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Renas Wortwelt

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Insgesamt 250 Bewertungen
Bewertung vom 31.07.2024
Brooks, Sarah

Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland


ausgezeichnet

Dieses Buch in einer Rezension zusammenzufassen ist nicht einfach. Dabei wäre die Handlung schnell und in einem Satz gesagt: Im Jahr 1899 fährt ein Zug von Peking nach Moskau und benötigt dafür 20 Tage.
Doch das, was während dieser Reise im Zug und in dem Land, durch der er braust, geschieht, das ist so spannend, so mystisch und geheimnisvoll, dass man es in einer Buchbesprechung nicht erwähnen kann, da man sonst viel zu sehr spoilert.
An Bord des Zuges befinden sich neben vielen anderen der Naturforscher Henry Grey, der seinen beschädigten Ruf retten will durch die Entdeckung der Tierwelt des sogenannten Ödlands, eine Frau mit geborgtem, fremden Namen, die den Ruf ihres Vater wiederherstellen möchte, ein junges Mädchen, das nie woanders lebte als in diesem Zug, in dem es geboren wurde.
Der Zug ist, zumindest für die Passagiere der ersten Klasse, sehr luxuriös. Doch vor allem achtet man sehr auf die Sicherheit der Mitfahrenden. So sind die Fenster vergittert, um die Türen öffnen zu können, benötigt man mehrere Schlüssel und Codes. Und die Beauftragten der Companie, die den Zug betreibt, beobachten alles und sind stets zur Stelle, um jemanden zur Ordnung zu rufen. Nicht umsonst nennt Weiwei, das im Zug geborene Mädchen, sie die Krähen.
Die Reise, auf die der Zug sich begibt, ist keineswegs ungefährlich. Das mussten schon die Besatzung und die Passagiere der letzten Fahrt erleben, während der unbeschreibliches geschah. Doch es scheint sich keiner der damals Mitgefahrenen an das Geschehene zu erinnern. So sah es lange so aus, als würde nie wieder ein Zug das Ödland durchqueren, bis eben jetzt zu dieser Fahrt.
Sozusagen als Hilfestellung, als Anleitung oder Benimmbuch, gibt es ein Handbuch eines seither spurlos verschwundenen Autors, ein „Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland“, in welchem vor den Gefahren gewarnt wird und Hinweise für den Umgang mit dem, was einem auf der Reise begegnen kann, gegeben werden.
Und da begegnet den Menschen, die sich trauen, aus den Fenstern zu sehen während der Fahrt, ganz Ungewöhnliches, Fremdes, Geheimnisvolles und Gefährliches. Seltsame Pflanzen und Tiere, merkwürdige Phänomene und bedrohliche Angriffe gegen den Zug, all das erleben die Fahrgäste und schließlich wird auch noch das Wasser knapp, ein Umweg muss gefahren werden. Schließlich taucht auch noch eine blinde Passagierin auf.
Die prosaische Leserin versucht zu entschlüsseln, was wohl in dieser Ödland genannten Region vor sich geht, versucht zu verstehen, was die Menschen, die aus dem Zug hinausschauen, sehen und erleben. Die an Magie glaubende Leserin genießt diese Reise einfach und hofft, wohlbehalten anzukommen.
Auch wenn der Roman durchaus ein paar Längen hat, etliches sich oftmals wortgleich wiederholt, manchmal binnen weniger Seiten oder gar Zeilen, so ist das Buch dennoch ungemein fesselnd, hochspannend und emotional. Insbesondere der psychische Aspekt, was die Reise mit den Figuren macht, wie sie agieren und reagieren, wie sie mit Gefahr und Herausforderung umgehen, das ist wunderbar geschildert. Man mag kaum glauben, dass es sich um den Debütroman einer Autorin handelt, für den sie jedoch völlig zu Recht mit Preisen ausgezeichnet wurde.
Erwähnen muss man auch die gelungene Übersetzung, die den fast poetischen Text geschickt ins Deutsche übertragen hat, ohne die Wirkung, die die Worte haben, zu verlieren.
Sarah Brooks - Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland
aus dem Englischen von Claudia Feldmann
C. Bertelsmann, Juli 2024
Gebundene Ausgabe, 415 Seiten, 24,00 €

