Benutzer
Benutzername: 
hamburger.lesemaus
Wohnort: 
Bargfeld-Stegen

Bewertungen

Insgesamt 461 Bewertungen
Bewertung vom 03.05.2024
Russo, Richard

Ein Mann der Tat


ausgezeichnet

EIN MANN DER TAT
Richard Russo

Wie auch im letzten Buch „Ein grundzufriedener Mann“ schickt uns Richard Russo nach North Bath, Upstate New York, wo wir erneut die „etwas speziellen“ Einwohner der Kleinstadt treffen.

10 Jahre ist es her, dass Sully seine 3er Wette gewonnen hat. Erst dachte er, dass es ein einmaliger warmer Regen sei, doch dann hielt die Glückssträhne an und bescherte weitere Geldregen.

Eine Glückssträhne zu besitzen kann in Bath jedoch nicht jeder von sich behaupten:
Carls Firma ist mittlerweile bankrott, seine Frau ist ihm davongelaufen und gerade hat er eine Prostata Operation hinter sich, die ihm wiederum sein bestes Stück "außer Gefecht“ gesetzt hat.
Derweil beschäftigt sich Chief Raymer mit ganz anderen Dingen: Er trägt stets einen Garagenöffner mit sich herum - immer in der Hoffnung, die dazu passende Garage zu finden, die sich mit diesem öffnen lässt. Erst dann weiß er, mit wem ihn seine Ehefrau betrogen hat.
Janeys gewalttätiger Ex ist aus dem Gefängnis entlassen und will nicht begreifen, dass sie nichts mehr mit ihm zu tun haben will.
Ach, ich könnte euch jetzt noch etwas von Schlangen, Grabschändung, Ehebruch, Blitzeinschlägen, Scheidungen und einem abgerissenen Ohr erzählen, aber liest dieses Buch doch am besten selbst!

Russo ist ein Meister der Erzählkunst.
Mit leicht sarkastischen Humor und unglaublich detailverliebt beschreibt er das Leben in einer Kleinstadt.
Ich habe mich ein weiteres Mal bestens unterhalten gefühlt und kann es kaum erwarten, bis der neue Russo „Von guten Eltern“ am 15. Mai erscheint, in dem ich hoffentlich Sully und Co in North Bath erneut treffen werde.

Große Leseempfehlung für diejenigen, die große Erzählkunst schätzen.

Bewertung vom 29.04.2024
Pauly, Anne

Bevor ich es vergesse (MP3-Download)


sehr gut

BEVOR ICH ES VERGESSE
Anne Pauly

Anne steht mit ihrem Bruder am Krankenhausbett und packt die wenigen Sachen ihres gerade verstorbenen Vaters zusammen.
Dabei gehen ihr Tausende Fragen im Kopf herum. Hätte sie sich öfter oder intensiver um ihn kümmern müssen?

Ihr Vater war ihr nah. Sie empfand ihn als gerecht, sensibel, als einen nachdenklichen und schweigsamen Mann. Man konnte sich bei ihm sicher fühlen - zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als sich die Gewalt und der Alkohol bei ihm einschlichen.
Andere sagen, dass sie sich ihren Vater schön redet, dass er es im Leben übertrieben hätte, dass er nicht immer gut war. Ja, das stimmt, aber zwischen seinen Besäufnissen nahm er sie in den Arm.

Anne organisiert die Beerdigung und versucht das Haus ihres verstorbenen Vaters auszuräumen, dabei muss sie sich ihren Gefühlen stellen. Viele Dinge, die sie bereits vergessen glaubte, kommen zurück in ihr Bewusstsein.
Schöne Lebenssituation, aber auch Begebenheiten, die besser verborgen geblieben wären.

Es ist eine Geschichte über Trauer und deren Bewältigung.

Ich durfte das Buch lesen und hören und möchte direkt vorab die ganz wunderbare und passende Stimme von Wiebke Puls erwähnen.
Der Schreibstil der Autorin gefiel mir sehr, nur selten war er mir zu minutiös.

Ich hatte mit Rückblicken in das Leben ihres Vaters gerechnet - einem Potpourri aus bunten Geschichten und Erinnerungen.
Das ich mit Anne gemeinsam eine Beerdigung organisieren, an dem ausführlichen Gottesdienst für ihren Vater teilnehmen und im Anschluss mit ihr ein ganzes Haus entrümpeln würde, war mir vorher nicht bewusst.
Mein Fehler - vielleicht sollte ich endlich beginnen, mehr als nur die ersten zwei Sätze der Buchbeschreibung zu lesen.

