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MaWiOr
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Insgesamt 3701 Bewertungen
Bewertung vom 28.09.2020
Zander, Judith

Johnny Ohneland


sehr gut

Die vierzigjährige Mecklenburgerin Judith Zander, in Anklam geboren, wurde für ihre Werke schon mehrfach ausgezeichnet. Nun legte sie mit „Johnny Ohneland“ einen neuen Roman vor. Es ist die Geschichte von Joana, die aber kein Mädchen sein will. Sie nennt sich einfach Johnny. Zwischen den Geschlechterfronten kommt sich Johnny ziemlich einsam vor, dabei will sie aber nicht am Rand der Gesellschaft leben.

Eine einschneidende Erfahrung in ihrer Jugend war das plötzliche Verschwinden der Mut-ter über Nacht, die noch 1988 die DDR in Richtung verlassen hatte. War es eine Reaktion auf die Verweigerung der Mädchenrolle der Tochter? Die Autorin erzählt von der Belastung und vom Glück der Nichteindeutigen, wobei sich viele Passagen wie Selbstgespräche lesen. Das Buch einer Identitätssuche ist eine Empfehlung für alle, die sich mit dem Thema Bisexualität vertraut machen wollen.

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Bewertung vom 26.09.2020
Döring, Jürgen

Das Plakat


ausgezeichnet

Plakate begegnen uns überall im öffentlichen Raum, von ganz klein bis überdimensional groß, sie werben und informieren. Immer geht es darum, auf einer Fläche eine Botschaft zu vermitteln, die in kurzer Zeit und nachhaltig beim Empfänger ankommen soll. Das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg besitzt eine der besten und größten Plakatsammlungen Deutschlands. In der Ausstellung „Das Plakat – 200 Jahre Kunst und Geschichte“ (28. Februar bis 20. September 2020) versucht das Museum nun, 200 Jahre Plakatkunst vorzustellen.

Im Prestel Verlag ist der umfangreiche und reich illustrierte Begleitkatalog zu dieser be-merkenswerten Ausstellung erschienen. Der Katalog ist somit der bleibende Auftritt der Ausstellung. In 35 Kapiteln wird die künstlerische bis zu „Plakate seit 2005“.Entwicklung der Plakatkunst vorgestellt – von den „Ersten Plakaten“. Eingestreut sind einige Kapitel, die jeweils einen historischen Überblick über gesonderte Epochen der Plakatkunst geben. So setzte um 1890 in der Epoche des Jugendstils ein beispielloser Aufschwung des Plakats ein, ausgelöst durch die Weltausstellung in Paris. Plakate wurden zum Aushängeschild einer Gruppe von Künstlern, die sich der Farblithographie verschrieben hatte.

Mit dem Ersten Weltkrieg gab es schließlich die ersten Propagandaplakate. Sie stehen daher am Anfang der politischen Plakate. Die russischen Künstler der Avantgarde ebneten der Plakatkunst den Weg in die Moderne. In den 1960er Jahren bestimmten Pop und Poster die Schmuckplakate, die zu rein dekorativen Zwecken gedruckt wurden. Mit der Digitalisierung und den Möglichkeiten der digitalen Bildbearbeitung veränderten sich Qualität und Gestaltung der Plakatkunst noch einmal gewaltig.

Mit fast (meist farbigen und häufig auch ganzseitigen) Abbildungen und informativen Texten bietet der Katalog einen umfassenden Überblick über die Geschichte des Plakats.

Bewertung vom 26.09.2020
Chandler, Raymond

Die kleine Schwester


ausgezeichnet

Bei Philip Marlowe ruft zunächst eine Kleinmädchenstimme in einer heiklen Angelegenheit an. Ein paar Minuten später steht die junge Orfamay Quest in seinem Büro. Ein typisches Landei, das mit seinem braunen Schneiderkostüm und der randlosen Brille wie eine barmherzige Schwester aussieht. Sie kommt aus Manhattan, Kansas, und sucht in Los Angeles nach ihrem großen Bruder Orrin.

