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Klara

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Insgesamt 191 Bewertungen
Bewertung vom 10.05.2020
Stihlé, Claire

Wie uns die Liebe fand


gut

Madame Nan blickt auf ihr Leben zurück
Im Mittelpunkt von Claire Stihlés Roman „Wie uns die Liebe fand“ steht Marie-Anne Nanon genannt Madame Nan, 92. Sie blickt auf ein ereignisreiches Leben zurück, in dem der Zweite Weltkrieg mit der Phase der deutschen Besatzung des Elsass eine Rolle spielt, vor allem aber die Ereignisse des Jahres 1979, die ihr Leben komplett verändern. Madame Nan hat nach dem Tod ihres Mannes ihre vier Töchter allein aufgezogen. 1979 ist Marie, die Älteste, 20 und Coraline, die Jüngste 10 und Madame Nan selbst 52. Marie ist mit dem Algerier Malou zusammen, der eines Tages dem verwitweten Nachbarn Monsieur Boberschram das Leben rettet, als dieser überfallen wird. Darauf schenkt der Nachbar Madame Nan und ihrer Familie seinen Lebensmittelladen. Malou und Marie entwickeln sogenannte Liebesbomben, die zu einem Verkaufserfolg werden und ein ganzes Dorf die Liebe neu entdecken lassen. Nur Madame Nans späte Liebe zu Monsieur Boberschram bleibt scheinbar unerwidert, denn der Nachbar hat sein Leben lang über ein furchtbares Ereignis aus dem Jahr 1940 geschwiegen, das beide Familien betrifft. Wird die Liebe siegen?
Claire Stihlé erzählt einfühlsam und mit viel Humor eine Geschichte, in der relativ wenig passiert. Nicht die äußere Handlung steht hier im Vordergrund, sondern eine besondere Atmosphäre mit elsässischem Lokalkolorit. Eine schöne Geschichte, wenn man sich darauf einlässt.

Bewertung vom 13.04.2020
Myers, Benjamin

Offene See


ausgezeichnet

Ein anderes Leben
In Benjamin Myers´ Roman „Offene See“ hat der 16jährige Robert Appleyard im Jahr 1946 die verhasste Schule abgeschlossen. Bevor er wie seine Vorfahren in der Mine arbeitet, was seine Bestimmung zu sein scheint, begibt er sich mit dem Nötigsten ausgestattet auf eine Wanderschaft. Er will das Meer sehen, bevor er sein Leben in Dunkelheit und Dreck verbringt. Er genießt die Natur mit allen Sinnen und hat ein intensives Gefühl der Befreiung. Eines Tages stößt er auf ein verstecktes Cottage in Küstennähe und lernt in Dulcie Piper eine ungewöhnliche, wesentlich ältere Frau kennen. Sie lädt ihn zum Essen ein, und er bleibt länger, als er eigentlich wollte. Die unkonventionelle Dulcie führt ihn an Literatur, Kunst und Musik heran und macht ihm deutlich, dass er das Recht hat, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Es ist jedoch keineswegs eine einseitige Beziehung zwischen dem Jungen auf der Schwelle zum Erwachsenwerden und der älteren Frau. Als Gegenleistung für Unterkunft und hervorragende Verpflegung kümmert sich Robert um den Garten und renoviert ein Atelier. Er tut jedoch noch sehr viel mehr für seine Gastgeberin. Er hilft ihr, sich endlich der Trauer um die verlorene Liebe, die Dichterin Romy Landau, zu stellen, deren Gedichte Robert ihr sechs Jahre nach Romys Tod vorliest. Für beide öffnen sich Türen zu einem neuen Leben, für Robert langfristig auch im materiellen Sinn. Im Prolog und Epilog, die den Bericht über Roberts Leben als Rahmenhandlung umschließen, schaut er als alter Mann auf sein Leben zurück und zeigt, wie viel er Dulcie Piper zu verdanken hatte.
„Offene See“ ist ein berührender Roman in einer lyrischen Sprache, den ich sehr gern gelesen habe. Er besticht durch wunderschöne Landschaftsbeschreibungen und ist gleichzeitig eine Coming-Of-Age Geschichte und ein Porträt der Nachkriegszeit im Nordosten Englands. Der deutsche Titel kann leider den Doppelsinn des Originals - “The Offing“ - nicht vermitteln. „Offing“ bedeutet einerseits den Übergang zwischen Meer und Himmel am Horizont, andererseits ist die umgangssprachliche Nebenbedeutung (Selbst-)Tötung eine Anspielung auf ein wichtiges Element der Handlung. Ein sehr außergewöhnlicher Roman, der lange nachwirkt.

