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Bellis-Perennis
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Wien

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Insgesamt 1072 Bewertungen
Bewertung vom 24.10.2024
Meyer, Martin

Die Orgelbauerin (eBook, ePUB)


sehr gut

Dieser historische Roman entführt uns in die Weimarer Republik (1918-1933), die von instabiler Regierungen, Armut, Arbeitslosigkeit und zahlreichen Männern, die an Körper und Geist versehrt aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekommen sind, gekennzeichnet ist. Die Not ist in den Städten größer, Dorfbewohner können sich mit den kümmerlichen Erträgen aus ihren Gärten und der Kleinviehhaltung gerade noch über Wasser halten.

Paula Bertram, die Tochter des Orgelbauers Theodor Bertram, will unbedingt das Handwerk des Orgelbaus erlernen, zumal ihr Bruder auf Grund einer schlecht heilenden Kriegsverletzung an der rechten Hand, den Beruf nicht wirklich ausüben kann. Doch in Theodors Gedankenwelt haben Frauen ihren Platz in der Küche, im Ehebett und Kirche.

Nach einer gescheiterten Ehe mit dem Möbeltischler Motte, der sie zudem misshandelt hat, beginnt sie eine Tischlerlehre bei Hans Meichelbeck, der einst Orgelbauer im Betrieb ihres Vater gewesen ist. Der ist für beide steinig und hart, denn die zahlreichen gesetzlichen Vorschriften stehen sowohl Paula als auch Hans im Weg.

Doch für die Orgelbauer im ganzen Land sieht es schlecht aus. Die Kirchengemeinden jammern zwar über den schlechten ZUstand ihrer Orgeln, für eine Instandsetzung oder gar eine neue Orgel fehlt schlichtweg das Geld.

Muss Paula ihren Traum vom Orgel bauen aufgeben? Oder muss der väterliche Betrieb erst vor die Hunde gehen, damit der jähzornige Patriarch ein Einsehen hat?

Meine Meinung:

Mir hat dieser historische Roman, der mich nach Weimar, in die Stadt Goethes und Schillers sowie in die Werkstätten des Bauhauses geführt hat, sehr gut gefallen. Das Bauhaus und seine revolutionären Ideen sind für die bodenständige Paula einen Hauch zu progressiv. Die will die traditionelle Handwerkskunst lernen und den väterlichen Betrieb wieder auf Vordermann bringen.

Das Cover ist einerseits an die strenge geometrische Form des Bauhauses angelehnt, andererseits sind natürlich Orgelpfeifen abgebildet.

Die fiktive Story rund um Paula ist geschickt angelegt und flüssig geschrieben. Erst im Laufe der Geschichte erfährt man einerseits, warum Theodor Bertram so verbittert ist und keine Frau in der Werkstatt duldet, und andererseits einiges über Paulas Bruder Maximilian. Die Charaktere sind sehr gut ausgestaltet.

Wir erfahren einiges über die Kunst des Orgelbaus. Ich gebe zu, bislang habe ich mich nur wenig damit befasst. Erst der Besuch des Kölner Domes, bei dem ich fasziniert die sogenannte „Schwalbennest-Orgel“ bestaunt habe. Diese Orgel ist allerdings eine moderne Orgel, die erst 1998 von Johannes Klais gebaut worden ist. Diese Erklärungen zum Orgelbau sind geschickt in die Handlung integriert.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem historischen Roman aus der Weimarer Republik 4 Sterne.

Bewertung vom 24.10.2024
Schätzing, Frank

Tod und Teufel / Jacop der Fuchs Bd.1 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Frank Schätzing entführt uns auf die Großbaustelle des Kölner Dom im Jahre 1260. Überall dort, wo viel Geld, Macht und Einfluss im Spiel sind, sind Intrigen und Korruption nicht weit. So auch auf dieser Baustelle, wo zu Ehren Gottes, die schönste Kathedrale mit den höchsten Türmen entstehen soll.

