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Forti

Bewertungen

Insgesamt 211 Bewertungen
Bewertung vom 03.11.2017
Poschmann, Marion

Die Kieferninseln


sehr gut

Ein deutscher Hochschuldozent reist spontan nach Japan, wo er durch Zufall einen Studenten trifft, der Selbstmord begehen möchte. In der Folge treten die beiden gemeinsam eine Reise durch Japan an.
Eine spannungsgeladene Handlung bietet das Buch nicht - eher stehen die Eindrücke und Gedanken der Langnase Gilbert im Land des Lächelns im Vordergrund. Dabei wird er dem Leser gegenüber zumeist recht allwissend und abgeklärt (für mich auch deswegen unsympathisch) dargestellt, obwohl Japan nach eigener Aussage nie von größerem Interesse (zumindest als Reiseziel) für ihn war. Einerseits erfrischend, mit ihm den Kulturschock Japan nicht so oberflächlich und offensichtlich wie in anderen Büchern zu erleben, andererseits doch auch erstaunlich, wie leicht er auf Anhieb die japanischen Eigenheiten und gesellschaftlichen Regeln versteht - vielleicht manchmal auch etwas unglaubwürdig. Dass er dabei immer etwas außerhalb steht und Land und Leute als Außenstehender beobachtet, ist wiederum realistisch. Insgesamt finde ich die Beschreibung Japan dann aber doch klug.

Zwischendurch dann philosophische Betrachtungen von Flora, Fauna, dem Leben ansich und Lyrik - Bezüge zu den japanischen Dichtern Saigyō und Bashō. Für mich etwas viel, anderen Lesern wird das aber bestimmt gerade gefallen.

Es ist eine seltsame, nicht leicht eingängliche Geschichte. Irgendwie passt diese ungewohnte, fremde Erzählart dann aber doch gut zu Japan! Es lohnt, sich offen auf diesen schmalen Erzählband einzulassen.

Bewertung vom 01.11.2017
Kalfar, Jaroslav

Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt


gut

Der Titel und das Cover haben mich gleich angesprochen. Ich erwartete eine etwas abgefahrene, osteuropäische Geschichte. Daran dass der Autor schon seit seiner Jugend in den USA lebt, soll das auch nicht unbedingt scheitern. Es fing auch vielversprechend an: eine ganz schön absurde Geschichte, die in einer sehr nahen Zukunft angesiedelt ist. Tschechien schickt das erste Mal ein Raumschiff los, besetzt mit nur einem Astronauten. Klar, dass der irgendwann spinnt.

Es war aber selten witzig und auch nicht so absurd, locker und abgefahren, wie ich erwartet (gehofft?) hatte. Das Buch von Jaroslav Kalfař ist oft eher nachdenklich und arbeitet zudem die böhmisch-tschechische Geschichte auf: von Jan Hus über die Wende bis zur Jetzt-Zeit. Der Ich-Erzähler arbeitet in der Einsamkeit des Weltalls seine persönliche (Familien-)Geschichte - wenn nicht sogar die jüngere Geschichte seines ganzen Landes - auf. Das ist zwar interessant, wirkt auf mich aber manchmal etwas lang und schwermütig. Verpackt ist das vom Autor (und Übersetzerin) aber in eine flüssige, gut zu lesende Sprache.

Das Buch war nicht schlecht (keinesfalls!), aber ich hatte etwas anderes erwartet und vielleicht auch deshalb hatte das Buch für mich zwischendurch Längen.
Wenn man sich nicht auf eine phantastievolle Raumfahrtgeschichte einstellt, sondern auf eine Aufarbeitung der neueren tschechischen Geschichte, wird man gut und durchaus ungewöhnlich unterhalten.

Bewertung vom 23.10.2017
Salzmann, Sasha Marianna

Außer sich


sehr gut

Viele sehen bei "Außer sich" die Transgender-Thematik im Vordergrund. Für mich ist aber die sowjetisch-jüdische Familiengeschichte, die über vier Generationen hinweg erzählt wird und einen Hauptteil des Romans ausmacht, fast noch interessanter.

