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Renas Wortwelt

Bewertungen

Insgesamt 189 Bewertungen
Bewertung vom 24.01.2024
Die Wolkengucker
Fritz, Kristina

Die Wolkengucker


sehr gut

Ein bisschen arg süßlich ist er ja schon, der neue Roman der deutschen Autorin, die hier unter einem ihrer vielen Pseudonyme schreibt. Die Geschichte um die Menschen, die sich zum Wolkengucken treffen und schnell zu einer Gruppe von Freunden werden, ist berührend, doch eben auch ziemlich kitschig und das Ende lässt sich früh erahnen.
Dennoch macht es Freude, von Matt und seiner kleinen Tochter Mia zu lesen, die um ihre verstorbene Frau bzw. Mutter trauern, von Wilma, der fast 90jährigen, steinreichen Villenbesitzerin, die um ihre kürzlich verstorbene beste Freundin trauert, von Ayla, Wilmas Putzfrau, die sie von besagter Freundin geerbt hat und von Ferdinand, Wilmas Nachbarn.
Margarete, Wilmas Freundin, war begeisterte Wolkenguckerin. Wilma selbst hingegen konnte dieser Beschäftigung nie etwas abgewinnen. Doch im Gedenken an die Verstorbene, die sie so schmerzlich vermisst, lädt sie öffentlich zum Wolkengucken in ihren Garten ein.
Die kleine Mia sieht ebenfalls gerne in den Himmel, entdeckt immer neue Figuren in den Wolken und so ist es keine Frage, dass sie ihren Vater dazu überredet, zu diesem Treffen zu gehen. Matt ist ein recht verschrobener Illustrator, der mit dem Leben nur schwer zurecht kommt.
Ferdinand, Wilmas Nachbar, kann so gar nicht mit anderen Menschen und beschimpft anfangs die Gruppe in Wilmas Garten ganz fürchterlich.
Ayla, die junge Putzfrau, die nun für Wilmas Haushalt und auch für Wilma sorgt, hat ständig Geldsorgen und leidet in ihrer fürchterlichen WG, in welche sie aus finanziellen Gründen ziehen musste.
Nach und nach kommen sich diese so unterschiedlichen Menschen näher, tauen auf, beginnen sich zu vertrauen, vertrauen sich ihre Geheimnisse an. So kommt es natürlich, wie es kommen muss: Aus der traurigen alten Dame wird eine gute Fee, aus dem miesepetrigen Nachbarn ein freundlicher Herr und aus Ayla und Matt…. Man ahnt es.
Der Roman ist flüssig und liest sich flott, ist nie langweilig oder langatmig. Aber leider ist er eben auch sehr märchenhaft, verlaufen die erwartbaren Entwicklungen der Figuren arg zügig, aber auch durchaus nachvollziehbar und anschaulich geschildert. Die Figuren sind sympathisch, wenn auch manches ein wenig dick aufgetragen ist. Es gibt viele Wiederholungen, sowohl inhaltlich wie auch sprachlich in Form von Wortwiederholungen in aufeinanderfolgenden Sätzen.
Fazit: Ein netter, unterhaltsamer Wohlfühlroman, den man trotz der kleinen Mängel gerne liest.
Kristina Fritz - Die Wolkengucker
Lübbe, Dezember 2023
Gebundene Ausgabe, 384 Seiten, 16,00 €

