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Hamaru
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Nürtingen

Bewertungen

Insgesamt 69 Bewertungen
Bewertung vom 22.05.2025
Seiler, Lutz

Die Zeitwaage


sehr gut

"Die Zeitwaage" ist ein elektronisches Gerät, um eine Unregelmäßigkeit im Gang eines Uhrwerks festzustellen. In der gleichnamigen Erzählung schildert Lutz Seiler seine ersten Versuche als Autor und das Gefühl von der gesellschaftlichen Ausgeschlossenheit. Als Außenstehender zeichnet Seiler wie eine Zeitwaage in seinen 13 Erzählungen hochsensibel das Aufwachsen im Arbeiter- und Bauernstaat bis zur Wende auf. Dass er als Lyriker begonnen hat, spürt man bei diesen ersten epischen Kleinformen. Vieles wird nur angedeutet, ist hermetisch verschlossen und erfordert ein genaues Lesen. Aber dieses Verfahren ermöglicht einen genauen Blick in das Räderwerk der untergegangenen DDR.

Bewertung vom 19.05.2025
Seethaler, Robert

Jetzt wirds ernst


gut

"Jetzt wird's ernst" ist eines der frühen Bücher von Robert Seethaler. Ein Coming-of-age-Buch, dem eine ganze Reihe von Romanen von Schauspielern (Meyerhoff, Selge, Tukur u.v.m.) folgten. Die Szenen aus dem Leben des Ich-Erzählers beginnen harmlos und kippen dann meist in groteske Überteibungen. Das ist am Anfang ganz unterhaltsam, mit der Zeit aber ermüdend. Man hat den Eindruck von "overacting", ein Fehler, den viele Schauspielereleven machen. Die späteren Seethalerromane zeichnen sich durch ein viel differenzierteres Personentableau aus.

Bewertung vom 14.05.2025
McEwan, Ian

Honig


ausgezeichnet

Eine doppelbödige Liebes- und Spionagegeschichte über einen jungen Autor, der von einer jungen Agentin für den MI5 angeworben wird. Eine raffinierte Honigfalle, die McEwan hier aufstellt, in die der Leser gar zu gerne hineintappt.

Bewertung vom 08.05.2025
Hahn, Anna Katharina

Der Chor


gut

Wie die anderen Romane von A.K. Hahn ist auch "Der Chor" in Stuttgart genau verortet. Dieser schwäbische Realismus wird mit märchenhaften Elementen und einem Doppelgängermotiv angereichert. Fünf Frauen aus drei Generationen und unterschiedlichen Schichten treffen in einem Frauenchor aufeinander und sollen wohl die aktuellen gesellschaftlichen Probleme der Nachcoronazeit widerspiegeln. Doch so richtig überzeugt dieser Chorgesang nicht, dafür sind die Charaktere zu holzschnittartig.

Bewertung vom 28.04.2025
Haas, Wolf

Wackelkontakt


sehr gut

Wie weit trägt die Idee, ein Buch so zu scheiben, wie M.C. Escher zeichnete? Ziemlich weit, weil Haas in " Wackelkontakt" immer wieder den Plot mit witzigen Sprachreflektionen auflockert. "'Versteh mich nicht falsch', solche Sätze versteht man immer richtig, wenn man sie falsch versteht." Aber dass er am Ende den toten Elektriker auferstehen lässt und das als "Trick17" oder wienerisch als "Einserschmäh" bezeichnet, ist schon ein bisschen wackelig.

