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Lena
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Köln

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Insgesamt 142 Bewertungen
Bewertung vom 30.12.2024
Stehn, Malin

Happy New Year - Zwei Familien, ein Albtraum


gut

Nina und Fredrik feiern wie jedes Jahr Silvester bei ihren Freunden Lollo und Max in größerer Runde. Richtige Freude will dabei aber nicht aufkommen, denn jedes Pärchen hat seine eigenen Probleme und letztlich hat man sich bis auf das Zurschaustellen des Erreichten nur wenig zu sagen.
Während die Erwachsenen die Stimmung mit ordentlich Alkohol anheizen, dürfen die beiden siebzehnjährigen Töchter im Haus von Nina und Fredrik ihre eigene Party feiern. Nina hatte von vornherein bedenken und am nächsten Tag wird bestätigt, dass die Party besser nicht hätte stattfinden sollen. Lollos und Max' Tochter Jennifer hat nicht wie vereinbart bei Smilla übernachtet und ist nicht zu erreichen.Während nach Jennifer gesucht wird, kriselt es weiter in beiden Familien.

"Happy New Year" wird abwechselnd aus den Ich-Perspektiven von Nina, Fredrik und Lollo erzählt. Die Kapitel sind kurz und handeln am Silvesterabend und den Tagen danach, wobei es auch einzelne Rückblenden in die Vergangenheit mit dem Fokus auf die junge Jennifer gibt.

Der Roman ist mit dem ungeklärten Verbleib Jennifers und den Reaktionen der Erwachsenen darauf spannend aufgebaut und mutet wie ein Thriller an. Die Stimmung ist der Jahreszeit entsprechend unterkühlt und düster. Die Charaktere sind verzweifelt und wütend, haben sich emotional von einander entfernt und versuchen beharrlich die Fassade von Freundschaft und Harmonie aufrechtzuerhalten.
Lollo wirft Max vor, dass ihm das Verschwinden von Jennifer gleichgültig ist, Nina befürchtet, dass ihr Mann sie betrügt und Fredrik leidet unter Schuldgefühlen und Panikattacken.

Auch wenn von Anbeginn deutlich wird, dass Jennifer und Fredrik etwas zu verbergen haben, ist das Ausmaß nicht bekannt und Fredrik als Schuldiger am Verschwinden so auffällig, dass man nicht daran glauben mag.
Im weiteren Verlauf erfährt man wenig über die Ermittlungen der Polizei, durch die Suche von Lollo kommen jedoch Details über Jennifer ans Licht, die eine Seite offenbaren, die nicht einmal ihre Eltern kannten.

Kein Charakter ist sympathisch, sondern reine Nervenbündel, mit denen man nicht befreundet sein möchte. Welche Dramen sich innerhalb der Familien abspielen und was in der Silvesternacht mit Jennifer passiert ist, ist grundsätzlich spannend zu entschlüsseln.
Die Auflösung, die dann eher unvermittelt und mangels Polizeisicht nur unzureichend erklärt wird, unbefriedigend. Jennifers Geheimnis ist letztlich so prägnant, dass ihre Eltern längst hätten argwöhnisch sein müssen und Frederiks Verhalten im Vergleich dazu viel zu sehr in den Mittelpunkt gerückt wurde.
"Happy End" ist ein Familiendrama mit Thrillerelementen, das zeigt, wie viel Aufmerksamkeit Kinder brauchen, wie Menschen sich entfremden, ohne es zu merken und wie zerbrechlich Familien und Freundschaften sind.

Bewertung vom 30.12.2024
Decker, Anika

Zwei vernünftige Erwachsene, die sich mal nackt gesehen haben


sehr gut

Nina ist Ende 40, Mutter von zwei erwachsenen Kindern und seit zwei Jahren von ihrem Ehemann Phil geschieden, der sie durch eine jüngere Frau ersetzt hat.
Auf einem Gartenfest bei Phils neuer Familie lernt Nina David kennen, der 20 Jahre jünger ist als sie. Nach einer gemeinsamen Nacht werden Zweifel in ihr wach: Darf sie sich in einen so viel jüngeren Mann verlieben und hätte eine Beziehung eine Zukunft? Während Nina Unterstützung von ihrer besten Freundin erhält, begegnet ihre Familie ihr mit Ablehnung. Ninas jüngere Schwester Lena hat wenig Verständnis, sieht sich jedoch mit eigenen Problemen in ihrer Ehe konfrontiert und bemüht sich verzweifelt darum, einer Clique von Momfluencern in ihrem Stadtviertel anzugehören.
Beide müssen zudem damit zurechtkommen, dass ihre Mutter nicht mehr so rüstig und zunehmend auf Hilfe angewiesen ist.

