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Klara

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Insgesamt 198 Bewertungen
Bewertung vom 29.10.2021
Stamm, Peter

Das Archiv der Gefühle


ausgezeichnet

Sammeln und ordnen als Lebensaufgabe
In Peter Stamms neuem Roman geht es um einen sehr skurrilen Charakter. Der namenlose Protagonist war früher Archivar, wurde aber arbeitslos, als man Dokumente nicht mehr in Papierform speicherte. Er lebt allein in dem von der Mutter geerbten Haus, wo er das von seinem Arbeitgeber übernommene Archiv täglich viele Stunden lang ergänzt. Er beachtet strenge Regeln, ohne die geringsten Veränderungen zuzulassen, weil er in einer ewigen Gegenwart leben möchte. Das Chaos der Welt macht ihm Angst. Er sieht seine Aufgabe darin, es zu ordnen und nicht darin, etwas Neues, Eigenes zu schaffen. So hat er auch fast 40 Jahre lang an der Liebe seines Lebens festgehalten, ohne dass daraus jemals eine Beziehung wurde. Es ist die Mitschülerin Franziska, die unter dem Namen Fabienne als Sängerin Karriere machte. Er nahm aus der Ferne an ihrem Leben Anteil und las die Artikel über ihre Beziehungen in der Boulevardpresse. In all den Jahren hatte er Kontakt zu zwei Frauen, einer ehemaligen Arbeitskollegin und einer Mitschülerin 25 Jahre nach dem Schulabschluss, als er eigentlich hoffte, Franziska zu treffen. Er liebte diese Frauen nicht, ließ die Dinge einfach geschehen, ohne jemals die Initiative zu ergreifen. Seine einzige Liebe war und ist Franziska, die ihm immer wieder in den Fantasien seiner Parallelwelt erscheint, die für ihn realer ist als die Wirklichkeit. Mit Mitte 50 wird ihm jedoch bewusst, dass das wirkliche Leben mehr zu bieten hat als das passive Abwarten, das er praktiziert, und er nimmt Kontakt zu Franziska auf. Nach mehreren Anläufen steht er ihr endlich gegenüber und erfährt, dass es in der Vergangenheit zwei Situationen gab, wo er auf sie hätte zugehen müssen, und ihr Leben wäre anders verlaufen. Er beschließt, sich von seinem Archiv zu trennen, weil es ihn unwiderruflich an die Vergangenheit bindet und jegliche Neuorientierung unmöglich macht. Am Ende wagt er tatsächlich einen Neuanfang. Er kann zwar die verflossene Zeit nicht zurückholen, aber für die ihm verbleibende Lebensspanne ein anderer werden.

Mir hat dieser ruhig erzählte, sprachlich anspruchsvolle und zum Nachdenken über die eigene Lebensplanung anregende Roman gut gefallen. Er vermittelt die Botschaft, dass es nie zu spät ist, sein Leben zu ändern. Besonders beeindruckt hat mich, wie gekonnt der Autor reales Geschehen und Fantasien ineinander übergehen lässt. Ein empfehlenswertes Buch.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.10.2021
ZEIT ONLINE

