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TontoM
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Wolsfeld
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Ich lese gern anspruchsvolle Literatur und Sachbücher.

Bewertungen

Insgesamt 47 Bewertungen
Bewertung vom 13.02.2025
Braun, Ursel

Exil im Paradies. Von Marta Feuchtwanger bis Helene Weigel


ausgezeichnet

Anspruchsvoll & leicht

Ursula Braun hat sorgfältig recherchiert und nimmt sich mit einem leichten Erzählton eines anspruchsvollen Themas an. Sie beschreibt sechs berühmte Frauen in ihrem amerikanischen Exil zwischen 1940 und 1945. Dieses ist so tragisch wie ihre Protagonistinnen. Während Katia und Martha gut bürgerlichen Haushalten vorstehen, die ihren international publizierenden Männern einen scheinbar sorglosen Arbeitsalltag ermöglichen, leidet Helene still unter ihrer künstlerischen Untätigkeit und Abhängigkeit vom chronisch untreuen Ehemann. Alma gibt sich weiter mondän. Salkas Salon war lebendiger Treffpunkt zahlreicher Emigranten und Nelly die tragisch Belächelte. Sie versuchen sich in New Weimar einzuleben, aber ihre Seelen sind ganz tief in Europa.
Das schön ausgestattete Buch ist ein geschätztes Geschenk nicht nur für Bücherfreunde

Bewertung vom 09.02.2025
Lohre, Matthias

Teufels Bruder


ausgezeichnet

Bruder Wunderbar spannend - Zwischen Dichtung und Wahrheit

Matthias Lohre hat einen wunderbar spannenden Roman über Thomas Manns Reise nach Italien im Jahre 1896/97 geschrieben, die er gemeinsam mit seinem Bruder Heinrich unternommen hat. Lohre lässt uns in die sphärische Stimmung des Südens eintauchen, wenn wir mit Thomas auch auf den Spuren seines großen Vorbildes Goethe in Rom, Venedig, Neapel oder Palestrina wandeln. Diese Reise sollte einen Wendepunkt in Thomas Manns Leben spielen. Erlebnisse, die er dort hatte, Motive, die er dort entdeckte oder auch Vorarbeiten für die Buddenbrooks sollte er später künstlerisch umsetzen. Zentral sind im Buch die Begegnungen mit dem blonden Jüngling, die nicht nur das spätere teuflische Erlebnis in Palestrina prägte, sondern zeitlebens Thomas Mann Fühlen und Schaffen bestimmte. Lohre beschreibt einfühlsam Thomas Schwanken zwischen seiner Künstlerseele und der Notwendigkeit, einen Brotjob zu finden, um mit Ilse Martens Stabilität im Leben zu finden. Er bewundert seinen lebensgewandten und bereits als Schriftsteller anerkannten Bruder Heinrich, zu dem aber auf dieser Reise ein offener Zwist ausbricht, wer das größere literarische Talent besitze.
Eine eigene Analyse verdienen die den Kapiteln vorangestellten Mottos, die von Autoren aus Thomas Manns Lektüre stammen, hauptsächlich des 19. Jahrhunderts. Verschiedene Details und Anspielungen hat Lohre im Roman aufgenommen und in die Handlung geschickt eingearbeitet.
Matthias Lohre hat für seinen Roman „einen weißen Fleck“ in der Thomas Mann Forschung entdeckt und lässt diesen für uns wieder aufleben.

Bewertung vom 18.01.2025
MacAndrew, Craig;Edgerton, Robert B.