Doch nur weil ich falsche Erwartungen hatte und der Inhalt des Buches nicht zu einhundert Prozent meins war, heißt es nicht, dass dies ein schlechtes Buch ist und deshalb gebe ich gerne eine Leseempfehlung für alle, die Trauergeschichten mögen.

Bewertung vom 26.04.2024
Magee, Michael

Close to Home


ausgezeichnet

CLOSE TO HOME
Michael Magee

Obwohl der 22-jährige Sean einen Bachelor in englischer Literatur hat, findet er keine Arbeit. Er wäre schon mit einem Job in einem Café zufrieden, doch der Arbeitsmarkt in Nordirland ist tot. Und so hängt er ab - wohnt in einer verschimmelten Wohnung, die eh bald zwangsgeräumt wird, zieht sich Koks-Linien rein und besäuft sich mit seinen Kumpels fast täglich.
Das ganze eskaliert, als er einen jungen Mann bewusstlos und krankenhausreif prügelt und vor Gericht kommt.

Die Nachwirkungen des Nordirlandkonflikts sind in Belfast allgegenwärtig: Väter und Mütter sind seit Jahren arbeitslos, die häusliche Gewalt und der Alkoholmissbrauch sind enorm. Selbst die junge Generation, die den Konflikt wenn überhaupt nur am Rande miterlebt hat, ist ohne Perspektive. Schlecht bezahlte Aushilfsjobs ohne Krankenversicherung und Urlaubsanspruch, Drogenexzesse und Kneipeneskalationen sind an der Tagesordnung.

„Ich hatte es selbst gesehen, aber ich hätte niemals vor irgendwem ein Wort darüber verloren, selbst wenn er es wüsste oder genauso gesehen hätte. Denn wenn man über die Ma oder den Da von jemanden redet und von den Nöten, die sie oder er mit sich rumträgt, dann redet man über sie alle, und meistens auch über die eigenen, und schlimmer, als den Da von irgendwem an der Ecke vor dem Schnapsladen rumlungern zu sehen, wo er auf jemanden wartet, der für ihn reingeht, weil er Hausverbot hat, oder die Ma von jemanden um drei Uhr nachmittags hinten in einen aufgemotzten Supra steigen und ein paar Stunden später so wiederkommen zu sehen, dass sie kaum noch stehen kann, ist nur, es als das zu hinzunehmen, was es ist, und nicht als etwas, was man hin und wieder aus dem Augenwinkel sieht und ignoriert, so gut es geht“. (S. 195)

Es geht um das trostlose Leben in Nordirland, wo nicht nur Arm und Reich die Gesellschaft spalten, sondern auch die Nachwirkung mit all seinen Traumata, die die IRA mit dem Nordirlandkonflikt hinterlassen hat, und um den Weg, den man finden muss, um dort herauszukommen.

Ob Sean den Weg findet, müsst ihr selbst herausfinden.

Wow, was für ein weiteres großartiges Buch aus dem Hause Eichborn. Ich muss es ja zugeben, aber das Cover hat mich abgeschreckt. Niemals hätte ich vermutet, dass sich ein Highlight hinter diesem Gebiss verbirgt.
Michael Magee hat ein erschütterndes und eindringliches Debüt geschrieben. Dabei hat er die Charaktere und das Set so gnadenlos ehrlich gezeichnet, dass ich gefühlt auf jeder Party dabei war.
Für mich hätte das Buch noch gerne 500 Seiten mehr haben dürfen, zu gerne hätte ich Sean weiter begleitet.

Supergroße Leseempfehlung von mir! Und alle, die Shuggie Bain geliebt haben, werden dieses Buch verschlingen.
5+/ 5

Bewertung vom 24.04.2024
Herbing, Alina

Tiere, vor denen man Angst haben muss


sehr gut

TIERE VOR DENEN MAN ANGST HABEN MUSS
Alina Herbig


Madeleine zog als 6-Jährige mit ihrer Familie von Lübeck in die mecklenburgische Provinz. Die Mauer war gerade gefallen und ihre Mutter wollte vor dem westlichen Kapitalismus fliehen.
Ihr Vater, einst Grüne-Vorsitzender in Lübeck, hatte nichts dagegen, war aber auch nicht dafür.
Sie kauften einen baufälligen Hof ohne fließend Wasser. Die Küche bestand aus einem alten Ofen und im Garten gab es ein Plumpsklo.
Für eine Renovierung fehlte das Geld, doch das störte nicht, denn Mutter fand die vier Kinder eh zu verwöhnt. Regenwasser könne man ja auch abkochen und trinken.
Ein Jahr später verschwand erst der Vater, dann die Brüder - zurück blieben nur sie, Mutter und ihre jüngere Schwester Ronja ...