Sonntagsessen


sehr gut

So wird der Sonntag zum Höhepunkt der Woche
Sonntags kann man mal richtig schlemmen, denn deftig geht ja immer. „Sonntagsessen: Für den schönsten Tag der Woche“ von Zeit online enthält die 85 besten internationalen Foodblog-Rezepte aus der ZEIT-ONLINE-Kolumne "Sonntagsessen" und ist aufgeteilt in Frühstück, Brunch, Mittagessen, Nachmittagskaffee, Dinner, Dessert. Außerdem enthält es zum Abschluss ein Blog- und Rezeptregister.
Das Buch enthält sehr viele Rezepte, die einfach und schnell zu backen bzw. zu kochen sind, so z.B. das Dinkel-Franzbrötchen von Lutz Geißler, Deutschlands bestem und erfolgreichstem Autor von Brotbackbüchern oder Fleisch- und Fischgerichte anderer nationaler und internationaler Foodblogger. Ich habe die Shakshuka auf S. 38 und die Südtiroler Speckknödel mit Rindsgulasch auf S. 68 nachgekocht. Beide Gerichte sind geschmacklich sehr gut. Das Vorwort ist sehr informativ, der Schwierigkeitsgrad der Rezepte liegt im Durchschnitt, so dass sie auch in jeder Küche funktionieren und Hobbyköche daran nicht scheitern. Die Optik des Buches bekommt sehr gute Noten. Mit dem angenehm großen Format kann man in der Küche gut arbeiten. Die Zutatenlisten sind größtenteils nicht exotisch, da die meisten Zutaten in einer gut sortierten Hobbyküche vorhanden sind. Viele Gerichte sind alltagstauglich, andere, wie z.B. die Exzeptionelle Pasta aus Sardinien: Fregula sarda mit Frutti di mare auf S. 98 oder die Malloreddus mit geschmorter Lammschulter auf S. 76 etwas aufwendiger und anspruchsvoller. Ich finde, dass das Kochbuch gut gelungen ist. Es erhält in meiner Kochbuchbibliothek einen Platz in der vorderen Reihe. Ich werde es auf jeden Fall noch öfters zur Hand nehmen und auch die verschiedenen Blogs besuchen.

Bewertung vom 07.08.2021
Lillegraven, Ruth

Tiefer Fjord


ausgezeichnet

Selbstjustiz
Im Mittelpunkt von Ruth Lillegravens Debütroman „Tiefer Fjord“ stehen Clara und Haavard. Clara ist Juristin und arbeitet in einem Ministerium, Haavard ist Arzt in einer Kinderklinik in Oslo. Eines Tages wird ein kleiner Junge eingeliefert, der wenig später an den Folgen von Misshandlungen stirbt. Noch ehe die Polizei den Vater befragen kann, wird dieser im Gebetsraum des Krankenhauses mit einer Glock erschossen. Dann passieren kurz nacheinander zwei weitere Morde. Jedes Mal werden die Opfer mit derselben Waffe erschossen, und jedes Mal stehen sie im Zusammenhang mit Kindesmisshandlung, über die Haavard in der Klinik heimlich Daten gesammelt hat und die Clara durch einen von ihr erarbeiteten Gesetzesentwurf bekämpfen will. Trotz dieses gemeinsamen Anliegens funktioniert die Ehe nicht mehr. Die Partner sind einander entfremdet und haben Geheimnisse vor einander. Haavard betrügt seine Frau mit der Kollegin Sabiya, Clara hat ihrem Mann nie von den schrecklichen Ereignissen in ihrer Kindheit erzählt. Nach den Verbrechen wird Haavard für mehrere Tage verhaftet, so dass er für den dritten Mord ein Alibi hat. Da die ersten beiden Opfer einen Migrationshintergrund haben, ist die Polizei lange Zeit auf der falschen Fährte.

Erzählt wird in zahlreichen kurzen Kapiteln aus wechselnder Perspektive, vor allem der von Clara und Haavard, aber auch aus der Sicht der Kollegin Sabiya, des Pflegers Roger und von Leif, Claras Vater. Im Verlauf des Romans werden auch die wesentlichen Ereignisse aus der Vergangenheit erzählerisch nachgeholt, sodass wir nach der Hälfte des Romans wissen, wer diese Morde begangen hat und aus welchem Grund. Das macht die Geschichte für mich nicht weniger spannend. Mir gefällt die sorgfältige Charakterisierung der Figuren genauso wie die Auseinandersetzung der Autorin mit diesem wichtigen Thema. Ich habe den Roman gern gelesen und empfehle ihn ohne Einschränkung weiter.

