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Blubie
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Schönau

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Insgesamt 199 Bewertungen
Bewertung vom 12.07.2022
Leciejewski, Barbara

Wer, wenn nicht wir


ausgezeichnet

Nachdem ich "Fritz und Emma" so sehr gemocht habe, war mir klar, dass ich nach und nach alle Bücher von Barbara Leciejewski lesen muss.
"Wer, wenn nicht wir" ist ein absoluter Wohlfühlroman rund um ein unwohliges Thema: Trennung nach 25 Jahren Beziehung.
Beim Lesen habe ich mich oft dabei ertappt, darüber nachzudenken, was ich alles doof mache in meiner Beziehung, wie oft man nicht mehr so aufmerksam ist... Opfer des Alltags?
Dieses Buch kommt daher wie eine Frischzellenkur. Ehe muss nicht zwangsläufig im Alltag versinken.
Leciejewski versteht es ganz wunderbar Menschen zu beobachten, dadurch gelingt es ihr immer wieder sehr glaubwürdige Charaktere zu erschaffen, die liebenswert menschlich sind mit all ihren guten Eigenschaften aber auch ihren kleinen Schwächen.
Ich mochte das Buch sehr und es hat mir - nebst Abba-Ohrwürmer - unterhaltsame Stunden geschenkt, und vor allem hat es mir meine beiden Rhodos Urlaube zurück gebracht. Perfekte Urlaubslektüre, die ich wärmstens empfehlen kann!

Bewertung vom 08.07.2022
Oliver, Sophie

Grandhotel Schwarzenberg - Der Weg des Schicksals / Die Geschichte einer Familiendynastie Bd.1


ausgezeichnet

Ich bin mittlerweile sehr vorsichtig, wenn es um historische Erzählungen geht, da ich leider schon oft über schlecht recherchierte und unlogische Machwerke gestolpert bin, die mich fassungslos zurückließen.

Bei Sophie Oliver kann man sich bedenkenlos zurücklehnen und einfach abtauchen in die Geschichte. Wie schon bei den "Radioschwestern" (als Eva Wagendorfer), ist auch hier sorgfältig recherchiert worden, die historischen Ereignisse sind korrekt. Das Setting ab 1905 greifbar geschildert und sprachlich angepasst.
Es macht soviel Freude sich in diese Erzählung fallen zu lassen. Dieses Buch hat einfach alles was ein gutes Buch braucht: toll ausgearbeitete Charaktere, ein spannender Plot, authentische historische Atmosphäre und eine Umgebung die man vor seinem geistigen Auge förmich sieht.
Ich habe beim Lesen alle Emotionen durchlebt, die man als Leser durchleben kann - inklusive Hand vor den Mund "Oh nein!" ausrufend.
Für mich völlig unüblich, habe ich noch vor dem Ende des ersten Bands den zweiten und dritten bestellt, die ich nun sehnsüchtigst erwarte, weil ich dringend weiterlesen will.
Tolle Autorin - tolles Buch. Mein eindringlichste Leseempfehlung!

Bewertung vom 06.07.2022
Lüthi, Monika

Lautlos wie dein Verschwinden


ausgezeichnet

Puuuh, das war Spannung pur. Gleich mal vorweg: das ist nichts für frische Mamis oder Schwangere.
Wir begleiten die frisch gebackene Mama Isabel, die uns aus der Ich-Perspektive und Jetztzeit vom Verschwinden ihrer sechs Monate alten Tochter berichtet. Wir sind mittendrin im emotionalen Höllenritt und das ist schweißtreibend.
Auch wenn ich mich nicht zu jederzeit mit Isabel identifizieren konnte, Monika Lüthi hat ein glaubwürdiges Szenario erschaffen, bei dem man eine wahre Achterbahn der Gefühle durchlebt. Aus der Hand legen konnte ich das Buch kaum... auch wenn mir schon relativ früh klar wurde, was da passiert sein mag. Das Warum und einige Wendungen im Plot ließen die Spannung bis zum Ende bestehen.
Ein Psychodrama das sich sehen lassen kann

Bewertung vom 30.06.2022
Bernstein, Lilly

Findelmädchen


sehr gut

Wir schreiben das Jahr 1955 und die deutschen Geschwister Helga und Jürgen, die als Findelkinder in den Nachkriegsjahren in Frankreich von Pflegeeltern großgezogen wurden, bekommen Post vom Roten Kreuz: ihr leiblicher Vater ist aus der russischen Gefangenschaft zurückgekehrt. Der Verbleib der Mutter ist seit den Besatzungsjahren ungeklärt.
Die beiden kehren als Teenager in ihre Heimatstadt Köln zurück und für sie beginnt ein neues ungewohntes Leben, inmitten der teils immer noch ausgebombten Stadt, durch die aber bereits der Wind der Wirtschaftswunderjahre weht.