Bewertung vom 29.07.2024
Simpson, Leanne Toshiko

Never Been Better


gut

Dee, Matt und Misa, deren Alter man leider im Roman nicht erfährt, haben sich in einer psychiatrischen Klinik kennengelernt, in der sie alle drei wegen bipolarer Störungen Patienten waren, alle nicht zum ersten Mal.
Dee hat sich in dieser Zeit in Matt verliebt, der für sie damit nicht nur zu ihrem besten Freund wurde, sondern auch der Mann, von dem sie träumt. Dabei ist Matt, wie Dees Schwester Tilley nicht müde wird zu betonen, keineswegs attraktiv.
Doch statt Dee wird Matt nun Misa heiraten. Die drei waren ein eingeschworenes Team, doch nachdem Dee die Klinik hatte verlassen müssen, waren ihre Wege auseinandergegangen. Jetzt aber erhält Dee die Einladung zur Hochzeit, die auf einer exklusiven Inselgruppe stattfinden soll.
Zusammen mit Tilley reist Dee zu den sich über etliche Tage hinziehenden Feiern, obwohl sie es im Grunde gar nicht will. Sie glaubt, dem ganzen Rummel nicht gewachsen zu sein, aufgrund ihrer psychischen Störung. Und vor allem natürlich, weil es sie schmerzt, zu sehen, wie sehr Matt und Misa sich lieben.
Dennoch gibt es auch zwischen den Beiden Probleme, unter anderem weil Misa ihrer in japanischen Traditionen verfangenen Familie nie von ihrer Krankheit erzählt hat und deswegen nun permanent eine Rolle spielen muss. Währenddessen ist Tilley die einzige, die wirklich Spaß hat an diesen Veranstaltungen, findet doch all das in sündhaft teuren Hotels statt, mit Pomp und allem Schnickschnack.
Immer wieder treffen Matt und Dee oder Misa und Dee zusammen und führen lange Gespräche, weil sie gegenseitig jeweils die einzigen sind, die nachempfinden können, wie sich ihre Krankheit auswirkt, wie es ihnen geht, was sie fühlen und wie sie damit umgehen können oder müssen.
So brechen auch immer mehr Konflikte auf, zwischen Misa und ihren Eltern, zwischen Matt und Dee und auch zwischen Matt und Tilley, die ihm nicht verzeiht, dass er Schuld trägt am damaligen Rauswurf Dees aus der Klinik.
In dieser Form geht es das ganze Buch hindurch, ein Gespräch reiht sich an das nächste, die Gespräche drehen sich im Kreis, die Aussagen, Gedanken und Gefühle wiederholen sich permanent. Die gesamte Geschichte trägt sich während dieser Hochzeitsfeier zu – abgesehen von den ersten paar Seiten – das heißt, über 300 Seiten schildern jedes Event und eben jedes Gespräch in aller Ausführlichkeit.
Das führt dazu, dass bei aller Sympathie für die Figuren, die mit viel Empathie gezeichnet sind, bei allem Mitempfinden und Mitgefühl für ihre psychische Krankheit und deren gelungene Darstellung, dass trotzdem dem Roman das Tempo, die Handlung fehlt.
Die Autorin, wie ihre Figur Misa mit japanisch-kanadischen Wurzeln, lebt selbst auch mit einer bipolaren Störung, weiß also, wovon sie berichtet. Das merkt man, denn sie beschreibt sehr einfühlsam und verständnisvoll, was die Krankheit für die Betroffenen bedeutet.
Dennoch steht das zu allein im Mittelpunkt, um aus der Geschichte einen fesselnden Roman zu machen, so locker und leichtfüßig der Schreibstil auch ist. Auch der Humor kommt nicht zu kurz, vor allem dank Tilley, der einzigen Figur, die sich ungezwungen benimmt.
So lässt mich der Roman mit zwiespältigen Gefühlen zurück. Zum einen lernt man sehr viel über bipolare Störungen, was als sehr interessantes Thema geschickt in einen Unterhaltungsroman verpackt wurde. Andererseits hat der Roman eben auch etliche Längen, die die Lektüre etwas zäh werden lassen.
Leanne Toshiko Simpson - Never been better
aus dem Englischen von Silke Jellinghaus
Rowohlt polaris, Juli 2024
Taschenbuch, 335 Seiten, 18,00 €

