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meldsebjon
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Hattingen

Bewertungen

Insgesamt 174 Bewertungen
Bewertung vom 21.03.2010
Lewycka, Marina

Das Leben kleben


ausgezeichnet

Auch der Leser bleibt kleben.

Georgie, eine ehemals erfolgreiche Journalistin, ist eine erfolglose Romanautorin und verdient ihren Lebensunterhalt mit der Arbeit an einem Klebstoffmagazin. Warum ausgerechnet Klebstoff? Weil er eine phantastische Metapher abgibt für die verschiedensten Strukturen in diesem Buch:

Schicksale der unterschiedlichsten Personen geraten aneinander und kleben fest, wie Georgie und ihre seltsame Nachbarin, Mrs. Shapiro, wie der Handwerker und eigentliche Ingenieur Mr. Ali, wie die Kollegen aus der Klebstoffbranche, betrügerische Sozialarbeiter und Makler, geizige Schnäppchenjäger und nicht zuletzt die Familie. Wie beim Klebstoff ist es schwierig, das, was einmal zusammengeklebt wurde, wieder ohne Verletzungen zu trennen.

Die Handlungsstränge sind sehr vielschichtig und komplex, so dass es schwer fällt, eine knappe Inhaltsangabe zu verfassen. Hier ein Versuch:

Georgie hat gerade ihren besserwisserischen Ehemann vor die Türe gesetzt und all seine Habe in einem Müllcontainer deponiert. Dort trifft sie Mrs. Shapiro, die gerade Schallplatten und Bücher einsammelt und die Leute, die so etwas abgeben als Barbaren beschimpft. Einige Zeit später kommt es zu einem weiteren Zusammentreffen mit der Nachbarin, als diese im Lebensmittelmarkt mit unsauberen Methoden um heruntergesetzte Waren kämpft. Diese Begegnungen reichen Mrs. Shapiro, um Georgie als nächste Angehörige anzugeben, als sie wegen eines Handbruches ins Krankenhaus kommt. Pflichtbewußt kümmert sie sich. Dann entdeckt sie, dass eine Sozialarbeiterin gemeinsame Sache mit einem Makler ztu machen scheint mit dem Ziel, ihre Nachbarin zu betrügen. Das lässt ihr Gerechtigkeitssinn nicht zu und sie wird immer weiter in die Angelegenheit verstrickt.

In der weiteren Handlung kommen weitere Personen hinzu, so der Handwerker Mr. Ali und seine Neffen. Er und auch Mrs. Shapiro haben eine Geschichte, die nach und nach zu Tage tritt. Dann gibt es noch Georgies pubertierenden Sohn Ben, der fest an den in der Bibel prophezeiten Weltuntergang glaubt.

Meine Meinung: Das ist eines der besten Bücher, die ich in der letzten Zeit gelesen habe!! Einmal, weil es so vielschichtig ist. Man kann es als eine Geschichte mehrerer skuriller Typen lesen, die per Zufall aufeinandertreffen. Wenn man tiefer geht, hat es eine politische Aussage, denn der Konflikt zwischen Juden und Palästinensern wird aus den verschiedenen Blickwinkeln dargestellt. Es ist auch ein humorvolles Buch. Eine Stelle hat mir besonders gut gefallen: Als Mr. Ali es nach vielen Mühen geschafft hat, ein Schloss auszutauschen ohne die Türe zu beschädigen und dann sagt: "Immer besser....zuerst gewaltfreie Lösung probieren". Es ist auch ein tolerantes Buch, denn der Leser versteht all die verschiedenen Menschen und ihre Positionen, weil die Beweggründe so gut dargestellt werden. Das sind nicht nur Juden und Palästinenser, das sind auch reiche Leute wie Georgies Schwiegereltern und Leute der Arbeiterklasse wie Georgies Eltern. Dann sind es alte Leute wie Mrs. Shapiro und junge Leute wie Ben. Es gibt auch gute Sozialarbeiter, die nie Zeit haben und andere, die versuchen aus der schlechten Arbeit einen Gewinn zu erzielen. Und all diese verschiedenen Menschen kleben irgendwie zusammen.

