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Benutzername: 
takabayashi
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Berlin
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Vielleser

Bewertungen

Insgesamt 163 Bewertungen
Bewertung vom 01.09.2019
Dead Lions / Jackson Lamb Bd.2
Herron, Mick

Dead Lions / Jackson Lamb Bd.2


ausgezeichnet

Lakonisch, humorvoll, rätselhaft und spannend - ein Wiedersehen mit den Slow Horses
Genial der Einstieg über die Katze, die durch Slough House pirscht und uns mit den Räumlichkeiten und den handelnden Personen bekannt macht. Skurrile und originelle Charaktere und ein mysteriöser neuer Fall, ausgelöst durch den plötzlichen Tod eines ehemaligen Agenten im Schienenersatzverkehr zwischen Reading und Oxford. Mick Herron gelingt wieder dieser Mix aus Spannung und Satire, der mir schon beim ersten Band so gut gefallen hat. Tolle Charaktere, witzige Dialoge und eine spannende Geheimdienstgeschichte. Ob das wirklich beim MI5 und MI6 so abläuft? Vermutlich ist in Wirklichkeit alles noch viel schlimmer. Die (Anti-) Helden dieses Romans sind Agenten, die aufgrund eines persönlichen Versagens aus dem aktiven Dienst suspendiert und nach Slough House strafversetzt wurden, wo sie hautsächlich mit Büroarbeiten wie Recherche und Archivieren beschäftigt werden. Man hofft, dass sie davon so frustriert sind, dass sie von sich aus kündigen. Aber hin und wieder werden sie doch noch gebraucht und beweisen, dass sie durchaus einfallsreiche und findige Agenten sind.
In diesem Fall ist nichts so, wie es zuerst scheint. Herrons ironische Schilderung der Geheimdienstaktivitäten weist durchaus kritische Untertöne auf, aber vor allem unterhält er uns prächtig mit einer äußerst turbulenten und spannenden Geschichte. Ich freue mich schon auf die nächste Fortsetzung. Zum Ausklang schnüffelt sich wieder ein Tier - diesmal eine Maus - durch Slough House und besucht noch einmal die Protagonisten. Nicht der übliche Spionagethriller und vielleicht nicht jedermanns Sache, aber von mir gibt es die volle Punktzahl.

Bewertung vom 20.08.2019
Letzte Rettung: Paris
deWitt, Patrick

Letzte Rettung: Paris


gut

Hält nicht ganz, was der Klappentext verspricht
Frances Price, eine sehr exzentrische Mutter von der New Yorker Upper Eastside lebt nach dem Tode ihres Gatten mit ihrem erwachsenen Sohn Malcolm in Saus und Braus, ohne zu bedenken, dass das Vermögen des Verstorbenen zwar sehr groß, aber doch endlich ist, bzw. bekommt man sogar den Eindruck, dass sie es in selbstzerstörischer Absicht darauf anlegt, Pleite zu gehen. Beide sind gelangweilt, Malcolm ist ein echtes Muttersöhnchen, den seine Mutter zu Lebzeiten wohl nicht aus ihrem eisernen Griff lassen wird, und der sich ihr gegenüber nicht behaupten kann, es nicht einmal versucht. Seine Freundin Susan ist am Verzweifeln und versucht, von ihm loszukommen. Dann die schlechte Nachricht vom Hausbanker: es ist nichts, absolut nichts mehr vom Vermögen übrig.
Alle beweglichen Wertgegenstände werden auf Anraten des Bankers noch schnell versilbert und mit diesem nicht unerklecklichen Sümmchen in der Tasche geht es auf nach Paris in die Wohnung einer Freundin von Frances. Auch hier geht das Geldausgeben im großen Stil weiter. Kleiner Frank - der Kater der beiden, der nach Frances Meinung eine Reinkarnation ihres verstorbenen Ehemannes ist - der mitgekommen ist, verschwindet plötzlich. Die beiden scharen ein Grüppchen skurriler Gestalten um sich, die bei der Suche helfen sollen und bald zu einer Art WG werden.
Die Protagonisten erscheinen zwar nicht unbedingt sympathisch, aber wie von ihrem Leben berichtet wird, ist recht amüsant. Aber auch nicht mehr - Anteilnahme für das Schicksal der Personen konnte ich nicht aufbringen, ihre Handlungsweise blieb mir fremd und unerklärlich. Was sich amüsant liest, ist eigentlich traurig: ist es das, was der Autor uns mitteilen will?
Besteht am Ende etwas Hoffnung für Malcolm, der bislang immer ein Außenstehender, ein Beobachter war? Ich weiß es nicht und war von der Lektüre nicht gelangweilt, aber doch irgendwie frustriert. Ich lese lieber Romane mit Identifikationspersonen, doch hier bestand immer eine klare Distanz zu den Protagonisten, die auch kaum Ansätze einer Entwicklung zeigten. Also, guter humorvoller Schreibstil, aber was soll das Ganze?

Bewertung vom 12.08.2019
Im Wald der Wölfe / Jan Römer Bd.4
Geschke, Linus

Im Wald der Wölfe / Jan Römer Bd.4


gut

Etwas zu konstruierter aber ganz unterhaltsamer Krimi
Jan Römer brauchte nach seinem letzten Fall mal eine Auszeit und hat sich deshalb zu einem Urlaub in einer einsamen Hütte im Thüringer Wald zurückgezogen, wo er es genießt, einen Krimi nach dem anderen zu lesen. Doch platzt eines Abends eine Frau mit einer leichten Verletzung in sein ruhiges Idyll. Sie behauptet, nur gestolpert zu sein, wirkt aber ziemlich verstört. Sie kommen ins Gespräch und sie erzählt Jan von einer Mordserie, die schon vor über 50 Jahren begann, sich aber - mit großen Pausen - bis heute hinzieht. Die Gemeinsamkeit aller Fälle ist, dass die Opfer auf der Stirn mit einem Wolfsmal gebranntmarkt wurden. Jans journalistisches Interesse ist natürlich sofort geweckt, denn solche Cold Cases sind ja genau sein Thema.
Es dauert nicht lange, bis seine Kollegin Mütze mit seinem Freund Arslan anreist, um ihn zu unterstützen. Und Arslan bringt seine Freundin Lena mit, eine Psychologiestudentin mit Profiler-Intentionen.Die vier stochern zuerst ziemlich vergeblich in dem Fall herum. Handelt es sich bei diesem langen Zeitraum um einen Mörder oder vielleicht um 2 oder sogar 3 unterschiedliche Täter? Ist ein Trittbrettfahrer dabei?
Es gibt einen weiteren Toten, nämlich einen von ihnen befragten Zeugen, und Jan wird allmählich klar, dass sie sich in zu große Gefahr begeben.
Die Motive für diese generationenübergreifenden Verbrechen haben etwas mit der Nazi-Ideologie, dem DDR- und Stasi-Filz, wirtschaftlicher Gier und Freude am Töten zu tun. Ich mag es gar nicht, wenn in Krimis auch die Täter selbst zu Wort kommen und ihre meist recht kranken und krausen Gedanken ausbreiten. Geschke konstruiert hier eine Story um "das Böse an sich" - mir sind Krimis um Morde mit den gängigen Motiven lieber als Fälle, in denen irgendwelche Psychopathen am Werke sind. Mir wurde das gegen Ende zu heftig. Auch fand ich, dass sich die vier Protagonisten teilweise zu leichtsinnig in Gefahr begeben haben.
Das Aufklärer-Quartett fand ich sympathisch, aber die Mordserie an sich hat mich nicht so überzeugt.
Das war mein 2. Jan Römer-Krimi und einen weiteren Band werde ich eher nicht lesen, weil ich doch etwas humorvollere Krimis bevorzuge, aber wenn ich das richtig gedeutet habe, war dies sowieso der letzte Band der Reihe.

Bewertung vom 10.08.2019
Die geheime Mission des Kardinals
Schami, Rafik

Die geheime Mission des Kardinals


ausgezeichnet

Ein aufschlussreiches Bild der syrischen Gesellschaft – verpackt in einen Kriminalroman
Ich hatte bisher noch kein Buch von Rafi Schamik gelesen, da kam es mir als bekennender Krimileserin sehr zupass, dass sein neuster Roman als Kriminalroman „getarnt“ daherkam.
Der mäandernde, opulente Erzählstil hat mir sehr gefallen und ich habe diesen Bericht aus dem Syrien des Jahres 2010 – kurz vor Ausbruch des Bürgerkrieges – mit großem Vergnügen gelesen. Wobei die Krimihandlung nicht im Vordergrund steht und somit auch der Spannungssog eines Pageturners fehlt; ich habe für meine Verhältnisse relativ lange für diesen Roman gebraucht, was aber nichts über das Lesevergnügen aussagt!

Kommissar Barudi aus Damaskus steht kurz vor der Pensionierung, als er seinen letzten Fall auf den Tisch bekommt: In der italienischen Botschaft wurde ein Fass mit Olivenöl abgeliefert, in dem sich die Leiche eines aus dem Vatikan besuchsweise in Syrien weilenden Kardinals befand. Ein hochbrisanter Fall! Um sich abzusichern schlägt Barudi vor, einen italienischen Polizisten hinzuzuziehen. Ein Glücksfall, wie sich herausstellt. Kommissar Mancini hat Arabistik studiert, spricht also fließend Arabisch, und er und Barudi sind auf Anhieb auf einer Wellenlänge.

Der Roman wechselt häufig die Perspektiven: mal wird in der dritten Person vom Fortschritt der Ermittlungen berichtet, mal erfahren wir durch Ausschnitte aus Barudis Tagebuch sehr viel über seine Persönlichkeit und Vorgeschichte. Auch Mancini und den dritten Verbündeten der beiden, den Spurensicherer Schukri, lernen wir recht gut kennen.

Schamis Erzählweise ist ausufernd orientalisch, er kommt sozusagen vom Hölzchen aufs Stöckchen, aber gerade das macht den Reiz dieser Erzählweise aus und lässt vor dem Auge des Lesers ein Kaleidoskop der syrischen Gesellschaft mit all ihren Facetten entstehen. Einer Gesellschaft, die von der Angst vor dem allgegenwärtigen Geheimdienst geprägt wird, von unterschiedlichen Religionen und von Aberglauben.

Barudi und Mancini machen sich auf zu einer Reise nach Norden, zu einem Bergheiligen, den auch der Kardinal aus Rom aufgesucht hatte. Dabei kommen sie durch das ländliche Syrien und werden schließlich von einer islamistischen Terrorgruppe gefangen genommen, dann aber von diesen beschützt. Mancini drängen sich immer wieder die Parallelen zwischen der mafiösen Gesellschaft Italiens und der geheimdienstverseuchten syrischen Gesellschaft auf.

Barudi hat im Laufe der Erzählung eine neue Liebe, eine Witwe aus der Nachbarschaft, und in Mancini einen neuen guten Freund gefunden. Er schafft es, den Fall aufzuklären, auch wenn er die Art, wie mit seinen Ermittlungsergebnissen umgegangen wird, als persönliche Niederlage empfindet.

Von nun an werde ich sicher noch mehr von Rafik Schami lesen – da habe ich wohl einiges nachzuholen. Durch die Lektüre dieses Romans habe ich sehr viel über Syrien erfahren und der Schreibstil hat mich begeistert. Klare Leseempfehung!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.06.2019
Wilder Winter / Hap & Leonard Bd.1
Lansdale, Joe R.

Wilder Winter / Hap & Leonard Bd.1


sehr gut

Hardboiled Krimi mit witzigen Dialogen
Die Protagonisten dieser Geschichte aus den siebziger Jahren sind zwei sehr unterschiedliche texanische Landarbeiter: Hap – Weiß, Ex-Revoluzzer, Pazifist und Hetero – und sein bester Freund Leonard – Schwarz, schwul, Vietnam-Veteran. Diese beiden unwahrscheinlichen Freunde geraten in ein blutiges Abenteuer, als Haps Exfrau Trudy auftaucht. Sie sollen dabei helfen, die in den texanischen Sümpfen versenkte Beute eines Bankraubs zu bergen; speziell Haps Ortskenntnis ist gefragt. Und trotz ihrer Skepsis gegenüber Trudy lassen sie sich von den in Aussicht gestellten 200000 Dollar verlocken. Hap und Leonard wollen einfach nur das Geld, während Trudy und ihre drei männlichen Kumpane als ewiggestrige Altachtundsechziger das Geld für „die gute Sache“ haben wollen, bzw. wie sich später herausstellt, in den Untergrund gehen wollen. Einer von ihnen hat im Gefängnis einen – inzwischen verstorbenen - Bankräuber kennengelernt, der ihm von der versteckten Beute erzählt hat. Hap und Leonard finden tatsächlich die Geldkanister im eiskalten Wasser, aber dann gehen die Probleme erst richtig los …
Der ungewöhnliche, originelle Krimi mit seinem Sammelsurium von merkwürdigen Charakteren endet in einem furiosen und sehr blutigen Finale. Die Geschichte folgt nicht dem üblichen Krimi-Schema und besticht vor allem durch die Beziehung und die Dialoge zwischen den beiden Freunden, den schwarzen Humor und die Gesellschaftskritik zwischen den Zeilen. Für mich eher etwas zu gewalttätig, aber trotzdem hat mich dieser witzige und spannende Krimi gut unterhalten.

Bewertung vom 31.05.2019
Murder Swing / Vinyl-Detektiv Bd.1
Cartmel, Andrew

Murder Swing / Vinyl-Detektiv Bd.1


ausgezeichnet

Originell, schrullig, witzig und sehr spannend – ein liebenswerter, extrem unterhaltsamer Krimi
Der selbsternannte, namenlos bleibende Vinyl-Detektiv hat sein Hobby zum Beruf gemacht und schlägt sich damit durch, Sammlern Vinyl-Raritäten zu verkaufen, die er bei seinen Streifzügen durch Wohlfahrtsläden, Flohmärkte, spezielle Basare etc. aufgetrieben hat.
Doch eines Tages steht eine hübsche junge Frau namens Nevada Warren vor ihm, die seine – irgendwann spaßeshalber als Vinyl-Detektiv gedruckten - Visitenkarten ernst nimmt und einen Auftrag für ihn als Detektiv hat. Er soll eine rare LP des Jazz-Musikers Easy Geary auftreiben, die letzte Aufnahme eines obskuren Jazz-Labels, das während seines knapp einjährigen Bestehens in den Fünfziger Jahren insgesamt 14 LPs herausgebracht hatte.
Wie eine LP hat der Krimi eine A- und eine B-Seite. Die A-Seite handelt bis auf eine kurze Exkursion nach Japan in London, wo der Protagonist und Nevada sich Plattenkisten durchwühlend auf die Suche nach der LP für Nevadas japanischen Auftraggeber begeben.
Alsbald stellt sich heraus, dass es jemanden gibt, der ihrer Spur folgt und die rare LP unbedingt in seinen Besitz bringen will. Was es mit dieser Platte besonderes auf sich hat, warum sie so begehrt ist, scheint auch Nevada nicht zu wissen. Die beiden germanisch wirkenden Verfolger werden von unserem Detektiv Heinz und Heidi, die arischen Zwillinge, getauft. Eine weitere wichtige Person ist sein bester Freund Tinkler, nicht zu vergessen seine beiden Katzen Turk und Fanny und weiteres skurriles Personal aus seinem Umfeld, wie z.B. die Taxifahrerin Cleanhead.
Die Dialoge sind ziemlich abgedreht, die Marotten der handelnden Personen liebenswert. Auch wenn die Begeisterung für alles was mit LPs und deren Abspielen, Anhören, Reinigen etc. etwas nerdig ist, so versteht der Autor es doch so zu beschreiben, dass man fasziniert weiterliest.
Die B-Seite beschäftigt sich mit der Auflösung des Geheimnisses um die rare LP und handelt größtenteils in LA. Zusammen mit dem Vinyl-Detektiv rätseln wir an der Bedeutung dieser Platte herum, wobei ein altes Tagebuch eine große Rolle spielt. Und wir verfolgen mit Spannung, wie er es immer wieder schafft, den „arischen Zwillingen“ eine Nasenlänge voraus zu sein. Zum Ende hin wird es fast unerträglich spannend, wahrhaft „unputdownable“.
Ich habe diesen erfrischend anderen Krimi aus der Welt der Vinylsammler mit dem größten Vergnügen gelesen und kann es kaum erwarten, den nächsten Band zu lesen. Der Vinyl-Detektiv ist mir richtig ans Herz gewachsen. Uneingeschränkte Empfehlung!

Bewertung vom 07.05.2019
Der Zopf meiner Großmutter
Bronsky, Alina

Der Zopf meiner Großmutter


gut

Geschmacksache
„Kaum jemand kann so böse, so witzig und rasant von eigenwilligen und doch so liebenswerten Charakteren erzählen wie Alina Bronsky“ heißt es im Verlagstext. Doch ich konnte die dominante und bösartige Großmutter beim besten Willen nicht liebenswert finden, und fand ihre Art zu reden nach einer Weile auch nicht mehr witzig. Vermutlich ist sie als eine Art „raue Schale – zarter Kern“-Typ angelegt, aber bei mir kam das so nicht an, ich empfand sie als bissig, herrschsüchtig und gemein. Ihr Ehemann, Mäxchens Großvater ist unter ihrem Regiment fast vollständig verstummt, und dass Max nicht völlig verstört ist, sondern doch noch zu einem normalen jungen Mann heranwächst, geschieht nicht wegen, sondern eher trotz der großmütterlichen Erziehung.
Aber der Reihe nach: der sechsjährige Max kommt mit seinen Großeltern aus Russland in ein deutsches Flüchtlingswohnheim. Die Großmutter, eine ehemals erfolgreiche Balletteuse, hält Max für so schwächlich und krank, dass sie ihm eine spezielle Diät aus püriertem Gemüse zukommen lässt, selbst seine Geburtstagstorte darf er nicht essen, nur dran schnuppern. Er darf nirgends alleine hingehen, wird ständig gemaßregelt und beschimpft (Krüppel, Idiot), darf nicht mit anderen Kindern spielen, muss ihrer Meinung nach ständig vor gefährlichen Keimen geschützt werden. Die deutschen Kinderärzte, die sie mit Max aufsucht, sind ihrer Meinung nach unfähig, denn sie halten Max für kerngesund. Sogar in die Schule wird Max von seiner Großmutter begleitet, die kaum Deutsch kann und den Unterricht auf Russisch stört.
Der Großvater, der sich in eine etwas jüngere Nachbarin verliebt hat, versucht im Rahmen seiner Möglichkeiten dagegen zu arbeiten. Bei dieser Frau soll Max Klavierstunden bekommen, und der Großvater muss ihn dorthin begleiten. Das alles wird aus der Sicht von Max geschildert, der ein erstaunlich dickes Fell zu haben scheint.
Das Buch ist schnell gelesen, ist gut geschrieben und unterhaltsam, ging mir aber doch irgendwie gegen den Strich. Für die Großmutter konnte ich keine Sympathie aufbringen und war am Ende nur dankbar, dass Max anscheinend seine Kindheit und Jugend mit ihr relativ unversehrt überstanden hat.

Bewertung vom 20.04.2019
Rückwärtswalzer
Kaiser, Vea

Rückwärtswalzer


ausgezeichnet

Warmherzig, skurril, berührend und komisch - eine Familiengeschichte und ein Road-Trip

Mein erstes Buch von Vea Kaiser hat mich gleich überzeugt - ihre anderen Romane werde ich auch noch lesen!
Es geht um die österreichische Familie Prischinger, vor allem um die drei Schwestern Mirl, Wetti und Hedi und ihren Neffen Lorenz, einen zur Zeit gerade arbeitslosen jungen Schauspieler in einer Lebenskrise. Der Lebenspartner von Hedi, der jüngsten der drei Tanten, Willi aus Montenegro, ist überraschend gestorben. Hedi hatte ihm versprechen müssen, ihn in seiner Heimat zu begraben. Allerdings ist eine offizielle Überführung durch ein Bestattungsinstitut viel zu teuer, so dass die drei Tanten Lorenz überreden, mit ihnen im Panda Onkel Willi nach Montenegro zu transportieren, was natürlich höchst illegal ist. Doch Versprechen müssen gehalten werden und so brechen sie auf zu ihrer abenteuerlichen Reise. Diese Fahrt ist quasi die Rahmenhandlung, auch hier erfahren wir schon viel über die fünf Hauptprotagonisten (inklusive Onkel Willi) und diverse andere Familienmitglieder, auch aufgrund turbulenter Reiseerlebnisse und der Art, wie die einzelnen damit umgehen und durch die während der Fahrt geführten Gespräche. Dazwischen gibt es aber immer wieder ausgedehnte Kapitel mit Rückblenden auf Episoden aus dem Leben der einzelnen Personen, denen wir dadurch sehr nahe kommen. Das Motto bei den Prischingers hat immer geheißen: Keiner wird zurückgelassen, und von seinem Onkel Willi, der ihm sehr nahestand, hat Lorenz gelernt, dass man nicht jedem jede Geschichte erzählen kann. Manche Geschichten sind dafür da, dass man sie allen erzählt. Andere dafür, dass man sie nur mit wenigen ausgewählten Menschen teilt. Willis Tod und die Reise nach Montenegro haben bei allen Beteiligten viel in Bewegung gebracht und zu Veränderungen in ihrem Leben geführt. Mir sind diese etwas schrulligen Prischingers alle sehr ans Herz gewachsen und ich habe mich über den positiven Ausblick am Ende gefreut.
Diese warmherzige Familienchronik, in der auch der Humor nicht zu kurz kommt, läßt die einzelnen Familienmitglieder gleichberechtigt zu Wort kommen, zeigt uns ihre unterschiedlichen Lebenswege, die Fehler, die sie machen und wie sie diese zu korrigieren versuchen und wie sie trotz aller Unterschiede doch unverbrüchlich zusammenhalten. Man liest mit einem lachenden und einem weinenden Auge und wird insgesamt sehr gut und mit Tiefgang unterhalten.

Bewertung vom 12.04.2019
ALLES WAS ICH DIR GEBEN WILL
Redondo, Dolores

ALLES WAS ICH DIR GEBEN WILL


ausgezeichnet

Spannender Krimi und packendes Familiendrama aus Spanien
Der Schriftsteller Manuel erhält in Madrid Besuch von 2 Polizisten, die ihm die Nachricht vom Unfalltod seines Ehemanns Alvaro überbringen. Der Autounfall ist in Galicien passiert, was Manuel als Zeichen für eine Verwechslung deutet, denn Alvaro war geschäftlich in Barcelona, nicht in Galicien. Doch dann bricht seine Welt zusammen, als er erfährt, dass Alvaro Geheimnisse vor ihm hatte, der Spross einer galicischen Adelsfamilie war und eine Art Doppelleben führte.
Manuel fährt nach Galicien, trifft die feudale Adelsfamilie, die ihn mit Herablassung behandelt, und hat Zweifel daran, dass es nur ein Unfall und nicht Mord war. Auf eigene Faust macht er sich an die Aufklärung, wobei ihm der zunächst unsympathische frisch berentete Polizist der Guardia Civil, Nogueira, und ein Pater, der seinen Mann Alvaro seit der Schulzeit kannte, zur Seite stehen.
Der Genremix aus Familiendrama und Kriminalroman entfaltet sich über 600 Seiten, ein richtiger Wälzer also, der aber nie langweilig wird.
Manuel entdeckt allmählich, warum Alvaro diesen Teil seines Lebens vor ihm verborgen hielt. Es ging um ein Familiengeheimnis, das mit dem Thema Pädophilie innerhalb der katholischen Kirche zusammenhängt. Die Auflösung, wer tatsächlich für die Morde (es gab noch weitere) verantwortlich war, kam für mich sehr überraschend. Das Ende ist traurig, aber auch voller Hoffnung.
Die Autorin Dolores Redondo war mir bis dato unbekannt, ich werde sie aber von jetzt an im Auge behalten. Ein interessanter Einblick in das Leben spanischer Landadelskreise, ein fesselndes Familiendrama und ein Krimi, den man kaum aus der Hand legen mag: die letzten 200 Seiten habe ich in einer Nacht zuende gelesen. Unbedingte Leseempfehlung! (Das einzige, was mir fehlt, ist das Komma nach "Alles" im Titel!)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.04.2019
Eine eigene Zukunft
Dueñas, María

Eine eigene Zukunft


sehr gut

Drei spanische Schwestern im New York der 30er Jahre
Mit Begeisterung erinnere ich mich an Maria Duenas Roman "Wenn ich jetzt nicht gehe", und habe mich deshalb sehr gefreut, dass jetzt ein weiterer Roman von ihr veröffentlicht wird. Und zu Beginn hat die Autorin es auch wieder geschafft, mich mit ihrem Familienepos zu fesseln.
New York 1936: Erst vor kurzem hat Vater Emilio seine Frau und 3 Töchter nachkommen lassen, da sie in Spanien nach dem Tod ihrer Großmutter obdachlos geworden waren und er sich entschlossen hatte, endlich seßhaft zu werden und ein spanisches Lokal zu eröffnen - dabei konnte er die Hilfe seiner Familie gut gebrauchen. Doch die 3 Mädchen sind widerwillig nach New York gekommen, weigern sich, Englisch zu lernen und wollen wieder zurück nach Spanien. Dann, kurz nach der nicht sehr erfolgreichen Eröffnung des Restaurants, die Katastrophe: der Vater kommt durch einen Unfall ums Leben. Wie soll es nun für die Familie weitergehen?
Sollen sie die kleine Abfindung und die Schiffskarten für die Heimreise annehmen, die die Schifffahrtsgesellschaft, die den Unfall verschuldet hat, ihnen anbietet, oder sollen sie auf den windigen Anwalt hören, der ihnen verspricht, mit einer Klage viel mehr für sie rauszuholen? Eine Nachbarin macht sie mit einer Nonne bekannt, die Jura studiert hat. Diese Schwester Lito macht ihnen klar, dass der Anwalt zwar mehr Geld erstreiten könnte, dass das meiste davon aber in seiner eigenen Tasche landen würde und bietet der Familie an, sich selbst um ihren Fall zu kümmern. Und obwohl andererseits der Gedanke an eine sofortige Heimkehr ihnen verlockend erscheint, nehmen sie das Angebot der Nonne an.
Im Folgenden werden die drei Schwestern - jede auf ihre eigene Art - flügge und gewöhnen sich allmählich an die neue Umgebung. Sie machen Pläne, fallen dabei des öfteren auch auf die Nase, weil sie von Leuten aus ihrer Umgebung ausgenutzt und betrogen werden. Am Ende bleiben sie in New York und finden ihre "eigene Zukunft".
Die Handlung vermochte mich in ihrem Verlauf nicht mehr so sehr zu fesseln, vieles wird zu ausufernd abgehandelt und manches bleibt etwas wirr. Etwas weniger wäre hier vielleicht mehr gewesen, z.B. auch bei der hohen Zahl der handelnden Personen. Die Geschichte um den abgehalfterten spanischen Thronfolger fand ich zwar ganz interessant, sie wäre aber wohl für den Verlauf der Handlung nicht zwingend notwendig gewesen.
Ein kleineres Problem hatte ich mit der Sprache, wobei ich nicht weiß, ob das eventuell nur an der Übersetzung liegt: Ich gehe davon aus, dass die Autorin ihre drei Protagonistinnen mag, aber wenn sie deren Interaktionen miteinander oder mit anderen Personen beschreibt, fallen häufig Worte wie schreien, brüllen, kreischen, keifen, zetern, gackern, etc., die ich als eher negativ empfinde und die die Schwestern manchmal fast unsympathisch wirken lassen. Sicher passen die Worte manchmal, aber für meinen Geschmack fielen sie hier zu häufig.
Insgesamt ein gut lesbarer, interessanter historischer Roman, der aber nicht ganz so fesselnd ist, wie "Wenn ich jetzt nicht gehe".