Der Roman ist aus wechselnden Perspektiven der Hauptfiguren geschildert, wobei Ninas Leben im Vordergrund steht. Als sie sich neu verliebt, blüht sie im Hormonrausch sichtlich auf und ist selbst genervt von der Tatsache, dass ihr der Altersunterschied solche Probleme bereitet. Sie hat wie ihre Schwester mit Selbstzweifeln zu kämpfen.
Lena ist jedoch noch viel mehr darum besorgt, was andere denken könnten und möchte einfach nur zu den Schönen und Reichen dazu gehören. Sorgen bereitet ihr zudem die fehlende Romantik in ihrer Ehe und dass in der Firma ihres Mannes ein Compliance-Verfahren eingeleitet wurde, das den Machtmissbrauch und die Übergriffigkeit von Männern aufklären soll. Selbst die taffere Nina, die in der selben Produktionsfirma arbeitet, ist verunsichert, was die Untersuchung zu bedeuten haben mag und welche Konsequenzen drohen könnten.

Der Roman liest sich wie aus dem Leben gegriffen. Die handelnden Personen sind nahbar und authentisch, die geschilderten Probleme nachvollziehbar und zeitgemäß.
Trotz durchaus schwerwiegender Themen wie Einsamkeit, Älterwerden, Trauer, Verlust, Selbstzweifel und sexueller Gewalt, ist das Buch unterhaltsam und humorvoll geschrieben.

Die ein oder andere peinliche Szene, die sich vor allem aufgrund der Unsicherheit der Protagonisten ergibt, wenn Nina verliebt zum Teenager mutiert oder Lena sich der Grunewalder Girl Gang anbiedert, driftet nicht in Klamauk ab oder ist zum Fremdschämen, sondern erscheint mit all den Klischees einfach nur ehrlich.

Die Liebesgeschichte von Nina ist dabei nicht einmal so sehr im Vordergrund. Es geht vielmehr um das Leben in all seinen Facetten. Der Roman handelt von Freundschaft und Familie, von der Sehnsucht nach Liebe und körperlicher Nähe, von Fürsorge und Verantwortung und letztlich auch von Frauensolidarität. Gerade die Themen Selbstliebe und "Metoo" in Bezug auf die widerlichen Übergriffe am Arbeitsplatz sind empathisch umgesetzt.

Die Geschichte ist abwechslungsreich und vielschichtig, lebendig und voller Wortwitz. Sie zeigt die Probleme von Menschen in der zweiten Lebenshälfte ungeschönt, aber humorvoll auf und beweist, dass es nie zu spät für einen Neuanfang ist. Dazu braucht es Mut, aber auch den Rückhalt von guten Freunden und das sichere Band einer Familie.

Bewertung vom 29.12.2024
Howard, Scott Alexander

Das andere Tal


gut

Die 16-jährige Odile Ozanne ist eine Einzelgängerin und schließt erst in ihrem Abschlussjahr an der Schule Freundschaft zu Klassenkameraden. Darunter ist Edme, in den sie sich verliebt. Doch als sie sieht, dass Edme von zwei Menschen mit Masken beobachtet wird, weiß sie, dass etwas Schlimmes passieren wird. Sie könnte Edme warnen, doch das ist in diesem Ort im Tal strengstens verboten und könnte Odiles Zukunft sabotieren, die gute Chancen hat, in das Conseil, den mächtigen Rat, aufgenommen zu werden.
Odile lebt in einem Ort, der streng bewacht wird. An den Grenzen im Osten und Westen patrouilliert die Gendarmerie, um zu verhindern, dass die Menschen diese übertreten. Denn in den Tälern rechts und links von ihnen findet die Vergangenheit und die Zukunft im Abstand von 20 Jahren statt und ein Grenzübertritt könnte verheerende Folgen für die Gegenwart haben.
20 Jahre später ist Odile selbst eine Grenzsoldatin und hadert noch immer mit ihrer damaligen Entscheidung.

"Das andere Tal" ist ein dystopischer Roman, der sich mit der Frage von Zeitreisen beschäftigt und ein interessantes, philosophisches Gedankenexperiment entwickelt. Odile ist die Hauptfigur, aus deren Perspektive dieses düstere Szenario einer Gesellschaft beschrieben wird, in der es strenge Regeln gibt und in welcher das Individuum nicht zählt.

