Benutzer
Benutzername: 
Lena
Wohnort: 
Köln

Bewertungen

Insgesamt 191 Bewertungen
Bewertung vom 13.11.2024
Sauer, Beate

Glücklich sind die Mutigen / Die Fernsehschwestern Bd.3


sehr gut

"Glücklich sind die Mutigen" ist nach "Wunder gibt es immer wieder" und "Morgen ist ein neuer Tag" Band 3 der "Fernsehschwestern"-Saga und der Abschluss der Trilogie. Wie schon nach Band 1 erfolgt auch nach Band 2 ein größerer zeitlicher Sprung. Er handelt zwanzig Jahre später und versetzt die/ den LeserIn direkt zu Beginn des Romans mit dem Fall der Berliner Mauer in das Jahr 1989.

Eva Vordemfelde heiratet den Regisseur Chris, nachdem dieser einen Herzinfarkt erlitten hat und zieht mit ihm gemeinsam nach München, um die anstrengende Pendelei zwischen Deutschland und Kalifornien zu beenden. Doch zurück in Deutschland hat Eva auch mit Ehemann Nr. 3 nicht das Glück gepachtet.
Ihre jüngere Schwester Franka, die als Journalistin tätig ist, genießt ihre Unabhängigkeit, auch wenn sie immer wieder an Frieder, den Vater ihrer Tochter, denken muss, der viel zu früh tragisch ums Leben gekommen war. Als Alleinerziehende hat sie es trotz der Unterstützung ihrer Mutter Annemie nicht leicht gehabt und noch heute leidet ihre Tochter Joan darunter, hinter der Karriere ihrer Mutter zurückstehen zu müssen.
Frankas Zwillingsschwester Lilly ist noch mit Anfang 40 als Ansagerin im Fernsehen beliebt und tut auch alles dafür, mit dem Schönheitsideal mithalten zu können. Ihren Ehemann Rudolf begehrt sie schon lange nicht mehr und sucht sich Befriedigung in wechselnden Affären.

Durch ihren Vater geprägt, wissen die drei "Fernsehschwestern" wie hart und ungerecht die Film- und Fernsehbranche sein kann. Als Frauen haben sie jedoch auch noch mit den patriarchalen Strukturen zu kämpfen und sehen sich sexuellen Übergriffen ausgesetzt. Als Lilly und Joan auf unterschiedliche Weise selbst betroffen sind, halten die Frauen der Familie eng zusammen und erhalten auch Unterstützung von den Männern innerhalb der Familie. So hat Vater Axel als gechasster Fernsehmoderator noch eine Rechnung mit einem Kontrahenten offen.

Das Finale der Trilogie ist wie die Bände zuvor anschaulich und lebendig erzählt und fängt den Zeitgeist der späten 1980er- und frühen 1990er-Jahre - mit Schulterpolstern, Walkman, Hans Meiser und RTLplus - passend ein.
Auch wenn die Pause zwischen Band 2 und 3 wieder groß war und in der fiktiven Geschichte über ein Jahrzehnt vergangen ist, findet man sich durch geschickt platzierte Einschübe, die die Erinnerung auffrischen, wieder in das Leben der Familie Vordemfelde ein. Historische Ereignisse und reale Persönlichkeiten werden passend mit der Geschichte der Frauen verbunden, die als Journalistin oder Fernsehmoderatorin naturgemäß ein Interesse an Politik und Gesellschaft haben.

Die Darstellung erfolgt aus wechselnden Perspektiven und da man alle Figuren bereits über mehrere Jahrzehnte begleitet, ist die Sicht aus drei Generationen auch nicht zu viel oder bleibt zu oberflächlich.

Liebe, Familie, Karriere und die Probleme, die Frauen mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familienleben haben sowie die Schwierigkeiten, sich als Frauen zu emanzipieren und sich in einer Männerdomäne durchzusetzen, sind die prägenden Themen der Trilogie. Dieser Band handelt vor allem von der dunklen Seite des Filmwesens in Form von psychischer und physischer Gewalt am Set, woran die sensible Joan fast zerbricht.
Darüber hinaus spielen die Albträume von Mutter Annemie, die sich als Erinnerungen herausstellen, seit Band 1 eine Rolle und bilden einen anderen geheimnisvollen Erzählstrang. Dieser mag aber nicht so recht zum Rest der Geschichte passen, ist in Band 3 von vielen Zufällen geprägt und hätte weiter ausgebaut sicher Material für einen eigenen Roman gegeben.