Bewertung vom 22.01.2024
Die Bundesrepublik
Paul, Gerhard

Die Bundesrepublik


sehr gut

Die Geschichte eines Landes anhand von Fotos zu erzählen, ist vielleicht keine neue, aber in jedem Fall eine faszinierende Idee. Der Historiker Gerhard Paul ist darin ein sehr Erfahrener, hat er doch ähnliche Bücher bisher in großer Zahl veröffentlicht.
In drei große Kapitel unterteilt er sein Buch: Die Bonner Republik von 1949 bis 1989, die Berliner Republik von 1990 bis 2021 und die Ampelrepublik seit 2021. Ob man mit dieser Einteilung so ganz einverstanden ist, bleibt jedem selbst überlassen, mich hat sie anfangs doch irritiert. Die Regierung durch die Ampelkoalition macht in meinen Augen keine andere Republik aus Deutschland, von daher hadere ich etwas mit dieser Dreiteilung.
Dennoch fasziniert mich das Buch, denn es sind viele berühmte Fotos darin enthalten, ikonografische Fotos, wie der Mauerbau, der Kniefall Willi Brandts in Warschau, der Mauerfall, der verpackte Reichstag, um nur ein paar zu nennen. Doch es werden auch viele Plakate aus den unterschiedlichen Jahren gezeigt, es werden die Cover von bekannten Zeitschriften und Magazinen gezeigt, in der Regel alles Ansichten, die Geschichte schrieben.
Die drei Kapitel werden wieder unterteilt nach ganz verschiedenen, vielleicht manchmal überraschenden Themen. Da geht es um die Aufarbeitung des Nationalsozialismus, da geht es um die Zeit des Terrors durch die RAF. Da geht es um Kino und Fernsehen und deren Macht, die auch eine Macht der Bilder ist, was ganz im Besonderen für die Werbung gilt, der ebenfalls ein Unterkapitel gewidmet ist.
Im zweiten Teil, der sich mit der „Berliner Republik“ befasst, geht es um die Bilder der Regierenden und wie sie sich unterscheiden, um die „Bildunfälle“ mancher Politiker und welche Folgen das für die Jeweiligen hatte und es geht natürlich auch um die sogenannte Flüchtlingskrise, die ja nicht erst 2015 erfunden wurde. Man findet in dem Buch viele unangenehme Themen, an die man vielleicht lieber nicht so gerne erinnert wird, neben all den schönen Erinnerungen aus 75 Jahren Bundesrepublik.
Die Texte schwanken zwischen kurzen Bildbeschreibungen, Bildbewertungen und längeren Abschnitten, die bestimmte Aspekte genauer beleuchten. Das Buch ist sicher eines, das man nicht am Stück zur Gänze liest, sondern viel mehr je nach Thema und Interesse immer wieder einmal in die Hand nimmt. Als Überblick, als Chronik, als „Fotoalbum“ interessant, fesselnd, immer wieder überraschend und auf jeden Fall empfehlenswert.
Gerhard Paul - Die Bundesrepublik
wbg Theiss, November 2023
Gebundene Ausgabe, 598 Seiten, 60,00 €

Bewertung vom 15.01.2024
99 1/2 Orte in der Eifel
Kramp, Ralf

99 1/2 Orte in der Eifel


sehr gut

Wer diesen Autor kennt, weiß, dass man mit aller Art von Skurrilem und Überraschendem rechnen sollte. Seine Bücher sind komisch, kriminell gut und niemals langweilig.
Langweilig wären auch all diese 99 ½ Orte sicher nicht, würde man sie besuchen. Allerdings, ob man jemals dort an- und wenn, dann hinterher wieder dort fortkommt, das wäre die große Frage. Damit man sie überhaupt finden könnte, würde man sie denn suchen, gibt es sogar detaillierte Karten in diesem unterhaltsamen Buch.
Das einen zu so seltsamen Orten lockt wie „Die marodeste Straße in der Eifel“ oder zum „Nackenpickel, dem kleinsten Berg der Eifel“ oder dem „Flüsschen Harn“. Oder zu merkwürdigen Veranstaltungen wie „Die Rollator-Formel eins auf dem Onanierburg-Ring“, dem „Schilderwaldbaden am Rande der Autobahn“ oder der „Alljährlichen Wahl der Miss Damenbart“.
Man könnte sich aber auch die Anlagen der ehemaligen Maultrommelfabrik Plitsch & Klingel ansehen, gelegen zwischen den Dörfern Rotzbuckel und Schladderfeld. Ein junges Gründer-Ehepaar ist dort bestrebt, Moos mit Moos zu machen. Vielleicht könnte solches Moos ja sogar die Kunsthaarperücke vom Markt verdrängen?
Oder man lässt sich von Elfi Fussel, auf dem Rastplatz an der B51, die Zukunft orakeln. Oder besucht eine Vorstellung der Theatergruppe des Klosters Filzkragen.
Ein sehr abwechslungsreicher Führer durch die Eifel, wie man sie bisher sicher noch nicht kennt. Manchmal bleibt einem bei der Lektüre das Lachen jedoch fast im Halse stecken, so absonderlich oder gar beängstigend sind diese Ausflugstipps. Oder man bleibt am besten gleich daheim.
Ralf Kramp - 99 1/2 Orte in der Eifel
KBV, November 2023
Taschenbuch, 211 Seiten, 18,50 €

