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YukBook
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München

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Insgesamt 308 Bewertungen
Bewertung vom 23.06.2021
Schairer, Florian; Wollen, Vera; Schuchmann, Manfred

Die schönsten Städte Europas


sehr gut

Als großer Fan von Städtetrips war ich sehr gespannt auf die akustische Reise von Amsterdam bis Zürich. Die beigelegte hübsch gestaltete Karte und das Booklet stimmen auf die bevorstehenden Reisestationen ein.

Startpunkt ist Kopenhagen, wo wir uns auf die Spuren des Architekten Arne Jacobsen begeben, der mit seinen Möbeln und Gebäuden das dänische Design stark geprägt hat. Während ich bei der Beschreibung schwedischer Zimtschnecken in Urlaubserinnerungen schwelgte, lernte ich im Osten Europas viel Neues kennen wie die Weißen Nächte in Sankt Petersburg oder die Studentenstadt Breslau.

Statt bekannte Sehenswürdigkeiten abzuklappern, wählen die Autoren ganz unterschiedliche Themen und Blickwinkel als Aufhänger, was mir sehr gut gefiel: z.B. Dubrovnik als Schauplatz der Serie 'Game of Thrones', den Gewürzhandel in Hamburg oder die Beatles in Liverpool. Sie gehen auch auf problematische Entwicklungen wie den Massentourismus in Barcelona und die Gentrifizierung in Porto ein.

Passende musikalische Klänge, Stadtgeräusche und Statements von Einheimischen in der Landessprache verstärken das Gefühl, mittendrin zu sein und durch das jeweilige Stadtviertel zu schlendern. Die Reisereportagen zeigen, welch kulturelle Vielfalt Europa zu bieten hat, und machen Lust, die nächste Erkundungsreise zu planen.

Bewertung vom 19.06.2021
Benjamin, Chloe

Die Unsterblichen


ausgezeichnet

Was wäre, wenn man wüsste, wie lange man noch leben wird? Diese Erfahrung machen vier Geschwister im Jahre 1969, nachdem sie bei einer Wahrsagerin waren, die ihnen ihren genauen Todestag vorhersagt. Es war zu erwarten, dass jeder von ihnen anders mit dem Wissen umgeht, zumal die vier sehr verschieden sind.

Simon, der Jüngste, geht nach San Francisco auf der Suche nach Freiheit, Liebe und Vergnügen. Klara, die ihn begleitet, versucht nach dem Vorbild ihrer Großmutter ihr Glück als Magierin. David und Varya sind die einzigen, die sich um den Zusammenhalt der jüdischen Familie bemühen.

Interessant ist, dass die vier Lebenswege nicht parallel, sondern chronologisch erzählt werden. Mit viel Einfühlungsvermögen arbeitet Chloe Benjamin die Charaktereigenschaften der Figuren, die Beziehungen untereinander und ihre Erwartungen an das Leben heraus. Es geht um Geschwisterliebe, Sehnsüchte und Selbstvorwürfe, verpackt in eine raffiniert konstruierte und literarisch anspruchsvolle Familiengeschichte, die bei mir noch lange nachgeklungen hat. Am Ende kann jeder die Frage, ob er lieber furchtlos oder voller Vorsicht leben möchte, für sich selbst beantworten.

Bewertung vom 16.06.2021
Kornberger, Ruth

Frau Merian und die Wunder der Welt


sehr gut

Über die Naturforscherin und Künstlerin Maria Sibylla Merian hatte ich schon einmal einen Bericht gelesen. Damals ahnte ich noch nicht, was für eine interessante Persönlichkeit sie war: talentiert, mutig, unkonventionell und zielstrebig. In diesem eindrucksvolle Roman hat mir Ruth Kornberger die außergewöhnliche Frau und ihre langersehnte Forschungsreise nach Surinam nähergebracht.

Zunächst erfahren wir, welche Anstrengungen die alleinerziehende Mutter zweier Töchter unternahm, um ihren Traum zu verwirklichen. Mit einer bewundernswerten Entschlossenheit und Hartnäckigkeit lässt sie nichts unversucht, um Investoren für ihre Reise zu gewinnen. In jeder Zeile spürte ich ihr Fernweh und ihre Hingabe, mit der sie Insekten studierte und zeichnete.

