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yellowdog

Bewertungen

Insgesamt 2170 Bewertungen
Bewertung vom 11.03.2025
Mittelmeier, Martin

Heimweh im Paradies


sehr gut

Thomas Manns Zeit in Kalifornien

Das Buch zeigt Thomas Manns Zeit in Kalifornien. Mann lebte in Pacific Palisades, einem Viertel von Los Angeles nahe dem Meer, ein erfolgreiches und engagiertes Leben im Einsatz für die Demokratie und er schrieb an wichtigen Büchern, z.B. an Doktor Faustus.
Das Buch ist weniger erzählerisch als erhofft, schafft aber dennoch ein höchstwahrscheinlich treffendes Bild von Thomas mann in dieser zeit zu zeichnen, insbesondere auch wie er auf andere wirkt. Da ist zum Beispiel ein Kapitel von der jungen Susan Sontag, die Thomas Mann zum Tee traf und ihn als alten Mann empfand.
Das Buch ist kurz, manchmal kamen mir die Szenen wie im Zeitraffer erzählt vor. Das sie so stimmig gemacht sind, gleicht das wieder aus.
Es ist fair gemacht. Thomas Mann wird weder glorifiziert noch wird er in seinen Schwächen bloßgestellt.
Bei der Masse an Thomas Mann-Biografien, die es gibt, empfand ich diese aber doch als lesenswert.

Bewertung vom 11.03.2025
Johns, Ana

Die Frau im weißen Kimono


sehr gut

Als erstes fällt auf, dass es in diesem Buch zwei gleichwertige Erzählebenen gibt. Eiine 1957 in Japan, mit der Liebesgeschichte zwischen einem japanischen Mädchen und einem US-Amerikanischen Matrosen. Und eine in der Gegenwart in den USA, wo eine Frau sich um ihren sterbenden Vater kümmert und dabei die Geschichte seines Lebens erfährt.
Man ahnt natürlich als Leser sofort, dass der Vater in den USA der Matrose von damals in Japan war.
Ana Johns arbeitet so einige interessante Details gut durch.
Das Buch setzt ganz auf große Gefühle und ist für Fans dieses Genre ein Lesefest. Für andere Leser ist es vielleicht too much!

Bewertung vom 11.03.2025
Forti, Laura

Mein Vater, vielleicht


sehr gut

Der nonsolo-Verlag bietet Literatur aus Italien. Das Buch von Laura Forti ist sprachlich ansprechend und erzählt in Form eines Memoir, vielleicht auch autofiktional, von einer Frau, die kurz vor dem Tod ihrer Mutter von ihrem biologischen Vater erfährt, den sie nie kennen gelernt hat. Ganz klar ist nicht, wie zuverlässig diese Aussage war. Es bleibt ein vielleicht.
Durch Lesen des Tagebuchs der Mutter geht die Autorin in die Zeit zurück.
Man bekommt Eindrücke von Italien der sechziger Jahre. So ist es auch ein Stück Zeitgeschichte. Aber Laura Forti setzt das auch viel in Verbindung mit ihrem Leben, vergleicht wie sie war im Alter der Mutter damals. Zudem spricht sie auch von ihrer Kindheit und ihren Eltern, die so ihre Probleme miteinander hatten. Hinzu kommt noch ein Element, die jüdische Identität.
Laura Forti gelingt es, den Leser mit ihrer Geschichte zu erreichen.

Bewertung vom 11.03.2025
Lorenz, Sarah

Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken


sehr gut

Ansprache eines Bücherwurms

„Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken“ ist ein raffinierter Roman, der ganz von der suggestiven Erzählstimme bestimmt ist.
Rückerinnernd erzählt ein sensible Frau von ihrem stürmischen, nicht immer ganz einfachen Leben.
Dazu gehört auch die Liebe zu Büchern, besonders Lyrik und da ganz besonders die Dichterin Mascha Kaléko.
Deren Gedichte sind teilweise vor Kapiteln enthalten.
Nicht nur das Cover, selbst die Autorin sieht Mascha Kaleko ähnlich und vielleicht stellt man sich beim Lesen auch die Protagonistin so vor.
Die Erzählerin in der Gegenwart, da ist sie 39 Jahre alt, ruht anscheinend sehr in sich, das war nicht immer so. In vielen Episoden ihres Lebens gab es emotionale Sturmfahrten. So lernt man sie ganz gut kennen. Es gab eine Zeit, in der sie stark drogensüchtig war. Da gab es auch Übergriffe.
Erstaunlich, die schonungslose Ehrlichkeit und Offenheit. Eine hohe Qualität.
Die letzten Abschnitte sind dann wieder sehr emotionalisierend, aber davon soll an dieser Stelle noch nichts verraten sein.

