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EOS
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Siegen

Bewertungen

Insgesamt 224 Bewertungen
Bewertung vom 25.05.2020
Margos Töchter
Stephan, Cora

Margos Töchter


ausgezeichnet

Auf der Suche nach Sinn in unruhigen Zeiten
In diesem Buch lernen wir zunächst Jana kennen, eine junge Frau, 34 Jahre, die mit ihrer Familie auf dem Lande in Norddeutschland wohnt und dort glücklich ist. Sie hat den Hof von ihren Großeltern Margo und Henri geerbt. Jana hat einen Antrag auf Stasi-Akteneinsicht gestellt, denn sie möchte mehr über ihre Adoptivmutter Leonore erfahren, die mit 42 Jahren bei einem Unfall ums Leben kam. An einem Samstag bekommt sie per Post die Erlaubnis und ist total aufgeregt. Einerseits freut sie sich, dass es geklappt hat, andererseits hat sie Angst, dass sie dort etwas erfährt, was sie aus der Bahn wirft.
Das Buch präsentiert verschiedene Erzählebenen, die von Jana, Leonore und Clara erzählen. Clara ist eine Genossin aus Ostberlin, mit der Leonore eine Brieffreundschaft unterhielt. Mehr möchte ich hier nicht verraten. Wir erhalten tiefe Einblicke in ihre Lebensgeschichten und sehen sie immer wieder auf der Suche , ihrem Leben einen tieferen Sinn zu geben, egal um welchen Zeitabschnitt es sich handelt.
Da der Schreibstil der Autorin sehr flüssig und leicht ist, befindet man sich sehr schnell im Geschehen, und es lässt einen nicht mehr los. Man möchte immer mehr erfahren und das Buch nicht beiseite legen. Dabei handelt es sich nicht um spannungsgeladene Aktionen, sondern um die Lebensgestaltung und wichtige Entscheidungen der Protagonisten, allen voran Leonore, Clara und Jana, aber auch über Margo erfahren wir rückblickend vieles. Da ich den ersten Teil nicht kenne, konnte ich mir so trotzdem ein Bild von Margo machen.
In meinen Augen sind alle vier sehr starke Frauen, die sich nicht von der Gesellschaft und ihrer Umgebung in eine Rolle zwängen lassen, sondern ihren eigenen Weg rebellisch gehen, der oft nicht mit Rosen gepflastert ist, der aber fast immer eine neue Hoffnung bereit hält. Im Prinzip handelt es sich um eine Familiensaga, mit all ihren beachtlichen Höhen und Tiefen, mit Schicksalsschlägen, die zerstören, aber trotzdem neue Wege aufweisen.
Was mir besonders gut gefallen hat, sind die historischen Rückblicke auf gesellschaftliche Umwälzungen bzw. Bestrebungen im vorigen Jahrhundert, die ich teilweise selbst miterlebt habe: die politische Unterwanderung der Studenten, die RAF, die Umweltprobleme (sterbende Bäume gibt es bereits da schon), die Revolution in der Kindererziehung (Kinderläden!), das vorsichtig aufkeimende Umweltbewußtsein, der Super-Gau von Tschernobyl, 'German Angst' usw.
Mir hat das Buch sehr gut gefallen, es hat mich regelrecht gefesselt, brachte es mir doch viele Erinnerungen zurück an turbulente Zeiten. Aber ich denke, es ist nicht nur für die ältere Generation interessant, sondern auch für die heute jungen Leute, die wahrscheinlich selten so interessante Details einer vergangenen Epoche erfahren. Und wie oft wiederholt sich etwas!

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.05.2020
Wie uns die Liebe fand
Stihlé, Claire