Nicht zuletzt zeigt diese Buch ein wirklich gutes Abbild der englischen Gesellschaft mit dem Sozialgefälle und den vielen Einwanderern. Bemerkenswert finde ich auch die geschliffene und vielfach doppeldeutige Sprache, die trotz der Übersetzung ins deutsche nichts verloren zu haben scheint. Hierfür hat sich die sehr sorgfältige Übersetzerin ein Lob verdient!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.03.2010
Carver, Tania

Entrissen / Marina Esposito Bd.1


ausgezeichnet

Titel "Entrissen" - Eindruck: Hingerissen

Spannung von der ersten bis zur letzten Seite! Wenn ich das Buch (sehr ungern!) zur Seite legen musste, habe ich überlegt, wodurch diese ständige Spannung erzeugt wurde und hatte folgende Ideen:

Das Buch ist ausgesprochen gut geschrieben. Es sind zwar schon Morde geschehen, es ist aber zu erwarten, dass der Täter noch kein Ende gefunden hat, und Schlimmeres nur verhindert werden kann, wenn er rechtzeitig gefasst wird. Der Leser fiebert mit, weil eine schnelle Aufklärung Leben retten kann und er ahnt, welche Opfer als nächste auf der Liste stehen. Weil diese Opfer in ihrem Umfeld und ihren Gefühlen sehr gut dargestellt werden, werden sie zu realen Personen, die man gerne in Sicherheit wüsste. Nicht zuletzt sollen Babys immer gerettet werden!

Auch die ermittelnden Polizisten und die Profilerin in einer doppelten Funktion sind mit Leben gefüllte Personen, deren Leben auch im privaten Bereich spannend ist. Da der Leser als Betrachter mehr Informationen hat als die Ermittler, ahnt er, wenn die Ermittlungen in die falsche Richtung zielen und auch dadurch wird die Spannung erhöht.

Dieser Thriller erinnert mich an wirklich gute Autorinnen: Martha Grimes, Tess Gerritsen, Joy Fielding oder Patricia Cornwell. Er ist aber keine Kopie, sondern ein eigenständiges Werk. Tania Carver wird sich in die Reihe dieser Autorinnen einreihen können, wenn ihre nächsten Bücher die Erwartungen erfüllen, die man nach der Lektüre dieses Erstlings haben muss. Ich bin jedenfalls sehr gespannt und werde bestimmt zu dem nächsten Produkt aus dieser Feder greifen!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.02.2010
Flynn, Gillian

Finstere Orte


sehr gut

Eine brutale Gewalttat hat vor über 20 Jahren zerstört, was von einer Familie noch übrig war: Mutter und zwei Töchter tot, der Sohn im Gefängnis und die jüngste Tochter, Libby, damit beschäftigt, ihre Erinnerungen zu verdrängen und damit eigentlich lebensuntüchtig.

Bisher konnte sie ihr einsames Dasein führen, weil sie von einem Hilfefond lebte, der aus Spenden für sie als Überlebende dieser Gewalttat, finanziert wurde. Dass diese Mittel inzwischen fast aufgebraucht sind, führt dazu, dass Libby sich Gedanken über ihren Lebensunterhalt machen muss. Nicht wirklich lebenstüchtig, wie sie ist, kommt Arbeit für sie nicht in Frage. Also versucht sie weiterhin Kapital aus dem ihr widerfahrenen Unglück zu schlagen. Jetzt ist das aber nur noch möglich, wenn sie der Vergangenheit und der Rolle, die sie darin gespielt hat, wirklich ins Gesicht schaut. Bisher hat sie das vermieden, wollte sich nicht erinnern, wollte ihre Erinnerung nicht in Frage stellen.