Betrunkenes Betragen


ausgezeichnet

Schluss mit dem Vorurteil

Bereits Ende der 60’er Jahre haben die amerikanischen Anthropologen McAndrew/Edgerton in ihrem Buch mit dem Vorurteil aufgeräumt, Alkohol enthemme. Der Schriftsteller und Psychiater Jakob Hein hat das Buch jetzt übersetzt - spannend lesbar und behutsam an unsere Lebenswelt angepasst.
Alkohol beeinflusst unsere Reaktionszeit und beeinträchtigt unsere Feinmotorik. Wie wir uns unter dem Einfluss von Alkohol betragen, hängt jedoch davon ab, wie wir sozialisiert werden. Sorgfältig recherchiert belegen MacAndrew/Edgerton an einer Vielzahl von Beispielen indigener Völker: Das gemeinsame Trinken von Alkohol ist fester Teil von Ritualen. Das Betragen in diesem Kontext entspricht dem Anlass, für den feste Regeln gelten. Es gilt eine Begrenzungsklausel.
Alkohol als Substanz und seine Wirkung auf den Menschen ändern sich nicht, jedoch verändern sich historisch die Umstände seines Konsums und damit auch das Betragen. Die Autoren belegen das mit Beispielen aus Tahiti, als bei frühen Kontakten mit Europäern um 1770 Alkohol abgelehnt wurde. Um 1800 wird von maßloser Trunksucht und Gewalttätigkeit berichtet. Schließlich wird Mitte des 20. Jhdt. weiterhin viel getrunken, aber gewaltfrei. Ein anderes Beispiel aus Südafrika berichtet vom rituellen Trinken in Dorfgemeinschaften, dem das „freie Trinken“ in Form des Feierabendbieres in der Stadt mit Aggressionen und Gewaltbereitschaft gegenübergestellt wird.
Ein umfangreicher Teil des Buches beschreibt den Alkoholgenuss bei den Indianern Nordamerikas. In seinem Nachwort ordnet Andreas Heinz, Leiter der Psychiatrischen Klinik der Charité, die Untersuchungen und das kritische Unterfangen von MacAndrew/Edgerton ein, aber auch ihr Schwelgen in Beispielen und dem Blick des weißen Kolonisators darauf.
Danke an Jakob Hein, dass er dieses wichtige Buch wiederentdeckt und uns erschlossen hat.

Bewertung vom 15.12.2024
Leyacker-Schatzl, Markus

Charlie Chaplin


sehr gut

Charlie Chaplin Ein ziemlich erfolgreicher Tramp


Markus Leyacker-Schatzl ist begeisterter Fan von Charlie Chaplin. Er hat deshalb einen biografischen Erfolgsratgeber des ersten Weltstars der Kinogeschichte geschrieben. Das Künstlerkind Chaplin wuchs in ärmsten Londoner Verhältnissen auf. Auf seinem Weg ganz nach oben halfen ihm Talent, Disziplin, Hartnäckigkeit und Improvisation. Neben seiner einzigartigen Kreativität besitzt er Unternehmertum und nicht zu vergessen die Fähigkeit, der Gesellschaft etwas zurückzugeben und sich gegen Unrechtssysteme wie Hitlers Nazidiktatur zu stellen. Das Buch bietet einen guten Einstieg in die Beschäftigung mit Leben und Werk von Charlie Chaplin. Bibliografie und Filmografie ermöglichen dann den vertiefenden Zugang, um Chaplins Zauber bis heute zu verstehen. Chaplin hat sehr hart dafür gearbeitet.

