. Sarah und David gehören zu den Glücklichen, die auf der Elite-Schauspielschule CAPA aufgenommen werden. Sie lernen dort die Feinheiten der Schauspielkunst. Aber nicht nur das. Sie lernen auch die Feinheiten des Zwischenmenschlichen. Also ein Coming of age Roman, der im ersten Teil im Jahre 1982 angesiedelt ist. Erinnert mich stark an „Fame – der Weg zum Ruhm“, der mich in den vergangenen Jahren stark beschäftigte. Die Süße der Jugend, die Unbedarftheit, die auf die Realität trifft. Man will gefallen, will alles richtig machen, will gut sein und dazu kommen dann die Gefühlsstürme, die gerade in der Jugend das Einzige, einfach Alles sind. In diesen Gefühlsstürmen verkennt man die Realität und macht Fehler. Aus denen man vielleicht, aus denen man hoffentlich etwas lernt. Aber nicht nur das Erwachsenwerden der beiden Hauptfiguren wird in diesem ersten Teil des Buches thematisiert. Auch ihre Ankunft in der Realität, in der CAPA mit ihren Machtfiguren, den Lehrern, die schlussendlich mit ihren Urteilen das weitere Leben der jungen Probanden bestimmen. Dies zum Titel des Buches, „Vertrauensübung“, in einen Kontext zu bringen erklärt so einiges über unsere Welt. Denn wenn man mit diesen Machtpersonen übereinkommt, kann dies sehr gehaltvoll sein. Dies lernen die jungen und neuen Mitglieder unserer Gesellschaft in diesen Schulen, wenn sie es nicht schon vorher verinnerlicht haben. Und so kommt eine Gesellschaftskritik in diese Coming of age Story. Dies zum ersten Teil des Buches.

Der zweite Teil des Buches lässt die Geschichte zwanzig Jahre später aus der Sicht einer anderen Erzählerin ganz anders wirken. Was ist die Wahrheit? Jeder hat bekanntlich eigene Wahrheiten zu vergangenen Dingen. So auch hier. Was man sich als Leserin hier herausnehmen kann, bleibt auch dem bisherigen eigenen Erleben unserer Welt überlassen. Denn sicher spielt das Erleben der Leserschaft hier eine große Rolle. Wo stand man selbst irgendwann? Was kann man daher in diese Geschichte spiegeln? Wo sind die eigenen Vertrauensübungen? Und was haben sie mit einem selbst gemacht. Welche Teile dieser Reise kennt man eigentlich? Bewusst und unbewusst. Was können einem eigene Vergangenheiten darüber mitteilen?

Aus dieser Sicht heraus finde ich das Buch recht gelungen, auch wenn mich die Schreibe hier doch nicht vollkommen erreicht hat und die Charaktere für mich doch etwas blass blieben. Aber auch das hat sicher einen Grund, wenn ich noch einmal darüber resümiere.

Bewertung vom 10.06.2025
Ferraro, Nicolás

Ámbar


ausgezeichnet

Ámbars Weg

„Ámbar“ von Nicolás Ferraro. Dieses Buch hat mich auf eine richtig interessante Reise mitgenommen. Einerseits wird mit der Titelheldin Ámbar eine Coming of age Story erzählt, die aber eben nicht in dieser doch etwas eintönig und lahm erzählten Weise das Thema Erwachsenwerden beschreibt, sondern eher von einem Mädchen berichtet, dass schon viel früher gezwungen wurde erwachsener zu reagieren. Denn Ámbar ist die Tochter eines argentinischen Gangsters, der es mit der trauten Familienidylle nicht so hat, schon allein aus dem ihm selbst entsprungenen Überlebenswillen heraus. Denn Victor Mondragón hat schon einiges gesehen, hat auch einiges auf dem Kerbholz, sodass seine Tochter mit vielem konfrontiert wird, was sonst den Töchtern der Familien eher erspart bleibt. Und so wächst natürlich ein anderes Geschöpf an der Seite von Victor Mondragón heran, als dass man sich einen Charakter in einem Coming of age Roman so vorstellt. Da das Buch ja auch dem Genre Thriller unterstellt ist, passt das natürlich auch in der Vermarktung und in der Story. Denn das Buch ist genau das, obwohl eine Coming of age Story ebenso darin angesiedelt wurde.