Bewertung vom 11.03.2025
McCann, Colum

Twist


sehr gut

Komplex und vielschichtig

Der Erzähler ist ein Schriftsteller, der einen Artikel über Unterseekabel schreiben will und daher an Bord eines Kabelreparaturschiffes im Einsatz ist.
Meisterhaft beschreibt McCann den Moment als es zum großen Kabelbruch kommt. Anthony Fennell, der Protagonist ist gerade in Kapstadt und beobachtet, wie alles ins Schlingern gerät, wenn das Internet ausfällt, Geldautomaten nicht mehr funktionieren etc.
Der Kabelbruch ist im Meer vor dem Kongo. Passend dazu gibt es eine Anspielung auf Herz der Finsternis von Joseph Conrad.
Auch die Schifffahrt beschreibt der Autor sehr atmosphärisch, wobei der Blick des Protagonisten manchmal ein eigenwilliger ist. Ein Teil des Romans ist ein Reisebericht, mit vielen Details vom Leben an Schiff und der Arbeit.
Eine zentrale, rätselhafte Figur des Buch ist John A.Conway, der Ingenieur an Bord, der nach der Rückkehr spurlos verschwindet und anscheinend an Anschlägen beteiligt ist.
Ein außergewöhnlicher Roman, ruhig aber konzentriert erzählt, erzeugt er eine spürbare Energie.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.03.2025
Morrison, Ewan

Überleben ist alles


weniger gut

Der Survival-Guide
Bei diesem Buch ist neben der Handlung vor allen die Form entscheidend. Es ist geschrieben als eine Art Survival Guide. Das ist schon ungewöhnlich, kann nach einer Weile aber auch leicht nerven.
Erzählerin ist die sechzehnjährige Haley, die zusammen mit ihren jüngeren Bruder vom Vater in eine abgelegene Gegend gebracht wurde. Dort leben ein paar Menschen zusammen, die an eine angebliche neue Pandemie glauben.
Haley ist hin- und hergerissen. Das Buch ist zwar alles andere als subtil, aber man kann ihren Gedankengängen und ihrer Verwirrung folgen. Gibt es die neue Pandemie und Verschwörung oder ist alles eingebildet?
Leicht übertrieben wird es, als auch Haleys Mutter entführt wird. Haley steht bald zwischen den Stühlen, denn die Mutter wirkt kalt und der Vater psychisch krank.
Haley als Erzählerin ist interessant. Sie ist zwar Jugendliche, doch der Autor Ewan Morrison macht nicht den Fehler zu sehr auf Jugendsprache zu setzen. Dennoch bekommt der Roman einen Touch von Young adult. Das Hauptproblem dabei ist, dass sich der Autor nur unzureichend und zu klischeebeladen in einen weiblichen Teenager hineinversetzen kann. Haley ist als Figur nicht ganz glaubhaft. Die anderen Figuren sind noch schlimmer gestaltet, keine wirkt echt.

Hinzu kommt, dass der Roman aus zu vielen guten Ansätzen viel zu wenig macht.

Bewertung vom 07.03.2025
Politi, Marco

Der Unvollendete. Franziskus' Erbe und der Kampf um seine Nachfolge


sehr gut

Hochkonzentriertes Sachbuch über die Kirche in der Krise

Auf dem Buchcover sieht man Papst Franziskus mit ernsten Gesicht vor dunklem Hintergrund. Das gibt schon ganz gut die Stimmung des Buches wieder. Es ist ein ernsthaftes Buch, das sich an Leser wendet, die schon etwas mit der Materie vertraut sind. Wer einen leichteren, unterhaltenden Einstieg sucht, sollte Andreas Englisch lesen.

