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Lara89
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Geschichten sind das Größte

Bewertungen

Insgesamt 119 Bewertungen
Bewertung vom 02.10.2022
Brandner, Michael

Kerl aus Koks


sehr gut

Alles was leicht geht, ist richtig
Für den kleinen Paul beginnt das Abenteuer des Lebens in Bayern auf dem Lande. Hier wird gegessen, gelärmt und gelacht. Paul ist glücklich. Eines Tages wird der Vierjährige von seiner Mutter abgeholt und sie fahren nach Dortmund. Der Papa, den Paul nun bekommt, ist Bergarbeiter. Sie leben in einer kleinen Wohnung. Die Familie ist groß, die Mutter nicht so recht zufrieden, aber der Vater liebt ihn. Paul wird auch hier glücklich, „im Pott“. Macken, so entdeckt er, machen Menschen schön.
Er ist nur dem Alter nach erwachsen, als er eine Lehre als Bauzeichner beginnt und später zum Wehrdienst eingezogen wird. Er lebt in WGs, Kommunen und besetzten Häusern. Er spielt Theater, macht Musik, restauriert alte Möbel, kommt mehrere Male beinahe ums Leben und hat zahllose Freundschaften und Liebesbeziehungen. Alles, was leicht geht, so entdeckt er, ist richtig.
Das ist so charmant beschrieben, dass man sich beim Lesen wünscht, die Kindheit Pauls möge nie enden. Der Stil ist angenehm zu lesen und die schrägen Typen, die Paul trifft, werden liebevoll und wertschätzend dargestellt.
Insgesamt ergibt sich ein Porträt der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik aus der Sicht eines unsteten, unpolitischen und kreativen Menschen, der aus kleinen Verhältnissen kommt. Pauls Geschichte vermischt sich in den späteren Erwachsenenjahren mit der Biografie des Autors: Michael Brandner ist heute ein bekannter Fernsehschauspieler. Dem Buch tut das nicht gut, denn man weiß nicht so recht, ob man nun eine Autobiografie oder eine fiktive Geschichte vor sich hat. Doch der kleine Paul, der so leicht zu begeistern ist, ist – mitsamt dem Coverfoto – ein ganz besonderes Highlight.

Bewertung vom 27.09.2022
Aramburu, Fernando

Die Mauersegler


schlecht

Schwer auszuhalten
Toni ist Philosophielehrer, geschieden, und hat einen Sohn. Er mag das Leben nicht, deshalb will er sich in genau einem Jahr töten. Bis dahin schreibt er an jedem Tag Erlebtes, Erinnerungen, Eindrücke und Gedanken auf.
Sonst passiert kaum etwas auf diesen mehr als achthundert Seiten. Wir erfahren alles über Tonis Kindheit, seine gescheiterte Ehe, seinen unbefriedigenden Beruf. Es ist ein ganz normales Leben, ohne Ambitionen und ohne ungewöhnlich schlimme Erfahrungen. In jeder Zeile sind Tonis Überdruss und sein Widerwillen spürbar, die er teilweise auch philosophisch begründet.
Das ist schwer auszuhalten. Toni ist ein unsympathischer, frauenfeindlicher Protagonist, der von sich selbst sagt, er sei ein Denker, der nur die Gedanken anderer nachdenkt. Überrascht stellt man fest, dass er durchaus Schönes wahrnehmen kann: den Flug und die regelmäßige Wiederkehr der Mauersegler, ebenso wie das ein oder andere Gedicht. Es fällt auf, dass Tonis großer Widerwille gegen das Leben im Laufe der viel zu vielen Buchseiten abnimmt. Etwas Positives tritt nicht an seine Stelle.
Das Schönste an diesem Buch ist das Cover: Hauswände in warmen Farben, die Silhouette eines Mannes mit Hund, und in einer großen Pfütze ein Spiegelbild des blauen Himmels. Mit Mauerseglern.

