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Magda
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Köln

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Insgesamt 305 Bewertungen
Bewertung vom 15.10.2024
Johann, Petra

Der Steg


ausgezeichnet

Der Steg von Petra Johann ist der vierte Kriminalroman der Autorin, den ich gelesen habe. Auch dieser Krimi von ihr konnte mich begeistern und gut unterhalten.
Priska und Florian haben vor kurzem geheiratet, sie sind beide um die 30 und sehr ineinander verliebt. Sie haben ein baufälliges Haus auf dem Land im Kieler Umland gekauft. Florian ist selbständiger Schreiner und hat viel Arbeit in das Haus gesteckt, damit es in neuem Glanz erstrahlen kann. Das Haus liegt an einem See, ein Wald erstreckt sich direkt hinter dem noch verwilderten Garten, eine Idylle wie aus dem Bilderbuch.
Das Paar erwartet Priskas Halbbruder Moritz und seine neue Freundin Anna, die vier wollen das Wochenende zusammen verbringen. Moritz hat angekündigt, gegen halb fünf da zu sein. Priska arbeitet an dem Tag nur am Vormittag, geht danach erst einkaufen und anschließend joggen. Als sie vom Laufen zurück ist, sieht sie einen Mann auf dem Steg.
Den Abend verbringen die vier in geselliger Runde beim Abendessen. Am nächsten Tag macht Anna einen Spaziergang zum See und findet im Wasser am Steg die Leiche von Volker, Priskas und Moritz‘ Vater.
Das Buch ist abwechselnd aus Priskas und Annas Perspektive geschrieben. Anna hat schon bald den Verdacht, dass Priska was mit Volkers Tod zu tun hat. Diesen Gedanken behält sie erstmal für sich, da Moritz seine Halbschwester vergöttert.
Von Anfang an ist klar, dass Priska an Volkers Tod schuld ist, es ist die Frage nach dem Motiv, die die Spannung konstant aufrechterhält. Die Polizei legt den Fall als Unfall ohne Fremdverschulden zu den Akten ab, nur Anna und Volkers Freundin Stefanie wollen sich nicht mit diesem Ermittlungsergebnis zufriedenstellen. Besonders Anna steigert sich sehr in ihre private Ermittlung hinein, sie findet Priskas Verhalten von Anfang an suspekt, ihr Verdacht wird durch weitere Ereignisse und Beobachtungen untermauert. Sehr interessant fand ich, dass sie ihre Gedanken als Skizzen aufs Papier bringt, da sie als Tätowiererin sehr gut zeichnet. Moritz und Florian fand ich äußerst naiv und weltfremd in ihrer bedingungslosen Liebe zu Priska.
Das Ende hat mir gut gefallen, obwohl eine Frage offenblieb. Es gibt ein paar Längen, ein paar Seiten weniger hätten dem Buch nicht geschadet, manche Aspekte werden wiederholt genannt. Nichtsdestotrotz fand ich auch diesen Krimi von Petra Johann sehr spannend und unterhaltsam.