Bewertung vom 13.04.2020
Apekina, Katya

Je tiefer das Wasser


sehr gut

Solche Eltern braucht niemand
Katya Apekinas Erstlingsroman “Je tiefer das Wasser“ ist eine Familiengeschichte der etwas anderen Art. Im Mittelpunkt stehen die Schwestern Edie, 16 und Mae, 14, die bei der Mutter Marianne in Louisiana aufgewachsen sind, nachdem der Vater, der Schriftsteller Dennis Lomack, die Familie vor vielen Jahren verlassen hat. Im Jahr 1997 unternimmt die Mutter mit ihrer langen Geschichte psychischer Störungen einen Selbstmordversuch und wird in die Psychiatrie eingewiesen. Vater Dennis holt die Töchter zu sich nach New York. Die Situation ist für alle Beteiligten schwierig, und die Schwestern gehen sehr unterschiedlich damit um. Während Edie den Vater hasst und zur Mutter zurück will, sieht Mae eine Möglichkeit, sich endlich aus dem Klammergriff der kranken Mutter zu befreien und ein Leben in Freiheit zu führen. Sie entwickelt in der Folge eine obsessive Liebe zu ihrem Vater, dessen Muse sie wird, um den Schreibprozess für sein nächstes Buch zu unterstützen. Da kommt es zu ziemlich kranken Psychospielchen mit einer Vierzehnjährigen. Dennis Lomack hat schon immer das Leben aller Menschen, die ihm nahestehen, egoistisch und rücksichtslos in seinen Büchern ausgeschlachtet und zwar so offensichtlich, dass sich die Betroffenen in seinen Geschichten wiederfanden. Peinlich wird das natürlich, wenn alle Welt Marianne in expliziten Sexszenen wiedererkennt. Da fragt sich der Leser, inwieweit Dennis zum desolaten Zustand seiner labilen Frau beigetragen hat. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass er seine Familie zerstört und seinen Freunden großen Schaden zugefügt hat.
Erzählt wird die Geschichte der ungesunden familiären Beziehungen in zahlreichen kurzen Kapiteln mit ständig wechselnder Perspektive, wobei die Erzählung bis ins Jahr 1968 zurückgeht, als Dennis mit seinen Freunden als Freedom Fighter in der Bürgerrechtsbewegung aktiv war, und auch die Situation im Jahr 2012 erfasst. Der Roman ist thematisch interessant, sprachlich vorzüglich, aber insgesamt erschreckend düster.

