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Aischa

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Insgesamt 572 Bewertungen
Bewertung vom 28.04.2023
Chan, Jessamine

Institut für gute Mütter


ausgezeichnet

Alles beginnt mit "einem einzigen schlechten Tag": Die alleinerziehende Enddreißigerin Frieda lässt ihr Baby unbeaufsichtigt alleine. Nachbarn informieren die Polizei, und es beginnt ein Alptraum. Frieda wird das Sorgerecht entzogen, sie steht unter kompletter Überwachung der Kinderschutzbehörde und hat praktisch kein Privatleben mehr. In ihrem Haus werden Kameras installiert, Telefon, Internet und App-Nutzung werden kontrolliert. Einziger Lichtblick: Durch die "freiwillige" Teilnahme an einem einjährigen Programm in einer Besserungsanstalt erhält sie - bei positiver Bewertung - die Chance, ihr Kind wieder zurück zu bekommen.

Die Geschichte hat mich völlig in ihren Bann gezogen. Zwar wirkt Frieda etwas spröde, ihre inneren Monologe haben mich auch mal etwas ratlos zurück gelassen. Aber die Panik, die sie ob der gefühlten Hilflosigkeit gegenüber dem staatlichen Machtapparat überkommt, ist greifbar. Der Roman stellt viele Fragen, eine der größten ist: Kann man wirklich beurteilen, wer eine gute Mutter ist? Welche Kriterien können dazu herangezogen werden, wie misst man das? Bei körperlichen Misshandlungen ist die Lage relativ klar, aber wie sieht liebevolle Zuwendung aus, welche Förderung der Entwicklung des Kindes ist angemessen? Chan überspitzt den Alltag im "Institut für gute Mütter" geradezu satirisch-grotesk: Die schlechten Mütter sollen anhand von Stellvertreterkindern lernen, gute Mütter zu werden. Sie trainieren täglich mit Rotoberpuppen, die ihren leiblichen Kindern ähneln. Die Puppen zeichnen jegliche Interaktion zur anschließenden Auswertung auf. Die Mütter lernen die "richtige" Umarmung (Dauer und Druck sind vorgeschrieben), wie sie mit ihren Kindern zu sprechen haben (Tonfall, Wortwahl und Zahl der Worte sind für gutes "Mutterisch" wichtig), ja selbst ihr Gesichtsausdruck und die Körperhaltung werden bewertet.

Wie pervertiert all dies ist, wird daran deutlich, dass sich die Mütter beim monatlichen Videotelefonat mit ihren echten Kindern nicht davon abhalten lassen dürfen, sich um die Roboterkinder zu kümmern. Sie sollen also echte Gefühle für Maschinen entwickeln, um zu beweisen, dass sie gute Mütter sind. Fehler werden nicht einfach als Fehler gesehen, sondern lassen "den Wunsch zum Scheitern erkennen".

Auch ein Seitenhieb auf die unterschiedliche Bewertung von Mutter- und Vaterschaft fehlt nicht: Zwar gibt es auf dem Gelände der Besserungsanstalt auch separierte Gebäude für Väter, doch ist deren Beurteilung und Bestrafung wesentlich milder als die der Mütter. Geschickt geht die Geschichte auch auf Intersektionalität ein. Frieda steht als chinesischstämmige U.S.-Amerikanerin in der Beurteilungshierarchie der Psychologinnen etwas unter den weißen Müttern, aber deutlich über den Schwarzen. ("Wenn du Schwarz bist, bist du automatisch in Gefahr.") Chans Gesellschaftskritik ist facettenreich und bietet reichlich Diskussionsstoff.

Ein beeindruckendes Debüt, das das Potenzial hat, ein Klassiker zu werden!

Bewertung vom 24.04.2023
Schad, Gina

Nach einem Traum


gut

Medienwissenschaftlerin Gina Schad bleibt mit ihrem Debütroman thematisch auf ihr vertrautem Terrain: Sie erzählt von einer unglücklichen Liebesbeziehung, deren Kommunikation sich überwiegend digital abspielt, über SMS, Messenger und Social Media.