Bewertung vom 12.10.2024
von Kessel, Julie

Die andern sind das weite Meer


ausgezeichnet

Die andern sind das weite Meer von Julie von Kessel hat mir sehr gut gefallen. Es werden wichtige und interessante Themen behandelt wie Demenz und Kriegsberichterstattung in der Ukraine, der Umgang mit dem frühen Verlust der Mutter, aber auch das Thema Beziehungen, sowohl partnerschaftliche als auch familiäre.
Das Buch ist aus der Sicht von Hans und seinen drei erwachsenen Kindern geschrieben: Tom, Luka und Elena.
Hans ist Botschafter a.D., der ehemalige Diplomat ist seit einigen Jahren pensioniert und lebt in Bonn. Seine Frau Maria, die er in Mexiko kennengelernt hatte, ist an Brustkrebs gestorben, als die Kinder noch klein waren.
Tom ist 42, er leitet eine psychiatrische Klinik in Berlin, Luka ist Reporterin, und Nesthäkchen Elena hat Brustkrebs und verdrängt die Diagnose, die Strahlentherapie bricht sie ab. Obwohl sie einen liebevollen Partner und eine dreijährige Tochter hat, stürzt sie sich in eine Affäre und trauert ihrer Jugendliebe nach. „Sein jüngstes Kind hat sich nicht gedreht, sich nicht zum Ausgang bewegt, beides sind Tatsachen, aus denen er später viel über ihr Leben ablesen wird. Sie muss per Kaiserschnitt auf die Welt kommen. Ihr muss von Anfang an geholfen werden.“ (S.143).
Stressbedingt begeht Luka in der Ukraine einen verhängnisvollen Fehler, der sie nicht nur ihren Job kostet, sondern auch Menschenleben gefährdet. Tom verliert einen Patienten, der ihm sehr am Herzen lag, und Elena verliert auf einer Party die Beherrschung – da erreicht sie die Nachricht, dass ihr Vater verschwunden ist. Die drei fahren in ihr Elternhaus nach Bonn und machen sich auf die Suche nach Hans. Allmählich wird ihnen klar, dass ihr Vater demenzkrank ist.
Mir haben das Buch und das Ende sehr gut gefallen. Ich fand alle vier Charaktere sehr interessant und konnte mich gut in sie hineinversetzen, besonders feinfühlig hat die Autorin Hans‘ Gedanken beschrieben. „Luka kannten alle aus dem Fernsehen. Aber sonst gab es nicht viel, womit er hätte prahlen können, keine Hochzeiten, keine Enkelkinder-Schar, keine Immobilien, nichts, was hier zählte.“ (S. 107) Hans denkt nicht nur über seine Kinder, sondern auch über seine Eltern nach, die mit seiner mexikanischen Ehefrau und seinen fremdländisch aussehenden Kindern alles andere als glücklich waren: „Was ist das denn für ein dunkles Bürschchen? Gehört er überhaupt zu uns? Er nennt ihn ab sofort den kleinen Indio.“ (S. 142)
Ein kleines Highlight war für mich das Lokalkolorit. Da ich Bonn gut kenne, habe ich viele der Schauplätze wiedererkannt, auch die Stelle, an der Hans im Rhein schwimmen geht. Von mir eine große Leseempfehlung für diesen feinfühligen Roman, der mich sehr berührt hat.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.10.2024
Duncan, Tessa

Wer mit den Wölfen heult / Die Canterbury-Fälle Bd.2


ausgezeichnet

„Wer mit den Wölfen heult“ ist der zweite Fall für die Psychologin und ehemalige Polizistin Lily Brown. Lily lebt in mit ihrem Kater Mick in Canterbury, hält sich aber häufig bei ihrem Freund Dan in London auf. Dan ist Detective bei der MET.
Lily und Dan beschäftigen sich mit drei Fällen: Jerry Hoover, eine junge Mutter, die bei Lily in Therapie ist, die Suche nach einem Serienvergewaltiger und last but not least der Polizist Martin Gordon aus Dover, den Lily auf seine Dienstfähigkeit untersuchen soll, nachdem er während eines Einsatzes auf einen Kollegen geschossen hatte.
Die Kapitel sind meist aus Lilys oder Martins Sicht geschrieben. Es geht um Misogynie und Sexismus/Machismus bei der Polizei und in erster Linie um den Korpsgeist – einer für alle, alle für einen, leider auch in Bezug auf Mobbing und Frauenverachtung. Martin wurde kollektiv von seinen Kollegen geschnitten, nachdem er sich auf die Seite einer Kollegin gestellt hatte, die sexuell belästigt wurde.
In der Therapie erfährt Lily nur Bruchstücke aus Martins Privat- und Berufsleben. Da er ihr Wesentliches verschweigt, kann sie ihm nicht helfen. Nach Martins Tod will sie herausfinden, was vor acht Jahren in London geschehen ist, das dazu geführt hatte, dass sich Martins Leben von Grund auf verändert hatte.
Auch Kinder bzw. Babys spielen eine Rolle in dem Buch. Lily ist 32 und sehnt sich nach einem Kind, doch vorerst ist Dans Ex-Frau von ihm schwanger. Lilys Patientin Jerry Hoover hat bereits ein Kind durch den plötzlichen Kindstod verloren. Sie hat sich an Lily gewandt, da sie erneut schwanger ist und Angst hat, dass auch ihr zweites Kind sterben könnte. Lily recherchiert die Risikofaktoren für den plötzlichen Kindstod und leitet alles in die Wege, um den Schlaf des Säuglings minutiös zu überwachen. Doch auch Jerry ist nicht ehrlich Lily gegenüber.
Auch der zweite Band der Canterbury-Reihe hat mir sehr gut gefallen. Besonders erwähnenswert finde ich, dass die Autorin von dem realen Fall der Marinesoldatin Jenny Böken inspiriert wurde, die 2008 auf der Gorch Fock über Bord ging. Die Umstände ihres Todes sind bis heute nicht geklärt. Es haben sich keine Zeugen gemeldet, was dem Korpsgeist geschuldet sein könnte: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.
Ich mag den Schreibstil der Autorin sehr und finde, dass ihre Canterbury-Reihe genauso spannend ist wie ihre KaDeWe-Dilogie. Über weitere Fälle für Lily Brown und Dan Baker würde ich mich sehr freuen.