Im Sog der Handwerker, die aus allen Teilen Europas in das mittelalterliche Köln, das damals noch mit C und Doppel-L, also Cölln, geschrieben worden ist, wollen unterschiedliche Menschen ein kleines oder größeres Stück vom Kuchen, darunter Jacob, ein kleiner Dieb und Herumtreiber.

Jacob beobachtet ungewollt wie der leitende Baumeister der Dombaustelle, Gerhard Morart, von einer dunklen Gestalt vom Gerüst gestoßen wird. Blöderweise wird er selbst vom Mörder gesehen. Nun beginnt eine gnadenlose Jagd auf den Zeugen. Jeder, dem Jacob von seiner Beobachtung erzählt, ist wenig später selbst tot, denn wie es scheint, ist Jacob in eine umfassende Verschwörung geraten, die den Tod des Erzbischofs plant.

Jacob kann niemandem mehr vertrauen. Unterschlupf findet er bei Jaspar, einem versoffener Kleriker, und dessen Nichte Richmodis. Die beiden beschließen, Jacob zu helfen, die Verschwörung aufzudecken und die Ermordung des Erzbischofs zu verhindern. Doch wird das gelingen? Die Gegner besitzen Macht, Geld und Einfluss.

Meine Meinung:

Dieser Krimi ist im Jahre 1995 (!) erstmals erschienen und bereits mehrmals neu aufgelegt. Anlässlich der Veröffentlichung von „Helden“, des zweiten Teils der Jacob-Trilogie im Oktober 2024, hat der Verlag Emons, nun „Tod und Teufel“ abermals als Hardcover herausgebracht.

Da ich im Frühjahr 2024 bei einem mehrtägigen Besuch das mittelalterliche Cölln unter fachkundiger Anleitung kennenlernen durfte, habe ich mich recht bald in diesem historischen Kriminalroman zurecht gefunden.

Frank Schätzing hat penibel die Geschichte Cöllns recherchiert und auch das damalige Weltgeschehen wie Kreuzzüge und die übermächtige katholische Kirche in seinen Roman eingebunden. Der Autor fesselt seine Leser mit stetig wachsender Spannung sowie häufigen Perspektivenwechsel. Die Kapitel werden abwechselnd aus der Sicht von Jacob, aber auch aus Sicht der einzelnen Verschwörer, der Mitglieder einer bekannten Kölner Patrizierfamilie sowie des gedungenen Mörders erzählt. Zunächst scheint es, als ob der Mörder alle Vorteile auf seiner Seite hätte. Doch er unterschätzt Jacob, den man nicht umsonst Jacob, den Fuchs nennt.

An manchen Stellen erinnert dieser Roman an Ken Folletts „Kingsbridge-Reihe“, weil ähnlich opulent und detailreich.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem penibel recherchierten und opulent erzählten historischen Roman, der der erste der Jacob-Trilogie ist, 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 23.10.2024
Rohrer, Josef

Cold Case Ötzi


ausgezeichnet

Als ein deutsches Ehepaar am 19. September 1991 eine teilweise aus dem Gletschereis herausragende, mumifizierte Leiche auf dem Tisenjoch entdeckt hat, weiß noch niemand, welche Bedeutung dieser Fund haben wird. Es die als „Ötzi“ bekannte, mehr als 5.000 Jahre alte natürliche Mumie eines Mannes, die nach wie vor Rätsel aufgibt.

In diesem Buch beschreibt Josef Rohrer wie Alexander Horn, Oliver Peschel und Andreas Putzer, drei Experten aus den Bereichen Operative Fallanalyse, forensische Pathologie und hochalpine Archäologie, den 5.000 Jahre alten „Cold Case Ötzi“ mit wissenschaftlichen Methoden von heute untersuchen. Als „Schreibfräulein“ fungiert Autor, Journalist und Kurator zahlreicher Ausstellungen Josef Rohrer.