Die junge Cellistin Marie lernt den deutlich älteren Arzt Simon kennen. Er ist - nach eigener Angabe glücklich - verheiratet und zweifacher Vater. Schnell ergibt sich eine Affäre, die abgesehen von wiederkehrenden, zufällig wirkenden Begegnungen, auf den online-Austausch von Nachrichten beschränkt ist. Und doch gerät Marie schnell in einen ungesunden Sog, Simon wird zum Zentrum ihres Lebens, ohne ihn ist alles nichts.

Der Roman ist spannend und unterhaltsam, die Chat-Nachrichten lesen sich schnell dahin, doch am Ende bleibt wenig übrig, mir persönlich ZU wenig. Was genau findet Marie an Simon, worin besteht seine Attraktivität für sie? Und wieso lässt er sich auf das Spiel mit dem Feuer ein, obwohl er erklärtermaßen mit seiner Frau glücklich ist und jedes Treffen mit Marie die Gefahr birgt aufzufliegen? Die Figuren bleiben seltsam farblos, außer Maries geringem Selbstwertgefühl und ihrer Fixierung auf Simon erfährt man wenig über sie. Und die restlichen Charaktere bleiben noch farbloser, auch eine Entwicklung war für mich nicht zu erkennen. Letztlich ist auch das Ende absehbar, so dass ich diesen Roman nur eingeschränkt empfehlen kann.

Bewertung vom 24.04.2023
Leonard, Susanna

Die Radfahrerin


sehr gut

Susanna Leonard schreibt Romanbiografien über "Frauen, die die Welt nachhaltig verändert haben". Ihre ersten beiden Protagonistinnen, Marie Curie und Dian Fossey, sind mir auch sehr wohl ein Begriff, während ich von Annie Londonderry zuvor noch nie gehört hatte. Die junge Jüdin lebt in Boston und kann ihre drei kleinen Kinder nur mit Mühe ernähren. Die 22jährige ergreift gegen den Widerstand ihres Mannes die Chance, durch eine abenteuerliche Radreise um die Welt zu viel Geld zu kommen.

Annie betätigt sich dabei als "lebendes Werbebanner" und überdies bringen ihr Vorträge vor zahlendem Publikum sowie der Verkauf ihrer Reisenotizen nicht nur Geld sondern auch Popularität ein. Doch die Weltumrundung auf zwei Rädern steckt voller Hindernisse und Gefahren, sie wird verspottet, bedroht und überfallen. Dabei bleibt unklar, was wirklich passiert ist, und was die geschäftstüchtige Radlerin der sensationslüsternen Öffentlichkeit als Räuberpistole aufgetischt hat. Dass sie es mit der Wahrheit nicht allzu genau nahm wird schon dadurch deutlich, dass Annie gleich mehrere höchst unterschiedliche Lebensläufe über sich verbreitete.

Die überwiegend auktoriale Erzählung wechselt mit fiktiven Tagebucheinträgen Annies ab. Letztere haben mir aufgrund des teils etwas hölzernen Stils nicht immer gefallen. Insgesamt ist es ein sehr kurzweiliger Roman mit einer außergewöhnlichen, schillernden Hauptfigur. Die junge Annie entdeckt nicht nur neue Länder und Kulturen, sondern auch ihre Lust an Sexualität. Sie lässt ihre Familie zurück, doch zu welchem Preis bleibt undeutlich. Zwar wird das schwierige Verhältnis zu ihrer ältesten Tochter beleuchtet, aber Vieles deutet die Erzählung nur an und Einiges bleibt völlig offen, etwa wie Annie nach ihrer Heimkehr lebt. Die Zeittafel im Anhang zeigt, dass sie zunächst einige Jahre fern ihrer Familie lebte, bevor sie schließlich zu ihrem Mann zurück kehrte. Hat Annie wirklich so viel für die Gleichberechtigung getan, wie der der Klappentext andeutet? Hat sie die Welt nachhaltig verändert? Ich denke nicht, ihre Motivation war keine politische, sondern rein persönlich. Doch sie hat ihr eigenes Leben in die Hand genommen und gestaltet, und auch dafür gebührt ihr großer Respekt.