Bewertung vom 02.09.2022
Strobel, Arno

Fake - Wer soll dir jetzt noch glauben?


ausgezeichnet

Wahrheit-en

Patrick Dostert hat einen guten Job, eine liebevolle Ehefrau und einen Tag Urlaub. Da klingelt die Polizei an seiner Tür und beschuldigt ihn, eine Frau entführt und misshandelt zu haben. Die Namen, die man ihm nennt, kennt er nicht. Und das ist erst der Anfang. Beweise tauchen auf. Leichen werden gefunden. Belastende Videos erscheinen im Internet, auf denen Patrick genau zu erkennen ist. Schließlich sitzt er im Gefängnis und kann nur noch auf seinen Anwalt hoffen.

Das ist so wahnsinnig spannend und lebensnah beschrieben, dass man das Buch kaum aus der Hand legen kann. Die Hauptperson Patrick ist sympathisch und ein bisschen naiv. Bei allen anderen Personen kommen Zweifel auf, ob sie sind was sie zu sein vorgeben.
Blutrünstig ist dieser Thriller nicht, und es kommt auch nur wenig Brutalität vor. Das Schlimme ist, dass Patrick passiert, was jedem von uns zustoßen könnte. Denn moderne Technologie macht Fälschungen von Bildern und Videos möglich, die kaum als solche zu erkennen sind. Doch zum Schluss ist dies auch nur die halbe Wahrheit.

Bewertung vom 08.08.2022
Storks, Bettina

Ingeborg Bachmann und Max Frisch - Die Poesie der Liebe / Berühmte Paare - große Geschichten Bd.3


ausgezeichnet

Einfühlsame Darstellung einer Dichterliebe

1958 trifft Max Frisch, bekannter deutschsprachiger Nachkriegsautor, auf die Dichterin Ingeborg Bachmann. Schon beim ersten Treffen entsteht eine intensive Liebesbeziehung, die bis 1962 andauert. Im Buch werden beider Sichten deutlich: Die Autorin schildert die Geschichten von Max und Ingeborg im Wechsel. Dafür hat sie zahlreiche Quellen genutzt, die teilweise erst vor kurzen zugänglich wurden. Eine umfangreiche Literaturliste gibt es im Anhang. Die Phasen der Beziehung sind mit „Liebesanflug“, „Liebesflüge“, „Sturzflug“ und „Gebrochene Flügel“ betitelt, die Berichte der Liebenden mit Zeitangaben versehen.

Sehr dicht an Bachmann und Frisch entsteht ein Porträt zweier ungleicher Persönlichkeiten. Beide sind erfolgreich und im Literaturbetrieb etabliert, dennoch leben und arbeiten sie sehr unterschiedlich. Frisch ist als Prosaautor straff durchorganisiert, Bachmann aber bringt mit ihrer Lyrik die Dinge auf den Punkt und muss sich dafür teilweise nächtelang quälen. Für Bachmann kommt hinzu, dass sie als Frau ganz anderen Erwartungen ausgesetzt ist als Frisch, was sie deutlich erkennt und formuliert.

Die Sprache ist flüssig und angenehm zu lesen. Sie ist gespickt mit Zitaten aus Briefen und anderen Texten. Es ist eine ganz besondere Liebe, das spürt man beim Lesen. Das macht auch das Buch zu etwas Besonderem. Was fehlt, sind Fotos, aber anscheinend gibt es keine, auf denen beide zu sehen sind. Doch Liebe macht ohnehin blind, wie Bachmann in „Reigen“ beschreibt. Und die Liebe ist in diesem Buch sehr präsent. Ein Leseerlebnis.

Bewertung vom 17.07.2022
Schmidt, Rosalie

Der Duft der Kirschblüten / Kirschblüten-Saga Bd.1 (2 MP3-CDs)


gut

Tee aus Japan

Berlin, 1870: Clara Winterfeld betreibt mit ihren Eltern und Geschwistern ein Teehaus. Neu ist ein grüner Tee aus Japan, das sich allmählich auch der westlichen Welt öffnen will. Die japanische Kultur und der Japaner, der den Tee vorstellt, wecken Claras Gefühle. Doch Akeno reist wieder ab und Clara kann sich mit ihrem Wunsch, den grünen Tee im Teehaus anzubieten, nicht durchsetzen. Zu exotisch, zu anders.
Das Leben geht weiter. Faktisch ist Clara längst die Geschäftsführerin des Teehauses, doch man erwartet eine Heirat von ihr. Was wird sie tun?

