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meldsebjon
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Hattingen

Bewertungen

Insgesamt 172 Bewertungen
Bewertung vom 21.02.2010
Flynn, Gillian

Finstere Orte


sehr gut

Eine brutale Gewalttat hat vor über 20 Jahren zerstört, was von einer Familie noch übrig war: Mutter und zwei Töchter tot, der Sohn im Gefängnis und die jüngste Tochter, Libby, damit beschäftigt, ihre Erinnerungen zu verdrängen und damit eigentlich lebensuntüchtig.

Bisher konnte sie ihr einsames Dasein führen, weil sie von einem Hilfefond lebte, der aus Spenden für sie als Überlebende dieser Gewalttat, finanziert wurde. Dass diese Mittel inzwischen fast aufgebraucht sind, führt dazu, dass Libby sich Gedanken über ihren Lebensunterhalt machen muss. Nicht wirklich lebenstüchtig, wie sie ist, kommt Arbeit für sie nicht in Frage. Also versucht sie weiterhin Kapital aus dem ihr widerfahrenen Unglück zu schlagen. Jetzt ist das aber nur noch möglich, wenn sie der Vergangenheit und der Rolle, die sie darin gespielt hat, wirklich ins Gesicht schaut. Bisher hat sie das vermieden, wollte sich nicht erinnern, wollte ihre Erinnerung nicht in Frage stellen.

Da sie dies nun gezwungenermaßen doch endlich tut, kommt sie zu überraschenden Erkenntnissen und Entwicklungen. Sooo eindeutig sind die Beweise für die Schuld ihres Bruders gar nicht. Im Gegenteil, da tauchen plötzlich noch viele mögliche Verdächtige auf. Da ist der lange abgelehnte Begegnung mit dem Bruder gar nicht so schrecklich, sondern eher heilsam. Aber wenn ihr Bruder nicht der Täter war, warum hat er dann nichts getan um seine Unschuld zu beweisen? Wie reagiert der wirkliche Täter, wenn alle Ereignisse wieder aufgewühlt werden? Begibt sich Libby in Gefahr?

Die Gestaltung des Covers steht in unmittelbarem Zusammenhang zu dem Inhalt: Verschlossene Türen werden geöffnet. Libby hat alles fest in ihrem Unterbewusstsein verschlossen, was jetzt langsam herauskommt. Dies führt dazu, dass auch andere Personen Türen öffnen müssen. Vielleicht auch die zu Bens Gefängniszelle?

Das Buch ist von der ersten bis zur letzten Seite gut und spannend geschrieben. Die ganze schwierige Situation der Familie Day damals und heute wird glaubwürdig und einfühlsam beschrieben. Obwohl der Leser manche Dinge schnell ahnen kann, wird er von neuen Entwicklungen immer wieder überrascht. Auch diese sind glaubwürdig dargestellt.

Besonders beeindruckt hat mich das Ende: Für Libby und den Leser ist zwar alles aufgeklärt, es sind Türen geöffnet worden, die Libby und anderen einen Weg in eine Zukunft eröffnen, aber ob alle diese neuen Chancen nutzen können, steht nicht fest. Es ist kein "Heile-Welt-Ende", sondern ein hoffnungsvoller Ausblick. Besonders Libby hat persönlich eine Entwicklung zum Positiven hin gemacht, sie kann sich eine Zukunft vorstellen. Und das ist mehr, als sie zum Beginn des Buches konnte.

Bewertung vom 29.01.2010
Hayes, Sam

Stumm


sehr gut

Ein Psychothriller kann seine Spannung auch aus einem Geflecht von Beziehungen und Geheimnissen beziehen. Es muss nicht immer um blutige Details oder um rasante Verfolgungsjagden gehen. Hierfür ist "Stumm" von Sam Hayes ein gutes, wenn auch nicht überragendes Beispiel. Ein spannendes Buch, das den Leser aber nicht um seinen Nachtschlaf bringt.

Ein junges Mädchen, Opfer eines Überfalls, wird von seiner Lehrerin Julia gefunden, und diese wird immer weiter in diesen Fall verstrickt. Julia hat daneben aber auch noch an anderen Fronten zu kämpfen: Ihre eigentlich geistig und körperlich agile Mutter hat plötzlich das Sprechen eingestellt und ist kaum ansprechbar. Jemand muss sich um deren Pflegekinder kümmern, die eine schwere Vergangenheit haben. Außerdem hat sich Julia gerade von ihrem Mann getrennt, den sie zwar noch zu lieben scheint, dessen Alkoholismus sie aber nicht länger ertragen kann.

Die Geschichte wird von drei Ich-Erzählern im Wechsel erzählt: Julia, ihrem Mann Murray und ihrer Mutter Mary. Wechselnde Erzähler sind für den Leser immer interessant, weil die Dinge von verschiedenen Warten aus betrachtet werden. Hier ergibt sich aber eine besondere Spannung daraus, dass die für die übrigen Personen stumme Mutter sich dem Leser auch mitteilt. Deshalb ist der Leser immer einen kleinen Schritt vor den anderen Akteuren. Allerdings wird er so auch manchmal auf eine falsche Fährte gelockt.

Der Schlüssel für das aktuelle Geschehen liegt in der Vergangenheit. Und diese kommt Stückchen für Stückchen zum Vorschein. Am Ende des Buches ist nicht wieder die ganze Welt heil, aber die Vergangenheit ist abgeschlossen, der Leser kennt alle Geheimnisse, und die Hauptpersonen haben eine Zukunft vor sich.

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