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Ingrid von buchsichten.de
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Erkelenz

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Insgesamt 351 Bewertungen
Bewertung vom 10.04.2022
Huber, Christian

Man vergisst nicht, wie man schwimmt


ausgezeichnet

Pascal ist 15 Jahre alt und der Protagonist sowie Ich-Erzähler im Roman „Man vergisst nicht, wie man schwimmt“ von Christian Huber. Er lebt im beschaulichen Bodenstein im Osten Bayerns. Ein einziger Tag Ende August im Jahr 1999 hat sein Leben verändert. In der Retrospektive erinnert er sich an die Einzelheiten und machte mich als Leserin neugierig darauf, wie es dazu kam, dass sich an diesem Tag eine Liebe entwickelt, eine Freundschaft in Frage stand und es zu einem menschlichen Ende kam. Doch die Geschichte birgt noch mehr Geheimnisse und erst zum Ende hin erklärt Pascal, warum er Krüger genannt wird, obwohl das nicht sein Nachname ist und wie es dazu kam, dass er nicht mehr schwimmt und sich nicht verlieben darf.

Es ist ein heißer Tag in den Sommerferien an dem Pascal von seinem Freund Viktor geweckt wird, sonst wäre er weiter einer seiner Lieblingsbeschäftigungen, dem Schlafen nachgegangen. Außerdem träumt er gerne und schreibt Geschichten, oft mit realem Bezug, in ein Notizbuch. Als ihm sein Rucksack, in dem er die Kladde aufbewahrt, im Laufe des Vormittags abhandenkommt, versucht er diesen zurück zu erhalten und macht dabei Bekanntschaft der etwa gleichaltrigen hübschen und mysteriösen Jacky. Die beiden und Viktor verleben einen unvergesslichen Tag, der das Leben von Pascal umkrempelt.

Christian Huber beschreibt zunächst den Beginn eines normalen Alltags in den Ferien der zwei Freunde. Dabei baut er ein typisches Feeling für einen Tag am Ende des vorigen Jahrtausends auf in Bezug auf Kleidung, Ernährung und Freizeitgestaltung von Jugendlichen sowie der von ihnen gehörten Musik. Am Ende des Buchs findet sich eine Trackliste und ein Barcode zu den Songs, die in der Erzählung Eingang finden.

Mit dem Kennenlernen von Jacky muss Pascal sich mit bisher unbekannten Gefühlen auseinandersetzen. Jacky ist Artistin und ihre Geschicklichkeit fasziniert Pascal. Durch sie lernt er eine geschlossene Gruppe kennen, die nach eigenen Regeln lebt, in der Vertrauen alles ist. Er fühlt sich von ihr angezogen, aber aufgrund seiner Prinzipien hält er sie auf Abstand. Man kann nur ahnen, wie viel Kraft ihn das kostet.

Die Figuren sind abwechslungsreich gestaltet. Der Autor zeigt anhand von Viktor und Pascal wovon eine Freundschaft getragen wird. Die beiden Jugendlichen sind auf dem Weg, sich selbst zu finden und danach, welche Werte wirklich wichtig und richtig sind.

Der Roman „Man vergisst nicht, wie man schwimmt“ von Christian Huber ist ein Buch über das Erwachsenwerden. Es nahm mich mit zu einem heißen Sommertag Ende der 1990er, der gefüllt ist mit Freundschaft, Liebe, Hass, Eifersucht und Selbstbehauptung. Der Schluss der Geschichte hat mir zugesagt. Das Buch passt prima zum Sommer, lässt sich aber auch zu jeder anderen Zeit lesen. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 07.04.2022
Klönne, Gisa

Für diesen Sommer


sehr gut

Der Roman „Für diesen Sommer“ von Gisa Klönne ist eine Geschichte über die Beziehung einer Tochter, die inzwischen über 50 Jahre alt ist, zu ihrem immer gebrechlicher werdenden Vater. Als allwissende Erzählerin schildert die Autorin nicht nur Begebenheiten im Verhältnis der beiden aus der Gegenwart, sondern schaut auch in deren Vergangenheit.

Die Protagonistin Franziska Roth hat sich in ihrer Jugend häufig gegen die Ansichten der Eltern, vor allem gegen die ihres Vaters Heinrich, aufgelehnt. Heinrich war als Vermessungsingenieur am Bau wichtiger Straßen beteiligt, seine Tochter hat sich dagegen den Natur- und Klimaschützern angeschlossen und gegen den Bau demonstriert. Sie fühlte sich unverstanden, hielt aber an ihren Meinungen fest und hat ihr Glück über Jahre hinweg in der Ferne gesucht. Zuletzt war sie gemeinsam mit ihrem Lebenspartner an einem Hofprojekt beteiligt, aber die Liebe ging in die Brüche. Ihre ältere Schwester Monika ist im Vollzeitjob und hat Ehemann und zwei Kinder. Nach dem Tod der Mutter hat sie sich zusätzlich noch um den Vater gekümmert. Als Monika dringend eine Auszeit benötigt, bittet sie kehrt Franziska darum, sich um Heinrich zu kümmern.