Clara ist eine sympathische Heldin in einer Zeit, in der nur Männer Helden sind. Sie hat ihren eigenen Kopf, möchte aber auch nicht anecken. Es gibt keine Perspektivwechsel; wir lernen Clara und ihre Mitmenschen nur aus ihrer eigenen Sicht kennen. Das und der angenehme, flüssige Stil machen es ausgesprochen leicht zu lesen. Ein unkomplizierter Schmöker ohne allzu tiefe Konflikte. Es gibt eine Fortsetzung.

Bewertung vom 13.07.2022
Kaspari, Carla

Freizeit


schlecht

Zum Verzeifeln belanglos

Franziska hat zwei Jahre in Paris gearbeitet und studiert. Nun ist sie 27 Jahre alt, Single und erfolgreiche Freiberuflerin. Oder doch nicht? Man weiß es nicht genau. Vieles von dem, was in anderen Romanen Handlung ist, geht hier unter in einer Gemengelage aus Beschreibung, Wahrnehmung und Bewertung. Es werden Twitter-Posts abgesetzt, Instagram-Storys gefilmt und angeschaut, Chatbeiträge gelesen und oft beantwortet – nach längerem Überlegen. Ebenso wie die Gespräche, die sie im richtigen Leben führt, sind es selten mehr als Kommentare, die Franziska ihrerseits für sich kommentiert. Passt das, was sie sagt/schreibt/tut? Merkt jemand, dass die Bemerkung einer Freundin volkommen unpassend war?
Die Menschen sind einander fremd und fern in diesem Buch, auch wenn sie sich schon lange kennen. Franziska bleibt unnahbar, obwohl sie ständig von sich selber spricht. Man weiß nicht, was sie mag, was sie anstrebt und was ihr wichtig ist. Sie weiß es selber auch nicht. Alles was sie tut und erlebt, scheint seltsam belanglos.
Beispielhaftes Zitat, Seite 85: „Franziska denkt, dass Entscheidungen fast nie richtig oder falsch sind, sondern meistens gefällt werden, damit es weitergeht.“
Dann geschieht ein Selbstmord in ihrem Bekanntenkreis. Im Abschiedsbrief bedankt sich die Person für Franziskas Wärme. Das kommt für den Leser ebenso überraschend wie für Franziska selbst. Es scheint sie aus der Bahn zu werfen. Wieso, bleibt unverständlich.
Besser auslassen.

Bewertung vom 09.07.2022
Kristoff, Jay

Das Reich der Vampire Bd.1


ausgezeichnet

Tausend Seiten Spannung

Der Tag ist tot, die Sonne wird nicht mehr hell. Der Orden der Silberwächter ist der letzte Schutz der Menschheit vor den Bestien. Dies ist die Geschichte von Gabriel de Leon, der wie seine Ordensbrüder zu Hälfte selbst ein Vampir ist. Ein komplexer, eigenwilliger und äußerst leidenschaftlicher Charakter.
Die Welt ist an die unseres Mittelalters angelehnt. Die Geschichte ist voller Grausamkeit, Liebe, Hass und Tod, und vor allem voller Blut. Blut ist überhaupt das Wichtigste. Man kann, man muss es sogar: rauchen. Nur so bleiben die Ordensbrüder bei Kräften.

So hat man Vampire noch nicht erlebt: elende Raubtiere und grässliche Machthaber. Es gibt immer wieder Überraschungen, ihre Fähigkeiten betreffend, und unerwartete Wendungen in der Geschichte. Der Autor schafft es, über tausend Seiten zunehmend Spannung aufzubauen. Es gibt zwei Erzählstränge: Wir lernen Gabriel de Leon als Jugendlichen kennen und folgen seiner Ausbildung innerhalb des Ordens. Parallel dazu erleben wir die Geschichte des erwachsenen Mannes, der seinen Glauben verloren hat. So entsteht zusätzlich Spannung, weil man sich fragt wie er wurde, was er ist.

Die Sprache ist meist die von Leon, dem Ich-Erzähler, und der ist auffallend vulgär. Doch daran gewöhnt man sich, denn es passt zum Charakter. Es geht auch anders: Der Autor kann Szenen so detailliert und emotional schildern, dass man weinen könnte. Die Figuren sind bei aller Fantastik so lebensnah und glaubhaft dargestellt, dass man mit ihnen leidet und sich mit ihnen freut.

