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Desiree
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Wanne-Eickel

Bewertungen

Insgesamt 142 Bewertungen
Bewertung vom 09.10.2025
Bähr, Julia

Hustle


ausgezeichnet

Leonie zieht nach München und merkt schnell, dass sie mit ihrem neuen Job im Museum für diese Stadt nicht genug verdient, obwohl sie sich eine winzige, überteuerte Wohnung mit Silberfischen teilt. Als sich Geneviève trifft, verändert sich ihr Leben. Plötzlich hat sie Freundinnen, und alle haben ganz spezielle Nebenjobs, die nicht immer ganz legal sind. Also gründet Leonie Rache Inc.
„Hustle“ von Julia Bähr gehört zu den besten Büchern, die ich je gelesen habe. Es ist so witzig, dass ich unzählige Male laut gelacht und sogar einen regelrechten Lachflash bekommen habe. Ihr Humor ist wunderbar trocken und ich hätte Leonie und ihre Frauengruppe ewig weiterbegleiten können. Dabei verklärt sie mitnichten die teuerste Stadt Deutschlands, ganz im Gegenteil, sie nimmt die bayrische Hauptstadt, genauso aufs Korn wie den Ruhrpott.
Ich kann tatsächlich nicht benennen, was mir am besten gefallen hat, ob es der Witz war, die Sprache mit ihren gezielt gestreuten Metapher, der Zusammenhalt der Frauen, Leonie als Protagonistin, oder dass die romantische Liebe eher eine untergeordnete Rolle spielte. Julia Bähr vereint das und noch vieles mehr.
Sie hat mit „Hustle“ einen feinen, intelligenten Roman geschrieben, der genau den Zahn der Zeit trifft und einfach nur begeistern kann. Er ist leicht zu lesen und entwickelt schnell einen Sogcharakter, obwohl gar nicht so spektakuläre Dinge in Leonies Leben passieren und das ist eine hohe Kunst - das Alltägliche genau im richtigen Maße zu überspitzen, sodass es die entscheidende Prise Humor bekommt.
Am liebsten würde ich ihn gleich ein zweites Mal lesen, nur um zu schauen, ob man Kims Nebenjob, der mir Tränen in die Augen trieb, vorher erahnen kann und mir die vielen kleinen Bonbons noch mal auf der Zunge zergehen zu lassen.
Ein wunderbarer Roman, in dem man sich schnell verliert und aus dem man nur ungern wieder auftaucht.

Bewertung vom 09.10.2025
Kraus, Pia Franziska

THE WOODS


ausgezeichnet

So beeindruckend der Wald ist, so ist es auch „The Woods“.
Bereits der Einband macht einiges her und ist ein absoluter Hingucker, mit der wunderschönen Holzoptik und der Haptik. Man bekommt sofort Lust es aufzuschlagen, durchzublättern, die Fotos zu betrachten und sich in den Texten zu verlieren.
Es ist ein Buch, das man auf dem Tisch liegen hat und das man immer wieder zur Hand nimmt, das Besucher*innen magisch anzieht, weil es was besonderes ist. Aber es ist kein einfacher Bildband, sondern hält auch inhaltlich viel Wissenswertes über den Wald bereit. Über die Natur, die Kreisläufe und herrschenden Zyklen, aber auch die Beziehung zum Menschen, welche wechselseitige Bedeutung er hat und hatte, sowie wie diese sich verändert hat.
Abgerundet werden die Texte, mit wunderschönen Fotographien und ausgewählten Zitaten, die zum Verweilen einladen.
Ein wunderbare Lektüre für jede*n Waldliebhaber*in, in das man sich schnell verliert und die Zeit vergisst.

