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Nico aus dem Buchwinkel
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Insgesamt 28 Bewertungen
Bewertung vom 20.06.2022
Die Erlöserin / Im Zeichen der Mohnblume Bd.3
Kuang, R. F.

Die Erlöserin / Im Zeichen der Mohnblume Bd.3


ausgezeichnet

Rebecca F. Kuangs “Poppy Wars”-Trilogie ist seit Mai diesen Jahres endlich auch in Deutschland vollständig erhältlich. Hier tragen die Bücher den Namen “Im Zeichen der Mohnblume” und jeweils andere Untertitel. Nach “Die Schamanin” und “Die Kaiserin” folgt mit “Die Erlöserin” noch das große Finale rund um Rin, ihren Phönix und die chinesische Geschichte des 20. Jahrhunderts.

Eine Geschichte aus Feuer und Tod
Spoilerwarnung! Wer nicht wissen möchte, worum es im dritten Teil geht, weil sie*er die Vorgänger noch nicht gelesen hat, scrollt bis zur nächsten Überschrift vor.

Der finale Band von “Im Zeichen der Mohnblume” beginnt mit Rin, die von ihren Verbündeten verraten wurde, aber überlebt hat. Gemeinsam mit dem ihr innewohnenden Gott, dem Phönix, hat sie sich der Rebellenarmee im Süden des Landes angeschlossen. Die Rebellen versuchen verzweifelt, sich gegen die Überbleibsel der Besetzung durch die Mugener zu wehren und gleichzeitig nicht der neuen und technologisch übermächtigen Republik im Norden zum Opfer zu fallen.

Der Kampf wird zunehmend verzweifelter und Rin ist weiterhin nur eine Schachfigur auf einem Feld voller Spieler, die noch mächtiger sind als sie. Kann sie sich von den Marionettenfäden lösen? Und was wird passieren, falls Rin das schafft? Wird sie die Welt in Flammen setzen oder ihr Land in eine blühendere Zukunft führen können?

Geschichtsunterricht
Rins Geschichte ist angelehnt an die Geschichte Chinas im 20. Jahrhundert. Das Ganze wird ausgeschmückt mit phantastischen Elementen, allerdings lassen sich die Rollen der ausländischen Mächte Japan und den USA sowie die innerpolitischen Spannungen trotzdem gut nachvollziehen, wenn man ein wenig darüber nachliest. In einem Interview erzählt die Autorin, dass die Trilogie sich mit den aufkommenden kommunistischen Bewegungen als Antwort auf den westlichen Imperialismus beschäftigt. Das finale Buch “Die Erlöserin” stellt die Frage, ob auch eine Alternative zu Mao für China möglich gewesen wäre.

Monumental brutal
“Im Zeichen der Mohnblume” ist keine leichte und gutgelaunte Kost. Stellenweise wird es ganz schön übel. Auf dem Klappentext steht ein Zitat aus der Publishers Weekly: “Kuang verschont weder Figuren noch Leser vor den Schrecken und Folgen des Krieges”. Und das ist mehr als wahr. Lebendig begrabene Menschen, verhungernde Kinder, und noch einiges mehr – all das kommt explizit im Buch vor. Einige Szenen sind mir länger im Gedächtnis geblieben, als mir lieb war. Ich bin ehrlich, die aktuelle globale Situation hat das Lesen nicht einfacher gemacht. Der Schritt von den Kriegsverbrechen im Buch zu den täglich stattfindenden Kriegsverbrechen in der Ukraine ist nicht besonders groß.

Davon losgelöst hat “Im Zeichen der Mohnblume – die Erlöserin” vieles, was ein gutes Fantasy-Buch ausmacht. Gleichzeitig gibt es auch einiges, das eine gute Geschichte nicht gebraucht hätte. Die Anlehnung an ein düsteres Kapitel der chinesischen Geschichte, der technologisch hochentwickelte Westen als Feind im Hintergrund, das schamanistische Magiesystem – alles grandios!

