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Milienne
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Essen

Bewertungen

Insgesamt 148 Bewertungen
Bewertung vom 10.07.2022
Kein Sommer ohne dich
Henry, Emily

Kein Sommer ohne dich


weniger gut

Seichte Sommerlektüre

Poppy lebt für’s und mittlerweile sogar vom Reisen. Denn sie arbeitet in New York für ein Magazin, das stets über die spannendsten und schönsten Reise berichtet, sodass Poppy ihre Wunschziele nur ihrer Chefin richtig schmackhaft machen muss. Eigentlich der Traum jeder Reisebloggerin und auch Poppy’s - glücklich ist sie trotzdem nicht. Das war sie das letzte Mal vor zwei Jahren im Sommerurlaub mit ihrem besten Freund Alex, der seit dem eher ihr ehemaliger bester Freund ist. Mit dieser Feststellung versucht sie wieder an diese Beziehung anzuknüpfen, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und endlich wieder glücklich zu werden, ein heißer Sommerurlaub inklusive.

Anders als ein kurzer, aufregender Sommer gestaltet sich das Lesevergnügen dieser Sommerlektüre. Die “Probleme” , vor denen Poppy und Alex stehen werden unnatürlich in die Länge gezogen. Mit der Erwartung einer lockeren, leichten Sommerlektüre möchte ich gar nicht mal so viel Spannung, jedoch wird diese gar nicht erst aufgebaut, versucht wurde es, allerdings mehr gewollt als gekonnt. Man erfährt lange nicht, warum es überhaupt zum Kontaktabbruch zwischen den beiden kam, man kann es sich natürlich denken, das einzige was ein wenig überrascht ist die tatsächliche Trivialität der Umstände, um die so viel Aufstand gemacht wird. Und dann zwei Jahren ohne Kontakt wird die Freundschaft auf einmal genau wie vorher - bis sie dann doch wieder die freundschaftlichen Grenzen überschreitet und den Leser durch ewig lange Sexszenen zwingt. Das mag den einen gefallen, mir leider gar nicht. Auch der Rest der Story zieht sich.

Die beschriebene Umgebung löst wahrhaftig sommerliche Gefühle aus und man bekommt Lust auf Urlaub, so viel wird beim Lesen erreicht.
Auch der Anfang, wo Poppy darüber nachdenkt, warum sie so unglücklich ist, hatte eigentlich viel Potential. Sie hat alles, was sie je wollte und ist trotzdem nicht erfüllt, was ihre Freundin auch perfekt analysiert: Wenn man alles erreicht hat, kann man sich auf nichts mehr freuen. Gerne hätte ich mehr von ihr gelesen, anstatt als plumpe Lösung die Liebe serviert zu bekommen. Aber so hohe Ansprüche möchte ich an einen seichten Liebesroman der Art eigentlich nicht stellen, weiß man doch immer was man bekommt. Das Wort “Komödie” würde ich allerdings aus der Beschreibung streichen, gelacht habe ich wirklich wenig.

Bewertung vom 22.06.2022
Verheizte Herzen
Crossan, Sarah

Verheizte Herzen


ausgezeichnet

Mutig und schön

Woher sollen wir wissen, welche Tage später mal Wendepunkte sind?
Man schiebt es hinaus, denkt man hat Zeit, alles zu klären und lässt Sachen ungesagt, Dinge ungetan. Doch was, wenn wir sie nie wieder sagen können?

Ann arbeitet in einer Kanzlei und verwaltet Testamente anderer Menschen. Sie weiß also zu gut, dass das Ende stets eintreten kann und das man nicht alles vorbereiten kann. Doch das ausgerechnet er, der, mit dem sie noch so viel vor hatte oder halt eben nicht, tot ist, darauf konnte sie sich nicht vorbereiten. Nie wieder kann er sie küssen, sie hinhalten, sie verletzen, sie anlügen… . Da keiner von ihnen weiß, muss sie diesen Verlust, der keiner sein dürfte, weil diese Beziehung nicht sein dürfte, nun mit sich alleine ausmachen. Mehr zu ihm sprechend als zu uns, lässt sie die gemeinsame Zeit in Versen Revue passieren. Kurze, prägnante Sätze, pointierte Worte, retrospektivische Bewertungen und das innerliche Durcheinander: All das machen diesen Roman besonders, wie ein Lied, dessen Songtext sich sofort einprägt.
Nicht nur inhaltlich empfinde ich Sarah Crossans Werk als sehr originell, die Affäre ist nicht selten vertreten im Roman, aber wann hat eine Protagonistin schon Zeit, die Sicht der Frau kennenzulernen? Dass erst der Mann, der in diesem Liebesdreieck die Spitze bildete; sterben muss für diesen Perspektivwechsel; sagt so viel über die Affäre aus. Das Unehrliche, die Verschlossenheit. Vor allem hat die formale Gestaltung positiv überrascht: Nie hätte ich gedacht, von einem Roman in Versform so begeistert zu sein. Dieser Aufbau der Sprache spielt mit dem Inhalt, erleichtert ihn und macht es gleichzeitig so schwer, nicht mitzufühlen. Auch mein Herz war danach verheizt.