Bewertung vom 08.10.2024
Sinno, Neige

Trauriger Tiger


gut

Ich bin irrtümlicherweise davon ausgegangen, dass das Buch ein Roman ist, das ist es jedoch nicht, es ist ein 300 Seiten langer Erfahrungsbericht der Autorin, die als Kind von ihrem Stiefvater missbraucht wurde. Es gehört eher in die Kategorie Sachbücher oder Selbsthilfebücher.
Ich war überrascht und entsetzt darüber, dass in unserer Gesellschaft den Tätern vergeben wird, und die Opfer dafür verstoßen werden, dass sie ihre internen Familienangelegenheiten öffentlich machen. „Seine schmutzige Wäsche nicht in der Öffentlichkeit waschen heißt oftmals, Schweigen bewahren über unschöne Geschichten – von Missbrauch, Dominanz, Inzest.“ (S. 276)
Beim Prozess sagten viele Zeugen zu seinen Gunsten aus, er sei „ein guter Sohn, ein treuer Freund, ein fleißiger Arbeiter, mutig“ (S. 127). „Uns hat er ja nichts getan.“ (S. 250). Der Stiefvater hat sich nach seinem Gefängnisaufenthalt ein neues Leben mit einer neuen Frau aufgebaut und zwei weitere Kinder gezeugt.
Der Schreibstil ist sehr sachlich, immer wieder betont die Autorin, dass sie eigentlich nicht weiß, warum und für wen sie das Buch geschrieben hat, und auch wenn sie es leugnet, denke ich doch, dass das Schreiben des Buches für sie einen Therapieeffekt hatte. Eine Therapie hat sie nie gemacht, vielleicht wäre diese aber hilfreich gewesen. Vielleicht finden sich Betroffene in dem Buch wieder, für mich war das Buch keine interessante Lektüre.

