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Benutzername: 
takabayashi
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Berlin
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Vielleser

Bewertungen

Insgesamt 163 Bewertungen
Bewertung vom 11.03.2020
Echo des Schweigens
Thiele, Markus

Echo des Schweigens


sehr gut

Justizdrama, Liebesgeschichte, historischer Roman
Echo des Schweigens ist ein Genremix: spannendes Gerichtsdrama, Liebesgeschichte zwischen 2 der Protagonisten, die auf unterschiedlichen Seiten stehen und historischer Roman - ein Thriller, wie in den Verlagsinformationen angegeben, ist es aber nicht!
Ausgangspunkt ist ein Fall, wie es ihn in Deutschland mehrfach real gegeben hat - ein Asylbewerber ist im Polizeigewahrsam verbrannt und von offizieller Seite wird dies als Selbstmord dargestellt, eine sehr unwahrscheinliche These. Für den jungen hanseatischen Anwalt Hannes Jansen ist die erfolgreiche Verteidigung des angeklagten Polizeibeamten die Chance, endlich Partner in seiner Kanzlei zu werden. Als er die Rechtsmedizinerin Sophie Tauber kennenlernt und die beiden sich ineinander verlieben, ahnen beide nicht, dass sie sich bald im Gerichtssaal auf gegnerischen Seiten begegnen werden, denn Sophie ist es gelungen, durch ihre forensischen Untersuchungen zu beweisen, dass es unmöglich Selbstmord gewesen sein kann.
In einem weiteren Handlungsstrang geht es um Sophies Familiengeschichte, beginnend in der Nazizeit, bis hin zu der Tatsache, dass sie ihren Vater nie kennengelernt hat. Erst nach dem Tod ihrer Mutter hat sie Informationen über ihn gefunden und macht sich suf die Suche nach ihm. Sophies Großmutter war Jüdin und verliebte sich in einen Sohn aus einflussreicher Familie, der ihr bei der Flucht helfen wollte. Die beiden hatten eine - damals illegale - Beziehung, aus der eine Tochter hervorging, wurden aber denunziert, was für beide schwerwiegende Folgen hatte.
Es liest sich alles sehr interessant und spannend, es geht um Recht versus Gerechtigkeit, es geht darum, ob eine Liebe so massive Hindernisse aushalten kann, es geht um die Art, wie Flüchtlinge in unserer Gesellschaft heutzutage behandelt werden und auch um Vergangenheitsbewältigung. Ich konnte mit den Hauptfiguren mitfühlen, ihre Konflikte verstehen und bin dabei gut unterhalten worden. Ein kleiner Wermutstropfen war die manchmal etwas zu saloppe Sprache des Autors: In Dialogen ist das völlig okay, nicht aber in der laufenden Erzählung, wenn z.B. das umgangssprachliche "rüber" statt des schriftsprachlichen "hinüber" verwendet wird. Und - wie man schon an meiner Inhaltsangabe sieht - ist der Roman thematisch etwas überfrachtet, etwas weniger wäre vermutlich mehr gewesen. Nichtsdestotrotz eine spannende, berührende, zum Nachdenken anregende und unterhaltsame Lektüre!