Und die Figuren? Rin hat mich deutlich weniger genervt als im zweiten Band, das muss man ihr zugute halten. Trotzdem, gerade in der Interaktion mit Erzfeind/Exfreund Nezha musste ich mir öfter die Haare raufen. Kitay, mit dem sie ein enges Band verbindet, bleibt zunehmend blass. Und Venka, die für mich den zweiten Band getragen hat, kommt über einen sehr schwachen Auftritt nicht hinaus. Bleibt am ehesten noch Daji, die von Rin enttrohnte Kaiserin, deren Charakter ich spannend fand.

Davon abgesehen hätte es in meinen Augen den ein oder anderen erzählerischen Umweg nicht gebraucht (und deren Auslassung hätte das Buch kürzer und zugänglicher gemacht). Allerdings soll die Kritik nicht davon ablenken, dass “Im Zeichen der Mohnblume” mit seinen drei extradicken Bänden ein monumentales Fantasywerk ist, das ausnahmsweise mal nicht von einem alten weißen Mann geschrieben wurde und es trotzdem in seiner Gesamthe

Bewertung vom 10.06.2022
Trip mit Tropf
Mark, Josephine

Trip mit Tropf


ausgezeichnet

Dass Comics viel mehr sind als bloß ein Nischenthema für Nerds, kommt langsam auch in der breiten Öffentlichkeit an. Steter Tropfen höhlt den Stein undso. Comics waren schon immer viel mehr als irgendwelche Superhelden, die sich gegenseitig verkloppen. Zum Beispiel ist gerade im noch jungen Kibitz Verlag, der sich auf Kindercomics spezialisiert hat, der Comic “Trip mit Tropf” erschienen. Im Zentrum der Geschichte: der Road Trip eines krebskranken Kaninchens – gemeinsam mit einem Wolf. Kein leichtes Thema für eine Kindergeschichte.

Ein krebskrankes Kaninchen rettet mit seinem Tropf zufällig einen Wolf vor einer Gewehrkugel. Jetzt muss der Wolf dem Kaninchen ebenfalls das Leben retten – das besagt sein Wolfskodex. Also nimmt der Wolf das Kaninchen kurzerhand mit und kümmert sich für die Dauer der Chemotherapie um das arme Tier, meterlanger Medikamentenplan inklusive. Reibungslos läuft das Alles natürlich nicht ab, wäre ja langweilig. Und so treffen die beiden unter anderem auf den Jäger, aus dessen Gewehr die eingangs erwähnte Kugel kam, ein unbekanntes Wolfsrudel, eine Motorrad-Gang und eine Bärin.

Der Comic verschweigt die Nebenwirkungen der Chemo nicht. Das Kaninchen wird immer schneller müde und sein Fell fällt aus. Trotzdem ist der Grundton des Comics heiter und einzelne Begebenheiten sind richtiggehend witzig. Der leicht griesgrämige Wolf hat es mir total angetan.

Jetzt ist es so, dass Humor und tödliche Krankheiten nicht immer zusammenpassen. Ein Witz über Krebs kann gerade für Betroffene schnell pietätlos sein. In meinem Augen gelingt “Trip mit Tropf” die Gratwanderung zwischen Ernst und Spaß aber ziemlich gut. Das liegt sicher auch daran, dass nie Witze über Krebs an sich gemacht werden, sondern der Humor durch die Situationen entsteht, in denen sich die beiden Protagonisten wiederfinden und durch die Wesensart des Wolfes.

Als Altersangabe für diesen Comic gibt der Verlag “ab 12” an, allerdings… glaube ich auch, dass schon jüngere Kinder mit dem Comic zurechtkommen und Ältere sowieso. Auch für Erwachsene eine tolle Geschichte, die ich nur empfehlen kann und die beim Lesen vielleicht auch ein klein wenig Mut und Durchhaltevermögen vermittelt.

