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Renas Wortwelt

Bewertungen

Insgesamt 198 Bewertungen
Bewertung vom 11.12.2023
Kramp, Ralf

Tödlich währt am längsten


gut

Wenn einen die Opfer nicht ernst nehmen, weil sie den Überfall für einen Aprilscherz halten, wenn das Paket nicht das enthält, was bestellt wurde, dann kann sich das nur Ralf Kramp ausgedacht haben.
Seine neuen bitterbösen Geschichten, wie der Untertitel sie nennt, sind gewohnt skurril, völlig absurd, urkomisch und zeigen dennoch authentisch wirkende Menschen in Situationen, in die wir alle nie geraten möchten.
Wenn auch das Sammelsurium an Geschichten in diesem Band ein wenig wirkt, als hätte der Autor den Bodensatz seiner Festplatte zusammengekehrt, um eine neue Anthologie zu füllen, so sind sie doch durchweg unterhaltsam. Zwar wird man des immer gleichen Humors, der sich stets ähnelnden Pointen, die man schließlich erahnen kann, nach einiger Zeit müde. Aber dafür sind es ja Kurzgeschichten, die man immer mal zwischendurch wieder hervorholt, wenn man etwas Aufmunterung braucht – oder vielleicht gerne auch mal jemanden beseitigen möchte… ?
Dabei sind die Täter selten erfolgreich, sondern werden vielmehr am Ende meist selbst zum Opfer. Egal ob Ehemann oder Ehefrau, die sich des leidigen Partners entledigen möchten, ob eifersüchtiger Bruder, der sich endlich den ewig gewinnenden Bruder vom Hals schaffen möchte, ob es die Anhalterin ist, die nicht dort ankommt, wo sie hin möchte – alle Geschichten sind aus dem Leben gegriffen und trotzdem völlig fern von aller Realität. Und sogar in Gedichtform bringt Ralf Kramp noch seine Krimis, nicht weniger humorvoll als die prosaischen.
Ein Lesespaß, den man am besten in kleinen, bekömmlichen Dosen zu sich nimmt.
Ralf Kramp – Tödlich währt am längsten
KBV, Oktober 2023
Taschenbuch, 251 Seiten, 14,00 €

Bewertung vom 06.12.2023
Fletcher, Susan

Florence Butterfield und die Nachtschwalbe


sehr gut

Mord oder Selbstmord, das ist eine Frage in diesem geruhsam erzählten Roman, der kein Krimi sein will
Dieses Seniorenheim namens Babbington Hall scheint ein Idyll zu sein. Ein wunderschönes altes Haus, liebevoll renoviert, mitten in einem großen Garten, voller mehr oder weniger skurriler alter Menschen. Eine davon die liebenswerte Florence Butterfield, 87 Jahre alt und auf den Rollstuhl angewiesen.
Florrie, wie sie genannt wird, kann gut zuhören und so vertraut sich Renata, die Heimleiterin, ihr eines Tages an und erzählt von ihrer neuen Liebe, ihren Zukunftsplänen. Doch am nächsten Tag stürzt Renata aus dem Fenster. Alle vermuten Selbstmord, doch Florrie glaubt nicht daran. Wer frisch verliebt ist und von Paris träumt, bringt sich nicht um.
Florence Butterfield hat selbst ein sehr abwechslungsreiches Leben, ein Leben voller Abenteuer, aber auch voller Schmerz, hinter sich. Viele Erinnerungsstücke bewahrt sie in einer kleinen Kiste auf, in der sie immer mal wieder kramt, und holt so die damaligen Ereignisse wieder zurück. Doch es gibt ein Geschehen in ihrer Vergangenheit, über das sie niemals spricht.
Während Florrie einerseits in ihren Erinnerungen versinkt und uns als Leser daran teilhaben lässt, versucht sie andererseits zu beweisen, dass Renatas Sturz kein Selbstmordversuch war, sondern ein Mordversuch. Hilfe findet sie beim Mitbewohner Stanhope Jones, der ebenfalls nicht an Selbstmord glaubt. Den beiden alten Leuten wird dabei schnell klar, dass der potentielle Mörder bzw. Mörderin in Babbington Hall leben muss. Doch es dauert lange, bis sie der Wahrheit nahe kommen.
Geruhsam, ohne Effekthascherei oder Dramatik, so, wie sich alte Menschen durchs Leben bewegen, so bewegt sich der Roman durch die Ereignisse. Immer wieder wird die aktuelle Handlung unterbrochen durch die Rückblicke auf Florries Leben. Nicht immer sind diese Einblicke in die Vergangenheit besonders spannend, warmherzig und berührend wohl aber schon. Besonders aber berühren die aktuellen Gedankengänge Florries, ihre genaue Beobachtungsgabe, ihr jung gebliebener Verstand, ihre Güte und ihre Abgeklärtheit. „… Wir lassen die Kinder, die wir einmal waren, nicht hinter uns. Wir wachsen einfach um sie herum, so wie Bäume um ein Fahrrad wachsen, das am Stamm angelehnt stehen bleibt – und Florrie erfreut sich an diesem Vergleich.“ (S. 88).
All dies so wahrhaftig, so glaubhaft darzustellen, ist ein großes Verdienst von Susan Fletcher. Ein Roman, der vor allem dazu anregt, über das eigene Verständnis vom Älterwerden nachzudenken.
Susan Fletcher - Florence Butterfield und die Nachtschwalbe
aus dem Englischen von Silke Jellinghaus und Katharina Neumann
Kindler, November 2023
Gebundene Ausgabe, 495 Seiten, 24,00 €

