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Raumzeitreisender
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Buchwurm, der sich durch den multidimensionalen Wissenschafts- und Literaturkosmos frisst

Bewertungen

Insgesamt 759 Bewertungen
Bewertung vom 30.01.2021
Schwanitz, Dietrich

Der Campus


gut

An der Uni braut sich was zusammen. Hanno Hackmann, Professor für Soziologie, ist in einen Skandal verwickelt. Er soll Studentin Barbara Clauditz vergewaltigt haben. Eine Kolonne Bauarbeiter hat ihn durch ein Fenster beobachtet. Aus einer Affäre wird ein Fall für den Staatsanwalt.

Dietrich Schwanitz beschreibt und überzeichnet die Verhältnisse an der Uni, wie es nur einem Insider möglich ist. Er kreiert eine Atmosphäre, die beim Lesen spürbar wird. Hierzu gehören markante Charaktere, gestelzte Dialoge und das Intrigenspiel in den Sitzungen verschiedener Ausschüsse. Es handelt sich um eine humorvolle Persiflage auf den Betrieb einer Universität.

Allerdings werden die Protagonisten dermaßen klischeehaft dargestellt, dass es schon ein wenig nervt. Das gilt für die Arbeiter, die Professoren, die Gleichstellungsbeauftragte, die Mitarbeiter der Presse, Hackmanns Ehefrau und letztlich auch für die Studenten. Das gelungene Ende der Geschichte entschädigt für diesen Mangel.

Bewertung vom 30.01.2021
Schulte-Austum, Eva

Vertrauen kann jeder


sehr gut

Welche Zutaten sind erforderlich, um eine Vertrauenskultur zuzubereiten? Wirtschaftspsychologin Eva Schulte-Austum beschäftigt sich schon lange mit dem Thema. Sie hat in ihrem Buch die notwendige Rezeptur zusammengestellt. Diese besteht aus neun wesentlichen Bestandteilen, deren Bedeutung für das Gesamtergebnis sie ausführlich beschreibt.

Zunächst räumt die Autorin mit Mythen auf, die sich um den Begriff Vertrauen ranken. Dazu gehört z.B. der Mythos „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“. Das gilt in dieser pauschalen Form nicht, sondern es kommt auf die richtige Mischung an. Im Sinne von Reinhard Sprenger, den sie zitiert, muss dem Vertrauen prüfend Vernunft zur Seite gestellt werden, damit es nicht maßlos wird. (44)

Es folgen Rezepte für Vertrauen, in die die Autorin nicht nur die deutsche Sicht einfließen lässt, sondern Erfahrungen einbezieht, die andere Länder im Umgang mit Vertrauen gemacht haben. Auffallend ist das durchgängig gute Abschneiden nordeuropäischer Länder wie Norwegen, Schweden und Dänemark, in denen Vertrauen zur gelebten gesellschaftlichen Kultur gehört.

Die Erkenntnisse aus diesem verständlich aufbereiteten Buch sind sowohl im Beruf als auch im Privatleben anwendbar. Die Autorin zeichnet ein positives Bild der Menschen und sie setzt auf ein hohes Maß an Grundvertrauen. Die Grenzen des Vertrauens kommen m.E. ein wenig zu kurz. „Vertrauen muss konstruktiv bleiben, es darf nicht blind machen und erst recht nicht bedingungslos sein.“ [1]

[1] Reinhard Sprenger: Vertrauen führt, S. 77

Bewertung vom 30.01.2021
García Márquez, Gabriel

Hundert Jahre Einsamkeit


sehr gut

In „Hundert Jahre Einsamkeit“ erzählt Gabriel García Márquez die Geschichte der Familie Buendia, die einst das abgelegene Dorf Macondo gegründet hat, über sieben Generationen. In diesem Mikrokosmos vermischen sich Wirklichkeit und Fantasie, Mythos und Traum. Es ist die Geschichte Lateinamerikas, heruntergebrochen auf das Dorf Macondo und die Familie Buendia.

Es geht um Leben und Sterben, um Liebe und Hass, um Krieg und Frieden. Die Charaktere bilden die gesamte Palette menschlicher Eigenschaften ab. Der Autor bettet magische Momente in reale Handlungen ein und baut auf diese Weise Mythen auf. Er beschreibt den Aufstieg und Verfall einer Gesellschaft, ihre Konflikte, Beeinflussungen durch Wirtschaftskolonialismus und Naturkatastrophen.

