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Alais

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Insgesamt 198 Bewertungen
Bewertung vom 13.11.2019
Klein, Stefan

Wir alle sind Sternenstaub


ausgezeichnet

„Sämtliche Elemente entstanden in den Sternen durch Kernfusion aus Wasserstoff und Helium. Wenn Sie weniger romantisch veranlagt sind, können Sie die Menschen auch als stellaren Atommüll bezeichnen.“ (Martin Rees (Kosmologe), S. 38)
Dann doch lieber Sternenstaub! Für mich ein unglaublich spannendes, im Plauderton gehaltenes Buch, bei dem mich unter anderem die Themenvielfalt und die Vielfalt der Wissenschaftszweige, aus denen die interviewten Wissenschaftler stammen, begeisterten: Roald Hoffmann (Chemiker und Dichter), Martin Rees (Kosmologe, Hofastronom des britischen Königshauses), Hannah Monyer (Neurobiologin), Leonardo da Vinci (Künstler, Erfinder und überhaupt ein Universalgenie – hier wurde das „Gespräch“ aus naheliegenden Gründen nicht persönlich geführt, sondern aus Originalzitaten zusammengebastelt), Raghavendra Gadagkar (Verhaltensforscher), Ernst Fehr (Ökonom), Craig Venter (Biochemiker), Vittorio Gallese (Neurowissenschaftler), Walter Zieglgänsberger (Neuropharmokologe), Sarah Hrdy (Anthropologin), V. S. Ramachandran (Hirnforscher), Jared Diamond (Physiologe und Geograph) und Steven Weinberg (Physiker).
Ich staune immer wieder, wie viel Wissen und wie viele neue offene Fragen hinzugekommen sind, seit ich zur Schule ging. Auch dieses Buch ist jetzt schon nicht mehr taufrisch, aber ich konnte viel daraus lernen und fühlte mich gleichzeitig prächtig unterhalten. Natürlich werden in den Gesprächen die einzelnen Themen nur oberflächlich angerissen, aber so bleibt es für Laien wie mich verständlich. Darüber hinaus mochte ich den philosophischen Touch, der all diese Gespräche prägt.
Erzählt wird unter anderem von liebevoll beobachteten Wespen und kaltherzig gequälten Mäusen und Affen (nein, ich gehöre nicht zu den Menschen, die glauben, dass ein Zweck alle Mittel heiligt, und ja, ich würde eher sterben, als zuzulassen, dass ein Tier für mich stirbt!!). Das Buch bietet interessante Erkenntnisse zum Thema Schmerz und machte mich manchmal sprachlos –angesichts des unglaublich übersteigerten Selbstwertgefühls eines Biochemikers, der zum Teil erschreckenden Ansichten von Leonardo da Vinci (der zugleich tief beeindruckt, weil er seinen Zeitgenossen um Jahrhunderte voraus war – was muss er für ein einsamer, von den Menschen in seiner Umgebung unverstandener Mensch gewesen sein ...), vor allem aber immer wieder aufgrund erstaunlicher Erkenntnisse und Einblicke, die zeigen, in was für einer wunderbaren Welt wir leben, die für uns wohl noch unendlich viele Überraschungen zu bieten hat.
Mein Lieblingsabschnitt ist das Gespräch mit der Anthropologin Hrdy, die mein Menschenbild deutlich verbesserte und mich etwas optimistischer in die Zukunft blicken lässt.
Ein wunderbares Buch, das sich leicht liest und seinen Lesern sehr viel schenkt!