Bewertung vom 17.04.2023
Castellanos, Gabriela

Zu Gast bei Frida Kahlo


ausgezeichnet

An diesem hochwertigen Hardcover fällt zunächst die hervorragende Gestaltung auf: Großartige Fotos der Gerichte, stimmig in mexikanischem Ambiente inszeniert, Abbildungen von Gemälden Frida Kahlos sowie hübsche Collagen und Ornamente machen das originelle Kochbuch zu einem wahren Augenschmaus.

Zunächst gibt es eine kurze Vita der berühmten mexikanischen Malerin, und es werden wichtige Zutaten und traditionelle Kochutensilien vorgestellt, wobei man auch erfährt, wie man letztere durch hier übliche Geräte ersetzen kann.

Der Rezeptteil umfasst 90 verschiedene Gerichte, darunter finden sich Basisrezepte (Salsas, Tortillas & Co.), Frühstück, Streetfood und Suppen, Salate, Hauptspeisen, Desserts und Getränke. Hilfreich sind Serviertipps, verschiedene Varianten und die Angabe von veganen, lactose- oder glutenfreien Rezepten. Eine schöne Idee sind zwei komplette Menüzusammenstellungen für mexikanische Feiertage.

Gut gefällt mir, dass auf dem Vorsatz ein alphabetisches Register der spanischen Rezeptnamen zu finden ist, während man die deutschen Bezeichnungen auf dem Nachsatz entdecken kann. Ein Zutatenregister gibt es überdies. Weitere kostenlose "Goodies" des Verlags sind eine mexikanische Playlist und der online Mengenrechner.

Die vorliegende Rezeptsammlung unterscheidet sich von den meisten mir bekannten mexikanischen Kochbüchern durch eine große Authentizität. Autorin Gabriella Castanellos, selbst renommierte mexikanische Köchin mit eigenem Restaurant, stellt hier Originalrezepte weitestgehend unverfälscht vor. Das bedeutet zwar einerseits, dass man einen gewissen Aufwand betreiben muss, um hier schwer erhältliche Zutaten online zu bestellen, wie z.B. mexikanischen Drüsengänsefuß, spezielle Chili-Sorten oder Kaktusblattsprossen; überdies muss man sich auf lange Zubereitungszeiten einstellen. Dafür wird man aber auch mit authentischen, landestypischen Aromen belohnt.

Bewertung vom 06.04.2023
Lindermuth, Alina

Fremde Federn


sehr gut

Es gibt unzählige Sachbücher und Ratgeber zu den Themen Demenz und häusliche Pflege, aber in der Belletristik werden diese Herausforderungen eher selten behandelt.

Alina Lindermuth erzählt in "Fremde Federn" genau davon: Der junge Tom tritt einen neuen Job an und zieht dazu - zunächst aus rein praktischen Erwägungen - zu seiner alleinstehenden Großmutter. Diese Zweck-WG funktioniert zunächst bestens, doch schnell wird klar, dass Tom mit dem Umzug mehr als seine Adresse gewechselt hat: Eine fortschreitende Demenz, ein Sturz und die im Folgenden nötige Pflege der Oma stellen ihn vor große Herausforderungen. Er besorgt eine Rundum-Betreuung durch osteuropäische Pflegekräfte, und dennoch leidet sein Job unter der familiären Situation.

Der Roman bedient erfreulicherweise keinerlei geschlechterspezifische Rollenklischees. Nicht nur, dass (endlich mal) ein Mann sich um die Organisation der Pflege in der Familie kümmert. Nein, auch diejenige, der unsere Gesellschaft es meist zuschreibt, sich um die gebrechlichen Eltern kümmern zu müssen, nämlich die Tochter (also Toms Mutter), sieht sich da gar nicht in der Pflicht, sondern lebt ihr eigenes Leben. Und so ist es eben Tom, der den Spagat zwischen Karriere und Care-Arbeit versucht. Und als wäre das nicht schon schwierig genug, hat er auch noch mit der frischen Trennung von seiner Freundin zu kämpfen.