Bewertung vom 05.10.2024
Lenze, Ulla

Das Wohlbefinden


ausgezeichnet

Der Roman spielt auf drei Zeitebenen: 1908, 1967 und 2020. Im Mittelpunkt steht die Schriftstellerin Johanna Schellmann und das Medium Anna Brenner.
Im Jahr 2020 findet Vanessa Aufzeichnungen ihrer Urgroßmutter Johanna, in denen diese ihre Empfindungen und Erlebnisse aus der Zeit aufgeschrieben hatte, in der das Medium Anna Brenner bei ihr und ihrer Familie gewohnt hatte.
Johanna ist mit dem Arzt Clemens verheiratet. Clemens forscht an der Wirkung von Schimmelpilz und bewirbt sich um eine Stelle bei den Beelitz Heilstätten. Er schlägt Johanna vor, ein Buch über die Heilstätten zu schreiben. Johanna greift seinen Vorschlag auf und erkundet Beelitz in Begleitung des Direktors, Herrn Dr. Blomberg. Dieser ist seiner Zeit weit voraus und hat erkannt, dass Körper und Seele auf dem Weg zur Heilung zusammenhängen. „Die zentrale Therapie in unseren Heilstätten ist das Wohlbefinden, da uns ein Wirkstoff gegen die Tuberkulose fehlt. … Doch was ist das tiefste Prinzip des Wohlbefindens? Ich wage zu behaupten, es ist die Seele.“ (S. 203)
Auf dem Gelände lernt Johanna Anna Brenner kennen, eine Frau, die von den anderen Patientinnen verehrt und/oder gefürchtet wird, da sie in Verbindung mit dem Jenseits steht. „Ich habe meinen eigenen Willen aufgegeben und ergebe mich vollständig dem Willen Gottes.“ (S. 153). Blomberg schickt Anna nach München, wo der angesehene Spiritismusexperte, Baron Schrenck-Notzing, bestätigen soll, dass Anna ein echtes Medium ist.
Johanna fühlt sich magisch von Anna angezogen. Gegen den Willen ihres Mannes bietet sie ihr ein Gästezimmer in ihrem Haus an. Anna hilft Johanna beim Schreiben ihres Buches, das sehr erfolgreich wird. Während Annas Aufenthalt bei den Schellmanns entfernt sich Clemens immer mehr von seiner Frau, er ist kaum noch zuhause und verbringt seine Tage in seinem Labor im Garten oder macht Überstunden im Krankenhaus.
Bis zur Hälfte hat mir der Roman sehr gut gefallen, die Charaktere Johanna, Anna und Vanessa fand ich interessant, insbesondere Anna mit ihren übersinnlichen Fähigkeiten. Sie konnte Kontakt zu Toten herstellen und sah sich als ein Werkzeug Gottes. Johanna fand ich unsympathisch, sie hatte eine hohe Meinung von sich, da sie aus einem reichen Elternhaus kam und bereits ein Buch geschrieben hatte über ihre Bosporus-Reisen. Sie empfand wenig Liebe und Zuneigung für ihren Mann und ihre Kinder, auch die Beziehung zu ihrer Schwester und ihrer kürzlich verstorbenen Mutter war nicht gut. Im Jahr 1967 ist sie sehr alt und hat beginnende Demenz, sie wird ehrenamtlich von einem jungen Mann versorgt, der mit ihr über ihre Zeit mit Anna spricht. Damals ist etwas vorgefallen, das bei Johanna lebenslange Schuldgefühle verursacht hatte.
Am wenigsten interessant fand ich die Passagen über Johannas Urenkelin Vanessa. Diese benimmt sich seltsam und ist infolgedessen die perfekte Nachfahrin von Johanna.
Den Schreibstil der Autorin mochte ich sehr, besonders gut hat mir die erste Hälfte gefallen. Die Beschreibungen der Séancen und Geistererscheinungen fand ich interessant. Das Wohlbefinden ist ein außergewöhnliches Buch, das ich gern weiterempfehle.

Bewertung vom 28.09.2024
Haig, Matt

Die Unmöglichkeit des Lebens


gut

Die Unmöglichkeit des Lebens ist das dritte Buch, das ich von Matt Haig gelesen habe. Sowohl Die Mitternachtsbibliothek als auch Die Radleys habe ich mit Begeisterung durchgesuchtet, leider war das bei Die Unmöglichkeit des Lebens nicht der Fall.
Grace ist pensionierte Mathematiklehrerin. Seit dem Unfalltod ihres Sohnes quält sie sich mit Schuldgefühlen und daraus resultierenden Depressionen. Als auch noch ihr Mann Karl stirbt, sieht sie keinen Sinn mehr im Leben. Da erreicht sie die Nachricht, dass sie von einer entfernten Bekannten namens Christina ein Haus auf Ibiza geerbt hatte. Kurzentschlossen nimmt sie den nächsten Flieger nach Ibiza.
Sie lernt Christinas Freunde und ihre Tochter kennen. Es stellt sich heraus, dass Christina nicht verstorben, sondern im Meer verschwunden ist. Christinas Vertrauter Alberto nimmt Grace mit zu der Stelle, an der Christina verschwunden ist und die beiden tauchen ab – la Presencia empfängt sie. Nach dem Tauchgang erwacht Grace im Krankenhaus mit neuen Fähigkeiten und Gaben. Sie kann Gedanken lesen, hellsehen, spricht perfekt Spanisch und kennt alle Bücher, die sie gelesen hat, auswendig.
Zusammen mit Alberto kämpft Grace gegen den Bau weiterer Hotelanlagen und die damit einhergehende Zerstörung der Natur. Als für eine Protestaktion gegen einen Bauherrn achtzig Tausend Euro gebraucht werden, gewinnt sie diese im Casino – wie praktisch, dass sie vorhersehen kann, welche Zahl beim Roulette fällt.
Ich fand die Geschichte unrealistisch und konstruiert, Fantasy pur bzw. ein Märchen für Erwachsene. Den Schreibstil des Autors mag ich, aber die Geschichte trieft nur so vor paranormalen und übersinnlichen Phänomenen. Hinzu kommen mathematische Berechnungen, mit denen ich wenig anfangen kann.
Schön fand ich die Beschreibungen von Ibizas Natur, und ich habe einiges über die Geschichte der Insel erfahren. Grace ist eine sympathische Protagonistin. Ein übersinnlicher Aspekt hat mir gefallen, und zwar, dass Grace die Gelegenheit bekam, sich mit ihrem verstorbenen Mann und Sohn auszusprechen.
Wer Fantasy und Ibiza mag, wird dieses Buch mögen.