Bewertung vom 02.10.2025
Pustet, Julia

Alles ganz schlimm


ausgezeichnet

Susanne dreht sich in ihrem Leben nur um sich selbst und alles ist immer ganz schlimm. Ihre Kindheit ist schwierig, ihr Vater, ihr Bruder, ihre Freundinnen, ihre Beziehungen - alles verlangt zu viel von ihr. Und dann stiehlt die immer lügende Stella auch noch einen Text über eine prägende Zeit Susannes und gibt ihn als ihren aus. Alle glauben Stella, niemand Susanne und plötzlich steht sie allein da. Das bringt das Fass zum überlaufen.
„Alles ganz schlimm“ von Julia Pustet ist ein herausfordernder Roman und eine Lektüre, die viel verlangt. Als Erstes volle Konzentration und Aufmerksamkeit. Susannes Leben wird sehr verdichtet geschildert, sodass man regelrecht in einen Rausch gerät. Dabei verliert man sich aber mitnichten in der Sprache, dafür sind die Themen viel zu wichtig und schwerwiegen: Feminismus allem voran, aber auch Freundschaft und Familie; wie Traumata diese Beziehungen beeinflussen und wie sehr sie einen prägen.
Susanne als Protagonistin war mir nicht sympathisch, zu sehr kreiste sie um sich selbst. Oft habe ich ihr Verhalten nicht nachvollziehen, doch durchaus ihre Verzweiflung und den Schmerz nachfühlen können, den der Verlust ihrer eigenen Glaubwürdigkeit mit sich brachte. Manches war so schmerzhaft, dass ich in Etappen lesen musste.
Aber am meisten beeindruckt hat mich tatsächlich das sprachliche Talent von Julia Pustet. Ihre Direktheit, die Dichte, die präzisen Beobachtungen, die sie in passende Worte kleidet. Da kann man die ein oder andere Länge leicht verzeihen.
Nach dem Debüt bin ich gespannt, was noch folgen wird.

Bewertung vom 01.09.2025
Keßler, Verena

Gym


ausgezeichnet

Das Gym wirkt wie der perfekte Arbeitsplatz für die Protagonistin. Kein Leistungsdruck, feministischer Chef, nette Kolleginnen, wäre da nicht die kleine Notlüge, dass sie gerade entbunden und deswegen noch nicht ihren Body zurück hat. Schon bald rutscht sie in alte Muster und verliert sich zusehends in einer neuen Obsession, aber mit dem altbekannten Ehrgeiz.
„Gym“ von Verena Kessler ist eine psychologische Studie, verpackt in einen Roman, der unfassbar unterhaltend ist. Dass etwas mit der Protagonistin nicht stimmt, wird schnell klar, immer wieder fallen in Nebensätzen kleinen Anspielungen, die stutzig machen. Immer wieder windet sie sich gekonnt aus Situationen, die durch ihre Notlüge mit dem Baby, das sie ausgerechnet Ferhat wie ihren Chef genannt hat, entstanden sind. Sie scheint Spaß daran zu haben, die Menschen um sich an der Nase herumzuführen, als sei es ein Spiel. Bis es das plötzlich nicht mehr ist und ihr Körper und das Training in den Fokus rutschen. Etwas, was sie zwar meint zu kontrollieren, sich aber schon längst verselbstständigt hat.
Wie Verena Kessler es schafft, so viel in die kurzen Kapitel und knappen Dialoge zu packen, ist bemerkenswert. Mühelos lässt sie die namenlose Erzählerin vor dem inneren Auge entstehen und eine Verbindung zur Leserschaft knüpfen. Ich selbst hätte oft anders gehandelt, das machte aber ihr Verhalten nicht unplausibler. Und dass ihre Obsession irgendwann die Grenzen der Legalität sprengt, ist anfangs vielleicht nicht absehbar, doch nach dem ersten Teil wartete ich nur darauf, denn es war klar, dass das Ende knallen wird.
Verena Kessler ist eine großartige Erzählerin, die jeden noch so alltäglichen Ort in eine besondere Bühne verwandelt und darauf eine Protagonistin platziert, die sich nicht mehr ihrer Rolle verschreiben könnte.
Ein Buch, das mir noch lange in Erinnerung bleiben wird.