Ali(ssa), die einen ähnlichen biografischen Hintergrund wie die Autorin Sasha Marianna Salzmann hat, ist auf der Suche: vordergründig nach dem verschwundenen Zwillingsbruder, im Grunde aber auch nach der eigenen Identität. Das umfasst nicht nur die geschlechtliche Identität, sondern auch den familiären und kulturellen Hintergrund.

Die Geschichte des ersten Teils (ca. Zweidrittel des Buchs) springt zwischen den Zeiten und Personen hin und her ... ebenso in der Erzählperspektive: ist die Geschichte vorwiegend in der dritten Person verfasst, gibt es doch auch Abschnitte, die von einem Ich-Erzähler erzählt werden. Der zweite Teil des Buches konzentriert sich dann auf die Zeit von Ali und Anton in Istanbul: eine rastlose Suche in einem Land im Umbruch. Die Familiengeschichte Alis, ihre Transgender-Identität, das Leben in der Sowjetunion, das Leben als Migrant in Deutschland und die aktuellen Entwicklungen in der Türkei - hieraus ergibt sich ein thematisch vielfältiger Roman.

Erzählt wird das auch sprachlich außergewöhnlich, in einer oft ganz eigenen Grammatik. Teils abenteuerliche Schachtelsätze und immer wieder eingestreute kyrillisch geschriebene russische Worte und Sätze mögen auf den ersten Blick abschrecken - für mich war es aber ein besonderes Leseerlebnis. Bitte nicht irritiert sein, sondern sich einfach darauf einlassen!

Insgesamt ein beeindruckendes, aktuelles Roman-Debüt! Leseempfehlung!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.10.2017
Hannig, Theresa

Die Optimierer


ausgezeichnet

Die Bundesrepublik Europa im Jahr 2052: eine technisierte, vernetzte Realität, in die der Leser mit dem Hauptprotagonisten Samson eintaucht. Ein Leben zwischen Optimalwohlökonomie, bedingungslosem Grundeinkommen, einer Agentur für Lebensberatung und ständiger Überwachung. Samson ist ein enthusiastischer Bürger dieser Welt, der dann aber in einen Abwärtsstrudel gerät, der sein ganzes Leben umkrempelt. Viel mehr möchte ich hier über die Handlung nicht verraten.

Das Leben außerhalb der BEU (der Zusammenschluss einiger weniger europäischer Staaten) wird nur im Nebensatz erwähnt - auch dies wäre sicher spannend, würde aber ein zu großes weiteres Themenfeld öffnen.

Das Buch regt zum Nachdenken an: Wie wird sich unsere aktuelle technisierte, vernetzte Gesellschaft entwickeln? Wo positioniert man sich hierbei selbst? Welche Möglichkeiten für persönliche Entscheidungen gibt es dabei überhaupt noch? Kann es so kommen, wie im Buch beschrieben?

Ein gelungenes Debüt und eine gut geschriebene Zukunftsvision!

Bewertung vom 12.10.2017
Johnson, Lindsey Lee

Der gefährlichste Ort der Welt


ausgezeichnet

"Das war Mill Valley: Ein Traum, erdacht, um Achtjährige glücklich zu machen." (S. 125) Leider sind die Protagonisten des Buches zwar jugendlich, aber doch älter als acht Jahre und so kann man sich als Leser bei einem Buch mit dem Titel 'Der gefährlichste Ort der Welt' denken, dass es hier um eine amerikanische Kleinstadt geht, in der nicht alles so perfekt ist, wie es oberflächlich gesehen scheinen mag.
Auch wenn meine Jugend anders war als die hier beschriebene, fühlte ich mich aufgrund der guten Beschreibung und der Sprache, die Lindsey Lee Johnson gewählt hat, gleich zurück versetzt in die teils grausamen Teenagerjahre, wo Äußerlichkeiten und die Meinung anderer so wichtig sein können.
Über den Inhalt möchte ich hier möglichst wenig verraten - nur soviel: der Klappentext umfasst ungewöhnlicherweise den Anfang und das Ende des Buches. Das Buch spielt also komplett in der Schulzeit: 8. bis zum Schulabschluss in der 12. Klasse. Beschrieben wird aus einzelnen, ganz unterschiedlichen Blickwinkeln einiger Schüler dieser Abschlussklasse. Man lernt die einzelnen Jugendlichen in diesen verhältnismäßig kurzen Abschnitten intensiv kennen.