Das Genre Thriller ist bei diesem Buch gut gewählt. Denn langweilig und eintönig kann man dieses Buch sicher nicht nennen. Eher wähnt sich der geneigte Leser in einem blutigen Tarantino-Streifen. Denn zimperlich ist der Autor Nicolás Ferraro in seinem Buch beileibe nicht und zimperlich ist auch Ámbars Vater Victor Mondragón eher nicht.


Nun hätte ich mir auf diesem Roadtrip von Vater und Tochter durch Argentiniens Welten etwas mehr Informationen zur Landschaft gewünscht, doch erscheint mir dieser Wunsch in einem Buch der Gattung Thriller nun doch etwas vermessen.


Herausragend an diesem Buch ist für mich die Entwicklung der titelgebenden Figur Ámbar. Eine Tochter an der Seite ihres kriminellen Vaters. Eine fehlende Mutterfigur und die vielschichtigen Gründe ihrer Abwesenheit, ein Thema, das richtig gut in diesem Buch bearbeitet und dargestellt wird. Und etwas, was für die Entwicklung der Figur Ámbar absolut wichtig erscheint. Einerseits wird so die Bindung zwischen Victor und Ámbar noch drastischer und intensiver, andererseits erklärt das Fehlen der Mutterfigur ebenso einiges in Ámbars Wesen. Genau wie die Entwicklung der Titelfigur dadurch noch nachvollziehbarer wird. Ámbar war mir in diesem Buch sehr nahe, ihre Gestaltung, ihre Art und ihre Entwicklung. Ich habe mein Herz an Ámbar verloren, denn die Entwicklung des Mädchens berührt mich sehr.


Gerade die Gestaltung des Buches als Thriller und als Entwicklungsroman ist in meinen Augen definitiv herausragend. Ein spannendes und inhaltvolles Buch, welches für mich vollkommen nachvollziehbar ausgezeichnet wurde und dem ich definitiv eine große Leserschaft wünsche.

Bewertung vom 02.05.2025
Würger, Takis

Für Polina


ausgezeichnet

Liebe und Musik

Hannes und Polina. Hannes und Polina lernen sich ganz früh kennen, sie wachsen nebeneinander auf. Sie sind sich nah. Von früh an. Das klingt richtig schön. Nach Wohlfühlen und Genießen.

Ganz so ein Wohlfühlen und Genießen war es für mich nicht von Anfang an. Erst plätscherte die Geschichte etwas. Ich dachte so wo bin ich denn hier. Aber so nach und nach entzündete sich ein Funke, aus dem nach und nach ein Feuer wurde.

Dieses Buch entwickelt sich. Und gerade diese Entwicklung bedingt in mir diese 5 Sterne Bewertung.

Von Takis Würger kenne ich bisher seine Geschichte um Stella Goldschlag und „Der Club“. Beide Bücher haben mir gefallen, mich berührt, mich neugierig gemacht auf diesen Autor. Hier erfolgt nun meine 5 Sterne Bewertung.

Eine Bewertung für die Zeichnung der Charaktere Hannes und Polina. Erst leise tröpfelnd, entwickelt sich in der Lektüre ein Wasserfall, reißend und voller Kraft. Mag die Geschichte vielleicht etwas märchenhaft sein, ja, durchaus, dennoch braucht man manchmal auch etwas Märchenhaftes.

Zwei Frauen begegnen sich in der Klinik, in der ihre Kinder zur Welt kommen und bleiben befreundet. Wie auch ihre Kinder. Einfach schön.