Bewertung vom 27.09.2024
Hiiragi, Sanaka

Die Glückslieferanten


ausgezeichnet

Die Glückslieferanten ist das erste Buch, das ich von der Autorin gelesen habe. Ich mag japanische Literatur, und die Haptik und Optik des Buches mit dem roten Farbschnitt ist außergewöhnlich schön. Auch der Inhalt konnte mich für sich einnehmen.
Es sind vier Geschichten + Epilog über Menschen, die Briefe oder Päckchen von einer Firma namens Himmelsboten erhalten. Diese werden im Auftrag von Verstorbenen ausgeliefert.
Eine ältere Frau sieht keinen Sinn mehr im Leben, nachdem ihre beiden Freundinnen verstorben sind. Sie lässt das Häuschen, in dem sie zu dritt gewohnt haben, verkommen, geht nicht mehr vor die Tür, wartet auf den Tod. Die Glückslieferantin überreicht ihr ein Päckchen von den verstorbenen Freundinnen.
Ein junges Mädchen träumt davon, in Tokio zu studieren, doch ihre Eltern und vor allem die dominante Großmutter drängen sie dazu, in ihrem Heimatort ein Leben als Ehefrau und Mutter zu führen. Einige Monate nach dem plötzlichen Tod der Großmutter bekommt das Mädchen unerwarteten Besuch.
Ein Mann ist unglücklich verheiratet, jeden Abend verbringt er Bier trinkend im Park, versunken in der Erinnerung an seine Jugendliebe Maho, der er seine Liebe nie gestanden hatte, bis es dafür zu spät war.
Fünf Jugendliche, die sich aus dem Gymnasium kennen, bekommen Nachrichten vom verstorbenen Leiter der Science AG, bei der sie mangels Alternativen mitgemacht hatten. Alle fünf sind aus verschiedenen Gründen unglücklich – bis ihr damaliger Lehrer sie wieder zusammenbringt.
Im Epilog erfahren wir mehr über die Glückslieferantin Nanahoshi. Als sie ein Päckchen von einer Mutter an ihre Tochter ausliefern soll, muss sie an ihre eigene Mutter denken, mit der sie seit Jahren nicht gesprochen hatte. Doch für eine Aussprache ist es jetzt zu spät.
Die Kurzgeschichten haben mir sehr gut gefallen. Ich mag den ruhigen, unaufgeregten Schreibstil, der - wie ich finde - typisch für japanische Literatur ist. Die Geschichten haben mich zum Nachdenken angeregt und werden noch lange in meiner Erinnerung bleiben.