In seinen einzelnen Geschichten ist das Buch nichts neues - vieles habe ich so oder so ähnlich schon gelesen oder etwas in Serien oder Filmen gesehen. In seiner Gesamtheit ist Johnsons Buch aber eine komprimierte Darstellung der (möglichen) Probleme Jugendlicher der amerikanischen weißen Mittel- bis Oberschicht. Vor allem ist es recht aktuell - so mag Facebook, das von den Protagonisten des Buches ausführlich genutzt wird, bei den Jugendlichen 2017 schon wieder out sein, aber dafür gibt es neue Medien mit ähnlichen Dynamiken, die derzeit genutzt werden. Das Internet, das nie vergisst, ist in immer neuen Formen ein Aspekt, der das Erwachsenwerden heute stark beeinflusst.

Es ist eine Blase, in der die Protagonisten leben - das wird vom Buch nicht verschwiegen. Armut, Rassismus, Terrorismus - das findet hier alles nicht statt. Dennoch geht es um Themen, die die meisten Jugendlichen in der wohlhabenden westlichen Gesellschaft betreffen. Interessant ist dieser Focus auf die wohlhabende, weiße Oberschicht, in Zeiten, in denen sich die Medien häufig eher auf die Erforschung des wütenden, unterprivilegierten weißen Mann (der potentielle Wähler des orangen Mannes) konzentrieren, wenn es um gesellschaftliche Zustände in den USA geht.

Es sind wohl nicht nicht dringlichsten Probleme der USA, die in diesem Buch behandelt werden, aber ich finde es eine durchaus lesenswerte, aktuelle Lektüre, die zum Nachdenken und Verstehen anregen kann. Auch wenn es manchmal wie ein Jugendbuch anmutet, sehe ich die Zielgruppe doch eher bei Erwachsenen.

Bewertung vom 04.10.2017
O'Donnell, Tom

Hamstersaurus Rex


sehr gut

Empfohlen ist das Buch von Tom O'Donnell, das in einer sechsten Klasse spielt, für Jungen ab 9 Jahren. Auch wenn ich fest zugeschriebenen Geschlechterrollen eher skeptisch gegenüber stehe, vermute ich, dass "Hamstersaurus Rex" tatsächlich eher Jungen anspricht als Mädchen, aber ich frage mich, ob 9 Jahre nicht zu jung für dieses Buch ist.

Der Ich-Erzähler Sam nimmt sich des Klassenhamsters an. Wie sich herausstellt, hat das Tier, das er liebevoll 'Hammy Rex' nennt, einen mehr als gesunden Appetit auf Fastfood und mutiert vom niedlichen Nager zu einem (mehr oder weniger) furchteinflössenden Dinosaurier-Hamster. Dass diese Verwandlung, die Sam versucht geheim zu halten, für allerlei Verwicklungen und kuriose Situationen sorgt, kann man sich ja denken.
Der Schulalltag und die Unterichtsthemen sind sehr amerikanisch. Das Thema genmanipulierte/genmanipulierende(?) Lebensmittel eines Großkonzerns ist ungewöhnlich und vielleicht etwas ambitioniert für ein Jugendbuch. Allerdings wird es ohne erhobenen Zeigefinger und nicht belehrend umgesetzt, was ich wiederum passend finde. Trotzdem liest sich das für mich teilweise recht gewöhnungsbedürftig - wie die jungen Leser damit umgehen, ist vermutlich auch typabhängig.

Teilweise ist es witzig geschrieben. Die jungen Leser sind aber durchaus gefordert - es gibt lange Sätze und Fremdworte.

Die Illustrationen von Tim Miller fand ich passend und niedlich bis witzig. Sie sind einfach gehalten, illustrieren den Text aber gut.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.09.2017
Henderson, J. Paul

Der Vater, der vom Himmel fiel (eBook, ePUB)


sehr gut

J. Paul Henderson hat einen ungewöhnlichen, unaufgeregten, liebenswerten Familienroman geschrieben. Ungewohnt für das Genre ist das Hauptaugenmerk auf die Männer der Familie - die Hauptprotagonisten sind allesamt männlich: die Brüder Greg und Billy, ihr Vater Lyl und dessen Bruder Frank. Frauen spielen hier nur eine Nebenrolle. Das ist ungewohnt, aber auch gut und nie klischeehaft männlich.
Das Personal des Romans ist ausnahmslos britisch-schrullig - zu einem großen Teil auch liebenswert und sympathisch. Die kleinen und großen Macken, die gekonnt charakterisiert werden und wobei Henderson genau den richtigen Ton trifft - die Menschen also weder verletzend noch übertrieben beschreibt - sind für mich ein wichtiger Aspekt, der das Buch lesenswert macht.