Bewertung vom 03.11.2019
Konrad, Ksenia

Alles außer fern


ausgezeichnet

Eine Liebeserklärung an Sprachen als Schlüssel zu der Welt, in der wir leben, mit vielen klugen und inspirierenden Gedanken

„Wollen wir an einer Rose nur die Stacheln sehen, wird sie in unseren Augen zum Unkraut, das man mit aller Gewalt im Garten ausrotten muss, weil sie nur Probleme macht und den anderen Pflanzen Licht wegnehmen könnte. Aber ist das wirklich die einzige Eigenschaft einer Rose?“ (S. 169)
In einem kleinen Ort im titelinspirierenden Tiroler Außerfern lebt und wirkt die Autorin als Deutschtrainerin (die Bezeichnung „Lehrerin“ lehnt sie ab, denn sie sieht im Sprachunterricht eher eine Art Training, das sowohl den Lernenden als auch den Kursleitern ermöglicht, zu wachsen und sich weiterzuentwickeln). In diesem Buch gewährt sie einen Einblick in ihre Tätigkeit als Deutschtrainerin für Menschen, die aus den verschiedensten Ländern und Kulturen nach Österreich gekommen sind.
Wer wie ich schon einmal versucht hat, anderen Menschen eine Sprache zu vermitteln, oder aber selbst gerne eine weitere Sprache erlernen möchte, kann hier einige wertvolle praxisorientierte Lernansätze finden, die dazu beitragen, das zu Erlernende an konkrete Sinneseindrücke, Emotionen und Erinnerungen zu knüpfen – der Königsweg zu einem erfolgreichen Lernen. Da ich mir manchmal Sorgen um meine Daten mache (man weiß ja nie, wie sich die politischen Verhältnisse in den nächsten Jahrzehnten ändern werden), gefiel mir nur der Einsatz von WhatsApp nicht, aber ich muss zugeben, dass die Vorteile für einen Sprachkurs, das schnelle Kommunizieren auch außerhalb der Trainingsstunden, natürlich auf der Hand liegen ...
Zwischendurch werden kurze und eingängige Erklärungen der verwendeten Grammatikbegriffe gegeben – sodass die Lektüre auch für alle, die sich schon seit längerem nicht mehr mit Grammatik auseinandergesetzt haben, kein Problem darstellt. Am Konjunktiv, Schrecken meiner Schulzeit, erkannte ich ganz neue, so sympathische wie nützliche Seiten („träumen, sich etwas wünschen, höflich streiten und für alles passende Ausreden formulieren“, S. 162). Hier zeigt sich auch der feine Humor, der in diesem Buch immer wieder aufblitzt.
Herzerwärmend fand ich, durch dieses Buch miterleben zu können, wie die Sprache den Deutschkurs-Teilnehmern einen Zugang zu ihrer neuen Heimat und weiteren Möglichkeiten der Lebensgestaltung eröffnet. Sprachen als Schlüssel zu der Welt, in der wir uns bewegen, die Beschäftigung mit Sprachen als das Nachdenken über das Leben und Sprache als Mittel, um unsere Wünsche zum Ausdruck zu bringen, und somit als erster Schritt für die Erfüllung unserer Wünsche – die Leichtigkeit, mit der die Autorin in ihrem Buch über Sprachen und das Leben philosophiert, bezauberte mich und machte es für mich zu einer bereichernden Lektüre.