Heute hatte sich die Wohnsituation nicht verändert, außer dass im Laufe der Jahre Tiere eingezogen waren. Im „Katzenzimmer“ leben Wildkatzen und die alte Auslegware stinkt unerträglich nach Urin. Diverse Hunde findet man im ganzen Haus - auf dem Tisch, im Bett der Mutter oder auf der Fensterbank, wo sie die Scheiben zerkratzen. Außerdem gibt es Ziegen, Wildschweine, Ratten und Hunderte von Mäusen, die die Holzbalken der Scheune anknabbern.
Während das vernachlässigte Haus nicht beheizt wird, die Mädchen frieren und nichts zu Essen haben, kümmert sich die Mutter liebevoll und aufopferungsvoll um alle Tiere. Wegen ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit bei einer Tierorganisation ist sie selten zu Hause und überlässt die Mädchen sich selbst.
Doch statt sich aufzulehnen und sich über die Vernachlässigung zu beschweren, halten die Mädchen zusammen und übernehmen Verantwortung.

Ganz wunderbar hat es Alina Herbig verstanden, Charaktere und einen Lebensumstand zu beschreiben, bei dem sich mir die Nackenhaare aufstellen. Ich hatte das Gefühl, vor Ort zu sein. Sah den Hof direkt vor mir, konnte den Katzenurin förmlich riechen. Die Kälte war so eindringlich beschrieben, dass ich mir hier im 36 Grad warmen Thailand fast eine Wärmflasche gemacht hätte. Ganz wunderbar.
Außerdem habe ich den lieben Ton zwischen den Geschwistern geschätzt. Nur das Ende hätte ich mir anders gewünscht.

Fazit:
Ein Buch, das zum Nachdenken anregt und ich sehr gerne gelesen habe.
4/ 5

Bewertung vom 22.04.2024
Suter, Martin

Allmen und Herr Weynfeldt / Johann Friedrich Allmen Bd.7


sehr gut

ALLMEN UND HERR WEYNFELDT
Martin Suter

Johann Friedrich von Allmen, kurz Allmen genannt, ist ein charmanter Lebemann, der einst ein Vermögen besaß, eine Villa bewohnte und nie auf Geld achtete.
Zu Allmens Leidwesen ist von seinem Vermögen nichts geblieben - alles ist verbraucht - was ihm im übrigen nicht daran hindert, das mittlerweile geliehene Geld mit vollen Händen auszugeben - da kann eine Flasche Wein schon einmal 1000 Franken kosten …
Zum Glück darf er in Restaurants anschreiben und ihm fallen einige Tricks ein, wie man Leute dazu bringt, ihn einzuladen. Der sympathische Allmen ist so gewandt, dass zu guter Letzt immer ein warmer Regen kommt, der ihm Geld in die Taschen spült.
In diesem Roman lernt er Herrn Adrian Weynfeldt kennen. Ein aparter Herr, der die gleichen Dinge wertschätzt, wie er selbst und zum Glück steinreich ist.
Einige Tage später, nach einer Dinnerparty, wird Herrn Weynfeldt ein Gemälde eines großen Meisters gestohlen. Da trifft es sich hervorragend, dass Allmen mit seinen Latino-Hausangestellten Maria und Ehemann Carlos eine Firma betreibt, die sich "Allmen Int. Inquiries" nennt.
Gerne nimmt Allmen die Untersuchung auf, um das gestohlene Gemälde zu finden, doch leider steht der engste Freundeskreis von Herrn Weynfeldt im Fokus seiner Ermittlungen, was wiederum Herr Weynfeldt nicht besonders wertschätzt ...