Während der erste Teil nach der überwundenen Ausgrenzung und der Aussicht auf eine elitäre Karriere verheißungsvoll ist, ist der zweite Teil ernüchternd von einem grauen Alltag und der Einsamkeit von Odile geprägt. Doch auch als Erwachsene erhält sie die Chance auf einen Aufstieg, wäre nicht wieder die Verlockung, die Vergangenheit durch eine Reise in den Westen zu verändern.

Der Roman über parallelen Zeitebenen und einer unter bestimmten Umständen erlaubten Durchlässigkeit der Grenzen ist originell. Die Stimmung ist düster und die Gesellschaft erinnert an eine Diktatur.
Auch wenn die Geschichte ruhig und schon fast sachlich erzählt wird, erzeugt sie Dramatik und Spannung, da nicht absehbar ist, wohin diese führen wird.

Die innere Zerrissenheit Odiles, wenn sie vor Entscheidungen gestellt wird, ist spürbar belastend. Odile steht wiederholt zwischen ihrem Pflichtbewusstsein und der Prämisse, die strengen Regeln zu befolgen und der Angst, durch Entscheidungen Veränderungen in einer anderen Zeitebene herbeizuführen, die nicht auszudenken, gar lebenszerstörende Folgen haben könnten.
Der Roman beschreibt ein spannendes, nicht zu komplexes Konstrukt, dem es durch die Passivität Odiles zeitweise ein wenig an Lebendigkeit fehlt und in dem es keine echten Helden gibt. Die Frage, inwieweit wir unser Schicksal verändern können oder ob letztlich doch alles genauso vorherbestimmt ist, ist genauso philosophisch zu beantworten, wie die Frage "Was war zuerst da: Huhn oder Ei?". Da die Hauptfigur in der Gegenwart auf ihr zukünftiges Ich trifft, das sich durch ihr Einschreiten in der Vergangenheit aber gar nicht so hätte entwickeln können, hat mich das Buch am Ende nicht ganz überzeugen können. Aber vermutlich gibt es für solche Fragen des Zeitparadoxes keine logische Erklärung.

Bewertung vom 28.12.2024
Westerkamp, Stina

Nachtflut


gut

Nach starken Regenfällen, die ohnehin bereits für Hochwasser gesorgt haben, droht eine Sturmflut an der Ostsee. Elisa ist noch im Haus, das sie von ihren Eltern geerbt hat. Sie leidet an Panikattacken und ist tablettensüchtig, nachdem ihre Schwester und auch sie selbst beinah bei einem Bootsausflug ums Leben gekommen sind. Wegen Mordes wurde dafür ihr Schwager inhaftiert, mit dem sie eine Affäre hatte. Als mehreren Inhaftierten der Ausbruch aus der JVA gelingt, befürchtet Elisa, dass Paul zu ihr unterwegs ist, um sich zu rächen. Er hatte jede Schuld von sich gewiesen. Als Elisas Haus so stark beschädigt ist, dass sie dort nicht mehr sicher ist, flüchtet sie zu ihren Nachbarn, die ihre eigenen Geheimnisse haben.

Das Katastrophenszenario mit dem drohenden Deichbruch und der stetig steigenden Flut ist bildhaft und eindrücklich beschrieben. Die Atmosphäre ist beklemmend und die Gewalt des Wassers und die daraus resultierende Gefahr für Leib und Leben spürbar.
Der Roman ist aus mehreren Perspektiven und Handlungssträngen geschildert: Elisas drohende Panik durch die verpasste sichere Flucht, THW-Helfer Max, der gegen die Flute kämpft, um Menschenleben zu retten, die Nachbarn Vera und Joachim, die ein Geheimnis an ihr Haus knüpft und Paul, dem unfreiwillig die Flucht aus der JVA gelingt und statt zu entkommen, zu Elisa gelangen möchte. Weiterhin sind Tagebucheinträge zu lesen, die mehr Details zur Vergangenheit der Charaktere preisgeben.

Es ist die Flut, die für mehr Thrill sorgt, als das Verhalten der Figuren. Auch wenn es in Bezug auf die Motive einzelner Charaktere eine Wende gibt, die überrascht, ist die Offenbarung der Bösartigkeit wenig erhellend. Die Geständnisse sind am Ende zwar nachvollziehbar, die Art und Weise der Konfrontation des Lesers damit jedoch enttäuschend. Etwas einfallslos und wenig glaubwürdig erklären die Einträge des versteckten Tagebuchs, das im Überlebenskampf inmitten der Flut problemlos entdeckt wird, das Familiendrama.