Band 3 erzählt erneut von der Stärke und Wahrhaftigkeit der Frauen und zeichnet ein anschauliches Bild der damaligen Zeit. Der Roman ist jedoch weniger emotional, dramatisch und spannend als Band 1 und 2. Er schließt die Familiensaga, in der die Frauen stets für ihre Freiheit und ihr Glück kämpfen mussten, zufriedenstellend ab und lässt keine Fragen mehr offen.

Bewertung vom 11.11.2024
Johann, Petra

Der Buchhändler


ausgezeichnet

Erik Lange ist in die bayerische Kleinstadt Neukirchen gezogen, um die dortige Buchhandlung zu übernehmen und einen Neuanfang zu wagen. Die Trennung von seiner Tochter macht ihm zu schaffen, aber unabhängig davon fühlt er sich in seinem neuen Zuhause wohl und hat schnell erste Bekanntschaften geschlossen.
Einige Wochen nach seinem Umzug verschwindet ein neunjähriges Mädchen, mit dessen Vater sich Erik angefreundet hatte. Die hübsche Theresa hat in der Nacht von Freitag auf Samstag ihr Elternhaus verlassen und ist nicht zurückgekehrt.
Kriminalkommissarin Judith Plattner, die selbst vor einem Jahr einen schweren Schicksalsschlag erlitten hat, übernimmt die Ermittlungen zusammen mit ihrer jungen Kollegin Pia Meyer. Die Befragungen im Umfeld der Familie sind wenig aufschlussreich. Als sie Theresas "Geheimnis" entdecken und anschließend der Verdacht auf Erik fällt, Theresa etwas angetan zu haben, wird ein Stein ins Rollen gebracht. Erik hat ein Motiv, aber Beweise gibt es keine.

"Der Buchhändler" ist zunächst mehr Krimi als Thriller, denn über zwei Drittel des Romans stehen die Ermittlungen und der Einblick in das Stadtviertel Schönblick im Vordergrund, wo Theresa vermisst wird. Der Roman wird aus der Ich-Perspektive von Erik und einem neutralen Beobachter geschildert. Erik wirkt grundsolide, wobei anfangs nicht klar ist, was in der Vergangenheit vorgefallen ist, dass ihn zu dem Schritt gezwungen hat, seinen Heimatort zu verlassen.

Durch die polizeilichen Befragungen im Umfeld der Familie des vermissten Kindes, das sich fast ausschließlich auf die kleine Nachbarschaft beschränkt, wo man freundschaftlich miteinander verbunden ist, erhält man einen Blick hinter die Fassade. Kompromittierende Details werden aufgedeckt und Verdächtigungen ausgesprochen, die jedoch nicht unmittelbar im Zusammenhang mit dem Verschwinden von Theresa zu sehen sind. Von ihr fehlt jede Spur und je mehr Zeit vergeht, desto unwahrscheinlicher wird es, sie lebend zu finden.

Nachdem Erik als möglicher Täter in den Mittelpunkt gerückt ist, entwickelt der Roman eine andere Dynamik und lässt mit Schrecken an den brutalen Prolog denken. Aus Angst, Verzweiflung und Wut nehmen die Angehörigen des Opfers den Fall selbst in die Hand.

Die Ermittlungen der Polizei sind authentisch dargestellt und auch wenn sie zäh und scheinbar unergiebig sind, wird es auf keiner Seite langweilig. Das kleine Stadtviertel am Waldrand ist bildhaft beschrieben und die einzelnen Personen individuell gestaltet.
"Der Buchhändler" ist damit ein spannender Mix aus Milieustudie und Kriminalroman mit späten Thrillerelementen, der einen Blick hinter die Fassade richtet und zeigt, wie stark Menschen von ihren Emotionen geleitet werden. Bis zum Schluss bleibt spannend zu erfahren, was mit Theresa geschehen ist und ob sie entgegen aller Erwartungen lebendig nach Schönblick zurückkehren wird.

Bewertung vom 09.11.2024
White, Sophie

Hot Mess


ausgezeichnet

Claire, Lexi und Joanne sind drei Frauen um die 30, die mit den Höhen und Tiefen weiblicher Freundschaften zu kämpfen haben. Claire fühlt sich nach einer psychischen Krise im letzten Jahr von ihren Freundinnen, der "Bitch Bubble", ausgeschlossen. Ihre beste Freundin Aifric heiratet und sie gehört nicht zu den Brautjungfern. Lexi hat zusammen mit ihrer besten Freundin Amanda einen Podcast, der sich zum populärsten in Irland entwickelt hat. Doch mit Erfolg und immer mehr Sponsoren steigt auch der Druck, interessanten Content zu posten. Dabei ist Amanda abgebrühter und nahezu hemmungslos, was Lexi bei einem Live-Auftritt brutal zu spüren bekommt. Joanne ist gerade Mutter geworden und hadert mit ihrer neuen Rolle. Als ihre Elternzeit unfreiwillig verlängert wird, droht die Situation zu Hause zu eskalieren. Sie hegt Mordgedanken gegen ihren Freund und fühlt sich von ihren Freundinnen missverstanden und alleingelassen.