Bewertung vom 26.07.2024
Pellini, Petra

Der Bademeister ohne Himmel


sehr gut

Im Mittelpunkt der Geschichte, die anrührend ist und nachdenklich macht, steht die fünfzehnjährige Linda. Sie erzählt in Ich-Form von ihrer Freundschaft zum sechsundachtzigjährigen Hubert, den sie lieber besucht als die Schule.
Linda wächst bei ihrer Mutter auf, der Vater ist verschwunden, doch beide weinen ihm nicht nach, denn er schlug auch schon mal zu. Doch zwischen Linda und ihrer Mutter fehlen oft die Worte, sie scheinen nicht dieselbe Sprache zu sprechen. Als ein neuer Mann in das Leben der Mutter tritt, wird es nicht besser.
So ist es auch eine Art Flucht, wenn Linda so oft wie möglich zu ihrem Nachbarn Hubert geht. Der immer mehr seiner Demenz verfallende Mann wird von Ewa versorgt, einer Polin, die mit Fachkenntnis, Akribie und Liebenswürdigkeit ihre Arbeit versieht. Beauftragt wurde sie von Huberts Tochter, die Linda nur den „Nachtfalter“ nennt. Denn die Tochter ist überfordert mit dem zunehmenden Verfall des Vaters, ist hilflos im Umgang mit dem Mann, der nie so reagiert, wie man es erwartet.
Linda hingegen scheint einen Draht zu ihm zu haben, sie geht völlig unverkrampft mit ihm um, spricht mit ihm, als erwarte sie Antworten von dem ehemaligen Bademeister, geht auf ihn ein, ohne ihn zu irgendetwas zu zwingen. Dabei wächst ihr der alte Mann immer mehr ans Herz und rettet ihr in gewisser Weise sogar das Leben. „Und mit einem Mal stehe ich vor Huberts Fotowand und vor meinen Augen verschwimmt das Bild des Babys. Und im selben Moment weiß ich, dass keine Mutter ihr Kind verlieren will, und sogar, wenn wir krass Streit hätten, würde Mama wollen, dass ich lebe.“ (S. 205)
Denn eigentlich wollte sich Linda vor einen Bus werfen, Selbstmord begehen. Doch Hubert und vor allem auch ihr Freund Kevin halten sie davon ab. Kevin ist ein Nerd, er hat genauso wenig Freunde wie Linda, ist überzeugt davon, dass die Menschen den Planeten zerstören und beschäftigt sich fast ausschließlich mit Fragen des Klima- und Umweltschutzes. Auch er wächst ohne Vater auf und seine Mutter braucht immer wieder Lindas Hilfe, um ihren Sohn überhaupt zu erreichen.
Die Sprache, in der die österreichische Autorin diese Geschichte erzählt, ist wunderbar leicht, sanft, sehr empathisch und vor allem trifft sie perfekt den Ton eines Teenagers. Das aber, ohne sich anzubiedern, ohne penetrant Jugendsprache zu verwenden oder ähnliche Klischees, sondern locker, humorvoll, doch gleichzeitig einfühlsam, melancholisch, sehr berührend.
Dennoch fehlt der Geschichte ein wenig das Tempo, über lange Strecken dümpelt die Handlung ein wenig vor sich hin, es geschieht wenig, man ist als Leserin eher Beobachterin als das der Roman einen in die Ereignisse hineinzieht. Wobei es im Grunde bis kurz vor dem Ende so gut wie keine Ereignisse gibt. So ist der Roman einerseits ergreifend sowohl wegen der sehr anschaulichen Schilderung der Demenzerkrankung wie auch wegen der authentischen Beschreibung der jungen Protagonistin. Andererseits aber ein ganz klein wenig handlungsarm.
Davon unbenommen, vor allem wegen der gelungenen Sprache, unbedingt zu empfehlen.
Petra Pellini - Der Bademeister ohne Himmel
Kindler, Juni 2024
Gebundene Ausgabe, 317 Seiten, 23,00 €