Bewertung vom 07.08.2021
Wise, Spencer

Im Reich der Schuhe


gut

Mr. Younger Cohen wird erwachsen
In Spencer Wises Roman „Im Reich der Schuhe“ geht es um den Bostoner Juden Fedor Cohen und seinen 26jährigen Sohn Alex. Der Vater hat in der Vergangenheit schon überall in der Welt Geschäfte gemacht und betreibt aktuell eine Schuhfabrik im südchinesischen Foshan. Sein Sohn hält sich seit einem Jahr bei ihm auf und wird in die Geschäftsabläufe eingeführt, weil er irgendwann den Betrieb übernehmen soll. Der Senior macht ihn zum Partner, ohne ihm irgendwelche Entscheidungsbefugnisse zu übertragen. Der Vater ist sehr dominant und profitorientiert. Alex bekommt immer mehr Einblick in die Situation der Arbeiter, seit er eine Liebesbeziehung mit der Arbeiterin Ivy angefangen hat. Alex begreift schnell, dass er so nicht weitermachen wird, denn die Wanderarbeiter sind völlig rechtlos und werden gnadenlos ausgebeutet, wobei den Aufsehern jeder Vorwand recht ist, den geringen Lohn noch weiter zu kürzen. Es formiert sich erster Widerstand, und es ist von der Gründung einer Gewerkschaft die Rede. Fedor Cohen duldet Veränderungen genauso wenig wie die Staatsmacht, die jedes Anzeichen von Rebellion blutig niederschlägt. Ausländer können ohnehin in China nur Geschäfte machen, wenn sie die Obrigkeit mit Schmiergeldzahlungen bei Laune halten.
Sowohl das Porträt von China als Wirtschaftsmacht und als Staat, in dem Menschenrechte nicht gerade Priorität haben als auch der sich entwickelnde Konflikt zwischen Vater und Sohn sind ein interessantes Thema, aber insgesamt etwas langatmig dargestellt. Wird Alex sich dem Vater wie bisher unterordnen, oder gelingt es ihm, seinen eigenen Weg zu gehen? Hat seine Liebe zu Ivy unter diesen Bedingungen eine Chance? Wie gesagt, eine interessante Geschichte, aber nicht besonders spannend zu lesen.

Bewertung vom 07.07.2021
Tevis, Walter

Das Damengambit (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Aufstieg eines Schach-Wunderkinds
Im Mittelpunkt von Walter Tevis´ Roman steht Elizabeth Harmon, genannt Beth, die als 8jährige ihre Mutter bei einem Autounfall verliert. Sie wird im Methuen-Heim in Kentucky untergebracht, wo ein strenges Regiment herrscht. Die Kinder bekommen zweimal täglich Beruhigungspillen, um sie gefügig zu machen, was nicht nur bei Beth zu früher Medikamentenabhängigkeit führt. Eines Tages sieht sie im Kellergeschoss den Hausmeister Mr Shaibel an einem Schachbrett und lässt sich von ihm die Regeln erklären. Schon bald hat er gegen das Kind keine Chance mehr. Eines Tages wird Beth beim Diebstahl der geliebten grünen Pillen erwischt und für Jahre mit Schachspielverbot bestraft. Mit 12 Jahren wird sie vom Ehepaar Wheatley adoptiert. Sie lernt jedoch kein glückliches Familienleben im trauten Heim kennen, denn Mr Wheatley verlässt die Familie kurz darauf, und Geld ist knapp. Auch in der Schule wird Beth ausgegrenzt und gemobbt. Die Dinge bessern sich erst, als sie an Schachturnieren teilnimmt und siegt und ihre unglaubliche Begabung erkannt wird.
Der Autor beschreibt den Aufstieg dieses Wunderkinds gegen alle Widernisse gekonnt und sehr interessant. Schach in den 60ern ist eine reine Männerdomäne, und Beth muss sich Anerkennung und Ruhm dadurch erkämpfen, dass sie auch im Ausland bei internationalen Turnieren siegt. Es gibt Niederlagen und Rückschläge, mit verursacht durch Beths Alkoholismus und ihre Abhängigkeit von Tranquilizern beiträgt. Bis zu Mrs Wheatleys Tod wird das Verhältnis zwischen den Beiden jedoch immer enger, wozu auch die durch die Preisgelder verbesserte finanzielle Situation und die Reisen beitragen.
Mir hat der Roman sehr gut gefallen, obwohl ich vom Schachspielen keine Ahnung habe. Man verfolgt auch als schachunkundiger Leser gebannt die beschriebenen Partien und bewundert die Fähigkeit der Schachgenies, sich von Hunderten von Partien jeden einzelnen Zug zu merken und im Kopf nachzuspielen, eigene Partien nachträglich zu analysieren und nach Fehlern und alternativen Spielvarianten zu suchen. Ein beeindruckender Roman.