Bewertung vom 12.01.2024
Book Lovers - Die Liebe steckt zwischen den Zeilen
Henry, Emily

Book Lovers - Die Liebe steckt zwischen den Zeilen


gut

Die Bücher dieser Autorin verkaufen sich wie geschnitten Brot und erzählen doch immer nur wieder das Gleiche: Feinde, Ehemalige oder wahlweise alte Freunde werden ein Liebespaar. Vor dem Happy End werden einige Probleme eingebaut, die normalerweise vermutlich niemand zur Kenntnis nehmen würde.
So auch in diesem neuen Roman, der mir aber dennoch gegenüber ihren vorigen besser gefiel, denn diesmal ist der Schreibstil leichtfüßiger, die Dialoge spritziger und der Wortwitz prickelnder. Dennoch weiß man auf der ersten Seite, wie es enden wird.
Literaturagentin Nora ist ein Workaholic, einzig ihrer jüngeren Schwester Libby gelingt es, sie ab und zu von der Arbeit wegzulocken. Nora ist eine robuste junge Frau, die nichts anbrennen lässt und genaue Vorstellung hat, wie der Mann sein muss, der sie irgendwann einmal erobernd darf.
Beruflich hat sie mit dem Lektor Charlie zu tun, den sie als arrogant und überheblich ablehnt und mit dem sie sich von Anfang an heftige Wortgefechte liefert. Als Nora auf Libbys Wunsch mit dieser in eine winzige Kleinstadt fährt, um dort ein paar Wochen Urlaub zu machen, begegnet sie dort natürlich ausgerechnet dem Lektor Charlie. Er lehnt zwar die Bücher ab, deren Autorin Nora vertritt, will diese aber dennoch unbedingt lektorieren. Was dazu führt, dass die beiden sich ständig begegnen, auch weil Charlie in der Stadt aufgewachsen ist und sich dort natürlich besonders gut auskennt.
Es kommt, wie es kommen muss: Sie sinken sich in die Arme, merken, dass sie nicht zusammenpassen, gehen auseinander, können ohne einander nicht sein, und so weiter und so fort. Die Hürden , die sich zwischen den Beiden aufbauen, sind mühsam konstruiert, selbst verschuldet und so sinnentleert, dass man sich wirklich wundert, warum sich erwachsene Menschen mit solchen Winzigkeiten befassen. Wo man doch ohnehin weiß, dass sie sich am Ende kriegen und alles gut wird.
Zwischendrin gibt es reichlich Rückblicke und Analysen, warum die beiden und auch Libby sind, wie sie sind. Was sich wie immer aus der Vergangenheit erklärt und wie immer sind die Eltern schuld.
Einzig die bereits erwähnten munteren Dialoge machen wirklich Spaß, der Wortwitz, die spitzen Pfeile, die hin und her gehen, das liest man mit einem Grinsen im Gesicht.
Emily Henry - Die Liebe steckt zwischen den Zeilen
Knaur, Dezember 2023
Taschenbuch, 431 Seiten, 12,99 €

