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Lesehonig
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Berlin

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Insgesamt 220 Bewertungen
Bewertung vom 15.10.2022
Kolee, Nestor T.

Der Junge im Fluss


ausgezeichnet

Da mich schon das Buch „Der Junge der auf einem Esel ritt“ tief bewegt hat, musste ich unbedingt auch dieses zweite Buch des Autors lesen. Es handelt von einem jungen Mann, der auf einer Insel wohnt, die dem Untergang geweiht ist. Viele Bewohner haben die Insel bereits verlassen, aber Ben möchte unbedingt an allem Alten und Vergangenem festhalten. Sein Bruder kommt zurück auf die Insel, um ihn zum Weggehen zu bewegen. Er selbst ist der Abenteuer in der Familie und schon viel rumgekommen. Doch Veränderungen machen Ben Angst. Dennoch muss er diese Reise antreten, denn das, was er bewahren wollte, ist nicht mehr.
Bens Reise, ist auch die ganz persönliche Reise des Lesers. Während der Lektüre gingen mir so manche Gedanken durch den Kopf. Vorm sich-zu-Hause-fühlen im Vergangenen bis hin zur Angst vor Wandel und Neuem. Aber auf sehr durchdachte und wundersame Weise bringt einen Nestor T. Kolee dazu, die Zeit und das Leben von einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Das Bewahren des Vergangenen und der Wandel durch die Zukunft werden zusammengeführt. Sie stehen sich nicht mehr als Gegensatz gegenüber. Am Ende des Buches war ich völlig verblüfft von der Erkenntnis und sah das Vergangene und die Zukunft mit anderen Augen. Ich habe das Gefühl etwas über mein Leben erfahren zu haben, dass ich noch nicht wusste. Wie können so wenige Worte nur so eine große Kraft haben?

Bewertung vom 13.10.2022
Brandes, Richard

Wenn das Böse nach Brandenburg kommt


ausgezeichnet

Eigentlich soll sich die Kriminalhauptkommissarin Carla Stach noch von den Ereignissen des letzten Falls erholen, doch das Böse wartet nicht auf ausgeruhte Polizisten. Und so geht es für sie gleich weiter, und zwar mit ziemlich üblen und niederträchtigen Morden. Im Fokus des Mörders sind rüpelige, männliche Jugendliche. Und die Art des Mordens lässt auf einen Psychopathen schließen. Carla und ihr Team haben mordsmäßig zu tun, ihm auf die Schliche zu kommen. Titel und Cover ließen mich schon vermuten, hier erwartet einen kein seichter Cosy Crime, hier geht’s zur Sache! Es beginnt spannend und bleibt spannend. Und zwar so, dass ich mal wieder meine S-Bahnhaltestelle verpasst habe und kurz vor Ende des Buches meinen Kindern lieber Pizza bestellt habe, als liebevoll Brote zu schmieren (eine sogenannte „Win-win-Situation“). Die Story hat eine ziemliche Dynamik und lässt einen nicht so leicht wieder los. Es ist alles dabei, um die schwachen Nerven zu strapazieren: Lost Places, Gruselhäuser, dunkle Wälder und eine erschreckende Ahnungslosigkeit, bis einen am Ende die Erkenntnis wie ein Schlag trifft. Richtig gelungen war nicht nur der Regionalbezug als Ort des Geschehens, sondern auch ein Blick in die Vergangenheit der DDR. Für mich somit ein rundum 1a Krimi mit Nackenhaarsträubungsatmosphäre.

Bewertung vom 27.09.2022
Langroth, Ralf

Ein Präsident verschwindet / Philipp Gerber Bd.2


ausgezeichnet

Kriminalhauptkommisar Gerber ermittelt im Fall des verschwundenen Verfassungsschutzpräsidenten Otto John. Wir befinden und im Jahr 1954, mitten im geteilten Berlin. Der Machtkampf zwischen dem Ost- und den West-Sektoren ist in vollem Gange. Die Geliebte von Philipp Gerber, Eva Herden scheint irgendwie in das Rätsel um das Verschwinden Johns involviert zu sein. Denn nach einem Treffen mit ihm, ist auch sie plötzlich verschwunden. Dann wird ein Barbesitzer aus dem Rotlichtmilieu tot aufgefunden, und auch hier führt die Spur zu Eva. Hat sie die Seiten gewechselt? Phillip kann und will es nicht glauben.
Die Zeitreise ins Nachkriegsdeutschland, ganz zu den Anfängen der BRD, fand ich wirklich spannend. Die Spionageaktivitäten zwischen Ost und West haben wirklich potential für gute Stories. Die Stimmung, die hier aufgebaut wird, wirkt authentisch. Man fühlt sich richtig in die 50er Jahre versetzt. Bestimmte Details, wie die Schreibmaschienenüberschriften der Kapitel tragen ebenfalls dazu bei. Für mich war es wirklich mal etwas anderes und ich habe mich in der Zeit sehr wohl gefühlt. Ab und an hätte ich mir aber für einen Thriller doch mehr Spannung und Nervenkitzel gewünscht. Es blieb eher seicht und gediegen. Aber auch das ist ja manchmal ganz schön.