Ihre Reisevorbereitungen waren für mich genauso spannend zu lesen wie die Überfahrt von Amsterdam nach Surinam und ihre Erlebnisse vor Ort. Sehr lebendig und authentisch entfaltet die Autorin das Setting vor unseren Augen – nicht nur exotische Pflanzen und Tiere, sondern auch negative Aspekte wie die Sklaverei, die Konflikte zwischen Einheimischen und Plantagenbesitzern und die Widrigkeiten der Natur. Einziger Wermutstropfen war die eingebaute Liebesgeschichte, die im Laufe der Handlung zu viel Raum einnahm und den Genuss der Lektüre etwas schmälerte.

Bewertung vom 13.06.2021
Ditlevsen, Tove

Jugend / Die Kopenhagen-Trilogie Bd.2


ausgezeichnet

Mit dem Schulabschluss und der Konfirmation endete der erste Teil der Kopenhagen-Trilogie. In „Jugend“ beginnt für die Erzählerin der Ernst des Lebens: Ihre Eltern schicken sie trotz ihrer Begabung in die Arbeitswelt statt aufs Gymnasium.

Sie tingelt von einem Job zum nächsten, mal als Haushaltshilfe, mal als Bürogehilfin bei einem Lithografen, wo sie sich zu Tode langweilt und fühlt sich wie ein herrenloser Hund. Durchhalten lautet die Devise, bis sie 18 ist und endlich ausziehen kann. Die Beschreibung ihres Arbeitsalltags, ihrer Kollegen und Vermieterin zeugen wieder von großer Beobachtungsgabe. Der einzige Lichtblick in ihrem Leben ist die Begegnung mit dem Verleger Viggo Fr. Møller, der nicht nur ihre Leidenschaft für Bücher teilt, sondern auch ihr Vorhaben, ihre Gedichte zu veröffentlichen, tatkräftig unterstützt.

Trotz ihres besonderen Talents ist Tove keinesfalls abgehoben - sie trägt gern schöne Kleider, Make-up und vergnügt sich jeden Abend mit ihrer Freundin in Tanzbars. Ihr Lebenshunger ist auf jeder Seite zu spüren. Sie ist fest entschlossen, Schriftstellerin zu werden, doch genauso stark sehnt sie sich danach, zu heiraten und ein Kind zu bekommen wie ein gewöhnliches junges Mädchen. Als Leser wünscht man sich inständig, dass ihr Traum in Erfüllung geht, was wir hoffentlich in Teil 3 erfahren werden.

Bewertung vom 09.06.2021
Reuter, Christoph

Alle sind musikalisch - außer manche


ausgezeichnet

So ansprechend wie das Cover und die begleitenden Illustrationen ist die Art und Weise, wie uns Christoph Reuter in die Welt der Musik entführt. Der Berliner Pianist und Komponist zeigt, dass wir uns im Alltag kaum der Musik entziehen können, ganz gleich, ob wir uns für musikalisch oder unmusikalisch halten. In der Natur gibt es über 4.000 Singvogelarten, im Kaufhaus werden wir mit Hintergrundmusik berieselt und auf der nächsten Familienfeier wird mit Sicherheit ein Geburtstagsständchen gesungen oder Tanzmusik aufgelegt.

Christoph Reuter blickt dabei hinter die Kulissen, erklärt uns, wie Audio Architects individuelle Playlists für Hotelketten und Modelabels erstellen, wie Martin Luther die Entwicklung der Musik beeinflusste, wie man es in die Charts schafft oder wie man als DJ sein Publikum unterhält. Als Musikkabarettist vermittelt er sein Wissen nicht nur mit viel Humor, sondern hat auch skurrile Geschichten über Experimente mit Käse und nützliche Ratschläge für die Auswahl passender Hochzeitsmusik oder den Umgang mit Musikern in petto.

Man kann schmunzelnd und staunend Instrumente wie Glasharmonika oder Fender Rhodes kennenlernen oder auch selbst zur Tat schreiten, indem man den zahlreichen praktischen Anleitungen folgt, etwa wie man die Zwerchfellatmung übt, einen Blues Song schreibt oder Gitarre spielt. Mich hat das lehrreiche Buch nicht nur wunderbar unterhalten, sondern auch die Lust geweckt, in die vorgestellten Ohrwürmer hineinzuhören und das Klavierspiel wieder aufzunehmen.

Bewertung vom 05.06.2021
Ditlevsen, Tove

Kindheit / Die Kopenhagen-Trilogie Bd.1


ausgezeichnet

Die meisten Kinder können es kaum erwarten, erwachsen zu sein, doch bei Tove Ditlevsen war das anders, wie wir in diesem ersten Teil der Triologie erfahren. Obwohl die Kindheit für sie „schmal wie ein Sarg“ und alles andere als glücklich ist, möchte sie das Ende so lang wie möglich hinauszögern. Die Welt der Erwachsenen ist für sie ein Mysterium.