Bewertung vom 10.01.2024
Endling
Schreiber, Jasmin

Endling


sehr gut

Ein Endling ist das letzte Exemplar einer aussterbenden Art. Von dieser Gefahr des Aussterbens sind im Jahr 2041, der Zeit, in der dieser Roman spielt, viele Arten betroffen, viele sind bereits ausgestorben.
Ich-Erzählerin Zoe ist Biologin und forscht über Insekten. Sie geht auf in ihrem Beruf, hat sich geradezu verbissen in ihr Forschungsprojekt und sieht daher ihre weit entfernt lebende Familie nur selten. Doch als ihre alkoholkranke Mutter in eine Reha muss, ist Zoe gezwungen, heimzukehren. Sie muss sich sowohl um ihre sehr viel jüngere Schwester Hanna wie auch um ihre exzentrische Tante Auguste kümmern.
Hanna ist knapp sechzehn, aufmüpfig, typisch Teenager eben. Auguste ist ebenfalls Wissenschaftlerin und Dozentin an der Universität. Sie hat allerdings schon seit Jahren ihre Wohnung nicht mehr verlassen. Seit ihr Bruder, Zoes und Hannas Vater, an einer Pandemie verstarb. Seither fürchtet sie sich vor Ansteckung und alle, die ihre Wohnung betreten wollen, müssen sich gründlich und umfassend desinfizieren und Schutzkleidung tragen.
Zoe ist entsetzt über die Zustände zuhause und hat ein schlechtes Gewissen, dass sie so lange nicht dort war. Doch gelingt es ihr weder, Hanna zu bändigen, die ebenfalls mehr Alkohol konsumiert, als gut für sie ist, noch Auguste von ihrer Phobie zu heilen.
Da verschwindet Augustes beste Freundin Sophie spurlos. Auch sie ist Wissenschaftlerin, doch forscht sie über Frauen. Frauen werden im Jahr 2041 unterdrückt, haben kaum noch Rechte, dürfen nicht abtreiben, keine Führungspositionen übernehmen und mehr in dieser Art. Sophie hat sich dem nie gebeugt und wurde daher von der Obrigkeit verfolgt.
Auguste will Sophie finden und so begeben sich die drei Frauen gemeinsam auf die Suche. Die Reise führt sie über Italien bis nach Schweden, von gepflegten Weinbergen in die Wildnis der schwedischen Natur.
Der Roman ist fesselnd und spannend, vor allem die Hintergründe, die Beschreibungen der möglichen zukünftigen Zustände, sowohl politisch wie auch für die Natur und die Lebewesen. Das ist erschreckend, beängstigend, gerade auch wegen der Möglichkeit, dass es in der Tat so kommen könnte.
Die Protagonistinnen sind sympathisch und sehr authentisch geschildert. Der Konflikt zwischen Zoe und der sich vernachlässigt fühlenden Hanna ist nachvollziehbar und anschaulich dargestellt. Ein bisschen zu schnell hingegen vollzieht sich für mich die Wandlung Augustes, die ihre Phobie überwinden muss, um die Reise überhaupt antreten zu können.
Ab und zu gleitet der Roman ein wenig zu sehr ins Mystische ab, da verlor ich manchmal den Faden. Die wissenschaftlichen Aspekte, die die Autorin als Kennerin der Thematik einbaut, sind mir etwas zu ausführlich, auch gehören meiner Meinung nach die lateinischen Namen von Insekten und anderen Tieren nicht in einen belletristischen Text.
Das Thema der Behandlung von Frauen, der Mangel an Rechten, wird neben vielen anderen Themen, die der Roman abhandelt, wie Abtreibung, Vergewaltigung, Alkoholismus etc. nicht richtig zu Ende erzählt, auch ist die Geschichte damit etwas überfrachtet an Themen.
Insgesamt aber hat mir der Roman gut gefallen, stilistisch modern, sprachlich abwechslungsreich durch viele spannende Vergleiche.
Jasmin Schreiber – Endling
Eichborn, November 2023
Gebundene Ausgabe, 334 Seiten, 23,00 €