In einem kurzen Nachwort dankt Autorin und Zeichnerin Josephine Mark allen, die sie auf ihrem Trip mit Tropf begleitet haben. Ich interpretiere da ein Stück weit eigene Traumabewältigung durch Comiczeichnen hinein. Auch das können Comics also sein: Hilfen für Lesende – und Zeichner*innen.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.06.2022
Sonnenseiten
Penyas, Ana

Sonnenseiten


sehr gut

Den Verlag “bahoe books” kannte ich bis vor kurzem überhaupt nicht. Eine Internetrecherche brachte immerhin hervor, dass der Verlag aus Wien kommt und schwerpunktmäßig zur Geschichte der Arbeiterbewegung veröffentlicht. Da passt der Comic “Sonnenseiten” gut zum Rest des Programms: Am Beispiel eines spanischen Küstendorfes zeigt Ana Penyas, dass im neoliberalen Kapitalismus als allererstes die Menschen auf der Strecke bleiben.

“Sonnenseiten” kommt in ungewohntem Format daher: 17cm hoch, 24cm breit. Unterbrochen werden die Panels immer wieder von Buch- und Filmausschnitten (unten ein Beispiel aus dem Reiseführer des spanischen Fremdenverkehrsamts aus der Zeit der Franco-Diktatur). Erzählt wird die Biografie einer Familie über knapp 50 Jahre hinweg, von 1969 bis 2017. Zwischen den episodischen Einblicken in das Familienleben liegen Zeitsprünge von mehreren Jahren.

Nicht nur auf den ersten Blickt wirkt der Comic sperrig: Weder die Bilder, noch die Geschichte oder die Erzählstruktur oder gar das ungewöhnliche Format wirkten auf mich allzu einladend. Unter der Fassade verbirgt sich allerdings eine politische und relevante Geschichte, die zum Nachdenken und Reflektieren einlädt. Wer sich darauf einlässt, wird mit einem ungewöhnlichen Comic belohnt, der nicht auf ausgetretenen Pfaden wandelt, sondern stattdessen einen eigenen Weg geht. Dieser Weg dient nicht (nur) der Unterhaltung, sondern erfordert auch von den Lesenden einiges an Arbeit, womit der Kreis zur eingangs erwähnten Arbeiterbewegung geschlossen wäre.

Bewertung vom 24.03.2022
Schildmaid
Vogt, Judith C.;Vogt, Christian

Schildmaid


ausgezeichnet

Rezept für eine stärkende Brühe:
- Alles, was Wikinger*innen-Geschichten ausmacht: Ein Schiff, eine Seefahrt in unentdeckte Gewässer, eine Klosterplünderung, Schildwälle, jede Menge Waffen, einen Holmengang (ritueller Zweikampf)
- Eine Brise nordische Mythologie: grausame und tückische Gött*innen, Meeresungeheuer, Runen, Weissagungen, Jötunns (mythische Riesen), Berserker, Draugr (Untote)
- Judiths und Christians Herzensthemen: Sichtbare Diversität auch bei den Hauptfiguren, Feminismus, Ausbruch aus starren Rollenbildern und binären Geschlechternarrativen, Kampf gegen das Patriarchat, progressive Phantastik

Das alles wird in einen großen Topf gegeben und unter Rühren aufgekocht. Heraus kommt “Schildmaid”, das gleichzeitig so viel mehr ist als die Summe seiner Teile. Wie eine Gemüsebrühe, die gleichzeitig wärmt, stärkt, gesund macht und (mich zumindest) den Lauf der Welt für eine kurze Zeit vergessen lässt. Auch wenn Antagonist Ivar echt zum Fürchten war!