Die Experten, die sich für einige Tage auf eine Südtiroler Berghütte zurückgezogen haben, sortieren die zahlreichen Informationen und bekannte Fakten, versuchen die damaligen Lebensumstände an Hand von bekannten anderen archäologischen Funden zu rekonstruieren und entwerfen ein mögliches gesellschaftliches Umfeld des Toten. Manche ihrer Hypothesen verwerfen sie gleich wieder, andere werden näher betrachtet.

In folgenden acht Kapiteln werden sowohl die Vorgehensweise als auch die Schlüsse aus den Diskussionen erläutert:

Ockhams Rasiermesser
Ein Kupferbeil, 61 Tattoos
Ein mickriger Dolch und ein Comic
Zwei Pfeile und kein Bogen
Auf der Flucht. Aber weshalb?
Das Rätsel der Hopfenbuche
Schuss aus dem Hinterhalt
Ein Bild des Täters

Was genau die Experten herausgefunden haben und wie sie dabei im Detail vorgegangen sind, kann in diesem sehr interessanten Buch nachgelesen werden.

Meine Meinung:

Josef Rohrer hat hier eine fesselnde Zusammenfassung der Gespräche, Gedanken und Hypothesen dieser Expertenrunde geschrieben, die uns Laien einen Einblick in diese Fachgebiete gewährt.

Zur besseren Erläuterung sind manche Diskussionen im genauen Wortlaut aufgezeichnet. Zahlreiche Fotos der Region, von Ötzi und seiner Ausrüstung, Ausschnitte aus Landkarten, Skizzen und die Erklärungen wie der Tote aus der Kupferzeit seine Gegenstände gebraucht hat, ergänzen diese höchst interessante Spurensuche.

„Doch gerade weil dieser Cold Case nie ganz aufzuklären sein wird, bleibt er eine geile G’schicht.“ (Alexander Horn, operativer Fallanalyst)

Dem ist wohl wenig hinzuzufügen.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem faszinierendem Buch, das ein klein wenig Licht in diesen „very Cold Case“ bringt, 5 Sterne.

Bewertung vom 22.10.2024
Friedlaender, Maren

Das Opern-Phantom (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Nach „Rheingold“ und „Schweigen über Köln.“ dürfen wir KHK Therea Rosenthal nun abermals über die Schulter schauen. Diesmal bekommt sie es zunächst einmal mit einer Toten im Kölner Südpark zu tun. Es sieht aus, als hätte sich die Frau einen Goldenen Schuss gesetzt. Doch wie soll das gehen, wenn sie mit K.o.-Tropfen zugedröhnt ist? Als sie dann als Claudia Ruppert,Journalistin und Ehefrau des Kulturstaastsekretärs identifiziert wird und die Kriminaltechnik in einer klinisch sauberen Wohnung ihrer Arbeit nachgehen muss, keimt der Verdacht auf, dass hier eine unliebsame Journalistin aus dem Weg geräumt worden ist.

Auch der dezente Hinweis des Polizeirates, dass, hier mit Fingerspitzen ermittelt werden soll, ist ein Fingerzeig, dass es hier um mehr als „nur“ eine tote Journalistin geht.

War die Tote einem Skandal auf der Spur? Nur welchem? Die Liste der Möglichkeiten ist hier lang, doch als dann noch eine Mitarbeiterin des Bauamtes auf der ewigen Baustelle der Kölner Oper in einem Betonfundament eingegossen aufgefunden wird, ist klar, dass die Sanierung der Oper eine zentrale Rolle spielt.

Und was hat der Einbruch in das Haus von Felix Stroebel, dem Vorsitzenden des Vereines der Freunde der Kölner Oper, das eigentlich wie Fort Knox gesichert ist, zu tun?

Fragen über Fragen, die gekonnt und schlüssig beantwortet werden.

Meine Meinung:

Autorin Maren Friedlander hat hier einen fesselnden, feinsinnigen und an einigen Stellen auch schwarzhumorigen Krimi geschrieben.