Bewertung vom 12.06.2022
Ein unendlich kurzer Sommer
Pfister, Kristina

Ein unendlich kurzer Sommer


ausgezeichnet

“Wer sagt, dass unser Sommer enden muss?”
Paulette und Gustav erleben eine einmalige Liebesgeschichte, die jedoch nur den Sommer über halten soll. 38 Jahre später droht diese Geschichte von vielem Ungesagten und verpassten Chancen sich zu wiederholen - kann eine Sommerromanze auch den Alltag überstehen?
Christophe findet nach einem Schicksalsschlag nicht nur seinen Vater, sondern auch Lale, auf dem Campingplatz, um ihrer eigenen Lebensrealität zu entfliehen. Doch wie lange soll die Flucht gehen?
Ungetrübt zeigt der Roman, was bei vielen Geschichten über die große Sommerromanze sonst verklärt wird: Der Alltag, das Leben davor und danach, die Vernunft, der Mangel an Wirklichkeitsbezug und die Begrenztheit der Zeit. Vor allem Lale hält sich immer wieder vor Augen, dass das alles eine Parallelwelt sei und handelt vor lauter neuer Gefühle weder irrational noch überstürzt, sehr erfrischend für eine Liebesgeschichte dieser Art ist. Christophe wirkt in seinem Verhalten oft sehr kindlich und tatsächlich empfinde ich beim Lesen keine Chemie zwischen den beiden, weswegen ich umso mehr Lales vernunftbasiertes Verhalten verstehe. Mehr Potenzial sah ich in der Beziehung, die in dem Prolog angedeutet wird, zwischen Gustav und Paulette. Leider lebt diese nur in der Vergangenheit und wird wenig erläutert, davon hätte ich mir mehr erhofft. Dafür sind die Figuren außerhalb jeglicher Liebesbeziehung umso gelungener: Der spirituelle James und seine Herzumarmungen, der etwas andere Teenager Flo und seine überbehütende Mutter und auch der mürrische Gustav, sie alle tragen dazu bei, dass aus dieser Parallelwelt ein echtes Zuhause wird. Ein emotionaler Roman über Schicksalsschläge, verpasste Gelegenheiten, sommerliche Gefühle und alles, was danach kommt. Macht natürlich Lust auf Sommer!

Sehr gut hat mir auch die Gestaltung des Covers gefallen, wirklich liebevoll und detailliert!