Am Ende werden nicht alle Fragen abschließend geklärt und insbesondere die letzte Szene lässt eine Fortsetzung nicht unwahrscheinlich erscheinen.

Bewertung vom 27.12.2024
Kern, Theresa

Der Unendlichkeit so nah / Emma und Elias Bd.1


gut

Emma ist Geowissenschaftlerin am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Oberpfaffenhofen und ihrem Traum, Astronautin zu werden, nahe. Es fehlt nur noch ein erfolgreicher Schritt zum Bestehen des schwierigen Auswahlverfahrens. Ihre Eltern, insbesondere ihre Mutter, die seit jeher andere ambitionierte Pläne für die hochbegabte Tochter hatte, sind verhalten begeistert. Emmas Freund, der ihre Arbeit schon immer herabwürdigte und Emma mehr als Mutter seiner Kinder sieht, hat kein Verständnis für ihr Vorhaben und stellt ihr ein Ultimatum.
Durch einen Zufall lernt Emma die ältere Becky kennen, die ebenfalls die Chance hatte, ins Weltall zu gelangen und wird von ihr zu einer willkommenen Auszeit auf Maui eingeladen. Dort kämpft Beckys Sohn Elias, ein Ingenieur der Luft- und Raumfahrttechnik, für den Bau eines Teleskops auf Hawaii, der von den Einwohnern abgelehnt wird.
Über 100 Jahre zuvor verliebt sich Marie in den Musikanten Johannes und ahnt nicht, dass ihre beste Freundin Susanna dabei ist, diese Liebe zu manipulieren.

"Der Unendlichkeit so nah" ist der Auftakt einer Buchreihe (Dilogie?), was mir vor dem Lesen nicht bewusst war. Die Geschichte handelt auf zwei Zeitebenen und wird dabei aus fünf Perspektiven geschildert, wobei die beiden weiblichen Hauptfiguren Marie und Emma die Hauptanteile ausmachen. Insbesondere in der Vergangenheit ist die Liebesgeschichte der Hauptfiguren zentral, wobei von Anbeginn klar ist, dass es sich bei Maries Freundin Susanna um eine Vorfahrin von Emma handelt, womit die Handlungsstränge für die Leser logisch verbunden sind.

In der Vergangenheit überfordert jedoch anfangs die Vielzahl der Personen, die erwähnt wird, aber im weiteren Verlauf für die Handlung keine Rolle mehr spielt.

Die Geschichte entwickelt sich gemächlich und es dauert, bis sich Emma und Elias begegnen und näher kommen. Noch länger dauert es, bis sie beide das "tragische Familiengeheimnis" entdecken, weshalb der Klappentext schon zu viel verrät. Auch der Stammbaum in der Klappe des Buches ist ein Spoiler zur Handlung, da die Familienkonstellation zu viel von der Entwicklung der Liebesgeschichte der Vergangenheit preisgibt.
Überhaupt ist die Geschichte sehr auf die romantischen Gefühle der Figuren und die sich daraus ergebenden Probleme reduziert. Emma und Elias haben als Geowissenschaftlerin mit dem Fokus auf Klimaforschung und Elias als Ingenieur der Luft- und Raumfahrttechnik so interessante Berufe, die für die Handlung nur für das Kennenlernen wesentlich sind. Einen Eindruck vom Arbeitsplatz oder der Tätigkeit erhält man nicht. Dagegen hat man den schönen Schauplatz Maui durch Beschreibungen von Flora und Fauna bildhaft vor Augen und erfährt nebenbei Details zur Mentalität der Einwohner.

Neben den beiden Liebesgeschichten handelt der Roman vor allem in der Gegenwart von toxischen Beziehungen, schwierigen Mutter-Tochter-Verhältnissen, von Erwartungen anderer, die mit den eigenen Träumen kollidieren sowie von Selbstbestimmung und Neuanfängen.

Die Hintergründe zu den Personen sind spannend und originell, der Verlauf der Handlung leider weniger. Die Vergangenheit dreht sich im Kreis und die Dramatik, die erzeugt wird, ist sehr vorhersehbar. Am Ende wird die Geschichte zwar interessanter, entwickelt sich bei der Problembewältigung aber rasend schnell. Die Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart bzw. der beiden Familien von Emma und Elias wird mit dem Faktor Zufall begründet, was der Geschichte etwas an Glaubwürdigkeit nimmt. Auch ist am Ende fraglich, was eigentlich das Familiengeheimnis sein soll.
Die Gegenwart hat Potenzial, das nicht ausgeschöpft wird, stellt zwar eine beruflich starke Frau in den Vordergrund, die für ihr Erreichtes jedoch stark verunsichert ist und letztlich auch wieder nur romantischen Gefühlen erliegt.