Bewertung vom 06.12.2023
Orths, Markus

Der Pastor und das letzte Hemd / Ewig währt am längsten Bd.2


gut

Am Vorgängerbuch hatte ich viel Spaß, und das nicht nur, weil es ganz in der Nähe meines Wohnortes spielte. Der Humor und die liebevolle Art, wie es dem Autor gelang, die Manierismen, die Verschrobenheiten, die speziellen Ausdrucksweisen und die Gastfreundschaft der Niederrheiner darzustellen, machten einfach Freude.
So erwartete ich auch von den neuen Buch aus der Feder von Markus Orths, das wieder Anekdoten und Ereignisse aus dem Leben von Bennos Familie erzählt, ähnlichen Lesegenuss.
Es sollte weitergehen mit den herrlich komischen Ereignissen in Niederkrüchten, wo Bennos Familie Tür an Tür oder besser Wand an Wand wohnt mit Mutters Freundin Käthchen. Alle kommen wieder vor in diesem kleinen Buch. Diesmal werden die Ereignisse ausgelöst durch den Pfarrer, der sein titelgebendes letztes Hemd verliert, als bei ihm eingebrochen wird und all seine Habe, jedes Möbelstück, jeglicher Besitz gestohlen wird. Darunter auch ein erheblicher Geldbetrag.
Doch nun stirbt Tante Erna zum vierten oder fünften Mal, nachdem sie die vielen Male zuvor, die im ersten Band die Handlung bestimmten, überlebt hatte. Nun muss für die Beerdigung gesorgt werden, ein Hochzeit gilt es zu feiern, ein verheimlichter Sohn wird öffentlich und eine verlorene Tochter kommt nach Hause. Daneben kommen sich Benno und seine Jugendliebe Sibille, Käthchens Tochter, immer näher.
All das wird wieder mit Humor und großem Einfühlungsvermögen erzählt, und man kann unschwer erkennen, dass der Autor die Region und ihre Bewohner liebt. Doch irgendwie fehlte mir ein roter Faden, war das Ganze eher ein etwas ungeordneter Haufen von lustigen Dialogen, absurden Begegnungen und merkwürdigen Begebenheiten.
Aber weil es von so viel Zuneigung zeugt und weil die handelnden Personen einfach nur liebenswert sind, liest man auch dieses kleine Buch mit Freude. Und ist gespannt, ob es weitergeht mit den Niederkrüchtenern.
Markus Orths - Der Pastor und das letzte Hemd
dtv, November 2023
Gebundene Ausgabe, 172 Seiten, 12,00 €