Wie uns die Liebe fand


sehr gut

Das sind zwei Eigenschaften, die Madame Manon zweifellos besitzt und die in ihrer Lebensgeschichte, die sie hier erzählt, immer wieder durchdringen. Madame Nanon, 92 Jahre alt, blickt auf ihr Leben zurück, das nicht immer einfach war, denn ihr Vater wurde als Deserteur erschossen und ihr eigener Ehemann starb relativ früh, so dass sie ihre vier Töchter weitgehend allein großziehen musste. Die alte Dame hat ihr ganzes Leben in Bois-de-Val im Elsass verbracht, einem kleinen Dorf mit 1300 Einwohnern, das sie in ihr Herz geschlossen hat. Ein großer Einschnitt in ihrem Leben passiert, als sie von Monsieur Boberschram, einem Nachbarn, dessen kleinen unscheinbaren Lebensmittelladen geschenkt bekommt. Aus diesem macht sie, zusammen mit ihren Töchtern, einen beliebten Treffpunkt für das ganze Dorf, in dem neben den normalen Dingen elsässische Spezialitäten verkauft werden, und auch eine besondere Erfindung, die sogenannten 'Liebeskugeln', die im Dorf so einiges ins Rollen bringen.
Der Schreibstil der Autorin hat mich sofort angesprochen, denn hier hat man das Gefühl, dass man der alten Dame im Café gegenüber sitzt und sie aus ihrem reichhaltigen Erfahrungsschatz plaudert. Sie schreibt fließend und detailliert. Außerdem spricht sie den Leser öfters direkt an ("....das kann ich Ihnen sagen...."), was dem Buch eine sehr persönliche Note gibt und mit gut gefällt. Außerdem ist da eine Prise Ironie und Selbstkritik, die einem immer wieder ein Lächeln auf die Lippen zaubert. Unterschwellig ist immer ein gewisser Humor vorhanden, fein und witzig, der das Leben nicht so ernst sieht. Es gibt immer einen Weg....
Das ganze Buch drückt die Herzenswärme und die Liebe aus, die von Madame Nan ausgehen und die sie an ihre vier Töchter weitergegeben hat, wenn auch in unterschiedlichen Portionen. Man möchte Mitglied dieser Familie sein, sich in diesem Kreis wohlfühlen. Es ist eine Geschichte voller Liebe, auch wenn mancher Schicksalsschlag beschrieben wird.
Gut gefallen hat mir auch das Lokalkolorit zum Elsass, eine Region, die mir weitgehend unbekannt ist, und der historische Hintergrund, besonders die Vorkommnisse im 2. Weltkrieg, die das Buch ergänzen. Vervollständigt wird dieser Bereich durch einige elsässische Rezepte am Ende des Buches, von denen ich sicherlich mal eines ausprobieren werde.
Das Cover entspricht dem Buch, die bunten Blütenblätter wenden sich alle zur Mitte, wo groß das Wort 'Liebe' steht, wie sich die Bewohner des kleinen Dorfes dem neuen Zentrum zuwenden, wo sie mit Herz und Freundlichkeit empfangen werden.
Ein sehr positives Buch, auch wenn mir ein paar Passagen etwas zu detailliert beschrieben wurden, so dass eine gewisse Langatmigkeit auftrat. Außerdem kommen mir die erotischen Explosionen doch etwas unglaubhaft und übertrieben vor, aber das rechne ich der dichterischen Freiheit zu.
Alles in allem kann ich das Buch empfehlen, es breitet Wohlgefühl aus und beschreibt die Liebe als Mittelpunkt des Lebens.

Bewertung vom 04.05.2020
Die verlorene Tochter der Sternbergs
Correa, Armando Lucas