Die vielen gleichartigen Namen erschweren das Lesen. Es ist daher zu empfehlen, einen Stammbaum der Familie (im Internet leicht zu finden) auszudrucken, um einen Überblick über die Protagonisten zu bewahren. Auch stören die teilweise überlangen Absätze und fehlenden Kapitelunterteilungen. Dennoch handelt es sich um ein Ausnahmewerk, in dem den Lesern die facettenreiche lateinamerikanische Kulturgeschichte vermittelt wird.

Bewertung vom 29.01.2021
Dutton, Kevin

Psychopathen


weniger gut

Der Untertitel „Was man von … Serienmördern lernen kann“ wirkt provokativ und dürfte dem Zweck dienen, den Verkauf zu fördern. Unter der gleichen Prämisse ist vor wenigen Jahren das Buch „Von der Mafia lernen“ von Louis Ferrante erschienen. „Psychopathen“ erregt ebenso wie „Von der Mafia lernen“ Aufmerksamkeit und sein Inhalt wird kontrovers diskutiert. Damit hat Autor Kevin Dutton, Forschungspsychologe an der renommierten Universität Oxford, sein Ziel erreicht.

„Es ist keine ganz neue Beobachtung, dass psychische Störungen generell auch von Nutzen sein können, dass sie manchmal ganz eigenartige, außergewöhnliche Vorteile mit sich bringen.“ (9) Daraus sollte nicht gefolgert werden, dass Psychopathen positive Menschen sind. Überhaupt ist eine seriöse Schlussfolgerung nur zulässig auf Basis einer klaren Definition, was Psychopathen denn nun sind.

Diese klare Definition fehlt. Wie unterscheiden sich Psychopathen z.B. von Soziopathen? Adam Cash schreibt in „Psychologie für Dummies“, dass Soziopathen früher als Psychopathen bezeichnet wurden. In Duttons Buch taucht der Begriff Soziopath nicht auf. In verschiedenen Quellen finden sich Definitionen, wie sich Soziopathen und Psychopathen voneinander unterscheiden. So können z.B. Psychopathen, im Gegensatz zu Soziopathen, Beziehungen zu anderen Menschen aufbauen. Außerdem haben sie kein Gewissen und verhalten sich höchst manipulativ.

In „Zwei Seiten einer Medaille“ relativiert Dutton seine Sicht. Die gleichen Eigenschaften, die Menschen destruktiv handeln lassen, können auch dazu führen, dass sie sich in ein brennendes Haus stürzen, um Leben zu retten. (49) Es ist diese Facette aus dem Spektrum psychopathischer Verhaltensweisen, um die es Dutton in diesem Buch geht. Es handelt sich in diesen Fällen jedoch nicht um Psychopathen, sondern um Menschen, die verhaltensmäßig eine Schnittmenge mit Psychopathen haben.

Der Klappentext bringt die Intention des Buches genauer auf den Punkt, als Dutton selbst in seinen Ausführungen, nämlich dass „normale“ Menschen das eine oder andere Merkmal der Psychopathy Checklist besitzen ohne deshalb als Psychopath zu gelten. Dutton beschreibt psychopathische Verhaltensweisen anhand zahlreicher Fallbeispiele. „Man findet sie [Psychopathen] in allen Organisationen, in denen ihnen Stellung und Status Macht über andere verleihen und die Chance auf materiellen Gewinn bieten.“ (150)

Die Leser werden durch die Ausführungen sensibilisiert, aber auch ein wenig verwirrt, wenn es darum geht, Psychopathen und psychopathische Eigenschaften voneinander zu trennen. Das Buch ist nicht sehr tiefgehend, aber unterhaltsam. Psychopathie wird tendenziell verharmlost. Die Ursachen für psychopathische Verhaltensweisen kommen zu kurz.

Bewertung vom 29.01.2021
Cash, Adam

Psychologie für Dummies


sehr gut

Das Buch „Psychologie für Dummies“ ist eine wohl strukturierte, für eine breite Leserschaft angelegte, verständliche Einführung in die Grundlagen der Psychologie. Es ist aufgebaut wie ein Fachbuch, inhaltlich aber nicht überfrachtet und damit für Laien geeignet. Es gliedert sich in 8 Teile und 26 Kapitel. Besondere Symbole kennzeichnen wichtige Informationen. Der Einstieg ist in jedem Kapitel möglich. Durch Querverweise sind die Kapitel untereinander vernetzt.

