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Igelmanu
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Mülheim

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Insgesamt 1033 Bewertungen
Bewertung vom 31.05.2014
Heinitz, Maria R.

Als der Sommer eine Farbe verlor


ausgezeichnet

„Marcel streckte sich, um gleich darauf zu einer Kugel zusammengerollt an meinen Bauch zu rutschen und beruhigt einzuschlafen.
Ich roch noch eine Weile an seinem salzigen Haar und fasste den Entschluss, ihm niemals, niemals die Wahrheit zu sagen. Es reichte, wenn ich nicht einschlafen konnte. Das ganze Blut würde ihn einfach wegschwemmen, dachte ich. Das würde er nicht aushalten. Kerzengerade saß ich wer weiß wie lang auf der Matratze und bewachte seinen Schlaf. Ich starrte in die Dunkelheit. Schatten traten hervor. Sie tanzten atemlos über die Dielen. Kein Laut, kein Rascheln war zu hören, nur gleitende Bewegung, über Boden, Wände, Leisten. Jede Sehne meines Körpers verharrte angespannt. Sie sollten seine Träume nicht berühren. Ich passte auf.“

Ein schöner Sommertag nimmt für Bénédicte ein furchtbares Ende, als sie ihre Mutter findet, die versucht hat, sich das Leben zu nehmen. Der Vater zieht mit Bénédicte und ihrem jüngeren Bruder Marcel von Hamburg in eine Kleinstadt, beantwortet zudem alle Fragen nach der Mutter und ihrer Rückkehr ausweichend. Die Kinder müssen somit nicht nur mit dem Verlust der Mutter klarkommen, sie müssen sich auch in einer neuen Umgebung einleben und versuchen, neue Freunde zu finden. Die kommende Zeit wird für die Familie nicht einfach, zumal Bénédicte seit dem Fund der Mutter traumatisiert ist.

Soweit klingt die Handlung von dem Selbstmordversuch der Mutter abgesehen nicht sonderlich spektakulär. Aber was in diesem Buch daraus gemacht wird, ist manchmal mitreißend, manchmal zauberhaft, manchmal hoch emotional und in der Summe so wunderbar und einfühlsam geschrieben, dass ich mich kaum von dem Buch losreißen mochte. Höchst sensibel behandelt das Buch sowohl die „normalen“ Probleme von Heranwachsenden als auch die Bewältigung eines solchen erlebten Traumas.

Da die Kinder zweisprachig aufwuchsen, unterhielten sie sich auch häufig auf Französisch. Eine Übersetzung der meisten Sätze gibt es im Anhang, einzelne Vokabeln musste ich – da mein Schulfranzösisch schon eine Weile zurückliegt – aber noch nachschlagen. Der Schreibstil selbst gefiel mir aber sehr und es gab mehrere sehr interessante und / oder liebenswerte Charaktere. Bei dem ein oder anderen hätte ich mir gewünscht, noch mehr von ihm zu lesen, aber das hätte vermutlich den Rahmen des Buches gesprengt.

Wie sehr mir dieses Buch gefallen hat, hat mich selbst überrascht und ich kann nicht anders, als eine volle Leseempfehlung abzugeben.

Bewertung vom 31.05.2014
James, Peter

Stirb ewig / Roy Grace Bd.1


sehr gut

„Weiße, satinglatte Stille. Völlige, undurchdringliche Stille, die von oben kam, anschwoll, ihn von allen Seiten bedrängte. Er wollte die Arme bewegen, doch so sehr er auch drückte, nichts rührte sich. Auch versuchte er, die Beine zu spreizen, traf aber auf dieselben unnachgiebigen Wände. Er legte das Walkie-Talkie auf seiner Brust ab und drückte gegen das Satindach, das sich ganz knapp vor seinen Augen befand. Es war, als drückte er gegen Beton.“

Ein richtig fieser Streich ist das, den seine Freunde Michael bei seinem Junggesellenabschied spielen. Aber schließlich hat er sich in der Vergangenheit ebenfalls richtige Gemeinheiten für seine Freunde einfallen lassen – da hat er sich diese „Überraschung“ vier Tage vor seiner Hochzeit wahrlich verdient. Und so harrt er also aus, lebendig begraben in einem Sarg. Sicher werden sie ihn bald befreien! Und tatsächlich wollten Robbo, Luke, Josh und Pete in einer Bar in der Nähe etwas trinken und dann zurückkehren. Nur endet die Autofahrt für sie leider tödlich und nun weiß niemand, wo Michael ist. Alle Hoffnungen ruhen auf Michaels Geschäftspartner Mark, der es wegen eines verspäteten Fluges nicht rechtzeitig zu der „Feier“ geschafft hat. Doch auch er gibt vor, nichts zu wissen…

Ein klasse Buch! Das Lesen hat mir viel Spaß gemacht und ich mochte es kaum aus der Hand legen. Michaels Gefühle und Ängste im Sarg wurden so eindringlich und intensiv beschrieben, dass ich beinahe auf dem heimischen Sofa Klaustrophobie bekommen hätte.