Bewertung vom 05.01.2024
Der Jahrestag
Bishop, Stephanie

Der Jahrestag


sehr gut

Selten ist man beim Lesen so nah dran an der Protagonistin, die hier auch die Ich-Erzählerin ist. So nah, ja fast in ihr drin und damit in ihren Gefühlen. Das macht diesen Roman so besonders und gleichzeitig auch so schwierig, will man sich nicht zu sehr hineinziehen lassen.
Die Schriftstellering J.B. Blackwood ist inzwischen sehr erfolgreich, soll sogar in Kürze mit einem renommierten Preis ausgezeichnet werden. Ihr Mann Patrick, der einiges älter ist als sie, ist hingegen eher auf dem absteigenden Ast, sein Erfolg ist rückläufig. Kennengelernt hat sich das Paar, als er ihr Professor an der Hochschule war.
Daraus resultierte eine unausgewogene Beziehung, in welcher er stets der dominierende, bestimmende Part war und sie ihm folgte. Was darin gipfelt, dass sie ihm nicht davon berichtet, dass sie diesen hohen Preis erhalten soll.
Zur Feier ihres Jahrestags und auch, um ihre Beziehung zu retten, gehen sie auf Kreuzfahrt. Das Schiff fährt durch arktische Meere, mit dem Ziel Japan. Doch während eines Sturms geht Patrick über Bord, kann nicht gerettet werden. Dem Unglück, für das es keine Zeugen gibt außer J.B. selbst, ging ein heftiger Streit zwischen den Beiden voraus.
J.B., die fassungslos ist über den Unfall, den Verlust, die völlig verloren ist, wird mehrfach von den Behörden verhört, muss schließlich eine Leiche identifizieren. Ihr zur Seite stehen ihre Agentin und eine weitere Mitarbeiterin. Trotz des Vorfalls reist J.B. nach New York, um den Preis entgegen zu nehmen. Doch statt über ihr Buch wollen alle nur über den Tod ihres Mannes sprechen.
Hierbei bekommt man einen interessanten Einblick in den Literaturbetrieb, über die Abläufe, den Druck und die Zwänge, die damit zusammenhängen.
All das wird ausschließlich aus der Sicht J.B. erzählt, mit vielen Rückblicken auf die Beziehung zwischen ihr und Patrick, von den Anfängen bis zum Unglück. Man erfährt vieles über die Abhängigkeit, in die sich diese Frau von ihrem Mann begeben hat, in die sie, ohne sich zu widersetzen, hineinwuchs. Und schließlich muss sich J.B. vor Gericht verantworten, wird für das Unglück zur Rechenschaft gezogen. Doch immer noch ist man als Leserin im Ungewissen, was tatsächlich geschah. Das macht diesen Handlungsstrang spannend. Und das Ende durchaus unvorhersehbar.
So nah ich beim Lesen dieser Frauenfigur kam, so fremd blieb sie mir am Ende dennoch. Es fiel mir schwer, Empathie für sie zu empfinden, da sie gleichzeitig auch recht kalt beschrieben ist. Daher hat mich dieser Roman zwiegespalten zurückgelassen: Einerseits die spannende Rahmenhandlung und die fesselnde Schilderung der unausgewogenen Paarbeziehung, andererseits diese kühle Protagonistin, deren Gefühle ich oft nicht nachempfinden konnte.
Stephanie Bishop - Der Jahrestag
aus dem Englischen von Kathrin Razum
dtv, November 2023
Gebundene Ausgabe, 464 Seiten, 26,00 €

Bewertung vom 03.01.2024
Betrug
Smith, Zadie

Betrug


sehr gut

So sehr ich mich für die Hauptfigur im Roman, die wunderbare Eliza Touchet, begeistern kann, so ratlos lässt mich das Buch ansonsten zurück. Auf mehreren Zeitebenen, in kurzen und sehr kurzen Episoden, in vielen Rückblicken erzählt die Autorin von Ereignissen im 19. Jahrhundert rund um die Schriftsteller Ainsworth, Dickens und deren Kreis.
Eliza Touchet ist die Cousine – oder was auch immer – von William Ainsworth. Sie lebt seit Jahren in seinem Haushalt, erträgt seine Launen und nun auch seine neue, sehr viel jüngere und ungebildete Frau. Eliza ist eine beeindruckende Figur, mit einer ganz besonderen, geradezu mikroskopischen Beobachtungsgabe gesegnet. Diese gestattet es ihr auch nicht, sich selbst falsch zu sehen, falsch einzuschätzen, sich und ihre Rolle.
Eliza, die sowohl ihren Vetter William Ainsworth wie auch dessen inzwischen verstorbene Frau Frances liebt, ist selbst verwitwet und hat kein Interesse daran, diesen Zustand zu ändern. In den zahlreichen, blitzlichtartigen Rückblenden erfahren wir, welches Leben sie geführt hat und was es bedeutet, neben einen missachteten Schriftsteller leben zu müssen. Ainsworth, der in steter Fehde mit Dickens lebt, ist ein enttäuschter alter Mann geworden.
Als roter Faden zieht sich der Prozess um einen vermeintlichen Betrüger durch den Roman. Sowohl Eliza wie auch Ainsworths neue Frau sind von diesen Vorgängen gefesselt und führen ebenso wie die gesamte Öffentlichkeit heiße Diskussionen über Recht oder Unrecht der Ansprüche dieses angeblich wieder aufgetauchten Erben einer reichen Lady.
Die Figur der Eliza steht für Emanzipation, sowohl der Frauen wie auch der Sklaven, sie steht für freie Sprache, offenes Denken. Die Beobachtungsgabe Elizas zeichnet sich auch dadurch aus, dass sie ihre Beobachtungen mit fein geschliffenen, ironischen, ja fast sarkastischen Bemerkungen kommentiert. Auch sich selbst schätzt sie völlig richtig ein, was sie so besonders sympathisch macht.
Ansonsten hat mich der Roman recht ratlos zurückgelassen, habe ich mich doch immer wieder in den unzusammenhängenden Episoden verloren, deren zeitliche Zuordnung nicht immer möglich war, oft ganz fehlte. Außer man hat die entsprechenden Vorkenntnisse über die Zeit und ihre Literatur.
Stilistisch hingegen ist der Roman ein Diamant, die Sätze sind pointiert, fein ziseliert, gefeilt, poliert und faszinierend.
Zadie Smith – Betrug
aus dem Englischen von Tanja Handels
Kiepenheuer & Witsch, November 2023
Gebundene Ausgabe, 524 Seiten, 26,00 €

Bewertung vom 22.12.2023
Mördchen fürs Örtchen
Birkefeld, Richard;Bliefert, Ulrike;Busch, Petra