Es ist eine hochdramatische, emotionale und teilweise so berührende Geschichte, dass man zwischendurch tief durchatmen muss. Vor allem die Schilderungen innerhalb eines Waisenhauses, in dem Helga ihr Praktikum absolvieren muss, sind kaum auszuhalten und gehen stark an die Nieren.
Innerhalb des fast 600 Seiten starken Romans werden viele Dinge angesprochen, die ich so gebündelt in einem Buch selten erlebt habe: Rassismus gegenüber Besatzerkinder, die Stellung der Frau in den 50er Jahre, emotionale Entfremdung innerhalb der Familie, Wohnungsnot etc.pp
Großartig recherchiert und glaubwürdig vor die Kulisse der wiederauferstehenden Stadt Köln gesetzt.

Ich war noch nie in meinem Leben in Köln, schon gar nicht in den Nachkriegsjahren... aber ich konnte es sehen und spüren. Auch die Zeit der 50er Jahre hat Lilly Bernstein authentisch - ohne viel Schnickschnack zu benutzen - beschrieben. Aber es sind nicht (nur) die verklärten Petticoat- Polkadots - Rock'n Roll 50er Jahre, sondern auch die ungeschönten Dinge: Gesinnungsaltlasten aus dem Krieg, immer noch zerstörte Stadtteile, der Stellenwert der Frau - um nur einige zu nennen.

Ich habe dieses Buch im wahrsten Sinne des Wortes "verschlungen" und konnte es einfach nicht aus der Hand legen. Ich war wütend, ich habe gelächelt, fast geweint... alle Emotionen durchlebt, die man durchleben kann....
leider auch Verwirrung, zumindest auf den letzten 80 Seiten. Was auch immer da mit Lilly Bernstein passiert sein mag, aber man rutscht auf den letzten Seiten auf einer kitschigen Glitzerwolke dem Finale entgegen, dagegen verblasst in einem amerikanischen Weihnachtsfilm jedes einzelne Zahnpastalächeln.
Da das Buch aber davor meisterlich recherchiert ist und großartige Charaktere und glaubwürdige Atmosphäre hervorgebracht hat, kann man das leicht entgleiste Ende gut wegstecken... einen Punkt Abzug muss ich aber leider dennoch geben. Dennoch eine sehr empfehlenswerte Lektüre.

Bewertung vom 29.06.2022
Reichlin, Linus

Señor Herreras blühende Intuition


ausgezeichnet

Leo Renz, ein deutscher Schriftsteller, sucht Entschleunigung in einem andalusischen Kloster Aber er sucht auch Inspiration für sein neues Romankonzept.
Dort stösst er nicht nur auf Ruhe, sondern auch auf den ehemaligen Matador Herrera, der Klosterkoch und für die Belange der Retreatgäste zuständig.
Kochen kann er nicht, weswegen Leo für die Dauer seines Aufenthalts ständig mit dem Essen hadert, aber Herrero hat eine blühende Fantasie und sehr schnell findet Leo Renz sich fernab von Ruhe und Entstressung in einem turbulenten Verwirrspiel um Mafia, Zeugenschutzprogramm und wild gewordenen Taxifahrer.
Beim Lesen hatte ich ein fettes Dauergrinsen im Gesicht, weil dieses Chaos einfach super spaßig ist... ein wenig hat es mich an die französischen Komödien meiner Kindheit erinnert. Und irgendwie würde ich eine Verfilmung dieses Romans sehr begrüßen.
Dieses Buch ist kurzweilig und köstlich und läßt sich gut in einem Rutsch weglesen.

