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Forti

Bewertungen

Insgesamt 207 Bewertungen
Bewertung vom 12.07.2017
Leky, Mariana

Was man von hier aus sehen kann


ausgezeichnet

Cover und Klappentext lassen nicht vermuten, dass es sich bei "Was man von hier aus sehen kann" tatsächlich um eine echte literarische Perle handelt. Die eigentliche Handlung ist hierbei recht übersichtlich - im Mittelpunkt stehen meiner Meinung nach die beteiligten Personen, die Stimmung und die Sprache, in der der Roman abgefasst ist.

Der Leser begleitet die Ich-Erzählerin Luise von ihrer Kindheit bis in ihre 30'er. Handlungsort ist ein kleines Dorf im Westerwald. Hier finden sich neben Luise und ihrer Oma Selma noch einige andere mehr oder weniger schrullige Bewohner, die sehr liebevoll beschrieben werden.
Buddhismus, Christentum und Aberglaube - all dies findet sich in Luises Umfeld. Es wird allerdings nie wirklich spirituell - in kleine Häppchen verpackt, niemals belehrend oder gar missionierend lesen sich auch diese Themenaspekte ziemlich unterhaltsam.

Die Sprache, in der das Buch verfasst ist, hat ihren eigenen Klang, ihr eigenes Tempo. Mir hat das sehr gut gefallen.

Ein überaus lesenswerter Roman über das Leben, den Tod, die Liebe.

Bewertung vom 08.06.2017
Chuang, Sean

Meine 80er Jahre


sehr gut

Sean Chuang beschreibt in Comicform seine Kindheit und Jugend in den 1980'er Jahren in Taiwan. Der Chinabooks-Verlag hat den ersten Band dieser Comic-Reihe zweisprachig veröffentlicht: die erste Hälfte besteht aus der deutschen Übersetzung von Marc Hermann, die zweite (von mir mangels Sprachkenntnisse hier nicht bewertete) bildet die chinesische (in Kurzzeichen) Ausgabe ab. Somit ergibt sich ein recht dickes Buch, das nicht ganz leicht in der Hand liegt.
Es gibt in beiden Sprachen ein Vorwort und einen Zeitstrahl der - für den Autor erwähnenswerten - Ereignisse in den 1980'er Jahren. Die deutsche Ausgabe verfügt außerdem über Fußnoten, die manchmal interessante Infos bieten, manchmal aber auch sehr special interest sind - z.B. Alternativtitel zu Kinofilmen.

Episodenhaft und nicht unbedingt in chronologischer Reihenfolge beschreibt Sean Chuang seine Erlebnisse zu bestimmten Themen. Schule ist hier natürlich ein großes Thema, aber auch z.B. Baseball oder Dating werden behandelt.
Diese Erlebnisse werden wertungsfrei von Chuang erzählt. Er beschreibt zwar, wie er als Kind und Jugendlicher erlebt und gefühlt hat, bewertet sein Handeln und das anderer - mit einer Ausnahme - nicht rückblickend. Einerseits ist das eine interessante Erzählweise, die die Bewertung dem Leser überlässt, andererseits ist diese Bewertung und Einordnung bei einer fremden Kultur natürlich manchmal schwieriger als es bei einem mitteleuropäischen Text wäre.
Zusätzlich erschwerend ist, dass oftmals nicht zu erkennen ist, wie alt Sean in den einzelnen Episoden gerade ist. Diese Information wäre aber hilfreich, um das Beschriebene in Relation zum Alter des Protagonisten zu setzen und somit besser einordnen zu können.

Die Zeichnungen sind schwarz-weiß, teils sehr realistisch, teils stark überzeichnet. Ich fand sie eingänglich und aussagekräftig.

Auch für jemanden, der sich bisher so gut wie garnicht mit Taiwan beschäftigt hat, ist es insgesamt ein interessantes Comic, dem ich gut folgen konnte. Manchmal hätte ich mir allerdings doch ein paar (Hintergrund)-Informationen gewünscht. Manchmal blieb die Geschichte (auch deswegen) dann doch auf einem etwas oberflächlichen Niveau.
Die Zielgruppe, die durch die zweisprachige Ausgabe vorwiegend angesprochen wird, ist aber vermutlich recht gut über Taiwan informiert und wird diese von mir vermissten Informationen wahrscheinlich nicht benötigen.