Bewertung vom 18.11.2024
Cyrulnik, Boris

Wenn Tiere kämpfen und Menschen Kriege führen


ausgezeichnet

Make Friends not War

Müssen wir Menschen zwangsläufig Kriege führen wie sich Tiere Kämpfe liefern? Der renommierte französische Neuropsychiater Boris Cyrulnik warnt vor einer emotionalen Verrohung unserer Kinder, die im Extremfall Diktatoren oder auch seit einigen Jahrzehnten kriminelle Mädchengangs hervorbringen kann.
Tiere und Menschen vereinen sich in Gruppen, um gemeinsame Ziele zu erreichen: Junge aufzuziehen, sich Nahrung zu verschaffen oder Feinde zu vertreiben. Anders als Tiere bedienen sich Menschen komplizierter Sprach- und Denksysteme, die Abstraktionen ermöglichen. Damit können Ideen, Handlungen und Ereignisse losgelöst vom konkreten Kontext in Vergangenheit und Zukunft betrachtet werden. Die Aneignung bestimmter Narrative durch einzelne Gruppen, deren Verbreitung und gezielte Manipulation anderer können Kriege auslösen. In Kriegszeiten erwünschte Verhaltensweisen werden jedoch in Friedenszeiten oft missbilligt.
Cyrulnik führt interessante Beispiele aus der Wissenschaftsgeschichte an, die zeigen, wie sich verschiedene Disziplinen, z.B. Ethologie und Psychologie, beeinflussen und methodisch bereichern. Auch Darwins Beobachtungen wurden seinerzeit von angesehenen Wissenschaftlern herabgewürdigt, sodass er erhebliche Widerstände bis zur Anerkennung seiner Forschungsergebnisse überwinden musste.
Des weiteren stellt Cyrulnik bemerkenswerte Beobachtungsstudien aus der Natur und Experimente mit Tieren und Menschen vor. Das für den französischen Buchtitel namengebende Experiment bezieht sich auf Ali Baba und die 40 Räuber. Hierbei handelt es sich um 40 emotional vernachlässigte Studienteilnehmer aus schwierigen Sozialmilieus, die jedoch nicht zwangsläufig alle straffällig wurden. Erwähnen möchte ich auch die Feststellung, dass Mädchen selbstbewusster werden, wenn ihre Väter Erziehungsurlaub nehmen und sich um diese kümmern. Im Buch werden wichtige kindliche Entwicklungsphasen und dafür markante Verhaltensweisen erklärt.
Das Buch ist ein starkes Plädoyer für Frieden und Mitgefühl. Dank eines Nachbarhundes konnte Cyrulnik selbst seine Vereinsamung nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs und dem Aufenthalt in einem Kinderheim glücklich überwinden. Für mich ein großartiges Buch.

Bewertung vom 14.07.2022
Carr, J. L.

Leben und Werk der Hetty Beauchamp


sehr gut

Auf der Suche nach der Wahrheit

Hetty muss ihr altes Leben mit dem gewalttätigen cholerischen Vater, der schwachen Mutter und dem gehässigen Bruder hinter sich lassen. Sie ist klug und zielstrebig und wird ihren Weg finden. Eine gute Freundin und eine Zufallsbekanntschaft helfen ihr, sich in Birmingham in Rose Gilpin-Jones‘ Pension einzurichten. Rose wird schnell ihre Vertraute und Förderin, durch die sie einige skurrile und liebenswürdige Personen kennenlernt, die auch in anderen Romanen J.L. Carr auftauchen.
In Birmingham sucht Hetty dann ihre leiblichen Eltern. Die Begegnungen mit ihnen sind überraschend und typisch für Carr mit einem Schluss, der Hettys Geschichte eine hoffnungsvolle Wende gibt.
Das Buch bezieht sich auf zeitgeschichtliche Ereignisse der 80er-Jahre, die Antiatomkraftbewegung gegen die Wiederaufrüstung, Wiedereingliederungsmaßnahmen der britischen Regierung für Arbeitslose, wirkt aber auch zeitlos. Charakteristisch für Carr ist seine Hommage an die trübe verregnete britische Landschaft. Einzig der deutsche Buchtitel verwirrt die Erwartung des Lesers.

Bewertung vom 19.06.2022
Durrani, Nadia;Fagan, Brian

Was im Bett geschah


ausgezeichnet

Alles, wirklich alles ist möglich

Die britischen Archäologen Nadia Durrani und Brian Fagan schreiben eine unterhaltsame und umfassende Kulturgeschichte des wichtigsten und weltweit vertretenen Möbelstückes. Sie erzählen von den frühen Bettnischen in den Höhlen unserer Vorfahren, den Betten der Griechen und Römer, dem imposanten Himmelbett von Ware(GB), das heute im Victoria und Albert Museum in London bewundert werden kann und modernen, teils futuristischen Betten. Wir erfahren etwas über Reise- und Feldbetten, Schrank- oder Wasserbetten. Je höher der gesellschaftliche Rang einer Person war, desto höher schlief sie vom Erdboden entfernt.
War das Bett früher ein öffentlicher, prestigeträchtiger, geselliger Ort, von dem aus regiert wurde (Elisabeth I., Ludwig XIV.), so ist es seit ca. 200 Jahren ein privater Rückzugsbereich.
Alles war und ist möglich im Bett: Geburt und Tod, Liebe, üppige Mahlzeiten, Rechtsprechung oder einfach nur entspannt schlafen. Faszinierend sind die Informationen zu den rituellen Zeremonien des königlichen Aufstehens und Zubettgehens. Wer wo im königlichen Gemach schlief, sagte viel über seine hierarchische Stellung aus. Bis zu Prinz Charles Geburt (1948) war ein britischer Innenminister bei einer königlichen Geburt zugegen, und der königlichen Hochzeitsnacht als bedeutendem Staatsakt wohnten früher unzählige Zeugen bei.
Eine äußerst informative und vergnügliche Geschichte unseres Alltags!