Zentrales Thema ist die Sanierung des Kölner Opernhauses, ein Fass ohne Boden. Ich war im April 2024 ein paar Tage in Köln und durfte diese Baustelle unter den kundigen Erklärungen eines befreundeten Ehepaares aus Köln bewundern.

Denn, statt der veranschlagten 253 Mio sind bis August 2024 1,3 Mio Euro angefallen. Zum Vergleich ist die Elbphiharmonie, deren Baukosten durch jahrelange Verzögerungen auf 866 Mio gestiegen ist, schon ein richtiges Schnäppchen. Daher ist das geflügelte Wort „Aber eine Elphie kriegen wir nicht“, das sich durch den Krimi zieht, durchaus nachvollziehbar.

Und auch das zweite Zitat, das aus der Oper „Benventuto Cellini“, mit der das renovierte OPernhaus 2015 glanzvoll eröffnet werden hätte werden sollen „Das hat die Welt noch nicht gesehen“, mit dem sich die Politikprominenz häufig brüstet, passt perfekt, wenn auch im negativen Sinn.

Großbaustellen, die Zeit und Finanzierung sprengen, haben in der Stadt Köln ja eine lange Tradition. Man denke nur an den Kölner Dom, dessen Bau 1248 begonnen und erst 1880 fertiggestellt worden ist.

Doch zurück zum Krimi.

Die Charaktere sind authentisch und bodenständig dargestellt. KHK Theresa Rosenthal hat die Fünfzig überschritten, fühlt sich urlaubsreif und hätte, statt während der Osterfeiertage in Köln zu ermitteln, lieber ein paar Tage in der Sonne verbracht. Sie macht sich so allerhand Gedanken um die politische Weltlage, die sich durch die Pandemie und Russlands Einmarsch in die Ukraine sowie die eigenartige Veränderung der Gesellschaft in eine ungesunde Richtung entwickelt hat.

Die in vielen anderen Krimis oft erwähnten Rivalitäten zwischen den Mitarbeitern in der Dienststelle sind hier ausgespart. Rosenthal ist als Leitende Hauptkommissarin unumstritten und läuft, wenn sie im Umfeld der Politik ermitteln muss, zur Höchstform auf. Das muss auch „Mr. Netzwerk“ Bollinger erkennen, als er sie zuerst nur als „schmückendes Anhängsel“ von Clarissa von Hammerstadt wähnt. Doch mit ein, zwei wohl platzierten Sätzen, belehrt sie ihn eines Besseren.

„Irgendetwas war dran an der Floskel, jemandem falle das Gesicht herunter. Bollingers fiel. Er hatte offensichtlich nicht damit gerechnet, dass die Verbindung zwischen Ruppert und Rehlinger bekannt war.“

Entzückend und erfrischend ist Rosenthals betagte Tante Clarissa von Hammerstedt, die den Freund der toten Journalistin mit folgenden Worten für ein paar Tage bei sich aufnimmt:

„Ach, der kleine Conte!“ rief Tante Clarissa begeistert. „Ein herrliche Bonvivant! Und so lustig!“
Farinesi hatte sich nicht mit seinem Grafentitel vorgestellt. Typisch alter Adel. Entweder, man wusste, wer sie waren, oder nicht. Wenn nicht, zählte man sowieso nicht. Sie kannte das von ihrer Familie. Ihre Mutter war genauso. Rosenthal erklärte die Situation, und dass der Bonvivant wahrscheinlich nicht in der besten Stimmung sei.