Mein Herz schlägt übrigens für Fritzi, Hannes Mutter! Sie ist kraftvoll und herzlich. Sie schlägt sich durchs Leben, ist voller Power. Ist ein Underdog. Begegnet anderen Underdogs. Herrlich. Mein Herz schlägt einfach für Underdogs. Vielleicht bin ich auch durch diesen Charakter etwas von Hannes und Polina abgelenkt gewesen. Könnte ja durchaus sein.

Diese Kinder sind Hannes und Polina. Sie sind beieinander, sie entfernen sich. Sie sind im Leben, welches mit uns manchmal Katz und Maus spielt. Sie agieren und reagieren, sie machen Fehler, es gibt Missverständnisse. Wie im realen Spiel.

Herrlich empfinde ich in diesem Buch auch die Zeichnung der Musik. Für mich war Musik einmal sehr wichtig. Heute ist sie es immer noch. Aber Literatur und Musik liefern sich in meinem Leben bisher immer wieder Rennen, mit wechselseitigem Ausgang. Momentan ist die Literatur die Siegerin. Aber die Musik ist natürlich nach wie vor da. Und so gefällt mir die Wichtigkeit der Musik in diesem Buch natürlich sehr.

Wie mir auch Hannes und Polina sehr gefallen!

Lesen!!!

Bewertung vom 02.05.2025
Fernández, Nona

Die Toten im trüben Wasser des Mapocho


sehr gut

Ein Blick nach Santiago

Nona Fernández kenne ich schon vom Buch „Twiligth Zone“. Schon in diesem Buch fiel sie mir durch eine intensive Schreibe auf, eine Schreibe, die das Gestern mit dem Heute verbindet.

Blicke auf dieses Gestern findet man auch in diesem Buch hier. Rucia reist ihrer großen Liebe Indio nach Santiago de Chile nach. Auf dieser Reise begegnen Rucia allerlei eigenwillige Gestalten. Und mit diesen Gestalten kann die Leserschaft einen Blick auf die Geschichte Santiagos werfen. Ein interessantes Buch! Definitiv. Schon der Titel lässt ein Interesse entstehen. „Die Toten im trüben Wasser des Mapocho“. Was für eine Wahl! Nun ist ja bei den Lateinamerikanern immer mal wieder dieser Magische Realismus zu bewundern. Indianisches Erbe trifft auf die neuen Machthaber würde ich immer mal wieder gern sagen. Dieser Magische Realismus ist hier in diesem Buch zu 100 % vertreten. Man begegnet der Geschichte Chiles, man begegnet einer blutigen Geschichte. Klar, in den lateinamerikanischen Staaten in der Geschichte auf Mord und Totschlag zu stoßen ist nicht schwer. Ich sage nur Konquista. Aber eigentlich findet man dieses Blut und die Toten doch überall auf der Welt. Scheint mit der menschlichen Gier zusammen zu hängen. Leider!

Rucia fährt nach Santiago de Chile und sucht ihre Liebe Indio. Und hier kommt etwas Groteskes dazu. Denn Indio und Rucia sind Geschwister. Aber in ihrer Geschichte gibt es natürlich noch mehr. Geschehnisse, die eine tiefe Verbundenheit der Beiden aufzeigen. Was ihre Liebe füreinander erklären soll/erklären kann. Wer weiß. Dies liegt wohl im Auge des Betrachters. Denn darf sein, was nicht sein darf?!?!

Rucia taumelt durch ein eigenwilliges Santiago, ein Santiago, welches irgendwie unwirklich und etwas verzerrt erscheint. Die Erklärung dazu erfolgt in der Lektüre des Buches. Wenn ihr also wissen wollt, was ich meine hilft nur das Lesen des Buches.

Der Mapocho ist der Fluss, an dem Santiago de Chile entstand. Die Namensgebung des Flusses hat mit den indianischen Bewohnern seiner Ufer zu tun, den Mapuche, den Araukanern, wie sie früher genannt wurden. Ihr Siedlungsgebiet reicht in Chile vom Rio Choapa, 200 km nördlich von Santiago bis zur Insel Chiloe. Das sind in der Nord-Süd-Ausdehnung 1600 km. Sie widersetzten sich der spanischen Kolonisation massiv, so massiv, dass sie heute noch bedeutend sind, dass sie nicht verschwunden sind, dass sie nicht in der Mischbevölkerung, den Mestizen, aufgegangen sind. Sie bestehen weiterhin als Volk. Und natürlich besetzen sie einen wichtigen Platz in der Geschichte Chiles, und so findet man sie auch im Buch. Aber nicht nur sie.