Der Roman wird abwechselnd aus der Sicht einer der drei Hauptfiguren erzählt. Auch wenn die Lebenswirklichkeit mit Promistatus und fanatischen Hochzeitsplanerinnen nicht alltäglich und manche Szene humorvoll übertrieben ist, sind ihre Geschichten lebensecht und authentisch.
Durch den einnehmenden und lebendigen Schreibstil fällt es leicht, sich in die Lagen von Claire, Lexi und Joanne hineinzuversetzen und sich ihnen nahe zu fühlen. Wie sich Freundschaften verändern, ist eindringlich dargestellt und auch, wie schwer es ist, in den Dreißigern Freundschaften zu schließen und gar eine beste Freundin zu finden.

Neben dem Auseinanderleben aufgrund sich verändernden Umstände durch unterschiedliche Berufe oder Familiengründungen handelt der Roman von der Angst, nicht zu genügen, von toxischen Freundschaften, Freundschaften, die einseitig sind, nicht guttun oder gar feindselig sind. Abgrenzung, das Bedürfnis nach red flags und die Notwendigkeit von Self Care und Mental Health sowie Fluch und Segen von Social Media spielen in allen Handlungssträngen eine wesentliche Rolle. Dabei ist der Blick auf psychische Erkrankungen sehr empathisch und plastisch und zu spüren, dass die Autorin eigene Erlebnisse verarbeitet.

Der Roman ist einerseits tragisch und zeigt brutal und ungeschönt ehrlich Ängste auf, ist aber andererseits auch in vielen Episoden wunderbar witzig dargestellt.
Durchgehend unterhaltsam und liebenswert frech wird es auf knapp 600 Seiten niemals langweilig, insbesondere als sich die Wege der drei Frauen auf der Suche nach neuen Freundschaften kreuzen.

Bewertung vom 06.11.2024
Recchia, Roberta

Endlich das ganze Leben


gut

Marisa und Stelvio Ansaldo lernen sich unter unglücklichen Umständen Mitte der 1950er-Jahre kennen, verlieben sich in einander und gründen eine Familie. Sie haben ein inniges, vertrauensvolles Verhältnis und führen gemeinsam einen Feinkostladen in Rom, den bereits Marisas Eltern aufgebaut haben. Regelmäßig verbringen sie ihre Urlaube am Meer, wo es ihrer Tochter Betta aufgrund ihres Asthmas besser geht.
1980 wird Betta Opfer eines grausamen Verbrechens, das das Leben von Marisa in ein Davor und ein Danach teilt. Unfähig gemeinsam zu trauern und die Tat zu verarbeiten, für die kein Schuldiger ermittelt werden konnte, beginnt die Familie zu zerbrechen. Betroffen von der Tragödie ist auch insbesondere Bettas Cousine Miriam, die den Sommerurlaub mit ihren Verwandten verbracht hat. Niemand merkt, was wirklich mit Miriam los ist, die sich abkapselt und ihren Schmerz mit Medikamenten betäubt. Der erste, der ihr wirklich hilft, ist ausgerechnet der Straßendealer Leo. Gemeinsam versuchen sie auf den rechten Weg zu gelangen, doch Miriams Trauma sitzt tief.

"Endlich das ganze Leben" erzählt eine tragische Familiengeschichte. Allein die Familie Ansaldo hat mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen, aber auch die weiteren handelnden Personen, denen die Familie begegnet, haben schwere Päckchen zu tragen. Der Roman beinhaltet eine Vielzahl von belastenden Themen wie ungewollte Schwangerschaft, Tod, Vergewaltigung, Trauer, Depression, Suizid, Alkoholismus, Tablettensucht, Essstörung, versteckte Homosexualität, Diskriminierung, Mobbing und Fragen der Geschlechtsidentität, was die Dramatik ins Unermessliche steigert. Jedoch fehlt es an einer tiefer gehenden Auseinandersetzung, so dass im Wesentlichen der Umgang mit der Trauer in den Fokus rückt und was ein Verlust und ein ungesühntes Verbrechen mit einer Familie machen.