Bewertung vom 23.09.2024
Schweikert, Ulrike

Woher wir kamen


ausgezeichnet

Woher wir kamen von Ulrike Schweikert ist ein spannender historischer Roman auf mehreren Zeitebenen und an teilweise exotischen Handlungsorten: Berlin, Cape Cod, New York, Konstantinopel, Bagdad und Aleppo.
2007: Jane erbt das Haus ihrer Großeltern auf Cape Cod. Sie ist Sanitäterin bei der Navy und war einige Jahre im Irakkrieg eingesetzt. Die Erlebnisse im Nahen Osten haben sie traumatisiert, sie überlegt, ihren Dienst zu quittieren und ein neues Leben auf Cape Cod anzufangen. In dem Haus findet sie Aufzeichnungen ihrer Großeltern, die 1930 aus Berlin nach Amerika ausgewandert sind.
Berlin, 1912: Die 12jährige Emilia lebt bei ihrer Mutter und ihrem Großvater. Dieser ist Hausmeister des Admiralpalasts, in dem erfolgreiche Revuen aufgeführt werden. Emilia träumt davon, Tänzerin zu werden. Sie wird von dem berühmten Paul Lincke entdeckt und gefördert.
Benno ist ein Findelkind ohne Nachnamen. Er ist in einem Waisenhaus aufgewachsen und ergreift die nächstbeste Gelegenheit, um zu fliehen. Als er im Admiralspalast unterschlüpft lernt er zuerst Emilia und dann ihren Großvater kennen. Als der Krieg ausbricht, verschlägt es ihn in den Nahen Osten. Er wird er von einem ranghohen Militär gefördert und beschützt und fährt mit ihm mit dem Orientexpress nach Konstantinopel.
Seine Erlebnisse im Osmanischen Reich sind geprägt von dem Völkermord an Armeniern. Entsetzt muss er mit ansehen, wie Armenier systematisch ermordet werden, und die Welt schaut zu – „Wir sind auf einer diplomatischen Mission, und die strikte Anweisung des Auswärtigen Amtes lautet, die Beziehungen zu unseren türkischen Verbündeten zu pflegen und zu stärken.“ (S. 185)
Die ersten getöteten Armenier sieht er in Aleppo. Von dort werden Armenier zu Todesmärschen in die mesopotamische Wüste getrieben. Einige werden von deutschen Firmen beim Bau einer Eisenbahnlinie von Bagdad aus beschäftigt. Benno erfährt einiges darüber, warum die Deutschen dabei helfen, eine Bahnstrecke durch den Orient zu verlegen. „Es ging um die deutsche Wirtschaft und ums Geld. Alleine die Lieferung der Schienen und Züge hatte deutschen Firmen einen enormen Auftragsschub bereitet.“ (S. 242)
Jane beschließt in das Land ihrer Vorfahren zu fliegen. Ihre Nachbarin Eve Rosenberg befürwortet das Vorhaben, denn: „Ich bin schon lange davon überzeugt, dass wir viel mehr sind als das Produkt unserer Gene und der Erziehung unserer Eltern. Der Grund, wie und wer wir sind, reicht viel weiter zurück, über Generationen, Weltmeere und Zeiten hinweg.“ (S. 477)
Mir hat das 500 Seiten starke Familienepos sehr gut gefallen. Besonders interessant und spannend fand ich Emilias und Bennos Geschichte in der Zeit von 1915 bis zur ihrer Auswanderung nach Amerika. Von dem Völkermord an Armeniern habe ich zum ersten Mal erfahren. Es ist der Autorin hervorragend gelungen, fiktive und reale Personen und Ereignisse zu verbinden. Ich freue mich, Ulrike Schweikert entdeckt zu haben und werde sehr gern weitere Bücher von ihr lesen.

Bewertung vom 20.09.2024
Arenz, Ewald

Zwei Leben


ausgezeichnet

Zwei Leben ist das vierte Buch des Autors, das ich lese, und wieder bin ich hin und weg, sowohl von der Geschichte als auch von dem wunderbaren, poetischen Schreibstil.
1971 in Salach, einem kleinen Dorf in Süddeutschland: Gertrud ist die Frau des Pfarrers. Sie kommt aus Hamburg und lebt seit zwanzig Jahren in Salach, fühlt sich dort jedoch immer noch wie ein Fremdkörper. Es zieht sie in die Stadt zurück. Doch sie bleibt – nicht wegen ihres Mannes, sondern wegen ihres Sohnes Wilhelm.
„Hermann, am Anfang haben wir von fünf Jahren gesprochen, und das kam mir damals schon lang vor. Überall sonst ist das Leben, nur hier nicht.“ (S. 56)
„Manche Lieder sind wie Fenster für mich. Wie Fenster in ein Leben, das ich nicht führe, und ich stehe in der Öffnung, lehne mich an den Rahmen und sehe sehnsüchtig hinaus“ (S. 57)
Roberta kommt vom Nachbarhof. In der Stadt hat sie eine Lehre zur Schneiderin gemacht, fühlt sich aber als das einzige Kind verpflichtet, auf den Bauernhof ihrer Eltern zurückzukehren und dort zu helfen.
Als Kinder haben Roberta, Wilhelm und Wolfgang zusammen gespielt, als Roberta wieder da ist, treffen die drei sich wieder regelmäßig. Roberta und Wilhelm verlieben sich, halten ihre Beziehung aber geheim. Robertas Vater wünscht sich einen Bauern als Schwiegersohn, Wilhelm soll nach seiner Zeit beim Bund in der Stadt studieren.
Als Georg, Gertruds Bruder und Professor an der Göttinger Universität, eine mehrwöchige Vortragsreise durch Europa unternimmt, ergreift Gertrud die Gelegenheit und fährt mit. Sie genießt die Reise in vollen Zügen und freut sich so gar nicht auf ihre Heimkehr. Soll sie Hermann verlassen?
„Sie wusste wieder, warum sie nicht mehr in Salach leben konnte. Weil es dort war, als säße man im dritten Rang im Theater und könnte alles Leben nur durch ein Opernglas betrachten; weit entfernt und niemals echt genug.“ (S.246)
Dann kündigt sich ein tragisches Unglück an: „Was machst denn du? Haben sie dir ins Gehirn geschissen? Du darfst doch den Hollerbusch nicht heraustun? Wenn du den heraustust, dann übers Jahr, stirbt doch einer am Hof!“ (S. 116). Die Welt gerät aus den Fugen.
Zwei Leben habe ich inhaliert, das Buch ist mein Jahreshighlight! Die Gedanken und Handlungen der beiden Protagonistinnen sind sehr authentisch beschrieben. Robertas Leben und ihre Arbeit auf dem Bauernhof wurde vielleicht einen Deut zu ausführlich beschrieben, was mich aber aufgrund der atmosphärischen Schreibweise nicht gestört hatte. Der Autor hat mir das Leben auf einem Bauernhof in den 1970er Jahren sehr nahegebracht. Sehr sympathisch und authentisch fand ich die Nebencharaktere Wolfgang, Eva und vor allem den Opa. Robertas Opa hatte selbst eine Geschichte, aus der Herr Arenz ein eigenes Buch schreiben könnte. Der Opa war Robertas größter Unterstützer, nicht nur beim Weben.
Zwei Leben – lest dieses Buch!