Aus all den gewichtigen Themen schafft Lindermuth dennoch, eine kurzweilige und auch unterhaltsame Story zu stricken. Mit tiefgründigen Passagen, etwa wenn die Ausbeutung der Pflegerinnen zur Sprache kommt, aber auch mit wirklich witzigen Einfällen - schon allein beim Gedanken an die Mehlwurmzucht für zu Hause muss ich wieder grinsen ... Die Autorin zeichnet glaubwürdige Charaktere und beschreibt die Demenz der Großmutter einfühlsam und kompetent. Über das äußerst distanzierte Verhältnis Toms zu seiner Mutter hätte ich jedoch gerne noch mehr erfahren.

Ein großes Lob gibt es von mir für die hochwertige, kreative und wunderschöne Gestaltung des Hardcovers. Ein Buch, das seinen Preis wert ist, und eine Geschichte, die viel Stoff zum Nachdenken über Familie und Alter bietet.

Bewertung vom 03.04.2023
Rubin, Franziska;Strigin, Gudrun;Matthaei, Bettina

Meine gesündesten 15-Minuten-Rezepte


sehr gut

Ärztin und Medizinjournalistin Dr. Franziska Rubin ist vielen als Moderatorin des MDR-Gesundheitsmagazins "Hauptsache Gesund" bekannt. Mit ihrem neuen Kochbuch zeigt Dr. Rubin die Heilkraft unserer Nahrung auf und stellt abwechslungsreiche, schnelle und gesunde Rezepte vor.

Das erste Viertel des Buchs ist der Theorie vorbehalten. Einfach und klar verständlich erklärt die Medizinerin, welche Nahrungsmittel und -bestandteile sich positiv auf unser Wohlbefinden auswirken. Die 13 häufigsten Zivilisationskrankheiten - von Bluthochdruck über Diabetes bis hin zu Osteoporose - werden auf je einer Doppelseite kurz vorgestellt, und man erfährt, welche Nahrungsmittel bei welchem Krankheitsbild empfehlenswert sind und welche man besser meiden sollte. Hilfreich für die Umsetzung sind "fünf Tricks gegen die Verführung", anhand derer man ungesundem Fastfood und Softdrinks besser widerstehen kann.

Die Rezepte selbst lassen auf einen Blick erkennen, bei welchen Krankheiten sie helfen (oder vorbeugend wirken), und auch Angaben zu Kaloriengehalt, Nährwerten, Lactose- oder Glutenfreiheit sind auf einen Blick zu finden. Die knapp 100 Getränke, Salate, Suppen, Hauptspeisen und Desserts bieten eine herrliche Vielfalt und kommen mit meist wenigen, gängigen Zutaten aus. Alle Gerichte, die ich bislang gekocht habe, sind gut gelungen und waren sehr lecker.

Jedoch wurde das Versprechen, die Rezepte in maximal 15 Minuten zubereiten zu können, für mich nicht gehalten: Ich habe (von einfachen Desserts und Salaten abgesehen) fast immer deutlich längere Zeit benötigt, meist eine knappe halbe Stunde. Das ist einerseits der Tatsache geschuldet, dass ich für vier Personen gekocht habe, die Angaben im Buch sich aber auf jeweils zwei Portionen beziehen. Zum anderen besitze ich weder die im Buch empfohlenen Standmixer noch Küchenmaschine, sondern muss Gemüse und Co. manuell zerkleinern, was natürlich länger dauert.

Ein netter Mehrwert ist der online-Mengenrechner des Verlags, mit dem sich alle Angaben an die gewünschte Personenzahl anpassen lassen. Anschließen kann man sich einen Einkaufszettel fürs Smartphone erstellen. Auch das umfangreiche Register, das die Suche sowohl nach Rezepten wie auch nach Zutaten erlaubt, hat mir gut gefallen. Modernes Layout und stylische Farbfotos zu jedem Rezept machen das Buch zu einer wahren Augenweide. Meine klare Empfehlung für alle, die gerne kochen und ihrer Gesundheit etwas Gutes tun wollen.