Bewertung vom 29.05.2022
Iva atmet
Lasker-Berlin, Amanda

Iva atmet


weniger gut

Iva, eine junge Mutter und Krankenschwester, hat keine Ausweichmöglichkeit mehr: Ihr Vater liegt im Sterben, sie kann nicht anders, sie muss in das alte Familienanwesen in Dresden zurückzukehren, um die in seiner Nähe zu sein. Dafür muss sie ihr Baby Shlomo und ihren Mann Roy einige Tage allein lassen muss. Iva sieht sich in der alten Heimat mit Erinnerungen konfrontiert: Die von der Großmutter geliebten Köcherbäume, die genau wie sie selbst entwurzelt wurden, die Geschwister, die sich auf unterschiedlichen Wegen vom Vater abgewandt haben, die Mutter, die nicht mehr da ist. Iva ist eine aufgewühlte junge Frau, gezeichnet von einem Trauma, dessen Ursprünge durch verschiedene Rückblicke deutlich wird. Die Treffen der Erwachsenen im Haus, das seltsame Verhalten der Mutter und dann noch die Großmutter, mit ihren Zeichnungen und ihren Erinnerungen an Afrika. Roy, den sie als Kind kennenlernt und sein Vater, der sie über ihren Vater und Großvater ausfragt und sich mit der Vergangenheit ihrer Familie auseinandersetzt. Das Alles hatte sie hinter sich gelassen.
Zurück in Dresden lernt Iva Ismene kennen, eine ebenfalls junge und gebrochene Frau, auf ihre eigene Art und Weise von der Vergangenheit markiert. Die beiden entwickeln eine unkonventionelle Beziehung zueinander. Irgendwie steht Iva die 18 Tage bis zum Tod ihres Vaters durch, zu dem die eigentlich gar keine Beziehung mehr hatte, bevor sie in ihr altes Leben zurückkehrt.
Im Rahmen eines Lesefestivals durfte ich das Buch lesen und daraufhin an einer Gesprächsrunde mit der Autorin teilnehmen. Das Lesen fiel mir schwer, die Story zog sich für mich, aber ich versuchte, mir Fragen zu stellen und die vielen Fragezeichen der Erzählung als Grundlage von verschiedenen Deutungen zu nutzen. Das Gespräch mit der Autorin war dahingehend ziemlich ernüchternd, als habe sie sich tatsächlich wenig bei der Umsetzung gedacht. Abgesehen von dieser persönlichen Erfahrung, kratzt der Roman meiner Meinung nach an verschiedenen Oberflächen, ein Blick in die Tiefe hätte sich gelohnt, entstand jedoch nie. Die Erzählperspektive passt zu dem Werk, ein unpersönlicher, nicht Iva selbst, tatsächlich wäre Iva meiner Meinung nach nicht in der Lage selber zu erzählen. Sie ist sehr schweigsam und passiv, was eine Figur ruhig sein darf, jedoch besteht ihr Charakter meines Empfindens nach nur aus ihrem Trauma und ist ansonsten sehr flach. Eigentlich sind alle Figuren beschädigt, in ihrer Beschädigung gefangen und dadurch determiniert, sodass es nicht zu einer Entwicklung der Handlung kommt und auf dem emotionalen Status Quo der Figuren verharrt wird. Dabei lassen sich viele spannende Motive entdecken: Ivas Probleme mit der Mutterschaft, die Köcherbäume als Symbol für Entwurzelung, die Frage nach Schuld und den Umgang damit und der eine Vater, der zu viel über die Vergangenheit redet und der, der alles verschweigt. Alles wird genannt, aber sonst nicht weiter behandelt. Für mich wurde letzten Endes viel geschrieben, aber wenig gesagt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.04.2022
Die andere Schwester / Karlstad-Krimi Bd.2
Mohlin, Peter; Nyström, Peter

Die andere Schwester / Karlstad-Krimi Bd.2


gut

Der zweite Teil der Karlstadt-Reihe

Das Opfer ist das hübsche Gesicht, das hinter der innovativen Dating-Plattform Raw steckt_ Stella Bjelke. Dass eigentlich ihre Schwester, die aufgrund eines Unfalls als entstellt gilt, in Wahrheit der treibende Motor des genialen Algorithmus ist, hat immer wieder zu Spannungen geführt. Klebt auch an ihren Händen Blut?
John Adderly befindet sich dank des Zeugenschutzprogramms in Schweden und ermittelt in diesem Fall. Doch er kann sich nicht nur auf diesen konzentrieren, er selbst wird bedroht und verfolgt, das Zeugenschutzprogramm scheint keinen vollständigen Schutz zu bieten. So kommt es zu zwei Handlungssträngen: Der Fall der ermordeten Frau und John Adderlys eigener Fall.

Den ersten Teil habe ich nicht gelesen, jedoch weiß ich aus Erfahrung, dass man auch so in die Teile einer Krimireihe ganz gut reinfindet, vor allem da die aktuellen Fälle selten etwas mit den Vorgängern zu tun haben. John Adderlys Geschichte rund um seine Vergangenheit, seine Probleme und die Machenschaften des FBI’s haben mir, trotz genügender Aufklärung durch den Erzähler, jedoch einfach nicht gefallen. Ich empfand seinen Handlungsstrang als wenig realistisch und viel zu amerikanisch angehaucht, gerade im Vergleich zum Inhalt der anderen Untersuchung. Diese fand ich gerade im Kontrast sehr interessant, es werden verschiedene Aspekte auf Basis zwischenmenschlicher Beziehungen und gesellschaftlicher Ebene beleuchtet. Alleine die Beziehung der beiden Schwestern wäre einen eigenen Roman wert, die privaten Angelegenheiten des Ermittlers haben absolut gestört. Auch die Idee, wie die Dating-Plattform Raw funktioniert zeugt einerseits von Kreativität, andererseits zeigt sich hier, wie sehr sich das Dating-Verhalten der Gesellschaft verändert hat. Gerne hätte ich mehr über all diese Gesichtspunkte und auch den eigentlichen Fall gelesen. Obwohl die Verknüpfung der beiden Angelegenheiten am Ende tatsächlich sehr gelungen ist, kann ich über den Störfaktor der Handlung rund um John Adderly leider nicht hinwegsehen.