Ein Klotz von einem Buch. Ein Buch für Freunde des Fantastischen, und wegen des großartigen Stils, auch ein Stück gute Literatur. Schöne Illustrationen gibt es on top. Sensationell. Es ist der erste Band einer Trilogie.

Bewertung vom 28.06.2022
Kalisa, Karin

Fischers Frau


sehr gut

Fischerteppiche wurden zu Beginn des vorigen Jahrhunderts an der Ostsee von Hand geknüpft. Es gibt typische Muster und Farben, die die Echtheit bezeugen. Ein solcher Fischerteppich landet auf dem Tisch von Mia Sund.
Mia ist Museumskuratorin und Faserarchäologin. Sie hat sich nach schwierigen Erfahrungen in einer gewissen Sicherheit eingerichtet. Dennoch regt sie dieser grüne Knüpfteppich und die Art, wie er sie erreicht, zu einer Suche an, die sie durch halb Europa führt. Sie ertappt sich dabei, dass die Geschichte des Teppichs neu erfindet - orientiert an den Fakten, die ihr vorliegen..

Das Buch ist nicht leicht zu lesen. Man erwartet doch ein logisches Vorgehen, wenn jemand nach alten Tatsachen recherchiert. Doch dies ist kein Krimi. Es ist eine Reise der Hauptperson zu sich selbst. Erst wenn man sich auf das Bild des Teppichs einlässt, wird die Geschichte rund. Alles ist miteinander verbunden. Die Geschichte der weit gereisten Knüpferin, die in Schweden ein neues Zuhause findet und dort den Ostseeteppich knüpft – grün wie die Wälder und mit Moriven des Meeres. Und die Geschichte Mias, die forscht und sucht und dabei schließlich Fehlendes erfindet.
Was ist echt und was gefälscht? Was ist ausgedacht, was wahr? Während des Knüpfens werden Geschichten erzählt, wie in tausendundeiner Nacht. Und es kommt nicht darauf an, ob sie wirklich passiert sind, sondern darauf, dass sie fesseln und unterhalten. Und dass sie vielleicht im Leben weiterhelfen.

Das ist wunderschön erzählt. Die Sprache ist so poetisch, dass man immer wieder besonders gelungene Sätze anstreichen möchte. Ein ruhiges, ein langsames Buch.

Bewertung vom 26.06.2022
Martin, Stefanie H.

Virginia und die neue Zeit / Die Liebenden von Bloomsbury Bd.1


ausgezeichnet

Virginia lebt nach dem Tod der Eltern mit ihren drei Geschwistern in einer unkonventionellen Wohngemeinschaft in London. Die Treffen mit anderen Intellektuellen und Künstlern inspirieren sie. Sie verdient bereits mit Rezensionen Geld und schreibt auch Essays, ihre Schwester Vanessa malt. Doch immer wieder bremst die gesellschaftliche Vorstellung von einem anständigen Frauenleben sie aus. Schließlich heiratet sie doch: den Autor Leonard Woolf. Doch soweit kommt es in diesem ersten Band über die Gruppe noch nicht. Band zwei wird ihre Schwester Vanessa zum Thema haben und Band drei ihre spätere Geliebte Vita Sackville-West.

Das Buch erzählt lebendig die Jahre 1903 bis 1909. Die Autorin hat Briefe und Veröffentlichungen aller Beteiligten verwendet und spürt den Empfindungen der Menschen sehr genau nach. Es geht um Liebe und Drama, es geht um Homosexualität, um ein selbstbestimmtes Leben auch jenseits der Norm und es geht darum, was es heißt, eine Frau zu sein. Künstlerin, Denkerin zu sein und zu lieben. Virginia ist sehr sensibel, hat depressive Schübe und spricht offen über Selbsttörung. Aber wir lernen sie auch in sehr glücklicher Stimmung kennen sowie als Autorin, die hart an ihren Texten arbeitet, aber damit auch mal wirklich zufrieden ist.

Obwohl es hier primär um Virginia geht, folgen wir auch dem Erleben ihrer Schwester Vanessa und teilweise den Männern, die sie begleiten. Die verschiedenen Perspektiven machen den Roman vielschichtig und lebensnah. Es ist ein Genuss, ihn zu lesen.