Bewertung vom 29.05.2021
Loidl, Matthias

Brot backen mit den Jahreszeiten


ausgezeichnet

Saisonale Zutaten nun auch beim Brot
„Brot backen mit den Jahreszeiten“ von Matthias Loidl ist im Ulmer Verlag erschienen. Das Brotbackbuch ist wie folgt aufgeteilt: Vorwort, Frühling, Sommer, Herbst, Winter, Fingerfood, Basics und Service. Es enthält 80 Rezepte. Es gibt zu jeder Jahreszeit die verschiedensten Möglichkeiten, die Brote mit saisonalen Zutaten aus dem Garten und der Natur zu backen. So kann man im Frühling u.a. ein Spargel-Erdbeer-Brot oder ein Bärlauchbrot, im Sommer Brombeerbrot mit Pistazien, im Herbst Selleriebrot mit Walnüssen und Birnen oder im Winter Sauerkrautbrot mit Purpurweizen backen. Es gibt im Abschnitt Basics noch ein Kochbuch im Backbuch. Hier erläutert der Autor u.a. die Herstellung von Ajvar oder Aromabutter, womit die selbstgebackenen Brote noch besser schmecken. Ich bin von dem Aufbau, der Gestaltung und den Rezepten begeistert. Die Rezepte sind sehr gut verständlich erklärt und aufgeteilt. Sie enthalten die Vorbereitungszeit, die Arbeitszeit am Vortag, die Arbeitszeit am Backtag, die Teiggare und die Backzeit. Mehr braucht es nach meiner Meinung nicht. Ein paar Vorkenntnisse werden für die Herstellung der Brote benötigt, so dass es für einen Anfänger etwas schwierig ist, hier gleich mit der Eigenproduktion zu beginnen. Ich backe meine Brote nur in einem gusseisernen Topf und erziele mit den Rezepten hervorragende Ergebnisse. Gebacken habe ich das Unterreiter Nussbrot mit Joghurt auf S. 105 und den Blütenlaib mit Mandeln und Pistazien auf S. 46. Auf jeden Fall werde ich noch viele weitere Brotrezepte ausprobieren. Das Buch ist eine unerlässliche Hilfe in meiner Küche geworden, und ich kann es uneingeschränkt weiterempfehlen.