Nach und nach kommen immer weitere Aspekte hinzu, die ich hier aber nicht verraten will. Ich konnte mich jedenfalls über einige Überraschungen freuen! Der Schreibstil hat mir gut gefallen, die Spannung blieb hoch und so war ich froh, das Buch an einem Feiertag begonnen zu haben, damit ich in einem Rutsch durchlesen konnte.

Der Ermittler, Detective Roy Grace, ist ebenfalls sympathisch und selbst vom Schicksal gebeutelt, da seine Frau vor vielen Jahren spurlos verschwand. So ist es auch nicht erstaunlich, dass er sich mit vollem Einsatz in diesen Vermisstenfall reinhängt. Aber…

Jetzt kommt der Punkt, der mir nicht so gefallen hat. Dieser Detective glaubt an Übersinnliches und bedient sich bei seiner Ermittlungsarbeit gerne mal der Mithilfe eines Mediums. Ich schließe nicht aus, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die man mit dem Verstand nicht nachvollziehen kann, aber ich glaube einfach nicht, dass ein Pendel, das man über eine Straßenkarte hält, den Aufenthaltsort einer Person anzeigen kann. Obwohl ich natürlich nicht ausschließen kann, dass ich, wenn ich ein verzweifelter Angehöriger wäre, womöglich auch bereit wäre, diesen Weg auszuprobieren (getreu dem Motto: Schaden kann es ja nicht). Na ja, die Hauptermittlungsarbeit hat der Detective ja doch auf normalem Weg bestritten.

Ich ziehe daher einen Punkt ab für den meines Erachtens nach unglaubwürdigen und übertriebenen Einsatz eines Mediums und vergebe vier Punkte für einen ansonsten wirklich spannenden Thriller.

3 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.05.2014
Aichner, Bernhard

Totenfrau / Totenfrau-Trilogie Bd.1


ausgezeichnet

„Vor zwei Stunden hat sie sich ausgezogen, sie hat sich hingelegt, ohne sich einzucremen. Sie will, dass die Sonne sie verbrennt, dass ihre Haut schreit, wenn sie gefunden wird. Nackt will sie sein. Endlich nackt. Niemand mehr, der es ihr verbietet. Kein Vater. Keine Mutter. Allein auf dem Boot, ihre Brüste, die Hüften, die Beine, die Arme. Dieses Lächeln auf ihren Lippen und wie sie sich leicht zur Musik bewegt. Nirgendwo sonst möchte sie jetzt sein. Noch drei Stunden wird sie liegen bleiben, sich strecken, sich räkeln, den Sommer in sich aufsaugen. Drei Stunden lang, oder vier. Bis die beiden endlich untergehen. Bis sie aufhören zu schreien. Bis sie aufhören, Wasser nach oben zu spritzen. Bis sie endlich still sind.“

Blum ist Bestatterin. Nach dem Tod der Eltern hat sie den Familienbetrieb übernommen, in dem sie ihrem Vater schon als Kind täglich bei der Versorgung der Leichen helfen musste. Nun, alleine in dem Betrieb, beginnt sie ein neues Leben, ein glückliches Leben. Mit einem Ehemann, den sie liebt und der sie liebt, mit zwei kleinen Töchtern, denen sie die wunderschöne Kindheit geben will, die sie selbst nie hatte. Ihr glückliches Leben endet, als ihr Mann bei einem Verkehrsunfall stirbt. Als Blum erfährt, dass es kein Unfall war, sondern ihr Mann – ein Polizist – ermordet wurde will sie wissen, wer dahinter steckt. Als sie es erfährt, nimmt sie sich der Angelegenheit an. In ihrer ganz speziellen Weise…

Was für ein Buch! Schon nach der kurzen Einführung der Protagonistin war ich fasziniert. Die Person, die der Sympathieträger in dem Buch sein soll, entpuppt sich schon zu Beginn als eiskalte Mörderin. Gut, es wird sehr eindringlich geschildert, wie sie zu dem werden konnte, was sie jetzt ist. Trotzdem lief mir erstmal ein Schauer über den Rücken. Nach diesem Wahnsinns-Beginn gab es für mich und das Buch nur noch eins: weiterlesen, weiterlesen, weiterlesen. Und es hat sich gelohnt!