Bewertung vom 24.07.2024
McCreight, Kimberly

Die perfekte Mutter


weniger gut

Das Etikett Thriller passt so gar nicht auf diesen Roman, dazu fehlt es an Spannung, an Suspense und an Tempo. Stattdessen bietet die Geschichte zu viel Selbstmitleid, zu viel Tränendrüse, zu viel Drama.
Molly, die bisher in einer Mütterberatungsstelle gearbeitet hat und jetzt bei der Zeitung ihres neuen Wohnortes tätig ist, bekommt unverhofft den Auftrag, über eine aufgefundene Leiche zu berichten. Sie ist weder als Journalistin ausgebildet noch gehörten solche Aufgaben bisher zu ihrem Bereich. Molly ist verheiratet mit Justin und Mutter der fünfjährigen Ella. Und sie ist traumatisiert durch eine Totgeburt, die aber bereits ein paar Jahre zurückliegt, sie jedoch in tiefe und langanhaltende Depressionen stürzte, aus denen sie noch immer nicht ganz herausfand.
Umso schlimmer für sie, dass die gefundene Leiche ein Baby ist. Durch ihre Recherchen findet sie heraus, dass es zwar in der Kleinstadt bislang noch keine Morde, dafür aber am jetzigen Fundort der Babyleiche einen tödlichen Unfall gab vor ein paar Jahren.
An dieser Stelle wechselt abrupt die bislang in Ich-Form erzählte Perspektive und wir folgen nun der jungen Sandy, deren Handlung in der dritten Person erzählt wird. Sandys Mutter Jenna ist verschwunden, der Vermieter droht wegen ausstehender Mietzahlungen mit Rauswurf.
Dazwischen gibt es Rückblicke auf Mollys Gespräche mit ihrer Therapeutin nach der Totgeburt und auf Jennas Erlebnisse vor etlichen Jahren.
Dann wechselt erneut die Perspektive und nun erleben wir die Geschehnisse aus der Sicht von Barbara. Sie ist die Ehefrau des ermittelnden Kriminalbeamten und ihr Sohn geht zusammen mit Mollys Tochter in den Kindergarten. Ebenfalls in diesen Kindergarten geht der Sohn von Stella, Mollys Freundin, deren älterer Sohn Aiden ständig Probleme mit Obrigkeiten hat. Er wiederum hat Kontakt zu Hannah, der älteren Tochter Barbaras, die wiederum Sandy Nachhilfeunterricht in Mathe gibt. Barbara ihrerseits kann Stella überhaupt nicht leiden und verdächtigt deren Söhne, ihren Sohn auf irgendeine Weise verstört zu haben.
All diese mühsam konstruierten Verbindungen und Verwicklungen wirken unrealistisch. Dazu kommt eine ständige Beschäftigung der Protagonistinnen mit sich selbst, einzig Sandy erscheint hier eher authentisch, sowohl was die Sprache als auch was ihre Handlungen und Reaktionen angeht. Die diversen Mütter – es kommen auch noch Schwiegermütter und Großmütter hinzu – zweifeln an ihrer Perfektion, scheitern daran, geben sich an allem die Schuld und so weiter und so weiter.
An dieser Stelle hat mich der Roman unangenehm an „Das Geflüster“ erinnert, den ich kürzlich rezensierte, in dem sich auch alles um Mütter drehte, die ständig über alles klagen und lamentieren. Hier nun sorgt das dafür, dass die doch eigentlich die Hauptrolle spielende Krimihandlung zu sehr in den Hintergrund gerät. Molly bezieht alles auf sich und ihr Trauma, Barbara behütet ihren Sohn wie einen Augapfel, vergisst darüber die Tochter. Irgendwann hat es mich nicht mehr interessiert, wer warum wann das Baby getötet hat oder ob es überhaupt getötet wurde. Irgendwann wurde der Roman zäh, langweilig, monothematisch und spannungsarm. Alles, was ein Thriller definitiv nicht sein sollte.
Kimberly McCreight - Die perfekte Mutter
Originaltitel: When they found her
aus dem Englischen von Kristina Lake-Zapp
Droemer, Juli 2025
Klappenbroschur, 414 Seiten, 16,99 €