Da sie dies nun gezwungenermaßen doch endlich tut, kommt sie zu überraschenden Erkenntnissen und Entwicklungen. Sooo eindeutig sind die Beweise für die Schuld ihres Bruders gar nicht. Im Gegenteil, da tauchen plötzlich noch viele mögliche Verdächtige auf. Da ist der lange abgelehnte Begegnung mit dem Bruder gar nicht so schrecklich, sondern eher heilsam. Aber wenn ihr Bruder nicht der Täter war, warum hat er dann nichts getan um seine Unschuld zu beweisen? Wie reagiert der wirkliche Täter, wenn alle Ereignisse wieder aufgewühlt werden? Begibt sich Libby in Gefahr?

Die Gestaltung des Covers steht in unmittelbarem Zusammenhang zu dem Inhalt: Verschlossene Türen werden geöffnet. Libby hat alles fest in ihrem Unterbewusstsein verschlossen, was jetzt langsam herauskommt. Dies führt dazu, dass auch andere Personen Türen öffnen müssen. Vielleicht auch die zu Bens Gefängniszelle?

Das Buch ist von der ersten bis zur letzten Seite gut und spannend geschrieben. Die ganze schwierige Situation der Familie Day damals und heute wird glaubwürdig und einfühlsam beschrieben. Obwohl der Leser manche Dinge schnell ahnen kann, wird er von neuen Entwicklungen immer wieder überrascht. Auch diese sind glaubwürdig dargestellt.

Besonders beeindruckt hat mich das Ende: Für Libby und den Leser ist zwar alles aufgeklärt, es sind Türen geöffnet worden, die Libby und anderen einen Weg in eine Zukunft eröffnen, aber ob alle diese neuen Chancen nutzen können, steht nicht fest. Es ist kein "Heile-Welt-Ende", sondern ein hoffnungsvoller Ausblick. Besonders Libby hat persönlich eine Entwicklung zum Positiven hin gemacht, sie kann sich eine Zukunft vorstellen. Und das ist mehr, als sie zum Beginn des Buches konnte.

Bewertung vom 29.01.2010
Hayes, Sam

Stumm


sehr gut

Ein Psychothriller kann seine Spannung auch aus einem Geflecht von Beziehungen und Geheimnissen beziehen. Es muss nicht immer um blutige Details oder um rasante Verfolgungsjagden gehen. Hierfür ist "Stumm" von Sam Hayes ein gutes, wenn auch nicht überragendes Beispiel. Ein spannendes Buch, das den Leser aber nicht um seinen Nachtschlaf bringt.

Ein junges Mädchen, Opfer eines Überfalls, wird von seiner Lehrerin Julia gefunden, und diese wird immer weiter in diesen Fall verstrickt. Julia hat daneben aber auch noch an anderen Fronten zu kämpfen: Ihre eigentlich geistig und körperlich agile Mutter hat plötzlich das Sprechen eingestellt und ist kaum ansprechbar. Jemand muss sich um deren Pflegekinder kümmern, die eine schwere Vergangenheit haben. Außerdem hat sich Julia gerade von ihrem Mann getrennt, den sie zwar noch zu lieben scheint, dessen Alkoholismus sie aber nicht länger ertragen kann.

Die Geschichte wird von drei Ich-Erzählern im Wechsel erzählt: Julia, ihrem Mann Murray und ihrer Mutter Mary. Wechselnde Erzähler sind für den Leser immer interessant, weil die Dinge von verschiedenen Warten aus betrachtet werden. Hier ergibt sich aber eine besondere Spannung daraus, dass die für die übrigen Personen stumme Mutter sich dem Leser auch mitteilt. Deshalb ist der Leser immer einen kleinen Schritt vor den anderen Akteuren. Allerdings wird er so auch manchmal auf eine falsche Fährte gelockt.

Der Schlüssel für das aktuelle Geschehen liegt in der Vergangenheit. Und diese kommt Stückchen für Stückchen zum Vorschein. Am Ende des Buches ist nicht wieder die ganze Welt heil, aber die Vergangenheit ist abgeschlossen, der Leser kennt alle Geheimnisse, und die Hauptpersonen haben eine Zukunft vor sich.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.