Bewertung vom 29.05.2017
Hogan, Ruth

Mr. Peardews Sammlung der verlorenen Dinge


sehr gut

Ruth Hogan erzählt zwei Geschichten, die immer wieder Parallelen und Verbindungen zueinander aufweisen: erstens (und vor allem) die Geschichte des Schriftstellers​ Anthony Peardew und seiner Assistentin Laura und zweitens die des Verlegers Bomber und seiner Assistentin Eunice. Anthony Peardew sammelt Gegenstände, die andere Menschen verloren haben. Die Aufgabe, diese Gegenstände ihren Besitzern zurück zu geben, übergibt er an Laura.

Der Focus liegt auf dem weiblichen Blickwinkel und obwohl beide Frauen ihren Mann stehen, wird es mir hin und wieder etwas klischeehaft, wenn sich das Leben dann doch vorwiegend um die Männer dreht. Dennoch haben mich die kombinierten Geschichten und die sympathischen Hauptprotagonisten gefangen genommen und ich habe das Buch sehr gerne gelesen.
Wenn die Geschichte dann doch mal droht, zu sehr ins Klischeehafte anzurutschen, wird auf einmal eine der winzigen Kurzgeschichten eingeflochten, die Anthony Peardew zu seinen gefundenen Gegenständen geschrieben hat. Diese kurzen Geschichten sind alle pointiert - manche witzig, manche traurig, manche sogar beides. Für mich sind diese​ kleinen Geschichten eins der Highlights dieses Buches. Ein weiteres​ Highlight(, das aber wohl Geschmackssache ist,) war für mich die Beschreibung der drei im Buch vorkommenden Hunde. Diese Hunde werden zwar vermenschlicht, aber in jedem Fall auch sehr liebevoll charakterisiert.

Bei der Beurteilung der Sprache bin ich hin und her gerissen. Einerseits liest sich das Buch größtenteils sehr gut und flüssig. Dann gibt es aber wieder abgehackte, etwas holprige Sätze. Diese sind allerdings die Ausnahme, weswegen ich das Buch zwar nicht uneingeschränkt, aber doch überwiegend gut lesbar fand.

Ein schönes Buch mit deutlich britischen Zügen.

Bewertung vom 26.04.2017
Kidd, Jess

Der Freund der Toten


sehr gut

"Überall in Mulderrig geschehen die seltsamsten Dinge."

Jess Kidd hat mit ihrem Debüt 'Der Freund der Toten' ein ungewöhnliches, nicht leicht einzuordnendes Buch geschrieben. In der Geschichte um ein Dorf gibt es auch Bestandteile eines Krimis oder Thriller und ebenso Fantasyelemente. Mir hat diese gut erzählte Mischung sehr gut gefallen.

Mulderrig in Irland, 1976: Der Mittzwanziger Mahony kommt auf der Suche nach seiner Vergangenheit in das Heimatdorf seiner Mutter. Hier stößt er auf viel Skepsis​ und Ablehnung, aber auch auf neue Freunde, die ihm bei den Nachforschungen helfen. Der Leser wird auch durch Rückblenden über die Geschehnisse vor einem Vierteljahrhundert informiert. Langsam kommt Licht in die Geschichte um Mahonys Herkunft.

Wir befinden uns hier in einer Realität wo einige wenige Menschen Tote sehen können und auch sonst immer wieder Übernatürliches passiert. Diese Begebenheiten werden meist ganz nebenbei erwähnt, als wäre es nichts besonderes. Hierbei erinnerte mich das Buch etwas an 'Willkommen in Night Vale', wo diese Art der Beschreibung auf die Spitze getrieben wurde.

Ich fühlte mich manchmal wie im Film (das meine ich positiv): Die bildhaften Beschreibungen von Jess Kidd erinnerten mich oft an filmische Darstellungen.
Ungewohnt der Erzähltempus: der Hauptteil der Geschichte wird im Präsens erzählt. Die Blicke in die Vergangenheit hingegen sind in der Vergangenheitsform geschrieben.
Mir gefällt die ausdrucksstarke, bildgewaltige Sprache der Autorin sehr.

Kleines Manko: im Mittelteil hatte das Buch seine Längen, bei denen sich die Geschichte um sich selbst drehte ohne wirklich voran zu kommen. Ansonsten fühlte ich mich sehr gut unterhalten.