Wenn Martin Suter einen Krimi schreibt, kann dieser nur elegant, charmant und sehr fein sein.
Das ganze Buch lebt von dem geschmeidigen Charakter Allmens, der sich so gar nicht um seine Finanzen und seine veränderte Lebenssituation kümmert. Ein Genussmensch durch und durch, der einen eloquenten Geschmack für einen guten Tropfen besitzt und das macht ihn in meinen Augen noch sympathischer.
Wer allerdings Spannung sucht, der ist hier falsch. Einen Spannungsbogen gab es nicht und für meinen Geschmack kam auch das Ende ein wenig zu schnell.
Dennoch feinste Kriminalliteratur.
4/ 5

Bewertung vom 19.04.2024
Blöchl, Alexandra

Was das Meer verspricht


ausgezeichnet

WAS DAS MEER VERSPRICHT
Alexandra Blöchl

Vida lebt mit ihren Eltern auf der kleinen Insel N. Ihr Bruder Zander kehrte der Insel vor Jahren den Rücken, ihm war die kleine Insel zu eng geworden; jeder kannte jeden. Geheimnisse wurden mit der ganzen Insel geteilt.
„Es war schwer, ein Geheimnis zu bewahren. Man musste es sehr tief vergraben, damit es kein anderer fand.“ (S. 39)
Aber Vida war anders als ihr Bruder. Die Enge der Insel störte sie nicht und sie hatte auch keine Geheimnisse. Vida war angepasst, lief immer nur auf den ausgetretenen Wegen der anderen und war seit der Schulzeit mit ihrem Jugendfreund Jannis zusammen. Im kommenden Sommer wollen sie heiraten.

Doch Vidas strukturiertes Leben ändert sich abrupt, als Marie in das Nachbarhaus einzieht. Zum ersten Mal in ihrem Leben steht dieses Kopf - ihr Körper und Geist verselbstständigen sich und ihre Gedanken wandern immer wieder zu dieser interessanten Frau, die im Meer mit einem Meerjungfrau Kostüm schwimmt und so ganz frei und unabhängig wirkt. Vida stellt ihr ganzes Leben infrage und tut Dinge, die sie sich nie hätte vorstellen können. Sie erlebt die schönsten Tage ihres Lebens.
Doch dann kehrt Zander auf die Insel zurück und bringt Vidas Leben erneut völlig aus dem Gleichgewicht …
„Wie viel Macht der Schmerz über uns hat. Er bringt uns dazu, uns nur noch auf diesen einen Punkt zu konzentrieren, nichts anderes mehr fühlen, und wenn doch, dann ist es eingehüllt von seinem Schwarz. Er dezimiert uns. Er macht uns zu dem, was wir nie sein wollten." (S. 197)

Was für ein schönes Buch!
Während der Beginn des Buches seicht und langsam plätscherte und mich noch der Geruch des Salzwassers beschäftigte, zog mich Alexandra Blöchl in eine fesselnde Geschichte hinein, von der ich zwei Tage nicht mehr auftauchen wollte.
Das Setting, die Stimmung, das klare Meer, die salzgeschwängerte Luft - all das konnte ich erleben und genießen.
Der Schreibstil ist klar und flüssig, das Ende heftig, denn "Liebe und Hass liegen nah beieinander. So nah, sie könnten Liebende sein.“ (S. 210)

Dieser Roman ist meine Leseempfehlung für euren Urlaub!
5/ 5

Bewertung vom 17.04.2024
Brodeur, Adrienne

Treibgut


sehr gut

TREIBGUT
Adrienne Brodeur

Die Familie Gardner besitzt ein kleines Haus am in Cape Cod. Abby und Ken sind dort aufgewachsen und waren einer der wenigen, die nicht nur für die Sommermonate kamen.
Jetzt lebt Familienoberhaupt und Meeresbiologe Adam dort alleine. Seine Liebe des Lebens, die Künstlerin und Mutter seiner zwei Kinder starb bereits vor 40 Jahren. Er selbst wird bald seinen 70. Geburtstag feiern und da er auch an diesem Tag seine Pension antreten wird, ist es sein größter Wunsch seiner Nachwelt noch eine weitere Entdeckung zu hinterlassen. Zu diesem Zweck setzt er seine Medikamente ab, die seine bipolare Störung normalerweise eindämmen.

Sohn Ken ist ein Paradebeispiel für Amerikas glückliche Familie: Er ist ein erfolgreicher Geschäftsmann, der eine politische Karriere anstrebt. Seine Frau ist ein Organisationstalent und übertrifft ihre Dinnerparties von Mal zu Mal. Ihre Eltern sind reich und unterstützen den Schwiegersohn gerne. Doch auch in dieser heilen Familie gibt es so einige Geheimnisse.

