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yellowdog

Bewertungen

Insgesamt 2103 Bewertungen
Bewertung vom 27.12.2024
Schifferli, Dagmar

Auch Fische können ertrinken


sehr gut

Ein nachdenklicher, verinnerlichter Text. Man ist als Leser immer dicht bei den Gedanken der Protagonistin Katharina, die Ärztin ist, aber selbst an Atembeschwerden leidet und daher nach Davos zur Erholung reist. Davos, da liegt der Gedanke an Thomas Manns Zauberberg nahe.
Katharina hat den Eindruck, dass ihr leidender Zustand psychologische Ursachen hat, zum Beispiel ihre harte Kindheit. Ihre Erinnerungen daran sind teils schwer erträglich. Beschädigungen aus der Kinderzeit kann man nicht heilen, nur lindern.

Überraschenderweise verlegt die Autorin die zweite Hälfte des Romans nach New York, dadurch wechselt auch die Stimmung.

Stilistisch kommt mir der Roman ein wenig altmodisch vor. Das liegt vielleicht aber auch an einigen zeitlich weiter zurückliegenden Bezügen und Verweisen. Aber die Emotionen der Protagonistin werden sichtbar gemacht.

Bewertung vom 26.12.2024
Schäfer, Frank

Zu Früh


ausgezeichnet

Neunundzwanzig plus zwei


Der Schriftsteller Frank Schäfer schreibt in diesem offenbar autobiografischen Buch von der Geburt und den ersten Wochen seines Sohnes, der als Frühchen auf die Welt gekommen ist.

Neunundzwanzig plus zwei.
Neunundzwanzig Wochen und zwei Tage.
Jeder Tag zählt.

So fängt das Buch an. Die erste Zeit ist nicht einfach. Das Baby liegt mit wenig Gewicht im Inkubator und muss betreut werden. Für die Eltern eine Zeit der Ängste und Sorgen und Hoffnung.

Zwar erfährt man einiges von den Ablauf mit Frühchen auf der Frühchenstation im Krankenhaus, aber in erster Linie wird die Gefühlswelt der Eltern in dieser Zeit gezeigt. Die ist natürlich recht schwankend, wie man sich denken kann.
Dann auch die Erkenntnis des Erzählers, wie sehr man sich selbst in dieser kurzen, entscheidenden Zeit verändert.
Das ist eindringlich und realistisch gemacht. Man kann gut mit ihnen mitfühlen.
Ein kurzes, aber kompaktes Buch.

Bewertung vom 25.12.2024
Bernemann, Dirk

Kalk


ausgezeichnet

Das interessante an dem Buch ist der Gemütszustand des Protagonisten. Stefan Kalk ist 55, Angestellter und seine Freundin hat ihn vor 6 Monaten verlassen. Klar ist er in einer Art Midlife-crisis.

Kalk ruht eigentlich ziemlich in sich, weiß aber dennoch nicht, was er mit seinem Leben machen soll, und unter der Oberfläche fängt es an zu brodeln.
Das spiegelt sich zum Teil im Leben seines guten Freundes Försters, der Lehrer ist und ebenfalls von seiner Frau verlassen wurde.
Kalk fährt in den Urlaub nach Holland an den Strand.
Dann kommt ein Moment, in dem Kalk im Meer einen Jungen vor dem Ertrinken rettet.
Ein kurzer Moment der Euphorie, doch die Mittelmäßigkeit seines Lebens und seine misanthropische Weltanschauung kann das auf Dauer nicht verdrängen.

Der Stil des Autors ist genau und präzise und zeichnet sich außerdem durch eine gute Lesbarkeit aus.