Gisa Klönne schaut weit in die Vergangenheit ihrer beiden Protagonisten, um deren Handlungsweisen zu erklären. Heinrich, geboren 1933, ist von seiner Mutter allein erzogen worden. Er denkt, dass er eine Belastung für sie war. Im Zweiten Weltkrieg kam er mit der Kinderlandverschickung nach Polen und erinnert sich mit Schrecken daran. Franziskas Mutter war gebürtig aus Ostpreußen und lebenslang begleitete sie eine gewisse Schwermut über den Verlust der Eltern. Franziska spürt, dass es da immer noch etwas anderes gegeben haben muss, dass sich nicht benennen lässt.

Tatsächlich gibt es ein gut verborgenes Geheimnis, das einen beständigen Schatten über die Familie geworfen hat. Im Rückblick erkennt Franziska, dass sie schon als Kind den Trübsinn gespürt und er sie fürs Leben geprägt hat. Ihr kam es nicht darauf an, sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen und durch beste Leistungen zu glänzen. Stattdessen wollte sie das Gute auf der Welt suchen und durch ihre Mittätigkeit die Welt lebenswert erhalten.

Heinrich ist stolz darauf, dass er aus kleinen Verhältnissen heraus eine Familie gründen und durch seine Berufswahl ein angenehmes Leben führen konnte. Die zunehmenden Einschränkungen des Alters ärgern ihn. Er war immer korrekt und strebte danach, Regeln einzuhalten. Sich von seiner älteren Tochter bevormunden zu lassen, gefällt ihm gar nicht.

Für Franziska und Heinrich ist es nicht einfach, den Alltag gemeinsam zu bestreiten. Viele Auseinandersetzungen und Unverständnis füreinander gehörten bisher zu ihrem Beisammensein dazu. Auch die Rolle von Monika als Tochter und Schwester wird mehrschichtig von der Autorin betrachtet. Durch den Erzählstil mit zahlreichen Rückblenden kommt es zu gewissen Längen. Obwohl ihre Geschichte fiktiv ist, baut sie auf den eigenen Erfahrungen von Gisa Klönne auf und wirkt dadurch authentisch.

Der Roman Für diesen Sommer“ von Gisa Klönne ist eine feinsinnige und berührende Erzählung einer Vater-Tochter-Beziehung. Beide konnten nicht alle ihre Lebensträume verwirklichen. Durch die Erinnerungen der beiden werden dem Lesenden die unterschiedlichen Ansichten verständlich. Gleichzeitig bietet die Geschichte einige realistische Vorschläge, wie man sich einander annähern kann. Gerne empfehle ich das Buch weiter.