Bewertung vom 22.07.2024
Black, Juneau

Mord in Shady Hollow / Shady Hollow Bd.1


sehr gut

Man mag es als Fabel verstehen oder als Kinderbuch missverstehen – dabei ist dieser Waldtierkrimi mehr, nämlich eben in der Tat ein echter Krimi. Die beiden Autorinnen, die sich hinter dem Pseudonym verbergen, erschaffen eine komplette Stadt mit ausschließlich tierischen Bewohnern, deren einer schließlich einem Mord zum Opfer fällt.
In einer der Geschichte vorangestellten Anmerkung verweist Juneau Black darauf, dass man sich durchaus fragen könne, wie Fuchs und Kaninchen friedlich nebeneinander in der Zeitungsredaktion arbeiten können oder wie es gelingen kann, dass ein Elch und eine Maus sich auf Augenhöhe unterhalten. Doch diese Fragen treten bei der Lektüre fast gänzlich in den Hintergrund, denn die Story ist flott geschrieben, hat Spannung, es gibt mehrere Verdächtige und unzählige Spuren.
Hauptfigur ist die Füchsin Vera Vixen, ihres Zeichens Reporterin beim Shady Hollow Herald. Als die Kröte Otto tot aufgefunden wird – ein Einwohner mit so gut wie keinen Freunden, dafür aber vielen Feinden – hält Vera es nicht nur für ihre Aufgabe, sondern geradezu für ihre Pflicht, die Tat aufzuklären. Zur örtlichen Polizei, bestehend aus den zwei Bären, dem permanent abwesenden Chief und dem eifrigen Deputy Orville, hat Vera in dieser Hinsicht nämlich wenig Vertrauen.
Der Ermordete lag in ständigem Clinch mit dem Sägewerksbesitzer, dem Biber Reginald von Beaverpelt, der gleichzeitig der reichste Bewohner von Shady Hollow ist, der größte Arbeitgeber und außerdem Vater von zwei verwöhnten Töchtern. Alle drei geraten in Verdacht, Otto ermordet zu haben. Bevor Vera mehr herausfinden kann, gerät sie selbst in Lebensgefahr. Und dann geschieht ein weiterer Mord.
Zu den sehr sympathischen und vor allem sehr besonderen Einwohnern des Ortes zählen unter anderem der Elch Joe, Betreiber des Cafés Kaffeekanne, die Räbin Lenore, Besitzerin der Buchhandlung Nimmermehr und beste Freundin von Vera. Außerdem das schwarze Schaf Ruby, der Mäuserich Howard, Buchhalter im Sägewerk und stolzer Vater einer mehr als zahlreichen Kinderschar. In der Redaktion arbeitet außerdem der Kolibri Gladys unten den Augen des strengen Chefs, dem Stinktier SW Stein. Und vor der Stadt schließlich haust der Professor, die Eule Ambrosius Heidegger.
Dass alle diese Tiere problemlos nebeneinander leben, miteinander kommunizieren, dass sie auf dem Computer tippen können, Verbände anlegen und vieles mehr, all das irritiert irgendwann nicht mehr, wenn nämlich die Handlung in den Bann zieht und man diesen Roman liest wie einen herkömmlichen Krimi. Ein Krimi, der sehr viel Spaß macht, den man halt auch einfach nicht zu ernst nehmen darf.
Auf Fortsetzungen ist zu hoffen.
Juneau Black - Mord in Shady Hollow
aus dem Englischen von Barbara Ostorp
rororo, Juni 2024
Taschenbuch, 283 Seiten, 14,00 €

Bewertung vom 19.07.2024
Henkel, Calla

Ein letztes Geschenk


ausgezeichnet

Diese Autorin werde ich mir merken. Wenn sie immer so gut schreibt wie in diesem Roman, dann hat sie einen neuen Fan gewonnen. Die Geschichte um Esther, die sogenannte Scrap Books gestalten soll, ist so voller Kapriolen, Wendungen, Höhepunkten und Spannung, dass man den Roman verschlingen muss.
Esther, die sich selbst als Kunsthandwerkerin beschreibt und Bücher von Hand bindet, lernt auf einer Vernissage die reiche Naomi kennen. Von ihr erhält sie den Auftrag, als Geburtstagsgeschenk für deren Ehemann Alben zu gestalten, sogenannte Scrap Books.
Den Auftrag nimmt Esther allerdings erst an, als sie von ihrer Lebenspartnerin Jessica verlassen wird und nun die Hypothek für das gemeinsame Haus allein tragen muss. Daraufhin erhält sie von Naomi eine ganze LKW-Ladung von Kisten mit Material für diese Alben, eine Kiste pro Jahr über viele Jahre. Darin hat Naomi alles aufbewahrt: Fotos, Kassenbelege, Klassenarbeiten und Zeugnisse ihrer Tochter, Elternbriefe, Einladungen, Zeitungsausschnitte und Kontoauszüge, auch aus der Firma ihres Mannes. Wichtigste Regel für den Auftrag: Absolute Verschwiegenheit, dafür muss Esther Naomi bürgen und etliche Unterschriften leisten. Auch der gesamte Kontakt zu ihrer Auftraggeberin verläuft auf sehr geheimnisvolle Weise.
Je tiefer Esther in die Unterlagen eintaucht, desto mehr gerät sie in den Bann von Naomis Familie und deren Geschichte und Geheimnisse. Durch die Fotos lernt sie alle Menschen, die in Beziehung zu dieser Familie stehen, kennen und so beschäftigt sie sich immer mehr damit, beginnt zu recherchieren.
Parallel dazu leidet sie jedoch fürchterlich unter der Trennung von Jessica, spielt mit Selbstmordgedanken. Dann lernt sie ihren neuen Nachbarn Patrick kennen, einen sehr verschlossenen alten Mann. Erst nach und nach kommen sie sich näher und dann findet sie bei ihm unerwartete Hilfe und Unterstützung.
Als Naomi dann plötzlich ums Leben kommt, setzt Esther alles daran, die Hintergründe herauszufinden, geht dabei nicht immer legal vor und gerät auch schon mal in arge Bedrängnis.
Esther ist eine faszinierende Frauenfigur, schillernd, chaotisch, mal schrill, mal verzweifelt, die auch immer wieder mit ihrer eigenen Familiengeschichte hadert. Doch immer, bei allem was sie tut, wie sie reagiert und fühlt, wirkt diese Figur absolut authentisch. Man leidet beim Lesen mit ihr, möchte sie mal aufhalten, mal anfeuern. Und dann ist da ja noch die Frage, was geschah wirklich mit Naomi? Und warum liebte diese Frau den Roman „Gone Girl“ von Gillian Flynn so sehr?
Dieser Roman ist ganz sicher ein Highlight in meinem Lesejahr 2024, hier stimmt einfach alles. Die Darstellung der einsamen Heldin im Kampf gegen unbekannte Mächte, gegen Einsamkeit, Ungewissheit, Unsicherheit und ihre eigene Vergangenheit ist absolut gelungen, man ist ganz tief drin in der Geschichte. So soll ein Roman sein, fesselnd, spannend, überzeugend.
Und mit einem derart überraschenden Ende. Genial!
Calla Henkel - Ein letztes Geschenk
aus dem Englischen von Verena Kilchling
Kein & Aber Verlag, Juli 2024
Gebundene Ausgabe, 459 Seiten, 25,00 €