Der Rhythmus der Erzählung um die außergewöhnliche Besatzung eines Langbootes und deren Abenteuer folgt dabei den Gezeiten. Wie Ebbe und Flut, so wechseln sich in “Schildmaid” spannungsgeladene mit ruhigen Abschnitten ab. Ein wenig wie in einem Videospiel: Im Social-HUB oder dem Lager werden Gespräche mit den Gefährt*innen geführt und Beziehungen gepflegt, auf Aufträgen außerhalb des Lagers geschehen die Abenteuer. Das Lager ist in “Schildmaid” allerdings mobil, denn es ist das namensgebende Schiff. Und auch auf dem Schiff geht es beizeiten alles andere als ruhig zu. Ich muss zugeben, diese Erzählform hat mir als Videospielveteranen viel Freude bereitet.

Als jemand, der selbst einen Gebärdensprachkurs besucht und immer wieder mit gebärdenden Kindern zu tun hat, habe ich mich sehr über das Vorkommen von Gebärdensprache in “Schildmaid” gefreut. Dabei ist die Sprache nicht die definierende Eigenschaft der Person, sondern wird zum natürlichen Teil der Schiffsmannschaft, der nicht nur in einer Situation auch wichtige Vorteile bringt. Plotrelevante Gebärdensprache – ist das schon eine Weiterentwicklung zu plotrelevanten Sexszenen? Und was kommt als nächstes?

Egal, was als nächstes von Judith und Christian kommt (gerüchteweise eine Fortsetzung zu “Wasteland“!!!), ich werde es auf jeden Fall lesen. Schließlich hat mich “Schildmaid” nicht enttäuscht, sondern im Gegenteil alle meine Erwartungen erfüllt und übertroffen. Ich habe es geliebt, “mit den Girls auf Viking” zu gehen und war mehr als wehmütig, als die Reise ihr (verdientes) Ende fand. Das wird definitiv eines der besten Bücher, die ihr dieses Jahr lesen könnt, also wenn ihr bisher zu langsam wart, worauf wartet ihr noch? Greift zu!

Bewertung vom 14.03.2022
Das Orakel in der Fremde / Die Chroniken von Beskadur Bd.2
Sullivan, James A.

Das Orakel in der Fremde / Die Chroniken von Beskadur Bd.2


ausgezeichnet

Ende September vergangenen Jahres erschien “Das Erbe der Elfenmagierin” von James A. Sullivan, der Auftakt zu einer Dilogie, die jetzt mit “Das Orakel in der Fremde” ihren Abschluss findet. Schon beim ersten Band hatte ich mich begeistert über die wertschätzende und hoffnungsvolle Stimmung im Buch gezeigt, woran der zweite Band nahtlos anknüpft.

Zur Story möchte ich nicht zu viel verraten, es passiert ja schon einiges im ersten Band. Nur so viel: Ardoas Suche nach der seinem Volk verloren gegangenen Seelenmagie und dem Orakel von Beskadur gehen weiter, allerdings mit einem Zeitsprung zwischen den beiden Büchern. Die Figuren im “Orakel in der Fremde” sind also älter und auch die Lebensumstände haben sich geändert. Das passt in meinen Augen gut, da “Zeit” und “Generationenwechsel” wichtige Plätze in der Geschichte einnehmen.

Ein paar Schwierigkeiten hatte ich mit den vielen und teilweise ähnlich klingenden Namen der Figuren im Buch. Namen kann ich mir sowieso schon schlecht merken und gerade weil ich Band zwei mit etwas zeitlichem Abstand zu Teil eins gelesen habe, bin ich anfangs schwer hineingekommen. Der Autor hat aber glücklicherweise für Menschen wie mich vorgesorgt und so finden sich im Anhang sowohl ein Verzeichnis der Figuren, als auch ein Glossar (und Tags zum Inhalt sowie Inhaltswarnungen!). Sehr aufmerksam von Sullivan.

Die hoffnungsvolle und wholesome Grundstimmung aus “Das Erbe der Elfenmagierin” zieht sich natürlich auch durch den zweiten Band. Einer Person wird zum Beispiel Wiedergutmachung für einen vergangenen Verrat ermöglicht, wo in anderen Büchern ewige Feindschaft herrschen würde.