Bewertung vom 10.03.2020
Der Empfänger
Lenze, Ulla

Der Empfänger


gut

Die Lebensgeschichte eines deutschen Auswanderers im Zwanzigsten Jahrhundert
Die Autorin Ulla Lenze berichtet über den rheinländischen Auswanderer Josef Klein, aber leider gelingt es ihr nicht, das dramatische Potenzial dieser Lebensgeschichte spannend zur Geltung zu bringen.
Grob umrissen klang die Geschichte sehr vielversprechend, doch leider bleibt die Persönlichkeit des Josef Klein äußerst blass, gewinnt keine Kontur – ein Mann ohne Eigenschaften!
Eigentlich wollte er in den Zwanziger Jahren mit seinem jüngeren Bruder zusammen nach Amerika auswandern, doch das scheitert an einem Unfall, bei dem der Bruder ein Auge verliert. Mit solch einem Handicap besteht keine Chance, durch die rigiden Gesundheitskontrollen in Ellis Island zu kommen, deshalb zieht Josef alleine los. New York gefällt ihm er fühlt sich wohl dort, bekommt aber nicht wirklich ein Bein auf den Boden und arbeitet als ungelernte Hilfskraft. Sein Hobby ist das Amateur-Funken und dadurch rutscht er mehr oder weniger zufällig in einen Spionagering deutscher Nazis hinein, die seine Talente für ihre Zwecke ausnützen. Er hat nicht wirklich eine Meinung zur politischen Entwicklung in Deutschland, ihm gefällt es, dass er mit seinem Hobby Geld verdienen kann. Er wird erwischt, landet erst im Gefängnis, wird dann auf Ellis Island interniert und letztendlich (da hat er Glück) in die Heimat abgeschoben und kommt dann 1948 wieder zu seinem Bruder – der inzwischen Frau und Kinder hat – nach Neuss. Dort fühlt er sich gar nicht mehr heimisch, alles ist ihm zu eng und da er nicht in sein geliebtes New York zurückkann, landet er schließlich in Costa Rica.
Das klingt nach einer spannenden Geschichte und die Autorin kann auch gut schreiben. Der Roman spielt in unterschiedlichen Zeitebenen an verschiedenen Orten, doch keine der handelnden Personen ist mir nahegekommen. Das Schicksal Josef Kleins hat mich kalt gelassen, ich konnte seine Beweggründe nicht verstehen und das ist wirklich schade, denn es wäre genug Stoff für ein Familiendrama, einen historischen Roman oder eine Spionagegeschichte vorhanden. Obwohl ich mich eigentlich für die Handlung interessierte, bin ich teilweise nur quälend langsam vorangekommen, musste mich regelrecht bis zum Ende durchkämpfen. Für mich leider eine eher enttäuschende Lektüre!

Bewertung vom 03.03.2020
Der freie Hund / Ein Fall für Commissario Morello Bd.1
Schorlau, Wolfgang;Caiolo, Claudio

Der freie Hund / Ein Fall für Commissario Morello Bd.1


ausgezeichnet

Gelungene Gemeinschaftsarbeit
Entgegen dem sprichwörtlichen "Viele Köche verderben den Brei" stelle ich immer wieder fest, dass Krimis, die von 2 Autoren geschrieben wurden, meist sehr gelungen sind. So auch hier: Wolfgang Schorlau, erfahrener Autor der dezidiert gesellschaftspolitischen Dengler-Krimis, und Claudio Caiolo, ein in Deutschland lebender italienischer Schauspieler mit biographischer Verbindung zu sowohl Sizilien als auch Venedig haben mit Antonio Morello einen interessanten, sympathischen Ermittler erschaffen. Für den Mafia-Jäger aus Cefalú ist Sizilien zu heiß geworden, auf ihn ist ein Kopfgeld ausgesetzt, so dass sein um ihn besorgter Chef ihn kurzentschlossen nach Venedig versetzt, wo er vermeintlich in Sicherheit ist.
Dort fühlt Morello sich fehl am Platze, er kann die Schönheit der Serenissima nicht würdigen und sehnt sich nach Sizilien zurück. Aber dorthin kann er nicht zurück, wie ein kurzer Wochenendtrip zum Besuch seiner kranken Mutter deutlich macht. Doch ihm bleibt auch nicht viel Zeit zum Nachdenken, denn in Venedig wird er sofort in seinen ersten Fall verwickelt - ein junger Umweltaktivist aus einflussreicher, wohlhabender, alteingesessener venezianischer Familie, ist getötet worden. Der junge Mann kämpfte für ein Verbot der Durchfahrt der riesigen Kreuzfahrtschiffe, die für das fragile ökologische Gleichgewicht in Venedig extrem schädlich sind und langfristig zum Untergang der Serenissima beitragen. Doch mit diesem Anliegen kam er massiven geschäftlichen Interessen in die Quere. Morello glaubt an eine Mafia-Verbindung, was die venezianischen Kollegen für seinen Spleen halten. In Venedig gibt es zwar Korruption, aber doch nicht die Mafia!
Der Roman spielt mit den Klischees über Nord- und Süditaliener und deren gegenseitiger Abneigung. Aber im Laufe des Geschehens gewöhnen sich Morellos neue Kollegen an ihn, ja, lernen ihn sogar zu schätzen und Morellos Widerstand gegen seine neue Heimat beginnt auch allmählich zu bröckeln.
Gut beschriebene Charaktere, eine spannende und plausible Handlung, aktuelle Themen, Lokalkolorit, ein sympathischer, glaubwürdiger Ermittler, das sind die Ingredenzien dieses spannenden Krimis, den ich mit Vergnügen gelesen habe und kaum aus der Hand legen konnte. Gern mehr davon!