Bewertung vom 01.04.2020
Hope, Anna

Was wir sind


ausgezeichnet

Es ist nie zu spät, sein Leben zu ändern
In Anna Hopes Roman „Was wir sind“ stehen drei Frauen im Mittelpunkt. Cate und Hannah kennen sich seit der Schulzeit und waren da nicht immer Freundinnen, sondern auch Rivalinnen um die besten Ergebnisse in der Schule und später an der Universität. Mit Lissa leben sie als Studentinnen in einer Wohngemeinschaft zusammen und genießen ihr Leben in London. Ein paar Jahre später ist die turbulente Zeit des unbeschwerten Glücks vorbei. Hannah hat zwar einen guten Job und ist mit einem Mann, den sie liebt, verheiratet, ist aber todunglücklich wegen ihrer Kinderlosigkeit. Cate leidet an einer postnatalen Depression. Der ständige Schlafentzug, verursacht durch Baby Tom, bringt sie an den Rand des Zusammenbruchs. Lissa träumt von einer Schauspielkarriere und bekommt kaum Angebote. Sie überlebt mit mehreren Nebenjobs und hat das Ende ihrer Beziehung mit Freund Declan noch nicht überwunden. Alle drei befinden sich mitten in einer Krise und müssen sich neu orientieren.
Die Autorin erzählt ihre Geschichte mit ständig wechselnder Perspektive und zahllosen Zeitsprüngen, eine Erzählstruktur, die dem Leser volle Konzentration abverlangt. Es ist eine sehr kluge Geschichte, die die Leser und Leserinnen ihr eigenes Leben hinterfragen lässt. Jedem wird im Laufe der Zeit bewusst, dass die Erwartungen der frühen Jahre sich nicht erfüllen, dass Pläne aus unterschiedlichen Gründen nicht realisiert werden können. Lissas Mutter Sarah, eine Malerin, die immer an vorderster Front für feministische Ziele gekämpft hat, macht ihrer Tochter zum Vorwurf, dass sie das von der Generation der Mütter Erreichte nicht für sich umgesetzt hat, aber Scheitern liegt ja nicht nur an persönlichen Fehlentscheidungen, sondern auch am gesellschaftlichen Umfeld und immer noch auch an der Geschlechtszugehörigkeit. Die Autorin vermittelt die tröstliche Botschaft, dass es nie zu spät ist, sein Leben zu ändern. Wir dürfen nur nicht resignieren, sondern müssen auch in scheinbar ausweglosen Situationen bereit sein, einen neuen Anfang zu machen. Immer wieder betont die Autorin außerdem, dass es wichtig ist, an unseren Freundschaften festzuhalten, selbst wenn es auch da Enttäuschungen gibt.
Mir hat der einfühlsam erzählte, berührende Roman gut gefallen und ich empfehle ihn weiter.

Bewertung vom 31.03.2020
Amber, Liv;Berg, Alexander

Pandora / Stein und Wuttke Bd.1


ausgezeichnet

Ein Unbestechlicher sorgt für Gerechtigkeit
Mit "Pandora" legt das Autorenteam Amber & Berg seinen Erstlingsroman vor, der 1948 in Berlin spielt. Die geteilte Stadt liegt in Trümmern, und überall herrscht Not. Seit kurzem hat die Mordinspektion mit Hans-Joachim Stein einen neuen Kommissar, der bei Scotland Yard ausgebildet wurde und nun mit seinem Kollegen Max Wuttke unter dem Vorgesetzten Carl Krüger im Mordfall Braunke ermitteln soll. Braunke war der stadtbekannte Schieberkönig, dessen Leiche im Bordell Pandora aufgefunden wurde. Zuvor hatte Stein schon einen Blick in die Akte zu dem offensichtlich nicht gelösten Fall von fünf toten Frauen werfen können, den er nicht bearbeiten darf. Für seinen Vorgesetzten ist der Fall abgeschlossen, ein Kollateralschaden, wie er zu Kriegszeiten eben passiert. Die beiden Ermittler, die sich anfangs nicht gut verstehen, weil sowohl Wuttke als auch sein Vorgesetzter Stein mit viel Misstrauen begegnen, werden bei ihrer Arbeit behindert und ständig kontrolliert. Dann passieren weitere Morde. Für Stein wird schnell deutlich, dass diese Taten mit in der Nazizeit begangenen Verbrechen zusammenhängen und dass die Aufklärung dieser Fälle das Ansehen der Opfer ruinieren würde.

“Pandora“ ist ein gut lesbarer, spannender Krimi, der viele gut recherchierte Hintergrundinformationen zur Nachkriegszeit bietet. Er macht vor allem nicht nur deutlich, wie sehr die Menschen durch Nazizeit und Krieg beschädigt sind, sondern auch, dass viele Täter unentdeckt blieben und noch immer im Amt sind, weil andere sie decken. Mir hat dieser Roman sehr gut gefallen, und ich bin auf die Fortsetzung gespannt.