Bewertung vom 01.11.2019
Dyachenko, Sergej; Dyachenko, Marina

Das Jahrhundert der Hexen


ausgezeichnet

Russische Fantasy vom Feinsten!
Diese literarisch anspruchsvolle Hexenerzählung, ein Gemeinschaftswerk von Marina und Sergej Dyachenko, beeindruckte mich durch gewaltige Bilder und große Emotionen.
Zwei Handlungsstränge führen zum großen Finale, wobei mich zunächst vor allem der in der Vergangenheit des späteren Großinquisitors Klawdi spielende Handlungsstrang faszinierte – eine Geschichte von großer Liebe, Verlust, Schuldgefühlen, Trauer, dem Nicht-akzeptieren-können und seinen schrecklichen Folgen ...
Aber auch die Haupthandlung, die von Klawdis Tätigkeit als Großinquisitor während einer Zeit unheilvoller Entwicklungen unter den Hexen erzählt und nach und nach immer mehr Raum einnimmt, fesselte mich. Dabei brachte sie mich auch zum Nachdenken über die entsetzlichen Motive, die in der Geschichte der Menschheit oft hinter Hexenlegenden stecken – Angst vor starken Frauen, sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen, die sich in den Methoden der Inquisition offenbart ... Auch vergreift sich Klawdi gegenüber Frauen oft im Ton und die Geschlechtertrennung ist geradezu unerträglich deutlich. Gäbe es Hexen, würde es wohl genau so ablaufen – den menschlichen Nicht-Hexen würde nichts anderes einfallen, als der Gewalt der Hexen mit Gewalt zu begegnen und sie mit aller Macht zu unterdrücken.
Die Darstellung der Hexen fand ich einfach grandios. Die Dyachenko-Hexen stiften Chaos und Panik, sorgen für alptraumhafte Zustände und Verwirrung, ihre Motive sind für die anderen Menschen kaum zu fassen, sie leben mitten in der Welt und nehmen sie doch auf eine ganz andere Weise wahr ... Genauso faszinierend fand ich die sogenannten Tschugeister, die in der Lage sind, durch einen Tanz zu töten, und die gruseligen Njawken (Untote, im Singular: Njawka) ...
Dieser Roman wird sicher nicht jedem gefallen, dazu ist er trotz all der Geschehnisse zu wenig actionbasiert, wer aber wie ich den opulenten Stil der großen russischen Klassiker und dazu noch Fantasyliteratur mag, wird begeistert sein!

Bewertung vom 06.10.2019
Bürster, Helga

Luzies Erbe


ausgezeichnet

Dieser Roman wirkt auf den ersten Blick so nordisch kühl, schlicht und bescheiden und hat mich doch so tief bewegt, dass ich mich nach dem Lesen erst einmal sammeln musste.
Angesiedelt ist die Erzählung in einem kleinen Dorf, in dem die fast hundertjährige Luzie stirbt – ein Anlass zum Rückblick auf eine Geschichte, die sie und ihre ganze Familie geprägt hat … Ein Rückblick, der in eines der finstersten Kapitel der Menschheitsgeschichte führt – die Nazizeit mit ihren schlimmen Folgen und den Traumata von Diskriminierung und mörderischer Gewalt, die bis heute nachwirken...
Der behutsame Umgang der Autorin mit dieser Thematik gefiel mir sehr. Sie zeichnet kein Schwarzweiß, sondern viele Schattierungen, es sind die kleinen Gesten der Menschlichkeit, manchmal von unerwarteter Seite, die hier gewürdigt werden. Sie verdeutlicht aber auch das Grauen des Naziterrors, die Entmenschlichung, das Morden, das Irrationale…
Das Leben der Menschen, insbesondere der Frauen, in diesem Buch ist hart, zu den Schrecken der Nazizeit und des Zweiten Weltkriegs kommen später jahrelange Ausgrenzung und Schwierigkeiten, den Mut zur Liebe zu finden und Liebe zu zeigen, hinzu, auch eine Vergewaltigung wird angedeutet. Mutterliebe wird in unserer Gesellschaft oft als etwas Selbstverständliches angesehen und dabei übersehen, dass manchmal Frauen beispielsweise aufgrund eines Traumas schlicht und ergreifend nicht in der Lage sind, ihrem Kind die Liebe zu zeigen, die es bräuchte, um mit Grundvertrauen durchs Leben zu gehen – eine weitere wichtige Thematik, die die Autorin anschneidet. Und da sie sehr geschickt darin ist, dem Leser ihre Figuren mit wenigen Worten nahezubringen, litt ich auch sehr mit und empfand diesen Roman als emotional packend. Die Wucht der Gefühle, die von der schlichten, aber so treffenden Sprache und den eindrucksvollen Bildern vermittelt werden, ist einfach gewaltig.
Auch sprachlich konnte mich der Roman begeistern. Neben verdichteten, aber unglaublich aussagekräftigen Sätzen stehen ein paar sehr schöne, alte Redewendungen und Begriffe. Die kranke Denkweise der Nazis wiederum spiegelt die Autorin an einigen wenigen Stellen durch das fürchterliche Nazideutsch wider (beispielsweise mit der Bezeichnung „die bestellte Ware“ in Bezug auf angeforderte Zwangsarbeiter, S. 75). Angereichert ist der Roman außerdem mit ein paar plattdeutschen Sätzen, die für mich eine Herausforderung darstellten, mir als Sprachenfreak aber auch sehr willkommen und mit ein bisschen Nachdenken auch gut zu meistern waren. Durch diese facettenreiche sprachliche Gestaltung gelingt es der Autorin sehr geschickt, die erzählten Zeiten und das Dorfmilieu lebendig werden zu lassen.
So ist „Luzies Erbe“ ein Roman, der sich leicht liest und doch schwere Themen behandelt. Als Lehren nehme ich für mich mit, wie wichtig es ist, miteinander zu reden, und wie wunderbar und kostbar der Mut zu Menschlichkeit und Liebe ist ...