Bewertung vom 25.09.2022
Bervoets, Hanna

Dieser Beitrag wurde entfernt


ausgezeichnet

Hast du dich schon einmal gefragt wer eigentlich die ganzen Beiträge im Internet überprüft und gegebenenfalls löscht? Nein? Ich bisher auch nicht. Man regt sich auf, warum etwas noch so oder so auf Facebook, Instagram und Co stehen darf. Man versteht nicht warum anderes gelöscht wird. Aber wer diese Entscheidung treffen muss, dass bleibt verborgen. Hanna Bervoets bringt genau jene ans Licht. Kayleigh arbeitet für eine Firma, die das Internet nach unangemessenen Posts durchforstet. Täglich muss sie sich hunderte von Beiträgen und Videos ansehen. Darunter stark verstörende Szenen von Tierquälerei, Kindesmisshandlung, Gewalt, Sex und Terror. Nach und nach dringt die digitale Horrorwelt auch in ihr Leben ein und verändert sie.
Der Roman ist mit seinen knapp 100 Seiten wirklich kurzgehalten. Erzählt wird er in Briefform, was stilistisch grandios ist und für die Kürze auch machbar. Ich denke jedoch, dass ein bisschen mehr drum herum dem Roman gutgetan hätte. So blieb für mich doch einiges eher vage. Sehr gut fand ich jedoch das Thema des Romans. Das dort, wie in einem Callcenter, Menschen wie du und ich sitzen, die mit allem Abartigen des Netztes tagein tagaus konfrontiert werden, damit sie am Ende des Monats ihre Miete bezahlen können, darüber hatte ich tatsächlich bisher noch nie nachgedacht. Ich empfinde es im Angesicht der so hoch gelobten Digitalisierung als unwürdig und ungehörig.

Bewertung vom 25.09.2022
Dröscher, Daniela

Lügen über meine Mutter


ausgezeichnet

Die Autorin Daniela Dröscher nimmt uns mit ins Deutschland der 1980er Jahre. In eine Kindheit im Hundsrück. Ihre Kindheit. Wir finden uns in einer Familie wieder mit einer liebevollen, wuseligen und tatkräftigen Mutter, einem Vater, der sich darüber definiert was andere von ihm denken und Großeltern, die ihre eigenen Vorstellungen vom Leben haben. Und die kleine Ela mittendrin, in ihrem Stufenrock und ihren Barbies und Jessy, dem Nachbarskind, das auch irgendwie mit ihr verwandt ist und nicht so viel Glück im Leben hatte. Zwischen den Eltern herrschen ständige Reibereien. Das primäre Thema: Das Gewicht der Mutter. Wie ein Makel klebt es an der Mutter. Wie eine Schuld. Wie eine schlechte Eigenschaft. Und so dreht sich das Rad zwischen Diäten – und Zeiten ohne Diät. Zwischen den Erzählungen aus ihrer Kindheit, bekommen wir kurze Einblicke in die Gegenwart, in der sie mit ihrer Mutter über die Vergangenheit spricht. Dies schafft noch mehr Nähe zur Geschichte. Und lässt manches im Rückblick auch anders aussehen.
Mich hat dieser Roman sehr gefesselt aber auch oft wütend gemacht. Diese Reduzierung der Mutter auf ihr Äußeres fand ich schrecklich, und auch wie die Kinder mit hineingezogen wurden in den Ehekrieg. Man spürte deutlich die Liebe Elas zu beiden Eltern und die Zerrissenheit es beiden recht machen zu wollen. Da ich selbst ein Kind der 80er Jahre bin, war vieles für mich sehr vertraut und fühlte sich doch so fern an. Sprachlich und stilistisch hat mich dieses Buch sehr beeindruckt. Diese sehr private Geschichte auf so eine gefühlvolle und doch auch unterhaltsame Art zu erzählen war wirklich großartig. Für mich war dieses Buch definitiv ein echtes Highlight in diesem Lesejahr.