Ein Land, welches auf einer Kolonisation beruht, danach die Unabhängigkeit von Spanien bewirkt und verschiedene Herrscher und Kriege kennt. Ein Land, in dem Konservative viel zu sagen hatten und haben, wird immer Gewalt kennen. Ein Land, welches kurz, ganz kurz, unter Allende einen neuen Versuch wagt, der auch von außen niedergeschlagen wird, auch wir Deutschen haben da keine schöne Stelle eingenommen. Und wieder stehen die Konservativen vorn. Erst jetzt versuchen linke Bündnisse in Chile eine Veränderung zu bewirken, den Machismo zu bekämpfen. Dies alles ist für viele Personen im Buch ursächlich. Personen, die Rucia begegnen, Personen, die der Leserschaft begegnen. Personen, die eine Geschichte erzählen. Eine Geschichte Santiagos, eine Geschichte Chiles. Ein interessantes Buch voller Magie! Lesen!

Bewertung vom 02.05.2025

Ostflimmern


ausgezeichnet

Kluge und nachhallende Betrachtungen

Dieses Buch beleuchtet die Erfahrungen verschiedener Autor*innen in der Nachwendezeit, der Wende-Millenials. Die Herausgeber des Buches, Philipp Baumgarten und Annekathrin Kohout, versammeln in diesem Buch Texte von Paula Irmschler, Anne Waak, Philipp Schreiner, Valerie Schönian, Marlen Hobrack, Greta Taubert, Peter Hintz, Sebastian Jung, Nhi Le, Lukas Rietzschel, Anne Ramstorf, Elisabeth Heyne und Alexander Wagner. Und auch die beiden Herausgeber berichten über ihre eigenen Erfahrungen zur Thematik. So entsteht eine besondere Mischung der verschiedenen Sichten, die als Essay, oder in lyrischer und literarischer Form erscheinen. Als besonderes Beiwerk werden noch Fotos von Philipp Baumgarten in dem Buch verwendet, die die Sichten der verschiedenen Autor*innen noch interessant untermalen. Klug und nachhallend sind wohl die treffendsten Begriffe, die mir zum Buch "Ostflimmern" einfallen. Denn "Ostflimmern" rührt an unserem Verständnis der neuen Bundesländer, impliziert ein Verstehen seiner Bewohner. Was bedeutet es in einem Land geboren zu werden, dass es heute nicht mehr gibt? Was bedeutet es von ehemaligen Bewohnern dieses verschwundenen Landes großgezogen zu werden? Welche Erfahrungen bekommt man über diese Sozialisation mit? Was bedeutet es dem Osten zu entstammen, der lange Zeit und teilweise immer noch mit gewissen Assoziationen gleichgeschaltet wird? Kann man dann noch einen gewissen Stolz die eigene Herkunft betreffend nach außen tragen? Oder bedingt dies nicht gleich eine gewisse Abwertung? Manchmal bemerkt man als ehemaliges Ostkind diese Abwertung. Und diese Abwertung hinterlässt Spuren. Leider. Nun bedingen leider gewisse politische Prozesse eine Veränderung in der eigenen Bewertung des Ostens. Denn hier schwimmt eine gewisse Scham in der Betrachtung des Tuns der Mitbürger mit. Und auch eine Wut ob der Dummheit und Kleingeistigkeit gewisser Mitmenschen. Wir leben nach Covid in einer anderen Welt, in einer Welt, in der die Verbitterung mancher Zeitgenossen gnadenlos von gewissen politischen Kräften benutzt wird zur eigenen Machtübernahme. Doch dies darf meiner Meinung nach nicht einfach hingenommen werden, dies bedarf einer genauen Betrachtung des Gestern und des Heute. Wen der Osten interessiert, sollte unbedingt zu diesem Buch greifen. Denn wir sind das Produkt unseres Erlebens, in Ost und West und nur wer begreift, kann etwas verändern, in sich und auch in seiner Aktion. Denn jeder von uns, jeder in Ost und West muss lernen, dass wir in einer recht gefährlichen Zeit leben. Eine Zeit, in der die Demokratie bedroht ist. Eine Zeit, die auch zunehmend Mitglieder unserer Gesellschaft gefährdet, die deine und meine Freunde sind, die Mitglieder unserer Familien, Arbeitskollegen und Leistungsträger unserer Gesellschaft sind. Dies sollte uns allen klar sein. Denn eine funktionierende Gesellschaft zeichnet sich immer durch ein Miteinander aus, nie in einem Gegeneinander! „Ostflimmern“ leistet einen Beitrag für dieses Miteinander, einen wichtigen und lesenswerten Beitrag. Denn „Ostflimmern“ ist ein wunderbarer Lesetipp, der auch mein Erleben perfekt und treffend spiegelt.