Bewertung vom 27.06.2022
Franko, Mikita

Die Lüge


ausgezeichnet

Was für ein starker Debütroman des jungen Autors Mikita Franko. Der Klappentext verrät eigentlich schon das Wichtigste.
Ein Interview bei queer.de besagt, dass der Autor mit diesem Roman ein wenig seine Vergangenheit verarbeiten wollte - ein trans Junge in Russland. Wie wir aus mittlerweile unzähligen Dokumentationen wissen, hebt sich Russland ganz besonders durch trans- und homophobe Politik hervor.
In diesem Buch erzählt rückblickend der Protagonist Mikita davon, wie er als Kind nach dem Tod seiner Mutter von seinem Onkel aufgenommen wird, der in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebt.
Dementsprechend gestaltet sich auch der Schreibstil, man erlebt die Geschichte seiner Entwicklung aus der Sicht eines Kindes und später eines Teenagers und das fühlt sich ungemein authentisch an.
Dieses Buch beschönigt nichts, überdramatisiert meines Erachtens aber auch nicht. Man ist gefangen in der Erzählung über eine grausame Gesellschaft, Liebe innerhalb der Familie, Alltagsprobleme und Probleme in der Pubertät... und zu keinem Zeitpunkt fragt man sich: "Was geht das mich an?"
Denn blicken wir den Tatsachen ins Auge: Homo- und Transphobie und Probleme der sexuellen Selbstfindung während der Pubertät sind leider keine russlandspezifischen Probleme.
Ein extrem berührender und sehr empfehlenswerter Roman, übersetzt von Maria Rajer.

Bewertung vom 27.06.2022
Leuthner, Aja

Via Torino


weniger gut

Ich wollte das Buch wirklich gerne mögen, schon allein weil mich das Cover umgeworfen hat und der Plot im Klappentext neugierig machte.
Aber das Buch konnte mich in keinster Weise erreichen, für mich blieben die Protagonisten flach und nichtssagend.
Das Flair Italiens stellte sich zu keinem Zeitpunkt bei mir ein... ich fand es eher nervig, dass - obwohl alle Leute miteinander italienisch sprachen - die Autorin zwanghaft ständig italienische Phrasen oder Wörter in die Sätze einbaut, das sollte wohl das italienische Flair (nebst der unzählig konsumierten Espressi) sein. Das hatte einfach bei mir nur den Effekt, dass meine Leselust extrem ausgebremst wurde.
Auch die nie enden wollenden Schilderungen der Arbeiteraufstände im Fiatwerk haben mich letztendlich nur noch paralysiert.
Protagonisten, die mich nicht erreichten, Pseudoitalienisches Flair, das durch Klischees aufgesetzt wirkte... irgendwann war mir der eigentliche Plott dann wirklich sehr egal.
Schade.

Bewertung vom 23.06.2022
Roth, Charlotte

Ich bin ja heut so glücklich


ausgezeichnet

Da ich als Kind und als Teenager super gerne die alten Filme aus den 30er und 40er Jahren gesehen habe, die damals Samstag und Sonntag im Nachmittagsprogramm ausgestrahlt wurden, hat mich das Cover sofort angesprochen.
Renate Müller hatte ich nicht mehr auf dem Schirm, obwohl ich den einen oder anderen Film mit ihr tatsächlich gesehen hatte. Sie gehörte auch nicht zu den legendären Schauspielerinnen mit unvergleichlichem Können. Sie hatte das nette Mädel von nebenan verkörpert.
Dank Charlotte Roth rückt sie aber nochmal in den Fokus, das Buch soll weniger als Biografie denn als Hommage verstanden werden.
Ein trauriges Schicksal, eines von vielen, das dem Naziregime zum Opfer fiel.
Charlotte Roth schafft es, die Zeit der 20er und 30er Jahre wiederauferstehen zu lassen, beim Lesen kann man gut in diese Epoche eintauchen. Schreibstil und Erzählweise sind sehr stimmig.
Wer Bücher über diese Zeit mag ud ein wenig in die Anfänge des Deutschen Films eintauchen möchte, dem kann ich dieses Buch ans Herz legen.

Bewertung vom 20.06.2022
Martin, Stefanie H.

Virginia und die neue Zeit / Die Liebenden von Bloomsbury Bd.1


ausgezeichnet

"Virginia und die neue Zeit" ist der Auftakt der Saga "Die Liebenden von Bloomsbury" und ist den frühen Jahren Virginia Woolfs gewidmet.