Bewertung vom 03.04.2022
McConaghy, Charlotte

Wo die Wölfe sind


sehr gut

Inti Flynn ist Biologin und Protagonistin sowie Ich-Erzählerin im Roman „Wo die Wölfe sind“, geschrieben von der Australierin Charlotte McConaghy. Sie leitet ein Projekt zur Wiederansiedlung von Wölfen in Schottland, welches Teil einer Renaturierungsmaßnahme ist mit dem Ziel, den Klimawandel zu verlangsamen. Zu Beginn der Geschichte erzählt Inti beispielhaft eine Erinnerung, um den Lesenden zu verdeutlichen, dass sie unter Mirror-Touch-Synästesie leidet, einer neurologischen Störung bei der der eigene Körper das nachempfindet, was man bei anderen Lebewesen an Sinneswahrnehmung sieht.
Gemeinsam mit ihrer Zwillingsschwester Aggie ist Inti auf zwei Kontinenten aufgewachsen, denn ihre Eltern leben seit langem getrennt. Der Vater ist Naturforscher und hat ihnen im kanadischen Vancouver die Liebe zur Natur nahegebracht. In Syndney in Australien arbeitet ihre Mutter als Ermittlerin bei der Polizei und beschäftigt sich in ihrem Kommissariat mit Missbrauchsfällen.
Nach einem furchterregenden Erlebnis an ihrer letzten Wirkungsstätte in Alaska freut Inti sich gemeinsam mit ihrer Schwester auf einen Neuanfang in Schottland. Während Aggie aufgrund der vergangenen Ereignisse zurückgezogen lebt, widmet sich Inti dem Wolfsprojekt. Dabei ist ihr klar, dass die wilden Tiere von den Anwohnern gefürchtet sind, die sich im Fall der Gefahr selbst verteidigen werden. Ein Zwischenfall gibt ihr Recht. Ihre eigene Liebe zu den Tieren treibt ungeahnte Auswüchse im Kampf um deren Leben, wobei sie von ihren eigenen Ängsten eingeholt wird.
Die Darstellung der Aussiedlung der Wölfe empfand ich als realistisch. Man spürt aus Intis Handlungen ihre Zuneigung zu den anpassungsfähigen Tieren. Gleichzeitig ist da aber auch ihr anhaltender Schmerz über das dramatische Geschehen in der Vergangenheit zu spüren, an dem sie sich eine Mitschuld gibt. Dabei geht es um den Missbrauch und Gewalt gegen Frauen. Durch die Tätigkeit ihrer Mutter hätte ich die beiden Schwestern sensibler für dieses Thema eingestellt gehalten, doch Inti wird sich über der Tragweite der physischen und psychischen Verletzungen erst bewusst als sie es über ihre Synästesie am eigenen Körper nachempfindet. In der kleinen Gemeinde in der Nähe des Wolfsreservats erspürt sie wieder einen Übergriff, der sie wütend, aber auch hilflos macht.
Im Mittelpunkt der Geschichte stehen menschliche Gefühle. Inti hat zu ihrer Schwester immer schon eine ganz besonders intensive Verbundenheit. Nicht immer war mir ihr Verhalten im Umgang mit Aggie verständlich. Beide leiden psychisch unter den vergangenen Geschehnissen. Zwar spricht die Autorin kurz an, dass professionelle Unterstützung hilfreich sein könnte, aber sie wird von den beiden nicht in Anspruch genommen.
Bei mir als Leserin warf die Erzählung die unterschiedlichsten Fragen auf, beispielsweise inwieweit wir als Menschen in die Natur eingreifen sollen. Welche Kriterien sollen wir dabei zugrunde legen? Sind es immer die „Richtigen“? Charlotte McConaghy betrachtet auch die Ansicht der ansässigen Landwirte, die ihre Schafe und Kühe frei weiden lassen.
Durch die Konstruktion der aktuellen Begebenheiten baut Charlotte McConaghy zunehmend Spannung auf, die sich zu einem furiosen Finale zuspitzt. Dabei halte ich den in der Fiktion geschilderten Umgang Intis mit ihrer eigenen Gesundheit und den Entschluss ihrer eigenen Schwester über ihr weiteres Leben für möglich, aber nicht wünschenswert.
Empathisch beschreibt Charlotte McConaghy in ihrem Roman „Wo die Wölfe sind“ die innere Zerrissenheit der Protagonistin Inti, die ein Projekt zur Auswilderung von Wölfen in Schottland leitet. Die dramatischen Erlebnisse in deren Vergangenheit werden immer mehr aufgedeckt und zeigen Inti als einen verstörten Charakter. Der Roman ist für feinfühlige Personen aufgrund bestimmter Darstellungen eher nicht geeignet und grundsätzlich ein emotionales bewegendes Leseerleben, das mich nachdenklich stimmte.