Blums Jagd nach den Mördern ihres Mannes ist hochspannend und gleichzeitig sehr emotional. Wie sie mit ihnen umgeht ist aufgrund ihrer Erfahrung als Bestatterin recht „kreativ“ und wer es gerne mal etwas blutiger mag, kommt hier auf seine Kosten. Trotzdem blieb mir Blum sympathisch und ich hoffte mit ihr – so gruselig es mir auch manchmal vorkam – dass sie bei ihren „Aktivitäten“ erfolgreich sein würde.

Dass ich so nah an ihr und ihren Gefühlen bleiben konnte, lag sicher auch am Schreibstil. Auch dieser war ungewöhnlich und zeichnete sich durch meist sehr kurze Sätze aus, die manchmal nur aus einem oder zwei Worten bestanden. Darin empfand ich deutlich das Gefühlschaos, die starken Emotionen, die in Blum wühlten. Wer von einem Gefühl so stark betroffen ist, so viele Ängste auszustehen hat, so viel Kummer empfindet, denkt auch nicht in langen Sätzen! Für mich waren diese kurzen Sätze daher von einer ungeheuren Intensität und am Ende stand für mich die faszinierende Erkenntnis, dass ich Kapitel für Kapitel mit einer Frau mitgebangt habe, die in jedem anderen Werk einfach nur den Part der psychopathischen Serienmörderin innegehabt hätte.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.05.2014
Eisenschenk, Karoline

Walpurgisnacht


sehr gut

„Was willst du denn damit sagen? Dass wir unseren Job nicht auf die Reihe kriegen und einen Rentner zur Unterstützung brauchen?“

Frisch in den Ruhestand verabschiedet weiß der Geschichtsprofessor Gregor Cornelius genau, was er nicht will – nämlich mit seiner Frau und dem verhassten Angeber-Kollegen auf eine dreiwöchige Kreuzfahrt zu fahren. Viel lieber erfüllt er da seinem Patensohn Lukas die Bitte, für vier Wochen sein Haus in Neukirchen, einem kleinen Städtchen in Niederbayern, zu hüten. Kaum dort angekommen, merkt er schon nach den ersten Kontakten, wie es unter der beschaulichen Oberfläche brodelt. Im Zentrum des Ärgers taucht immer wieder der Name des jungen Landwirtes Sascha Eichinger auf, der mit seinem Liebesleben scheinbar reihenweise Herzen bricht und Beziehungen zerstört.
Als dieser in der Nacht zum 1. Mai, der Walpurgisnacht, ermordet wird, ist die Liste der Verdächtigen lang. Und während die Polizei diese Liste abarbeitet, beginnt Cornelius auf eigene Faust zu ermitteln…

Dieser Krimi hat wirklich viel Spaß gemacht! Cornelius war mir gleich sympathisch und er lässt sich einiges einfallen, um das Rätsel zu knacken, das im Verlauf der Handlung stetig größer zu werden scheint. Die Polizei ist zwar auch nicht untätig, aber Cornelius schafft es doch immer wieder, den Beamten ein Stückchen voraus zu sein. Was diese nicht immer freut, wie man an dem Eingangszitat merken kann ;-)

Es gibt aber nicht nur Spaß. Die Spannung kommt auch nicht zu kurz und ich konnte mich über einige überraschende Wendungen freuen. Alles war schlüssig und auch die Auflösung hat mir gefallen. Freunde des Mysteriösen dürfen davon aber – trotz des Titels – nicht viel erwarten. Der Mord findet in der Walpurgisnacht und an einem leicht gruseligen Tatort statt, aber das war es dann auch.

Fazit: Dieses Buch bietet 215 flott zu lesende Seiten mit einem sympathischen und kreativen Ermittler, außerdem Spannung und Spaß, aber kein Mystery. Ach ja – und es braucht niemand zu befürchten, dass er aufgrund von mangelnden Sprachkenntnissen den Dialogen nicht folgen kann. Diese Niederbayern sprechen hochdeutsch ;-)

Bewertung vom 25.05.2014
Pons, Brigitte

Celeste bedeutet Himmelblau / Frank Liebknecht ermittelt Bd.1


sehr gut

„Ich will heimzahlen ihre Missetaten und ihrer Väter Missetaten miteinander, spricht der Herr.
Die Strafe, die sie erwartete, würde fürchterlich sein. So wie die Taten es gewesen waren.“