Der Schreibstil ist im Vergleich zu den dramatischen Ereignissen nüchtern und sachlich. Manche Passagen lesen sich durch die reine Faktendarstellung wie ein Zeitungsbericht. Die Figuren bleiben auf Distanz, ihre Gefühle und Beweggründe sind nicht immer nachvollziehbar. Insbesondere die Männer der unteren Schicht, Stelvio und Leo, die als Helden die gefallenen (reichen) Mädchen beschützen, wirken unglaubwürdig, ihre so intensive Liebe zu Frauen, von denen sie nur die Probleme kennen, viel zu geschönt.

Der Zeitsprung von 1956 in das Jahr 1980 erfolgt abrupt und ohne Zusammenhang von Marisas und Stelvios Liebesgeschichte hin zu dem schrecklichen Unglück. Anschließend muss man zusehen, wie sich Miriam zugrunde richtet. Die Erzählung ist damit zu fragmentarisch und lückenhaft. Die einzelnen Handlungsstränge werden nicht flüssig miteinander verknüpft. Auch die zum Teil recht simplen Lösungen der Problembewältigung überzeugen nicht.

Die Geschichte ist sehr dramatisch und stellt sich wichtigen Themen, die sowohl spannend als auch berührend hätten sein können. Der Roman ist jedoch viel zu überladen mit Unglücken, versucht damit Emotionen zu wecken, erinnert jedoch mit den klischeehaften Charakteren und ihren jeweiligen Konflikten an eine Seifenoper.

Bewertung vom 27.08.2024
Hannah, Kristin

Die Frauen jenseits des Flusses


ausgezeichnet

Frankie wächst gut behütet in wohlhabenden Verhältnissen in Kalifornien auf. 1966 entscheidet sie sich dafür, ihrem Bruder nach Vietnam zu folgen und dort als Pflegekraft der US-Army zu dienen. Sie möchte etwas sinnvolles leisten und nicht nur hübsch aussehen und Dinnerpartys geben. Schlecht auf die Situation vor Ort vorbereitet und nur mit rudimentärem medizinischen Kenntnissen, ist die Ankunft im Kriegsgebiet schockierend. Doch mit der Hilfe von anderen Schwestern, die zu Freundinnen werden und die Arbeit erträglicher machen, wächst Frankie über sich hinaus, verlängert ihren Aufenthalt sogar um ein Jahr und lernt im Bombenhagel und umgeben vom Leid amerikanischer Soldaten und vietnamesischer Zivilisten die Liebe kennen.
Die Rückkehr nach Amerika, während der Krieg in Vietnam noch in vollem Gang ist, ist ernüchternd und ganz anders als erwartet. Frankie wird nicht dankbar mit offenen Armen empfangen, sondern von Kriegsgegnern und Protestierenden beschimpft und bespuckt und weder von Gesellschaft noch staatlichen Einrichtungen als Veteranin anerkannt.
Selbst kriegstraumatisiert, muss die erwachsen gewordene Frankie neu anfangen und mit ihren Erinnerungen zurechtkommen.

"Die Frauen jenseits des Flusses" handelt vom Vietnam-Krieg und seinen Folgen und welche Rolle den Frauen zugeschrieben wurde.
Die Autorin ruft damit wahre historische Ereignisse in Erinnerung und verbindet sie mit einer berührenden fiktiven Geschichte über die zu Beginn 20-jährige Frankie, die buchstäblich zur Heldin mutiert.

Sowohl die Kampfmomente und blutigen Szenen im Lazarett, als auch die erhebenden Szenen vom spärlichen Alltag der Soldaten und des medizinischen Personals sind authentisch beschrieben. Die Autorin produziert Bilder, die erschüttern und berühren. Schmerz, Angst und Gewalt, aber auch Liebe, Freundschaft und Hoffnung sind im grünen Dschungel spürbar.
Doch die Erlebnisse nach Frankies Einsatz in Vietnam sind mindestens genauso aufwühlend, machen traurig, wütend und fassungslos.

Die Geschichte handelt von Liebe, Freundschaft, Familie, Kriegstrauma und dem Wechseln von einer Hölle in eine andere Hölle. Der Krieg und die Verletzungen, die Methoden der Kriegsgegner und das Schicksal der Opfer sind brutal. Zurück in Amerika sind Flashbacks, Alpträume und psychische Probleme gegenwärtig. Ein Neuanfang ohne professionelle Hilfe ist schwierig und die Wut, als Veteranin nicht ernstgenommen zu werden, nachvollziehbar und empathisch geschildert.