Auch der Spaß kommt nicht zu kurz und es gibt wieder einige elfische Wort(neu)schöpfungen, zum Beispiel “Gimbelon-Gembelon” als Synonym für… das wird nicht verraten =)

Insgesamt habe ich mich wieder gut aufgehoben und von der Geschichte getragen gefühlt. “Das Orakel in der Fremde” zu lesen, ist häufig, wie nach einem langen und anstrengenden Tag ein Bad zu nehmen: Entspannend, wohltuend und erholsam. Verwechselt das bitte nicht mit langweilig, denn auch dieses Mal passiert wieder viel und es steht einiges auf dem Spiel. Wo aber andere Bücher die Handlung mit negativen Emotionen pflastern (was nichts Schlechtes sein muss, ich habe auch schon den ein oder anderen buchlangen Rachefeldzug verschlungen), geht das Buch einen anderen Weg, einen sonnigeren. Und das wirkt sich auch auf die Lesenden aus.

Bewertung vom 10.03.2022
Toubab
Tamarit, Núria

Toubab


ausgezeichnet

Auf dem Cover des Comics “Toubab – Zwei Münzen” findet sich eine rothaarige weiße Frau inmitten Schwarzer Frauen, von denen viele ein Kopftuch tragen. Der Klappentext bezeichnet “Toubab” als preisgekrönte Ode an Toleranz und Offenheit. Das hat große Erwartungen in mir geweckt, aber auch ein wenig Sorge, ob der Comic diese Worten gerecht werden könne oder ob die Geschichte zu sehr in Stereotype und Vorurteile absinkt.

Worum gehts?
Mar ist eine medienaffine Teenagerin, die für drei Monate aus ihrem alltäglichen Leben herausgerissen wird. Sie soll ihre Mutter auf eine humanitäre Mission in den Senegal begleiten und beim Bau eines Kulturzentrums helfen. Bock hat sie darauf wenig. WLAN und fließend Wasser sind nicht vorhanden – die absolute Hölle für Mar. Nach und nach freundet sie sich mit Astou an. In der persönlichen Begegnung lösen sich die Vorurteile von beiden Seiten auf und Mars anfangs grenzenlose Naivität lässt irgendwann zumindest Grenzen erkennen. So bricht der Kontakt auch nach dem Ende der humanitären Mission nicht ab. Was es mit den titelgebenden zwei Münzen auf sich hat, sei aber an dieser Stelle nicht verraten. Dazu braucht es schon einen Blick in den Comic.

Gezeichnet ist “Toubab” in kräftigen, oft erdigen Tönen, die Personen sind leicht stilisiert mit aufs Wesentliche reduzierten Gesichtszügen dargestellt. In vielen Panels wird der Blick erst einmal auf die farbenprächtig gemusterten Kleider der senegalesischen Frauen gelenkt, die sofort ins Auge stechen. Der Zeichenstil hat mir gut gefallen und alles in allem die Geschichte ansprechend untermalt, stellenweise hätte ich mir aber eine ausdrucksstärkere Mimik gewünscht, da ich die Gefühle nicht immer treffsicher herauslesen konnte.

Auch die Geschichte konnte mich nicht restlos überzeugen. Laut Klappentext schöpft die Autorin aus ihren persönlichen Erfahrungen, da sie 2017 selbst an einem humanitären Hilfseinsatz im Senegal teilnahm. Wie sehr der Senegal im Comic durch die Brille einer privilegierten weißen Person auf Hilfsmission portraitiert wird, vermag ich nicht zu sagen.