Bewertung vom 29.03.2022
Selge, Albrecht

Luyánta


sehr gut

Die zwölfjährige Jolantha Seyfried ist die Protagonistin und Titelgeberin im Buch „Luyánta“ von Albrecht Selge. Am Beginn der Geschichte ist sie in unserer Welt, also der Erde, in den Sommerferien mit ihren Eltern und ihren beiden Brüdern auf einer Hüttenwanderung in Südtirol unterwegs. Jolantha hasst die Anstrengung, sie hasst die Unterbringung. Irgendwann nimmt sie ein Pfeifen wahr. Als Leserin erfuhr ich schon nach kaum mehr als zwanzig Seiten, dass man mit den Geräuschen tatsächlich Jolanta auf sich aufmerksam machen möchte.
Das Mädchen packt etwas zum Essen und eine Stirnlampe in ihren Beutel und macht sich auf die Suche nach denen, die da gepfiffen haben. Dabei gelangt sie immer höher ins Gebirge und tiefer in waldreiche Gegenden oder baumlose Ebenen, bis sie auf Murmeltiere trifft. Es erstaunt sie kaum, dass sie sich mit ihnen unterhalten kann. Unbemerkt ist sie in die unselbe Welt gelangt und wird hier schon dringend erwartet. Luyánta nennt man sie, denn so hat sie seit ihrer Geburt dort in der anderen Welt immer schon geheißen, Das Cover lässt im Ansatz erahnen, welche Flora- und Faunavielfalt in der unselben Welt zu finden ist, die unserer bekannten Erde ähnelt und doch ihren eigenen Charme entwickelt. Andreas Selge beschreibt sie detailverliebt, was zu einer gewissen Länge, vor allem im Mittelteil führt.
Die Geschichte basiert auf der Sage vom Reich der Fanes, die in Norditalien bekannt ist. In der Überlieferung wie auch im Fantasyroman Luyánta finden sich das Maultiergerippe und die Königstochter Dolasilla, die Adler, die Murmeltiere und natürlich die Fanesleute wieder. Der Autor stellt seine Erzählung vor einen modernen Hintergrund.
Luyánta ist eine Heranwachsende, die auf der Suche nach ihrer eigenen Identität ist. Die beiden Murmeltiere, von denen sie in die unselbe Welt gerufen wird, reden in einer lässigen Sprache miteinander. Sie verdeutlichen Luyánta, dass sie etwas besonderes ist und ihr eine bedeutende Aufgabe zukommt. Das Vertrauen in sie, treibt die Protagonistin an, dem Hilferuf zu folgen. Doch immer wieder hat sie Krisen, in denen sie an ihren Fähigkeiten zweifelt. Sie muss sich immer wieder Behaupten, Niederlagen verarbeiten und reift an dem Gelingen der an sie gestellten Aufgaben und Erwartungen.
Die Kapitel, in denen Luyánta im Mittelpunkt steht, werden immer mal wieder durch solche unterbrochen, in denen anderen Personen oder Tiere ihre Ansichten und Meinungen kundtun. Vor allem nutzt der Autor dabei die Möglichkeit, die nach Macht strebende Seite der unselben Welt darzustellen, während Luyánta auf ihrer Seite Diversität erfährt.
Den Übergang zwischen den beiden Welten zu Beginn des Buchs ist gelungen, aber die Auflösung der Herkunft von Luyánta fand ich wenig ausgeführt, vermutlich weil hier Platz für die eigene Fantasie gelassen werden sollte. Die Beschreibung der Wiederbegegnung mit den Familienangehörigen am Ende des bereits mit dem Titel angekündigten Jahrs in der unselben Welt hätte ich mir ausführlicher gewünscht.
Luyánta“ von Albrecht Selge ist eine Fantasy für Jugendliche ab etwa zwölf Jahren, die aber auch Erwachsene anspricht. In einer teils poetisch anmutenden Sprache schafft der Autor basierend auf einer alten Sage eine moderne neue Welt. Die Lesenden begleiten die titelgebende Jugendliche auf ihrem Weg zur Selbstverwirklichung, der für einige unvorhergesehene Überraschungen und Wendungen bereithält. Die Fantasy ist für anspruchsvolle Lesende geeignet.

Bewertung vom 28.03.2022
Mattera, Julia

Der Koch, der zu Möhren und Sternen sprach


ausgezeichnet

Der Protagonist Robert Walch ist „Der Koch, der zu Möhren und Sternen sprach“ im gleichnamigen Roman von Julia Mattera. Während seine jüngere Schwester Elsa sich um das Management des gemeinsamen Gasthofs im Elsass kümmert, ist die Küche das Reich des 52 Jahre alten Junggesellen Robert. Die bisherigen Küchenhilfen hat er erfolgreich nach jeweils kurzer Zeit mit seinem ständigen Granteln in die Flucht geschlagen. Doch dann stellt Elsa die aus England kommende Fatima ein, um ihr zur Hand zu gehen. Der heranwachsende Sohn der neuen Mitarbeiterin möchte sich in der Küche nützlich machen. In ihm findet Robert unerwartet eine verwandte Seele, die einen Umbruch in seinem Herzen in Gang setzt.

Julia Mattera beschreibt die Hauptfigur mit viel Einfühlungsvermögen. Als Kind war Roberts Wunsch, die Welt zu sehen. Doch nach dem Unfalltod seiner Eltern hat er sich in sich selbst zurück gezogen und eingeigelt. In seiner Küche genießt er die Stille. Er ist überzeugt, dass das Gemüse in seinem Garten nur darum so prächtig gedeiht und so köstlich schmeckt, weil er es hegt und pflegt, mit ihm spricht, es streichelt und eine besondere Herangehensweise bei der Ernte anwendet. Den Hühnern hat er Namen gegeben und von jedem kennt er die Eigenheiten. Schon lange hat er das Gelände des Gasthofs nicht mehr verlassen. Für mich war Robert trotz seines brummigen Wesens und gerade wegen seiner Ecken und Kanten ein Sympathieträger.