Die Charaktere sind liebevoll und individuell gezeichnet, der geschichtliche Hintergrund aufwändig recherchiert und für Amerika wenig rühmlich dargestellt. Die Autorin gibt mit dem Roman den Frauen, die in Vietnam gedient oder in Amerika auf die Rückkehr von Angehörigen gewartet und sich für das Ende des Krieges eingesetzt haben, eine Stimme und zollt ihnen Anerkennung und Respekt.

Es ist ein leidenschaftlicher Roman über den steinigen, aber dennoch hoffnungsvollen Weg einer jungen Heldin und Patriotin. Auch wenn die Geschichte von Liebe handelt, verklärt die Autorin nichts und verzichtet auf eine kitschige Liebesgeschichte. Der Roman geht unter die Haut, macht Geschichte lebendig und demonstriert eindrücklich die Sinnlosigkeit eines Krieges.

Bewertung vom 27.03.2024
Steenfatt, Janna

Mit den Jahren


ausgezeichnet

Jette ist Anfang 40, wohnt seit kurzem in Leipzig und versucht sich daran, einen Roman zu schreiben. Ihre Brötchen verdient sie mit einem Job in einer Videothek und lernt in einer Kneipe um die Ecke Lukas kennen. Dieser ist Maler, verheiratet und Vater zweier kleiner Kinder. Auch wenn Jette bisher nur Beziehungen mit Frauen hatte, fühlt sie sich zu Lukas hingezogen, der seinerseits nicht abgeneigt ist.
Unabhängig davon fühlt sich Eva in ihrer Ehe mit Lukas nicht mehr wohl. Sie ist erdrückt vom monotonen Alltag als Mutter, den sie überwiegend allein bewältigt, während der Künstler mit Abwesenheit glänzt.
Durch einen Fehler von Lukas verbinden sich die drei Leben auf unerwartete Weise miteinander.

Der Roman wird abwechselnd aus den Perspektiven aller drei Hauptfiguren geschildert. Jette, Lukas und Eva sind im selben Alter, nicht unglücklich, aber auch nicht wirklich unglücklich. Jette ist als Single einsam und Eva und Lukas sind trotz Zweisamkeit und der Rolle als Eltern einsam. Sie hadern mit ihren Leben und fragen sich, ob der Status quo alles sein soll. Sie alle drei vereint eine Sehnsucht und ein Egoismus, sich selbst wichtiger zu nehmen.
Während sich Jette und Lukas in eine lose Affäre treiben lassen, bricht Eva ganz bewusst aus und macht als Mutter den drastischsten Schritt.
Die drei Charaktere erscheinen dabei keinesfalls unsympathisch, man kann sich sehr gut in ihre Situation und das Gefühl einer Midlife-Crisis hineinversetzen.

Der Roman schildert einzelne Momente in deren Leben, gemeinsame Episoden, aber vor allem auch die Gedanken, die sie bewegen und verunsichern. Die Geschichte kommt dabei ohne viele Dialoge aus und ist trotzdem sehr lebendig erzählt.
Gespannt darf man erwarten, für welches Leben sie sich entscheiden werden und wie viel Veränderung nötig sein wird, um mit sich und seiner Umgebung zufriedener zu sein. Das erfordert Mut, denn letztlich ist ein Schnitt auch immer mit einem Risiko verbunden.

Das Buch ist durch die lebensnahe Darstellung des Alltags und der Probleme der Protagonisten sehr authentisch und trifft dabei genau den Nerv für alle Leser in der Lebensmitte. Denn wünscht sich nicht jeder, einfach nur glücklich zu sein?

Bewertung vom 27.03.2024
Fried, Amelie

Der längste Sommer ihres Lebens


sehr gut

Claudia Berner ist Geschäftsführerin und Erbin eines Autohandels in Meutlingen. Als junge Frau hatte sie ihre eigenen Träume aufgegeben, um in den Familienbetrieb einzusteigen, doch nun mit knapp 50 Jahren möchte sie einen neuen Weg gehen und die Verantwortung für die Firma an ihren Mann übergeben. Claudia beabsichtigt, als Bürgermeisterin in der schwäbischen Kleinstadt zu kandidieren und den konservativen Amtsinhaber zu ersetzen.
Als sie den Rückzug aus ihrer beruflichen Laufbahn verkündet, beginnt ihre bisher vernünftige, gerade volljährig gewordene Tochter Anouk, zu rebellieren, die Schule abzubrechen und sich als militante Klimaschützerin öffentlichkeitswirksam zu engagieren.
Schon bald werden Zweifel laut, ob die Mutter einer solchen Tochter die geeignete Kandidatin für die Aufgabe der Bürgermeisterin ist, während dem Autohandel die Aufträge verloren gehen.