Mördchen fürs Örtchen


sehr gut

Allein schon Titel und Autorenname zaubern mir jedes Mal ein Grinsen ins Gesicht, wenn ich das lese. Wer denkt sich sowas aus? Schlicht genial, finde ich.
Und das gilt ebenfalls für den Inhalt dieser witzigen, unterhaltsamen Sammlung an kuriosen, teils völlig absurden Geschichten um Mord und Totschlag – also genau das, was man bei gewissen Verrichtungen zur Ablenkung lesen möchte.
Da werden Frauen zu Furien, die sich gegenseitig beklauen, wohlgemerkt auf besagtem Örtchen. Da verschwinden andere Frauen von der Toilette und werden eingerollt in einen Teppich wiedergefunden. Da versucht Friedhelm verzweifelt, in Ruhe auf dem Klo sein Sudoku zu lösen, doch seine Angetraute stört, bis …
Bei den illustren Autorinnen und Autoren, die zu diesem Spaß beitragen, verwundert es auch nicht, dass die kleinen Geschichten so gelungen sind. Neben Ralf Kramp finden sich Elke Pistor, Jutta Profijt, Claudia Rossbacher, Klaus Stickelbroeck, Tatjana Kruse, Nina George, Carsten Sebastina Henn und viele andere, allesamt Garanten für urkomische und spannende Unterhaltung.
Die Länge der Geschichten übrigens schwankt, so finden doch alle sicher die passende für die Länge ihrer diversen Geschäfte.
Spritzig-witzige, mörderisch gute Kurzgeschichten – ich weiß schon, wo dieses Buch künftig seinen Platz finden wird…
Der Herausgeber übrigens „promovierte zum Thema „Überkommene Handlungsmuster und Herausbildung konkreter Lebenszusammenhänge bei der täglichen Körperentleerung“ und verfasste das Standardwerk Kulturelle Phänomene der regelmäßigen Stuhlgangs im historischen Kontext“. (S. 247)
W.C.Schüssel - Mördchen fürs Örtchen
KBV, Oktober 2023
Taschenbuch, 249 Seiten, 14,00 €

Bewertung vom 21.12.2023
Der Duft von Schokolade
Arenz, Ewald

Der Duft von Schokolade


sehr gut

Es geht vor allem um Düfte in diesem Roman aus dem Wien der Kaiserzeit, so dass er, wenn auch gänzlich anders, doch ein wenig an das berühmte „Parfüm“ von Patrick Süßkind erinnert.
Dabei sind die beiden Bücher überhaupt nicht zu vergleichen, es sei denn aufgrund der beiden Geschichten innewohnenden Mystik um Gerüche und Düfte und das, was sie in bestimmten Menschen auslösen.
August Liebeskind, ein junger Mann aus gutem Hause, quittiert den Dienst, um demnächst in der Schokoladenfabrik seines Onkels als Einkäufer zu arbeiten. Im beschaulichen Sommer vor Arbeitsbeginn begegnet er Elena Palffy, einer mysteriösen, selbstbewussten Frau, die so ganz anders ist als die Frauen, die August bisher kannte. Er verliebt sich Hals über Kopf in sie, obwohl sie verheiratet ist. Doch ihr Mann ist verschwunden, wird für tot gehalten, sie scheint in seinem Tod verwickelt, nichts ist klar, alles ist dubios.
Elena hält ihn mal auf Distanz, mal scheint sie seine Gefühle zu erwidern. August ist wie vernarrt, doch eines Tages ist sie plötzlich verschwunden. Gerade, als ihr Ungemach droht wegen des vermutlichen Todes ihres Mannes, der ihr zur Last gelegt werden soll.
August ist sehr empfänglich für Düfte, insbesondere alle Gerüche von Gewürzen, Schokoladen und Konfekt. Bestimmte Düfte wecken ihn ihm Ahnungen, Vorahnungen von baldigem Geschehen ebenso wie Kenntnis von Vergangenheit. Auch ist August ein begnadeter Konfektmacher und findet darin sein Glück. Bis Elena wieder auftaucht…
Der Stil des Romans passt perfekt zur erzählten Zeit, gemächlich, mit ein wenig Wiener Schmäh, mit viel Atmosphäre plätschert er ruhig und unaufgeregt dahin. So entwickelt sich keine Spannung, wohl aber bekommt man viele Bilder geliefert, vom Wien der damaligen Zeit, von der Schokoladen- und Konfektherstellung, von Düften und Gerüchen. Dadurch wird der Roman zäh und klebrig wie Karamell. Ich habe mir oft mehr Tempo gewünscht, hätte gern mehr Handlung und weniger Beschreibung und Erzählen gefunden. So angenehm der Schreibstil von Ewald Arenz auch ist, so sehr geht er zu Lasten des Plots, des Tempos und des Spannungsbogens. Und leider wurde ich auch mit den beiden Hauptfiguren nicht warm. August war mir zu unbedarft und Elena zu steif, zu unnahbar.
Wie die anderen älteren, jetzt, nach dem Erfolg von „Alte Sorten“ und „Der große Sommer“ neu aufgelegten Büchern des Autors, so konnte mich auch dieser nicht ganz abholen und überzeugen.
Ewald Arenz - Der Duft von Schokolade
DuMont, November 2023
Taschenbuch, 272 Seiten, 13,00 €