Abby ist Künstlerin und hat das Talent ihrer verstorbenen Mutter geerbt - leider jedoch nicht ihr Atelier. Das ganze Erbe ging an Sohn Ken, und so ist sie noch immer auf die Gnade ihres Bruders angewiesen. Ihre Beziehung zu Bruder Ken war einst sehr intensiv, bis der große Bruch kam. Ihr neuestes Bild stellt ein Trauma der Kindheit dar.

Und dann ist da noch eine Frau auf der Suche nach ihrem biologischen Vater, die andauernd im Dunstkreis der Familie Gardner auftaucht.

Adrienne Brodeur lässt all diese Familienmitglieder und andere Freunde nacheinander zu Worte kommen. Ganz langsam heizt sich die Stimmung auf, bis es am Geburtstag von Adam zu einem großen Eklat kommt.

Ein wirklich gutes Buch, das ich sehr gerne gelesen habe. Die gute Struktur des Buches hat mich über ein paar Klischees hinweggetragen.
4½/ 5

Bewertung vom 17.04.2024
Nielsen, Maja

Der Tunnelbauer (MP3-Download)


ausgezeichnet

DER TUNNELBAUER
Maja Nielsen,
wundervoll gelesen von Mio Lechenmayr und Diana Ganter

… ist die Geschichte zweier Massenfluchten aus der DDR im Jahre 1962 und 1964. Sie wurden als „Tunnel 29" und "Tunnel 57“ bekannt. Die Zahlen bezeichnen die Anzahl der Menschen, die durch diese Tunnel von Ost- nach Westberlin flohen.

1961:
Für Achim Neumann läuft es in Ostberlin richtig gut: Gerade hat er sein Abitur in der Tasche und dann lernt er auch noch Chris kennen und verliebt sich in sie. Demnächst kann er seinen Studienplatz antreten und alles wäre perfekt, wenn das DDR-Regime nicht über Nacht die Mauer baute. Als dann auch noch sein Freund Hartmut fälschlicherweise als Anführer einiger Aufständischer festgenommen und zu 6½ Jahren Zuchthaus verurteilt wird, ändert sich schlagartig sein Leben und er beginnt seine Flucht in den Westen zu planen.
Doch in Westdeutschland angekommen, merkt er schnell, dass er seine Freunde und Familie vermisst, allen voran Chris.
Er schließt sich einer Gruppe Fluchthelfern an, die einen Tunnel von West nach Ost graben wollen.
Das Unterfangen ist schwierig, da die Stasi ihre Informanden überall hat.
Ob Achim es schafft, seine Familie und Chris in den Westen zu holen, hört ihr euch am besten selber an.

Was für eine spannende Geschichte. Selten habe ich so mitgefiebert wie mit Achim.
Kaum vorstellbar ist es, wie Achim und seine Mithelfer viele Jahre in wechselnden Schichten an diesen Tunneln arbeiteten; immer mit der Angst im Nacken entdeckt oder verraten zu werden. Auch wenn sie gerade "Schichtfrei“ hatten, durften sie das Gebäude, wo der Tunneleingang sich befand, nicht verlassen. Kontinuierlich wurde das Gebiet im Westen nahe der Mauer von den Grenzsoldaten im Osten beobachtet.

Fazit:
Ein wichtiges Hörbuch, das bereits im Alter ab 13 Jahre gehört werden sollte. Ein wichtiges Stück Geschichte, das nicht in Vergessenheit geraten darf.
Große Hörempfehlung von mir
5/ 5

Bewertung vom 08.04.2024
Jonuleit, Anja

Kaiserwald Bd.1


ausgezeichnet

KAISERWALD
Anja Jonuleit

Allgäu 1998: Penelope ist 8 Jahre alt, als ihre Mutter spurlos verschwindet. Ihr Jeep wurde auf einer Autobahnraststätte gefunden. Ob sie Opfer eines Gewaltverbrechens wurde, ist nicht bekannt. Seit dem mysteriösen Verschwinden wächst Penelope bei ihren Großeltern auf, dabei gibt das junge Mädchen nie die Hoffnung auf, dass ihre Mutter eines Tages zurückkehren wird.

Riga 1997: Rebecca lehrt an dem deutschen Gymnasium Riga Kunst und Deutsch. Erst kürzlich war sie mit ihrem Mann Robert, der auch an der Schule lehrt, und der gemeinsamen Tochter Penelope nach Riga gezogen. Es ist ein neuer weiterer Versuch, ihre Ehe zu retten: Gerüchte hatten sich an der alten Schule verbreitet, dass Robert ein Verhältnis mit einer Schülerin hatte.
Als Georg von Prokhoff, Vater der sehr talentierten Schülerin Xenia, Rebecca Avancen macht, verliebt sie sich Hals über Kopf in diesen. Nicht wissend, dass es in seiner Familie einige Geheimnisse und Disharmonien gibt.