Bewertung vom 06.12.2023
Lyons, Annie

Der Buchclub - Ein Licht in dunklen Zeiten


ausgezeichnet

Was für ein Buch! Eine Überraschung geradezu, hatte ich doch nicht wirklich erwartet, dass mich dieser Roman derart in seinen Bann zieht. So sehr, dass ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen konnte. Um fünf Uhr nachmittags begann ich die Lektüre und um halb elf am Abend war das Ende erreicht.
Und dass ich das Ende der Geschichte erreicht hatte, stimmte mich fast traurig. Man mag die Figuren dieses Romans, diese liebenswerten Charaktere nicht verlassen, so sehr wachsen sie ans Herz, während man ihren Abenteuern, ihrem Schicksal folgt.
Worum geht es: Gertie Bingham, knapp sechzig, ist seit etwa zwei Jahren Witwe und vermisst ihren geliebten Mann Harry immer noch schmerzlich. So sehr, dass sie erwägt, die gemeinsame Buchhandlung, die sie dreißig Jahre geführt haben, aufzugeben. Obwohl ihr die Trennung von den Büchern schwer fallen würde, an denen sie so sehr hängt. Gertie ist der Überzeugung, dass Bücher für fast alles eine Lösung bieten.
Doch ihre Pläne werden über den Haufen geworfen. Es ist das Jahr 1939 und auch in London hat man von dem gehört, was die Nazis in Deutschland den Juden antun. Daher holen entsprechende Organisationen jüdische Kinder nach England in Sicherheit. Und Gertie erklärt sich bereit, ein solches jüdisches Mädchen bei sich aufzunehmen. Obwohl sie selbst nie Kinder hatte und auch keinerlei Erfahrung mit Kindern hat.
So dauert es auch eine ganze Weile, bis sich die ältere Frau und das vierzehnjährige Mädchen anfreunden und miteinander zurechtkommen. Zumal Hedy, so der Name des Kindes, sehr unter der Trennung von ihren Eltern leidet und vor allem auch darunter, dass sie so wenig über deren Schicksal erfährt.
Als der Krieg beginnt und damit die Bombardierungen Englands, muss Gertie unter der Buchhandlung einen Luftschutzraum erschaffen. Da kommt ihr die Idee, einen „Luftschutzbuchclub“ zu gründen. So kommt es dazu, dass immer mehr Menschen sich während der Angriffe dort versammeln, während Gertie oder Hedy aus den Büchern vorlesen.
All die Menschen aus der Straße und dem Viertel rund um den Buchladen, die alle ihre Päckchen zu tragen haben, die alle ihre Eigenheiten und Marotten haben, sie alle halten schließlich ganz fest zusammen, helfen sich gegenseitig in all dem Schrecken und den Gefahren.
Das alles erzählt Annie Lyons mit viel Emotion und Empathie, aber ohne Kitsch oder Schmalz. Die Figuren, die sie erschafft, sind voller Leben und Liebe. Sie alle lernen, dass durch Zusammenhalt vieles, fast alles überwunden werden kann. Dass Liebe und Freundschaft helfen, Trauer zu besiegen, ebenso wie Sehnsucht, dass Wärme und Geborgenheit aus Zusammenhalt entstehen können.
Ein ganz wunderbarer, gefühlvoller Roman, der berührt, ohne tränenrührig zu sein.
Annie Lyons - Der Buchclub: Ein Licht in dunklen Zeiten
aus dem Englischen von Sabine Längsfeld
rororo, November 2023
Taschenbuch, 430 Seiten, 12,00 €

