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Forti

Bewertungen

Insgesamt 211 Bewertungen
Bewertung vom 07.08.2017
Smith, Zadie

Swing Time (eBook, ePUB)


sehr gut

Die namenlos bleibende Ich-Erzählerin berichtet in "Swing Time" aus ihrer Kindheit, Jugend und der Zeit als junge Erwachsene. Dabei scheint sie immer im Schatten starker, dominanter Frauen zu stehen - ihrer Mutter, der Jugendfreundin Tracey und der Pop-Sängerin Aimee, bei der sie arbeitet. Aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen in London, jettet sie als junge Erwachsene mit Aimee um die ganze Welt, was schließlich in längeren Aufenthalten in Westafrika gipfelt.
Die Geschichte wird mit vielen Zeitsprüngen zwischen Kindheit/Jugend und Erwachsenenalter erzählt.

Ich habe das Buch lange Zeit sehr gerne gelesen. Auch wenn mir ein erkennbarer roter Faden fehlte und die Handlung eher anekdotenhaft erzählt wird, fand ich das Buch interessant und gut zu lesen. Der Schreibstil von Zadie Smith ist angenehm ruhig und flüssig und wurde von der Übersetzerin Tanja Handels gut ins Deutsche übertragen.
Irgendwann in der Mitte des Buches stieß mir aber der mangelnde erkennbare Fortschritt der Handlung und die Passivität der Ich-Erzählerin immer mehr auf. Ich hatte außerdem immer stärker das Gefühl, dass die Autorin in diesem Buch zu viele einzelne Themen abhandeln will - und das auf eine Art und Weise, dass ich manchmal das Gefühl hatte, sie möchte mit bestimmten Personengruppen abrechnen. Zugute halten möchte ich, dass es hier nie richtig klischeehaft wird. Obwohl man fast alle behandelten Themen in Zusammenhang mit der 'braunen Haut' der Ich-Erzählerin (ihre jamaikanische Mutter stammt von afrikanischen Sklaven ab, ihr Vater ist Weißer) setzen kann, spielt z.B. offener Rassismus quasi keine Rolle.
Im letzten Drittel wurde es dann wieder besser, die Handlung läuft auf ein logisches Ende hinaus, das aber auch vieles offen lässt.

Ein Buch über eine junge Frau, die auf der Suche nach der eigenen Identität ist - mit Schwächen, aber für Leser, die sich für das Thema Rassismus und Identitätssuche von people of color interessieren, dennoch zu empfehlen.

Bewertung vom 07.08.2017
Jerger, Ilona

Und Marx stand still in Darwins Garten (eBook, ePUB)


gut

Ilona Jerger hat sich in ihrem Roman viel vorgenommen: wissenschaftliche und historische Fakten in einen unterhaltsamen Roman zu verpacken, ist keine einfache Aufgabe - in meinen Augen ist ihr der Spagat zwischen Unterhaltung und Fakten bedingt gelungen.

London, Ende des 19. Jahrhunderts. Zwei prägende Männer der Zeit - Charles Darwin und sein Vornamensvetter Karl Marx - verbindet einiges: beides wissenschaftliche Vordenker, die sowohl von diversen Wehwehchen als auch von einer Schreibblockade geplagt sind. Erstaunlicherweise haben sie sich in der Realität nie persönlich kennengelernt.
Die hier thematisierte fiktive Begegnung der beiden, die dem Buch seinen Titel gibt und auf die die Geschichte hin arbeitet, verläuft in meinen Augen dann eher unspektakulär. Es bleibt bei einem einmaligen Abendessen der beiden - den Eklat sehe ich hier nicht.

Die Autorin verliert sich manchmal in Details. Das mag manchen​ Lesern gefallen, ich fand es eher ermüdend. Ilona Jerger umkreist hierbei vorallem zwei Themen, die die beiden gealterten Wissenschaftler umtreiben: das Verhältnis zur Kirche und die eigenen körperlichen Leiden - für mich ehrlich gesagt nicht die Themen, über die ich bevorzugt lese. Ich glaube der Autorin, dass der Stoff gut recherchiert ist, aber mir sagt die Mischung von Realität und Fiktion nicht wirklich zu und außerdem ist es mir dann oft zu theoretisch bzw philosophisch für einen unterhaltenden Roman.

Wer sich für die gesellschaftlichen Umbrüche des ausgehenden 19. Jahrhundert interessiert und gerne halbfiktive historische Romane liest, fühlt sich hier vielleicht besser unterhalten als ich.