Eigentlich hat Marlowe wenig Interesse an dem Fall, denn die Geschichte, die ihm das verklemmte Kleinstadtmädchen da auftischt, kommt ihm nicht ganz stimmig vor. Außerdem bietet sie ihm nur schäbige zwanzig Dollar an. Aber wie immer ist Marlowe gerade nicht gut bei Kasse, also macht er sich auf die Suche nach ihrem Bruder.

Die Spur führt Marlowe nach Bay City in ein mieses Hotel, wo Orrin die letzten Monate Unterschlupf gefunden hatte. Inzwischen ist das Zimmer aber durch einen Fremden belegt. Als Marlowe ihn jedoch aufsuchen will, wird er von einer Frau niedergeschlagen und wenig später findet er den Zimmerbewohner mausetot auf seinem Bett, mit einem Eispickel im Genick. Kein schöner Tod durch Rückenmarksverletzung.

Es bleibt jedoch nicht bei diesem einen Mord. Der Eispickel-Mörder schlägt noch einmal zu. Grund sind wohl kompromittierende Fotos, die ein aufstrebendes Filmsternchen in Begleitung eines berüchtigten Gangsters zeigen. Der Fall führt Philip Marlowe in die Welt der zweitklassigen Stars, der affektierten Agenten, Trinker, Neurotiker und süchtigen Reichen - alles Typen, den man lieber nicht den Rücken zukehren sollte. Ein Milieu, das aus dem Kleinstadtspießer Orrin Quest scheinbar in kürzester Zeit einen Massenmörder ge-macht hat.

„Die kleine Schwester“ ist eine Geschichte von organisiertem Verbrechen und Erpressung. In dem Roman aus dem Jahre 1949 hat Raymond Chandler, der mit seiner Zeit in Hollywood nie zufrieden war, seine nicht immer positiven Erfahrungen mit der Filmmetropole und ihren Akteuren einfließen lassen. So hat er viele Kommentare zum Filmgeschäft, die nicht unmittelbar mit der Romanhandlung in Verbindung stehen, mit aufgenommen. Neben den halsbrecherischen Ermittlungen des Privatdetektivs verfügt der Krimi auch über einen Schuss Erotik. Der spannende Roman liegt jetzt in einer Neuübersetzung vor.

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Bewertung vom 24.09.2020
Celan, Paul

Todesfuge


ausgezeichnet

„Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends / wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts / wir trinken und trinken / wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng …“ – mit diesen Zeilen beginnt das wohl berühmteste deutsche Gedicht des 20. Jahrhunderts: „Todesfuge“ von Paul Celan (1920-1970). Das Gedicht – bekannt auch durch die Zeile „… der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ – wird gelesen, rezitiert, analysiert oder zitiert, dabei war es der eindrucksvolle Versuch, das Grauen des Holocausts mit lyrischen Mitteln zu fassen.

Das Gedicht, das Celan berühmt machte, hat ihn von der halböffentlichen Lesung auf einer Tagung der Gruppe 47 im Mai 1952 bis zu seinem Lebensende über ein Vierteljahrhundert verfolgt. Zum 100. Geburtstag von Paul Celan liegt nun eine Lesung von knapp 100 Celan-Gedichten (Laufzeit ca. 2 Std.) vor, die der Autor selbst in den 1950er bzw, 1960er Jahren eingelesen hat – teilweise lange Zeit unerkannt gebliebene Tonaufnahmen. Es sind ausgewählte Gedichte aus sieben Gedichtbänden und damit aus allen Schaffensperioden des Dichters.

Neben der Auflistung der Gedichte bringt das Booklet einen ausführlichen Begleittext des Medienhistorikers Hans-Ulrich Wagner, der die Rezitationen und die besonderen Qualitäten der Stimmkunst von Paul Celan beleuchtet: „literarische Stimmereignisse … seine Stimme sucht bis heute Gehör“.