Die verlorene Tochter der Sternbergs


weniger gut

Unglaubhafte Entscheidungen und fehlende Tiefe
Amanda, eine Jüdin in Berlin kurz vor dem 2. Weltkrieg, hat einen kleinen Buchladen, bis die Nazis ihre Bücher verbrennen. Ihr Mann ist Kardiologe und in Amandas Augen so hoch geschätzt, dass das Paar nicht an Flucht denkt wie viele andere Juden. Im Gegenteil, sie gründen eine Familie und bekommen zwei Töchter. Die Lage wird immer bedrohlicher, Amandas Mann wird interniert, und nun muss Amanda handeln. Geplant ist, dass die beiden Mädchen zu einem Verwandten nach Kuba geschickt werden, während Amanda zunächst in Frankreich bei einer Bekannten der Familie unterkommt. Kurz bevor das Schiff den Hafen verlässt, entscheidet Amanda, nur ein Kind an Bord zu schicken und das andere nach Frankreich mitzunehmen. Wie kann eine Mutter eine solche Entscheidung treffen?
Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich noch ein spannendes und emotionsgeladenes Buch erwartet, aber ich wurde enttäuscht. Was nun folgt, ist eine Aneinanderreihung vieler Geschehnisse, die aber im Sande verlaufen, für die man keine Erklärung findet und die viele Fragen offen lassen. Zunächst nimmt man noch an, dass der Autor später wieder auf die Ereignisse zurückkommen wird, aber eindeutig Fehlanzeige! Wir lernen Menschen kennen, erfahren aber nicht, was aus ihnen wird, wir erleben Situationen, die ohne weiteres Hintergrundwissen einfach unverständlich sind und wir erleben Entscheidungen, die nicht nachvollziehbar sind.
Auf diese Weise kommt keine emotionale Bindung an die Protagonisten auf, und selbst die geschilderten Gräueltaten der Nazis nimmt man nur als Sachverhalt wahr, ohne wirklich Entsetzen zu empfinden. Die Personen sind farblos dargestellt, ohne wirkliche Höhen und Tiefen, eher ergeben sie sich willenlos ihrem Schicksal. Das macht das Buch spätestens nach dem ersten Drittel langatmig und lässt keine Leselust aufkommen. Schade! Teilweise sind in meinen Augen die Kinder nicht altersgemäß geschildert, sie wirken wie frühreife Erwachsene.
Vieles wird ausschweifend erzählt, hat aber keine Bedeutung für die Gesamthandlung, z.B. das Herumstöbern der Kinder im Kloster, während historisch bedeutende Entwicklungen, wie z.B. die Arbeit der Résistance in Frankreich, nur gestreift werden. Das lässt mich unzufrieden zurück.
Was ich positiv finde, ist die Recherche des Autors zum historischen Hintergrund, was auch im Anhang Erwähnung findet, und auch die Idee der Einbettung der Erlebnisse in eine aktuelle Rahmenhandlung. Aber leider ist die Umsetzung in meinen Augen misslungen.
Ich gebe zwei Sterne für die Idee und die Historie, mehr ist nicht drin, da letztendlich doch alles sehr an der Oberfläche bleibt und nicht weiter verfolgt wird.

Bewertung vom 26.04.2020
Das wirkliche Leben
Dieudonné, Adeline

Das wirkliche Leben


sehr gut

Wir begegnen in diesem Buch einer Familie, in der das Zusammenleben auf falschen Bahnen läuft. Der Vater, Buchhalter in einem Vergnügungspark, liebt die Jagd und den Whisky, aber leider nicht seine Familie, was seine Frau hautnah zu spüren bekommt. Die Mutter, Hausfrau, liebt ihre Tiere und bringt hier deutlich mehr Fürsorge auf als für die Menschen um sie herum, sie fügt sich in ihre Opferrolle. Das Mädchen, überdurchschnittlich begabt, sieht ihre Mission darin, ihren jüngeren Bruder Gilles bei Laune zu halten und ihm die von den Eltern vorenthaltene Zuneigung zu schenken.
Zunächst fand ich das Mädchen genial, denn sie war die einzige in der Familie, die sich nach einem tödlichen Unfall des Eismannes, den ihr kleiner Bruder miterlebte, um ihn kümmerte, ihn ablenken wollte und versuchte, seinen Schockzustand zu durchbrechen. Ich hielt sie für stark und empathisch, was sich später aber wandelte in eine gehörige Portion Egoismus und Gleichgültigkeit. Sie beobachtet sehr viel Unrecht, unternimmt aber nichts dagegen, obwohl sie meiner Meinung nach geistig dazu in der Lage wäre. Sie sieht, dass ihr Bruder Tiere quält, unternimmt aber nichts. Sie sieht die Ungerechtigkeit, die ihrer Mutter widerfährt, steht ihr aber nicht bei, sondern sieht in ihr nur eine stumpfsinnige Amöbe. Als sie dann schließlich noch einen jungen Familienvater verführt, war meine Bewunderung ganz dahin, so dass ich mich schließlich fragte, ob dies noch realistisch ist....
Zweifel an der Nachvollziehbarkeit der Geschichte kamen mir auch in anderen Szenen des Buches, besonders als das Mädchen selbst in die Opferrolle fällt. Die geschilderten Grausamkeiten fand ich äußerst brutal und skrupellos, teilweise regelrecht blutrünstig. Für meinen Geschmack zu viel! Hier hätte ich mir auch gefühlsmäßig mehr Tiefgang gewünscht, denn es kann doch nicht sein, dass ein verletzter und gedemütigter Teenager gleich am nächsten Tag wieder zum Alltag zurückkehrt und von einer Zeitmaschine träumt. Schließlich ist mir auch die Symbiose zwischen Gilles und der ausgestopften Hyäne zu abstrus.
Der Schreibstil ist flüssig, aber irgendwie bedrückend, was in großartiger Form die Trostlosigkeit der Gesamtsituation ausdrückt. Allerdings fand ich manche Wörter abstrus, z.B. 'Geschmeiss im Kopf', was nicht zu meinem Sprachgebrauch gehört. Vielleicht ein Problem der Übersetzung?
Eine weitere Stärke der Autorin liegt darin, Atmosphäre zu schaffen: im dunklen Wald hört man regelrecht die angstvollen Herzschläge und sieht die unheilvollen Erscheinungen, am Abendessentisch fühlt man die angespannte Stimmung usw. Auch in das niederdrückende Gefühl im Kadaverzimmer konnte ich mich gut hineinversetzen.
Alles in allem habe ich das Buch zwar mit Spannung gelesen, fand aber einige Szenen zu brutal und unrealistisch, so dass ich es nur eingeschränkt empfehlen kann.