Roberts Schwester Elsa hat einen großen Anteil daran, dass es zum ersten Mal anhaltend gelingt, in ihm Interesse am Leben außerhalb des Gasthofs zu wecken. Fatimas Freundin Maggie bringt frischen Wind in das Geschehen. Es gelingt ihr schließlich sogar, längst verloren geglaubte Gefühle in Robert zum Klingen zu bringen. Die Geschichte brachte mir als Leserin ein Wohlgefühl der Entschleunigung, das durch Roberts Kochkünste und seinen Umgang mit Pflanzen und Tieren geweckt wurde. Dank der detailliert beschriebenen Umgebung, der Kochgerüche und der Ruhe konnte ich mir die Handlung sehr gut vorstellen und wäre auch gerne auf dem Hof zu Gast gewesen.

In ihrem Roman „Der Koch, der zu Möhren und Sternen sprach“ schreibt Julia Mattera mit viel Empathie über einen kauzigen Koch, der sein Herz mit der Zeit für neue Impulse weiter öffnet, ohne sich dabei selbst zu verlieren. Die stimmungsvolle Erzählung sorgte bei mir für ein behagliches Gefühl mit sommerlichem Flair. Sehr gerne empfehle ich das Buch weiter.

Bewertung vom 22.03.2022
Engelmann, Gabriella

Die Liebe tanzt barfuß am Strand / Zauberhaftes Lütteby Bd.1


sehr gut

Der Roman „Die Liebe tanzt barfuß am Strand“ von Gabriella Engelmann ist der erste Band der Trilogie „Zauberhaftes Lütteby“. Der fiktive Ort liegt in der Nähe der Nordsee und hat einen gewissen Charme zu bieten, denn rund um den Marktplatz versammeln sich reizende Giebelhäuser, in denen sich unter anderem eine Apotheke, ein Blumenladen, ein Kiosk, ein italienisches Restaurant und ein französisches Café befinden. Die Bewohner sind an ein beschauliches Leben gewohnt, für Touristen also die perfekte Möglichkeit Entspannung vom Alltag zu erhalten.

Die Protagonistin und Ich-Erzählerin Lina, Mitte Dreißig, arbeitet seit sechs Jahren in ihrem Heimatort halbtags in der Touristeninformation. Außerdem hilft sie ihrer Großmutter im Laden am Markt, in dem Geschenkideen angeboten werden. Vorher hat sie in Hamburg studiert und als Grundschullehrerin gearbeitet. Sie war mit einem Mitschüler liiert. Die Trennung hat Lina immer noch nicht ganz verschmerzt. Als ihr Chef krankheitsbedingt mehrere Wochen ausfällt, kommt mit dem attraktiven Jonas neuer Wind ins Büro. Linas Liebesleben bringt er durcheinander.

Die Geschichte vermittelt ein Wohlgefühl. Natürlich fehlt es den Lüttebyern nicht an Sorgen. Beispielsweise kennt Lina ihren Vater nicht, hofft darauf, dass ihre verschwundene Mutter eines Tages wieder zurückkehrt und ihr die große Liebe doch noch über den Weg läuft. Aber trotz der Probleme ist in der Erzählung spürbar, dass die Bewohner offen sind für den Kummer ihrer Mitmenschen und bereit dazu, einander zu helfen.

Als Figur ist Lina eine unbedingte Sympathieträgerin. Sie erfreut sich an kleinen Dingen des Alltags, ist zurückhaltend und mitfühlend. Den Morgen am Meer und die abendliche Dämmerung genießt sie. Im Laufe der Geschichte zeigt sich, dass sie den Mut findet, bei bestimmten Angelegenheiten deutliche Worte zu sprechen. In Sachen Liebe ist sie zwiegespalten, denn einerseits sehnt sie sich nach einer eigenen kleinen Familie, andererseits redet sie sich ein, dass sie nicht auf der Suche nach einem neuen Partner ist. Lina ist bei ihrer Großmutter aufgewachsen, die Lina in ihren Freiheiten nicht einengt. Auch die weiteren Figuren verfügen über eigenwillige Eigenschaften, wenn auch manchmal etwas klischeebehaftet.

Gabriella Engelmann umrahmt die Geschichte mit einer erdachten, in den Kontext passenden Legende, die mich als Leserin ins 17. Jahrhundert führte. In Lütteby sorgt sie bis in die Gegenwart für einen Mythos in Bezug auf die ewige Konkurrenz zur benachbarten Kleinstadt und für Grusel in einer Villa vor Ort.