Der Roman handelt im Sommer 2022 in der fiktiven, schwäbischen Kleinstadt Meutlingen und ist überwiegend aus der Sicht der sympathisch engagierten, patenten Claudia Berner geschrieben. Daneben gibt es auch Einblicke in die beiden anderen erwachsenen Hauptfiguren, Matriarchin Marianne und den um seine Position ringenden Ehemann Martin.

Die Geschichte ist politisch und gesellschaftlich aktuell und lebendig geschrieben. Es fällt leicht, sich in Claudia hineinzuversetzen, die als Mutter, Ehefrau, Geschäftsfrau, angehende Politikerin und Frau mit persönlichen Zielen und Träumen zwischen allen Stühlen sitzt.

Themen, die uns alle angehen, werden geschickt mit der Geschichte über eine Familie verknüpft, in der alles zusammenzubrechen droht. Neben der Firma steht die Ehe der Berners und der Verlust der Tochter auf dem Spiel, die sich unnachgiebig und selbstzerstörerisch der Organisation "Fünf nach zwölf" verschrieben hat und zu einer Klimakleberin in den Schlagzeilen mutiert ist.

Die Situation in dem heißen Sommer, was das Gefühl um die Klimakatastrophe untermauert, spitzt sich unaufhaltsam zu. Dabei ist sowohl der Konflikt zwischen den Generationen als auch zwischen den unterschiedlichen politischen Ansichten eindringlich dargestellt. Man versteht die Positionen, auch wenn nicht alle Handlungen dafür gutzuheißen sind.
Die festgefahrenen Haltungen und die Sorgen um die Tochter sorgen für Spannung, wie die Geschichte für jeden einzelnen ausgehen wird. Dabei ist auch die Entwicklung der Charaktere interessant, die sich selbst hinterfragen müssen.

"Der längste Sommer ihres Lebens" ist eine unterhaltsame Geschichte über die drängenden Fragen unserer Zeit, eine Geschichte über Zukunftsängste und die Verantwortlichkeit der Generationen und daneben eine Geschichte über den Wunsch nach Selbstentfaltung, den Mut seine Träume zu leben und die Schwierigkeit, ein guter Mensch zu sein.
Das Buch ist reichlich konfliktgeladen, hat dafür aber ein versöhnliches Ende - für die Familie und jeden einzelnen von ihnen, der sich in dem Sommer entscheidend weiterentwickelt hat.

Bewertung vom 20.03.2024
White, Loreth Anne

Schatten im Glashaus


sehr gut

Kit Darling arbeitet als Haushaltshilfe für die Firma Holly's Help in Vancouver, wo sie in den Häusern der oberen Zehntausend sauber macht. Sie ist gründlich und hat einen tadellosen Ruf und konnte bisher immer gut verbergen, dass sie klammheimlich in den Sachen ihrer Arbeitgeber schnüffelt.
Im Haus ihrer neuen Arbeitgeber, Daisy und Jon Rittenberg entdeckt Kit ein kompromittierendes Geheimnis, das sie schockiert und dessen Aufdeckung das Leben des Paares zerstören könnte. Gleichzeitig wird das Wissen gefährlich für Kit, denn für die Bewahrung des Geheimnisses wären Menschen bereit zu töten.
In der Nacht von Halloween ereignet sich ein Blutbad in einem Luxushaus, in dem auch Kit regelmäßig sauer gemacht hat. Die Ermittler finden jedoch keine Leiche, die Eigentümer sind verschwunden und bei der Nachbarin, einer todkranken alten Frau, handelt es sich um eine Zeugin, die regelmäßig die Polizei alarmiert.

Der Thriller handelt auf zwei Zeitebenen, vor und nach dem Mord und wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Der Wechsel erfolgt zwischen den Tagebucheinträgen der Haushaltshilfe und den Perspektiven von Daisy und Jon in der Vergangenheit, während die Handlung immer weiter an die Mordnacht heranrückt. Die Gegenwart erfolgt aus der Sicht der erfahrenen Ermittlerin Mallory van Alst, die den Mord ohne Leiche aufklären muss, während sie sich um ihren Ehemann sorgt, der unter Demenz leidet und über Sterbehilfe nachdenkt.