Mir hat dieser fesselnde Krimi sehr gut gefallen. Überall, wo die öffentliche Hand Großprojekt durchführt, treten ungewollt oder gewollte Planungsmängel zutage. Häufig sind hier Leute involviert, denen das Verschleudern von Steuergeld ziemlich egal ist. Sie verwenden solche Vorhaben um ihr Ego aufzupolieren und/oder einen ordentlichen finanziellen Gewinn daraus zu ziehen. Manchmal fällt ein solches Kartenhaus um Immobilienspekulationen, Korruption und Geldvernichtung in sich zusammen - leider viel zu selten.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem flotten und fesselnden Krimi aus Köln 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 20.10.2024
Goiginger, Adrian;Müller, Walter

FRANZ


ausgezeichnet

Dieses Buch ist die Biografie von Franz Streitberger, dem Urgroßvater des Autors und Filmemachers Adrian Goiginger. Eine kurze Episode dieser Lebensgeschichte, ist die Basis für die Geschichte des deutsch-österreichischen Kinofilm „Der Fuchs“.

„I hob nix zum Dazöhn!“ ist der Standardsatz, den Urenkel Adrian von seinem Urgroßvater Franz häufig hört. Der wortkarge Mann ist 1917, also während des Ersten Weltkrieges geboren und in bitterer Armut auf einem kleinen Bergbauernhof im Salzburger Pinzgau aufgewachsen. Franz erinnert sich an den ständigen Hunger, das erste Paar Schuhe und daran, dass er 1928, wie Hunderte andere Kinder seiner Generation, auf fremden Höfen „in Deanst“ (also als billige Arbeitskräfte) gehen musste, um die eigene Familie zu entlasten.

Später verdingt er sich als Tagelöhner und tritt in das österreichische Bundesheer ein, das im Ständestaat attraktiver Arbeitgeber erscheint, denn man verspricht den Rekruten, eine Staatsanstellung nach drei Jahren beim Militär. Diese Jahre sollten drei lehrreiche werden, denn Franz erwirbt die Lenkerberechtigung zum Kraftradlenker. Kaum abgerüstet, muss er nach dem „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland in die Wehrmacht einrücken. 1941 heiratet er Susanne und verpasst kriegsbedingt die Geburt seines ersten Sohnes.

Über die Zeit in der Wehrmacht verliert der ohnehin wortkarge Mann noch weniger Worte. Auch der Episode mit dem Fuchs, widmet Franz Streitberger nur wenige Worte. Der Autor kann aus den wenigen Erzählungen, die fast nur Andeutungen sind, und den erhalten gebliebenen Feldpostbriefen, einige rekonstruieren. Doch die meisten Erinnerungen verschließt Franz Streitberger vor seiner Familie. Die Kriegsgefangenschaft im Rheinwiesenlager und die katastrophalen Zustände dort, sind Franz auch nur wenige Worte wert.

Im Dezember 1945 kehrt Franz Streitberger wieder in den Pinzgau zurück, findet später Arbeit bei der Eisenbahn, baut ein Haus und wird Vater von weiteren Kindern. Ab 2000 lebt er mit Ehefrau Susi, die 2002 stirbt, in einem Seniorenheim. Franz Streitberger stirbt 2017, knapp vor seinem 100. Geburtstag.

Meine Meinung:

Diese Biografie ist sehr gut gelungen! Adrian Goiginger beschreibt in 13 Kapiteln das Leben seines Urgroßvaters. Dazu hat er schon in seiner Jugend lange Gespräche mit dem wortkargen Mann geführt. Das scheint ein Widerspruch in sich zu sein. Zwischen den Aufzeichnungen liegen zahlreiche Recherchen in diversen Archiven, um die Auslassungen und Leerstellen zu füllen. Einiges konnte gefunden und eingefügt werden, manches bleibt verborgen, weil sich Franz Streitberger dazu gar nicht äußern wollte.

Erstaunlich ist, dass zahlreiche Fotos aus dem Besitz von Franz Streitberger die Jahre überdauert haben, die eine authentische Ergänzung zum Text bilden. In meiner Familie gibt es kaum welche.

Adrian Goiginger schildert das Wesen seines Urgroßvaters liebevoll und voller Respekt. Schmunzeln musste ich, als Streitberger nachfragt, ob ein Film „eh was G’scheits is“. Für diese Generation zählt körperliche Arbeit mehr als Bürotätigkeiten, Film oder Literatur.