Bewertung vom 06.12.2023
Cambridge, Colleen

Der Cocktailmörderclub / Phyllida Bright Bd.2


sehr gut

Ich habe ein Faible entwickelt für Kriminalromane, die zu einer Zeit spielen, als die Ermittler:innen noch nicht ständig an ihrem Mobiltelefon hingen, ganz einfach, weil es diese zu ihrer Zeit noch nicht gab. Daher habe ich auch schon den Vorgängerband „Die Dreitagemordgesellschaft“ mit großem Vergnügen gelesen.
Was auch vor allem an dem liebenswerten Personal lag, das die Autorin in ihrem Roman erschafft. Allen voran natürlich die Hauptfigur, Phyllida Bright, ihres Zeichens Haushälterin bei der berühmten Agatha Christie. Doch sie ist viel mehr, denn die beiden Frauen sind eng befreundet, was aber außer Agathas Ehemann Max im Haushalt niemandem bekannt ist.
Was dazu führt, dass insbesondere der Butler Mr. Dobble sich immer wieder über Phyllidas für eine Haushälterin unpassendes Benehmen und ihre unpassende Kleidung erregt. Doch diesmal ist er einigermaßen dankbar für ihre Initiative, denn ist es doch sein Freund, der unter Mordverdacht gerät.
Ermordet wurde ein Pfarrer der Gemeinde. Der Mord geschah während des Treffens des Detection Clubs, welcher die berühmtesten Kriminalschriftsteller des Landes zu seinen Mitgliedern zählt. Der Anlass ist ein „Mordfestival“, während dessen Verlauf die beste Kurzgeschichte der Autoren des Listleigher Mordclubs gekürt werden soll.
Aber dazu kommt es nicht wegen des erwähnten Todesfalls. Es hat den Anschein, dass der Verblichene gar nicht das vorgesehene Opfer war, sondern der Giftanschlag einer anderen Person galt. Phyllida beginnt zu ermitteln, sehr zum Ärger des Inspectors, der sich ihrer aber weder erwehren noch ohne sie am Ende die Tat aufklären kann.
So unterhaltsam der erste Band war, so viel Spaß hat man einerseits auch an diesem Kriminalfall. Vor allem, weil die Figuren herrlich dargestellt sind in ihrer typisch englischen Verschrobenheit. Und weil der Fall wunderbar verzwickt und damit einer Agatha Christie durchaus würdig ist. Andererseits aber gibt es viele endlose Dialoge, die die Handlung wenig voranbringen, so dass diese sich an manchen Stellen etwas zäh dahinzieht. Eine Straffung, eine Kürzung mancher Szene wäre hier der Spannung und damit dem Lesespaß zuträglich gewesen.
Dennoch hoffe ich auf eine Fortsetzung der Reihe, denn Phyllida Bright wächst beim Lesen ans Herz. Und sie hat immer noch ihr Geheimnis, das man ja nun doch gerne endlich einmal erfahren würde.
Colleen Cambridge - Der Cocktail Mörder Club
aus dem Englischen von Angela Koonen
Lübbe, Oktober 2023
Gebundene Ausgabe, 381 Seiten, 18,00 €

Bewertung vom 27.11.2023
Meyer, Kai

Die Bibliothek im Nebel


ausgezeichnet

Wie schon in seinem Roman „Die Bücher, der Junge und die Nacht“, der letztes Jahr ein absolutes Highlight für mich war, dreht sich auch sein neues Buch um Bücher, um Bibliotheken, um die Liebe zu Büchern und um die Bücherstadt Leipzig. Auf drei Zeitebenen, atmosphärisch dicht, hochspannend und voller Emotionen erzählt Kai Meyer vom Schicksal der Menschen, die ihr Leben Büchern widmen.
Im Jahr 1917 folgen wir dem jungen Artur in Russland auf seiner Flucht vor der Revolution, vor den Verfolgern, die seine Familie ausgelöscht haben. Es gelingt ihm, mit einem Schiff nach Deutschland zu fliehen. Er lernt Grigori kennen – dem wir bereits im letzten Buch begegnen konnten – der ihm ein Freund wird. Arturs Ziel ist Leipzig, wo er Mara treffen will, seine große Liebe. Sie war von seiner Tante adoptiert worden und sollte nun in Leipzig den Sohn eines reichen Verlegers heiraten.
1928 begegnen wir der elfjährigen Liette. Ihren Eltern und ihrem Onkel gehört ein großes Hotel an der Côte d'Azur, in welchem das Mädchen den Sommer verbringt. Sie leidet an einer besonderen Krankheit und darf daher tagsüber das Haus nicht verlassen, damit ihre Haut keine Sonne abbekommt. Liette findet eines Tages beim Spielen auf dem Dachboden das Gepäck mehrerer Russen, die vor dem ersten Weltkrieg viele Male im Hotel Urlaub machten. Dabei entdeckt sie ein geheimnisvolles Buch. Liette interessiert sich auch sehr für die benachbarte Villa am Meer, die seit vielen Jahren leer steht und in der sie eine große Bibliothek gesehen hat.
Und schließlich im Jahr 1957 führt die inzwischen erwachsene Liette das Hotel als Eigentümerin. Sie beauftragt den ehemaligen deutschen Journalisten Thomas Jansen, die Besitzerin dieser Villa ausfindig zu machen, denn Liette möchte das Haus und besonders die Bibliothek retten.
Die Schicksale all dieser Menschen sind eng miteinander verwoben. Ihre Geheimnisse sind gefährlich, manchmal lebensgefährlich. Und alles dreht sich am Ende um Bücher. Dabei spielt ein besonderes Buch, welches Mara gehört hatte, eine ganz spezielle Rolle. Überhaupt ist es Mara, die das Bindeglied ist zwischen all diesen Menschen, diesen Zeitebenen. Ihr Geheimnis vor allem macht all diese Geschichten so dramatisch, so spannend und mysteriös, so mystisch.
Kai Meyer gelingt es auf geradezu geniale Weise, die Leserin in seinen Roman hineinzuziehen. Kaum hat man die erste Seite gelesen, kann man das Buch nicht mehr zur Seite legen. Er ist ein Meister im Erschaffen dieser ganz besonderen Atmosphäre, im Vermitteln dieser Anziehungskraft von Büchern, von gedruckten Worten und Gedanken. Seine Beschreibungen der Handlungsorte machen diese fast greifbar, man meint, die Regale voller Bücher im Haus in St. Petersburg, die dunklen gefährlichen Gassen Leipzigs und die hohen Klippen der Côte d'Azur vor sich zu sehen. Seine Figuren sind so lebendig, dass man mit ihnen fühlt, atmet, leidet.
Es ist ein Epos voller Wucht und Kraft, voller Emotionen und voller Ehrfurcht vor Büchern und allen, die sie erschaffen. Doch anders als im vorigen Roman hat dieses Buch auch seine Längen, wenn ausführliche, langatmige Erklärungen die Handlung unterbrechen. Aber das übersieht man gerne in einem so hervorragenden, unbedingt lesenswerten Roman.
Kai Meyer - Die Bibliothek im Nebel
Knaur, November 2023
Gebundene Ausgabe, 556Seiten, 24,00 €