Bewertung vom 23.09.2020
Grimm, Jacob;Andersen, Hans Christian

Die Märchen von Grimm & Andersen 2 in 1. 40th Ed.


ausgezeichnet

Es war einmal … Märchen sind beliebt bei Groß und Klein und das schon seit über zweihundert Jahren. 1812 gaben die Gebrüder Jacob und Wilhelm Grimm den ersten Band ihrer Sammlung deutscher Volksmärchen heraus. Zunächst sollte es kein Kinderbuch werden sondern eine kulturhistorische Sammlung. Später übten die Märchen einen großen Reiz auf bildende Künstler aus und so entstanden zahllose illustrierte Märchenbücher, die den Geschmack der jeweiligen Zeit ausdrückten. Sie alle fanden aber ihre begeisterte Leserschaft und machten die Märchenwelt noch bekannter. Im 19. Jahrhundert entstanden auch die sogenannten Kunstmärchen, deren bekanntester Geschichtenerzähler der dänische Schriftsteller Hans Christian Andersen war, dessen Märchen ebenfalls weltweit Verbreitung fanden.

Die Herausgeberin Noel Daniel hat nun eine Auswahl der beliebtesten Märchen der Gebrüder Grimm und von Hans Christian Andersen zusammengestellt und dabei besonderen Wert auf historische Illustrationen gelegt. So werden z.B. der „Froschkönig“ mit Farbholzschnitten von Walter Crane (GB, 1874) oder „Hänsel und Gretel“ mit Farblithografien von Heinrich Merté (D, 1881) wunderbar bebildert. Bei Andersens „Schneekönig“ sind es zweifarbige Zeichnungen aus dem Jahre 1929 oder bei „Der fliegende Koffer“ japanische Tuschezeichnungen.

Die Herausgeberin hat großen Wert darauf gelegt, die unterschiedlichsten Illustrations-techniken zu berücksichtigen, u.a. auch Aquarell und Scherenschnitt. Im zweigeteilten umfangreichen Anhang gibt es außerdem kompakte Künstlerbiografien sowie Hinweise zu den beiden Märchensammlungen. Insgesamt 35 Märchen werden vorgestellt, wobei die Illustrationen im Mittelpunkt stehen. Es sind teilweise sogar ganz- oder doppelseitige Abbildungen. Ein wirklich prächtiger Jubiläumsband (40 Jahre Taschen), der immer wieder zum Blättern einlädt. Und preiswert zudem, wenn man bedenkt, was illustrierte Märchenbücher von diesem Umfang sonst kosten. Für Groß und Klein.

Bewertung vom 23.09.2020
Schirach, Ferdinand von

GOTT


ausgezeichnet

Vor ein paar Tagen hatte das neue Stück „Gott“ von Ferdinand von Schirach im Berliner Ensemble Uraufführung. Mit dem Stück griff der Autor nach dem Bühnenerfolg von „Terror“ wieder ein vieldiskutiertes Thema auf: die Beihilfe zum Suizid. Von April 2019 bis Februar 2020 diskutierte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eine seit Jahren schwelende, unerlöste Debatte – den ärztlich assistierten Suizid.

In dem neuen Stück möchte der 78-jährige Richard Gärtner sterben, obwohl geistig und körperlich gesund. Doch nach dem Tod seiner Frau will er einfach nicht mehr weiterleben; er sieht darin keinen Sinn mehr. Sein Hausarzt verweigert ihm die Beihilfe. Nun diskutiert die Ethikkommission den Fall. Doch am Ende müssen die Zuschauer – oder im Fall des vorliegenden Hörbuches die Zuhörer – selbst ein Urteil fällen.

Die Hörspielinszenierung des neuen Theaterstücks ist eine Produktion des Hörverlages selbst mit bekannten SprecherInnen – von Cathlen Gawlich bis Florian Lukas. Ein wichtiges Thema, das sicher viele Hörerinnen und Hörer beschäftigt. Im umfangreichen Booklet findet man drei informative Essays zu diesem sensiblen Thema, die natürlich nicht die eigene Meinung oder eine Diskussion im Bekannten- oder Freundeskreis ersetzen.