Bewertung vom 05.04.2020
Das kann uns keiner nehmen
Politycki, Matthias

Das kann uns keiner nehmen


ausgezeichnet

Dieses Buch beschreibt keine Bergsteigertour! So hatte ich es nämlich ursprünglich erwartet, ich wurde aber eines besseren belehrt, denn in meinen Augen beschreibt das Buch eine erstaunliche Persönlichkeitsänderung.
Hans hat den Kilimanjaro bestiegen und möchte eine Nacht im Krater campieren, um dort nach langen Jahren endlich mit einer privaten Geschichte abzuschließen, die einen deutlichen Schatten über sein Leben geworfen hat. Sein Entsetzen ist groß, als er sieht, dass er dort im Krater nicht allein sein wird, weil bereits ein anderer seine Zelte dort postiert hat. Und seine Enttäuschung wird noch größer, als er merkt, mit welch sehr speziellem Charakter er dort oben die Nacht verbringen wird - mit Tscharli.
Und nun setzen zwei Charakterstudien ein, die sehr gegensätzlich sind, die sich durch das ganze Buch ziehen, die einen aber in ihren Bann ziehen und die schließlich zu einer Symbiose führen, die man nicht erwartet hätte. Sehr detailliert und in vielen Beispielen führt der Autor uns die verschiedenen Charaktere vor Augen, der eine oberflächlich, frivol, gewöhnlich, mit schlechten Manieren - der andere gebildet, zurückhaltend, ernsthaft und nachdenklich. Auch sprachlich stellen sie Gegenpole dar: Hans mit seinem journalistischen Hochdeutsch und Tscharli mit seinen bayrischen Floskeln, die keine Grammatik kennen.
Was man nicht für möglich hält, nimmt seinen Lauf: die beiden kommen sich immer näher, gehen eine Symbiose ein und erzählen sich Dinge, die man nur mit besten Freunden teilt. So erfährt Hans dann auch, dass Tscharli sehr krank ist und sich in Afrika noch einen letzten Sehnsuchtstrip erfüllen möchte. Er möchte mit dem Motorrad quer durch Sansibar cruisen. Und Hans soll ihn begleiten! Tscharli klammert sich regelrecht an ihn, nur mit ihm möchte er sein Leben abschließen.
Somit beginnt das zweite Highlight des Buches: eine sehr dichte und atmosphärische Beschreibung Afrikas und seiner Bewohner. Durch detaillierte Beispiele und kleine Szenen auf Märkten, in Kneipen, Restaurants usw. bekommen wir ein Bild der Lebensfreude, der Farbvielfalt und der Vielfältigkeit geliefert, das mir sehr gut gefallen hat.
Etwas hat mich das gesamte Buch hindurch genervt: das permanente Ignorieren der Rechtschreibreform bezüglich 'ß'. Es gibt einfach kein 'daß' mehr, aber in diesem Buch finden wir es zuhauf!
Trotzdem habe ich das Buch sehr gerne gelesen, bisweilen war es sogar richtig spannend. Deshalb möchte ich es weiterempfehlen und vergebe fünf Sterne.

Bewertung vom 20.03.2020
Der freie Hund / Ein Fall für Commissario Morello Bd.1
Schorlau, Wolfgang;Caiolo, Claudio