Bewertung vom 25.12.2024
Stobezki, Eldad

Rutschfeste Badematten und koschere Mangos


ausgezeichnet

Gedankensplitter
Rutschfeste Badematten und koschere Mangos von Eldad Stobezki ist bei Edition W erschienen.
Dieses Buch mit dem originellen, doppeldeutigen Titel beinhaltet tagebuchartige Aufzeichnungen mit Überlegungen und Beobachtungen des Autoren. Dabei steht eins im Vordergrund. Eldad Stobezki ist in Israel geboren und 1979 nach Deutschland gekommen. Er lebt seitdem als Lektor, Übersetzer, Kulturschaffender in Frankfurt.
Die Texte haben den Blick des Israelis auf Deutschland und er ist gleichzeitig auch Deutscher.
Jeder zweite Text heißt Kleine Kiesel, durchnummeriert von 1 bis 18 und enthält diverse Themen. Dazwischen immer ein eigenständiges Kapitel. Der Autor bewahrt immer eine gewisse Haltung, daher hat das Buch insgesamt doch eine gute Geschlossenheit.
Gelegentlich jobbt der Protagonist in einer Buchhandlung. Literatur ist daher ein durchgehendes Thema.
Dann sind auch die gesellschaftlichen Ereignisse integriert, wie Corona-Pandemie, der beginnende Krieg in der Ukraine und das Massaker in Israel am 7.Oktober 2023.
Dazwischen gibt es auch leichtere Themen. Es ist ein überwiegend amüsantes Buch.
Für mich das originellste Buch des Jahres.

Bewertung vom 16.12.2024
Kang, Han

Unmöglicher Abschied


ausgezeichnet

Das Ereignis, über das nicht gesprochen werden durfte

Als Han Kang den Literaturnobelpreis gewann war ich sehr erfreut und liest man auch nur die ersten 60 Seiten ihres neuen Romans, erkennt man, wie verdient das war.

Die Protagonistin reist ihrer guten Freundin zuliebe, die im Krankenhaus liegt, von Seoul zu deren Haus auf der Insel Jeju, um ihren Vogel zu versorgen. Es ist eine beschwerliche Reise durch unwirtliches und winterliches Gebiet, fast eine Odyssee, die sie mit Flugzeug, Bus und zuletzt zu Fuß durch die Nacht unternimmt. Dabei kommen ihr viele Erinnerungen.
Schon bald wird angedeutet, dass viele Menschen, die hier leben, viele ihrer Verwandten verloren haben, denn kurz vor Beginn des Koreakriegs kam es zu Massakern an der Bevölkerung. Das Jeju-Massaker 1948 war ein Ereignis, das verschwiegen wurde.
Han Kangs Prosa bricht einmal mehr das Schweigen, wie sie es schon in Menschenwerk tat.
Literatur aus Südkorea kann für viele Leser etwas sehr Spezielles sein, aber Han Kangs bringt universell gültiges ein.

Der Roman hat kontemplative Momente, er ist sehr verinnerlicht und nachdenklich. Das hat mir in dieser Form sehr gut gefallen.

Bewertung vom 11.12.2024
Morrison, Toni

Paradies


sehr gut

Paradies ist der erste Roman, den Toni Morrison veröffentlichte, nachdem sie den Literaturnobelpreis bekam. Die Erwartungen waren hoch. Umso schöner, dass das Buch jetzt neu rausgebracht wurde.

Das Buch zeigt Oklahoma und eine Stadt mit ungewöhnlicher Geschichte. Der Anfang ist drastisch. Dann wird auch die Vorgeschichte gezeigt und damit die Charaktere eingeführt. Das sind insbesondere einige Frauen, die in einem Kloster nahe dieser Stadt leben. Man lernt sie und ihr oft hartes Schicksal im Verlaufe des Buches gut kennen.
Es ist kein einfaches Buch, doch eins, über das man lange nachdenken kann.
Ich würde es in der mittleren Bedeutung von Toni Morrison einordnen. Damit ist es auf jeden Fall lesenswert.
Abschließend möchte ich an dieser Stelle endlich auch mal erwähnen, wie ansprechend die Cover der Neuausgaben von Toni Morrison gestaltet sind.

Bewertung vom 10.12.2024
Morrison, Toni

Liebe


ausgezeichnet

Die bewundernswerte amerikanische Schriftstellerin Toni Morrison war nicht umsonst eine Literaturnobelpreisträgerin, denn die Handlungen ihrer Bücher sind hochkomplex gestaltet. Das gilt auch für Liebe.
Es dauert eine Weile, bis man die Zusammenhänge in den Schilderungen herausfindet. Das ist auch ein Reiz des Buches. Vielleicht ist es aber auch der Grund, warum Liebe eines der weniger bekannten Bücher von Toni Morrison ist.