Der junge Polizist Frank Liebknecht hat sich aus Darmstadt in die Provinz versetzen lassen, in eine kleine Ortschaft namens Vielbrunn. Dort hat er mit enormen Akzeptanzproblemen zu kämpfen, keiner nimmt das „Weichei“ aus der Stadt richtig ernst. Deswegen glaubt ihm auch niemand, als er den Tod eines Bauern nicht als Unfall abtun will, sondern dahinter ein Verbrechen vermutet. Völlig auf sich allein gestellt beginnt Frank Fragen zu stellen, beginnt zu ermitteln. Noch nicht ahnend, welche Dimensionen der Fall annehmen wird…

Was sich alles aus diesem „einfachen“ Leichenfund ergibt, hat mich auch überrascht. Die meisten Kapitel sind recht kurz, das Buch lässt sich flott lesen. Die Erzählperspektive wechselt, ist häufig bei Frank, aber auch immer wieder bei anderen Charakteren. Dadurch hat man als Leser immer wieder andere Sichtweisen auf die Geschehnisse. Die Handlung bleibt spannend und liefert bis zum Schluss interessante Wendungen. Details verrate ich natürlich nicht, nenne nur ein Stichwort: Colonia Dignitad.
An dieser Stelle muss ich allerdings noch einen Kritikpunkt anbringen. Für meinen Geschmack passierte auf den 343 Seiten fast schon ein wenig zu viel, mir wäre es lieber gewesen, wenn man einigen Handlungspunkten mehr Raum gegeben hätte. Aber für kurzweilige Unterhaltung ist bei diesem Buch auf jeden Fall gesorgt.

Das war der erste Fall für Frank Liebknecht. Er war mir eigentlich von Anfang an sympathisch. Ein junger Mann, der sich aus Gründen, die man nur ahnen kann, hat versetzen lassen. Der darunter leidet, dass die Kollegen über ihn spotten, der auch selber häufig an sich zweifelt. Und der trotzdem versucht, seinen Weg zu gehen. Gelegentlich handelt er zu impulsiv, macht Fehler. Da merkt man dann, dass ihm noch Erfahrung fehlt. Dazu kommt aber noch seine Bereitschaft, sich die Vorschriften nach Bedarf zurechtzubiegen oder sie ganz außer Acht zu lassen, wenn er es für notwendig hält. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir noch mehr von ihm lesen werden.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.05.2014
Brockes, Emma

Sie ging nie zurück. Die Geschichte eines Familiendramas


gut

„Es heißt, man erbt die Schuldgefühle. Aber was man eigentlich erbt, ist das Schweigen.“

„Eines Tages erzähle ich dir die Geschichte meines Lebens, da wirst du staunen…“ Das sagt Paula zu ihrer zehnjährigen Tochter Emma, doch der Tag, an dem sie ihr alles erzählt, kommt nie. Emma hört Geschichten vom südafrikanischen Busch, von sieben Geschwistern, tödlichen Schlangenbissen und Hagelkörnern groß wie Golfbälle. Und einmal ist die Rede von einem Gerichtsprozess und der Waffe, mit der Paula ihren gewalttätigen Vater erschießen wollte. Aber etwas Wesentliches fehlt, das wird Emma erst nach dem Tod ihrer Mutter bewusst. Emma versucht, mehr über die Vergangenheit ihrer Familie in Erfahrung zu bringen. Sie reist nach Johannesburg, verabredet sich mit den unbekannten Verwandten, versucht sie zum Reden zu bringen, studiert Gerichtsakten. Was sie dabei erfährt, wird sie selbst für immer verändern… (Klappentext)

Ein wirklich interessantes Thema wird hier aufgearbeitet. Eine Tochter auf der Suche nach dem, worüber ihre Mutter zeitlebens nicht sprechen konnte – ich war ungemein neugierig! Tatsächlich hat mich die Geschichte während der ersten Seiten, auf denen Emma sich noch in England befindet, gefesselt und ich konnte es kaum abwarten, dass sie Südafrika erreicht und dort ihre Nachforschungen beginnt. Was sie wohl herausfinden würde?

Leider wurde die Geschichte ab diesem Zeitpunkt für mich ausgesprochen zäh. Emma wird Antworten auf die meisten ihrer Fragen finden, aber sie stößt in erster Linie auf viele Verwandte, die eins eint: Das Schweigen. Und so wird auf vielen, vielen Seiten über alles Mögliche geredet, man erfährt die kleinsten Details über Onkel, Tante, Cousins usw. Das Ganze wird umrahmt von Beschreibungen der südafrikanischen Landschaft und des Straßenbilds von Johannesburg. Das ist sicher irgendwo interessant, aber vom Umfang her war es mir einfach zu viel.