Bewertung vom 24.11.2023
Brammer, Mikki

Dieses schöne Leben


gut

Man kann sich kaum einen belastenderen, aber vielleicht auch keinen erfüllenderen Beruf denken als den einer Sterbebegleiterin. Aber wie muss der Mensch sein, der einen solchen Beruf ergreift? Wie schützt man sich, die eigene Psyche, gegen die ständige Begegnung mit dem Tod? Insbesondere, wenn man selbst nicht sehr gefestigt ist, aber dafür mit vielen inneren Problemen zu kämpfen hat?
Diese Fragen wirft der Roman der in Australien geborenen Autorin auf, der die Geschichte von Clover erzählt. Clover, heute Mitte Dreißig, hat im Alter von sechs Jahren ihre Eltern verloren und wuchs bei ihrem Großvater auf. Der war ein sehr belesener Mann, allerdings mit keiner Erfahrung im Umgang mit kleinen Kindern. So verwundert es wenig, dass Clover zu einer etwas wunderlichen jungen Frau heranwuchs.
Als ihr Großvater starb, war Clover gerade im Ausland und diese Tatsache hat sie so geprägt, dass sie beschloss, Sterbebegleiterin zu werden, damit sie dazu beitragen kann, dass Menschen nicht allein sterben müssen.
Ihre Tätigkeit ist abwechslungsreich und unterscheidet sich sehr, je nach Auftrag. Mal ist so eine Begleitung nach wenigen Stunden abgeschlossen, mal geht sie über Tage und Wochen. Einzige Kontakte für Clover, die mit einem Hund und zwei Katzen immer noch in der Wohnung ihres Großvaters wohnt, wo sie fast nichts verändert hat, sind der alte Nachbar und Freund ihres Großvaters, Leo, und die neu eingezogene Sylvie. Einzige Freizeitbeschäftigung sind ihre Besuche von sogenannten „Death Cafés“, Gesprächsrunden von Menschen, die über den Tod reden wollen.
Dort lernt sie eines Tages Sebastian kennen, der sie zu seiner Großmutter bringt, die sterbenskrank ist und mit der Clover lange Gespräche führt. Irgendwann beschließen sie und Sebastian, einen Mann zu suchen, in den seine Großmutter vor sechzig Jahren verliebt war und den sie seither nicht mehr gesehen hatte.
Dass dieser Trope zum einen inzwischen recht abgedroschen und zum andren in meinen Augen völlig unrealistisch ist – wer glaubt an so etwas? – lasse ich mal unberücksichtigt. Dass aber dieser Handlungsteil, der im Klappentext so angekündigt wird, als wäre er Hauptpart des Romans, erst weit nach Seite 250 überhaupt thematisiert und dann binnen weniger Seiten abgehakt wird, irritiert dann schon.
Bis es dazu kommt, zieht sich der Roman, so liebens- und bedauernswert die Protagonistin auch ist, ziemlich. Es gibt nicht viel Handlung, dafür seitenlange Selbstbetrachtungen Clovers, deren Erkenntnisse sich ständig wiederholen. Man entwickelt Empathie für sie und ihre Einsamkeit, aber das permanente Wiederkauen ihrer Probleme, ihrer Hemmungen anderen Menschen gegenüber, ihrer Angst geradezu vor anderen Menschen, wird irgendwann lästig. Eine Straffung, mehr Handlung und deutlichere Entwicklungsfortschritte der Hauptfigur hätten dem Roman gut getan.
Fazit: Eine berührende Geschichte mit einigen Längen, die der Vermittlung des Themas nicht zuträglich sind.
Mikki Brammer - Dieses schöne Leben
aus dem amerikanischen Englisch von Carolin Müller
Knaur, November 2023
Taschenbuch, 400 Seiten, 16,99 €