Bewertung vom 02.03.2020
Je tiefer das Wasser
Apekina, Katya

Je tiefer das Wasser


gut

Eine zutiefst gestörte Familie
Der Klappentext ist etwas irreführend, da er Erwartungen schürt, die der Roman letztendlich nicht erfüllen kann. Edie und Mae sind 16, bzw. 14 Jahre alt, als sie nach einem Selbstmordversuch ihrer Mutter Marianne aus der Kleinstadt in der Nähe von New Orleans zu ihrem Vater Dennis nach New York ziehen müssen. Dennis ist ein relativ renommierter Schriftsteller, der die Familie vor 12 Jahren verlassen hat. Edie kann ihm nicht verzeihen, dass er verschwunden ist, während Mae zu klein war, um sich an ihn zu erinnern, und sich daher freut, ihn kennenzulernen. Edie empfindet den Umzug nach New York als Verrat an der Mutter, Mae empfindet ihn als Befreiung von ihrer psychotischen Mutter, die sie stark vereinnahmt hat - zumal Mae auch optisch ihrer Mutter sehr ähnelt und sich fast wie eine Erweiterung von Marianne gefühlt hat.
Geschildert wird die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven, hauptsächlich natürlich aus Edies und Maes Blickwinkel, aber es kommen auch diverse andere Personen zu Wort, die in irgendeiner Weise etwas mit dieser Familie zu tun haben. Dieses Stilmittel hat mir gut gefallen, denn dadurch werden manche Ereignisse ganz unterschiedlich gedeutet, wie es ja auch im wirklichen Leben häufig vorkommt. Die Handlung spielt auch auf verschiedenen Zeitebenen, beginnend mit den 60er Jahren, in denen Dennis sich der Bürgerrechtsbewegung anschloss und deshalb in den Süden kam, wo er Mariannes Vater kennenlernte. Als sie dann heirateten, war Marianne 17 und Dennis Anfang 30. Er gehört offensichtlich zu den Männern, die die Bewunderung einer deutlich jüngeren, naiven Frau brauchen.
Die erste Hälfte des Buches habe ich noch mit Neugier und Vergnügen gelesen, aber dann erschloss sich allmählich das Ausmaß der Gestörtheit sämtlicher Protagonisten und das wurde mir dann zu viel. Ich konnte weder Sympathie noch Mitgefühl für die Figuren aufbringen und fand die Lektüre zu deprimierend und verstörend. Denn auch Dennis ist gestört - er missbraucht sämtliche Beziehungen in seinem Leben - vor allem natürlich die zu seiner psychisch kranken Frau - als Quellen für seine Romane und seine Beziehung zu Mae gestaltet sich auf sehr fragwürdige Weise. Ich weiß nicht, was die Autorin uns sagen will: vielleicht dient ihr das Schreiben als Therapie? Sie kann zweifellos gut schreiben, aber ich war froh, als ich das Buch endlich ausgelesen hatte. Nicht mein Geschmack!