Nach und nach werden zahlreiche Familiengeheimnisse aufgedeckt - manche eher witzig, manche etwas tragisch. Obwohl das Buch auch traurige Themen behandelt, hält der Autor doch eine Leichtigkeit aufrecht, die den Leser nicht schwermütig werden lässt.

Dabei wird immer stärker die Bedeutung von Familie auch außerhalb der Kernfamilie (Vater, Mutter, Kinder) deutlich gemacht.

Ein schönes britisches Buch - eine lesenswerte Familiengeschichte ohne unnötiges Beiwerk.

Bewertung vom 11.09.2017
Ferrante, Elena

Die Geschichte der getrennten Wege / Neapolitanische Saga Bd.3


ausgezeichnet

Weiter geht es mit der Neapolitanischen Saga! Endlich liegt der dritte von vier Bänden in deutscher Übersetzung vor. Ich empfehle dringend, die Reihe von Anfang an zu lesen und mit 'Meine geniale Freundin' zu beginnen! 'Die Geschichte der getrennten Wege' ist allerdings wohl auch ohne Vorkenntnisse zu verstehen.
Auf den ersten Seiten gibt es wieder eine Zusammenfassung der wichtigsten bisherigen Ereignisse und der handelnden Personen. Das reichhaltigen Personal mit (sich manchmal ähnelnden) Namen und Spitznamen erfordert eine gewisse Konzentration des Lesers, macht für mich aber auch mit den Reiz der Reihe aus.

Italien, Ende der 1960'er Jahre. Die Ich-Erzählerin Elena und ihre Freundin Lila sind Mitte zwanzig, Elena hat ihr Studium beendet und Lila ist Mutter und Arbeiterin in einer Wurstfabrik. So unterschiedlich beider Leben bisher verlaufen sind, so zeigen sich doch auch immer wieder Gemeinsamkeiten. Beide engagieren sich politisch links und für die Gewerkschaft, obwohl sie beide eher zufällig in diese Strömung hineingerutscht zu sein scheinen.
Wie schon im vorangegangenen Band fragt man sich, warum beide an der Freundschaft festhalten, wo doch die Konflikte, Neid und Missgunst die innigen, freundschaftlichen Momente oftmals überdecken. Aber das macht wohl eine Freundschaft fürs Leben aus.

Die Neapolitanische Saga ist nicht nur die Geschichte einer Freundschaft, sondern auch italienische Geschichte. Anhand der Leben von Elena, Lila und der anderen Bewohner des Rione in Neapel wird das Leben im Italien der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit vielen Facetten beschrieben. Im vorliegenden Band sind das die 1960'er und 1970'er Jahre, geprägt von politischen Kämpfen zwischen links und rechts.

Die Geschichte wird von Elena Ferrante im gewohnt ruhigen Ton erzählt, der sehr angenehm zu lesen ist.

Bewertung vom 31.08.2017
Whitehead, Colson

Underground Railroad


ausgezeichnet

Zusammen mit der jungen Sklavin Cora begibt sich der Leser auf die Flucht durch die Südstaaten der USA. Die Handlung spielt (vermutlich) Mitte des 19. Jahrhunderts.

Die titelgebende Underground Railroad, das illegale Netzwerk, das wirklich Sklaven auf der Flucht geholfen hat, wird hier sehr fiktiv und auch nur als Nebenschauplatz dargestellt. Im Buch handelt es sich um eine Eisenbahn, die unter der Erde fährt, was so natürlich nicht geschehen ist. Diese Darstellung ist einerseits etwas schade, da ich gerne mehr über das Netzwerk erfahren hätte, andererseits rücken durch diese fiktive, unaufgeregte Umsetzung die Menschen und die Lebensumstände der Schwarzen in den USA in den Fokus. Das Amerika - vor allem die Südstaaten - vor dem Bürgerkrieg wird hier verdichtet in vielen Facetten dargestellt.