Bewertung vom 29.03.2020
Agus, Milena

Eine fast perfekte Welt


sehr gut

Das gelobte Land gibt es nicht
In Milena Agus´ neuem Roman geht es um mehrere Generationen einer sardischen Familie und ihre Freunde und Bekannten. Im Mittelpunkt steht Ester mit ihrem Ehemann Raffaele, später Tochter Felicia mit ihrem Dauerverlobten Sisternes und noch später deren Sohn Gregorio. Sie alle sind auf der Suche nach dem gelobten Land, einem Leben in einer perfekten Welt und müssen einsehen, dass eine bloße Ortsveränderung nicht reicht, um glücklich zu werden, weil es das gelobte Land vielleicht gar nicht gibt. Marianna, Felicitas Vermieterin in Cagliari, formuliert schließlich die Erkenntnis: „Die Menschen haben im Grunde nur die Wahl, von einem Ort, wo es ihnen schlecht geht, an einen anderen Ort zu wechseln, wo es ihnen genauso schlecht geht.“ (S. 109). Die Autorin vermittelt jedoch die Überzeugung, dass jeder die Möglichkeit für ein glückliches Leben in sich trägt. Allerdings ist der Weg dorthin schwierig. Die Frauen der Geschichte machen besonders negative Erfahrungen in ihren Beziehungen, lieben und werden nicht wiedergeliebt. Männer verlieren die geliebte Partnerin und finden sich danach nur mühsam im Leben zurecht. Es sind zum Teil sehr traurige Schicksale, die die Autorin in diesem Roman erzählt. Es gibt dennoch einen hoffnungsvollen Ausblick.
Die Suche nach dem gelobten Land ist jedoch nicht das einzige Thema dieses schmalen Bändchens. Die Autorin spricht auch aktuelle Themen an, wie zum Beispiel die Zerstörung der Natur, vor allem der sardischen Küstenregionen, zugunsten der touristischen Erschließung, die Vernichtung von Existenzen durch die Agrarreform oder die Auseinandersetzungen zwischen Anhängern des christlichen Glaubens, Kommunisten oder den ewig Gestrigen, die immer noch Mussolini nachtrauern. Mehrfach beschäftigen sich Figuren mit der Frage, ob es sich lohnt, Gutes zu tun, oder ob ein guter Mensch lediglich ein naiver Schwächling ist.
Abschließend kann ich sagen, dass diese knappe Erzählung viel Material zum Nachdenken bietet und mir gut gefallen hat.

Bewertung vom 28.03.2020
Wagner, Jan Costin

Sommer bei Nacht / Ben-Neven-Krimis Bd.1


ausgezeichnet

Blick in menschliche Abgründe
Jan Costin Wagners neuer Roman “Sommer bei Nacht“ ist der Auftakt einer neuen Serie mit anderen Schauplätzen und den Wiesbadener Ermittlern Ben Neven und Christian Sandler. Sie übernehmen den Fall des 5jährigen Jannis, der bei einem Schulfest spurlos verschwindet. Es gibt keine Lösegeldforderungen und lange Zeit keine brauchbaren Hinweise. Die Polizei hat lediglich verschwommene Bilder einer Überwachungskamera, die einen Unbekannten mit dem Jungen zeigen, der einen Teddy trägt. Genauso ein Teddy ist auf einem Flohmarkttisch zurückgeblieben und liefert DNA-Spuren. Ohne Abgleich hilft aber auch dies nicht weiter. Dann stellt sich heraus, dass es einen ähnlich gelagerten Fall in Österreich gab, wo ein Jahr zuvor ein Junge verschwand. Der Fall wurde nie gelöst. Die Ermittler tappen so lange im Dunkeln, bis Christian Sandler die Geschichte einer Obdachlosen mit dem aktuellen Fall verknüpft.
Wagner erzählt in vielen kurzen Abschnitten aus vierzehn ständig wechselnden Perspektiven. Der Leser kennt den Entführer von Jannis von Anfang an, aber das ist nicht die ganze Geschichte. Der auch sprachlich ungewöhnlich ausgefeilte Roman behandelt eine sehr aktuelle Thematik und gewährt Einblick in seelische Abgründe. Er thematisiert Schuld und Unschuld und zeigt, wie die Betroffenen durch Verlust, Schmerz und Trauer traumatisiert werden. Dass ein Ermittler mit pädophilen Neigungen beteiligt ist, macht den Roman noch zusätzlich brisant. Der Leser fragt sich, wie das weitergehen soll. Wird der Ermittler irgendwann selbst zum Täter?
Mir hat der überaus spannende Roman sehr gut gefallen.

