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Juma

Bewertungen

Insgesamt 163 Bewertungen
Bewertung vom 11.03.2022
Im Rausch des Aufruhrs
Bommarius, Christian

Im Rausch des Aufruhrs


gut

1923 - mehr als nur das Jahr des Hitlerputsches
Ich interessiere mich sehr für die Geschichte des 20. Jahrhunderts. Es gibt einige Schriftsteller, die die Art des "Kalenderschreibens" oder "Jahrbuchschreibens" bereits eingeführt haben. Ich nenne hier Florian Illies, der mit "1913" das erste Buch dieser Art schrieb, das ich gelesen habe. Danach noch einige mehr, nun hatte ich "1923" vorablesen können.
Dieses Buch, die Ereignisse und Begebenheiten nach Monaten geordnet, hat es mir aber doch recht schwer gemacht, durchzuhalten bis zum Schluss. Christian Bommarius schreibt zu den einzelnen Personen und Geschehnissen sehr ausführlich und gewissenhaft. Ein wenig erinnerte mich das an Dissertationen, die sich mit Vehemenz der Thematik zuwenden und nicht damit rechnen, dass auch Leser diesen Text konsumieren könnten, die nicht so tief in der Materie stehen. Für mich blieb in der Fülle der Informationen der Unterhaltungswert stecken, so dass ich die eine oder andere Seite sogar überblättert habe.
Trotzdem habe ich für mich Neues und Interessantes entdeckt und auch gern gelesen. So zum Beispiel über die Besetzung von Rheinland und Ruhrgebiet, mein Vater wurde 1911 in Hamborn (heute Duisburg) geboren, er erlebte als Arbeiterkind mit fünf Geschwistern die Armut, den Hunger, die Inflation, den Kappputsch und die schwierigen Verhältnisse machten ihn zum Kommunisten.
Wenn wir heute auf die Tanksäule schauen und ob der nach oben gehenden Preise den Kopf schütteln, denke ich an die Brotpreise, die Bommarius in seinem Buch zu einer Art "Barometer" der Inflation macht.
Eine weitere Geschichte, die mich sehr interessierte, war die von Maximilian Harden, über den ich so ausführlich noch nichts gelesen hatte.
Das Buch bietet einen weiten Überblick, zeigt die Widersprüchlichkeit der Entwicklung in Deutschland nach dem ersten Weltkrieg. Aus meiner Sicht ein gutes Nachschlagewerk für Geschichtsinteressierte.
Übrigens: das Cover passt hervorragend in die Zeit, das Buch hält aber nicht ganz das Versprechen einer unterhaltsamen Lektüre. Es ist doch eher eine wissenschaftliche Art des Herangehens, auch wenn einige Ironie eingeflochten wurde.