Die Message hinter der Geschichte, “Begegnung entkräftet Vorurteile”, finde ich gut dargestellt und überzeugend transportiert. Allerdings fühlte es sich für mich stellenweise wie eine “Überromantisierung” der senegalesischen Lebensverhältnisse dar. Zum Beispiel sagt Mar an einer Stelle zu Astou:
"Ich hatte Angst herzukommen. Ich dachte, ich sehe hier Leute sterben. Leute, die verzweifelt unsere Hilfe erwarten. Aber manchmal denke ich… euch geht es besser als uns. Ja, sogar… ihr seid besser als wir. Ich weiß nicht."
Astou entgegnet etwas und relativiert die Aussage vielleicht, vielleicht auch nicht. Wie bei den Emotionen der Figuren blieb ich hier mit einigen Fragezeichen zurück. Wenn es tiefergehende Bedeutungsebenen gab, so haben sie sich mir nicht erschlossen.

Bewertung vom 09.02.2022
Sturmhöhe (Graphic Novel)
Brontë, Emily;Yann

Sturmhöhe (Graphic Novel)


ausgezeichnet

“Sturmhöhe” zählt zu den Klassikern des 19. Jahrhunderts. Der Roman ist auch in feministischer Hinsicht interessant, da er von Emily Brontë geschrieben wurde, die unter männlichem Synonym veröffentlichen musste und deren Schriften erst lange nach Brontës Tod Berühmtheit erlangten. Heute ist Brontë eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen der englischen Romantik.

Nun haben es Klassiker (zumindest für mich) oft an sich, dass sie schwer zu lesen und schwerer zu genießen sind. Wie gut, dass jemand auf die Idee kam, „Sturmhöhe“ zum Comic umzuschreiben. Das macht ihn gleich wesentlich zeitgenössischer.

Zur Handlung will ich gar nicht groß Worte verlieren, es ist ja auch nicht so, dass sich viel spoilern ließe. Auf dem Anwesen der Familie Earnshaw wird der Waisenjunge Heathcliff aus Mitleid aufgenommen. Die Kinder der Familie reagieren ganz unterschiedlich auf Heathcliff. Sohn Hindley findet in ihm ein Mobbingopfer, Tochter Cathy hingegen verliebt sich unsterblich. Aus dieser Ausgangssituation entspinnt sich eine Geschichte voller Wut, Hass und Rache und irgendwie sind alle ziemliche Arschlöcher.

Die Geschichte hat mich ehrlicherweise auch in Comicform jetzt nicht so gepackt. Zu viel “Verbotene Liebe” oder “GZSZ”, um mich wirklich abzuholen. Im Kontext seiner Zeit sicher eine vielschichtige und von Interpretationsmöglichkeiten gespickte Geschichte und vor dem Hintergrund der Sichtbarmachung historischer Autorinnen auch ein wichtiges Werk, aber einfach nichts, das mein jetziges Ich sonderlich unterhält.

Ganz anders die Bilder: Wow! Was für ein cooles Cover! Toll gezeichnet, hat direkt meine Aufmerksamkeit erregt und mir Lust auf den Comic gemacht. Und der Zeichenstil, der die Figuren ein wenig “verkindlicht” durch die runden vereinfachten Gesichter, zieht sich durch den ganzen Band. Das stellt einen in meinen Augen ziemlich guten Kontrast her zu der Bosheit der Figuren. Immer wieder habe ich mich ertappt: Aber Heathcliff sieht doch so niedlich aus, ich will ihn doch mögen, warum muss er so böse sein? Und Cathy, ich möchte sie in den Arm nehmen, aber sie verhält sich zeitweise wie ein echtes Aristokratenarschloch.

So verleihen die Zeichnungen der Geschichte eine zusätzliche Dimension und machen den Comic für mich deutlich genießbarer als den Klassiker. Ganz zu schweigen davon, dass der Comic schneller gelesen ist =)

Bewertung vom 19.01.2022
Origins
McLeod Chapman, Clay

Origins


ausgezeichnet

“Origins” versprüht auf dem Cover und auch auf den ersten Seiten einen derben “The Last of Us”-Vibe. Überwachsene Städteruinen, eine Szene in einer verlassenen U-Bahn… die postapokalyptischen Bilder sind mir direkt ins Auge gesprungen und auch im Kopf geblieben. Im englischsprachigen Original ist der Comic bei den Boom! Studios erschienen, einem meiner liebsten Comicverlage. Ich hatte den Comic deshalb schon länger im Auge und habe mich sehr auf die deutsche Veröffentlichung gefreut. Hält die Handlung, was das Cover verspricht?