Schon von Anbeginn ist zu ahnen, dass in diesem Kriminalfall nichts so ist, wie es scheint. Einerseits scheint die Sachlage klar, dass Kit Darling in dem Glashaus ermordet wurde, denn alle Spuren deuten daraufhin und auch der Prolog treibt die/ den LeserIn in diese Richtung. Andererseits kann es aber nicht so einfach und durchschaubar sein, dass Daisy und Jon ihre Haushaltshilfe ermordet haben, um ihr Geheimnis zu wahren, denn das wäre zu offensichtlich und letztlich haben in der Geschichte alle etwas zu verbergen und handeln aus Motiven, die die anderen nicht kennen.

Der Mix aus "Geld regiert die Welt", Erpressung, Rache und dem Wunsch nach Gerechtigkeit macht den Plot aus und wird klug inszeniert. Die Charaktere handeln eigensinnig und skrupellos bis hin zu brutal, wenn es darum geht die eigene Haut zu retten oder andere an den Pranger zu stellen.
Kurze Kapitel und schnelle Szenenwechsel sowie zahlreiche Wendungen sorgen für Dynamik und halten die Spannung hoch. Die Ermittlungen sind nicht detailliert, aber bis auf wenige Details schlüssig und ergänzen den weitaus vielseitigeren Handlungsstrang der Vergangenheit bis es zum großen Showdown - der Mordnacht zu Halloween - kommt und allmählich alle Rätsel um die Figuren und ihre Taten entschlüsselt werden.
Dem Tagebuch der Haushälterin kommt dabei eine Schlüsselrolle zu, das den Leser aufgrund fehlender Datumsangaben in die Irre leitet, was am Ende ein klein wenig ernüchternd ist.

Bewertung vom 17.03.2024
Jonuleit, Anja

Kaiserwald Bd.1


ausgezeichnet

Im April 1998 verschwindet Penelopes Mutter Rebecca spurlos. Niemand weiß, ob sie freiwillig gegangen oder ob sie Opfer eines Verbrechens geworden ist. Die Achtjährige wächst daraufhin bei ihren Großeltern im Allgäu auf, gibt sich selbst die Schuld am Verschwinden ihrer Mutter und hofft all die Jahre, dass ihre Mutter noch lebt.
Rebecca arbeitete als Lehrerin und war bei ihren Schülern an der deutschen Schule in Riga sehr beliebt. In ihrer Ehe mit dem untreuen Robert war sie schon lange nicht mehr glücklich und deshalb offen für die Avancen des Vaters einer Schülerin.
25 Jahre später versucht Mathilda den Kontakt zu der adligen Familie Prokhoff herzustellen. Unter Vorgabe falscher Tatsachen schleicht sie sich in deren Leben, verliebt sich in den Sohn der Familie und findet mehr raus, als sie zu ahnen hoffte.

"Kaiserwald" ist Band 1 einer Dilogie, die mit dem Erscheinen von "Sonnenwende" im Herbst 2024 abschließt. Die Geschichte handelt auf zwei Zeitebenen und ist aus verschiedenen Perspektiven erzählt, die die Verbindung der Personen miteinander nicht von vornherein aufdeckt, aber frühzeitig erahnen lässt.

Während sich Rebeccas Perspektive wie ein Tagebuch liest, spricht Penelope einen unbekannten Dritten direkt an, dem sie die Geschichte ihrer Kindheit und Jugend erzählt. Mathildas Sicht der Dinge wird nicht aus der Ich-Perspektive geschildert, weshalb sie am undurchsichtigsten wirkt und ihr Plan zunächst im Verborgenen bleibt.

Die Handlungsstränge der Vergangenheit und Gegenwart sind gleichermaßen einfühlsam und spannend geschildert. Einerseits bleibt lange offen, was mit Rebecca geschehen ist und andererseits fragt man sich, warum Mathilda sogar bereit ist, einen Unfall zu verursachen, um den Prokhoffs nahe zu kommen und was die Familie, die sich für Nachhaltigkeit und Ökologie engagiert, zu verbergen hat.

Die Charaktere sind vielschichtig und bieten Raum für Spekulationen. Gefangen in Konventionen träumt ein Teil von ihnen von einem anderen Leben und jemand anders zu dein. Die Geschichte ist durch ihre Konstruktion aus mehreren Handlungssträngen, die sich allmählich ergänzen und durch Andeutungen, die auf noch Kommendes verweisen, bis zum vorläufigen Ende spannend.