Bewertung vom 02.05.2025
Köhler, Hannes

Zehn Bilder einer Liebe


ausgezeichnet

Liebe

David und Luisa sind die Protagonisten im Buch „Zehn Bilder einer Liebe“ von Hannes Köhler. Der Autor, den ich schon durch Vorgängerbücher kannte und der mich in diesen („Ein mögliches Leben“ und „Götterfunken“) vollkommen überzeugen konnte, schafft es auch diesmal mich völlig mit seinen Charakteren zu überrennen, mich zu flashen, mir ein Lächeln ins Gesicht zu brennen.

„Zehn Bilder einer Liebe“ ist einfach bezaubernd wunderschön. Nun ist das Thema Liebe ja nicht unbedingt ein Thema, wo ich sofort auflodere. Gerade bei dieser Thematik kann man ja für meinen Gusto viel verkehrt machen. Das Thema Liebe gerät nun einmal allzu schnell seicht und weichgespült. Diesen Fehler begeht Hannes Köhler aber nicht und gerade dies erzeugt in mir ein unstillbares Brennen.

Denn in der Beziehung von David und Luisa gibt es natürlich auch Punkte, die nicht rosarot um die Ecke schauen. Gerade dies macht das Beziehungsbild der beiden Protagonisten aber in meinen Augen authentisch. Und gerade dies lässt mich für beide Charaktere entbrennen. Auch dies ist nicht so alltäglich. Meist schlägt mein Herz doch eher für die weibliche Seite. Doch Hannes Köhler schafft es mich auch für David zu erwärmen. Was für mich durchaus eine sehr schöne Erfahrung war!

Das Beziehungsfeld von David und Luisa wird in zehn chronologisch nicht geordneten Kapiteln beschrieben, eben diese Zehn Bilder einer Liebe. Beide Protas kommen zu Wort, schildern ihre Sichten, werden damit plastisch und irgendwie realer. Man erkennt vieles wieder, sei es aus dem eigenen Erleben heraus, sei es durch Erinnerungen an das eigene Umfeld. Probleme werden benannt, werden von den Protas versucht auf Augenhöhe zu bearbeiten. Dies gelingt wie auch im wahren Leben mit Höhen und Tiefen. Aber dies beschreibt Hannes Köhler ohne sentimentale Anwandlungen und überzeugt auch gerade dadurch.