Bewertung vom 20.04.2025
Le Carré, John

Federball


ausgezeichnet

Federball verhält sich zu Badminton wie Fang den Hut zu Schach. Warum der Ullstein Verlag John Le Carrés Roman "Agent running in the field" auf Deutsch ausgerechnet unter dem Titel "Federball" herausbringt, bleibt sein Geheimnis. Denn der Roman hat alles, was Badminton nach Aussage des britischen Geheimdienstlers Nat, Ich-Erzähler und Badminton-Crack, auszeichnet: Geduld, List und Tempo. Der Roman spielt zur Trumps ersten Amtszeit und der damals 88-jährige Le Carré nimmt Trumps zweite hellsichtig vorweg: "Er ist Putins Latrinenputzer. Er tut alles für den kleinen Putin, was der kleine Putin nicht selbst tun kann und pisst dabei auf die europäische Einheit, pisst auf die Menschenrechte, pisst auf die NATO." Kein Wunder, dass Nat da in einen gehörigen Loyalitätskonflikt gerät, denn er aber mit einem gut vorbereiteten Rückhandlob mit Bravour löst.

Bewertung vom 16.04.2025
Suter, Martin

Montecristo


gut

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit zwei Hunderter mit derselben Seriennummer zu besitzen? Und das auch noch zu bemerken? Und dann in demselben Zug zu sitzen, in dem der Verursacher eines gigantischen Geldbetruges ermordet wird? Und die Zeugen zufällig per Video festzuhalten? Dies alles passiert dem Helden in Martin Suters Roman " Montechristo". Irgendein Autor hat mal geschrieben, dass diejenigen, die immer die Wahrscheinlichkeit in der Literatur anführen, zu wenig Phantasie besäßen. Nun, dann fehlt mir die Phantasie für diesen Romanplot.Wer aber bereit ist, diese Voraussetzungen zu glauben, wird mit diesem Roman über die korrupte Schweizer Bankenwelt gut unterhalten.

Bewertung vom 09.04.2025
Barry, Sebastian

Jenseits aller Zeit


weniger gut

Ich kann die Begeisterung der Feuilletonisten für diesen Roman nicht ganz teilen. Dafür ist mir Barrys Roman "Jenseits aller Zeit" doch zu konstruiert und zu verkopft. Ein pensionierter irischer Polizist als alttestamentarischer Hiob, dem Frau und Kinder gestorben sind, dessen Frau als Kind von einem Priester missbraucht wurde, der dann unter mysteriösen Umständen ums Leben kommt. Am Ende erschießt der Pensionär aus 300m Entfernung einen Vater, der sein Kind entführt hat. Zum Glück hat der Nachbar, ein Cellist, der ihm Bruchs Kol Nidrei vorgespielt hat, ein Präzionsgewehr auf dem Balkon plaziert, mit dem er in seiner Freizeit auf Kormorane schießt.

Bewertung vom 09.04.2025
de Winter, Leon

Stadt der Hunde


sehr gut

Tel Aviv ist die "Stadt der Hunde". Ausgerechnet der Tritt in einen Hundehaufen ist bei dem renommierten Neurochirurgen Jaap Hollander der Auslöser, der seine rationale Welt erschüttert. Gleich Max Frischs Homo faber muss er erkennen, dass es für die Suche seiner vor zehn Jahren spurlos verschwundenen Tochter nach Spiritualität doch einen Grund gibt. Wie immer bei Leon de Winter ist der Plot spannend und gut recherchiert. Der Roman endet einen Tag vor dem Überfall der Hamas auf Israel und dem Ende aller Friedensträume, die mit Hollanders erfolgreichen Operation einer saudischen Prinzessin in Israel doch neue Nahrung erhalten sollten.

Bewertung vom 27.03.2025
Walser, Martin

Angstblüte


gut

Noch nie hat jemand so schön die kapitalistische Geldvermehrung gefeiert, wie die Hauptperson in Martin Walsers Roman "Angstblüte". Karl von Kahn, 70+, Finanzdienstleister, ist ein Bewunderer. Ob er über die Schönheit des Zinseszins spricht oder über die der 40 Jahre jüngeren Schauspielerin, in die er sich unsterblich verliebt, es wird ihm alles zum religiösen Bekenntnis. Dass Walser keine Angst hat, sich und seinen Helden dem Vorwurf von Altmännerphantasien auszusetzen, ist fast schon wieder bewundernswert.