3 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.09.2024
Raabe, Melanie

Der längste Schlaf


ausgezeichnet

Nach „Die Kunst des Verschwindens“ ist es das zweite Buch, das ich von der Autorin gelesen habe. „Der längste Schlaf“ konnte mich genauso begeistern.
Mara, eine Deutsche, die seit Jahren in London lebt, ist Schlafforscherin. Sie hat selbst große Schlafprobleme, da sie sich gegen den Tiefschlaf wehrt, nachdem mehrmals eingetreten ist, wovon sie geträumt hatte. So hat sie als Kind vom tödlichen Unfall ihrer Eltern in der Nacht zuvor geträumt. Nach dem Tod der Eltern ist sie bei Pflegeeltern aufgewachsen. Aus dieser Zeit kennt sie ihre beste Freundin Roxi, die ebenfalls ein Pflegekind war. Die beiden sich immer noch eng befreundet, und Roxi ist eine der wenigen Personen, die von Maras prophetischen Träumen wissen.
Eines Tages bekommt Mara ein Schreiben, in dem ihr die Schenkung eines Herrenhauses in der deutschen Provinz angekündigt wird. Den Schenker kennt sie nicht, sie hat noch nie von ihm gehört. Nach reiflicher Überlegung beschließt sie, den Notar zu kontaktieren und sich das Haus anzuschauen.
Das Haus übt einen magischen Sog auf sie aus, besonders ein Raum beschert ihr Glücksgefühle und weckt schöne Erinnerungen an ihre Kindheit. Doch irgendwann wendet sich das Haus gegen sie, Tassen, Teller und Bücher fliegen durch die Luft, das Licht geht an und aus, Waldtiere stürmen ins Haus.
Im Haus träumt Mara von einem kleinen Mädchen, welches ihr nicht nur im Traum, sondern auch tagsüber im wachen Zustand erscheint. Dann sieht sie ein Plakat mit dem Foto des Mädchens, es wird vermisst.
Der Roman ist in der Ich-Perspektive geschrieben, bis auf einige eingeschobene Kapitel, in denen ein Mädchen verzweifelt auf der Suche nach Hilfe für ihren Bruder ist, der im Wald in einen Brunnenschacht gefallen ist.
Der Schreibstil ist flüssig und authentisch, zeitweise habe ich mich gegruselt. Die paranormalen und mystischen Phänomene, die prophetischen Träume, das Haus am Waldrand, das sich in ein Geisterhaus verwandelt – bei all dem lief mir ein Schauer über den Rücken. Die Autorin weiß, wie man gute Thriller schreibt.
Die Auflösung der Frage, woher der großzügige Schenker Mara kennt, hat sehr gut gepasst. Die Liebesgeschichte am Rande hat mir auch gut gefallen. Von mir eine große Leseempfehlung für diesen spannenden Roman mit mystischen Elementen.