Bewertung vom 21.09.2020
Baaske, Edwin

Ostkarten


ausgezeichnet

Historische Ansichtskarten sind ein beliebtes Sammlerobjekt – vor allem, wenn es sich um ein „verschwundenes Land“ wie die ehemalige DDR handelt. Sie wecken Erinnerungen, sind aber auch wichtig für die Geschichtsforschung. Die Herausgeber Edwin Baaske und Florian Ücker haben alte Postkarten aus den jetzigen ostdeutschen Bundesländern zusammengetragen und sie teilweise heutigen Fotoaufnahmen gegenübergestellt, um so die Veränderungen sichtbar zu machen.

Jedes Bundesland wird mit einem kurzen Informationstext eingeleitet. Dann folgen auf jeder Seite eine Ansichtskarte – zumeist in Schwarz-Weiß, aber auch farbige Karten werden vorgestellt. Zu jeder Ansicht gibt es Erläuterungen mit historischen Informationen. Es ist eine fotografische Reise durch die DDR von der Ostseeküste bis ins Erzgebirge. Interessant sind vor allem Straßenszenen mit Markttreiben, alten Fahrzeugen oder Geschäften. Zwischendurch sind auch einige DDR-Sonderbriefmarken abgebildet.

Dieser Bildband ist eine Entdeckungstour durch eine Zeit, die vor dreißig Jahren eine Wende erfuhr. Nostalgisch, aber sehr informativ.

Bewertung vom 21.09.2020
Mak, Geert

Große Erwartungen


ausgezeichnet

Nach seinen beiden großen Darstellungen „Amerika!“ und „In Europa“ widmet sich der niederländische Publizist Geert Mak wieder dem europäischen Kontinent und beleuchtet die Geschichte der letzten beiden Jahrzehnte.

Zunächst wirft er einen kritischen Blick auf die 1990er Jahre zurück, an deren Ende die Geburt des Euros vorbereitet wurde. Danach setzt sich Mak als versierter Historiker mit der Entwicklung und dem Zustand Europas im 21. Jahrhundert auseinander. Es waren zwei Jahrzehnte, in denen eine Krise die nächste ablöste. Für seine Bestandsaufnahme war Mak in fast ganz Europa unterwegs – von Norwegen im Norden bis nach Lampedusa und Lesbos, auf die Mittelmeerinseln, die zu Anlaufpunkten für Flüchtlinge wurden. Aber auch europäische Metropolen wie London, Paris oder Moskau besuchte er mit wachsamem Auge. Von seinen zahlreichen Begegnungen berichtet er ausführlich.

Überall in Europa stieß er auf Problemfelder wie Terror, Finanzkrise, Ukraine, Flüchtlingszustrom oder Nationalismus … und natürlich die Klimakrise. Die Pandemiekrise hat dem Autor bewusst gemacht, wie anfällig all die internationalen Produktionsketten sind. Und auch unsere Solidarität stößt an Grenzen. Gern würde der Autor den Menschen in fünfzig Jahren über die Schulter blicken und wissen, wie das alles ausgegangen ist.

Für Mak ist ein Umdenken in Europa wichtig. Als Wirtschafts- und Weltmacht müsste man viel mehr Verantwortung übernehmen. Doch poltische Abstimmungen und Entscheidungen dauern immer noch zu lange. Und so entwirft er auf den 640 Seiten auch Vorschläge für eine langfristige Weiterentwicklung des europäischen Kontinents. Manchmal blickt er auch pessimistisch in die europäische Zukunft: „Endphase von fünf Jahrhunderten bürgerlicher Kultur, europäischer Aufklärung und Demokratie" … doch der optimistische Grundton hat eindeutig das Übergewicht, schließlich lautet der Titel des Buches „Große Erwartungen“.