Außerdem sind die Figuren sehr interessant. Es sind vorwiegend Frauen: Heed, Christine, May, Junior. Dann ist da noch eine Frau, die sich nur L nennt.
Die vielleicht eigentliche Hauptfigur ist Bill Cosey und schon zu Beginn des Buches verstorben.
Zentral wird dann aber die Beziehung zwischen Heed und Christine. Einst Freundinnen, später Feinde, leben sie lange zusammen in einem Haus.

Toni Morrison zeigt die Figuren in aller Tiefe und auch ihre schwierigen Beziehungen.

Fazit: Eine komplizierte, aber meisterhafte Romankomposition und Figuren, die man so schnell nicht vergisst.

Bewertung vom 02.12.2024
Jo-Ann, Yeoh

Zweckfreie Kuchenanwendungen


sehr gut

Sukhin und Jinn

Es ist interessant, mal einen Roman aus Singapur zu lesen. Ein Glossar am Ende des Buches hilft einen bei einigen speziellen Begriffen.
Yeh Jo-Ann hat einen skurrilen Sinn für Humor. Das äußert sich vor allen durch den Protagonisten, den Lehrer Sukhin.
Sukhin ist ein eigenwilliger Typ, aber dafür habe ich viel übrig.
Elementar für die Handlung ist die liebevolle Beziehung zwischen Sukhin und Jinn. Mein einziger Einwand wäre, dass Jinn als Charakter anfangs zu verhalten bleibt. Sie nimmt nicht so die Perspektive ein wie das Sukhin tut. Daher blieb sie mir anfangs fremd. Das gibt sich aber zum Ende hin.
Die Quintessenz des Buches ist das Thema, dass man die Entscheidung, wie man sein Leben gestalten will, treffen muss.

Bewertung vom 01.12.2024
Blake, Katherine

Not your Darling


sehr gut

Loretta Darling
Es sind die fünfzigern Jahre. Margaret aus England will unbedingt in die USA, nach Hollywood und sie ist entschlossen sich durchzusetzen. Als Maskenbildnerin für die Stars.
Das Cover gefällt mir gut und genau so, wie die Frau mit Hut und dem spöttischen Blick darauf aussieht, habe ich mir die Protagonistin beim Lesen vorgestellt.
Margarete nennt sich schließlich Loretta Darling.
Ihre originelle, schlagfertige Erzählstimme dominiert den Text. Sie nimmt die Umgebung mit kritischen Blick wahr, hat immer auch ihren Vorteil im Blick.
Das Erzähltempo ist recht hoch, das passt zur Handlung.
Katherine Blake hat einen filmreifen Stil. Man glaubt beim lesen, die Szenen direkt vor sich zu haben.
Mutig, so eine egozentrische Hauptfigur einzusetzen, das erinnert mich an Emma Clines Protagonistin aus Die Einladung.
Doch Loretta hat auch eine weiche Seite, die sich darin zeigt, dass immer wieder Briefe an ihre Schwester nachhause schreibt.Erst am Ende erfährt man dazu noch etwas entscheidendes.

Bewertung vom 30.11.2024
Merkel, Angela;Baumann, Beate

Freiheit


sehr gut

Ein Rückblick

Freiheit von Angela Merkel ist eine Biografie, die nicht nur Angela Merkels Karriere als Bundeskanzlerin zeigt sondern auch ihre Entwicklung von Jugend an, noch in der DDR.

Gerade dieser erste Teil hat mich schon überzeugt,

Eigentlich war ich skeptisch von der Autobiografie, doch durch Merkels Veranstaltung mit Anne Will im Deutschen Theater war ich dann doch interessiert.

Beeindruckend auch, dass Merkel wie ihr Buch selbst geschrieben hat und nicht irgendein anonymer Ghostwriter. Durch Beate Baumann hatte sie Unterstützung.

Allerdings gibt es relativ wenig Erkenntnisse. Die ganz großen Überraschungen bleiben aus.
Als Rückblick auf ein Politikerleben funktioniert es!

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