Tove wächst in den 1920er Jahren als Tochter eines arbeitslosen Heizers und einer Hausfrau im Arbeiterviertel Vesterbro auf und liebt Bücher und die Lyrik. Als sie verkündet, dass sie Schriftstellerin werden will und von ihren Eltern nur Spott und Häme erntet, behält sie ihre Gefühle und Sehnsüchte von nun an für sich. Alles, was ihr im wahren Leben fehlt, malt sie sich in ihrer Fantasie aus, schreibt Gedichte darüber in ihr Poesiealbum und versucht damit, die fehlende Zuneigung ihrer Mutter und den Mangel an Freunden wettzumachen.

Selten habe ich erlebt, dass sich jemand so klug, intensiv und verstörend mit seiner Kindheit auseinandersetzt. Die autofiktionale Erzählweise erinnerte mich an Karl Ove Knausgård, doch während dieser gern weit ausholt, verdichtet Tove Ditlevsen ihre Erlebnisse. Was es bedeutet, in ärmlichen Verhältnissen aufzuwachsen, in seiner Begabung nicht gefördert zu werden und sich unverstanden zu fühlen, kleidet Tove Ditlevsen in poetische Sätze, die einen nicht mehr loslassen. Ich bin sehr gespannt, wie es im zweiten Teil "Jugend" weitergeht.

Bewertung vom 01.06.2021
Tinning, Gertrud

Die Frauen von Kopenhagen (eBook, ePUB)


sehr gut

Schauplatz der Geschichte ist die Rubens Tuchfabrik in Kopenhagen, die von 1857 bis 1927 tatsächlich existierte und zu den größten Arbeitgebern für Frauen zählte. Die Protagonistin Nelly Hansen muss mitansehen, wie ihre Schwägerin durch Fahrlässigkeit der Fabrik einen schweren Unfall erleidet und will die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. Eines Tages tritt der Nachbar und Werftarbeiter Johannes in ihr Leben.

Welche Umstände den Jütländer nach Kopenhagen verschlagen haben, erfahren wir im zweiten Teil, der auf seinem elterlichen Hof spielt. Auch auf dem Land führen Frauen wie seine Schwester Anna ein arbeits- und entbehrungsreiches Leben und werden an reiche Bauern verschachert, um die Existenz der Familie zu sichern.

Ab da nahm die Geschichte eine Wendung, die ich nicht erwartet hatte. Ich war etwas enttäuscht, dass Nellys Versuch, die Weberinnen für den Kampf um ihre Rechte zu mobilisieren, und die Anfänge der Frauen-Arbeiterbewegung nur am Rande behandelt werden. Sehr detailliert und authentisch beschreibt Gertrud Tinning dagegen anhand Annas Odyssee durch Kopenhagen die unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen zur Zeit der Industrialisierung, die Armut, Ausbeutung und sozialen Ungerechtigkeiten.

Sehr aufschlussreich fand ich das Nachwort, in dem sie erläutert, von welchen realen Personen und Ereignissen sie sich inspirieren ließ. Sie zeichnet ganz typische Schicksale von Arbeiterinnen und macht uns die bedeutenden Errungenschaften der Arbeiterbewegung und Sozialdemokraten bewusst.

Bewertung vom 24.05.2021
McAfee, Annalena

Blütenschatten


ausgezeichnet

Anfangs fragte ich mich, worauf ich mich da nur eingelassen hatte und begleitete mit Unbehagen die Hauptfigur Eve auf ihrem nächtlichen Spaziergang durch London. Kaltherzig und sarkastisch zieht die sechzigjährige Malerin Bilanz und scheint mit der ganzen Welt abrechnen zu wollen: der Kunstszene, den Medien, ihren einstigen Freundinnen und Liebhabern, der jungen Generation – selbst an ihrer Tochter lässt sie kein gutes Haar.

Doch als sie sich Hals über Kopf in ihren halb so alten Assistenten verliebt, zeigt sie auf einmal eine menschliche und verletzliche Seite, und ab da hat mich die Geschichte richtig gepackt. Was die Affäre mit Luka in ihr auslöst, ihr Verlangen nach körperlicher Liebe und Bestätigung, aber auch Unsicherheit sind unglaublich gut beschrieben.