Bewertung vom 27.08.2025
Laabs, Laura

Adlergestell


ausgezeichnet

Kurz nach der Wiedervereinigung wird die Erzählerin eingeschult und nicht neben hre Freundin Lenka, sondern neben Charline gesetzt, was das Duo automatisch zu einem Trio macht. Zwischen Aufbruch, Hausaufgaben und Autobahndröhnen des nahen Adlergestells reizen sie die Grenzen der Freiheit aus.
„Adlergestell“ von Laura Laabs inhaltlich zusammenzufassen ist schwer. Es geht um die Vergangenheit, die nahe, aber auch ferne, und es geht um die Gegenwart; vor allem geht es um die vielen verschiedenen Leben, die sich in einer Reihenhaussiedlung bündeln. Es geht ums Kämpfen, ums Rebellieren, und um Freiheit.
Dabei folgen wir nicht nur dem Mädchentrio, sondern auch der erwachsenen Erzählerin. Außerdem kommen ausgewählte Bewohnerinnen der Siedlung zu Wort, unterbrochen von nostalgischer Fernsehwerbung. Das alles schafft eine ganz eigentümliche Stimmung, auf die man sich einlassen muss, was ich sehr gern getan habe. Und da ist eine Ahnung, dass da noch was kommen wird.
Laura Laabs verpasst nicht nur der Erzählerin ihre Eigenarten, auch Lenka und Charline stehen im Mittelpunkt, sowie die Dynamik der Freundinnen, die immer verehrende Ausmaße annimmt. Mit den anderen Figuren, die auch wenn sie nur kurz durchs Bild huschen, genug Fleisch bekommen, um im Gedächtnis zu bleiben, bindet sich ein bunter Strauß an besonderen Charakteren.
Verpackt ist es in eine grandiose Sprache, in Wortkombinationen, die mich aufhorchen ließen; Beobachtungen, die mich in meine Kindheit zurückversetzt haben. Man merkt, dass Laura Laabs vom Film kommt. Sie setzt optische Akzente und weiß, wie sie die Leserschaft bei Laune hält. Manchmal sah ich nur mit halbem Auge hin, wollte eigentlich nicht wissen, was für ein Abgrund sich da wieder im Bürgerlichen auftut. Sie beschönigt nichts, reißt aus der realen Welt, was sie zu packen bekommt und stopft es in den Roman, was es unglaublich authentisch macht und die Gegenwartsszenen an den Puls der Zeit setzt.
Ein Fundstück, dass unbedingt mehr Aufmerksamkeit bekommen sollte.

Bewertung vom 17.08.2025
Dröscher, Daniela

Junge Frau mit Katze


ausgezeichnet

Ela, aus "Lügen über meine Mutter" ist zurück. Für die inzwischen Frau, die frisch ihre Doktorarbeit abgeben hat, startet eine Odysse. Es beginnt mit Halsschmerzen und Ela verliert nun gänzlich das angeknackste Vertrauen in ihren Körper. Außerdem kann sie es sich gar nicht erlauben, krank zu sein. Sie muss bald ihre Doktorarbeit verteidigen, durch Umstände Japanisch lernen, arbeiten. Über allem schwebt ihre Mutter, wie ein schwarzer Schatten.
Natürlich musste ich "Junge Frau mit Katze" von Daniela Dröscher lesen, nachdem mir der Vorgänger so gut gefallen hat und schon mal vor weg: man kann diesen Roman auch unabhängig lesen oder zu erst. Wie damals bin ich wieder begeistert.
Sprachlich, stilisitisch ist es wieder grandios. Ich liebe Danila Dröschers Art zu schreiben, nahbar, ehrlich, authentisch, komplex, aber gleichzeitig leicht und mit Witz. Das ist auch wieder so, allerdings begrenzt auf Ela, ihren Körper und vor allem auf ihre rätselhaften Krankheiten. Mitunter wurde das herausfordernd.
Ausgesprochen gut gefallen hat mir die Kapitalismus- und Gesellschaftskritik, in die ein kranker Körper einfach nicht reinpasst. Es verdeutlicht, wie wichtig unserer Gesundheit ist und das Vertrauen in diese. Denn Ela hadert sehr, als das Misstrauen in die Medizin, die ihr nicht helfen kann, Überhand nimmt.
Die Mutter spielt augenscheinlich eine untergeordnete Rolle zu spielen, lauert aber immer im Hintergrund, mit ihrem eigenen Verhalten, das auf die Tochter abgefärbt hat und nicht einfach abzulegen ist. Ein wenig schimmert die Studie über Mutter-Tochterbeziehungen durch, allerdings ganz subtil.
Auch die schriftstellerischen Exkurse haben mir super gefallen.
Es ist also anders als "Die Lügen über meine Mutter", Hypohonder sollten es vielleicht mit vorsicht genießen, aber Daniela Dröscher Fans werden auf ihre Kosten kommen.
Nun ist natürlich klar, welches Buch von ihr als nächstes dran ist, nämlich das neu aufgelegte "Der falsche Japaner".