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.09.2019
Skybäck, Frida

Die kleine Buchhandlung am Ufer der Themse


ausgezeichnet

Dieses Buch bietet eine wunderschöne Lesezeit für alle, die Literatur, kleine Buchhandlungen, Katzen, London und Liebesgeschichten lieben – für mich eine unwiderstehliche Kombination!
Die Erzählung gliedert sich in zwei zusammenhängende Handlungsstränge, die abwechselnd weitererzählt werden: In dem einen wird die Geschichte der jungen schwedischen Schwestern Kristina und Sara erzählt, die auf der Flucht vor ihrem Vater nach Großbritannien auswandern, der andere Handlungsstrang spielt viele Jahre später und dreht sich um Kristinas Tochter Charlotte, die von ihrer Tante Sara, die sie seltsamerweise nie kennengelernt hat, in London eine Buchhandlung samt Kater geerbt hat … Zwischen diesen beiden Ausgangspunkten muss, so ahnt man bald, einiges geschehen sein …
Einige ausgeprägte und höchstinteressante Charaktere verleihen der Geschichte Lebendigkeit. Insbesondere die beiden Angestellten der Buchhandlung, die gutherzige Martinique und die etwas ruppige Sam, wuchsen mir schnell ans Herz, aber auch bei der amüsanten Darstellung einiger Nebenfiguren aus der Nachbarschaft und Fangemeinde der Buchhandlung brilliert die Autorin. Charlotte selbst war mir nicht immer sympathisch – wie kann man denn nur auf die Idee kommen, einer Katze einen „Knuff“ zu versetzen? Dennoch stellt sie eine starke Frauenfigur dar, wächst schließlich auch in die Rolle der neuen Beschützerin des Katers Tennyson hinein und ihre Suche nach der Geschichte ihrer Familie war für mich sehr spannend …
Ein paar kleine Punkte zum Kritisieren habe ich leider gefunden, beispielsweise den Fehler auf S. 508 „balancierte Charlotte konzentriert ein Toast in der rechten Hand“ („ein Toastbrot“ oder „einen Toast“?) oder die wenig glaubwürdige Tatsache, dass eine erfahrene Unternehmerin wie Charlotte sich nicht gleich einen Überblick über das Firmenkonto mit den regelmäßig zu leistenden Zahlungen verschafft. Aber dafür hat mir dieses Buch so viele berührende, erhebende oder auch mal lustige Momente geboten und mich beim Lesen in so gute Stimmung versetzt, dass für mich diese kleinen Mängel völlig unerheblich sind.
Die Geschichte bietet leichte Kost, ohne dabei oberflächlich zu sein. Sie ist unterhaltsam, erfreulich oft humorvoll und schenkte mir in einer schwierigen Situation neuen Mut. Besonders gut gefiel mir, dass sich die Autorin traut, eine märchenhafte Wendung einzubauen, die aber auch so gut zu der beteiligten Person passt, dass sie gar nicht mal so unglaubwürdig wirkt …
Ein Buch zum Verlieben!