Der freie Hund / Ein Fall für Commissario Morello Bd.1


weniger gut

Ich muss ehrlich sagen, dass ich von diesem Buch mehr erwartet habe. Die Leseprobe war vielversprechend: ein italienischer Krimi, der in Venedig spielt, untermalt von dem Ärger um die riesigen Kreuzfahrtschiffe, die der Lagunenstadt Umweltprobleme bescheren.
Inhaltlich geht es um Commissario Morello, der von Sizilien nach Venedig versetzt wird, um ihn vor der Mafia zu schützen, denn ihm ist ein großer Coup gegen sie gelungen, und man trachtet ihm nach dem Leben. Nachdem er zunächst auf Sizilien in einer Kaserne untergebracht und bewacht wurde, wird er nun nach Norden versetzt, denn die Mafia mordet nur in ihrem Heimatbereich. Morellos Empfang in Venedig ist unterkühlt, seine neuen Kollegen mögen den Sizilianer nicht als neuen Chef, sie hatten sich selber auf der Karriereleiter klettern sehen. Venedig wiederum gefällt Morello nicht, denn Massentourismus und Umweltverschmutzung durch die Vielzahl an Kreuzfahrtschiffen bestimmen das Stadtbild. Kurz nach Morellos Ankunft wird ein Umweltschützer ermordet, der sich für ein Verbot der riesigen Luxusliner in Venedig eingesetzt hat. Der Kommissar beginnt mit den Ermittlungen....
Und diese Ermittlungen plätschern so vor sich hin, irgendwie kommt keine Spannung auf. Es gibt zwar Verdächtige mit Mordmotiv, aber die Motivation mitzurätseln blieb aus. Die vielen Verhöre waren eher langatmig und nicht ergiebig. In meinen Augen war die Krimihandlung nebensächlich. Im Vordergrund stand viel Lokalkolorit, was ich durchaus informativ und interessant fand, was aber die Spannung nicht erhöhte. Die Problematik der Kreuzfahrtschiffe hätte intensiver behandelt werden können. Dagegen war die Beschreibung der kulinarischen Genüsse in der venizianischen Küche sehr detailliert, in meinen Augen zu sehr ausgedehnt, denn ich wollte kein Kochbuch lesen.
Überhaupt hatte ich das Gefühl, dass viele Szenen einfach Seitenfüller waren und das Handlungsgeschehen nicht beeinflussten, so z.B. Morellos heimliche Reise nach Sizilien. Anderes erschien mir unrealistisch, z.B. die Massage auf der Fähre.
Der Schreibstil ist einfach gehalten, kurze und klar überschaubare Sätze. Dazwischen immer wieder italienische Sätze, teilweise leider ohne Übersetzung. Und dann dieses ständige 'Cazzo', dessen Bedeutung ich erstmal nachschlagen musste.
Der Hauptprotagonist Morello ist ein sagenhafter Heldentyp, ihm gelingt einfach alles, außerdem hat man den Eindruck, dass er auf seine neuen Kollegen hinabschaut, da sie an seine Genialität nicht heranreichen. Die anderen Figuren finde ich eher blass und Claudio sogar unglaubwürdig.
Alles in allem konnte mich das Buch nicht überzeugen, zumindest nicht als Kriminalroman. Lokalkolorit und die dadurch entstehenden Impressionen von Venedig haben mir gefallen, besonders die amüsante Beschreibung der Touristenströme. Einen weiteren Band dieser Reihe brauche ich nicht.

Bewertung vom 11.03.2020
Der Gin des Lebens / Kulinarische Kriminalromane Bd.1
Henn, Carsten Sebastian