Bewertung vom 25.01.2022
Der letzte Sommer in der Stadt
Calligarich, Gianfranco

Der letzte Sommer in der Stadt


ausgezeichnet

Sehr melancholische Lebens- und Liebesgeschichte

Die Leseprobe ließ mich etwas ratlos zurück, der Beginn des Romans las sich flüssig und der romantische, melancholische Stil machte mich neugierig, obwohl nicht zu erahnen war, wohin die Geschichte führt.
Als das Buch kam, war ich schon vom Äußeren total begeistert. Der warme Farbton des Schutzumschlags, der junge Mann über der im Dunst liegenden Stadt Rom, einfach ein Buch zum Zugreifen.
Ich las das ganze Buch wie in Trance, Rom war einer der "Hauptdarsteller", wie ein Film mit einem magischen Ambiente umfing mich das Gefühl der Stadt. Ich fragte mich tatsächlich, wie jemand, der Rom, die Piazza Navona, die Piazza del Popolo, die traumhaften Gassen, die sieben Hügel, den Lärm, den Gestank der Vespas, die verlotterten Toiletten in den Cafés, die schwatzenden Leute und die Geschäfte, die überquellen von bunten, teuren, schicken Sachen, wie jemand, der all das nie gesehen hat, dieses Buch aufnimmt. Denn sich in Leo Gazzaro hineinzuversetzen, der mit gerade mal dreißig Jahren daherkommt wie in einer schweren Midlifecrisis, der sich in die verrückte, sensible Arianna verliebt und doch nicht richtig verliebt ist, der mit dem Arbeiten so seine Probleme hat und mit der Freizeit auch, das ist trotz des einschmeichelnden Stils gar nicht so leicht.
Trotzdem kommt man nach ein paar Seiten nicht mehr los von diesem Buch, die Probleme, die Leo sieht, die er hat und die ihm das Leben schwer machen, sind greifbar. Seine Fahrt in die Heimatstadt Mailand, das Beobachten seiner Eltern, ohne sie - es ist Weihnachten - zu besuchen, das ging mir unter die Haut.
Auch der Tod seines Freundes ist ein Gewicht, das Leo hinabzieht, und dann ist da immer wieder Arianna, die er plötzlich wiedertrifft und sie doch nicht haben kann, denn sie lebt mit einem anderen und will heiraten. Leo ist am Ende, er sieht in seinem Leben nur eine überflüssige Zeit, die er verbringt. Sehr, sehr traurig, trotzdem sehr, sehr schön geschrieben.
Dass dieses Buch bereits 1973 erstmals erschienen ist, lässt einen verwundert auf das Rom von heute und die Leute um die 30 von heute blicken. Hat sich irgendetwas geändert in 49 Jahren? Ja, heute hätte jede Figur im Buch ein Handy am Ohr und zu dem Lärm in Rom käme das ständige Klingeln der Smartphones und das ununterbrochene Brabbeln, Schwatzen, Schreien der Telefonierenden hinzu. Aber sonst? Rom ist eine ewige Stadt, sie bleibt Rom bis ans Ende ihrer Tage. Dieser Roman setzt auch ihr ein Denkmal. Brillant.

Bewertung vom 03.06.2021
Tod auf Madeira / Comissário Torres Bd.1 (eBook, ePUB)
Bento, Tomás

Tod auf Madeira / Comissário Torres Bd.1 (eBook, ePUB)


gut

Laura, eine Schriftstellerin in der Ehekrise und mit leichtem Burnout landet in der Madeira-Reisegruppe ihrer besten Freundin Britta. Es soll sie ablenken vom untreuen Ehemann und auf andere Gedanken bringen. Brittas Plan geht auf, obwohl die Reisegruppenteilnehmer schon recht gewöhnungsbedürftig sind. Aber solange Laura interessantes "Material" wittert, nimmt sie das gelassen hin. Doch schon bei der ersten großen Wanderung geht etwas gehörig schief, Stefan stirbt vor aller Augen an einem anaphylaktischen Schock. Klar wird auf den ersten Blick nur: Schuld ist der Kuchen, es waren wohl Erdnüsse drin. Damit beginnt das Drama der Suche, zuerst nur nach einem Schuldigen, dann nach einem Mörder, denn alles deutet darauf hin, dass Stefan der Kuchen absichtlich verabreicht wurde und sein Notfallset spurlos verschwunden ist. Laura wird vom portugiesischen Kriminalkommissar mir nicht, dir nichts zur Dolmetscherin gemacht und so bekommt sie einen guten Einblick in die Arbeit der Polizei und die unterschiedlichsten Charaktere ihrer Reisegruppe und des Hotelpersonals. Als dann Britta als Verdächtige verhaftet wird, ist es aus mit Lauras Zurückhaltung, sie fühlt sich gezwungen, selbst zu ermitteln. Was dabei herauskommt und wer der Täter ist, verrate ich natürlich nicht.
Die Geschichte gestaltet sich unterhaltsam und abwechslungsreich, das Buch liest sich schnell und leicht. Mich störten die vielen, sich oftmals wiederholenden Klischees, egal ob es um den Alkoholiker Philip oder die schwer melancholischen Portugiesen - inklusive Kommissar Torres - geht, und andauern gibt es Bica oder Poncha. Was mir aber gefallen hat, waren die Beschreibungen Madeiras; das passt auch zum schöner Coverfoto. Für mich ein echter Anreiz, dort einmal hinzufliegen. Fazit: unterhaltsame Urlaubslektüre.