Mit dem Roman „Die Liebe tanzt barfuß am Strand“ schenkte mir Gabriella Engelmann einige Stunden kurzweilige Unterhaltung. Die Geschichte vermittelt ein Gefühl von Behaglichkeit. Zum Ende hin warteten auf mich noch einige überraschende Wendungen, die dazu führten, dass die Protagonistin ihr Vertrauen in Frage stellt. Aufgrund des offenen Endes freue ich mich auf die beiden weiteren Bände der Reihe, um mehr über die verborgenen Geheimnisse in Linas Familie zu lesen. Gerne empfehle ich den Roman für schöne erheiternde Lesestunden weiter.

Bewertung vom 18.03.2022
Strobel, Arno

Die Macht des Täters / Max Bischoff - Mörderfinder Bd.2


ausgezeichnet

Der Thriller „Mörderfinder – Die Macht des Täters“ ist der zweite Teil der Reihe von Arno Strobel rund um den Protagonisten Max Bischoff, der früher beim Kriminalkommissariats 11 aus Düsseldorf ermittelt hat und jetzt als Dozent und Fallanalytiker an der Polizeihochschule in Köln arbeitet. Diesmal wird Max von Katharina Baumann, einer neuen Kollegin im KK11 kontaktiert, deren Neffe Selbstmord begangen hat. Zuvor war dieser des Mordes an einer jungen Frau beschuldigt worden. Die Fakten sprechen gegen ihn, aber ein Motiv ist nicht zu erkennen. Doch dann geschieht wieder ein Mord. Nur ein Zettel, der bei der Leiche gefunden wird, lässt auf einen Zusammenhang zu der vorherigen Tat schließen.

Für Max und die Ermittler vom KK11 stellt sich die Frage, ob sie es mit einem Serienmörder zu tun haben. Schnell merkt Max, dass der Fall anders ist als seine bisherigen. Er hat als Analytiker Probleme damit, sich in die Denkweise des Täters einzufinden. Das ist ihm bisher noch nicht passiert. Als Figur ist Max sympathisch unter anderem deshalb, weil er sich im Beruf voran gearbeitet hat, seinen Prinzipien treu und um seine Schwester mit Handicap besorgt ist.

Als Leserin wusste ich durch kursiv gesetzte Einschübe, in denen ich an der Wahrnehmung einer Person vor oder während eines Mords teilhaben konnte, von deren dubioser Gefühlslage. Obwohl ich glaubte, dadurch einen Wissensvorsprung im Vergleich zu Max zu erhalten, gelang es mir nicht, eine Lösung vor ihm zu finden.

Die Ermittlungen werden für Max auch durch die neue Chefin des Kriminal-kommissariats erschwert. Über ihr Verhalten ist er zwiegespalten. Mal benimmt sie sich ihm gegenüber aufgeschlossen und erfreut über seine Mithilfe, andererseits zeigt sie sich verärgert von seiner Einmischung und der spärlichen Ergebnisse. Die vorliegende Mordserie löst bei den Kollegen des KK11 in Bezug auf den Täter oder die Täterin unterschiedliche Meinungen aus. Obwohl die beiden manchmal andere Ansichten haben ist Horst Böhmer, sein früherer Partner und jetziger Leiter der für die Morde zuständigen SOKO, bei den Ermittlungen an der Seite von Max. Die beiden vertrauen einander, jedoch hat Horst auch auf seine Dienstvorschriften zu achten, mit allem Verständnis durch Max.

Von Beginn an ist die Spannung hoch und wird bis zum Ende gehalten. Geschickt baut Arno Strobel einige Randfiguren ein, die ich mir gut als Täter vorstellen konnte, die sich aber als falsche Fährte erwiesen. Mir gefällt es, dass für jede Wendung in der Geschichte stets eine Begründung vom Autor geliefert wird und sich auf diese Weise eine denkbare Handlung ergibt. Max gerät schließlich mit seinem Verhalten ungewollt selbst den Fokus der Ermittlungen. Die Auflösung ist nach der Komplexität des Falls erwartet überraschend. Die Erklärung dazu ist gut ausgedacht.

Auch der zweite Band der Serie um den in Düsseldorf lebenden „Mörderfinder“ Max Bischoff von Arno Strobel ist durchgehend spannend. Fehlende Motive, ins Leere laufende Ermittlungen in verschiedenen Richtungen und unerwartete Wendungen konnten mich als Leserin vom richtigen Weg zur Lösung abbringen und mich bis zum Schluss in den Bann ziehen. Ich fühlte mich sehr gut unterhalten und darum empfehle ich das Buch jedem Thrillerleser gerne weiter.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.03.2022
Kaiser-Mühlecker, Reinhard

Wilderer


ausgezeichnet

Der Titel des Romans „Wilderer“ von Reinhard Kaiser-Mühlecker ist teilweise metaphorisch zu sehen. In der Geschichte wildern Hunde. Es ist schwierig, bei ihnen den einmal erwachten Trieb im Weiteren zu unterdrücken. Wildernde Otter und Graureiher machen der Hauptfigur das Leben schwer. Thema ist aber auch das sogenannte Wildern bei fremden Frauen als Betrug in der Ehe.

Der Protagonist Jakob Fischer lebt auf einem Hof, der nach dem Tod des Großvaters seiner Großmutter gehört. Permanent ist das Rauschen der Fahrzeuge zu hören, die über die Autobahnbrücke fahren, die sich über das Tal in der Nähe des Hofs spannt. Das Gehöft liegt in einer eher beschaulichen Gegend im Westen Oberösterreichs. Das Bild auf dem Cover von Grace Helmer fasst passend die Stimmung auf, die ich beim Lesen empfand.

Über die Kindheit von Jakob und seiner Familie hat der Autor bereits den Roman „Fremde Seele, dunkler Wald“ verfasst, den ich nicht gelesen habe. Ich konnte der Erzählung aber problemlos folgen. Jakob ist inzwischen ein junger Mann, der seit Jahren den Hof in eigener Verantwortung führt, weil sein Vater daran kein Interesse zeigt. Seine Großmutter ist zu krank, um das Haus zu verlassen. Die Rolle der Mutter bleibt blass, sie agiert im Hintergrund und führt den Haushalt. Nebenher arbeitet Jakob als Schulwart, um sich etwas dazu zu verdienen, denn die Landwirtschaft trägt sich nicht mehr. Die Umsetzung einiger seiner Ideen und auch solche vom Vater scheiterten bisher.

Dann lernt er bei einer Auftragsarbeit die Künstlerin Katja kennen, die mit ihm trotz oder gerade wegen seiner spröden Art Kontakt hält aus dem sich bald mehr entwickelt. Als Katja sich ihm für kurze Zeit als Praktikantin anbietet, stellt sich heraus, dass sie auf ihre ganz eigene Weise frischen Wind auf den Hof bringt. Josef springt über seinen beruflichen Schatten und lässt sich darauf ein, was Katja ihm vorschlägt.

Jakob ist es gewöhnt, eingefahrenen Wege zu gehen, bei denen sich zeigt, dass sie nicht zukunftsträchtig sind. Doch er weiß, dass er ein guter und ausdauernder Arbeiter ist. Er leistet denen die fragen, gerne einen Gefallen, auf ihn kann man sich verlassen. Lob erwartet er keins dafür. Von Beginn an ist der Misston zwischen ihm und seinem Vater zu spüren. Jakob ist mit wenig zufrieden. Ein Kasten Bier unter dem Bett und klassische Musik über Kopfhörer bei der Arbeit verschönern ihm den Tag. Mit Katja an seiner Seite muss er seinen Alltag neugestalten. Schon einmal hat er eine Beziehung geführt. Daraus resultiert ein beständiges Misstrauen, die es ihm erschwert sich auf eine neue Partnerin einzulassen.

Das Gefühl, ausgenutzt zu werden, verlässt ihn nie. Es gibt Momente, in denen er sich hilflos fühlt und sich aus seiner Resignation heraus eine solch große Wut entsteht, die dann gegenüber Lebewesen zum Ausdruck kommt. Diese Zeiten bilden einen zentralen Punkt im Roman. Die Folgen seines Zorns führen Jakob gedanklich im Kreis, denn sie führen ihn wieder zu seiner Machtlosigkeit zurück.

Die Geschichte thematisiert den Alltag in der Landwirtschaft mit seinen verschiedensten Möglichkeiten, Erträge zu erwirtschaften unter den vorgegebenen staatlichen Bedingungen und der Nachfrage des Verbrauchers. Man spürt dem Roman an, dass der Autor sich in diesem Metier auskennt, denn seine Schilderungen wirken lebendig und authentisch. An Jakob werden immer wieder neue Herausforderungen herangetragen, er ist nie ohne Arbeit, die er meist gelassen erledigt. Intensiv vermittelt der Autor das Hadern Jakobs mit dem Schicksal und der damit verbundenen inneren Auseinandersetzung. Hier und dort deutet er an, dass die Geschichte in Zeiten von Corona spielt.