Bewertung vom 31.01.2020
Die Ewigkeit in einem Glas
Kidd, Jess

Die Ewigkeit in einem Glas


weniger gut

Enttäuschend anders als erwartet
Ich hatte eine Art historischen Kriminalroman erwartet, musste dann aber feststellen, dass es sich eher um eine Art Fantasy- oder Geister-Roman handelt: trotzdem habe ich mich tapfer durch fast die Hälfte des Buches gekämpft, konnte aber damit nicht warm werden. Nur selten habe ich für so wenige Seiten so lange gebraucht, das Buch konnte mich einfach nicht in seinen Bann ziehen.
Der Autorin gelingt es gut, Personen zu beschreiben und Atmosphäre zu schaffen - man kann sich das Leben in London im 19. Jahrhundert gut vorstellen. Bridie war mir auch einigermaßen sympathisch, desgleichen ihr Kumpan, der Geist Ruby, doch fesseln konnte mich die Geschichte nicht: das war mir alles zu schräg, z. B. die entführte Tochter des Grafen, bei der es sich um eine Art bissiges kleines Monster handelt. Und es dauert alles viel zu lange, die Handlung zieht sich und kommt nicht in Gang, was dem Spannungsaufbau auch nicht gerade zuträglich ist! Schade, ich hatte mir das Buch extra besorgt, weil ich dachte, dass es mir gefallen könnte, musste dann aber aufgeben, weil es keine Leselust, sondern eine Lesequal für mich war. Die Autorin kann fraglos schreiben, daher die zwei Sterne, aber empfehlen kann ich dieses Buch leider nicht.

Bewertung vom 27.01.2020
Im Netz des Lemming / Lemming Bd.6
Slupetzky, Stefan

Im Netz des Lemming / Lemming Bd.6


sehr gut

Schwarzhumoriger Österreich-Krimi am Puls der Zeit
Vorher hatte ich noch kein Buch aus der Lemmingserie gelesen, was ich nun sicher nachholen werde: ein anspruchsvoller Krimi im besten Sinne, ein moderner Gesellschaftsroman, sehr unterhaltsam, voller pointierter Dialoge, Gesellschaftskritik, Wiener Schmäh und zitierwürdiger Äußerungem, z.B. über das "Gendern".
Zoo-Nachtwächter Leopold Wallisch, alias Der Lemming, ehemaliger Polizist, der mit dem System nicht klarkam und sein Freund und Ex-Kollege Polivka ermitteln im Todesfall des kleinen Mario Rampersberg, einem Freund von Ben, dem Sohn des Lemmings. Der Lemming ist zufällig zum Augenzeugen seines "Selbstmords" geworden, wird dann aber dank eines Denunzianten schnell selbst zum Verdächtigen. Offensichtlich hat eine Textnachricht auf seinem Smartphone den Jungen in den Tod getrieben.
Das Thema dieses Krimis sind die Auswirkungen der allggegenwärtigen Smartphones auf das tägliche Leben, es geht um Hatemails, Shitstorms, Cyber-Mobbing und bezahlte Influencer.
Spannend, witzig, zeitkritisch, bissig - brillant! Am Ende hat mich dann der österreichische Pessimismus etwas zu sehr runtergezogen, auch wenn (oder vielleicht gerade weil) der Autor mit seinen Aussagen natürlich völlig recht hat. Dagegen wirkt z.B. der satirische Autor Jörg Maurer geradezu harmlos!
Eine interessante Entdeckung, sehr empfehlenswert.