Der Gin des Lebens / Kulinarische Kriminalromane Bd.1


ausgezeichnet

Die Suche nach dem Gin des Lebens
In letzter Zeit entwickelt sich der Gin immer mehr zum Kultgetränk (man schaue nur einmal in die Angebote führender Getränkemärkte!), und in meinen Augen ist dieses Buch auf dem Weg, ein Kultbuch für Gin-Fans zu werden, denn es verdeutlicht, wie die Suche nach DER einen unnachahmlichen und umwerfenden Zusammensetzung des Getränks zum Lebensinhalt werden kann.
Grundsätzlich geht es in diesem Buch um die Aufklärung eines Mordes, der in Cathys Garten geschehen ist, direkt vor ihrem Gartenhaus, in dem sie heimlich herumexperimentiert, um einen unübertrefflichen Gin zu destillieren. Cathy betreibt einen Bed&Breakfast Place in Plymouth an Englands Südküste. Auch ihr Vater war auf der Suche nach dem perfekten Ginrezept, und Cathy möchte sein Werk nun fortsetzen.
Der zweite Hauptprotagonist ist Bene, ein junger Deutscher, dessen Vater ihm eine Flasche selbst erzeugten Gin hinterlassen hat. Diese Flasche wurde jahrelang nicht beachtet, aber als Bene sich aus Liebeskummer betrinken möchte, sieht er den richtigen Zeitpunkt gekommen, die Flasche Gin anzubrechen. Der Gin übertrifft alle seine Erwartungen, und voller Enthusiasmus versucht er, die verloren gegangene Rezeptur ausfindig zu machen. Die Spur führt ihn nach Plymouth, wo er sich bei Cathy einquartiert, da auch sein Vater dort öfters zu Gast war. So kreuzen sich nun die Wege der beiden Gin-Begeisterten, und eine turbulente Handlung mit vielen Überraschungen beginnt.
Der Mord steht weitgehend im Hintergrund, obwohl hier einige kriminelle Machenschaften aufgedeckt werden, aber man vermisst hier auch keine direkte Ermittlungsarbeit, weil die Handlungen der agierenden Personen so kurzweilig sind, dass man an den Todesfall kaum noch denkt.
Der Schreibstil ist so bildhaft und humorvoll in seinen Ausführungen, dass es eine Freude ist, das Buch zu lesen. Auch eine Menge treffender Zitate schmücken die einzelnen Kapitel. Die Bildhaftigkeit zeigt sich auch in der Beschreibung der durchweg skurrilen Protagonisten. Sie alle zeichnen sich durch irgendwelche absurden Gewohnheiten, ungewöhnliche Hobbys oder überaus seltsame Verhaltensweisen aus. Ein Genuss, darüber zu lesen! Man hat unwillkürlich ein Grinsen im Gesicht. Aber es gibt sie wirklich diese krassen Typen! Man setze sich nur mal in einen Pub und verhalte sich als stiller Beobachter.....
Darüber hinaus habe ich sehr viel gelernt, über Gin, Botanicals, Destillation usw., was bei mir ein deutliches Interesse geweckt hat, mich intensiver damit zu beschäftigen und den ein oder anderen Gin mal zu probieren, um Botanicals und Störer zu schmecken, den Charakter zu erkennen und Rezepte auszuprobieren. Von letzteren finden sich auch einige am Ende des Buches.
Auch das Cover ist bemerkenswert, mit hervorgehobenem Print und farblich ansprechendem Drink. Außerdem in den Umschlagseiten eine Landkarte der örtlichen Begebenheiten.
Alles in allem finde ich das Buch äußerst gelungen: spannend, unterhaltsam, informativ, berührend und fesselnd. Es hat die höchste Sternchenzahl verdient, und ich werde es gern weiter empfehlen.