Bewertung vom 18.07.2024
Bockhorst, Helene

Der Supergaul


gut

Bei dieser Geschichte, die die für ihre Kurzgeschichten mehrfach ausgezeichnete Autorin hier erzählt, weiß man manchmal nicht, ob man lachen soll oder den Kopf schütteln.
Berenice nennt sich selbst Tierkommunikatorin und kann – angeblich – insbesondere mit Pferden sprechen. Oder vielmehr deren Gedanken lesen. Das lässt sie sich gut entlohnen von all jenen Pferdebesitzern, die sich um ihre Tiere sorgen und nicht mehr weiter wissen, wenn das Pferd nicht mehr laufen möchte, nichts mehr frisst oder ansonsten irgendwie bockig ist oder traurig guckt oder ähnliches.
Natürlich ist das alles irgendwie Betrug, was ihr der örtliche Tierarzt auch ständig unter die Nase reibt. Und genauso natürlich ist es dieser Tierarzt, der Berenice ständig im Kopf herumgeht, weil er nun mal sehr gut aussieht und sehr nett und sympathisch ist.
Nachdem sie aber nach dem Baden ausrutscht und sich den Kopf anschlägt, kann Berenice dann aber plötzlich tatsächlich hören, was Pferde denken. Zumindest ein Pferd oder vielmehr ein Pony. Der sehr freche und niedliche Alvin verlangt von Berenice, seinen Freund, das Turnierpferd Rennbrandt zu suchen, das angeblich vertauscht wurde. Dafür will er ihr künftig helfen und für sie die Pferdesprache dolmetschen, sozusagen.
Also beginnt Berenice nachzuforschen, was ihr nicht immer gut bekommt. So entwickelt der Roman hier an dieser Stelle durchaus eine gewisse Spannung, die aber leider immer wieder gedämpft wird durch zu viel Ulk, zu viel von zu viel, könnte man sagen.
Eingeflochten in die doch als Komödie angelegte Story sind dann auch noch immer wieder irgendwelche Kindheitserinnerungen der Hauptfigur, es geht dabei um ihren Vater, dessen geheimes zweites Leben nach seinem Tod herauskam, was sie ihm bis heute übelnimmt – und was natürlich Einfluss auf ihr heutiges Verhalten hat. Dieser Teil war mir dann wirklich zu viel, das hätte es ganz und gar nicht gebraucht.
Ansonsten wäre es nämlich dann ein normaler leichtfüßiger Krimi-Liebes-Humor-Roman geworden. In dem sich eben doch dann alles um Pferde dreht, denn andere Tiere kommen nicht vor. Insofern ist es am Ende eben doch ein Pferderoman, der eher seicht und simpel gestrickt ist und keinen Anspruch auf Tiefgang erhebt.
Eine nette Lektüre für zwischendurch, voller Tempo und schrägem Humor, mehr aber auch nicht.
Helene Bockhorst - Der Supergaul
Ullstein, Juni 2024
Taschenbuch, 288 Seiten, 12,99 €