Psychologie lässt sich definieren als wissenschaftlich begründete Erforschung von menschlichem Verhalten und von Denkvorgängen. Es ist eine empirische Wissenschaft, wenngleich laut Autor Adam Cash auch zahlreiche Erkenntnisse auf Autoritäten beruhen, auf klinische Forschungen (ohne systematische Untersuchungen) zurückgehen oder Ergebnis theoretischer Überlegungen sind. Damit gibt es Überschneidungen, aber auch signifikante Unterschiede zu den Naturwissenschaften.

Autor Cash erklärt die Bedeutung der Biologie für psychologische Erkenntnisse, hierzu gehören insbesondere Gehirn und Nervensystem. Dem Reduktionismus (Reduktion der Psychologie auf die Biologie) steht er kritisch gegenüber. „Sie scheint unseren Wunsch nach einem freien Willen, nach Selbstbestimmtheit und Bewusstsein zu beleidigen.“ (44) Dem Bewusstsein widmet er ein eigenes Kapitel.

Die Grundregeln des Denkens ähneln den Grundregeln von Computern. Es gibt einen Input, einen Speicher, Regeln für die Verarbeitung und einen Output. Ich hätte es begrüßt, wenn der Autor auch die Unterschiede zwischen Gehirn und Computer herausgearbeitet hätte. Diese werden u.a. deutlich, wenn es um Motivation und Emotionen geht. Motivation und Gefühle sind eng miteinander verzahnt.

Lässt sich Verhalten in Reiz und Reaktion zerlegen, wie Vertreter des Behaviorismus glauben? Cash erläutert klassische Experimente zur Untermauerung dieser Thesen (Klassische Konditionierung nach Pawlow, Thorndikes Katzen, Skinners Ratten). Diese Lehre hatte zum Ziel, die Psychologie zu einer exakten Naturwissenschaft hin zu entwickeln. Cash versäumt es, die Grenzen des Behaviorismus aufzuzeigen.

Auf 100 Seiten führt der Autor die Leser in die Grundlagen der Sozialpsychologie ein. Die Arbeiten von Sigmund Freud und die seiner Nachfolger werden erläutert. Hierzu gehören Einführungen in das Unbewusste und in den Machtkampf zwischen Es, Ich und Über-Ich. Cash erläutert kurz die späteren Theorien von Heinz Hartmann, Robert White, Alfred Adler und Erik Erikson.

In weiteren Ausführungen geht es um wichtige psychische Störungen wie Angststörungen, Depression, Schizophrenie und das Posttraumatische Stress-Syndrom. Dabei ist die Frage, was normales Verhalten ist, gar nicht einfach zu beantworten. Paul Watzlawick machte in „Vom Unsinn des Sinns oder Vom Sinn des Unsinns“ (58) mangels klarer Definition der Normalität deutlich, dass es in der Psychiatrie unmöglich ist, Pathologien zu definieren.

Das Buch ist mit über 400 Seiten recht umfangreich. Es vermittelt einen guten Überblick über Grundlagen und Methoden der Psychologie, ersetzt aber nicht den Rat von Experten. Das Buch ist für Leser geeignet, die ein überdurchschnittliches Interesse für den Menschen und sein Verhalten aufbringen, aber kein Fachbuch lesen wollen. Autor Adam Cash ist Dozent für Psychologie und Fachmann für forensische Psychologie.

Bewertung vom 29.01.2021
Perutz, Leo

Turlupin. Roman.


sehr gut

Turlupin ist ein historischer Roman, der in Paris im Jahre 1642 spielt. Kardinal Richelieu plant einen Aufstand gegen den Adel. Doch seine Pläne werden von dem Perückenmacher Trancrède Turlupin durchkreuzt. Der Roman handelt davon, wie dieser sich Zugang zum Adel verschafft und einen Aufstand verhindert.

Auf einer zweiten Ebene beschreibt der Roman das Leben von Turlupin, einem einfältigen Findelkind, der sich, nachdem er aus einem brennenden Haus gerettet wurde, zu großen Dingen berufen fühlt. Er ist ein Träumer, zudem introvertiert und fatalistisch. Sein irrationales Verhalten wird besonders deutlich, wenn er Bettlern begegnet.