Da es sich (überraschenderweise) um einen Mehrteiler handelt, ist die Geschichte nicht beendet, die wesentlichen Teile jedoch abgeschlossen oder können vorausgeahnt werden. Ob ein zweiter Band deshalb unbedingt notwendig ist ob nicht einfach ein ausführlicher Epilog für ein befriedigendes Ende ausreichend gewesen wäre, sei dahingestellt.
Ein Erscheinungstermin für Band 2 ist bisher nicht bekannt.

Bewertung vom 22.12.2024
Bell, Anna

Auf dich war ich nicht vorbereitet


sehr gut

Daisy Hobson arbeitet als Kundenbetreuerin in einer Marketingagentur und ist rund um die Uhr online. Als sie vor einem Tinder-Date spontan einen Tweet für ihre Follower absetzt, merkt sie erst am nächsten Morgen, dass sie noch im Account ihres Arbeitgebers eingeloggt war. Ihre anzügliche Nachricht war vor dem Löschen bereits viral gegangen und Daisy wird fristlos entlassen.
Ohne Job und gerade bei einer Freundin einquartiert, ist Daisy am Ende. Ihre Schwester Rosie zwingt sie zu einer Digital-Detox-Kur und entführt sie regelrecht aus London. Den Detox-Aufenthalt hatte sich Daisy allerdings anders vorgestellt. Auf Handy-Entzug auf dem Land sind die einzigen Lichtblicke ein attraktiver Franzose und der schroffe Nachbar, der sich mehrfach als Daisys Lebensretter hervortut.

"Auf dich war ich nicht vorbereitet" ist eine humorvolle Liebesgeschichte mit einem ernsten Kern.
Auch wenn die Hauptfigur Daisy in Bezug auf ihre Internetsucht überzeichnet dargestellt ist, ist die Geschichte liebenswert und unterhaltsam zu lesen. Der Kontrast zwischen Stadt und Land ist anschaulich dargestellt. Daisy wird von London und dem Leben mit ihren Social Media-Accounts in einen Ort versetzt, wo die Uhren anders ticken und wo ein Breitbandinternetanschluss keine Selbstverständlichkeit ist. Abgelenkt von der Unterstützung ihrer Schwester und den attraktiven Männern um sie herum, vermisst sie ihr Handy nach einiger Zeit schon kaum noch.
Durch das ungewohnte Zusammenleben kommt Daisy ihrer Schwester näher und findet sogar Freude am altmodischen Briefeschreiben, was ihren Flirt zu ihrem Nachbar weiter fördert. Doch ihr Leben in London und die Folgen ihres Tweets kann sie nach einem mehrwöchigen Abstand nicht länger ignorieren und muss sich der Realität stellen.

Trotz der insgesamt humorvollen Stimmung, die durch Daisys Ungeschicke und die Neugier der Dorfbewohner forciert wird, wird der ernste Hintergrund von Daisys ungeplanter Auszeit nichts ins Lächerliche gezogen. Auf brutale Art und Weise muss Daisy lernen, dass das Internet nichts vergisst und welche Folgen (unüberlegte) Postings beruflich und privat haben können. Auch hilft ihr die Situation zu erkennen, wer wahre Freunde sind und dass man ohne Bildschirmpause die wesentlichen Dinge aus dem Auge verliert.
Daisys Wandel ist nachvollziehbar, macht sie sympathischer und auch ihr privater und beruflicher Neuanfang ist realistisch dargestellt.

Der Roman nimmt die Internetmanie aufs Korn und ist eine emphatische Mahnung, genau zu überlegen, was man im Internet preisgibt und ob überhaupt so viel Zeit am Bildschirm und virtuell verbracht werden muss. Das echte Leben wartet offline und reale Freunde sind letztlich wertvoller als oberflächliche Internetkontakte.