Bewertung vom 09.08.2025
Kuhn, Yuko

Onigiri


schlecht

Aki möchte mit ihrer Mutter, die an Demenz erkrankt ist, nach Japan reisen.
So steht es im Klappentext von Onigiri von Yoku Kuhn. Da ich nur bis Seite 71 gekommen bin und dann etwas entnervt abgebrochen haben, kann ich nicht sagen, wie die Reise verlaufen ist. Bis dahin war es eine schier endlose Aneinanderreihung von Erinnerungen und Beobachtungen von Aki, die meist völlig unzusammenhängend wirkten und die Reise hat noch nicht begonnen. Dies scheint auch der rote Faden zu sein, nur leider nicht eingebettet in einen Plot, der durchaus gegeben wäre, nämlich die Reise nach Japan, in die Vergangenheit der Mutter. Zunächst geht es nur um Aki und wie sie ihre Kindheit in Deutschland verbracht hat. Mal bei ihrer alleinerziehenden Mutter, mal bei ihren deutschen Großeltern. Irgendwann kommen auch Vater und Bruder vor, aber alles sprunghaft, oft gegenüberstellend, à la arm gegen wohlhabend. Gerade dieses hin und her Gehopse, fand ich sehr anstrengend und es hat mich nicht in die Geschichte finden lassen, sondern dazu verführt Passagen schon früh querzulesen.
Mit diesen 71 Seiten habe ich mehr als ein Drittel gelesen und da sollte, meiner Meinung nach, schon mehr passiert sein. Ich verstehe, dass man ein Setting entwerfen und eine Atmosphäre schaffen möchte, aber das kann man durchaus im Voranschreiten der Geschichte, aber vielleicht habe ich auch das Konzept des Romans nicht verstanden, oder es war einfach nicht meins.
Mich sprechen durchaus unaufgeregte Romane an, dann muss es aber sprachlich, also stilistisch abliefern. Doch auch hier hat es mich nicht beeindruckt. Es wirkt wie ein nüchterner, sehr detailreicher Bericht, der keine Emotionen bei mir weckte.
Ich finde es schade, dass der Roman mich nicht abholen konnte. Vielleicht habe ich auch was anderes erwartet. Als Migrantenkind spiegelt es in mancherlei Hinsicht meine eigenen Erinnerungen und Erfahrungen wider; Japan und dessen Literatur habe ich in den letzten Jahren liebe gelernt, aber „Onigiri“ hat mich leider enttäuscht.

Bewertung vom 05.08.2025
Rytisalo, Minna

Zwischen zwei Leben


ausgezeichnet

Jenni verlässt ihren Mann, der nicht mal schafft, die Zahnbürste seiner Affäre wegzuräumen, und damit ihr altes Leben. Eigentlich hielten nur die beiden gemeinsamen Kinder, die Gewohnheit, aber vor allem alte Glaubenssätze Jenni in dieser Vernunftehe. Nun wird sie zu Jenny Hill und tritt den steinigen Weg der Selbstfindung an, zwar mit Unterstützung von emanzipierten Märchenprinzessinnen, aber ohne esoterischen Firlefanz.
„Zwischen zwei Leben“ von Minna Rytisalo hat mich überrascht. Ich hatte einen klassischen Selbstfindungsroman einer Frischgetrennten erwartet und habe etwas aufgeschlagen, was ich nicht so recht benennen kann. Es ist feministisch und kämpferisch, aber auch zart und liebevoll. Durch die weiblichen Märchenfiguren, die wir alle kennen, bekommt es eine ganz besondere Note, denn diese Frauen, die als Paradebeispiel des Weiblichen herhalten müssen und uns geprägt haben, erzählen ihre Geschichten ganz anders. Und sie flüstern Jenny ins Ohr, welchen Lügen sie aufgesessen ist und damit auch uns. Was ich einen äußerst geschickt finde, denn so kam auch ich ganz automatisch ins Grübeln.
Gerade die letztes 100 Seiten, die ich in einem Rutsch verschlungen habe, fand ich lesetechnisch besonders spannend, weil ich immer wieder das Gefühl hatte, dass hier das perfekte Ende wäre. Alle Fragen sind beantwortet und Jennys Verwandlung vollzogen. Doch das war nicht das Ende, und was danach kam, passte genau dorthin und das immer wieder. Ich kann mich nicht erinnern, so etwas schon mal gelesen zu haben.
Zudem hat es mir sprachlich richtig gut gefallen. Minna Rytisalo hat eine feine Sprache, leicht und doch komplex. Da muss ich tatsächlich den Übersetzer loben, wobei ich mich wie so oft frage, warum nicht eine Übersetzerin bei einer Autorin zum Zug kommt.
Ein toller Roman für alle, die dem internalisierten Frauenbild und der vorherrschenden Misogynie den Spiegel vorhalten wollen.