Berlin 2023: Mathilda lauert Falk von Prokhoff auf und fährt ihm mit voller Absicht in die Seite seines schwarzen Mercedes. Zu lange hatte sie versucht, ihn auf normalem Wege kennenzulernen. Jetzt muss sie härtere Geschütze auffahren.

Anja Jonuleits neuester Roman hat mehrere Erzählstränge auf unterschiedlichen Zeitebenen. Erst später führt sie diese geschickt zu einem großen Ganzen zusammen.

Seit ich das Buch „Rabenfrauen“ von Anja Jonuleit gelesen habe, bin ich ein ganz großer Fan dieser Autorin.
Der Schreibstil ist unglaublich flüssig und fesselnd; jedoch sollte man wissen, dass man einige Kapitel braucht, bis man sich eingelesen hat. Wer sich die Zeit nimmt, wird mit einer spannenden Geschichte belohnt.

Mir hat Kaiserwald der Auftakt einer Dilogie, die uns von Riga über Namibia bis ins Allgäu führt, sehr gut gefallen. Ich kann es kaum erwarten, bis der zweite Teil „Sonnenwende“ im Herbst 2024 erscheint.
4½/ 5

Bewertung vom 03.04.2024
Kuang, R. F.

Yellowface


ausgezeichnet

YELLOWFACE
Rebecca F. Kuang
👀
June Hayward ist zum ersten Mal in Athenas Wohnung zu Besuch, als Althena sich an einem Pfannkuchen verschluckt und vor ihren Augen stirbt.
Sie kannten sich seit Jahren, waren aber nie beste Freundinnen, sondern trafen sich gelegentlich in Bars oder Cafés.
Zwischen ihnen stand der große Erfolg Athenas als Autorin und der Neid Junes. Während Junes Debütroman floppte, gewann Athena einen Buchpreis nach dem anderen, und erst heute Morgen hatte sie einen Vertrag bei Netflix für eine Buchverfilmung unterzeichnet.
Aus einem Impuls heraus und wohl wissend, dass Athena nie über ihre unfertigen Buchprojekte sprach, nimmt June ein gerade beendetes Manuskript, das neben der toten Athena auf dem Schreibtisch liegt, an sich. June gibt sich als dessen Autorin aus und redet sich ein, dass das Buch Aufmerksamkeit verdiene, damit die Arbeit Athenas nicht umsonst war. Dabei vergisst sie die „Kleinigkeiten“, nämlich den wahren Namen der wirklichen Autorin hinzuzufügen.
Wie weit June geht, damit der ganze Schwindel nicht auffliegt, müsst ihr selber lesen.

Was für ein faszinierender Roman (in einer wunderbaren Aufmachung)!
Ganz besonders gut gefiel mir der tiefe Eindruck in die Verlagswelt. Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht, wie heutzutage Autor:innen in den sozialen Medien den unterschiedlichsten Meinungen, Hetzkommentaren, Shitstorm, Diskussionen und Plagiat-Vorwürfen ausgesetzt sind. Außerdem war es mir neu, dass es sensuell Readers gibt, die über Texte lesen, um mögliche ethnische Gruppen und Kulturen zu schützen.
Des weiteren muss der Druck, der von den Verlagen und Agenten auf einzelne Autor:innen ausgeübt wird, bis endlich eine neue Buchidee vorliegt, immens hoch sein. Ja, die Verlage kommen in diesem Roman nicht unbedingt gut weg.

Folgende Diskussionen haben mich beschäftigt: Darf eine weiße Frau überhaupt ein Buch über eine andere ethnischen Gruppe, der sie selbst nicht angehört, verfassen?
Ist es diskriminierend oder sogar rassistisch, einer anderen Frau mit einer anderen Hautfarbe ein ehrlich gemeintes Kompliment über ihre Frisur zu machen?

Auch wenn mir unsere Protagonistin nicht sonderlich sympathisch war, haben mich zwei Drittel des Buches fasziniert.
Leider riss dann für mein Empfinden der Spannungsbogen im letzten Drittel ein wenig ab.
Dennoch: Ein sehr gutes Buch, das ich gerne gelesen habe und den wenigen letzten Lesern, die es noch nicht kennen, empfehle. 👀
4½/ 5