Bewertung vom 31.07.2017
Cummings, Harriet

Eine von uns


gut

"Eine von uns" erzählt von einem englischen Dorf auf der Suche nach einem ungewöhnlichen Einbrecher - statt seine Opfer zu berauben, scheint er sie eher beobachten zu wollen. Hierbei werden nacheinander vier Dorfbewohner in dem Focus genommen: eine junge Hausfrau, der Aushilfspriester, der Dorfpolizist und der Leiter des örtlichen Supermarktes. Die momentane Situation und die jeweilige persönliche Vorgeschichte werden aus ihrem Blickwinkel berichtet.
Das Buch ist inspiriert von wahren Geschehnissen. Die Autorin Harriet Cummings ist in dem englischen Dorf aufgewachsen, in dem 1984 der sogenannte Fox in Häuser eingebrochen ist - von den wahren Ereignissen, von denen sie im Nachwort erzählt, weicht die hier aufgeschriebene Geschichte allerdings deutlich ab.

Obwohl sich das Buch größtenteils flüssig liest, ist es manchmal sprachlich speziell - im Einzelfall vielleicht auch etwas sperrig. Das ergibt sich einerseits durch die Erzählung im Präsens, vor allem (meiner Einschätzung nach) aber durch die Übersetzung des Österreichers Walter Goidinger. Durch den österreichischen Einschlag wirkt die Sprache, die das Buch jetzt hat, für deutsche Leser vielleicht manchmal etwas ungewohnt bis altbacken.
Das war ein Grund, warum ich an manchen Stellen ins Stocken kam. Ein anderer Grund abseits der Sprache sind kleine Details, die mir unklar blieben und bei denen ich mir im Nachhinein nicht sicher bin, ob sie Absicht sind: habe ich etwas nicht richtig verstanden? Soll der Leser in die Irre geführt werden? Oder sind es Fehler? (Wenn mir jemand die erste Jahreszahl auf Ruth' Grabstein erklären kann, würde ich mich sehr über einen Kommentar freuen)

Die Autorin versteht es, eine unheimliche Stimmung aufzubauen, aber richtig spannend fand ich das Buch nicht und würde es auch keinesfalls als Krimi einordnen.
Lange Zeit kommt die Suche nach dem Fox nicht voran - die gegenseitigen Verdächtigungen der Dorfbewohner sind nicht so allgegenwärtig und nervenaufreibend, wie ich angenommen habe. Stattdessen stehen die vier vorgestellten Einzelpersonen und ihre persönlichen Probleme im Vordergrund. Das war ganz interessant und die vier Personen sind mir auch ein Stück ans Herz gewachsen, aber ich hatte vom Buch etwas anderes erwartet und bin deshalb etwas enttäuscht.

Bewertung vom 24.07.2017
Held, Monika

Sommerkind


sehr gut

"Sommermädchen" ist ein einfühlsam erzählter Roman. Erzählt wird die Geschichte von Kolja, dessen Schwester Malu nach einem Schwimmunfall im Wachkoma liegt, und von Ragna, die diese Schwester vor 30 Jahren gerettet hat.
Anhand des Schwimmunfalls der jungen Malu wird deutlich, wie sehr ein einzelnes Unglück einer Person die Menschen im Umfeld intensiv und lange beeinflussen kann.

Das Ende löst nicht alles auf und vermag deshalb manche Leser enttäuschen. Auch ich hatte das Gefühl, dass die Geschichte noch etwas weiter hätte erzählt werden sollen. In "Sommermädchen" stehen einzelne Themen, Szenen und Zwischentöne vor der Gesamthandlung. Deshalb ist es insgesamt doch ein schönes Buch, das zum Nachdenken anregt. Die Charaktere und ihre Beziehung zueinander werden intensiv und gut beschrieben.
Mir haben auch die Beschreibungen der Nordsee, insbesondere der Hallig, sehr gefallen.

Bewertung vom 12.07.2017
Leky, Mariana

Was man von hier aus sehen kann


ausgezeichnet

Cover und Klappentext lassen nicht vermuten, dass es sich bei "Was man von hier aus sehen kann" tatsächlich um eine echte literarische Perle handelt. Die eigentliche Handlung ist hierbei recht übersichtlich - im Mittelpunkt stehen meiner Meinung nach die beteiligten Personen, die Stimmung und die Sprache, in der der Roman abgefasst ist.

Der Leser begleitet die Ich-Erzählerin Luise von ihrer Kindheit bis in ihre 30'er. Handlungsort ist ein kleines Dorf im Westerwald. Hier finden sich neben Luise und ihrer Oma Selma noch einige andere mehr oder weniger schrullige Bewohner, die sehr liebevoll beschrieben werden.
Buddhismus, Christentum und Aberglaube - all dies findet sich in Luises Umfeld. Es wird allerdings nie wirklich spirituell - in kleine Häppchen verpackt, niemals belehrend oder gar missionierend lesen sich auch diese Themenaspekte ziemlich unterhaltsam.

Die Sprache, in der das Buch verfasst ist, hat ihren eigenen Klang, ihr eigenes Tempo. Mir hat das sehr gut gefallen.

Ein überaus lesenswerter Roman über das Leben, den Tod, die Liebe.