Bewertung vom 15.01.2020
Alles, was wir sind
Prescott, Lara

Alles, was wir sind


gut

Ein Roman als Propagandawaffe im Kalten Krieg
Eine interessante Idee für einen historischen Roman: Boris Pasternaks Liebesgeschichte und Revolutionskritik "Doktor Shiwago", in der Sowjetunion verboten, wurde heimlich aus Russland herausgeschmuggelt und vom italienischen Verleger Feltrinelli veröffentlicht. Die CIA wittert eine Chance für eine Propagandakampagne und lässt einige 100 Exemplare auf Russisch drucken und nach Russland zurückschmuggeln. Das alles ist tatsächlich so geschehen und Lara Prescott webt eine Geschichte drumherum, die abwechselnd im Osten (Russland) und Westen (hauptsächlich USA, aber z.B. auch 1958 auf der Weltausstellung in Brüssel) spielt. In den einzelnen Kapiteln erzählen unterschiedliche Protagonisten, z.B. die CIA-Stenotypistinnen als Gesamtgruppe, Irina, eine junge russische Immigrantin, die sich beim Schreibpool beworben hat und dort auch angestellt wird, dann aber zu den Auserwählten gehört, die als Agentin eingesetzt werden (eine große Ausnahme in der Männerdomäne der CIA) und Sally, eine etwas ältere Agentin, die sich um Irinas Ausbildung kümmert. Die russischen Kapitel werden meist aus der Perspektive von Pasternaks Geliebten Olga erzählt. Olga wurde aufgrund ihrer Beziehung zu Pasternak für 3 Jahre ins Lager in Sibirien geschickt.
Die Idee ist gut, die Geschichte ist gut, aber die Umsetzung hat mich nicht ganz überzeugt. Die Schilderungen über das Leben in den Fünfzigern in Washington DC fand ich interessant, aber ich konnte mich mit niemandem identifizieren, was vielleicht an der Vielzahl der Protagonisten liegt - Irina hätte sich dafür angeboten, aber ihre Figur erwachte nie so recht zum Leben. Am nächsten kam einem eigentlich Sally, die vielleicht auch der Autorin am meisten am Herzen lag. Außerdem fehlte mir auch ein wenig die Spannung, die man von einem Roman aus dem Agenten-Milieu erwarten könnte. Die abgöttische Liebe Olgas zu Pasternak wurde nicht nachvollziehbar und Pasternak stellte sich mir als narzistischer Macho dar. Ich habe ziemlich lange an dem Buch gelesen, immer ein schlechtes Zeichen, denn ich bin eigentlich eine Schnell- und Vielleserin. Erst gegen Ende nahm die Geschichte noch etwas Fahrt auf. Mein Eindruck ist zwiespältig: interessant genug, um die Lektüre nicht abzubrechen, aber etwas zähflüssig zu lesen - und es fehlte das gewisse Etwas, das den Funken überspringen lässt!