Bewertung vom 22.03.2020
Healey, Jane

Die stummen Wächter von Lockwood Manor


ausgezeichnet

Spuk auf dem Landsitz
Jane Healeys Roman “Die stummen Wächter von Lockwood Manor“ setzt 1939 ein. Die junge Museumsangestellte Hetty Cartwright begleitet die Abteilung für Säugetiere des Londoner Naturkundemuseums, als diese auf ein Landgut außerhalb ausgelagert wird, um die wertvollen Exponate vor den erwarteten deutschen Bomben zu schützen. Lord Lockwood hat einen Teil seines Hauses zur Verfügung gestellt. Hetty merkt jedoch sofort, dass weder sie noch ihre Schützlinge dort willkommen sind. Das Personal begegnet ihr mit Ablehnung, ja sogar unverhohlenem Hass, und der arrogante Lord lässt keine Gelegenheit aus, sie zu demütigen. Schon in der ersten Nacht verschwindet der Jaguar. In vielen anderen Nächten werden Tiere umgesetzt oder beschädigt. Auch Motten, Mäuse und Füchse von draußen greifen die ausgestopften Tiere an, die Hettys einziger Trost sind. Außerdem sind nachts immer wieder Schreie zu hören, und schemenhafte Gestalten huschen über dunkle Flure. Nur Lucy, die etwa gleichaltrige Tochter des Lords, begegnet Hetty freundlich. Beide Frauen haben jedoch eine Geschichte psychischer Störungen aufgrund einer unglücklichen Kindheit und leiden unter Albträumen. Auch Lucys ein Jahr zuvor verstorbene Mutter galt als geisteskrank. Lucy und Hetty entwickeln Gefühle für einander - der einzige Lichtblick in einer insgesamt sehr düsteren Geschichte. Zu der unangenehmen Situation im Haus kommt die Bedrohung von außen. Der Luftkrieg hat begonnen, kriegstaugliche Männer werden eingezogen, und Lockwood Manor muss mit immer weniger Personal auskommen.
Dieser an äußerer Handlung arme Roman steht in der Tradition des englischen Schauerromans (gothic novel), einem in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstandenen Genre, das sich bis ins 19. Jahrhundert großer Beliebtheit erfreute. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, ob es in einem Roman des 21. Jahrhunderts tatsächlich spukt, oder ob es für die übernatürlichen Phänomene am Ende eine logische Erklärung gibt. Der Autorin geht es darum, eine Wortkulisse zu schaffen, die dem Leser die wachsende Bedrohung von innen und außen verdeutlicht. Das gelingt ihr hervorragend, unter anderem durch vielfache Wiederholung. Alles steuert auf eine Katastrophe zu. Werden Hetty und Lucy überleben?
Ich fand den Roman nicht besonders spannend, weil auf fast 380 Seiten einfach zu wenig passiert, finde aber schon, dass er durch seine atmosphärische Dichte überzeugt.