Bewertung vom 10.09.2022
Strobel, Arno

Fake - Wer soll dir jetzt noch glauben?


ausgezeichnet

Und plötzlich ist alles anders! Patrick möchte einen schönen freien Tag mit seiner Frau Julia verbringen, als es unverhofft am Morgen an der Tür klingelt und die Polizei davorsteht. Patrick wird zu einem Vermisstenfall befragt. Er soll eine Frau belästigt und bedroht haben. Diese ist nun verschwunden und ihre Freundin beschuldigt Patrick etwas damit zu tun zu haben. Das Ehepaar ist fassungslos. Patrick kennt weder diese Frau noch ihre Freundin und beteuert seine Unschuld, doch es taucht ein Videobeweis auf. Und nun stellt sich die Frage, was ist Fake und was ist Fakt? Wer will Patrick etwas anhängen? Ist das Video echt? Und wer glaubt ihm noch? Dies war tatsächlich mein erster Thriller von Arno Strobel. Unglaublich, denn bei mir stehen so einige noch im Bücherregal. Und nachdem ich dieses Buch innerhalb von 2 Tagen regelrecht inhaliert habe, fristen diese Bücher in völlig zu Unrecht ein stiefmütterliches Dasein. Die Story ist spannend vom ersten bis zum letzten Wort. Sie bewirkt genau das was beabsichtigt ist, den Leser völlig zu verunsichern. Ein Hin und Her zwischen Schuld und Unschuld. Jeder Protagonist rückt mal in den Verdacht, sich schuldig gemacht zu haben. Dieses Buch hat die Einstufung als Psychothriller mehr als verdient. Mein bisheriges, absolutes Lesehighlight in diesem Spätsommer.

Bewertung vom 05.09.2022
Noort, Tamar

Die Ewigkeit ist ein guter Ort


gut

„Die Ewigkeit ist ein guter Ort“ von Tamar Noort
Mitten im Gebet am Bett einer Sterbenden entfällt der jungen Pastorin Elke der Text des „Vater unser“. Die Worte wollen ihr einfach nicht mehr über die Lippen kommen. Sie stellt fest, dass ihr auch sonst alles abhanden gekommen ist was von Gott handelt und sie schon ihr ganzes Leben lang begleitet. „Gottdemenz“ nennt sie es. Ihr Leben gerät völlig aus den Fugen, denn ihr Fundament scheint auf Sand gebaut zu sein. Oder ist die Basis rissig geworden, nach dem Tod ihres Bruders?
Mich hat der Klappentext und auch die Leseprobe total neugierig gemacht. Auch der Schreibstil hat mir sehr gefallen. Doch schnell wurde mir die Protagonistin unsympathisch und hier Handeln für mich nicht mehr nachvollziehbar. Der morbide Charme hatte sich schnell abgenutzt und wandelte sich in Ekel. Dazwischen waren leider auch oft Passagen die ich langweilig fand und nicht ganz verstand was sie zur Geschichte beitragen sollten. Insgesamt fehlte mir das Verständnis für die Hauptfigur, da sie doch häufig kindlich fast kindisch wirkte. Leider war dieses Buch für mich kein literarisches Highlight.

Bewertung vom 26.08.2022
Warda, Manuela

Den Wind im Haar, das Meer im Blick


ausgezeichnet

„Den Wind im Haar, das Meer im Blick-Mein turbulenter Neuanfang auf Hallig-Hooge“ von Manuela Warda
Ein Stellenangebot weckt Manuelas Interesse. Gesucht wird die neue Halliglehrerin. Und so packt sie Kind und Kegel und zieht nach Hallig Hooge, ein kleines Fleckchen mitten in der rauen Nordsee. An ihrer Seite ist ihre Tochter Ella. Für beide wird es ein Abenteuer, dass sie verändern wird. Manuela wird als Lehrerin stark herausgefordert. 13 Schülerinnen und Schüler werden von ihr unterrichtet in den Klassenstufen 1-9 und dies alles zur selben Zeit. Dies verlangt perfekte Organisation mit eine großen Prise Improvisation und Spontanität. Und neben dem fordernden Berufsalltag unterliegt das Leben auf der Hallig ganz anderen Gesetzten als auf dem Festland. Hier ist die Natur der Boss. Bei Land unter ruht das Leben und die (Neu-)Hooger werden zum Müßiggang gezwungen. Der Winter ist einsam und ruhig, ohne Weihnachtstrubel, der Sommer farbgewaltig und die Hallig zu dieser Zeit von Touristen bevölkert.
Dieses Buch war für mich wie eine Meditation: beruhigend und inspirierend. Ich bewundere den Mut und den Elan mit dem Manuela ihre Aufgabe angeht. Bei allen Zweifeln und Entbehrungen spürt man auch deutlich was ihr geschenkt wurde. Es spricht so viel Liebe aus ihren Worten über die Natur, die Nordsee, aber auch Land und Leute, dass es mich sehr berührt hat. Ich liebe die Nordfriesischen Inseln und war bereits auch auf Hallig Hooge. Auch ich habe diese besondere Ruhe und Entschleunigung genossen. Für mich war es stets auch eine Erholung für Geist und Seele. Und genau dieses Gefühl hatte ich auch beim Lesen dieses Buches. Es ist ein echter Sehnsuchtswecker!