Bewertung vom 03.04.2023
Roy, Lisa

Keine gute Geschichte


sehr gut

Lisa Roys Debütroman ist definitiv nichts für Zartbesaitete. Die Geschichte spielt im Essener Stadteil Katernberg, einem sogenannten sozialen Brennpunkt. Hoher Migrant*innenanteil, viele Teenie-Schwangerschaften, Mietskasernen, Arbeitslose. Protagonistin Arielle hat scheinbar den Absprung aus dieser prekären Umgebung geschafft und verdient gutes Geld als Social-Media-Managerin im schicken Düsseldorf. Doch der Schein trügt - Arielle ist depressiv, voller Selbstzweifel und leidet an Panikattacken. Nur widerwillig kehrt die 33jährige in ihr altes Viertel zurück, um ihrer gebrechlichen Großmutter zu helfen. Denn dort lauern die Geister der Vergangenheit.

Roy erzählt die dramatische Story ausschließlich aus Sicht der Protagonistin. Die Sprache ist vom Kiez beeinflusst, in dem sie aufgewachsen ist: rauh, hart, direkt, schonungslos. Arielles Schicksal ist davon geprägt, dass ihre Mutter verschwand, als sie noch klein war. Seither findet in ihrem Kopf ein nicht abreißender Dialog mit ihrer abwesenden Mutter statt, der sich durch große Liebe und Zärtlichkeit auszeichnet. Die Kommunikation mit der Oma hingegen, bei der Arielle aufwuchs, ist voll gegenseitigem Misstrauen und hasserfüllter Vorwürfe. Arielles Sexualität ist extrem, sie bläst fremden Männern einen an öffentlichen Orten, sie hat Sex nicht mehr aus Lust, sondern aus Gewohnheit und "fürs Selbstbild".

Nach und nach entblättert die Autorin die erschütternde Familiengeschichte, bis hin zum schockierenden Ende. Der Roman hat viele Gänsehautmomente und ist geschickt aufgebaut, die authentischen Figuren konnten mich sehr überzeugen. Lediglich die zahlreichen Verweise auf Netflix-Serien und Influencer*innen waren für mich etwas anstrengend, da ich mich in diesen Medien kaum auskenne und viel recherchieren musste.

Bewertung vom 30.03.2023
Jodl, Angelika

Laudatio auf eine kaukasische Kuh


sehr gut

Dieser Roman ist - wie die Kuh auf dem Cover - eine wilde, bunte Mischung: Eine Multi-Kulti-Liebesroman, die Geschichte einer Identitätssuche, ein Roadtrip, eine Familienstory. Und all dies fügt sich erstaunlich rund zu einer höchst unterhaltsamen, kurzweiligen und auch noch lehrreichen Geschichte.

Zugegeben, die Charaktere sind teils überzeichnet, und auch der Plot ist oftmals etwas "drüber". Aber Angelika Jodl hatte beim Schreiben sicher nicht vor, den Literaturnobelpreis zu gewinnen, sondern sie möchte mit diesem Buch unterhalten, und das ist ihr gelungen. Zudem bietet die Lektüre reichlich Details über Georgien, ein Land mit reicher Kultur und Tradition, das ich - abgesehen von den kulinarischen Genüssen - bislang kaum kannte. Jodl hat durch zwei Arbeitsaufenthalte an der Universität in Tiflis persönliche Erfahrungen mit Land und Leuten gemacht und bringt diese Kompetenz mit diesem Roman angenehm in ihre Tätigkeit als Schriftstellerin ein. Auch die Pontos-Griechen und ihre eigene Sprache rückt Jodl auf interessante Weise ins Licht.

Das Ende war leider etwas absehbar, hier hätte ich mich gerne überraschen lassen. Aber dennoch gibt es von mir eine Empfehlung für diesen witzigen Unterhaltungsroman zwischen den Kulturen.

Bewertung vom 30.03.2023
Jenkins, Jim;Smith, Jacky

Queen - Wie alles begann ...


weniger gut

Queen gilt zu Recht als Ausnahmeband, in vielerlei Hinsicht. Ich mag die Musik sehr, und da Sänger Freddie Mercury mein persönliches Leben stark beeinflusst hat, war ich sehr neugierig auf diese neue Biografie der vier Rocklegenden.