Bewertung vom 16.05.2021
Dalton, Trent

Der Junge, der das Universum verschlang


sehr gut

Eine ungewöhnliche Kindheit
Die Geschichte um eine Familie in Darra, einem verarmten Arbeiterviertel von Brisbane, setzt etwa 1985 ein. Die Brüder Eli, 12 und August Bell, 13 leben mit ihrer Mutter im Haus des Stiefvaters Lyle unter sehr schwierigen Bedingungen. Lyle Orlik verdient seinen Lebensunterhalt als Heroinhändler, die Mutter ist drogenabhängig und hat den Vater, einen Alkoholiker, Jahre zuvor verlassen, nachdem dieser bei einem Autounfall absichtlich oder im Suff seine kleinen Söhne fast getötet hätte. Der beste Freund der Jungen ist der verurteilte Mörder Arthur „Slim“ Halliday, der durch mehrere Ausbrüche aus dem berüchtigten Boggo Road-Gefängnis berühmt geworden ist. Eines Tages rächt sich der örtliche Drogenboss an Lyle für eigenmächtige geschäftliche Aktivitäten, und die Mutter der Jungen kommt ins Gefängnis. Die Jungen leben deshalb einige Jahre bei ihrem Vater.
In diesem ganz besonderen Coming-Of-Age-Roman gibt es außer den ungewöhnlichen Protagonisten sehr viel Gewalt, auch häusliche Gewalt gegen Frauen, und eine Menge Grausamkeiten in teilweise übertrieben drastischen Szenen. Für den Leser ist es vor allem interessant zu sehen, welche Strategien die Jungen entwickeln, um diesen Sumpf zu überleben und unbeirrt ihre Ziele zu erreichen. Eli schafft den Sprung in eine Karriere als Journalist, indem er als Praktikant bei einer lokalen Zeitung erst anderen in untergeordneter Stellung zuarbeitet, dann den großzügigen Wohltäter der Gemeinde als das enttarnt, was er ist: ein grausames Monster an der Spitze des Drogenkartells. Es gibt aber nicht nur menschliche Abgründe in diesem Roman, sondern auch die erste Liebe Elis zu einer deutlich älteren Journalistin und seine enge Bindung an seinen sehr speziellen Bruder August, der ihn beschützt. Große Teile der Geschichte sind nicht erfunden, sondern entsprechen den Erlebnissen des Autors. Lediglich die etwas gewöhnungsbedürftigen mystischen Elemente um August, seine prophetische Vorausschau und seine kryptischen mit den Fingern in die Luft geschriebenen Botschaften sind nicht einer realistischen Darstellung verpflichtet.
Mir hat das Buch gut gefallen. Wenn man sich eingelesen hat, ist das eine sehr lohnende Geschichte vom anderen Ende der Welt.

Bewertung vom 16.05.2021
Fleischhauer, Wolfram

Die dritte Frau


ausgezeichnet

Von der Schwierigkeit, einen Roman zu schreiben
In Wolfram Fleischhauers neuem Roman steckt ein namenloser Autor in der Krise. Er hat eine unangenehme Scheidung hinter sich, kämpft mit finanziellen Problemen, und es mangelt ihm an Ideen für einen neuen Roman. Vor Jahren hat er den historischen Roman "Die Purpurlinie" veröffentlicht - wie der real existierende Autor Fleischhauer. Damals hatte ihn der Franzose Charles Balzac auf die miserable Qualität der französischen Übersetzung und zahlreiche sachliche Fehler in der Darstellung hingewiesen. Der Einladung, vor Ort Dokumente einzusehen, war der Autor damals nicht gefolgt. Jetzt möchte er dies nachholen und erhält Antwort von Camille Balzac, der Nichte des inzwischen verstorbenen Mannes.
Es geht in diesem Roman um ein berühmtes Gemälde im Louvre, das zwei Frauen beim Baden zeigt, Gabrielle d´Estrées und Henriette d´Entragues, eine Vorfahrin von Camille Balzac. Beide Frauen waren Geliebte des französischen Königs Henri IV. Um Königin zu werden, mussten sie dem König Kinder schenken. Es gab Komplikationen. Der König heiratete eine Medici.
Der Autor darf bei zwei Besuchen in Frankreich eine Reihe von Dokumenten einsehen, die auf tödliche Intrigen und Aktivitäten der Geheimdienste hinweisen. Zwischen ihm und Camille entwickelt sich eine komplizierte Beziehung aus Anziehung und Abstoßung. Es ist von Anfang an nicht zu übersehen, dass Camille ihre eigenen Ziele verfolgt, es auf eine ganz spezielle Zusammenarbeit mit dem Autor abgesehen hat.
"Die dritte Frau" zeichnet das Porträt einer Epoche - des beginnenden 17. Jahrhunderts -, handelt aber auch vom Schreiben selbst. Fleischhauer erscheint als namenloser Protagonist in seinem eigenen Roman. Wahrheit und Fiktion werden untrennbar vermischt. Ich habe das Buch sehr gern gelesen und empfehle es ohne Einschränkung weiter.