Bewertung vom 15.07.2024
Cusset, Catherine

Janes Roman


gut

Es klingt nach einer interessanten Story, nach einem spannenden Geheimnis, entwickelt sich aber leider zu einer eher drögen und zähen Geschichte.
Jane ist Professorin für französische Literatur, geschieden und lebt allein. Eines Tages liegt vor ihrer Tür ein Paket, darin das Manuskript eines Romans. Sein Titel: Janes Roman, der Inhalt: ihre Lebensgeschichte, oder vielmehr all ihre Liebesgeschichten.
Unverzüglich vertieft sich Jane in die Lektüre, liest Seite um Seite und rätselt, wer der Absender, der Verfasser dieser Seiten ist. Ständig geraten andere Menschen aus ihrem Leben, ihrer Vergangenheit in Verdacht, immer wieder ändert sie ihre Meinung.
Währenddessen lesen auch wir natürlich in diesem Roman, nur immer mal wieder unterbrochen von der Rahmenhandlung, wenn Jane wieder grübelt, wer so viele Details aus ihre Vergangenheit kennen kann. Dieser Roman, den sie und wir nun lesen, schildert jede einzelne Beziehung, die Jane mit verschiedenen Männern hatte, wie sie damit umging, wie sie anfingen und endeten und warum. Dabei dreht sich sehr viel, um nicht zu sagen das meiste, um ihre Sexualität. Sehr detailliert werden die verschiedenen Geschlechtsakte beschrieben, wird ausformuliert, was sie beim Sex mag und was nicht, wo der Mann sie berühren darf und wo nicht.
Das Ganze spielt in der Zeit vom Ende der 80er bis in 90er Jahre, im Original erschien „Janes Roman“ bereits 1999. Die Erzählweise in dem Roman ist sehr antiquiert, das Frauenbild ebenso, eigentlich auch für die Zeit, in der die Geschichten sich zutragen, zu antiquiert. Und auch das Bild, das Jane von Männern hat, ist eher altertümlich, dafür, dass sie eine selbständige Frau ist, gibt sie sich sehr gerne in Abhängigkeit von einem Mann.
Dazu kommt, dass dieser Roman, den ja, so die Rahmenhandlung, jemand über Jane geschrieben hat, tief in ihre Gefühle und Gedanken eindringt, diese aufführt, erzählt, beschreibt. Etwas, was meiner Meinung nach diesen ganzen Rahmen eher unglaubwürdig macht.
Und leider, anders als der Klappentext verheißt, ist dieser Roman insgesamt eher nicht temporeich, sondern im Gegenteil sehr langsam, langatmig, um nicht zu sagen langweilig. So dass es irgendwann nicht mehr wichtig ist, wer denn nun dieses Buch über Jane schrieb, so wendungsreich es erzählt sein mag.
Ich wurde auch mit der Protagonistin nicht warm, fand nie einen richtigen Zugang zu ihr, konnte nicht mit ihr mitempfinden, nachfühlen, was sie fühlte. Und das, obwohl der Schreibstil an sich durchaus gefällig ist, es werden viele Dinge sehr anschaulich und plastisch beschrieben, viele Details dargestellt und die Figuren, insbesondere die Männer, sind recht spitzfindig beschrieben. Aber leider rettet hier der gute Stil die Story nicht.
Catherine Cusset - Janes Roman
aus dem Französischen von Annette Meyer-Prien
Eisele, Juni 2024
Taschenbuch, 379 Seiten, 16,00 €