Bewertung vom 18.04.2017
Booy, Simon van

Mit jedem Jahr


gut

Simon Van Booy erzählt in "Mit jedem Jahr" die Geschichte von Harvey und ihrem Onkel Jason, der sie nach dem Tod ihrer Eltern adoptiert. Jason, dessen Vergangenheit von Gewalt, Alkohol, einer Haftstrafe und wenig menschlichen Bezugspersonen geprägt war, fällt es nicht leicht, die Vaterrolle für ein kleines​ Mädchen zu übernehmen, dennoch nimmt er sich der Aufgabe gewissenhaft an.
In Rückblenden wird episodenhaft das gemeinsame Leben der beiden erzählt.

Hierbei ist die Geschichte insgesamt vorhersehbar und klischeehaft, hin und wieder an der Grenze zum Kitsch. Es ist eigentlich eine schöne, ungewöhnliche Familiengeschichte, die leider das Potential nicht ganz ausschöpft. Die Stärke des Romans liegt deshalb eben nicht in der Rahmengeschichte, sondern in den kleinen Situationen im alltäglichen Familienleben von Jason und Harvey, die für sich genommen einfühlsam beschrieben werden. Insgesamt gesehen ergeben sie allerdings ein zu perfektes Bild ab.

Vor allem Jason wuchs mir mit der Geschichte ans Herz, während die Jugendliche und Erwachsene Harvey etwas farblos blieb und es so schwer war, mich in sie hinein zu versetzen. Vielleicht ist das auch Absicht von Simon Van Booy, der den Fokus auf Jason legen wollte? Bei beiden Personen hätte die Darstellung der Persönlichkeit und ihrer Entwicklung aber gerne mehr in die Tiefe gehen können.

Der Schreibstil ist flüssig und das Buch lässt sich sehr gut lesen. Sprachlich ist es (im besten Sinne) einfach verfasst. Kleine Zeitsprünge innerhalb der einzelnen Episoden haben mich manchmal stutzen lassen, gehören aber wohl bewusst zum Erzählstil des Autors.

Fazit: Eine schöne Geschichte über eine ungewöhnliche Vater-Tochter-Beziehung, leider mit deutlich​en Schwächen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.03.2017
Smith, Dominic

Das letzte Bild der Sara de Vos


sehr gut

Die Hardcover-Ausgabe von Dominic Smiths "Das letzte Bild der Sara de Vos" macht schon von außen einen wertigen Eindruck. Die Struktur des Schutzumschlags wirkt wie eine Leinwand, das Papier im Inneren des Buches erinnert ein wenig an Büttenpapier. Hierzu passt dann allerdings der relativ enge Satzspiegel nicht so ganz - der Text ist aber gerade noch gut lesbar. Die insgesamt hochwertige Ausstattung des Buches passt gut zum Thema Kunst und Kunstgeschichte.

Die Geschichte einer Fälschung wird auf drei Ebenen erzählt: die fiktive niederländische Künstlerin Sara de Vos im 17. Jahrhundert und die Fälscherin Ellie und der Sammler Marty im 20. Jahrhundert.

Es ergibt sich eine spannende Geschichte über Kunst, Kunstfälschungen und menschliche Beziehungen, die scheibchenweise aufgedeckt wird. Dem Autor gelingt es dabei gut, Spannung aufzubauen und über das Buch hinweg aufrecht zu erhalten.

Die Beschreibungen z.B. des 17. Jahrhunderts und der Einzelheiten einer Kunstfälschung bleiben allerdings oberflächlich. Das wird einigen Lesern vermutlich nicht gefallen, die anderen Leser langweilt der Autor so aber nicht mit Details.

Im Text bin ich immer wieder auf für mich ungewohnte Worte gestoßen ("eingeratscht", "Ehegespons", ...), die mich im Lesefluss manchmal haben stocken lassen, und bei denen ich mir nicht sicher bin, ob sie dem englischen Originaltext geschuldet sind oder vom Übersetzer aus anderen Gründen gewählt wurden. Sollen sie den Text interessanter bzw anspruchsvoller wirken lassen? Das wäre eigentlich nicht nötig. Für mich mutet das etwas seltsam an, es konnte den insgesamt positiven Eindruck des Romans aber nicht nennenswert trüben.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.