Bewertung vom 22.11.2023
Lipps, Susanne

KUNTH Bildband Bücherliebe


ausgezeichnet

Eigentlich muss man die Bildbände aus dem Kunth-Verlag nicht mehr rezensieren, denn gelungen sind sie alle. Und dieser hier ist geradezu ein Muss für Bücherfreunde. Wer an diesem Buch keine Freude hat, hat an Büchern keine Freude.
Mit großformatigen, großartigen Fotos führt uns das Buch durch die ganze Welt – die Welt der Bücher, der Bibliotheken und Buchläden. Von A bis Z geordnet, von A wie Antwerpen oder Amsterdam, über E wie Umberto Eco und Exlibris, über K wie Kopenhagen, L wie Lagerlöf bis hin zu P wie Peking und W wie Wolfenbüttel, tritt man ein in erstaunliche Buchhandlungen, die wie Kirchen anmuten (und manchmal auch eine waren), in atemberaubende Bibliotheken in Schlössern und Burgen, in moderne Bibliotheken in futuristischen Gebäuden.
Staunend, sprachlos, geradezu überwältigt ist man beim Betrachten dieser Fotografien. Wie muss es dann erst sein, in diesem Büchertempeln zu stehen, vor diesen turmhohen Regalwänden, diesen antiken Schriften, diesen Klassikern und den zeitgenössischen Werken.
Wie man es von diesem Verlag gewöhnt ist, werden die Fotos immer ergänzt von einer kurzen, sehr informativen Erläuterung, die aber dann doch noch viele weitere Fragen offen lässt – und somit noch mehr dazu reizt, den jeweiligen Ort aufzusuchen. Wenn man das doch könnte…
Wir sehen Bilder aus der Morgan Library in New York, aus der Biblioteca Joanina in Coimbra. Wir treten ein in die gigantischen Läden der chinesischen Buchhandelskette Zhongshuge. Wir sind beeindruckt von den Ausmaßen des Real Gabinete in Rio de Janeiro und erfahren vom größten Gebrauchtbüchermarkt im indischen Kolkata.
Dazwischen finden sich immer wieder kleine Anekdoten über Buchläden, Bücherhelden und deren Schöpfer, die Schriftsteller und Schriftstellerinnen.
Dieses Buch, mag es auch groß und üppig sein, ist ein Kleinod und sollte in keiner Bibliothek derer fehlen, die sich als Buchenthusiast bezeichnen.
Bücherliebe
Kunth Verlag, Oktober 2023
Gebundene Ausgabe, 336 Seiten, 39,95 €