Da die Darstellung der Underground Railroad fiktiv ist, habe ich mich gefragt, wie nah an der Realität die restlichen Schilderungen im Roman sind. Die Sklaverei wird brutaler dargestellt, als ich es je zuvor gelesenen habe - in der Annahme, dass es wirklich verbreitet solche Vorkommnisse gab, wie sie hier beschrieben sind, ist die Darstellung manchmal an der Grenze des Erträglichen. Hier wird nichts geschönt oder ausgelassen. Auch der Alltag der (vermeintlich) freien Schwarzen wird meiner Einschätzung nach mit Alltagsrassismus und Diskriminierungen sehr treffend dargestellt.

Die Wurzeln des Rassismus in den heutigen USA und der dort teilweise immer noch herrschende Rassentrennung wurden für mich durch diesen Roman erklärbar (was beides aber natürlich nicht rechtfertigt).

Definitiv ein lesenswertes Buch! Colson Whitehead hat eine einfühlsame, aber auch spannende Geschichte geschrieben. Für Laien in amerikanischer Geschichte hätte ich mir allerdings noch eine historische Einordnung der wahren Geschehnisse als Nachwort gewünscht.

***

Ein Vergleich zum anderen großen aktuellen Roman über Sklaverei bietet sich hier natürlich an. Yaa Gyasis "Heimkehren" ist in meinen Augen ebenfalls ein grandioses Buch zum Thema, geht dieses aber völlig anders an. Sie setzt in ihrem Roman einen Fokus auf Afrika und die Entwicklung einer Familie über mehr als 200 Jahre, während bei Colson Whitehead sich die Handlung auf die USA und eine einzelne Person bezieht. Der weiße Blickwinkel spielt bei Yaa Gyasi keine Rolle, während Colson Whitehead auch diesen beleuchtet. Ich lege dem interessierten Leser beide Bücher ans Herz.

Bewertung vom 17.08.2017
Gyasi, Yaa

Heimkehren


ausgezeichnet

Yaa Gyasi hat eine ungewöhnliche Familiensaga geschrieben. Gleich zu Anfang, Ende des 18. Jahrhunderts - bei den Halbschwestern Effia und Esi, die sich nie kennenlernen, - gabelt sich die Geschichte in zwei Familienzweige. Die zwei Familien entwickeln sich sehr verschieden: Effias Familie bleibt in Ghana und profitiert vom Sklavenhandel, während Esi in die USA versklavt wird. Kapitelweise wird in jeder Generation ein Mitglied (m/w) pro Familienzweig in den Focus gesetzt. Der Leser begleitet dieses Familienmitglied eine bestimmte Zeitspanne - meist im jungen Erwachsenenalter. Die Familienmitglieder agieren somit selten miteinander, sondern eher nacheinander oder auch ganz unabhängig voneinander. Durch die gleichzeitig intensive wie auch verhältnismäßig kurze Beschäftigung mit den einzelnen Personen, ist es möglich, die über 200-jährige Familiengeschichte auf verhältnismäßig kompakten 416 Seiten zu erzählen.
Obwohl jedem Familienmitglied nur verhältnismäßig wenig Seiten zukommen, sind die Charaktere unglaublich gut gezeichnet. Ich hatte das Gefühl, alle der zwölf sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten wirklich kennengelernt zu haben.
Ein Blick in den Stammbaum, der ganz am Ende des Buches abgedruckt ist, hilft, wenn man zwischendurch den Überblick verloren hat.

Ein wirklich glückliches Leben führt keins der vorgestellten Familienmitglieder. Trotzdem geht es immer weiter - meistens ist auch ein Streben nach einem besseren, glücklicheren Leben zu erkennen.
Das ist alles oft eigentlich recht traurig, aber wirkliches Mitleid kommt nicht auf, da der Text keinen Vorwurf erhebt, gleichzeitig aber auch nicht verharmlost. Der schmale Grad zwischen diesen beiden Sichtweisen ist von der Autorin grandios getroffen.

Eine tolle Geschichte mit unzähligen Aspekten und Facetten: Sklaverei, Ghana, afroamerikanische Geschichte, Familienähnlichkeiten, Identitätssuche und einiges mehr.
Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung!