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Buecherundschokolade

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Insgesamt 144 Bewertungen
Bewertung vom 02.10.2022
Hrabal, Thomas

Kalamitäten im Sparverein


sehr gut

Ein Spaevereinskasten gehört zu einem österreichischen Dorfwirtshaus wie ein Zwetschgenkompott zum Kaiserschmarrn.“ (S. 167)

Aber was ist ein #sparverein überhaupt? Auch im vereinsaffinen #österreich heute eher selten vorkommend, waren derartige Vereine vor & nach dem 2. Weltkrieg ein beliebtes Mittel um gesellig zu sparen, aus Zinsen wurden oft gemeinsame Veranstaltungen finanziert, zudem gab es einen zusätzlichen Anlass ins Wirtshaus zu gehen, wo der Kasten, in den die Sparer ihr Geld einwarfen, oft aufgestellt wurde.

Im Dorf Gramakirchen, dem beschaulichen Handlungsort des Romans Kalamitäten im Sparverein von Thomas Hrabal gibt es eine feste Ordnung, wichtig sind Freiwillige Feuerwehr und Sparverein, gesponsert wird alles vom etwas zwielichtigen Bauunternehmer und alle Namen der Einheimischen enden auf -inger. Der Ort wird erschüttert, als der neue Sparvereinskassier, Schwiergsohn des verblichenen Altbürgermeisters, ein Auswärtiger, mit dem Feuerwehroldtimer „Barbara“ & einem Teil der Sparvereinskasse durchbrennt. Eine Taskforce aus den fähigsten -ingern soll ihn stellen & es entwickelt sich ein Roadmovie durch den #balkan.

Der Roman hat mich zum Lachen gebracht, an einigen Stellen musste ich an die (bayerische) Heimatgemeinde meines Vaters & entsprechende Urlaube bei Oma & Opa denken & der Autor beschreibt das alles sehr lebendig. Auch den Roadtrip mit „Barbara“ gen #kosovo fand ich unterhaltsam.

Wenn ich noch ein bisschen Kritik verteile, dann wegen der Vorhersehbarkeit der Handlung. Ein wirkliches Überraschungsmoment gibt es nicht & das Happy End war mir persönlich etwas zu viel, obschon man sich natürlich immer wünscht, dass die Menschen gut sind & veränderungswillig. Vielleicht war das Happy End auch seine Satire auf das echte Österreich? Je ne sais pas.

Fazit: Ein netter (kurzer) Roman für einen regenreichen Nachmittag, der eher Lustspiel auf dem Lande als Kriminalroman ist.

Bewertung vom 29.09.2022
Jayan, Aravind

Teen Couple Have Fun Outdoors


ausgezeichnet

Eine ordentliche indische Familie bestehend aus Appa und Amma und zwei Söhnen (20, 22) wohnhaft im indischen Bundesstaat Kerala. Gerade noch hat sich der Durchbruch in die Mittelschicht in einem weißen (!) Honda Civic manifestiert, mit dem man in der Gated Community reüssieren will. Doch dieser Meilenstein wird schnell überlagert durch eine große Schande. Im Internet ist ein schlüpfriges Video des ältesten Sohnes mit seiner Freundin aufgetaucht und es bricht ein Tsunami der Empörung und Verstörung über die Familien herein. Gefangen zwischen traditionellen Vorstellungen und dem Internetzeitalter erzählt der Roman spannende Weise vom Auseinanderbrechen einer Familie aus der Perspektive des jüngeren, angepassten Sohnes. Die Handlung ist dabei teilweise sehr skurril und auch die Beschreibung Indiens jenseits des Klischees ist sehr gelungen. Die Sprache ist sehr locker, teilweise derb und jugendlich. Insgesamt webt Aravind Jayan einen überzeugenden literarischen Stoff, sodass man diesen Roman nur wärmstens empfehlen kann.

Bewertung vom 28.09.2022
Johnson, Maureen

Disney Cruella: Hello, wildes Herz!


ausgezeichnet

Da ich den Cruella-Film geliebt habe, war meine Freude besonders groß, als ich dieses Kinderbuch in die Hände bekommen habe. Cruella oder eben als Teenager noch Estella ist eine sehr spannende Figur und das Setting ist interessant. Schon das Titelbild ist sehr schön gestaltet. Die Silhouette von Cruelle/Estella strahlt dem Betrachter grob gezeichnet entgegen vor gelbem Hintergrund. Sie steht auf einem verrückten Hügel aus Zeichnungen, Wappen, Lippenstift, etc. und hat schon ihren ikonischen Gehstock in der Hand. Kindgerecht wird auf 335 Seiten von ihrem wilden und abenteuerlichen Leben in den Straßen Londons in den 1970er Jahren mit Horace und Jasper und ihren Versuchen in der Modebranche erzählt. Das Ganze liest sich sehr flüssig und es kommt nie Langeweile auf. Das Buch kann ich daher so wohl für Mädchen als auch für Jungen ab 10 Jahren empfehlen. Ich werde es zu Weihnachten verschenken.

Bewertung vom 28.09.2022
Rahlff, Ruth

Den Geist aufgeben gibt's nicht! / SpooKI Bd.1


ausgezeichnet

Schon das Cover macht Lust auf die Geschichte zwischen den beiden Buchdeckeln. Es zeigt Robert, die Hauptfigur und seine neue Freundin Isabella, sowie Roberts geisterhafte Familie. Das Buch ist dann auch ein wilder Ritt zwischen typischen Teeniproblemen, z. B. garstige Mobber, Schule und dem besonderen der Geschichte, nämlich, dass Robert keine physische Familie hat, vielmehr sind die Familienmitglieder Geister und er muss alles dafür tun, dass das nicht auffliegt. Und dann scheint diesem Geheimnis auch noch jemand auf der Spur zu sein, aber wer? Der Stil ist lustig und locker und für Kinder ab 9 Jahren gut geeignet. Besonders gefallen haben mir auch die tollen Illustrationen, davon hätten ruhig noch mehr enthalten sein. Das Buch ist erste Band einer neuen Reihe und man darf auf die Fortsetzung sehr gespannt sein. Ein empfehlenswertes Kinderbuch!

Bewertung vom 25.09.2022
Heisenberg, Benjamin

Lukusch


ausgezeichnet

Wie soll man dieses Buch einordnen? Es ist ein Roman - das sagt schon das Cover - aber gleichzeitig suggeriert es einem auch durch zahlreiche Fotografien, Zeitungsausschnitte, Gesprächsprotokolle, etc. das es eine Dokumentation vermeintlicher realer Ereignisse ist. Aber bitte nicht aufs Glatteis führen lassen, natürlich gibt es weder das titelgebende Schachwunderkind Lukusch aus Tschernobyl noch seinen Gastbruder Simon.

Der Roman erzählt von Anton Lukusch, der bei der Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl 1986 verstrahlt wird und zur Genesung mit anderen Kindern nach Deutschland verschickt wird. Schnell entdeckt man völlig überraschend, dass er ein sehr talentierter Schachspieler ist. Er wird zum Star, spielt gegen Kanzler Kohl, Supercomputer und Schachgroßmeister. Aber wo Erfolg, da auch Missbrauch und so wird Anton bald instrumentalisiert…

Zudem ist Lukusch eine durch und durch rätselhafte Gestalt: Warum tritt er nie ohne den grobschlächtigen Igor auf? Was verbindet die Jungen auf unheimliche Weise? Und warum verschwindet Anton von einem Tag auf den anderen quasi spurlos in die Ukraine?

Diesen Fragen spüren in der Jetztzeit sein deutscher Gastschüler Simon, mittlerweile Dokumentarfilmer, und Antons deutsche Freundin Maria nach, als in der Schachwelt ein gewisser Nazarenko Furore macht, der exakt wie Igor aussieht…

Das Buch ist ungemein humorvoll geschrieben und gewinnt sehr stark durch die fast schon collagenartige Gestaltung mit zahlreichen (vom Autor manipulierten) Bildern und Zeitungsartikeln. Es entfaltet sich ein spannendes Lesevergnügen und man fiebert mit den Protagonisten auf eine Lösung des Rätsels „Lukusch“.

Daher eine klare Leseempfehlung für diesen interessanten Roman.

Bewertung vom 22.09.2022
Brandner, Michael

Kerl aus Koks


ausgezeichnet

Zahlreiche namhafte Schauspieler:innen haben sich in dem vergangenen Jahren als Autor:innen versucht, z. B. Tukur, Berkel, Selge, Sawatzki & dabei durchaus tolle Bücher vorgelegt.

Nun also Michael Brandner, der in den 80er Jahren mit der Ruhrpott-Saga Rote Erde seinen Durchbruch hatte & heute vor allem mit seiner Rolle in der Serie Hubert ohne Staller ein großes Publikum erreicht.

Mit seinem gerade erschienen Roman Kerl aus Koks hat er eine als Roman getarnte, sehr launige Autobiografie vorgelegt (Flunkern gehört nach eigener Aussage zum Handwerk), die mich von der ersten bis zur letzten Seite sehr gut unterhalten hat.

In Bayern als uneheliches Kind geboren, wächst der kleine Paul Brenner (Brandners alter ego) zunächst in einer Art oberbayerischem Weißwursthimmel bei Tante & Onkel auf, bis er eines Tages von seiner ihm fremden Mutter eingesammelt & in den Ruhrpott, genauer nach Dortmund, gebracht wird. Die Verhältnisse sind einfacher, die Wohnung kleiner, doch der kleine Paul findet schnell Freunde beim Kicken & hat einen liebevollen Stiefvater, der die lieblose & statussüchtige Mutter kompensiert. Die Erzählung einer Kindheit in den 50er & 60er Jahren ist authentisch, voller skurriler Episoden & auch anrührend. Zum Glück hat Paul mindestens so viele Leben wie eine Katze…

In den weiteren „Staffeln“ (so nennt der Autor die Oberkapitel) taucht man ein in seine wilde Jugend, zwischen Bundesgrenzschutz (fataler Irrtum) & Hausbesetzerszene, Reisen durch ganz Europa & seine Anfängen & schließlich Erfolge als Schauspieler.

Dabei spielen in jedem Kapitel die Frauen eine Hauptrolle, den Paul ist jemand, der offenkundig nichts anbrennen lässt (nomen est omen).

Ein gelungener Erstling von Herrn Brander, der beim Schreiben dieses Werkes möglicherweise schon auf eine Verfilmung geschielt hat. Das Potenzial dafür ist gegeben.

Bewertung vom 19.09.2022
Richard, Livia Anne

Anna der Vater


ausgezeichnet

Livia Anne Richard gelingt in ihrem zweiten Roman Anna der Vater auf warmherzige, nicht ins Kitschige abdriftende Art & Weise eine Antwort auf die Frage: Was macht Familie aus?

Das Buch handelt auf zwei Zeitebenen: Einerseits folgen wir der 19-jährigen Anna während ihres Austauschjahres in San Francisco Ende der 1980er, andererseits der 51-jährigen Anna auf La Gomera & in der Schweiz in der Jetztzeit.

Die 19-jährige Anna ist ein Teenager mit einem ganz eigenen Kopf, die unverblümt, unverstellt, aber auch sehr mutig & impulsiv ist. Als ihre gleichaltrige Gastschwester & beste Freundin Nora ungewollt schwanger wird, beschließt Anna die Rolle auszufüllen, die der als Vater unwillige & untaugliche biologische nicht leisten kann. Sie wird den Kindern ein Vater & es entsteht gegen alle Konventionen eine enge Bindung, die ein Leben lang dauern wird, ohne dass Nora und Anna ein Paar wären.

Die 51-jährige Anna erleben wir zunächst auf La Gomera, wo sie daran scheitert ein Buch zu schreiben, dafür aber einen Mann kennenlernt. Weiter begleiten wir sie in die Schweiz & tauchen in ihr Familienleben mit Nora ein.

Anna der Vater hat mich sehr gut unterhalten, es liest sich federleicht, ohne dass man das Buch auf die leichte Schulter nehmen könnte. Denn es sind viele schwere Themen in diesem Roman enthalten: Teenagerschwangerschaft, Abtreibung, Krebs, Demenz, Alkoholismus, Spielsucht, Intersexualität. Alle diese Themen sind aus dem Leben gegriffen & so ungewöhnlich die Geschichte dieses Romans auch daherkommt, so findet sich zwischen den beiden Buchdeckeln doch eines wieder: das Leben.

Anna der Vater wird auch von seinen Figuren getragen, Anna könnte z. B. mit ihrer Naivität & ihrem unverstellten Glauben an das Gute in den Dingen & Menschen leicht abrutschen ins Schablonenhafte. Es ist der Verdienst der Autorin, dass es hierzu nicht kommt & man mit der Zeit große Sympathie für Anna und die übrigen Protagonisten entwickelt.

Anna der Vater ist der zweite Band einer Trilogie, funktioniert aber auch als in sich geschlossener Roman.

Bewertung vom 13.09.2022
Hughes, Dorothy B.

Ein einsamer Ort


ausgezeichnet

Dorothy B. Hughes Kriminalroman Ein einsamer Ort war kein früher Vertreter seiner Gattung - der hard-boiled fiction - als er anno 1947 bei Duell, Sloan & Pearce erschien. Und anders als die männliche Genrevertreter wie Chandler oder Hammett ist ihr Werk auch bis heute im deutschsprachigen Raum noch relativ unbekannt geblieben, obschon mehrere ihrer Romane von Hollywood adaptiert wurden (auch das hier vorgestellte). Mit dieser superb von Gregor Runge aus dem Englischen übersetzten Ausgabe ist der Atrium Verlag nun angetreten, diese Ungerechtigkeit zu beseitigen.

Und man kann nur zurufen: hoffentlich gelingt es (es wird gelingen) und gebt uns mehr von dieser grandiosen Autorin (hoffentlich bald).

Aber nun zum Inhalt: Veteran Dix Steele ist ein Aufschneider, eine Lebemann auf Kosten anderer und ein grausamer Frauenmörder, der Ende der 1940er L.A. im Würgegriff der Angst hält. Wir erleben das Geschehen aus seiner Perspektive und während die Polizei noch im Dunkeln tappt, erlebt Dix Steele die Ermittlungen durch seine Freundschaft mit Brub, eines im Fall des Würgers ermittelnden Detective, und dessen Frau Sylvia, hautnah mit. Es entspinnt sich ein Katz-und-Maus-Spiel, in dessen Verlauf sich die Paranoia und Selbstherrlichkeit Steeles immer weiter steigern und da gibt es ja auch noch die undurchschaubare Laurel, in der er seine große Liebe ausgemacht zu haben glaubt…

Dieses Buch stellt alle Rollenerwartungen des Genres auf den Kopf. Hughes präsentiert uns einen lupenreinen homme fatale, der neben seinen misogynen Gewaltausbrüchen, vorallem durch seine Larmoyanz auffällt. Demgegenüber sind die Protagonistinnen starke Charaktere mit scharfem Verstand. Vielmehr als die Polizei sind sie die eigentlichen Gegenspielerinnen des Killers.

Dabei ist das Ganze so spannend geschrieben, dass der Krimi einen erheblichen Sog entfaltet, ohne dass Hughes einen einzigen Mord en détail beschreiben müsste.

Ein einsamer Ort ist für alle Fans von Hardboiled-Krimis, aber auch für Fans der gepflegten Spannungsliteratur, eine absolute Leseempfehlung.

Bewertung vom 06.09.2022
Harari, Yuval Noah

Wie wir Menschen die Welt eroberten / Unstoppable Us Bd.1


ausgezeichnet

Yuval Noah Harari hat es wieder mal geschafft: Nach mehreren spannenden und höchst erfolgreichen Sachbüchern hat er nunmehr ein ebensolches auch für Kinder und Jugendliche herausgebracht. Wie wie Menschen die Welt eroberten ist lehrreich und dennoch sehr unterhaltsam geschrieben. Der Autor nimmt oftmals Bezug auf das Leben und die Erfahrungen seiner jungen Leser und nimmt diese daher mit auf eine Reise in die Entwicklung und Evolution des Homo sapiens. Man erfährt zB von den ausgestorbenen, anderen Menschen, wie den Neandertaler oder die Zwergmenschen von Flores. Dabei ist der Stil gehoben, aber für Jugendliche doch noch verständlich. Ein gewisses Grundinteresse an dem Thema vorausgesetzt, ist dieses Buch für junge Menschen eine tolle Chance jenseits der Schule auf spannende Weise den Rätseln des Menschseins auf den Grund zu gehen, daher eine klare Lese- und Geschenkempfehlung!

Bewertung vom 06.09.2022
Yokomizo, Seishi

Die rätselhaften Honjin-Morde / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.1


ausgezeichnet

Seishi Yokomizo, der Autor von Die rätselhaften Honjin-Morde, ist oft mit seiner westlichen Zeitgenossin Agatha Christie verglichen worden. Das könnte einerseits an seiner enormen Produktivität liegen - allein die Reihe um den Privatdetektiv Kosuke Kindaichi umfasst 77 Bände - andererseits an seinem Kultstatus in Japan, wo er als der bedeutendste Krimiautor überhaupt gilt.

Das vorliegende Buch ist der erste Fall um Kosuke Kindaichi und weiß als spannendes Locked-Room-Murder-Mystery zu überzeugen.

1937: Ein japanisches Dorf in Angst. In der Hochzeitsnacht kommen der Sohn der berühmtesten Familie des Ortes und seine Braut bestialisch durch ein Schwert zu Tode. Dieses steckt jedoch im Schnee vor dem von innen hermetisch verriegelten Haus. Kurz vorher war im Ort ein unheimlicher, maskierter Fremder aufgefallen, der nach der Familie des Bräutigams gefragt hatte, ist er der Täter?

Es entwickelt sich ein spannendes Katz-und-Maus-Spiel und Kindaichi muss seine kleinen grauen Zellen ganz schön anstrengen.

Das Buch ist gut geschrieben (und übersetzt) und überzeugt mit einer dichten Atmosphäre. Auch das Setting in einer traditionellen japanischen Kleinstadt in den 1930ern ist sehr gelungen, irgendwo gefangen zwischen Edo-Zeit und Moderne.

Ich freue mich auf weitere Bände der Serie, der Ermittler ist sehr gelungen und mitnichten ein Abklatsch westlicher Detektivfiguren (Sherlock, Poirot), sondern ein ganz eigenes, überzeugendes Kaliber.

Daher ist das Buch für alle Krimi-Fans, die eher Richtung ruhig erzählter Krimis tendieren (Christie, Simenon) eine klare und lesenswerte Empfehlung und wir freuen uns schon auf weitere Bände.