Bewertung vom 08.06.2017
Chuang, Sean

Meine 80er Jahre


sehr gut

Sean Chuang beschreibt in Comicform seine Kindheit und Jugend in den 1980'er Jahren in Taiwan. Der Chinabooks-Verlag hat den ersten Band dieser Comic-Reihe zweisprachig veröffentlicht: die erste Hälfte besteht aus der deutschen Übersetzung von Marc Hermann, die zweite (von mir mangels Sprachkenntnisse hier nicht bewertete) bildet die chinesische (in Kurzzeichen) Ausgabe ab. Somit ergibt sich ein recht dickes Buch, das nicht ganz leicht in der Hand liegt.
Es gibt in beiden Sprachen ein Vorwort und einen Zeitstrahl der - für den Autor erwähnenswerten - Ereignisse in den 1980'er Jahren. Die deutsche Ausgabe verfügt außerdem über Fußnoten, die manchmal interessante Infos bieten, manchmal aber auch sehr special interest sind - z.B. Alternativtitel zu Kinofilmen.

Episodenhaft und nicht unbedingt in chronologischer Reihenfolge beschreibt Sean Chuang seine Erlebnisse zu bestimmten Themen. Schule ist hier natürlich ein großes Thema, aber auch z.B. Baseball oder Dating werden behandelt.
Diese Erlebnisse werden wertungsfrei von Chuang erzählt. Er beschreibt zwar, wie er als Kind und Jugendlicher erlebt und gefühlt hat, bewertet sein Handeln und das anderer - mit einer Ausnahme - nicht rückblickend. Einerseits ist das eine interessante Erzählweise, die die Bewertung dem Leser überlässt, andererseits ist diese Bewertung und Einordnung bei einer fremden Kultur natürlich manchmal schwieriger als es bei einem mitteleuropäischen Text wäre.
Zusätzlich erschwerend ist, dass oftmals nicht zu erkennen ist, wie alt Sean in den einzelnen Episoden gerade ist. Diese Information wäre aber hilfreich, um das Beschriebene in Relation zum Alter des Protagonisten zu setzen und somit besser einordnen zu können.

Die Zeichnungen sind schwarz-weiß, teils sehr realistisch, teils stark überzeichnet. Ich fand sie eingänglich und aussagekräftig.

Auch für jemanden, der sich bisher so gut wie garnicht mit Taiwan beschäftigt hat, ist es insgesamt ein interessantes Comic, dem ich gut folgen konnte. Manchmal hätte ich mir allerdings doch ein paar (Hintergrund)-Informationen gewünscht. Manchmal blieb die Geschichte (auch deswegen) dann doch auf einem etwas oberflächlichen Niveau.
Die Zielgruppe, die durch die zweisprachige Ausgabe vorwiegend angesprochen wird, ist aber vermutlich recht gut über Taiwan informiert und wird diese von mir vermissten Informationen wahrscheinlich nicht benötigen.

Bewertung vom 29.05.2017
Hogan, Ruth

Mr. Peardews Sammlung der verlorenen Dinge


sehr gut

Ruth Hogan erzählt zwei Geschichten, die immer wieder Parallelen und Verbindungen zueinander aufweisen: erstens (und vor allem) die Geschichte des Schriftstellers​ Anthony Peardew und seiner Assistentin Laura und zweitens die des Verlegers Bomber und seiner Assistentin Eunice. Anthony Peardew sammelt Gegenstände, die andere Menschen verloren haben. Die Aufgabe, diese Gegenstände ihren Besitzern zurück zu geben, übergibt er an Laura.

Der Focus liegt auf dem weiblichen Blickwinkel und obwohl beide Frauen ihren Mann stehen, wird es mir hin und wieder etwas klischeehaft, wenn sich das Leben dann doch vorwiegend um die Männer dreht. Dennoch haben mich die kombinierten Geschichten und die sympathischen Hauptprotagonisten gefangen genommen und ich habe das Buch sehr gerne gelesen.
Wenn die Geschichte dann doch mal droht, zu sehr ins Klischeehafte anzurutschen, wird auf einmal eine der winzigen Kurzgeschichten eingeflochten, die Anthony Peardew zu seinen gefundenen Gegenständen geschrieben hat. Diese kurzen Geschichten sind alle pointiert - manche witzig, manche traurig, manche sogar beides. Für mich sind diese​ kleinen Geschichten eins der Highlights dieses Buches. Ein weiteres​ Highlight(, das aber wohl Geschmackssache ist,) war für mich die Beschreibung der drei im Buch vorkommenden Hunde. Diese Hunde werden zwar vermenschlicht, aber in jedem Fall auch sehr liebevoll charakterisiert.

Bei der Beurteilung der Sprache bin ich hin und her gerissen. Einerseits liest sich das Buch größtenteils sehr gut und flüssig. Dann gibt es aber wieder abgehackte, etwas holprige Sätze. Diese sind allerdings die Ausnahme, weswegen ich das Buch zwar nicht uneingeschränkt, aber doch überwiegend gut lesbar fand.

Ein schönes Buch mit deutlich britischen Zügen.