Bewertung vom 18.10.2019
Der Verein der Linkshänder
Nesser, Hakan

Der Verein der Linkshänder


sehr gut

Kommissare auf dem Holzweg
Ein alter Fall, der gelöst schien, wird plötzlich - 30 Jahre später - wieder aktuell, als die Leiche des für den Täter gehaltenen Mannes auftaucht: nach der Obduktion ist klar, dass auch er bereits seit 30 Jahren tot ist. Kommissar Van Veeteren ist längst im Ruhestand und plant gerade seinen 75. Geburtstag, aber da er damals der ermittelnde Kommissar war, wenden die Kollegen sich an ihn.
In den späten 50er Jahren wurden linkshändige Kinder noch dazu gezwungen, zum Schreiben ihre rechte Hand zu benutzen. Eine Gruppe von derart malträtierten Schülern schließt sich zum Verein der Linkshänder zusammen - 4 Jungen und 2 Mädchen, die eineiigen Zwillingsschwestern Clara und Birgitte. Als sie schon kurz vor dem Schulabschluss standen, betätigten sich die beiden Mädchen als Babysitter für Madeleine, die Tochter einer sehr wohlhabenden Familie. Das Kind wird entführt und getötet - danach fällt der Linkshänderverein auseinander.
Aber 1982 ruft eines der ehemaligen Mitglieder die Gruppe zu einem Treffen in ihrer Heimatstadt zusammen. Nur Clara nimmt teil, Birgitte hatte sich schon vorher von der Gruppe entfernt. Allerdings nimmt sie dann doch teil in Vertretung ihrer Schwester (und als diese auftretend), die das Wochenende mit ihrem Geliebten verbringen will. Die Pension, in der das Treffen stattfindet, brennt in dieser Nacht ab. Man findet 4 Leichen und hält entsprechend das fünfte Mitglied für den Täter. Diese Theorie ist aber nun nach dem Leichenfund von 2012 hinfällig. Und Van Veeteren beginnt - mit Unterstützung seiner Lebensgefährtin - wieder zu ermitteln. Zu einem späteren Zeitpunkt gibt es noch einen weiteren Mord in Schweden, der mit der ursprünglichen Tat zusammenzuhängen scheint, und Nessers anderer Kommissar, Barbarotti, beteiligt sich an den Ermittlungen. Die Kommissare verfolgen viele Spuren und Theorien, die sich immer wieder als falsch erweisen - ein ungeheuer verzwickter Fall!
Ich hatte bisher erst einen Einzelkrimi von Nesser gelesen, "DER FALL KALLMANN", den ich außerordentlich gut fand. An dessen Niveau kommt dieser Roman nicht ganz heran. Die Van Veeteren und Barbarotti-Serien kenne ich nicht und kann daher keine Vergleiche ziehen. Das erste Drittel ist zwar nicht langweilig, aber etwas zäh, ich bin mit dem Lesen nicht sehr schnell vorangekommen. Das ändert sich aber ab dem zweiten Drittel rapide, die Geschichte wird immer rasanter und sehr spannend, und bis ganz kurz vor dem Ende hatte ich keine Ahnung, wer der Täter sein könnte. Auch der Humor kommt nicht zu kurz. Van Veeteren ist etwas altersmild und altersweise und ein sympathischer Protagonist. Und gut schreiben kann Hakan Nesser sowieso, das braucht man eigentlich gar nicht zu erwähnen. Deshalb alles in allem auf jeden Fall eine Leseempfehlung, besonders für Nesser-Fans, eher nicht für die Freunde blutiger hardboiled Thriller.

Bewertung vom 14.10.2019
Hotel Cartagena / Chas Riley Bd.9
Buchholz, Simone

Hotel Cartagena / Chas Riley Bd.9


ausgezeichnet

Rache ist ein Gericht, das am besten kalt serviert wird
Es ist schon eine Weile her, dass ich einige Bände aus der Chastity Riley-Reihe gelesen habe, aber der vorliegende neunte Band hat mich dermaßen gepackt und begeistert, dass ich die mir fehlenden Bände umgehend nachholen muss. Simone Buchholz kann einfach sehr gut schreiben! Ihr Stil ist lässig, lakonisch, kurz und knapp, Staccato manchmal.
Zwei Handlungsstränge werden miteinander verwoben: Es geht um die Lebensgeschichte eines jungen Mannes aus Hamburg, der im Jahr 1984 auf einem Schiff anheuert und dann in Cartagena in Kolumbien landet und dort schließlich als Handlanger der kolumbianischen Drogenkartelle agiert. Als er verraten wird, geht sein gesamtes Leben in die Brüche. Er hat nichts mehr zu verlieren und sinnt nur noch auf Rache ... Der zweite Handlungsstrang in der Gegenwart: eine Geburtstagsfeier unter Polizisten, in einer (zu) schicken Hamburger Bar, unter den Feiernden die Staatsanwältin Chastity, ihr Ex-Lover und ihr Ab-und-an-Lover - nur der aktuelle Lover fehlt. Gastgeber ist Faller, der Chef der Mordkommission, der 65 wird und kurz vor der Rente steht. Es zeigt sich, dass die beiden Geschichten eigentlich nur eine sind. Es kommt zu einer stundenlangen Geiselnahme in dieser Bar. Dort wird die Geschichte immer aus Chastitys Perspektive geschildert und ganz allmählich wird dem Leser klar, worum es bei dieser Geiselnahme geht.
Was besticht, sind die flotten Dialoge, die coole Sprache, die sehr ungewöhnliche Hauptfigur. Den letzten Band, den ich gelesen hatte, fand ich etwas zu depressiv, das war hier nicht der Fall, auch wenn durch Chastitys skeptische Weltsicht immer auch ein Hauch von Melancholie ins Spiel kommt. Und ich fand es sehr angenehm, mal nicht einen 500+-Seiten-Schinken vor mir zu haben.
Fernab der Krimi-Fließbandware haben wir hier einen anspruchsvollen, literarischen Kriminalroman, dessen Verlauf uns überrascht, der Hochspannung liefert und bestens unterhält. Etwas irritiert hat mich eine kurze Passage, in der der Text Gedichtform annimmt, aber auch daran konnte ich mich gewöhnen. Empfehlenswert, wenn auch vermutlich nicht jedermanns Sache!