Auf über 400 Seiten hat das Autorenduo eine wahre Flut an Fakten und Details zur Band zusammengetragen. Jim Jenkins gilt als Queen-Experte und Jacky Smith steht an der Spitze des größten Queen-Fanclubs, daher hatte ich mir von der Lektüre dieses "Wälzers" einiges an Insider-Wissen und unterhaltsame Geschichten erhofft. Doch leider wurde diese Hoffnung nur in kleinen Teilen erfüllt.

Am kurzweiligsten fand ich die Kapitel, in denen Kindheit und Jugend von Farrokh Bulsara (alias Freddie Mercury), Brian May, Roger Taylor und John Deacon geschildert werden. Hier bekommt man zumindest einen kleinen Einblick ins Private, erfährt etwas über die Beziehung zu den Eltern und den Charakter der Jungs, die später Queen gründen sollten. Doch dann gerät der Text bedauerlicherweise recht nüchtern, über Seiten hinweg ist die Erzählung nicht mehr als eine chronische Aneinanderreihung gesammelter Fakten. Diese mögen für eingefleischte Fans durchaus ihren Wert haben, machen aber noch lange keine gute Biografie und schon gar keine gute Geschichte. Es fehlt das Menschliche, ein Spannungsbogen, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden, Interpretation durch die Autoren. Eine gute Biografie gibt Einblicke in das Denken und Fühlen der/des Porträtierten, sie zeigt Entwicklungen auf und ordnet Lebensläufe in das Zeitgeschehen ein. Dies ist hier leider kaum gelungen bzw. wurde erst gar nicht versucht. Wenn die Presse einen Queen-Song nicht wohlwollend besprochen hat, so scheinen die Autoren persönlich beleidigt zu sein, eine objektive Auseinandersetzung mit Kritik fehlt.

Wer sich davon nicht abschrecken lässt, kann in der Fülle an Details sicher Unbekanntes entdecken, etwa bei den zahlreichen Illustrationen und Schwarz-Weiß-Fotografien, die jedoch leider keine gute Druckqualität besitzen.

Bewertung vom 27.03.2023
Dickfeld, Gunnar

Go für Einsteiger


ausgezeichnet

Schon seit längerem habe ich immer wieder damit geliebäugelt, das jahrtausendealte fernöstliche Strategiespiel Go zu erlernen, und doch ist es bislang beim guten Vorsatz geblieben. Aber nun ist mir glücklicherweise dieses wunderbare Lehrbuch für Einsteiger von Gunnar Dickfeld "in den Schoß gefallen".

Zunächst fällt auf, wie liebevoll das stabile Hardcover gestaltet ist. Wunderschöne japanische Holzschnitte illustrieren den Beginn der Kapitel. Das Spiel selbst wird gut verständlich Schritt für Schritt erklärt, und am Ende jedes Kapitels finden sich Übungen, anhand derer man sich die Regeln gut einprägen kann und man überprüfen kann, ob man das Erlernte auch wirklich verstanden hat.

Aber "Go für Einsteiger" ist weitaus mehr als ein reines Regelwerk. Autor Dickfeld bring seinen Leser*innen auch die Geschichte, Philosophie und Spielkultur des Go-Spiels näher. Dabei ist seine unverhohlene Leidenschaft für dieses komplexe Brettspiel wahrlich ansteckend! Auch didaktisch ist das Buch klug aufgebaut. Die Schwierigkeit der abgebildeten Zugfolgen steigert sich nach und nach, und die vorgestellten Lehrpartien wechseln sich immer wieder mit unterhaltsamen Einschüben ab, etwa dem Vergleich zwischen Go und Schach oder mit Porträts beliebter Go-Spieler. Praktische Ergänzungen sind ein Glossar, der Anhang mit Adressen von Verbänden sowie Literaturtipps.

Mich haben Buch und Autor sehr begeistert und ich habe mich bereits auf die Suche nach einem offenen Spieltreff in meiner Nähe gemacht.