Bewertung vom 18.12.2024
Thiele, Markus

Zeit der Schuldigen


ausgezeichnet

Im November 1981 wird die 17-jährige Nina Markowski vergewaltigt und brutal mit 22 Messerstichen getötet. Als Tatverdächtiger wird der 14 Jahre ältere Volker März aufgrund von Indizien verhaftet und wegen Mordes verurteilt, das Urteil allerdings wenig später aufgrund eines Formfehlers aufgehoben. Nina hatte sich mit Volker angefreundet und mehrmals getroffen, bevor sie sich in einen Jungen in ihrem Alter verliebte und die Verbindung zu Volker wenige Tage vor ihrem Tod abbrach.
Dem leitenden Kriminalkommissar Klaus Margraf lässt der ungelöste Fall auch nach seiner Pensionierung keine Ruhe. In einem Zivilrechtsprozess wird das Verfahren aufgrund von DNA-Spuren neu vor Gericht aufgerollt.
40 Jahre später möchte Kriminalkommissarin Anne Paulsen für Gerechtigkeit sorgen und Volker März zu einem Geständnis zwingen.

"Zeit der Schuldigen" basiert auf realen Ereignissen und nimmt Bezug auf den Mordfall an Frederike von Möhlmann, der in einem Nachwort erläutert wird. Im Kern des Romans geht es neben der abscheulichen Tat um Art. 103 Abs. 3 GG (Ne bis in idem), dass niemand wegen derselben Tat mehrfach bestraft werden darf.

Die Geschichte ist spannend aufgebaut und handelt auf zwei Zeitebenen. Sie gibt damit Einblicke in das Leben des Opfers und der Angehörigen, die polizeilichen Ermittlungen, den Gerichtsprozess und die Folgen.
Es ist eine Zeitreise in die 1980er-Jahre, in der die technischen Möglichkeiten der Beweisführung noch deutlich eingeschränkt waren. So werden auch Zweifel gehegt, ob der einzige Verdächtige, der seine Unschuld beteuert, der Täter ist.

Durch die unterschiedlichen Perspektiven des Hauptermittlers Margraf, des Vaters des Opfers, von Nina selbst und 40 Jahre später der Kriminalkommissarin Paulsen ist die Geschichte vielschichtig und abwechslungsreich geschildert. Die Charaktere und ihre Motive sind authentisch und nachvollziehbar, selbst wenn sie nicht den geradlinigen Weg gehen. Ihr Zusammenspiel und der Zusammenhalt, der sich aufgrund der ungewöhnlichen Situation ergibt, ergänzen den Sumpf aus Schuld und Sühne um ein Quäntchen Hoffnung.

Anhand dieses (fiktiven) Falls sind zudem die Raffinessen und Fallstricke unseres Rechtssystems durch den Autor, der selbst Jurist ist, verständlich und alles andere als trocken dargelegt.

"Zeit der Schuldigen" ist ein fesselnder und vielschichtiger Mix aus Kriminalroman, True Crime und Justizthriller, der Fragen zu Gerechtigkeit, Schuld und Sühne aufwirft, wobei durch insbesondere durch den Akt der Selbstjustiz Emotionen geweckt werden, die am deutschen Rechtssystem zweifeln lassen. Abhängig vom Blickwinkel ist Recht nicht gleichzusetzen mit Gerechtigkeit und was wiegt schwerer: Rechtsfrieden und Rechtssicherheit für die Allgemeinheit oder die Vollziehung der gerechten Strafe im Einzelfall?

Bewertung vom 16.12.2024
Dennis-Benn, Nicole

Verheißung


gut

Mit 28 Jahren erhält Patsy das lang ersehnte Visum für Amerika und beschließt ihre Heimat Jamaika zu verlassen. Sie träumt von einem besseren Leben und davon, ihre Freundin Cicely wieder zu sehen, die die Sehnsucht nach Freiheit und Wohlstand durch Briefe in ihr geweckt hatte. Ihre fünfjährige Tochter Tru lässt sie zurück und drängt sie ihrem Vater statt ihrer bigotten Mutter auf.
In Brooklyn angekommen, muss sie feststellen, dass der Neuanfang als Einwanderin ohne Papiere nicht so einfach ist, wie gedacht und dass auch ihre Freundin nicht so unabhängig und schon gar nicht frei für sie ist.
Patsy muss sich mit Mindestlohnjobs über Wasser halten und bricht den Kontakt nach Jamaika ab, um sich nicht die Blöße zu geben, gescheitert zu sein.
In der Zwischenzeit wächst Tru heran, vermisst ihre Mutter und kann keine emotionale Bindung zu ihrer Ersatzfamilie aufbauen.

Der Roman zeigt eindrücklich und authentisch, wie Träume platzen können und schwierig der Neuanfang in einem fremden Land sein kann, das man mit falschen Erwartungen betreten hat. Auch wird bildhaft aufgezeigt, wie schmerzhaft und zerstörerisch leere Versprechungen sein können.