Reinhard Kaiser-Mühlecker beschreibt in seinem Roman „Wilderer“ das Leben auf einem Hof am Rand einer Kleinstadt, der von dem jungen, wortkargen Landwirt Jakob geführt wird. Die eigenen Erfahrungen des Autors lassen die Geschichte real wirken. Im Mittelpunkt stehen die Chancen und Möglichkeiten, aber auch die damit verbund

Bewertung vom 15.03.2022
Givney, Rachel

Das verschlossene Zimmer


sehr gut

Der Roman „Das verschlossene Zimmer“ der Australierin Rachel Givney spielt im polnischen Krakau in der Zeit von Februar bis September 1939 mit einem Rückblick auf Ereignisse aus den 1920er Jahren. Die Autorin erzählt darin die Geschichte der 17-jährigen Marie Karska und ihrem Vater, dem Chirurgen Dominik Karski. Marie hat wenige Erinnerungen an ihre Mutter, die die Familie verlassen hat als sie noch ein Kleinkind war. Aber sie vermutet, dass ihr Vater Hinweise auf sie in seinem ständig verschlossenen Schlafzimmer aufbewahrt.

Marie steht kurz vor ihrem Schulabschluss. Ihr großer Wunsch ist es, in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten und Medizin zu studieren. Bisher hat Dominik nie auf die Fragen Maries nach ihrer Mutter geantwortet. Von einem Bekannten bekommt sie einen Tipp, wie sie die verschlossene Tür aufbrechen kann. Ihr ist bewusst, dass sie damit das Vertrauen ihres Vaters verliert, wenn er sie dabei erwischt.

Der Roman beginnt mit der spannenden Szene, in der Marie versucht, ins Schlafzimmer zu gelangen. Dabei macht sie eine wichtige Entdeckung. Doch im Folgenden fokussiert die Erzählung auf die aktuellen Ereignisse im Leben der beiden Protagonisten. Rachel Givney schildert dabei den chirurgischen Alltag von Dominik, sein Verhalten zu einem neuen Kollegen und seine Aussicht auf Beförderung, während Marie sich verliebt.

Inzwischen ziehen am Horizont die dunklen Wolken des Zweiten Weltkriegs auf. Marie ist sich auf eine arglose Weise nicht der Gefahr für die jüdische Bevölkerung bewusst mit der sie durch den erneuten Kontakt mit ihrem früheren Nachbarssohn in Verbindung kommt. Ihr Verhalten nahm ich in einigen Fällen als nicht glaubwürdig wahr, was unabhängig ist von der Auflösung des großen Familiengeheimnissen rund um ihre Mutter zum Ende des Romans. Eventuell kann man ihre Unbedarftheit darauf zurückführen, dass ihr Vater zwar abends nach der Arbeit das Essen kocht, aber ansonsten viele Dinge unausgesprochen bleiben zwischen ihm und seiner Tochter. Sie führen ein Leben nebeneinanderher. Dominik engagiert sich in der Gemeinde, aber in der Gesellschaft kommt er lediglich seinen Verpflichtungen nach und zeigt kein Interesse an weiteren Kontakten.

Der Schreibstil der Autorin ist angenehm zu lesen. Im Mittelteil kommt es durch einige Geschichten, die nicht von Belang sind zu kleinen Längen. Man sollte aber unbedingt bis zum Ende lesen. Immer wieder erschienen mir einige Handlungen von Dominik und Marie rätselhaft. Manche fand ich, wie oben bereits erwähnt, unrealistisch, aber einige mehr hatten damit zu tun, dass entsprechend eines Satzes aus dem Roman, die Menschen nur das sahen, was sie sehen wollten. So erging es mir auch als Leserin, die ihre eigenen Vorstellungen von Marie und Dominik in ihrem jeweiligen Umfeld beim Lesen entwickelte. Das Thema „Krieg“ verblasst zunächst im Hintergrund und kehrt dann in einer anderen, für mich unerwarteten Form zurück.

Der Roman „Das verschlossene Zimmer“ von Rachel Givney enthält ein großes Familiengeheimnis, das am Beginn aufgeworfen wird und am Ende eine überraschende Aufdeckung findet. Die Autorin stellt die beiden Figuren Marie und ihren Vater Dominik in den Mittelpunkt, wobei sich Ungereimtheiten in deren Verhältnis zueinander ergeben, die aber für mich nicht ganz schlüssig durch die Lösung der Suche nach Maries Mutter geklärt werden. Insgesamt fühlte ich mich gut durch den Roman unterhalten und empfehle ihn gerne weiter.