Bewertung vom 16.08.2022
Bernstein, Lilly

Findelmädchen


ausgezeichnet

Mittlerweile ist der Krieg seit 10 Jahren beendet. Deutschland befindet sich im Wiederaufbau. Die Findelkinder Helga und Jürgen, die unter dramatischen Umständen die Nachkriegszeit nur knapp überlebt haben, wachsen bei einem lieben Paar in Frankreich auf. Doch nach so vielen Jahren des Hoffens ereignet sich tatsächlich ein kleines Wunder. Der unbekannte Vater der zwei, wird aus der Kriegsgefangenschaft entlassen und findet seine Kinder im entfernten Frankreich. Als Helga und Jürgen zurück in ihre alte Heimat Köln reisen, könnte ihr Glück kaum größer sein. Doch Deutschland ist nicht nur das Land des Wirtschaftswunders, in dem Milch und Honig fließt. Viele der Menschen tragen immer noch das bösartige und grausame Gedankengut der Naziherrschaft in sich, sind verroht und lebenshungrig. Da mir schon der erste Teil „Trümmermädchen“ so sehr gefiel, war klar, dass ich dieses Buch auch unbedingt lesen musste, und meine Erwartungen wurden noch übertroffen. Lilly Bernstein hat einen so einfühlsamen und bildhaften Schreibstil, dass man diese Zeit deutlich vor sich sehen kann. Sie trifft den Schmerz dieser Zeit punktgenau und erzeugt damit beim Lesenden eine Gefühlsexplosion. Geschichten von Eltern und Großeltern erhalten plötzlich Farbe und lassen einen erst jetzt begreifen und mitfühlen. Denn das Wissen war bereits da, doch das zugehörige Gefühl wurde erst so richtig durch diese Buch offenbar. Und jeder der die Emanzipation der Frau belächelt, sollte dieses Buch lesen, um zu verstehen wie unsere Welt noch vor ein paar Jahrzehnten aussah. Und das es wichtig ist, dass wir nie wieder dorthin zurückkehren.

Bewertung vom 09.08.2022
Adams, Marie

Carolas Chance / Das Haus der Hebammen Bd.2


ausgezeichnet

„Das Haus der Hebammen - Carolas Chance“ von Marie Adams
Wir reisen zurück ins Jahr 1994. Die Zeit, der Telefonkarten, von Punika und des Tamagotchis. Drei Frauen führen dort seit 5 Jahren das erste Geburtshaus Kölns und sind damit erfolgreich. Frauen sollen endlich in geschütztem Raum und ohne grelles Neonlicht ihre Kinder zur Welt bringen dürfen. Die drei Hebammen Carola, Susanne und Ella lieben ihren Beruf mit Leib und Seele. Aber leicht ist es bestimmt nicht, denn sie müssen ihr Leben dem Rhythmus der Babys anpassen. So laufen die drei stets mit Piepser durch ihren Alltag und müssen jederzeit abrufbereit sein. Besonders für Carola wird dies zur Belastungsprobe, denn neben ihrem absoluten Traumberuf hat sie noch einen erfolgreichen Mann und und drei Kinder an ihrer Seite, die auch nach ihre Verlangen. Mehr und mehr wird dies zu einer harten Belastungsprobe für Carola.
Neben der wirklich wunderschön erzählten Geschichte über die Hebammen habe ich diese Zeitreise total genossen. Noch vor einigen Jahren kamen mir die 90er Jahre so ereignislos und langweilig vor. Eher ein Abklatsch der 60 und 70er Jahre (jedenfalls modisch). Aber Marie Adams hat mich mich mitgenommen in jenes Jahrzehnt und viele Erringungen sind wieder greifbar geworden. Ängste und Sorgen von damals, die sich mittlerweile lächerlich anfühlen, aber auch Träume und Gewohnheiten die ihren ganz eigenen Charme hatten, sind plötzlich wieder lebendig und präsent und haben bei mir ein wunderbares „Damals-Wohlgefühl“ gezaubert. Und gleichzeitig war ich doch auch erstaunt, wie vertrackt spießig die Rollenbilder in der 90er Jahren noch waren. Wenn man heute drauf zurück sieht, bemerkt man erst mal welche Entwicklung bereits stattgefunden hat.
Dies war der zweite Teil der „Geburtshaus-Trilogie“. Das Buch ohne Kenntnis des ersten Teils zu lesen ist aber durchaus möglich. Wer jedoch eine kleine Zeitreise in die Wendezeit bevorzugt sollte den ersten Teil nicht verpassen. Ich bin gut und sicher wieder im Hier und Jetzt gelandet, sehe aber mit viel Liebe und einem Wohlgefühl, dank Marie Adams, zurück auf mein Jahrzehnt der 90er Jahre.