Genauso spannend liest sich Eves großes Kunstprojekt, das in einer Woge von Kreativität und Sinnlichkeit immer mehr Gestalt annimmt, während das Arbeitsklima im Team in eine völlige Schieflage gerät. Ich hatte das Gefühl, immer tiefer in Eves Innenwelt zu blicken und zu begreifen, welchen Stellenwert die Arbeit in ihrem Leben hat, warum sie trotz der Kritiken am Pflanzenmotiv festhält und was sie dazu antreibt, ein Vermächtnis zu hinterlassen. Sowohl was die Figuren, die Handlung als auch die Dramaturgie betrifft ein sehr außergewöhnlicher und lesenswerter Roman!

Bewertung vom 20.05.2021
Runcie, Charlotte

Wie Salz auf der Zunge


sehr gut

Dieses Buch möchte man am liebsten am Strand lesen mit Blick auf das weite Meer. Aber auch wenn das nicht möglich ist, meint man bei der Lektüre die Seeluft zu riechen und das Rauschen der Wellen zu hören. In poetischer Sprache und intensiven Bildern entführt uns Charlotte Runcie in das Reich der Meere und zwar aus weiblicher Sicht.

Die Autorin ist in ihre Heimat Edinburgh zurückgekehrt und liest, schreibt und singt sogar in einem Volksliederchor über das Meer. Der Ozean symbolisiert für sie zugleich Abenteuer und Zuhause, Lebensader und Lebensgefahr.

Ihre Kenntnisse über Seefahrer und Seemannslieder, Meerjungfrauen und Muschelsammlerinnen sowie Meeresbewohner und Gezeiten sind wahrlich beeindruckend. Auch eine persönliche Komponente kommt ins Spiel, denn die Autorin erwartet ein Kind und empfindet ihre Schwangerschaft als ebenso bedrohlich, mysteriös und wundersam wie den Ozean und die Kräfte der Natur.

Was ich vermisst habe, ist ein roter Faden, der die losen Geschichten, Fakten und gedanklichen Exkurse miteinander verbindet und in eine Rahmenhandlung einbettet. Der Tod ihrer Großmutter und ihre Schwangerschaft bilden zwar eine Klammer, aber ich hätte mir noch mehr Bezüge zu ihrem Leben gewünscht. Nichtsdestotrotz habe ich sehr viel Wissenswertes gelernt und sehne mich schon jetzt nach einem Sommerurlaub am Meer.

Bewertung vom 16.05.2021
Ishiguro, Kazuo

Klara und die Sonne


gut

So wie Spaziergänger gern die Auslagen von Schaufenstern studieren, so studiert Klara vom Schaufenster aus tagein tagaus das Verhalten der Kunden und Passanten. Die Heldin in Kazuo Ishiguros Roman ist jedoch nicht etwa eine Puppe, in die der Autor Leben eingehaucht hat, sondern eine solarbetriebene KF, eine Künstliche Freundin, die darauf wartet, ein neues Zuhause zu finden und einen jungen Menschen ins Erwachsenenalter zu begleiten.

Bis dahin nutzt Klara die Zeit, um so viel wie möglich über die Menschen und ihren Umgang mit ihren künstlichen Gefährten zu lernen. Ihre ausgeprägte Neugier und gute Auffassungsgabe nutzt auch die Managerin des Ladens als Verkaufsargument und überzeugt eines Tages mit Erfolg Josies Mutter. Josie ist schwerkrank und hat schon sehr lange ein Auge auf Klara geworfen.

In ruhigem Tempo erzählt Kazuo Ishiguro, wie Klara versucht, sich in ihre neue Umgebung einzuleben und allen Erwartungen gerecht zu werden, was ihr sichtlich schwer fällt. Die klare, wache Stimme und unsentimentale Lesart von Johanna Wokalek passt in der Hörbuchversion ideal zu Klaras Rolle.

Der Autor greift ein brisantes Thema auf, zumal die Künstliche Intelligenz gerade auf diesem Feld großes Potenzial birgt, und beschäftigt sich mit der Frage, ob und wie viel Empathie ein künstliches Wesen entwickeln und gar einen Menschen ersetzen kann. Obwohl er interessante Denkanstöße gibt, hatte ich mir etwas mehr überraschende Momente in der Handlung und Interaktion zwischen Mensch und KF erhofft. Leider konnte ich bis zum Schluss eine gewisse Distanz zu den Figuren und zum Geschehen nicht überwinden.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.