Ich habe dieses Buch geliebt und ich habe mich in beide Charaktere verliebt. Denn solche Menschen wie David und Luisa möchte man in seinem Dunstkreis haben. Gerade dieses miteinander auf Augenhöhe umgehen lässt dieses Lächeln im mir entstehen. Wie schön ist das bitte?! Einerseits genießt man das Schöne und andererseits empfinde ich das Gelesene auch als einen Fingerzeig, einen Hinweis, ich kam oft ins Sinnieren, in Rückblicke. Rückblicke, die das eigene Tun in Frage stellen. Es ist nicht so, dass dieses Buch dies jetzt ausgelöst hat. Das Infragestellen des eigenen Tuns begleitet mich schon ein Stück. Ein Glück! Aber jeder, der mich kennt, weiß, dass ich mir genau so ein Erleben regelrecht herbeiwünsche. Ein gutes Buch mit authentischen Charakteren und ein Sinnieren über das Erzählte mit Bezug zum eigenen Erleben. Und dies passiert in „Zehn Bilder einer Liebe“ punktgenau.

Wenn dann noch ein positives Empfinden der beiden Protagonisten hinzukommt, scheint einfach alles perfekt.

Danke für dieses wunderbare Buch! Ich hatte es als E-Book, aber natürlich musste dieses Buch in gebundener Form in meine heiligen Regale einziehen. Jeder Buchliebhaber versteht dies sicher nach meinen Ausführungen.

Unbedingt lesen!

Bewertung vom 02.05.2025
Villalobos, Juan Pablo

Das Alibi


ausgezeichnet

Ein Tag in Barcelona

Die erzählende männliche Stimme in „Das Alibi“ ist glücklich. Der gebürtige Mexikaner kam einst nach Barcelona um zu promovieren. Dann kam die Brasilianerin. Und das erste Kind. Und so blieben sie und wurden eine vierköpfige Familie. Sie sind glücklich. Und er schreibt. Doch schreibt man über das Glück? Und wenn ja, was macht Glück so spannend?

Die erzählende Stimme beschreibt seinen Tag in Barcelona auf der Suche nach einem Nachweis für seine Frau, die diesen als Bescheinigung für ihren Arbeitgeber braucht.

Seine Frau, die Brasilianerin und auch seine Kinder, das Mädchen und der Halbwüchsige haben Bedenken in den Büchern des Erzählers aufzutauchen, für andere sichtbar und auch greifbar zu werden, daher ihre Namensgebung im Buch.

Auf der Suche nach dieser Bescheinigung begegnen dem Protagonisten skurrile Wesen, da gibt es die Frauen am Empfang der Klinik, in der die Untersuchung der Brasilianerin stattfand, die bretonische Friseurin mit Handicap und einen jungen Mann mit Schreibambitionen, die den Tag des Charakters im Buch durcheinanderwirbeln.

Und so wird ein normaler glücklicher Tag im Leben des Protagonisten zu etwas Besonderem. Denn was schreibt man über das Glück? Was macht Glück so spannend, dass es die Leser anzieht?

Der Protagonist durchlebt seinen Tag in Barcelona und nimmt die Leserschaft mit in das Banale, das in dem Text zu etwas Besonderem wird. Der Alltag wird zum Zauber mit der Kraft der Fantasie. Denn nach und nach wird klarer, dass der Erzähler der Autor selbst ist, der glückliche Autor, der über sein Glück schreibt, der dem Alltäglichen einen skurrilen Anstrich gibt und es damit der Leserschaft auf dem Silbertablett präsentiert. Sodass die Suche nach einem Formular, ein Friseurbesuch und ein Treffen mit einem ecuadorianischen Schreibanfänger sich zu einem spannenden und auch komischen Unterfangen gestalten.

„Das Alibi“, wer braucht hier eins und warum? Liegt dieses Alibi schon in der nebulösen Benamung der Protas? In der Bescheinigung, die die Brasilianerin braucht? Oder in der Gestaltung des Banalen, des Alltäglichen, das aufpoliert wird, um es der Leserschaft nachhaltig zu präsentieren.

Ein wunderschönes Buch, welches man mit einem Lächeln auf den Lippen durchschreitet. Lesen!

Bewertung vom 02.05.2025
Lohmann, Eva

Wie du mich ansiehst


ausgezeichnet

Gedanken zum Frausein

Eva Lohmann hatte mich mit ihrem Vorgänger „Das leise Platzen unserer Träume“ schon tief berührt. Und genauso gelingt ihr das mit diesem Buch hier, mit „Wie du mich ansiehst“.