Das Buch ist in gediegener Form als Hardcover mit Lesebändchen im Salzburger Anton Pustet Verlage erschienen. Das Coverfoto zeigt den jungen Franz Streitberger bei seiner Lieblingsbeschäftigung: Schrauben am Motorrad, diesmal die militärische Beiwagenmaschine.

Fazit:

Gerne gebe ich dieser Biografie, die Zeitgeschichte für uns erlebbar macht, 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 18.10.2024
Sichtermann, Barbara;Rose, Ingo

Fahren Sie sofort los!


ausgezeichnet

„Fahren Sie sofort los!“ Diese Worte wird Alexandra Kollontai (1872-1952) mehrmals in ihrem Leben hören, wenn ih die Verhaftung droht.

Zunächst wächst sie als Alexandra Michailowna Domontowitsch, Tochter eines russischen General ukrainischer Abstammung und einer finnischen Mutter, umgeben von zahlreichen Bediensteten in Sankt Petersburg auf. Das altkluge, wissbegierige Mädchen wird, wie damals üblich, von Hauslehrern unterrichtet. Sie erlebt das tödliche Attentat auf Zar Alexander II. (1881) durch die Narodnaja Wolja sowie die anschließenden Hinrichtungen der Attentäter, darunter Alexander Uljanow, Lenins Bruder, und Sofja Perowskaja.

Recht bald kommt sie mit dem revolutionären Gedanken in Kontakt und beschließt, als Sozialistin die Welt, und da vor allem das Los der Frauen, verändern zu wollen. Sie lässt Mann und Kind zurück und geht nach Zürich, um Sozial- und Wirtschaftswissenschaften zu studieren. Wenig später muss sie aus Russland fliehen, weil ihr auf Grund ihrer Schriften und ihres Engagement für den Sozialismus und die Gleichberechtigung für die Frauen die Verhaftung droht. Nach mehreren Stationen in Deutschland und Frankreich landet sie in Skandinavien. Den Beginn des Ersten Weltkriegs und die Kriegsbegeisterung auch zahlreicher ihrer Freunde erlebt sie in Deutschland, wo sie als „feindliche Ausländerin“ interniert und dann nach Dänemark abgeschoben wird.

Obwohl sie bis 1915 den Menschewiki angehört, wechselt sie zu den Bolschewiki, kehrt 1917 nach Russland zurück, schließt sich den Revolutionären an. Wieder droht die Verhaftung, der sie nur knapp entgeht. Wenig später siegen die Bolschewiki unter Lenin und Kollontai wird im November 1917 Volkskommissarin (= Ministerin) für soziale Fürsorge. Damit ist sie Europas erste Ministerin.

Das Auf und Ab ihrer politischen Karriere setzt sich fort. Die spätere Annäherung an den Stalinismus schadet ihrem Ansehen im Ausland. Trotzdem ist sie als Botschafterin der UdSSR in Norwegen und Schweden.

Alexandra Kollontai lebte weitgehend selbstbestimmt und war mit ihren Ansichten und Forderungen ihrer Zeit weit voraus.

Bis heute gilt Alexendra Kollontai als einflussreiche Vorkämpferin für Frauenrechte und Vordenkerin für freie Liebe.
Ihre oft fundamentalistischen Ansichten bezüglich der Kollektivierung der Landwirtschaft und die Entlassung bzw. den Parteiausschluss von Personen, die nicht aus der Arbeiterklasse stammen, machen sie allerdings zu kontroversen Persönlichkeit.

Meine Meinung:

Das Autorenduo Barbara Sichtermann und Ingo Rose hat eine interessante Roman-Biografie über Alexandra Kollontau verfasst. Die Autoren beleuchten den Lebenslauf der Tochter aus gutem Hause und ihre Verwandlung zur Vorkämpferin für Frauenrechte.