Bewertung vom 18.12.2023
Der Donnerstagsmordclub oder Ein Teufel stirbt immer zuletzt / Die Mordclub-Serie Bd.4
Osman, Richard

Der Donnerstagsmordclub oder Ein Teufel stirbt immer zuletzt / Die Mordclub-Serie Bd.4


ausgezeichnet

Den ersten Band um den Seniorenclub, der immer donnerstags einen Mord aufklärt, habe ich zwar nicht gelesen, dafür alle anderen. Und dieser neue ist in meinen Augen fast der beste bisherige, hat er doch neben der eigentlichen, spannenden und überraschenden Krimihandlung noch weitere Aspekte, die der Autor mit Feingefühl und Empathie behandelt.
Es ist Weihnachten in Coopers Chase und unsere vier Freunde, Joyce, Elizabeth, Rob und Ibrahim wünschen sich eigentlich nur ein Jahr ohne Mord. Doch natürlich werden ihre frommen Wünsche nicht erhört, im Gegenteil, es ist ausgerechnet ein Bekannter und guter Freund von Elizabeths Ehemann Stephen, der ermordet aufgefunden wird. Kuldesh wird erschossen in seinem Auto auf einem Waldweg gefunden, niemand hat eine Ahnung, was geschehen sein könnte.
Doch der Mordclub, unterstützt wie immer von den befreundeten Polizisten Chris und Donna, kommt recht schnell darauf, dass die Tat im Zusammenhang mit Drogenschmuggel bzw. -handel stehen muss. Nur wie Kuldesh, ein seriöser Antiquitätenhändler, dahinein geraten sein könnte, das ermitteln sie erst nach und nach. Und erleben einige Überraschungen.
Wieder stehen die vier Senioren im Mittelpunkt, wieder haben sie mit ihren eigenen Problemen zu schaffen und wieder geht es auch um die Befindlichkeiten der Kommissare, die nun plötzlich eine Ermittlerin aus anderen Abteilungen vor die Nase gesetzt bekommen.
Und auch diesmal sind in die laufende Handlung hin und wieder die Tagebucheinträge von Joyce eingefügt, die das Innenleben der Protagonisten analysieren und diesen zusätzlichen Tiefgang verschaffen, der diesen Roman zu mehr als einem Krimi macht.
Elizabeths Ehemann Stephen verfällt immer mehr seine Demenz und unausweichliche Entscheidungen stehen an. Denen sich Elizabeth mit der ihr eigenen Härte und Entschlossenheit stellt, die ihr aber doch einiges abverlangen. Doch auf ihre Freunde kann sie sich verlassen. Wie Richard Osman gerade diesen Aspekt, diese Belastung und die emotionale Gratwanderung beschreibt, das ist absolut gelungen. Da wird nichts beschönigt, aber auch nichts verkitscht. Da wird nicht unnötig auf die Tränendrüse gedrückt und genau dadurch wird es so berührend.
Aber auch Ibrahim öffnet sich und man erfährt einiges aus seinem Leben. So lernt man nach und nach die Figuren immer besser kennen und lieben. Und hofft auf noch viele weitere Bände mit dem Donnerstagsmordclub.
Richard Osman - Der Donnerstagsmordclub oder Ein Teufel stirbt immer zuletzt
aus dem Englischen von Sabine Roth
List, November 2023
Taschenbuch, 432 Seiten, 17,99 €