Johanna ist die Protagonistin in diesem Buch, eine Frau in den Vierzigern. Eine Frau in unserer Gesellschaft, die sehr auf Äußerlichkeiten aufgebaut ist. Eine Protagonistin, die die Veränderung, die die Jahre mit sich bringen, bemerkt und die mit der Möglichkeit spielt, diese Veränderungen medizinisch zu verbessern. Gedankengänge, die man denke ich zumindest gedanklich einmal durchspielt. Damit trifft Eva Lohmann einen Nerv. Denn dieser Jugendwahn, dem unsere Gesellschaft unterliegt, trifft uns. Wir beobachten die Falten, die grauen Haare, unseren Körper sehr genau. Wir cremen und färben und unterziehen uns Diäten. Wir optimieren uns. Wie kurz ist da der Weg zu medizinischen Eingriffen? Wie viele von uns nehmen diese in Anspruch? Manche schon in jungen Jahren. Und zu diesem Schritt kommt auch Johanna. Diese tiefe Falte, sie stört. Denn wie wird Johanna mit dieser Falte wahrgenommen? Bemerken sie die Männer noch? Oder wird sie unsichtbar mit den Veränderungen, die das Altern nun einmal mit sich bringt? Gedanken, die der Leserschaft sicherlich bekannt vorkommen werden. Man könnte natürlich sagen, dass man Frieden mit seinem Alterungsprozess schließen könnte. Aber tun wir das wirklich? Wir cremenden und färbenden und abspeckenden Wesen. Oder versuchen wir nicht immer wieder gängigen Schönheitsidealen zu entsprechen, die uns eine immerwährende Aufmerksamkeit in der Gesellschaft suggerieren? Die nächste Falle in den medizinischen Möglichkeiten ist das Wann hört man auf mit der Selbstoptimierung. Denn nach dieser Falte kommt die nächste oder ein anderer Ort am Körper, der zu verschönern wäre. Und damit eine Verlockung, vielleicht für manche auch eine Sucht, oder ein Druck von außen, der Reaktionen hervorruft. Wie gesagt Eva Lohmann trifft für mich einen Nerv mit ihrem Buch in dieser vom Schönheitswahn befallenen Welt.

Aber nicht nur dieses Thema beackert Eva Lohmann in ihrem Buch. Denn dieses Schönheitsthema impliziert natürlich auch die Wahrnehmung der Weiblichkeit in unserer Welt, unsere Stellung in dieser patriarchal tickenden Welt. Und die Interaktionen, denen wir ausgesetzt sind.

Wichtige Thematiken, die Eva Lohmann in ihrem Buch beschreibt. Und sie beschreibt sie mit ihrer sehr sympathischen Protagonistin Johanna, mit ihrer Tochter Rosa und ihrer Freundin und Geschäftspartnerin Ruby.

Ein weiteres Thema ist Johannas Elternhaus, ihr Vater Karl ist verstorben, ihre Mutter hatte sich von ihrem Vater getrennt, lebt allein, hat mit ihrem Weggang auch Johanna verletzt. Das Beziehungsgeflecht der Eltern vergleicht Johanna mit der Beziehung zu ihrem Mann Hendrik, genauso wie sie Blicke wirft auf das Geflecht zwischen sich und ihrer Tochter Rosa und dies in Beziehung setzt zum Verhältnis zwischen ihrer Mutter und ihr. Interessante Gedanken.

Und trotz der Vielzahl der Thematiken ein gelungenes Buch. Denn dieser mir sehr sympathische Charakter Johanna beschäftigt mich sehr, vor allem auch weil Johanna nicht vollkommen ist und mit ihren „Fehlern“ umgeht. In eine Aktion kommt. Und dies in einer ruhig erzählten Art. Gefällt mir sehr. Wie mir auch die Thematiken des Buches sehr gefallen haben. Denn diese Thematiken betreffen uns ja irgendwie alle.

Lesen!