Auf einer dritten Ebene geht es um die Macht des Zufalls. Dieser beeinflusst maßgeblich das Leben von Turlupin und auch den weiteren Verlauf der Geschichte. Es gibt zahlreiche zufällige Begegnungen, die weitreichende Konsequenzen haben. Insofern thematisiert der Roman die Frage, wie offen letztlich Geschichte ist. Hätten viele Entwicklungen, aufgrund kleiner Zufälle, nicht auch völlig anders verlaufen können?

Auf einer vierten Ebene behandelt Leo Perutz ein Thema, welches auch schon in „Der schwedische Reiter“ eine zentrale Bedeutung hatte, nämlich Identität. Diese hat gleich eine doppelte Bedeutung. Einerseits übernimmt Turlupin die Identität eines anderen Menschen und auf der anderen Seite hält er sich selbst für jemand anderen.

In der Summe konstruiert Perutz auf wenigen Seiten einen vielschichtigen und tiefsinnigen Roman, der sehr zu empfehlen ist. Das erste Kapitel, in dem der historische Hintergrund beschrieben wird, hat mich wegen der vielen Namen zunächst abgeschreckt. Es ist aber nicht mehr als ein Vorwort zur eigentlichen Geschichte, die im zweiten Kapitel beginnt.

Bewertung vom 29.01.2021
Verbeek, Bernhard

Die Anthropologie der Umweltzerstörung


ausgezeichnet

„Die vielfältigen Quellen, aus denen das destruktive Verhalten der Umwelt gegenüber gespeist wird, aufzudecken, ist vorrangiges Ziel dieses Buches.“ An diesem Zitat wird eines deutlich: Bernhard Verbeek macht da weiter, wo Hoimar von Ditfurth 1989 aufgehört hat. Ähnlich wie von Ditfurth geht Verbeek interdisziplinär an die Themen heran. Ein parzelliertes Wissenschaftssystem mag Konflikte minimieren, es wird dem Wesen der Natur aber nicht gerecht.

Autor Verbeek ist Naturwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Biologie und betrachtet das Thema Umweltzerstörung vor dem Hintergrund der Evolution. Er lehrte bis 2004 an der Universität Dortmund und ist ein Aufklärer wie von Ditfurth. Das Buch gliedert sich in die drei Teile „Eigenheiten der Evolution“, „Eigenheiten des Menschen“ und „Evolution auf der Metaebene“. Die Parabel am Schluss des Buches bringt die Situation des Menschen auf den Punkt.

Im ersten Teil erläutert Verbeek Grenzen der Erkenntnis und geht auf die Evolutionäre Erkenntnistheorie ein. Diese ist verknüpft mit Namen wie Lorenz, Vollmer und von Ditfurth. Verbeek führt hier auch Maturana und Varela auf, die meines Erachtens wegen ihres konstruktivistischen Ansatzes eine andere Richtung vertreten („Der Baum der Erkenntnis“). Der evolutionsbiologische Denkansatz bei der Analyse der Umweltzerstörung ist nicht nur hilfreich, sondern unverzichtbar. Ordnung, Gleichgewicht, Kreisprozesse, Wettkampf und Kooperation sind Themen, denen sich Verbeek widmet. Eine Loslösung der Noosphäre von der Materie, wie Teilhard de Chardin sie vorgeschlagen hat, dürfte eine Illusion bleiben.

Der Mensch ist „die Spezies mit dem verheerenden Überlebenserfolg“, so der Autor zu Beginn des zweiten Teils des Buches. Dagegen sind 99,9% aller Arten ausgestorben und die Aussterberate ist heute um ein Vielfaches höher, als zu archaischen Zeiten. Der Energiebedarf ist grenzenlos. Der Erfolg des Menschen hat auch etwas mit seinem asymmetrischen Realitätssinn zu tun. Realisten findet man einer Studie zufolge vorzugsweise bei den Depressiven, denn Wahrheit macht krank. Religion, Illusion und Aberglaube zählen zu den Strategien des Menschen. Dabei wird häufig Koinzidenz mit Kausalität verwechselt. Hinsichtlich der Wertesysteme gilt, dass ein archimedischer Punkt fehlt. Wozu der Mensch fähig ist, wenn ihm (scheinbar) Verantwortung abgenommen wird, machen die Experimente von Milgram deutlich. Illusion, Autorität und Macht können eine gefährliche Symbiose eingehen.