Bewertung vom 15.04.2022
Vertrauen
Mishani, Dror

Vertrauen


gut

Ruhiger Krimi

"Vertrauen" ist das erste Buch, was ich von Dror Mishani lesen durfte. Von einem israelischen Krimi habe ich mir Abwechslung erhofft, in dieser Hinsicht wurde ich auch nicht enttäuscht. Über die europäischen Grenzen hinaus werden solche Fälle natürlich anders gehandhabt, alleine dieser Einblick, vor allem in Hinblick auf den Einfluss des Mossads, ist natürlich sehr spannend.

Der Oberinspektor Avi Avraham möchte sich nicht mehr Fällen widmen, die von Hoffnungslosigkeit geprägt sind, er möchte das Böse bekämpfen BEVOR es zu spät ist. Dieses Motiv, das die Handlung des Protagonisten antreibt, hat bei mir das Interesse an dem Kriminalroman geweckt, da es mir einfach einleuchtete. Wie die Thematik weiter behandelt wurde, stellte mich auch zufrieden. Allerdings fiel es mir schwer, den beiden Fällen zu folgen, bzw. ließ meine Aufmerksamkeit doch sehr nach und ich empfand das Lesen als sehr langatmig. Das ist nicht unbedingt dem Schreibstil des Autoren zuzuordnen vielmehr dem Inhalt. Keiner der beiden Handlungsstränge berührte mich genug, um aktiv den Überblick behalten zu wollen. Umso dankbarer war ich, als zumindest partiell eine Verknüpfung stattfand.

Wer die Nase voll von "klassischen", schwedisch Krimis hat und Spannung sowieso nur im gewissen Maße erträgt, sollte diesem Kriminalroman trotz allem eine Chance geben, so leicht bekommt man sonst keinen Einblick in die israelische Kriminalarbeit!

Bewertung vom 26.03.2022
Fritz und Emma
Leciejewski, Barbara

Fritz und Emma


ausgezeichnet

Ein Auge lacht, das andere weint

Als ich den Klappentext gelesen habe, erinnerte mich die Geschichte sofort an eines meiner Lieblingsbücher aus der Jugend: Salzige Küsse, geschrieben von der niederländischen Kinder- und Jugendbuchautorin Tine Bergen. Eine alte Liebe, die in Kriegszeiten viel Leid durchmachen musste und daran zerbrach, Rückblicke, Krieg, eine Gegenwart, die immer noch Spuren dieser einstigen Bindung enthält, ein Umzug und eine Protagonistin, die sich auf die Suche nach Antworten begibt, um zu verstehen: Was bringt zwei Menschen, die eigentlich füreinander bestimmt waren, auseinander? Und kann mir das auch passieren?

Wie bereits Tine Bergen, webt Barbara Leciejewski aus starken Gefühlen, persönlichen Leidensgeschichten, Traumata, Veränderung und Neugier eine bittersüße Geschichte, die das Leben von Fritz und Emma ummantelt. Es wird gezeigt, das Liebe alleine nunmal manchmal nicht reicht, welchen Einfluss traumatische Erfahrungen auf eine Beziehung haben, wie diese einen im Weg stehen und dass wir nie zu alt für ein Happy End sind.

Die Autorin hat beim Wechsel zwischen Vergangenheit und Gegenwart genau das richtige Maß gefunden und ich war sehr dankbar, dass wir im Gegensatz zu Marie früh erfahren, was zwischen Fritz und Emma vorgefallen ist, jedoch so rationiert, dass die Spannung bleibt. Auch Marie ist die ideale Protagonistin, sie stellt in der Gegenwart die richtigen Fragen und Anforderungen, die die Handlung erst so richtig in Schwung bringen.
Wie Fritz den Krieg schildert, als das Schlimmste, was Menschen anrichten können, ist momentan leider von unvorhersehbarer Relevanz und umso treffender.

Über verpasste Chancen reden, jedoch ohne Reue, ohne Vorwürfe- “Fritz und Emma”zeigt, wie die Liebe und das Leben nunmal auch laufen können und wie sehr man schätzen sollte, was man hat. Mein Herz wurde beim Lesen gleichermaßen gebrochen wie auch zum Hüpfen gebracht, ein wunderbares Buch.