Ich vermute, durch dieses viele Reden über Nichtigkeiten (jedes Gespräch ertränkt in großen Mengen von Alkohol) sollte unterstrichen werden, wie sehr die Wichtigkeiten von jedem einzelnen verdrängt werden. Diese Botschaft kam bei mir an und auf den paar Seiten, auf denen es Emma gelang, ihren Verwandten doch noch die entscheidenden Antworten abzuringen, war ich von den Erzählungen sehr betroffen. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass traumatische Kindheitserinnerungen oftmals Verdrängungsprozesse auslösen, daher finde ich es so schade, dass mich die vielen „Füllberichte“ so ermüdet haben. Auch das Thema Apartheit wurde meines Erachtens nach nur angerissen, dafür hätte ich mir ebenfalls mehr Raum gewünscht.

Fazit: Sehr interessante Story, aber eine klare Leseempfehlung kann ich nur für Liebhaber von Familiengeschichten aussprechen.

Bewertung vom 23.05.2014
Braddon, Mary Elizabeth

Das Geheimnis der Lady Audley


ausgezeichnet

„Der Indizienbeweis ist ein wunderbares Gefüge, das sich aus einer Vielzahl von in allen Himmelsrichtungen gesammelten Kleinigkeiten zusammensetzt und doch gewichtig genug ist, um einen Menschen an den Galgen zu bringen. Ein Stück Papier, ein Fetzen von einem zerrissenen Bekleidungsstück, der Knopf, der an einem Mantel fehlt, ein Wort, das den übervorsichtigen Lippen des Schuldigen unbedacht entschlüpft ist, das Fragment eines Briefs. Unzählige Einzelheiten von so geringer Bedeutung, dass der Verbrecher sie vergessen haben mag, doch gleichzeitig sind sie stählerne Glieder in jener wundervollen Kette, welche die Kunst des Detektivs zusammenschmiedet. Und siehe, der Galgen wird errichtet. Die feierliche Glocke läutet im trüben Grau des frühen Morgens. Die Falltür knarrt unter den Füßen des Schuldigen, und die Strafe für das Verbrechen wird bezahlt.“

Der junge Anwalt Robert Audley hat sich nach Beendigung seines Studiums eigentlich hauptsächlich den schönen Dingen des Lebens gewidmet. Da er aus wohlhabendem Hause kommt, besteht auch keine Notwendigkeit, zu arbeiten. Als jedoch sein bester Freund eines Tages spurlos verschwindet und er den Verdacht hat, dass dieser Opfer eines Verbrechens wurde, beginnt er nachzuforschen. Tatsächlich stößt er schnell auf einige merkwürdige Dinge – und diese scheinen irgendwie mit der jungen Ehefrau seines Onkels zusammenzuhängen…

Dieser Krimi hat mich wieder total begeistert! Nachdem ich mich in den alten Schreibstil eingelesen hatte (das Buch erschien erstmals im Jahr 1862), konnte ich mich nicht mehr losreißen. Zum Glück hatte ich an einem Sonntag damit begonnen, so dass ich dranbleiben konnte ;-)

Wie der zum Detektiv gewordene junge Anwalt Puzzlestück für Puzzlestück zusammenträgt, ist überaus spannend geschrieben. Dazu gibt es einige erheiternde Momente, wenn der scharfsinnige Ermittler zwar kleinste Details – den Fall betreffend – bemerkt, aber einfach nicht begreift, dass seine Cousine in ihn verliebt ist.
Gut hat mir zudem gefallen, wie der anfangs leichtlebige Robert anfängt, Verantwortung zu übernehmen. Fast könnte man sagen, er wird im Laufe des Buches „erwachsen“.

Das Buch beleuchtet zudem die Standesunterschiede zwischen Adel und „Normalsterblichen“ und die Rollen von Männern und Frauen. Über vieles, was zu dieser Zeit völlig normal war, kann man heute nur noch den Kopf schütteln. Auch dies ist für mich immer wieder interessant zu lesen!

Der Fall selbst wartet bis zum Schluss mit Überraschungen auf. Und Lady Audley (mit ihrem Geheimnis) bleibt trotz diverser Verdachtsmomente eine interessante und würdige Gegnerin. Ich vermute, der Autorin war aufgrund ihrer eigenen Vita daran gelegen, ihre Romanfigur als wehrhaften Charakter darzustellen. Sie war nämlich nicht nur das, was man heute eine Bestsellerautorin nennt, sondern sie ernährte früh ihre gesamte Familie und lebte über viele Jahre in „skandalös“ wilder Ehe.