Bewertung vom 03.09.2019
Lappert, Simone

Der Sprung


ausgezeichnet

Es gibt Bücher, die in mir den dringenden Wunsch nach einem Einsiedlerleben wecken, und dann gibt es jene kostbaren, seltenen Juwelen, die mich wieder an das Liebenswerte im Menschen mit all seinen Fehlern erinnern - und dieses wunderbare Buch ist eines davon. Erstaunlicherweise gelingt das diesem Roman ohne jeglichen Kitsch und obwohl einiges thematisiert wird, was die Menschen von ihrer eher schlechten Seite zeigt - Ausgrenzung, Mobbing, Gaffertum ...
In einer klaren, schlichten Sprache mit ein paar wenigen Schweizer Einschlägen verwebt die Autorin Simone Lappert die Geschichten mehrerer Menschen zu einem facettenreichen Roman, der tiefgründig, oft traurig, oft aber auch voller Hoffnung ist. Immer wieder begeisterte mich, wie viel sie mit ein paar wenigen Worten und gut gewählten Bildern auszudrücken vermag (beispielsweise dieses "Sich-französisch-fühlen" in: "Im Café aux Prunes setzte sie sich an den einzigen freien Tisch, fest entschlossen, sich nun französisch zu fühlen", S. 278).
Die einzelnen Personen werden kapitelweise eingeführt. Auch dabei beeindruckte mich die Autorin wieder mit ihrem Talent, dem Leser die Figuren mit wenigen Zeilen nahe zu bringen oder mal eben als Erklärung in einem Halbsatz die Vergangenheit einer der Personen zusammenzufassen ( "ein Transportmittel, weg aus seiner Vergangenheit auf dem Bauernhof, wo nicht nur die Milch roh gewesen war, sondern auch der Umgang miteinander", S. 73). Immer wieder hat man so Gelegenheit, eine Person näher kennenzulernen und besser zu verstehen, die man bereits aus einer anderen Perspektive in einem anderen Kapitel kennt (bzw. zu kennen glaubte) bzw. in einem späteren Kapitel neu erleben wird. Dieser Roman liest sich so leicht und ist doch so unglaublich geschickt konstruiert, dass immer wieder offenbar wird, wie falsch es ist, vorschnell zu urteilen und andere in ein Bild zu pressen, das man sich von ihnen gemacht hat. Wer wie ich die Du-sollst-dir-kein-Bildnis-machen-Thematik in "Andorra" von Max Frisch liebt, wird begeistert sein!
Trotz der für so einen schlanken Roman erstaunlichen Fülle an Handlungsfiguren und Schicksalen fiel es mir dabei nicht schwer, den Überblick zu bewahren, vielleicht weil mir so viele dieser Menschen ans Herz wuchsen. Und ich denke, es sagt viel über das Buch aus, wenn ich, die Tierschützerin, ausgerechnet einen Schlachthofangestellten und eine passionierte Jägerin zu meinen (noch viel zahlreicheren) Lieblingsfiguren in diesem Roman zähle ...
Dieser Roman spiegelt das pralle Leben mit vielen tieftraurigen, wuterregenden oder auch erhebenden Momenten, zerplatzten Träumen, Hoffnungsschimmern und möglichen Neuanfängen. Es gibt so unglaublich viel in ihm zu entdecken, eine wohldosierte Prise Gesellschaftskritik und Humor ist auch zu finden und er ist so voller Weisheit geschrieben - für mich ein ganz großes Lesehighlight!