Wiedergeburt
Tausend Jahre ist es her, dass die Menschheit sich durch die Schaffung einer KI selbst ausgelöscht hat. Geschaffen, um den Weltfrieden herbeizuführen, entschied die KI kurzerhand, den größten Kriegsverursacher zu vernichten – den Menschen. Dumm gelaufen, das. Aber nun wird ein Mann von der Androidin Chloe wieder zum Leben erweckt, und zwar ausgerechnet der Typ, der damals die KI entwickelt und die Menschheit dem Untergang geweiht hatte. Wundert mich übrigens ganz und gar nicht, dass ein Mann für den Niedergang der Zivilisation verantwortlich war, darauf würde ich auch tippen.

Ausgerechnet dieser Mann soll nun also die aus dem Ruder gelaufene KI besiegen und die Menschheit auf die Erde zurückbringen. Stellt sich bloß die Frage: Sollte die Menschheit überhaupt zurückgebracht werden?

Wovon träumen Androiden?
Beim Versuch, die Menschen zurückzubringen wird Protagonist David von verschiedenen Androiden begleitet. Da gibt es zum Beispiel Chloe, Davids Beschützerin und für seine Erweckung verantwortlich. Oder Cliff, der ein großer Fan von “Moby Dick” ist. Dabei tragen die Androiden mit ihren unterschiedlichen Persönlichkeiten die Handlung. Oft wirken sie menschlicher als David selbst.

Eine Antwort auf die oben gestellte Frage gibt der Comic übrigens auch. Und diese Antwort fällt in ihrer philosophischen Tiefe durchaus überraschend aus.

Hervorheben muss ich die Zeichnungen. Der etwas eigene Grafikstil hat mir richtig gut gefallen. Die Bilder versprühen einen düsteren und dreckigen Charme, der wunderbar zum Setting passt. Ein großer Wermutstropfen ist da auf jeden Fall das Format. 12x18cm? Natürlich kommen da die Details nicht so zur Geltung. Denselben Kritikpunkt hatte ich auch schon bei “The Impure” (ebenfalls Cross Cult). Ja, vermutlich stehen da wirtschaftliche Gedanken dahinter, aber solche Miniformate werden den Zeichnungen (und meinen Wünschen) einfach nicht gerecht. Hätte es nicht zumindest für Din A4 gereicht?

Bewertung vom 21.12.2021
Vergiss mich nicht
Garin, Alix

Vergiss mich nicht


ausgezeichnet

“Vergiss mich nicht” von Alix Garin hat mich sehr an meinen Urgroßvater erinnert. Vor seinem Tod litt er an Alzheimer/Demenz (ich war zu jung, um mir der medizinischen Unterschiede bewusst zu sein) und ich konnte seinen geistigen Verfall hautnah miterleben. In dieser Hinsicht war der Comic auch eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit meiner eigenen Vergangenheit.

Worum gehts? Die 90-jährige Marie-Louise hat Alzheimer. Das Pflegeheim kann sie nicht als ihr Zuhause akzeptieren und reißt immer wieder aus. Die einzige Lösung für das Personal: Eine chemische Zwangsjacke. Marie-Louises Enkelin Clémence kann das nicht akzeptieren und entführt ihre Oma kurzerhand aus dem Heim.

Ihr Ziel: Das Haus der Großmutter, in dem Clémence ihre Kindheit verbracht hat. Dass auf der Reise nicht alles nach Plan verläuft, wird schnell klar. Immer wieder werden Sequenzen eingeschoben, in denen Clémence von zwei Polizisten verhört wird. Ob Clémence durch das Abenteuer mit ihrer Oma findet, was sie sich erhofft hatte, sei an dieser Stelle nicht verraten, mir hat die Auflösung des Road Trips aber gut gefallen.