Zahlreiche Auszüge aus Briefen, Zeitungsartikeln und Schriften der Kollontai geben gemeinsam mit einigen Fotos ein
beredtes Zeugnis der Verfechterin des Sozialismus ab. Die Hinwendung zum Stalinismus lässt sie allerdings in einem kontroversen Licht erscheinen.

Fazit:

Gerne gebe ich dieser differenzierten Biografie der russischen Vorkämpferin für soziale Gerechtigkeit und Frauenemanzipation 5 Sterne.

Bewertung vom 18.10.2024
Dittlbacher, Fritz

Warum Wein einst gesünder als Wasser war und wie Kartoffeln die Welt verändert haben


gut

Gleich vorweg, von diesem Buch habe ich mir deutlich mehr erwartet als eine oberflächliche und kurze Betrachtung diverser Themen. Immerhin ist Autor Fritz Dittlbacher, Historiker und ORF-Journalist.

In folgenden sieben Kapiteln erzählt Dittlbacher mehr oder weniger bekannte Anekdoten und Schnurren aus der ganzen Welt:

Vom Essen und Trinken
Devices, Gadgets, Apps – die Geschichte der modernen Werkzeuge
Vom Menschen und seiner Welt – die Geschichte vom Anthropozän
Von Heidenfreuden und christlichen Feiertagen
Vom Zusammenleben – Geschichten von Gesellschaft und Staat
Failed states, Länder an der Kippe – und wie man es besser machen kann
Von Berühmtheiten und Bösewichtern

Meine Meinung:

Wenn man dieses Buch positiv bewerten will, so kann man einen durchaus humorvollen Streifzug durch die Geschichte erkennen. Bei kritischer Betrachtung muss man feststellen, dass hier zahlreiche Themen recht kurz und eher oberflächlich abgehandelt werden.

Leser, die sich für Geschichte und die österreichische im Besonderen interessieren, werden hier so gut wie nichts Neues entdecken.

Das Kapitel 6 („Failed states, Länder an der Kippe – und wie man es besser machen kann“) fällt ein wenig aus dem Rahmen, das es wenig Amüsantes zu bieten hat. Den Niedergang einiger Staaten wie Argentinien, Haiti, Türkei, Libanon, Taiwan sowie Israel und Gaza auf nur 10 (!) Seiten zu beschreiben, kann nur als sehr oberflächlich klassifiziert werden. Nicht immer liegt die Würze in der Kürze.

Fazit:

Dieser losen Ansammlung von mehr oder weniger Kuriosem und Amüsanten gebe ich 3 Sterne, denn an Geschichte Interessierte werden hier wenig Neues erfahren.

Bewertung vom 17.10.2024
Gasser, Christof

Spiegelberg


ausgezeichnet

Dieser dritte Krimi rund um die Journalistin Cora Johannis eröffnet einen tiefen Blick in die Abgründe der Schweizer Gesellschaft.

Worum geht’s?

Auf einer Veranstaltung in Solothurn treffen sich Cora Johannis und Françoise Gravier, die ehemalige Botschafterin Frankreichs, wieder. Wenig später erleidet Françoise einen schweren Unfall. Am Krankenbett ersucht sie Cora, sich um ihre Tochter Camille zu schützen. Das ist gar nicht so leicht, denn zahlreiche Un- und Zufälle scheinen Cora von ihrer Aufgabe abhalten zu wollen.

Doch niemand rechnet mit der Sturheit von Cora. Die Recherchen führen Cora Johannis ist eine längst vergangen geglaubte düstere Vergangenheit der Schweiz.

Meine Meinung:

Christof Gasser hat mit diesem Krimi nach „Schwarzbubenland“ und „Blutlauenen“ einen weiteren, bis zur letzten Seite fesselnden Krimi geschrieben. Wie immer ist die Handlung sehr komplex und Ermittler wie Leser wissen lange nichts oder nur wenig über die Zusammenhänge.