Bewertung vom 28.08.2019
Lodge, Gytha

Bis ihr sie findet / DCI Jonah Sheens Bd.1


sehr gut

Ein eher ruhiger Kriminalroman mit sehr einfühlsam beschriebenen Figuren
Die Autorin bietet mit ihrem Debütroman einen eher ruhigen Krimi zu einem jedoch recht kniffligen Fall: eine Gruppe Jugendlicher zeltet im Wald. Am anderen Morgen ist ein Mädchen aus ihrer Gruppe verschwunden ... viele Jahre später wird ihre Leiche gefunden ...
Mir gefiel unter anderem, dass die Autorin verdeutlicht, wie dieses zunächst spurlose Verschwinden das weitere Leben der anderen aus der Gruppe geprägt hat. Dieser Aspekt, die Auswirkungen, die ein Verbrechen auch auf die Menschen im Umfeld des Opfers hat, spielt meiner Ansicht nach in Krimis leider viel zu selten eine Rolle. So sind in diesem Buch neben der Suche nach dem Mörder auch Trauer und Abschiednehmen wichtige Themen.
Auch fand ich es schön, dass die Autorin sehr behutsam mit ihren Figuren umgeht. Sie beschreibt sie auf sehr einfühlsame Weise, gleichzeitig bleiben die Handlungspersonen facettenreich und etwas mysteriös. Sie bleibt auch ganz bei dem Opfer, dem sie sich respektvoll annähert.
Ein Pageturner war für mich dieser Krimi jedoch nicht, wenn ich auch auf die Auflösung - allerdings recht bald eher auf die Frage nach dem wie und warum als die nach dem wer - sehr gespannt war.
Interessant hätte ich am Ende eine kurze Zusammenfassung gefunden, wie es für die Unschuldigen weitergeht, was für Auswirkungen die Lösung des Falls auf ihr Leben gehabt hatte – das hätte dem Krimi etwas Besonderes verliehen, was ihm ansonsten leider trotz der gut ausgearbeiteten Charakterbeschreibungen und der Konzentrierung auf das Opfer gefehlt hat. Dennoch habe ich diesen Krimi sehr gerne gelesen.

Bewertung vom 16.08.2019
Cheek, Chip

Tage in Cape May


gut

Deprimierendes Bild einer jungen Ehe ...
„Vorher gab es nur irgendwelche Verabredungen, von denen wir um zehn wieder zurück sein mussten. Und plötzlich lagen wir im selben Bett […]“ (S. 151)
Die Ehe muss für viele konservativ erzogene Menschen in den USA gegen Ende der 1950er Jahre (die Handlung dieses Romans spielt 1957) eine ziemliche Herausforderung dargestellt haben - von einem Moment auf den anderen nicht mehr Kinder sein, sondern verantwortungsvolle Ehepartner. Das junge Ehepaar, Henry (20 Jahre alt) und Effie (18 Jahre alt), deren Flitterwochen im Zentrum dieses Romans stehen, schlägt sich zunächst sehr tapfer und mir gefiel, wie der Autor, Chip Cheek, auf sehr zarte und einfühlsame Weise ihre Unsicherheit, in ihre neue Rolle hineinzuwachsen, eine Rolle, für die sie nicht geübt haben, beschreibt.
Auch der Handlungsort ist sehr geschickt gewählt: Ein halbverwaister Ort an Küste, der außerhalb der Touristensaison in eine Art Dornröschenschlaf versunken ist und in dem die beiden erst einmal fast allein und mit sich selbst konfrontiert sind.
Sehr sympathisch waren mir beide nicht. Sie verhält sich anderen (beispielsweise ihrer alten Freundin Clara) gegenüber manchmal etwas scheinheilig und er wird durch sein erstes sexuelles Erlebnis mit Effie, das überhaupt sein erstes sexuelles Erlebnis mit einer Frau ist, übermütig wie ein Kind, was rührend sein könnte, wenn er nicht eindeutig mehr mit seinem eigenen Körper beschäftigt wäre als mit dem seiner Frau ...
Im weiteren Verlauf der Handlung flachte die Erzählung zunehmend ab. Statt mich den Protagonisten immer näher zu fühlen, wurden sie mir immer fremder und Henry erreicht unvorstellbare Höhen der Idiotie. Seine Entwicklung ist so schrecklich vorhersehbar und ich empfand die Erzählung als immer überflüssiger. Das Ende konnte mich dann aber tatsächlich noch etwas mehr deprimieren, als ich erwartet hätte.
Eine gut geschriebene, aber sehr deprimierende Erzählung, die man auf keinen Fall Menschen in den Flitterwochen in die Hände drücken sollte!