Es werden die aktuellen Probleme der Kirche der letzten Jahre aufgezeigt und wie sich Bergoglio dazu aufgestellt hat. Immer schwingt die Frage mit, wie die Entwicklung nach Bergoglio sein wird.

Das Buch ist detailliert und konzentriert geschrieben.

Bewertung vom 03.03.2025
Piontek, Sia

Der Wolf im dunklen Wald / Ein Carla-Seidel-Krimi Bd.2


ausgezeichnet

Carla Seidel, Polizeistation Dannenberg

Sia Piontek ist eine Autorin, die im Krimigenre zur Zeit angesagt ist und das liegt an ihrem guten Schreibstil und einer gelungenen Hauptfigur.
Carla Seidel. Sie ermittelt in einem Mordfall. Jemand wurde im Wald ermordet.
Eine große Rolle spielt Lana, ihre hochsensible, jugendliche Tochter, die in Fabian verliebt ist. Und Fabian könnte Zeuge im Wald in der Mordnacht sein.
Das Privatleben Carlas nimmt genauso viel Raum ein, wie der Fall. Ihr Ex-Mann Sören war gewalttätig und sie hatte früher getrunken. Ihr Alkoholproblem ist latent noch da. Lana steht zwischen den Stühlen.
Es ist geschickt gemacht, wie die Perspektiven in den Kapiteln wechseln. Mal Carla, mal Lana, wobei deren Abschnitte meist kürzer sind.
Die Zerrissenheit der Figuren macht sie so interessant. Sia Piontek hat ein Talent für psychologisch dramatische Szenen.

Der Wolf im dunklen Wald ist der zweite Teil der Reihe. Einen dritten wird es vermutlich auch noch geben.

Bewertung vom 03.03.2025
Shehadeh, Raja

Wir hätten Freunde sein können, mein Vater und ich


sehr gut

Raja Shehadeh schafft mit diesem Memoir ein Porträt seines Vaters Aziz und gleichzeitig eine Analyse der politischen Ereignisse rund um Palästina, Westjordanland und Israel seit den fünfziger Jahren.
Das Buch ist sachlich gehalten, manchmal etwas trocken, aber sehr informativ.
Der Titel deutet an, dass das Verhältnis zwischen Vater und Sohn teilweise distanziert war. Aziz Shehadeh war Anwalt und Aktivist, auch sein Sohn Raja wurde Anwalt und arbeitete sogar mit seinem Vater zusammen. Aber sie hatten unterschiedlichen Ansichten. Während Aziz für Frieden und eine Zweistaatenlösung war und auf juristischen Weg Erfolge erzielte, war Raja Menschenrechtsaktivist und als junger Mann sehr kritisch gegenüber Israel.
1985 wurde der Vater ermordet. Jahrzehnte später betrachtet der Sohn das Leben des Vaters voller Anteilnahme und Respekt.
Es ist Memoir von Relevanz, da es über das rein private hinausgeht und das Leben eines Mannes würdigt.

Bewertung vom 01.03.2025
Hay, Elizabeth

Wie Zugvögel


ausgezeichnet

Elizabeth Hay ist eine großartige Autorin aus Kanada, die auch lange fürs Radio arbeitete, und das spielt in diesem Roman eine Rolle.
In einer Radiostation arbeiten die zentralen Figuren des Romans zusammen.
Der Originaltitel Late Night on airs gefällt mir noch besser als der deutsche.
Es ist ca. 1975 als die junge, selbstbewusste Dido Paris in dieser Radiostation anfängt
Weitere wichtige Figuren sind der Sendeleiter Harry Boyd, die Mitarbeiterinnen Eleanor Dew und Gwen Symon, der Fotograf Ralph u.a.
Aber auch der Schauplatz, die Stadt Yellowknife und Umgebung, hoch gelegen in Kanada, prägt das Buch mit. Und das weniger durch Naturbeschreibung als durch Ersichtlich machen des Lebensgefühls.
Die Autorin gestaltet ihren Roman unspektakulär, aber geschickt und gibt ihren Figuren Profil, gerade auch durch die Dialoge.
Es ist lange her, seit ich Elizabeth Hay zuletzt gelesen habe, aber sofort erkennt man sie als Schriftstellerin mit einem guten Stil wieder, der Atmosphäre erzeugt.