Bewertung vom 17.11.2023
Falk, Rita

Steckerlfischfiasko / Franz Eberhofer Bd.12


gut

Es stand zu befürchten und dennoch konnte ich nicht widerstehen: ein neuer Eberhofer muss sein. Doch wie schon im Vorgängerband, so stehen auch diesmal die Familie und die Befindlichkeiten des Franz Eberhofer im Mittelpunkt und der Kriminalfall, den er aufklären soll, wird zur Nebensache.
In Niederkaltenkirchen gibt es neuerdings einen Golfplatz, was natürlich die üblichen Verdächtigen auf den Plan ruft, wie die besten Freunde von Franz, den Simmerl und den Heizungspfuscher Flötzinger. Letzterer durfte im Clubhaus die sanitären Anlagen gestalten und nun findet man just dort eine Leiche, nämlich den Vereinschef. Erschlagen mit einem Golfschläger.
Wie immer gibt es viele, die ein Motiv hätten, diesen Mann in die ewigen Jagdgründe zu schicken. Doch statt, dass Franz das Ermitteln beginnt – was er wie immer gerne und immer undankbar seinem Spezi Rudi überlässt – hadert er mit seinem Dasein. Die Oma ist zur Kur, sein Vater und sein lästiger Bruder kümmern sich um den Haushalt, für den eigentlich die Aushilfe Julika aus Ungarn engagiert ist. Und das Allerschlimmste: Seine Susi kandidiert als Bürgermeisterin von Niederkaltenkirchen. Das ist nur noch zu toppen durch die erschreckende Vorliebe seines Sohnes Paul für das Ballett, wo doch Franz gerne einen Fußballer aus ihm machen würde. Ballett, wie grausig, wie wenig männlich. Diese seine Einstellung führt immer wieder zu wortreichen Auseinandersetzungen mit Susi, derer es viele im Laufe des Romans gibt.
Spannung ist in diesem Krimi so gut wie nicht vorhanden, während der Lektüre hat man als Leserin so den einen oder die andere in Verdacht, den Mord begangen zu haben, wirkliches Interesse für den Fall bringt man aber fast keins mehr auf. Die Auflösung ist am Ende völlig überraschend und eigentlich auch nicht nachvollziehbar, was dann aber auch schon nicht mehr stört. Die Gags sind altbekannt, die Lebenseinstellung und vor allem die Lebensweise von Franz Eberhofer immer mehr aus der Zeit gefallen – wer so isst und trinkt, müsste schon längst selbst in die Jagdgründe eingegangen sein.
Fazit: Nun ist es aber wirklich genug, so unterhaltsam und liebenswert die Figuren waren und schon auch irgendwie immer noch sind, es braucht keinen dreizehnten Band.
Rita Falk – Steckerlfischfiasko
dtv, Oktober 2023
Taschenbuch, 287 Seiten, 18,00 €

Bewertung vom 13.11.2023
Kruse, Tatjana

Strippen statt sticken!


gut

Ihren Roman um eine nicht tot sein wollende Leiche habe ich mit großem Vergnügen gelesen. Und oft herzhaft lachen müssen. So war ich auf dieses neue Buch von Tatjana Kruse sehr gespannt. Allerdings war mir entgangen, dass sich dabei schon um den 9. Band einer Reihe um immer denselben Kommissar im Ruhestand handelt.
Man kann diesen Band lesen und auch verstehen, ohne die vorherigen acht zu kennen, denn zum einen gibt es am Ende ein „Wer ist wer“, das die Familienbande erläutert. Und auch im Roman gibt es immer wieder Aufklärung über die Verhältnisse im Seifferheld-Clan, besagter Familie des Kommissars Siggi Seifferheld.
Und da sind wir schon beim für mich größten Manko des Romans: Es dreht sich viel mehr um das Privatleben und die Animositäten und Marotten der Familienmitglieder als um den Kriminalfall, in den der Ex-Kommissar sich gerne verwickeln lässt.
Der Neffe eines Kollegen steht nämlich in Verdacht, im örtlichen Swingerclub eine Frau ermordet zu haben. Allein schon dieser Tatort sorgt natürlich für Material für seichte Witze, was auch weidlich ausgenutzt wird. So eilt Seifferhelds bessere Hälfte Marianne sofort an seine Seite, um ihn vor Fährnissen zu bewahren. Mit ungeahnten Folgen…
Neben dem Hauptverdächtigen hat der Kommissar natürlich noch weitere Spuren im Blick, insbesondere als es einen zweiten Toten gibt. Dennoch werden seine Ermittlungen zur Nebensache, verdrängt von seinem Eheleben, von der Familien-Whatsapp-Gruppe, in der sinn- und oft witzlose Nachrichten ausgetauscht werden, und vom Tratsch in der Kleinstadt, angeheizt von Seifferhelds Foto in der örtlichen Presse.
So bleibt der gesamte Krimi seicht, ohne Spannung, wird dabei aber trotzdem nicht langweilig, auch wenn der Humor recht platt ist. Die Figuren, wiewohl einigermaßen klischeehaft, sind lebensnah und sympathisch. Jedoch zeigt der Roman ein ziemlich aus der Zeit gefallenes Frauenbild, was mich dann schon ein wenig gestört hat.
Alles in allem ein recht unterhaltsamer Krimi mit etwas zu wenig Krimi drin.
Tatjana Kruse - Strippen statt sticken!
Haymon, Oktober 2023
Taschenbuch, 219 Seiten, 9,99 €