Evolution ist mehr als ein biologisches Phänomen. Verbeek zeichnet im dritten Teil des Buches ein Bild von den Genen bis zu den Ökosystemen. Auch die Kultur ist ein Produkt der Evolution. Der Autor erläutert das (sehr wohl umstrittene) Konzept der Meme. Ob Metavernunft oder eine neue Ethik hilft, ist alles schon diskutiert worden. Es mangelt an Rezepten, wie denn die evolutionsbiologischen Zwänge durchbrochen werden können. So gesehen besteht das Buch auch zu einem großen Teil aus Situationsbeschreibung und Analyse und nur zu einem kleinen Teil aus Vorschlägen, wie wir den Kurs denn verändern können.

Das Buch ist von 1990. Sind wir heute schlauer geworden? Wir sind Weltmeister im Analysieren aber nicht im Lösen von Problemen. Fracking in den USA und demnächst in Deutschland oder der extreme Smog in Peking beweisen das Gegenteil. Zwanzig Jahre später verfügen wir über genauere Daten und erweiterte Erklärungsmodelle, aber von einer Lösung der Auswirkungen der Umweltzerstörung sind wir meilenweit entfernt. Watzlawick sprach einst davon, dass man notfalls die Bewertung eines Problems verändern muss, wenn man ein Problem nicht lösen kann. Das mag für Einzeltherapien in einer psychotherapeutischen Praxis ein wertvoller Tipp sein, im Hinblick auf die globale Umweltzerstörung hilft das nicht.

Bewertung vom 29.01.2021
Robinson, Tara Rodden

Genetik für Dummies


sehr gut

Wie wird eine Kopie der DNA erstellt? Welche Probleme treten beim Klonen auf? Was ist von der Stammzellenforschung zu halten? Wie ist ein Genetiklabor aufgebaut? Diese und zahlreiche weitere Fragen zur Genetik werden in dem Buch für einen breiten Leserkreis behandelt. Im Kern geht es um Grundlagen und Anwendungsmöglichkeiten der Genetik. Die Autorin ist Dozentin für Genetik an einer amerikanischen Universität und wurde für ihre Vorlesungen mehrfach ausgezeichnet.

Das Buch umfasst knapp 400 Seiten. Die Ausführungen sind verständlich, soweit das bei dieser komplexen Materie möglich ist. Die chemischen bzw. biochemischen Grundlagen werden nicht erläutert. Im Fokus stehen die Vererbung und der Aufbau der DNA. Die Autorin verzichtet auf den üblichen wissenschaftlichen Fachjargon, verwendet aber dennoch zahlreiche Fachbegriffe aus der Genetik bzw. Molekularbiologie. Diese werden im Text und im sechsseitigen Glossar erläutert. Die Erläuterungen im Glossar sind recht kurz gefasst.

Das Buch ist so strukturiert, dass die Leser es nicht vom ersten bis zum letzten Kapitel lesen müssen, sondern der Einstieg ist in jedem Kapitel möglich. Durch Querverweise sind die Kapitel untereinander vernetzt. Daneben gibt es Symbole für wichtige Textpassagen und für Texteinschübe, die übersprungen werden können, wenn man sich lediglich einen Überblick über ein Thema verschaffen möchte. Auch Metainformationen über die Forscher selbst sind besonders gekennzeichnet.

In den ersten beiden Teilen erläutert die Autorin Grundlagen der Genetik (Mendels Regeln, Zellaufbau, DNA-Struktur, Replikation, DNA-Sequenzierung, Transkription, Translation u.v.a.m.) und in den weiteren Teilen Erbkrankheiten, Gentherapien, DNA-Fingerabdrücke und weitere Anwendungen der Genetik. Mit unerwünschten (genetisch bedingten) Nebenwirkungen von Medikamenten beschäftigt sich die Pharmakogenomik. Erforscht werden Testverfahren mit dem Ziel, unverträgliche Medikamente von vornherein zu vermeiden.