Bewertung vom 07.03.2020
Burns, Anna

Milchmann


ausgezeichnet

Wir gegen die anderen
Die 18jährige im Mittelpunkt des Romans “Milchmann“ von Anna Burns hat keinen Namen wie die anderen Figuren dieses Romans auch – mit einer Ausnahme: Milchmann heißt wirklich so (S. 393-5). Die Protagonistin wächst als eines von zehn Geschwistern in einer katholischen Familie, wahrscheinlich in Belfast auf. Sie wird Mittelschwester genannt und trifft sich seit fast einem Jahr mit Vielleicht-Freund. Eines Tages wird Milchmann zu ihrem Stalker. Er weiß alles über sie, kennt ihren Tagesablauf und will sie für sich, obwohl er 41 Jahre alt und verheiratet ist. Mittelschwester wird nur zweimal mit dem Mann gesehen, und schon sagt man ihr eine Affäre nach und beschimpft sie als schamloses Flittchen. In dieser Gemeinschaft verbreitet sich Klatsch blitzschnell und wird sofort für die reine Wahrheit gehalten. Ohnehin ist es in diesen Zeiten gefährlich, aufzufallen. Die junge Frau war schon vorher ins Gerede gekommen, weil sie im Gehen Literatur des 19. Jahrhunderts las, ohne sich um die überall lauernde Gefahr zu kümmern. Mit ihrem zum Selbstschutz angenommenen abgestumpften Gesichtsausdruck wird sie für arrogant gehalten, zumal sie als angebliche Geliebte von Milchmann, einem IRA-Führer, sowieso eine Sonderstellung annimmt. Die IRA-Mitglieder werden im Roman Verweigerer genannt. Mit ihnen legt man sich besser nicht an. Schon der Verdacht, ein Denunziant zu sein, kann das Todesurteil bedeuten. Die Katholiken in diesem Viertel – aus der Sicht der Protagonistin „Wir“ - müssen jeden Anschein vermeiden, mit den „anderen“, den Protestanten, den englischen Soldaten und jeder Art von Obrigkeit Kontakt zu haben. Werden sie Opfer einer Straftat, gehen sie nicht zur Polizei, sind sie schwer verletzt oder todkrank, wagen sie es nicht, sich im Krankenhaus behandeln zu lassen. Die „anderen“ leben in ihrem eigenen Viertel, auf der anderen Seite der Straße oder auf der anderen Seite der See, d.h. in England.
Was hat das alles zu bedeuten? In Nordirland herrscht seit Jahren eine Art Bürgerkrieg, der insgesamt 30 Jahre dauern und mehr als 3500 Opfer fordern wird. Im Roman hat fast jede Familie schon Opfer zu beklagen. Die Bombenanschläge der IRA und die Massaker der anderen paramilitärischen Gruppen sowie die Vergeltungsschläge der englischen Armee gehen durch die Weltpresse. In diesem Konflikt geht es nicht um Religion, sondern um politische Ziele. Am Beispiel von Mittelschwester lässt sich sehr gut erkennen, was es bedeutete, in solchen Zeiten an diesem Ort aufzuwachsen. Angst und Misstrauen bestimmen das Leben der Menschen. Leider ist das Buch nur verständlich, wenn man schon vorher über den Nordirlandkonflikt Bescheid weiß. Hinzukommt, dass der Roman auch sprachlich wegen des kreativen Umgangs der Übersetzerin mit der deutschen Sprache harte Kost ist. Bandwurmsätze, weitgehend fehlende Absätze und eine Gliederung in nur sieben Kapitel machen die Lektüre mühsam. Das Wenige, das passiert, wird in unerträglicher Breite erzählt. Mir hat dieser Roman nicht gefallen.

Bewertung vom 04.02.2020
Mayer, Katharina

Von Oma mit Liebe


ausgezeichnet

Omakuchen machen den Alltag besonders
Das Backbuch ist in folgende Kategorien aufgeteilt:
Kleine Leckerbissen, Lieblingskuchen für jeden Tag, Torten für jeden Anlass, Trendig & Aus aller Welt, danach folgt das Register (nach beliebten Zutaten wie Apfel oder Schokolade alphabetisch eingeordnet und hervorgehoben).
Die Rezepte enthalten alle wichtigen Informationen, die man zum Nachbacken benötigt. Welche Form wird gebraucht, wie lange muss der Kuchen in den Ofen und wie lange dauert die Zubereitung und das eigentliche Backen? Die Zutatenlisten enthalten keine exotischen oder schwer zu beschaffenden Zutaten, das meiste ist in einer gut sortierten Küche vorhanden. Die Rezepte sind altbewährt und tausendmal gebacken und bestimmt immer wieder verfeinert worden, ohne dass sie altmodisch wirken. Jede Oma bringt ihre Rezepte aus einem wahrscheinlich unendlich großen Repertoire ein. Für den Hobbybäcker gibt es viele Tipps und Tricks, wie z.B. Biskuit, Mürb- oder Hefeteig hergestellt wird und wie der eine oder andere Kuchen noch abgewandelt werden kann. Ich habe den Zwetschgenkuchen mit Sauerrahm von Oma Anni und die Pfirsich-Schmand-Torte von Oma Renate gebacken. Beide Kuchen schmecken hervorragend, auch wenn sie nach unseren heutigen Kenntnissen von gesunder Ernährung etwas viel Zucker enthalten. Doch das war früher wahrscheinlich so, süß sollte und musste es sein. Das kann jeder nach seinem eigenen Geschmack ändern. Ich werde auf jeden Fall noch viele Rezepte nachbacken. „Von Oma mit Liebe“ ist für mich das beste Backbuch in meiner Backbuchsammlung. Ich kann es jedem empfehlen, der gern backt, egal ob Anfänger oder Profi. Hier findet jeder das passende Rezept.