Die sogenannten "Bloomsberries" waren eine Gruppierung junger Engländer, die, interessiert an Kunst, Philosophie und Wissenschaft, sich regelmässig zusammenfanden und nicht nur angeregt diskutierten, sondern sich auch über die konservativen Zwänge der englischen Gesellschaft hinweg setzten. Mitbegründerinnen waren die Schwestern Vanessa und Virginia Stephens, später bekannt als Vanessa Bell und Virginia Woolf, die nach dem Tod ihrer Eltern zusammen mit zwei ihrer Brüder in einer Wohngemeinschaft lebten und somit ihren Künsten nachgehen konnten. Eine alleinstehende junge Frau, alleine wohnend - das war damals so gut wie undenkbar.

Stefanie H. Martin fängt gekonnt die Stimmung des beginnenden 20. Jahrhunderts ein, ganz allein durch den stimmigen Schreibstil, ohne ständige Requisitenplatzierung wie es leider einige neuere AutorInnen heutzutage praktizieren. Man taucht in diese Zeit einfach ein und hat ganz klare Bilder vor Augen.
Es ist ein unaufgeregter, gewissenhaft recherchierter und sehr intelligenter Gesellschaftsroman, der eindringlich die Probleme zeigt, die gerade junge Frauen hatten, wenn sie selbständig leben und wirken wollten. Die Dialoge zwischen den "Bloomsberries" während ihrer Treffen sind nicht nur intellektuell, sondern durchaus witzig.

Wer in diesem Buch eine wissenschaftliche Analyse der Woolfschen Literatur sucht wird sicher nicht fündig, aber dafür gibt es ja auch Sachbücher... wer aber ein einfühlsames Porträt der jungen Virginia Woolf und der aufkeimenden Moderne erleben möchte, der wird mit diesem Band seine helle Freude haben. Mit dem Hintergrundwissen habe ich große Lust bekommen eines ihrer Werke zu lesen.
Ich habe die ersten Jahre der jungen Leute im Londoner Stadtteil Bloomsbury sehr genossen und geliebt und freue mich schon auf den zweiten Band, der im Herbst erscheint und der Vanessa Bell gewidmet ist.

Bewertung vom 18.06.2022
Osswald, Max

Von hier betrachtet sieht das scheiße aus


ausgezeichnet

Der Titel hat mich sofort angsprochen und der Klappentext war vielversprechend, zugegeben die Idee ist nicht ganz so neu, man findet sie auch schon bei Jules Verne (Die Leiden eines Chinesen in Chna) und Aki Kaurismäki (I hired a contract killer).
Ben Schneider ist 29 und hat von seinem Leben - ein typisches Hamsterrad - die Nase gestrichen voll. Er beschließt über seinen Dealer einen Auftragskiller via Darknet zu buchen, da er für einen klassischen Selbstmord einfach nicht mutig genug ist. Er hat 50 Tage Zeit bis ihn der Auftragskiller erwischen kann.
Wir ahnen natürlich was passiert.... aber wie alles passiert ist mehr als lesenswert.
Max Osswald ist Comedian, aber ein Buch schreiben kann er ganz offensichtlich auch. Den Comedian merkt man, allerdings kommt der Humor nicht pointenhaft rüber, sondern ist gekonnt gesetzt ohne dem doch recht ernsten Thema Depression und Lebensmüdigkeit respektlos gegenüber zu treten.
Der Leser taucht von Anfang an tief in die Gedanken Bens ein und man spürt ganz deutlich diese Leere, diese Sinnlosigkeit. Man kann sich mit Ben identifizieren, seine Gedankengänge gut nachvollziehen und jubelt bei vielen bissigen Seitenhieben gegen die kaputte Gesellschaft innerlich mit.
Unaufdringlich philosophiert Ben, entweder alleine in seinen Gedanken oder zusammen mit Emma, die er zufällig kennenlernt, die seine Sicht auf das Leben nochmal gehörig verändert.

Ein wirklich gelungener Debütroman, der meines Erachtens alles erfüllt, das man sich als Leser wünscht: Humor, Intelligenz, einen sympathischen Protagonisten und gute kurzweilige Unterhaltung.
Ich jedenfalls nehme etwas nach dem Lesen mit: Lebe immer so, als hättest du nur noch 50 Tage zu leben.