"Kaiserwald" ist ein gelungener Genre-Mix aus Familiendrama, Liebesgeschichte und Kriminalroman und führt den Leser über die späten 1990er-Jahre, über Riga und das Allgäu bis in die Gegenwart nach Berlin.

Das Buch bietet die perfekte Mischung aus unkomplizierter Unterhaltung, leidenschaftlichen Emotionen und einer fesselnden Geschichte, die mit verstörenden Kindheiten, einem Mordfall und (un)heimlichen Machenschaften Privilegierter gewichtige Themen beinhaltet, die einen moralischen Skandal und ein Verbrechen vermuten lassen.

Bewertung vom 14.03.2024
Hjorth, Vigdis

Ein falsches Wort


gut

Bergljot hat vor Jahren mit ihrer Familie gebrochen und den Kontakt zu ihren Eltern eingestellt. Mit einer ihrer jüngeren Schwestern steht sie sporadisch in Verbindung, ihre Kinder treffen zu Feiertagen die Großeltern und Tanten.
Das Erbe unter den Kindern sollte in den Augen der Eltern gerecht aufgeteilt werden: die jüngeren Töchter, zu denen eine enge Bindung besteht, erben jeweils eine Ferienhütte, während Bergljot und ihr Bruder Bård dafür ausgezahlt werden. Als Bård jedoch erfährt, dass der Schätzpreis der Hütten zu niedrig angesetzt wurde, bricht ein erbitterter Erbstreit aus, in den Bergljot unfreiwillig hineingezogen wird. Sie wird damit wieder an den Grund ihres Bruches erinnert und dass dieser innerhalb der Familie nicht anerkannt und totgeschwiegen wird. Nach Jahren von Alpträumen und Therapie ist Bergljot bereit, ihr Schweigen zu brechen und die Familie mit der ungeschönten Wahrheit zu konfrontieren.

Auch wenn Bergljots Trauma anfangs nicht direkt benannt wird, wird durch ihr Verhalten und die angsterfüllten Gedanken deutlich, was zwischen ihr und ihrem Vater in der Kindheit vorgefallen ist, was die Mutter ignoriert und was die jüngeren Schwestern nicht miterlebt haben.

Der Roman ist in kurze Abschnitte unterteilt, in denen zwischen Gegenwart und Vergangenheit willkürlich gewechselt wird. Aus Sicht der traumatisierten Ich-Erzählerin, die fast 50 Jahre nach ihren einschneidenden Erlebnissen und 23 Jahre nach dem Bruch mit ihrer Familie, leidet und auf eine Art von Gerechtigkeit, Entschuldigung oder wenigstens Anerkennung hofft, ist die Geschichte sehr intensiv.
Neben dem Erbstreit, der das fragile Familiengefüge belastet, ist Bergljots Trauma und der Vorwurf an Vater und Mutter zentral. Verzweiflung, Angst und Wut stehen im Raum und nehmen Bergljot die Luft zum Atmen.

Auch für den Leser ist die Lektüre anstrengend. Nicht, weil Details aus der Kindheit lautwerden, sondern weil die Seelenqual Bergljots, die Ignoranz ihrer Primärfamilie und der eigentlich lächerliche Streit über den Wert zweier Hütten, so einnehmend sind. Eine aktive Handlung gibt es in dem Roman kaum, die Themen drehen sich im Kreis, in Bergljots Gedanken und in der Auseinandersetzung mit Angehörigen und Freunden.

"Ein falsches Wort" handelt von einem brisanten Thema und der Entzweiung einer Familie. Was kann es Schlimmeres geben, als wenn Kinder nicht einmal in ihrer eigenen Familie sicher sind? Die Schuld kann nur bei den Erwachsenen gesucht werden, das Kind ist immer das Opfer.
Eine Vergebung erscheint aussichtslos, ein Ausweg nur in einem Befreiungsschlag und endgültiger Lossagung möglich.
Durch die zahlreichen - zum Teil wortwörtlichen - Wiederholungen und den willkürlichen Wechsel zwischen Zeiten und Schauplätzen ist das Lesen anstrengend. Als Stilmittel, um Bergljots Trauma nachzuvollziehen, sind die retardierenden und wirren Gedanken nachvollziehbar, als Roman jedoch zäh und ermüdend. Die Geschichte, die sich letztlich auf eine Wut und dem Wunsch nach Anerkennung auf und durch die verbliebenen Familienmitglieder fixiert und retardierend darlegt, wie verfahren und ausweglos die Situation ist, hätte auch auf die Hälfte der Seite heruntergebrochen werden können.