Einerseits ist Patsys Wunsch nach Freiheit, Unabhängigkeit und Glück nachvollziehbar, andererseits verurteilt man sie dafür, dass sie ihre kleine Tochter zurücklässt und zu feige ist, einen Kontakt aufrechtzuerhalten.
Tru fühlt sich durch den Verlust der Mutter ungeliebt. Sie ist einsam und hadert mit ihrer Rolle im Haushalt ihres Vaters und als heranwachsendes Mädchen.

Beide Einsichten sind deprimierend. Die Perspektivlosigkeit Patsys macht zu schaffen, wie auch Trus Suche nach Antworten, der Kampf mit sich und der gegen ihren Körper. Während sich Patsy allmählich von der Toilettenfrau zur Nanny für die privilegierten Weißen hocharbeitet, rebelliert Tru gegen ihre Stiefmutter, entwickelt sich in der Schule zu einer Außenseiterin, kann sich aber durch ihr sportliches Talent hervortun.
Die Geschichte wird ausschweifend erzählt und ist nicht so emotional, wie erwartet. Die Schuldgefühle und die Rolle als Mutter werden weitgehend verdrängt. Vordergründig ist das Thema um die sexuelle Orientierung und die Sehnsucht, nicht mehr unsichtbar zu sein. Die Probleme in Jamaika wie Kriminalität, Korruption, Armut und Krankheit werden nur oberflächlich tangiert.

Der Roman erstreckt sich über zehn Jahre und wechselt dabei zwischen dem lauten und anonymen New York und dem kleinstädtischen Leben in Pennyfield auf Jamaika.
Armut, Einsamkeit, Diskriminierung und sexuelle Identität sind die bestimmenden Themen, die lange Zeit keinen Aussicht auf Besserung bieten. Erst als sich Patsy ihren belastenden Erinnerungen stellt, keimt ein Fünkchen Hoffnung auf und auch Tru erhält die Chance, das Mädchen zu sein, das sie sein möchte.
Das Ende ist versöhnlich, wirkt mit der Dramatik im Vergleich zu der übrigen eher zähen Handlung jedoch sehr gehetzt.

Bewertung vom 15.12.2024
Moyes, Jojo

Zwischen Ende und Anfang


sehr gut

Lila Kennedy wurde von ihrem Ehemann für eine jüngere Frau verlassen, lebt mit ihren beiden Töchtern in einem maroden Haus, in dem sang- und klanglos ihr Stiefvater Bill eingezogen ist und steht als Autorin unter dem Druck, ein neues Buch zu veröffentlichen, um die offenen Rechnungen zu bezahlen.
Als sie erfährt, dass "die Neue" schwanger ist und dann auch noch ihr Vater vor der Tür steht, der es nicht einmal einrichten konnte, zur Beerdigung ihrer Mutter zu erscheinen, wird Lila alles zu viel. Auf Druck ihrer Agentin versucht sie ihr Liebesleben aufzupeppen, um sich für ihr Buch, das ein Vorbild für alle starken Frauen über 40 sein soll, die mutig und selbstbewusst ihr Leben in die Hand nehmen und neu anfangen. Während ihr Gärtner nach einer einzigen Nacht ernsthafte Absichten zu hegen scheint, fühlt sich Lila mehr zu dem attraktiven Architekten hingezogen, der verwitwet ist und den sie regelmäßig beim Abholen ihrer jüngsten Tochter vor der Schule trifft.
Lila schreibt mal mehr mal weniger inspiriert an ihrem Sachbuch, jongliert die Kinder mit ihrem Exmann, schlichtet die Streits ihrer Väter, macht Erfahrungen in Liebesdingen, die sie anspornen und wieder zurückwerfen und muss doch in all dem Chaos feststellen, dass es am Ende die Familie ist, die ihr zeigt, was Liebe und Zusammenhalt bedeuten.

"Zwischen Ende und Anfang" ist ein typischer Roman aus der Feder von Jojo Moyes, der eine Frau an einem Scheidepunkt ihres Lebens in den Mittelpunkt stellt und die sich nach einigen Schicksalsschlägen wieder aufrichten muss und am Ende zu neuem Selbstbewusstsein findet.

Die Erzählung ist empathisch und trotz schmerzhafter Momente, die mit den Figuren mitleiden lassen, warmherzig und humorvoll geschrieben. Die Figuren sind Unikate und liebevoll mit ihren kleineren und größeren Macken gezeichnet. Jede hat ihre Fehler, aber auch ihre guten Seiten, die dem Roman neue Impulse geben und seine Vielschichtigkeit ausmachen.