“Vergiss mich nicht” besticht durch eine ziemliche emotionale Tiefe und Vielschichtigkeit. Die Hautpfiguren und ihr Handeln wirken mehrdimensional. Ob Clémence das Leid der Oma nicht mitansehen kann und helfen will oder egoistischere Motive für die Entführung hat? Wer weiß. Im Verlauf der Handlung schreckt Alix Garin nicht vor unangenehmen Situationen zurück. Natürlich verschwindet die Krankheit der Großmutter nicht, im Gegenteil. Viele Schwierigkeiten auf dem Weg werden durch das Alzheimer verursacht oder verschlimmert. Und dass die mehrtägige Reise nicht im voraus durchgeplant wurde, rächt sich ebenfalls schnell. Ganz schön viel, was da zwischen den Buchdeckeln passiert.

Insgesamt wirkt der Comic für mich einfach wie aus einem Guss. Die Bilder sind stimmig, die reduzierte Farbpalette passt zur Geschichte, die Figuren sind nachvollziehbar und auch das Erzähltempo passt. Wenn das “nur” Garins Debütcomic war, dann bin ich sehr gespannt, was von ihr in Zukunft noch kommen wird.

Bewertung vom 16.12.2021
Jaron auf den Spuren des Glücks
Grolimund, Fabian;Rietzler, Stefanie

Jaron auf den Spuren des Glücks


ausgezeichnet

Einige Tiere sind bereits aus dem letzten Buch der beiden Autor*innen bekannt: Da wäre zum Beispiel das Hasenmädchen Lotte oder die Bärin Frieda. Auch die Lehrerin Frau Luchs ist mit von der Partie. Mehr im Mittelpunkt steht diesmal der junge Fuchs Jaron. In letzter Zeit wurde Jaron nicht unbedingt vom Glück verfolgt: Sein Papa zwingt ihn zum Fußball spielen, sein bester Freund scheint andere Kumpels gefunden zu haben, er wird in der Schule ständig geärgert und jetzt soll er auch noch ein Gruppenprojekt mit drei Mädchen machen! So ein Mist! Und so kommt es, dass Lotte, Frieda, Merle und Jaron gemeinsam auf Forschungsreise zum Thema „Glück“ begeben müssen.

Und hier kommt der theoretische Unterbau mit ins Spiel. In die Geschichte sind Befunde aus der Resilienz- und Bindungsforschung eingeflossen, auch Erkenntnisse aus Bedürfnis- und Motivationstheorien haben Eingang gefunden.

Ziel des Buches ist, Kindern Wege und praktische Strategien aufzuzeigen, wie sie ihr Leben und das Leben ihrer Mitmenschen positiv beeinflussen können. Zentral dabei: Das Glücksjournal, das sich auch hier herunterladen lässt und all die Erkenntnisse und Ideen enthält, die die vier jungen Tiere während ihrer Recherche sammeln.

Das Glücksjournal ist zum Mitmachen ausgelegt und lässt auch Platz frei, um eigene Gedanken aufzuschreiben. Viele Übungen brauchen nicht viel, zum Beispiel die „Was ist gut gelaufen-Übung“: „Denke am Abend zurück an deinen Tag. Schreibe, erzähle oder male drei Dinge auf, die heute gut liefen oder dir Freude gemacht haben.“ (S. 331)

Es ist nicht das erste Mal, dass ich von den meisten dieser Übungen höre oder lese, allerdings sind die Strategien in keinem anderen Ratgeber so kindgerecht und schön in eine Geschichte verpackt. So machen wissenschaftliche Erkenntnisse Spaß!

Sehr stark fand ich persönlich noch das Statement der beiden Autor*innen zu Mobbing am Ende des Buches. Ich nehme mir aus der Lektüre auf jeden Fall Anregungen zur Umsetzung bei mir in der Klasse mit. Und das Buch steht jetzt auch in der Klassenbücherei.