Bewertung vom 15.03.2022
Jeder Tag für dich
Greaves, Abbie

Jeder Tag für dich


ausgezeichnet

Unfassbar rührend!

Eine 1,80 m große Frau am Bahnhof in Earling, in den Händen ein Schild, auf diesem geschrieben: “Komm nach Hause, Jim” - das fällt so oder so auf. Dank eines Videos wird auch eine junge Reporterin aufmerksam, die sich bei der Suche nach Jim nicht auf ein Schild beschränken möchte. Sie taucht in das Leben der Dame mit dem Schild, Mary, ein. Dazu gehören im Prinzip nur die Schichten in einem Supermarkt, die freiwillige Arbeit bei dem Seelsorge-Telefon Nightline, das Warten auf Jim und damit das Klammern an Erinnerungen einer einzigartigen Liebe. Kann diese wirklich schon vorbei sein?

Die Geschichte der vierzigjährigen Mary berührt den Leser auf vielen Ebenen. Jeder der einmal verliebt war weiß, wie süchtig dieses Gefühl machen kann, aber auch wie tief der Fall sein kann, wenn diese Liebe vorbei geht. Die Autorin zeigt nicht nur, wie schmal der Grat zwischen unendlichem Glück und bitterer Enttäuschung sein kann, sondern auch, wie es eben zur letzteren kommen kann. Dabei liegt der Fokus nicht nur auf der Beziehung zwischen zwei Menschen, viel wichtiger wird in diesem Kontext die Beziehung zu sich selbst, in Form von psychischer Gesundheit, beleuchtet. Ein sehr sensibles Thema, welches die Autorin mit einer Menge Feingefühl und Empathie angeht. Jede der Figuren ist auf irgendeine Art betroffen, was in diesem Werk besonders heraussticht, ist die männliche Perspektive. Wie geht es Männern mit Depressionen in unserer Gesellschaft? Abbie Greaves ist es gelungen, diese Frage sichtbar zu machen und durch die Einbettung in die Beziehung von Mary und Jim zudem auch nahbar zu gestalten.
Mary war generell eine, wenn doch verschlossene, sympathische Figur. Vor allem hat sie trotz der Warterei auf einen Mann immer sehr stark gewirkt, ich habe denoch sehr mit ihr gelitten.
Der Schreibstil packt einen, weckt Neugierde und lässt einen jede Emotion selbst fühlen, ich habe das Buch höchstens weggelegt, um meine eigenen Gefühle kurz zu sortieren. Ansonsten habe ich es in einem Durch weitergelesen. Die lange Ungewissheit, die sich am bereits am Anfang der Lektüre einstellt, wird am Ende belohnt. Die Fragen, die ich hatte, werden, wenn auch anders als erwartet, beantwortet und ich konnte das Buch trotz (oder gerade wegen) des ernsten Inhalts mit einem Lächeln beenden.

Bewertung vom 15.03.2022
Das Fundbüro der verlorenen Träume
Paris, Helen Frances

Das Fundbüro der verlorenen Träume


sehr gut

„[...]Manche Dinge sind wie eine Art Zeitmaschine; sie können Menschen heraufbeschwören, die wir verloren haben.”
„Aber sie können sie und nicht zurückbringen.”
„Nein. Nein, das können sie nicht … Aber sie helfen uns, ihre Nähe zu spüren.”

Dot, die einst große Ziele hatte, arbeitet mit 30 immer noch, wie seit Jahren, in einem Londoner Fundbüro und scheint genau darin aufzugehen. Mit viel Sorgfalt nimmt sie ihre beruflichen Pflichten wahr, kategorisiert jeden verlorenen Gegenstand gewissenhaft und trägt sogar freiwillig eine Arbeitsuniform. Sie scheint sich mit ihrer pedantischen Art vollkommen in diesem Beruf zu verlieren. Durch Einblicke in ihr Privatleben, welches eigentlich kaum vorhanden ist und durch die Auseinandersetzung mit den Erinnerungen der Protagonistin wird dem Leser schnell klar, warum sie so geworden ist: ein herber Verlust in der Vergangenheit duch Selbstmord.