Bewertung vom 16.08.2019
Valente, Catherynne M.

Space Opera


ausgezeichnet

Da die Menschen sich der Erforschung des Weltraums zuwenden, beschließt die Gemeinschaft außerirdischer Spezies, dass es nun an der Zeit sei, dass die Menschheit ihre Empfindungsfähigkeit und ihre Qualitäten als gute Nachbarn unter Beweis stellen muss - gelingt der Menschheit das nicht, droht ihr die Vernichtung ...
Hierfür nimmt die Autorin das Science-Fiction-Untergenre Space Opera wortwörtlich, denn im Gegensatz zu gewöhnlichen Weltraumopern wird hier nicht gekämpft, sondern die Vertreter der Menschheit müssen an einem Songwettbewerb teilnehmen, der durch seine liebenswerte Verrücktheit und Vielfältigkeit stark an den Eurovision Song Contest (ESC) erinnert ...
Genauso wie der ESC seinen Zuschauern eine gewisse Offenheit und Toleranz abverlangt, hat auch dieses Buch etwas überwältigend Schräges, für das man in der richtigen Stimmung sein sollte. Auch die bildreiche Sprache ist eine Herausforderung, gleichzeitig aber auch ein großer Genuss. Immer wieder überrascht die Autorin mit ungewohnten Vergleichen wie "und dann sangen sie den Song ein wie der Geist Oscar Wildes, der frisch von einem Kometen gestreift Sterne schnupfte wie Kokain" (S. 24)
Mit den zahlreichen Wortspielereien und Wortkreationen machte mich diese Lektüre so rundum glücklich, wie es schon lange kein Buch mehr geschafft hat, und ich ziehe vor der Übersetzerin Kirsten Borchardt meinen Hut, dass ihr die Übertragung ins Deutsche so gut geglückt ist. Die Autorin hat so wunderbare Einfälle wie "Glampire" oder "Apokalyptische Ölkatastrophe Nr. 4" (als Name eines Haarfärbemittels) und die Namen der verschiedene Wesen erinnerten mich an verschiedene Sprachen der Welt, beispielsweise Yüz an das türkische Wort für hundert, Keshet an das hebräische Wort für Regenbogen, Utorak heißt, wie ich recherchiert habe, im Kroatischen "hart, unbelebt" - alles sehr passend, das kann kein Zufall sein ...
Dazu kommt noch der funkelnde Humor von Catherynne M. Valente, sich selbst nicht ernstnehmend, das ist meine Lieblingshumorsorte. Dabei erzählt die Autorin in einem Nachwort, das hier zum Musikthema passend als "Liner Notes" bezeichnet wird, dass sie während des Schreibens aufgrund der Erkrankung und des Todes ihrer Katze eine schlimme Zeit durchlebte. Wer jemals wie sie eine Katze geliebt und aufgrund einer schlimmen Krankheit verloren hat, wird es nachfühlen können ...
Und natürlich hat diese sympathische Autorin den musikalischen Vertretern der Menschheit mit Capo auch eine coole Katze an die Seite gestellt - deren Unterhaltung mit einer der außerirdischen Spezies stellte für mich in puncto Lachanfälle einen der Höhepunkte dieses Romans dar.
Traurig ist hingegen das Bild, das die Autorin vom xenophoben Großbritannien in der nahen Zukunft zeichnet. Umso trauriger, da es gerade gar nicht so absurd wirkt, sondern stark dem not-so-great Brexitbritannien ähnelt.
Aus irgendeinem Grund musste ich ferner beim Lesen immer wieder an die meisterhafte, unübertroffene Science-Fiction-Serie Doctor Who denken. Nein, der Doctor kommt selbst nicht vor, aber allein schon die Idee, erst einmal einen Songwettbewerb zu veranstalten, anstatt gleich zu den Waffen zu greifen, könnte definitiv von ihm stammen ... Dann die Erwähnung der Taschenuhren, die mal mehr und mal weniger friedliche Koexistenz so vieler unterschiedlicher Wesen ... So war ich nicht überrascht, als er dann schließlich (allerdings nur als Fernsehserie, nicht als Handlungsfigur dieses Romans) auch erwähnt wurde. Auch die Liebe der Autorin zu Douglas Adams und David Bowie ist spürbar, aber aus all diesen Inspirationsquellen (nicht zu vergessen den ESC) schafft sie ihren ganz eigenen Roman, der sich wohltuend von der Masse anderer Science-Fiction-Romane abhebt.
Ein wunderbares, buntschillerndes Sprachfeuerwerk!

Bewertung vom 16.08.2019
Dusse, Karsten

Achtsam morden Bd.1


ausgezeichnet

Dieser Krimi bereitete mir ein königliches Lesevergnügen. Er bringt scheinbare Gegensätze – das Streben nach einer guten Lebensführung durch Achtsamkeit und eine unverhoffte Ganovenkarriere inklusive der Grenzüberschreitung Mord – in einen behutsamen, liebevoll gestalteten Einklang.
Jedem der Kapitel, die so verheißungsvolle Titel wie „Zeitinseln“, „Singletasking“ oder „In-sich-hineinlächeln“ tragen, ist eine kurze Weisheit aus den Lehren der Achtsamkeit vorangestellt. So sehr mich auch normalerweise solche Tipps für die Lebensgestaltung nerven, fühlte ich mich überraschenderweise von diesen ganz unschuldig angesprochen und dachte immer wieder, dass ich das eine oder andere vielleicht auch mal ausprobieren möchte – wodurch für mich die konsequente Umsetzung durch die Hauptfigur dieses schrägen Krimis, den Anwalt Björn, mit ihren für andere oft verheerenden Folgen umso erschreckender war …
Björn ist im Übrigen keine Figur, die dafür konzipiert ist, die Sympathien für sich zu gewinnen, dafür ist er viel zu egozentrisch. Ich habe die Theorie, dass Björns Achtsamkeitsbemühungen auch deshalb eskalieren, weil er meiner Meinung nach im Gegensatz zu dem, was er selber glaubt, nie wirklich Ideale gehabt hatte und Menschen mit Idealen auch überhaupt nicht verstehen kann. Aber diese Ernsthaftigkeit und der Eifer, mit denen er sich um Achtsamkeit bemüht, und die jeweiligen im Hinblick auf die Achtsamkeit zwar makellosen, aber ansonsten oft haarsträubenden (und manchmal blutigen) Ergebnisse seiner Bemühungen sind einfach umwerfend komisch, daher folgte ich ihm und seiner Geschichte mit großem Vergnügen und gewann ihn sogar trotz allem ein bisschen lieb.
Die Handlung bietet ein buntes Potpourri aus auf die Spitze getriebenen Klischees, hinreißender Situationskomik und skurrilen Kombinationen, bei denen auch schon einmal Schwerverbrecher nebeneinander auf Kindergartenstühlchen sitzen und Fischstäbchen essen. Immer wieder kämpfte ich mit Lachtränen und war zwischendurch manchmal ein bisschen erschrocken, worüber ich da gerade lachte …
Zu zartbesaitet sollte man nämlich für diese Lektüre nicht sein und ein Faible für rabenschwarzen Humor ist definitiv hilfreich, aber wer beispielsweise die Werke von Monty Python lachend überlebt, hat eine gute Chance, wie ich auch mit diesem Roman glücklich zu werden!