Bewertung vom 04.08.2025
June, Joana

Bestie


ausgezeichnet

Um bei Content Creatorin Anouk einzuziehen, wird Delia zu Lilly. Doch das alte Leben abzustreifen, ist nicht so leicht wie gedacht. Immer wieder rutscht sie ab und fällt in alte Unsicherheiten zurück, fühlt sie neben der perfekten Anouk erst recht minderwertig. Dass Anouks Leben nicht so schillernd ist, ahnt niemand, zu gut kann Anouk das verbergen, auch wenn das einen hohen Preis hat.
„Bestie“ von Joana June gehört definitiv zu meinen Jahreshighlights! Von Seite Eins hat mich ihr Debüt in den Bann gezogen. Nicht nur ist es sprachlich herausragend - so viele tolle Bilder und kluge Sätze habe ich mir angestrichen. Es ist auch szenisch, atmosphärisch und ich bin komplett ein- und erst mit dem Zuklappen des Buches wieder aufgetaucht. Selten habe ich eine so extreme Sogwirkung erlebt.
Das liegt vor allem an den beiden Protagonistinnen. Delia, die sich als Lilly neu erfinden will, schwankt auf ihrem wackeligen Lügenkonstrukt. Anouk hingegen hält sich selbst und ihre Außenwirkung im eisernen Griff. Beide sind so unterschiedlich und doch gleichermaßen verloren; mit beiden konnte ich mich in gewisser Weise identifizieren, auch wenn sie jünger sind als ich.
Und als wenn das noch nicht für ein grandioses Leseerlebnis ausreichen würde, enttarnt Joana June den Glanz von Social Media, ehrt Theater und Literatur und das Schreiben an sich, stellt Frauen in den Vordergrund, ohne ganz auf Männer zu verzichten, und finden gerade da eine wunderbare Balance.
Ich wollte diese Romanwelt nicht verlassen. Zu sehr sind Delia/Lilly und Anouk mir ans Herz gewachsen und für mich hätte es auch noch weitergehen können, denn das Ende kam nicht plötzlich, aber schnell. Zwar wurden alle wichtigen Fragen beantwortet, manche Ebenen hätten jedoch noch weitererzählt werden können (und das von einer, die offene Enden liebt).
Aber so hat Joana June hoffentlich bald Zeit, sich einem neuen Romanprojekt zu widmen und ich weiß jetzt schon, dass ich es lesen werde.

Bewertung vom 30.07.2025
Hausmann, Romy

Himmelerdenblau


ausgezeichnet

Als sich Julies Verschwinden zum zwanzigsten Mal jährt, beschließt der Podcast Two Crime, aus dem Fall eine Reportage zu machen. Liv stürzt sich in die Recherche und kontaktiert Julies Vater Theo, der inzwischen an Demenz erkrankt ist. Früher war er Direktor an der Charité, heute haust er verarmt in einer kleinen Wohnung und hat nur noch seine Tochter Sophia, Julies jüngere Schwester. Mit Livs Hilfe hofft er, Julie endlich zu finden und sie nach Hause zu bringen. Und wieder gerät Julies Ex-Freund Daniel in den Fokus.
Romy Hausmann verbindet in „Himmelerdenblau“ True Crime Podcast und Demenz auf erstaunliche Weise. Gerade die Abschnitte aus Theos Perspektive sind herzzerreißen. Wie dieser intelligente, früher so erfolgreiche Mann um Worte ringt, sie verdreht, immer wieder nach Erinnerungen sucht und in solche fällt, die er nicht gebrauchen kann, schmerzt sehr. Sophia bekommt seine Wut, seinen Frust ab und will die Vergangenheit doch einfach nur ruhen lassen. Auch Daniel würde das am liebsten, aber die Rolle des Hauptverdächtigen wird er nicht los.
Gekonnt wechselt Romy Hausmann zwischen den Figuren, gibt jeder ihre eigene Stimme und steigert die Spannung bis zum Zerbersten. Dazu noch das Zwischenmenschliche, die Vater-Tochter-Beziehung und die Freundschaft zwischen Liv und Theo, welche dem Buch noch eine weitere Dimension verleiht. Ich rauschte durch die Seiten, bis kurz vorm Ende, da schlichen sich ein paar Längen ein, aber das sei der ausgiebigen Auflösung verziehen.
Es bleibt ein Thriller, der einer Krankheit, endlich die Bühne gibt, die sie benötigt, weil sie so viele Menschen betrifft, nicht nur als Erkrankte, sondern auch als Angehörige. Und so mancher True Crime Podcast sollte sich ein Beispiel an ihren Skripten nehmen, denn so soll ein Podcast sein. Ich bin gespannt, wie der begleitende Podcast von Romy und Mark Benecke sein wird, denn natürlich werde ich den auch hören. Und jeden weiteren Thriller aus ihrer Feder lesen.