Bewertung vom 16.05.2021
Fanto, Judith

Viktor


sehr gut

Eine junge Frau auf der Suche nach den eigenen Wurzeln
Judith Fanto erzählt in ihrem Roman „Viktor“ eine Familiengeschichte, die an ihre eigene angelehnt ist. In Wien lebt 1914 die gutbürgerliche Familie Rosenbaum: Großeltern, Eltern und die Kinder Viktor, Felix und Laura. Zunächst geht es ihnen gut. Nur der unkonventionelle Viktor schlägt mit seinen vielen Frauengeschichten und nicht immer ganz legalen Geschäftsideen aus der Art. Dann ändern sich die Zeiten. Antisemitismus und Verfolgung nehmen zu, und viele Juden wandern aus, einige gerade noch rechtzeitig. Viktors Bruder mit Frau und Kind fliehen mit Hilfe der katholischen Kirche nach Holland. Auf der zweiten Zeitebene beginnt die junge Geertje in den 90er Jahren in Nimwegen ein Jurastudium. Sie macht ihren Eltern und ihrer Großmutter seit langem den Vorwurf, dass sie die jüdische Vergangenheit ihrer Familie leugnen und alle Ereignisse im Zusammenhang mit der Schoah totschweigen. Geertje nimmt den Namen Judith an, nimmt Kontakt zur jüdischen Gemeinde auf und will eventuell ein jüdisches Leben führen. Sie stellt Nachforschungen an, um das Schicksal ihrer Vorfahren aufzuklären. So erfährt der Leser kapitelweise wechselnd von der Vergangenheit und Gegenwart, wobei über die Gegenwart aus Judiths Perspektive berichtet wird.
Der Roman liest sich sehr gut. Er macht noch einmal deutlich, wie furchtbar die Naziverbrechen waren und wie schuldig sich die Überlebenden fühlten, weil sie das Grauen überlebt hatten. Keiner kommt jemals über dieses Trauma hinweg. Auch wenn man die geschichtlichen Daten und Fakten kennt, ist dies ein sehr empfehlenswertes Buch.

Bewertung vom 16.05.2021
McCreight, Kimberly

Eine perfekte Ehe


sehr gut

Wer war´s?
In Kimberly McCreights Roman „Eine perfekte Ehe“ bekommt die Anwältin Lizzie Kitsakis eines Tages einen Anruf von einem Bekannten, der sie bittet, ihn in einem Strafprozess zu vertreten. Lizzie hat Zach Grayson seit dem Studium nicht mehr gesehen und lehnt zunächst ab, weil sie auf Wirtschaftsrecht spezialisiert ist. Man verdächtigt Zach, seine Frau Amanda ermordet zu haben und hält ihn im Gefängnis Rikers Island fest – ohne die Möglichkeit, auf Kaution frei zu kommen. Lizzie übernimmt den Fall schließlich doch, weil sie Zach für unschuldig hält. Sie stellt eigene Nachforschungen an, weil für die Polizei der Schuldige zweifelsfrei feststeht. Der Leser entdeckt mit ihr nicht nur neue Spuren und andere Verdächtige, sondern erlebt auch Amandas letzte Tage vor der berüchtigten Party mit, nach der sie in ihrem Haus umgebracht wurde. Eine Gruppe von gutsituierten Eltern feiert bei einem Ehepaar einmal im Jahr eine ausgelassene Party, während ihre Kinder sich im Ferienlager aufhalten. Dort gibt es im Obergeschoss des Hauses Gelegenheit zum unverbindlichen Partnertausch. Außerdem findet Lizzie Amandas Tagebücher und erfährt so über so manche dunkle Seite in ihrem Leben, u.a. dass ein unbekannter Stalker sie ständig beobachtete und verfolgte, so dass Amanda unter Albträumen und Halluzinationen litt. Lizzie schaut auch hinter die Fassaden der anderen Ehen und muss feststellen, dass es überall Probleme gibt genauso wie in ihrer eigenen. Es ergibt sich ein verworrenes Bild mit mehreren Verdächtigen und zahlreichen falschen Fährten. Nichts ist, wie es scheint, und der Leser wartet gespannt auf die überraschende Auflösung.
Der Roman ist eine Mischung aus Justizdrama inklusive Vernehmungsprotokollen und Gerichtsverhandlungen und häuslichen Dramen vorwiegend in der Gesellschaftsschicht der Reichen und Schönen. Die Geschichte ist nicht uninteressant, konnte mich aber nicht durchweg fesseln.