Bewertung vom 09.05.2022
Ali, Monica

Brick Lane


ausgezeichnet

BRICK LANE – Nimm Dein SCHICKSAL in die Hand

Brick Lane im Londoner East End ist das Viertel der Einwanderer, heute der Bangladeshis. Nazneen wächst in einer armen Bauernfamilie in Bangladesch auf. Mit 19 kommt sie in einer arragierten Ehe zu ihrem Ehemann Chanu nach London. Zunächst beschränkt sich ihr Leben auf die winzige Wohnung, wenige Sozialkontakte zu anderen Frauen aus Bangladesch, denn sie spricht kein Englisch, weil ihr Mann das nicht möchte. Feinsinnig beschreibt Monika Ali Nazneens Weg zu einem selbstbestimmten, chancenreicheren Leben auch für ihre Töchter in England. Ihrem Mann Chanu bleibt trotz zahlreicher Diplome die Beförderung und damit die gesellschaftliche Anerkennung verwehrt, sodass er nur noch den konkreten Plan seiner Rückkehr nach Bangladesch verfolgt.
Diese ist für viele, besonders der ersten Einwanderergeneration, in der facettenreich geschilderten Community der Bangladeschis ein großer Traum, verbunden mit einem guten Leben dort. Den eher harten Alltag in Bangladesch schildert Nazneens Schwester Hesina in ihren Briefen.
Monica Ali gelingt es die private Geschichte geschickt mit den Ereignissen um den 11. September, damit verbundenen Unruhen in London, der Rolle des Islam für den Einzelnen und die Gemeinschaft zu verknüpfen. Ali hinterfragt die Rolle der Medien, die private Auseinandersetzungen als Ereignisse übergeordneter Dimension, wie den Kämpfen von Gangs, interpretiert.
Stilistisch gefällt mir die Mehrdimensionalität der Schilderungen im Roman, die glaubwürdig die Entwicklung der Protagonisten zeigt und ein differenziertes und lebendiges Bild vom Alltag um die Brick Lane malt.

Bewertung vom 12.04.2022
Benedict, Marie

Mrs Agatha Christie / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.3


sehr gut

Eine Dame verschwindet
Agatha Christie war im Dezember 1926 elf Tage verschwunden. Bis heute sind die Umstände ihres Verschwindens nicht genau geklärt. Die Amerikanerin Marie Benedict erzählt in ihrem Roman über die erfolgreichste Schriftstellerin aller Zeiten den Beginn ihrer schriftstellerischen Karriere und ihren Durchbruch als erfolgreiche Kriminalautorin. Zentrales Thema im Buch sind dabei der künstlerische Wettstreit mit der Schwester, wer anspruchsvolle Kriminalliteratur zu schreiben vermag und das Scheitern ihrer Ehe. Befremdlich mutet uns heute die Ermahnung von Agathas Mutter an, alles dem Glück und der Zufriedenheit des Ehemannes unterzuordnen. Anfangs ist die Beziehung erfrischend und inspirierend, anders als das, was Agatha Miller bisher kannte. Leider nimmt die Beziehung nach dem 1. Weltkrieg eine unerfreuliche Wende, sodass die Polizei schlimme Vorwürfe gegenüber Agathas Mann wegen ihres Verschwindens erhebt.
Das Buch liest sich schlüssig, ist spannend erzählt, wenngleich Marie Benedict ihren Roman ähnlich wie „Lady Churchill strukturiert. Ihre Interpretation der Ereignisse ist plausibel und stimmig.