Die Autorin setzt sich auch mit ethischen Fragen auseinander, wenngleich das Thema mit zehn Seiten recht kurz geraten ist. So erfahren die Leser z.B., dass Designer-Babys ein Mythos sind und über Eigentumsrechte an Genen gestritten wird. Dass Bakterienstämme so verändert werden können, dass sie in einem Krieg als Waffen eingesetzt werden können, wird nicht angesprochen. Dennoch versteht es die Autorin, auf den Punkt zu kommen. Das Buch kann ich empfehlen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.01.2021
Mersch, Peter

Ich beginne zu glauben, dass es wieder Krieg geben wird


sehr gut

Peter Mersch beschreibt dringend zu lösende Probleme der Menschheit und liefert für deren Ursachen mit der systemischen Evolutionstheorie ein erklärungsmächtiges Modell an. Er fordert die bedingungslose Akzeptanz naturwissenschaftlicher Grundprinzipien. Sein Modell beschreibt selbstreproduktive (geordnete) Systeme und geht weit über die Biologie hinaus. Systeme in diesem Sinne sind Lebewesen und Superorganismen (z.B. Unternehmen). Die Systeme streben danach, Kompetenzverluste zu vermeiden und benötigen dafür Ressourcen in Form von Wissen und Energie. Sie verhalten sich nachhaltig gegenüber ihren eigenen Kompetenzen und ausbeutend gegenüber ihrer Umwelt.

Grundlagen für diesen systemischen Ansatz haben u.a. Physiker wie Schrödinger und Hawking geliefert. „Danach [gemeint ist der zweite Hauptsatz der Thermodynamik] nimmt in jedem geschlossenen System die Unordnung oder Entropie mit der Zeit zu …“ [1]. „Das Leben scheint ein geordnetes und gesetzmäßiges Verhalten der Materie zu sein, das nicht ausschließlich auf ihrer Tendenz, aus Ordnung in Unordnung überzugehen [Entropie], beruht, sondern zum Teil auf einer bestehenden Ordnung, die aufrechterhalten bleibt“ [2]. „Nur wenn sie in die gleiche Richtung zeigen [gemeint sind der psychologische, der thermodynamische und der kosmologische Zeitpfeil], sind die Bedingungen für die Entwicklung intelligenter Lebewesen geeignet ...“ [3].

Merschs Theorie ist umfassend; sie steht für ein konsequent evolutionär-systemisches Denken. Sie bietet eine Grundlage für die Kultur- und Sozialwissenschaften, auch wenn Vertreter aus diesen Fachbereichen gewöhnlich mit antibiologistischen Modellen arbeiten. Darwins Evolutionstheorie und Dawkins Theorie der egoistischen Gene lassen sich laut Mersch als Spezialfälle aus der systemischen Evolutionstheorie herleiten. Das Gender-Konzept [4] und die Tabula-rasa-Theorie werden ad absurdum geführt.

Aufschlussreich ist die Einbeziehung von Unternehmen in den Systembegriff. „Selbst gegenüber ihren eigenen Mitarbeitern bringen solche Systeme oftmals kaum mehr Mitgefühl auf, als ein vor einer Meute Raubtiere fliehender barfüßiger Steinzeitmensch gegenüber den Zellen seiner Fußsohlen.“ (41/42) Priorität hat das Überleben des Gesamtsystems. Mersch bringt zahlreiche Beispiele für die Vermeidung von Kompetenzverlusten.

Auf vierzig Seiten bietet Mersch Lösungen gegen die Krisen an, die er im Vorwort beschreibt. Er selbst zweifelt, in Kenntnis der Natur des Menschen, an deren Umsetzbarkeit. Diese Zweifel sind berechtigt. Wegen der Selbstbezüglichkeit müssen seine Vorschläge konform zu seiner eigenen Theorie sein; sie müssen sich an dieser Theorie messen lassen. Soweit die Umsetzung von Lösungen mit Kompetenzverlusten verbunden ist, wird es in einer Demokratie kein Einvernehmen für Änderungen geben.

Autor Mersch kreiert mit seiner systemischen Evolutionstheorie, die er an Beispielen erläutert, eine neue Sicht auf die Welt. Ist die Theorie auch falsifizierbar? Hierzu fehlen Aussagen. Gestört hat mich der düstere Titel des Buches. Dennoch handelt es sich um ein lesenswertes Buch, da neue Gedanken entwickelt werden und das ist heute selten.

[1] Stephen Hawking: „Eine kurze Geschichte der Zeit“, Seite 183
[2] Erwin Schrödinger: „Was ist Leben?“, Seite 122
[3] Stephen Hawking: „Eine kurze Geschichte der Zeit“, Seite 183/184
[4] Volker Zastrow: „Gender“