Obwohl ich historisch sehr interessiert bin, ist mir der Jura-Konflikt nicht wirklich geläufig. Da muss ich noch ein wenig recherchieren.

Autor Christof Gasser versteht es meisterlich, historische Ereignisse mit der Gegenwart zu verknüpfen. Auf zwei Zeitebenen begleiten wir Täter und Opfer sowie Nutznießer des Konfliktes.

Die Charaktere sind sehr gut und detailliert ausgearbeitet. Als Leser kann man den Figuren ihre Dialoge sowie Taten abnehmen.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem komplexen Krimi, der bis zur letzten Seite fesselt, 5 Sterne.

Bewertung vom 16.10.2024
Fiess, Martina

Tod auf Schloss Solitude


sehr gut

Dieser achte Krimi rund um die Werbetexterin Bea Pelzer ist für mich der erste aus dieser Reihe. Schauplatz ist das zwischen 1763 und 1769 von Herzog Carl Eugen von Württemberg in Auftrag gegebene Schloss Solitude in Stuttgart.
Das Lustschloss ist gerne gebuchte Location für allerlei Festlichkeiten sowie Imagefilme und Werbefotos. So findet diesmal eine Veranstaltung der erfolgreichen Werbeagentur „Hohlbergs Reich“ inklusive Weinverkostung statt. Die Angestellten, darunter Texterin Bea Pelzer, Jeanette Wagenbach und Pauline Ulmer führen die Gäste in historischer Verkleidung durch das Schloss, als Pauline plötzlich fehlt. Wenig später wird sie ermordet im Garten aufgefunden.

Der Verdacht fällt recht bald auf den Rapper Dragan, dem Ex-Freund Paulines, mit dem sie erst am Vorabend einen veritablen Streit hatte. Doch Dragan scheint ein Motiv (Eifersucht), aber auch Alibi zu haben.

Als dann der Verdacht aufkommt, Pauline könnte das Opfer einer Verwechslung gewesen sein, weil sie und Bea in der Kostümierung einander sehr ähnlich sahen, beginnt Bea auf eigene Faust zu recherchieren und stößt dabei auf einige interessante Details, die eine ganz andere Sichtweise auf Paulines Tod werfen und Bea in große Gefahr bringen.

Meine Meinung:

Dieser Krimi hat mir recht gut gefallen, denn er gibt Einblick in die Welt der Werbebranche, die hart um den Etat ihrer Kunden kämpft. Die beiden Agenturchefs Hohlberg und Silber sind Todfeinde und ringen um lukrative Aufträge. Manchmal werden dazu auch unlautere Mittel, wie Diffamierung des Konkurrenten sowie Ausbeutung und sexuelle Übergriffe auf Mitarbeiterinnen verwendet.

Der Krimi selbst ist gut angelegt und das Lustschloss Solitude bietet mit seinem barocken Garten eine beeindruckende Kulisse. Sehr geschickt ist die Geschichte des Schlosses in das Geschehen eingeflochten, denn wir erfahren einiges darüber aus dem Mund von Bea, die als Franziska von Hohenheim verkleidet, die Teilnehmer des Events durch das Schloss führt. Dazu passt auch das Cover perfekt.

Es gibt mehrere Verdächtige, die alle ein passendes Motiv haben. Das ist zum einen Paulines Ex-Freund Dragan, aber auch Britta, die Freundin von Agenturchef Hohlberg, die das Testimonial für die nächste Werbekampagne für exquisite Schokolade sein soll. Blöderweise ist auch Pauline für diese Fotosession Modell gestanden und gefällt dem Auftraggeber besser, als die überschlanke Britta.

Die Auflösung erfolgt dann in einem Showdon, der Bea abermals ordentlich in die Bredouille bringt und ist wenig überraschend, da die Hinweise auf den Täter sehr subtil versteckt worden sind.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem Stuttgart-Krimi 4 Sterne.