Bewertung vom 16.09.2019
Die Dame hinter dem Vorhang
Peters, Veronika

Die Dame hinter dem Vorhang


sehr gut

Das Leben einer unangepassten Frau und Künstlerin im frühen 20. Jahrhundert
Vor der Lektüre dieses Buches hatte ich noch nie etwas von Dame Edith Sitwell gehört.
Die Idee, diese literarische Biographie aus der Sicht ihrer (fiktiven) Zofe Jane erzählen zu lassen, hat mir gut gefallen. Dadurch wird auch das "Oben" versus "Unten"-Thema dieser Epoche angesprochen, so wie etwa in Downton Abbey, Gosford Park etc. Allerdings nimmt Jane sich sehr zurück, legt den Akzent auf das Leben ihrer Dienstherrin und erwähnt nur nebenbei ihr eigenes Leben, von dem sie immerhin 37 Jahre in deren Diensten verbringt.
Edith Sitwell ist die älteste Tochter einer britischen Adelsfamilie und ist ihren Eltern von Anfang an zu groß und zu häßlich, einfach weil ihr Aussehen nicht dem gängigen Schönheitsideal entspricht. Das wird ihr auch ständig vorgehalten, so dass sie schließlich selbst daran glaubt. Mit einer bestialischen Apparatur, an die man sie jahrelang fesselt, sollen diese negativen Merkmale korrigiert werden, um sie konkurrenzfähig für den Heiratsmarkt zu machen. Ihre jüngeren Brüder haben da etwas bessere Karten, aber generell lässt sich sagen, dass der Kontakt zwischen Eltern und Kindern wie beim Adel damals üblich, nicht sonderlich intensiv und herzlich war.
Mit der Heirat hat es nie geklappt, was Edith aber wohl auch nicht übermäßig bedauert hat. Sie nahm sich viele Freiheiten, mauserte sich zur Dichterin und Stil-Ikone in einschlägigen Künstlerkreisen - zuerst in London, später in Paris - und bildete mit ihren 2 Brüdern ein verrücktes Trio. Viele große Namen zählten zu ihrem Freundeskreis, u.a. Cecil Beaton und Marilyn Monroe. Finanziell gab es Zeiten, in denen sie sich durch ihre literarische Arbeit ganz gut über Wasser halten konnte, aber im Großen und Ganzen war sie doch immer auf großzügige Mäzene angewiesen. Sie hatte Freunde, jedoch keine Liebhaber, weder männliche noch weibliche.
Eine durchaus interessante Lektüre - das schätze ich an historischen Romanen, dass man einen persönlich geprägten Zugang zu historischen Ereignissen bekommt.