Bewertung vom 03.03.2020
Palast der Miserablen
Khider, Abbas

Palast der Miserablen


ausgezeichnet

Ein Leben voller Entbehrungen im Irak
Der Junge Shams Hussein lebt mit seiner Schwester und seinen Eltern in einem kleinen Dorf im Südirak und bekommt dort die Auswirkungen des Saddam-Regimes bereits zu spüren. Nach einer gescheiterten Rebellion gegen den Diktator wird das Leben immer unerträglicher, so dass die Familie beschließt, alles aufzugeben und nach Bagdad zu ziehen, in der Hoffnung auf ein friedlicheres Leben. Doch sie kommen vom Regen in die Traufe, denn nachdem sie vorerst bei Bekannten unterkommen, was aber auf Dauer nicht in Frage kommt, bauen sie sich eine Blechhütte nahe der Müllkippe im 'Blechviertel'. Das Leben bleibt entbehrungsreich trotz ständiger Bemühungen der ganzen Familie, der Armut zu entkommen. Aber auch politisch wird die Lage immer bedrohlicher, und besonders Shams bekommt dies aus nächster Nähe mit. Er hat kaum Zeit für Hobbys, da er neben der Schule, die ihn vor dem Soldatwerden bewahren soll, auch ständig Geld verdienen muss. Sein einziger Lichtblick als junger Mensch sind Treffen mit literatur- und kunstbegeisterten jungen Leuten und die zahlreichen Bücher, die er verschlingt, um seiner eintönigen und grauen Welt zu entkommen. Die jungen Leute treffen sich im 'Palast der Miserablen', ein privater Salon, und hier bekommt Shams Einblicke politischer und kultureller Art, die vorher von ihm ferngehalten wurden und zu denen seine Familie keinen Zugang fand.
In einem zweiten Erzählstrang befindet sich ein Häftling zunächst in einer 6-Mann-Zelle unter schlimmsten Bedingungen, zieht dann um in eine Einzelzelle auf einer Krankenstation, wo es ihm zunächst relativ gut geht, da er genug zu essen bekommt, die Zelleneinrichtung komfortabler ist und er auch medizinisch behandelt wird, da er starke Beschwerden hat. Aber plötzlich fällt der Strom aus, die Versorgung wird reduziert und er vegetiert vor sich hin......
Das Buch hat mir tiefe Einblicke in das Leben im Irak unter Saddam gegeben, was ich mir so auch gewünscht hatte, so dass ich nach der Lektüre sehr zufrieden bin. Was für ein entbehrungsreiches Leben, und trotzdem immer wieder das ÜBERleben! In unserer westlichen Konsumgesellschaft kann man sich schwer vorstellen, welche beängstigenden und bedrohlichen Situationen ein Mensch durchstehen kann....für uns ist es unvorstellbar, unter solch ärmlichen Bedingungen und unter ständigem politischen Druck zu leben.
Die Atmosphäre des Buches ist niederdrückend und trotzdem keimt immer wieder Hoffnung auf, und in meinen Augen hat Abbas Khider dies in seinem Roman gut zum Ausdruck gebracht. Es war immer eine gewisse Spannung da, man fragte sich oft: wie geht es denn nun weiter? Auch im zweiten, deutlich knapperen Erzählstrang, war ich gespannt, was den Häftling als nächstes erwartet. Und am Ende schließt sich auch der Kreis der beiden Handlungsstränge.
Der Schreibstil ist flüssig und gut verständlich. Der Autor benutzt eine einfache Sprache, ohne Verschnörkelungen, was meiner Meinung nach aber gut zum Inhalt passt, denn auch das geschilderte Leben ist bescheiden, sogar armselig und auf jeden Fall schmucklos. Auch die grausamen Foltermethoden verdienen keine ausgeschmückte Sprache.
Shams Hussein ist mir sympathisch, denn er ist familienzugewandt, sensibel, ausdauernd, verantwortungsvoll und hilfsbereit, was unter den geschilderten Lebensumständen nicht selbstverständlich ist. Ganz besonders gefällt mir sein Mut, sich auch mal gegen die diktatorischen Gesellschaftsregeln zu stellen.
Insgesamt hat mir das Buch gut gefallen, es hat meine Erwartungen erfüllt und verdient aus meiner Sicht die volle Sternewertung.

Bewertung vom 26.02.2020
Nach Mattias
Zantingh, Peter

Nach Mattias


ausgezeichnet

Die Spuren, die man im Leben hinterlässt
Mattias ist tot. Er war noch jung. Er hinterlässt eine Lücke. Wieso starb er so jung? Wer ist von seinem Tod berührt? Woraus besteht die Lücke?
Zunächst dachte ich, dass Mattias einen Fahrradunfall hatte, denn sein Rad wird zu seiner Freundin Amber gebracht, die es zunächst ins Wohnzimmer stellt und mit ihren Gedanken um Mattias kreist. Erst viel später erfahren wir den wahren Sachverhalt, der sein Leben beendete. Bis es soweit ist, lernen wir einige Menschen kennen, die intensiv oder nur peripher mit Mattias Kontakt hatten. Teilweise überschneiden sich diese Kontakte, und man erfährt immer mehr über Mattias Lebensgestaltung, seine Verhaltensmuster und seine Charakterzüge. Aus der zunächst völlig unbekannten Person entsteht so nach und nach das Bild eines jungen Mannes, der deutliche Spuren im Leben hinterlassen hat, und diese Spuren sind so positiv, dass man eine Ahnung davon bekommt, wie groß die hinterlassene Lücke ist.
Zentrales Thema dieses Romans ist aber nicht die Trauer, sondern eher ein Appell für mehr Empathie und Mitmenschlichkeit, denn dadurch werden Spuren gelegt, die über den Tod hinaus bleiben. Das wird deutlich durch die Zeugnisse der Menschen, die Matthias Weg kreuzten. Was wirklich zählt ist nicht der Intellekt des einzelnen, sondern das was er in der Erinnerung hinterlässt. Diese Abdrücke machen das Menschsein aus. So erinnert sich seine Mutter Kristianne zurück an ihr Leben mit Mattias und spürt dabei immer wieder seine Einfühlsamkeit auf.
Und auch ein anderes Thema tritt deutlich zutage: die Einsamkeit eines jeden Individuums. Alle Menschen, die uns in diesem Buch begegnen, stehen damit in Kontakt, selbst wenn sie zu zweit zusammen leben, wie die Großeltern von Mattias. Ein Gefühl von Verlassenheit ist allgegenwärtig. Keiner bleibt davon verschont.
Aber die aufgeführten Personen geben sich nicht ihrer Einsamkeit hin, sondern sie versuchen, jeder auf seine Weise, dagegen anzugehen, um nicht zu versinken. Jeden Tag leben, so wie er kommt, und fühlen, was Menschsein ausmacht.
Mich hat dieses Buch sehr berührt und nachdenklich gemacht. Ich kann es jedem empfehlen, um zur Ruhe zu kommen und über den Sinn der menschlichen Existenz nachzudenken. Das Buch hat 5 Sterne verdient!