Das Buch ist überwiegend aus der Sicht der Hauptfigur Lila geschrieben, die als verlassene 42-Jährige mit den Tücken einer chaotischen Patchwork-Familie umgehen muss. Darüber hinaus gibt es einzelne Kapitel aus der Perspektive ihrer älteren Tochter Celie, die von ihren Freundinnen plötzlich geghostet wird und sich Mobbing an der Schule ausgesetzt sieht.

Die Geschichte über eine liebenswert chaotische Patchwork-Familie ist lebendig und unterhaltsam und lässt bildhaft in das Haus mit den verstopften Toiletten und Essensduft von Bills gesunder Küche eintauchen. Sie ist aus dem Leben gegriffen und stellt die liebenswerten Charaktere mit ihren Problemen und Alltagssorgen authentisch dar. Jede der Figuren entwickelt sich weiter und gemeinsam kämpfen sie sich aus ihren Tiefen heraus.

Es ist eine Geschichte, wie sie das Leben schreibt und die vor allem die Probleme zwischenmenschlicher Art in den Vordergrund rückt. Sie handelt von Trennungen, Verletzungen und Enttäuschungen, aber auch von Neuanfängen, Loyalität und Liebe. Sie wartet dabei mit sympathischen Charakteren, unterhaltsamen Dialogen und Situationskomik auf und entwickelt trotz ihrer Alltäglichkeit am Ende vor allem durch die liebenswerten Nebenfiguren ihren ganz besonderen, bezaubernden Charme.

Bewertung vom 11.12.2024
Tudor, C. J.

Schneewittchen schläft


sehr gut

Seit drei Jahren sucht Gabriel Forman nach seiner Tochter Izzy, die vermeintlich ermordet wurde. Er hatte sie jedoch zuletzt lebendig auf der Rückbank eines Wagens vor ihm gesehen. Gabe hat seit dem Anschlag auf seine Familie sein Leben komplett aufgegeben, um die Autobahnen tagtäglich abzufahren und nach Izzy zu suchen. Als er endlich einen Hinweis erhält und auf eigene Faust weiterermittelt, wird er selbst angegriffen und mit einem Messer verletzt.
Zeitgleich ist Fran zusammen mit Alice auf der Flucht. Alice leidet unter schlimmen Albträumen und Panikattacken und Fran tut alles, um sie zu schützen. Als sie erfährt, dass Gabe seiner Tochter auf der Spur ist, begeht sie einen riskanten Fehler.

Aufgebaut aus drei Handlungsebenen, deren Zusammenhänge sich erst allmählich ergeben, ist der Thriller spannend konstruiert.
Auch wenn es auf der Hand liegt, dass Fran mit Izzy unterwegs ist, ist nicht zu erahnen, warum gerade sie ein Mädchen schützen möchte, dass nicht ihre Tochter ist und warum es für die Polizei so aussieht, als sei Izzy zusammen mit ihrer Mutter ermordet worden.
Zudem gibt es noch ein weiteres Mädchen, das im Wachkoma liegt, dessen Identität nicht klar ist - ein schlafendes Schneewittchen... Und wer ist das tote Mädchen, das Gabes Schwiegervater als Izzy identifiziert hat?
Fragen über Fragen, die ein komplexes Puzzle bilden, dessen Teile sich langsam zu einem logischen Ganzen zusammenfügen.

Neben dem undurchsichtigen Kriminalfall hat der Roman eine mystische Komponente, die für Verwirrung sorgt und bei der man auf eine logische Erklärung gespannt sein kann, die jedoch am Ende ausbleibt. Die Steine, die Spiegel, die Verbindung zwischen den Mädchen und die Narkolepsie sorgen für einen Gruselfaktor, der jedoch für die Handlung keinen entscheidenden Mehrwert hat.

Die Geschichte ist durchgehend fesselnd, die Stimmung düster und bedrohlich. Die Emotionen der Charaktere sind authentisch dargestellt. Ihre Ängste und Hoffnungen, das Klammern an den letzten Strohhalm und die Suche nach Wahrheit bis zur Selbstaufgabe sind nachvollziehbar. Wer welche Schuld trägt und was zu verbergen hat, bleibt bis zum Ende so spannend wie die Aufklärung der Tat, die alles auslöste. Ein Teufelskreis aus Rache, Schuld und Selbstjustiz setzt sich schlüssig zusammen und erscheint gar nicht mal so unwahrscheinlich, was nachhaltig beängstigend ist.