Bewertung vom 12.07.2024
Kruse, Tatjana

Schöner sterben auf Sylt


sehr gut

Im Grunde ist die Geschichte ja völlig blödsinnig, absolut absurd. Aber eben auch herrlich komisch. Man rast atemlos durch die Seiten, schüttelt den Kopf über die komplett irrwitzige Story und hat dabei einen Heidenspaß.
Leichen pflastern die Straßen von Sylt, sozusagen. Und zwar handelt es sich bei den Toten vorrangig um sogenannte „Umweltsauen“, Männer, die sich einen Kehricht um das Klima scheren, stattdessen nur an ihrem Gewinn oder wahlweise ihrem Vergnügen interessiert sind.
Kein Wunder also, dass zuvörderst die ebenfalls auf Sylt sehr aktiven Klimaschützer in Verdacht geraten, heimtückisch diese Männer aus dem Weg geräumt zu haben. Zumal auch die Klimaschützer durchaus radikal vorgehen, angetrieben von einem selbsternannten Guru.
Dadurch wird die junge Mia in die Sache hineingezogen, ist doch ihre jüngere Schwester Pia (ja, und eine Schwester namens Kia gibt es auch noch!) aktives Mitglied bei der Gruppe der Klimakleber. Während ein Jahrhundertsturm auf die Insel zukommt, versucht Mia verzweifelt zu beweisen, dass ihre Schwester unschuldig ist. Überzeugt ist sie hingegen, dass der Frauenschwarm, der sich zum Anführer der Klimagruppe aufgeschwungen hat, seine Finger im Spiel hat.
An Mias Seite, nachdem ihn bei ihrem ersten Anblick der Blitz der Liebe traf, ist Fred. Er ist natürlich ein unheimlich netter Kerl, der unverschämt reich ist, außerdem auch noch unwiderstehlich sympathisch und dazu auch noch ungemein gut aussieht. Um letzteres zu tarnen, trägt er stets völlig abgedrehte Klamotten, wie einen viktorianischen Badeanzug oder einen regenbogenfarbigen Brokatanzug. Zusammen mit Mia und allem Sturmtosen zum Trotz versucht er die Morde aufzuklären.
Das Ganze ist so voller herrlicher Situationskomik, absurder Dialoge und urkomischer Figuren, dass man ständig ein breites Grinsen im Gesicht hat während der Lektüre. Natürlich ist die Geschichte eigentlich total unmöglich, komplett unrealistisch, absolut ohne jeden Tiefgang – und trotzdem wunderbar unterhaltsam, irre komisch, temporeich und – wie immer bei Tatjana Kruse – voller gelungener Pointen.
Für alle, die sich beim Krimilesen amüsieren wollen absolut die geeignete Lektüre
Tatjana Kruse - Schöner sterben auf Sylt
Insel Taschenbuch, Juni 2024
Taschenbuch, 211 Seiten, 12,00 €

Bewertung vom 10.07.2024
Mckenzie, Elizabeth

Der Hund des Nordens


gut

Weder während der Lektüre noch nachdem ich den Roman beendet hatte, wurde mir klar, was die Autorin eigentlich erzählen wollte, welche Geschichte und wo darin der rote Faden war.
Protagonistin ist Penny Rush (nomen est omen), die hektisch durch den Roman hetzt, mal ihre mehr oder weniger demente Großmutter vor Unheil bewahren will, mal ihren fast hundertjährigen Großvater erst ins Heim und dann nach Australien verfrachtet und zwischendurch, davor und danach mit einem klapprigen Van namens „Hund des Nordens“ durch die Gegend fährt.
Daneben werden auf dem Grundstück der Großmutter diverse Leichenteile gefunden, der glücklose Steuerberater der Oma landet im Krankenhaus, sein Bruder muss sich um dessen Hund und auch gerne mal um Penny kümmern. Ganz nebenbei glaubt Penny immer noch daran, ihre vor Jahren im australischen Outback verschwundenen Eltern wiederzufinden und so macht sie kurzentschlossen zwischen all den andren Dingen auch noch einen Trip nach Australien, in Begleitung ihres bereits erwähnten betagten Opas.
Bei all dem stolpert Penny immer wieder über Sonderlinge, sie sorgt im Flugzeug für Aufruhr wegen einer nicht versorgten Verletzung und bei all dem muss sie auch noch die kürzliche Trennung von ihrem Mann und den Verlust ihres Arbeitsplatzes, somit diverse finanzielle Engpässe verarbeiten.
So wirr wie diese Aufzählung der Ereignisse, so wirr ist auch dieser Roman. Worum es eigentlich wirklich geht, wie alles zusammenhängt, ob überhaupt, all das hat sich mir auf den über 300 Seiten nicht wirklich erschlossen. Dazu kommt ein ebenso konfuser Schreibstil. Die Erzählung verliert sich viel zu oft in Details wie Sockenfarbe, Menu-Bestandteile oder Fahrtstrecken. Dazwischen geht dann der Blick für das Wichtige, für die eigentliche Story, so vorhanden, verloren.
Das Figurentableau hingegen ist ungemein abwechslungsreich, die einzelnen Charaktere einzigartig, skurril und trotzdem bei aller Absonderlichkeit irgendwie auch liebenswert.
Für Freunde abgedrehter Unterhaltung sicher ein sehr geeigneter Roman, mich hat er etwas ratlos zurückgelassen.
Elizabeth McKenzie - Der Hund des Nordens
aus dem Englischen von Stefanie Ochel
DuMont, Juni 2024
Gebundene Ausgabe, 351 Seiten, 24,00 €