Bewertung vom 16.02.2020
Tiefer Fall / Doggerland Bd.2
Adolfsson, Maria

Tiefer Fall / Doggerland Bd.2


gut

Es ist Weihnachtszeit auf Doggerland, als Leser stellt man sich eine schön verschneite Landschaft und ein gemütliches Beisammensein der ganzen Familie am warmen Feuer vor. Aber dies gefällt der Kommissarin Karen Eiken Hornby in diesem Jahr nicht, denn sie leidet noch unter den Auswirkungen des vorigen Falls, der wohl ziemlich gefährlich war und seine Spuren bei der Ermittlerin hinterlassen hat, sowohl körperlich als auch psychisch. Sie ist noch krank geschrieben, aber fühlt sich in dieser Situation nicht wohl, denn ihr ist nicht nach Feiern und ihre Familie geht ihr auf die Nerven. Deshalb nimmt sie dankbar an, als ihr Chef sie beauftragt, in einem Mordfall auf der nördlichsten Insel Noorö zu ermitteln. Sie beendet ihren Krankenstand und sucht Ablenkung in der Arbeit.
Dies ist der 2. Band der Doggerland-Trilogie, und nachdem ich so viele gute Rezensionen über den ersten Band gelesen hatte, wollte ich die Reihe unbedingt kennenlernen. Leider wurden meine hohen Erwartungen nicht erfüllt, denn ich fand das Buch recht langatmig. Bei diesem Kriminalroman liegt der Akzent eher auf 'Roman' als auf 'Krimi'. In meinen Augen läuft der eigentliche Fall so nebenher ab, während anderes im Vordergrund steht, wie z.B. der physische und psychische Zustand der Ermittlerin. Auch die häusliche Gewalt, die Eikens Freundin erleidet, nimmt sehr viel Platz ein und war für mich aufwühlender als der Mord, obwohl nach kurzer Zeit noch ein weiterer Mann getötet wurde. So richtig spannend wurde es erst in der zweiten Hälfte des Buches, besonders gegen Ende. Vorher plätschert die Handlung so dahin, und es passiert nichts Spektakuläres.
Man kann miträtseln, wie die beiden Morde zusammenhängen und wer der Täter ist, und hier sind auch falsche Spuren gelegt, was die Handlung zeitweise interessanter macht, aber im Vordergrund steht doch immer wieder die Befindlichkeit Eikens. Natürlich ist es unterhaltsam, etwas über das Privatleben der Protagonisten zu erfahren, aber bitte nicht so vorherrschend.
Die Hauptcharaktere sind mir nicht wirklich sympathisch, denn sie wirken oftmals schlecht gelaunt, problembeladen und erledigen ihre Arbeit nur unlustig. Dies trifft auch auf die Ermittlerin Eiken zu, denn sie ist oftmals unwirsch in ihrem Verhalten gegenüber anderen, und private Probleme sind ihr wichtiger als ihre Arbeit. Sie wirkt oftmals destruktiv und sucht die Abgeschiedenheit.
Positiv sind die intensiv atmosphärischen Beschreibungen der Autorin, sowohl der Landschaft als auch der verschiedenen Gefühlsebenen der Protagonisten. Ich konnte mir die Landschaft vor meinem inneren Auge perfekt vorstellen, was direkt zu Beginn einsetzte, als Frederic von seiner Schwester gesucht wurde. Aber auch personenbezogene Angstsituationen konnte ich gut nachempfinden.
Insgesamt fand ich das Geschehen gut durchdacht, logisch konstruiert, und alle Fäden wurden am Ende zusammengeführt. Für mich blieb keine Frage offen. Außerdem ist der Anlass für die Morde nicht alltäglich, was mir gut gefällt.
Ich hätte mir den Roman komprimierter gewünscht, weniger Privatleben, mehr Spannung, denn das Grundkonzept ist eindrucksvoll. Schade, mein Fazit: drei Sterne.