Im Hier und Jetzt verliert ein älterer Mann, Mr. Appleby, die Tasche seiner verstorbenen Frau und in Dots Lrbrn verändert sich so einiges. Beruflich ist der neue, schmierige Chef verantwortlich, privat ist die ältere Schwester Phillippa mit ihrer ganz eigenen Art nicht gerade unschuldig an Dots Überforderung. Umso mehr verbeißt sich Dot in das Finden der Tasche - wenigstens Mr. Appleby soll das bekommen, was er sucht. Indes übermannen die Schuldgefühle und Fragen Dot. Doch wird auch sie das finden, was sie vor dem endgültigen Absturz rettet?


Der Titel mutet zunächst sehr kitschig an, jedoch geht der Stoff des Debüts von Helen Frances Paris tiefer als eine schnulzige Lektüre.
Auf feinfühlige Weise erschafft die Autorin eine Fundgrube an sprachlichen Bildern zum Thema Verlust. Hier muss die Übersetzung von Sophie Zeitz ein großes Lob ausgesprochen werden, auch auf Deutsch behielt die Wortwahl ihre geschickte Wirkung. Der Einschätzung des Daily Express (“ein witziges, kluges und warmes Buch”) bleibt hier nur zuzustimmen.
Auch die Idee, die Kapitel mit den Etiketten verlorener Gegenstände zu betiteln empfand ich als einfallsreich. Diese Liebe zum Detail lässt sich auch in der Erzählung selbst finden, jeder verlorene Gegenstand und jede Emotion wird durch die Beschreibungen fast echter als in der Realität. Außerdem hat mir gefallen, dass Liebe und Romantik hier wirklich nur eine kleine Rolle spielen- Dot wartet auf keinen Prinzen, der sie rettet, sondern versucht es aus eigener Kraft.
Tatsächlich fehlt mir bei diesem sensiblen Thema ein wenig die Vorwarnung, diese wäre hier meiner Meinung nach sogar spoilerfrei. Triggerwarnungen sind bei Büchern nicht unbedingt gängig, aber die Vorstellung, das eine betroffene Person hier ohne Vorahnung mit dem Thema Suizid und Depressionen konfrontiert wird, kann nicht die ideale Lösung sein.

Kein kitschiger Roman, der viele Gefühle und noch mehr schöne Worte schafft, man muss jedoch im richtigen Gemütszustand für die Lektüre sein.

Bewertung vom 28.02.2022
Strahlemann
Schaefer, Fritz

Strahlemann


ausgezeichnet

Noch nicht genug von Fritz Schaefer!

Eine nüchterne Aufzählung der im Buch dargestellten Inhalte wäre deprimierend: eine Schwester im Rollstuhl und damit im Zentrum der Aufmerksamkeit, Großeltern, deren Beziehung man heute vielleicht als toxisch bezeichnen würde, unerwiderte Liebe, Verlegenheit beim Thema Sex und sogar das Fließen von Blut. Gott sei Dank erzählt Fritz Schaefer seine Geschichte selber, bevor jemand andere auf die Idee kam eine dramatische Biografie über seine Entwicklung zu machen, die tatsächlich sehr beachtlich ist. Der Radio-Moderator lässt seine Kindheit und Jugend mit seinem Wissen von heute auf eine geistreiche, humorvolle und treffende Weise Revue passieren. Die Schwierigkeit, Erinnerungen aufzuschreiben ohne sie zu verschönern meistert er indem er Zweifel an seiner eigenen Gedächtnisleistung direkt äußert, was ihn als Erzähler sehr stark und zusätzlich sympathisch macht. Tatsächlich schafft er es jedoch, die Perspektiven seiner früheren Ichs authentisch darzustellen und man sieht die Welt teilweise durch die Augen eines jüngeren Fritz Schaefers, Nostalgie ist für gleichaltrige vorprogrammiert.
Wer gerne Oscar Wilde zitiert, um über das Schöne zu reden (“Wer in schönen Dingen Häßliches entdeckt, ist verdorben, ohne charmant zu sein. Das ist ein Fehler.”), sollte sich mit der Lehre auseinandersetzen, die Fritz Schaefer aus seiner Erziehung zieht: “Meine Mutter jedenfalls, fiel mir auf, tat gut daran immer für bittersüße, nie gänzlich perfekte Momente in ihrem Leben zu sorgen. [...] Schön wurde nur, was in direkter Nähe zum Schrecklichen lag. Nur aus den richtigen Kontrastverhältnis ergibt sich das individuelle Gleichgewicht.” Wie seine Mutter dieses Verhältnis bei Fritz ausgeglichen hielt und wie er seine Kindheit und Jugend mit allem drum und dran sonst so meisterte, sollte man unbedingt selbst lesen!
Noch lange nicht genug von Fritz Schaefer, aber genug von mir.