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Ikatzhorse2005

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Insgesamt 16 Bewertungen
Bewertung vom 07.09.2025
Biedermann, Nelio

Lázár


ausgezeichnet

Lazar von Nelio Biedermann
Er saß dort, das schneeweiße Hemd mit rotbrauner Sauce bespritzt, an der Stelle des Herzens das Stück Rindfleisch, und konnte nicht sagen, wer dieses Kind war. Zwar wusste der Baron, dass es für sein Leben von Bedeutung war, aber weshalb fiel ihm nicht ein. So, jeder voreingenommenen Betrachtung enthoben, sah er Lajos zum ersten Mal, wie er wirklich war: blondhaarig, blauäugig, quallenhäutig.
Da fiel es ihm wieder ein: Das sollte sein Sohn sein. Dabei glich er ihm kein bisschen.
„Bist du dir sicher, dass das Kind von mir ist?“, fragte er spaßeshalber und gleichzeitig erkennend, dass er sich vor der Antwort fürchtete. S.18/19

In seinem 2. Roman erzählt der junge Autor Nelio Biedermann eine Familiengeschichte über mehrere Generationen. Diese ist inspiriert vom Schicksal seiner Anverwandten, einer ungarischen Adelsfamilie. Der Autor beschreibt die Blüte bis zum Niedergang des Adelsgeschlechts im zeitlichen Kontext zur historischen Geschichte des letzten Jahrhunderts. Beginnend kurz vorm Ausbruch des ersten Weltkrieges erstreckt sich die Erzählung bis in die 1950iger Jahre. Drei Generationen führen durch diesen sprachgewandten, anspruchsvollen Roman, den ich sehr gern gelesen habe. Seine sprachliche Exzentrizität lässt eindrucksvolle Bilder entstehen. Gerade die Landschaftsbeschreibungen und detailreichen Charakterzeichnungen sind äußerst gelungen, die Emotionalität bestechend. Nelio Biedermann haucht jeder seiner Figur eine absolute Intensität ein. Dabei entwirft er so unterschiedliche Wesenszüge, die der Geschichte Lebendigkeit bescheinigt.
Die erkenntliche Präzision der beschriebenen historischen Details lässt eine hervorragende Recherchearbeit vermuten. Bis ins Kleinste verliert er sich in Genauigkeit.
Das eindrückliche Cover finde ich besonders gelungend und passend. Ungarn ist seinerseit eine Pferdenation und das Pferd spielt traditionell eine wichtige Rolle in der Kutur und Geschichte des Landes. Die Pferdezucht in den Gestüten des Landes ist aus heutiger Sicht nicht wegzudenken. Des Weiteren verweist das Cover vielleicht auf eine Episode der Baronin Maria mit dem Pferdeknecht Pal, der dieselben wasserblauen Augen wie Lajos besitzt.

Fazit: Mit seinem vorliegenden Roman hat der Autor ein Stück Zeitgeschichte Ungarns und Europas eingefangen. Mit verschiedenen stilistischen Mitteln und literarischen Besonderheiten ist hier ein eindrücklicher Text entstanden. Ich hatte zu keiner Zeit das Gefühl mich in seinen Worten zu verlieren oder zu verfahren, sondern fand das Geschriebene niveauvoll und gleichzeitig delikat. Ich hoffe zukünftig noch weitere Romane von Nelio Biedermann lesen zu dürfen!

Bewertung vom 07.09.2025
Flitner, Bettina

Meine Mutter


ausgezeichnet

Meine Mutter ein Roman von Bettina Flitner
Sie ist es immer geblieben: Dieses zerbrechliche Mädchen, um das man sich kümmern musste. Die schmale Gestalt, die im Gegenlicht am Fenster stand und ins Nichts schaute. Und plötzlich, mit einem Male, war sie dann wieder fröhlich, zu fröhlich. Zu wenig oder zu viel. Manchmal fast gleichzeitig. S.121
Dieser Roman beschreibt die Spurensuche einer Tochter und das Versöhnen mit der Mutter. Dabei beleuchtet die Autorin ihre eigene Familiengeschichte unter dem Aspekt von äußeren Einflüssen und geschichtlichen Gegebenheiten. Mit nüchternen und gleichzeitig eindringlichen, aufwühlenden Worten, gespickt mit sarkastischen sowie schwarzhumorigen Elementen berichtet Bettina Flitner von Gilas Schicksal, aus ihrem Leben mit ihren depressiven Stimmungen und letztendlich dem Suizid. Hierbei überschneiden sich tatsächliche Ereignisse und fiktionale Beschreibungen.
Die Mutter wächst behütet im heitige Polen auf. Dabei entsteht ein lebhaftes Bild der damaligen Zeit. Infolge der geschichtlichen Gegebenheiten flieht die Familie 1946 mit dem 9jährigen Mädchen aus Schlesien nach Celle. Es folgt, gezwungenermaßen, ein komplett anderes Leben. Diese Nachlast und Traumata wirken auf nachfolgenede Generationen. Eine Annäherung an dieses sensible Thema ist der Autorin gelungen. Anhand von Fotos, Erzählungen, Gesprächen, Dokumenten und das Aufsuchen der Orte ihrer Lieben versucht Bettina Flitner das Geschehene zu verstehen und zu verarbeiten. Ihre klare Sprache springt in der Zeit und versucht das Unfassbare zu begreifen. Eine Familiengeschichte und Vergangenheitsbewältigung, die sich sehr gut lesen lässt und noch lange zum Nachdenken anregt.

Fazit: Das vorliegende Buch ist eine Aufarbeitung der tragischen wiederkehrenden Selbsttötung innerhalb der Familie. So knüpft dieser Roman an „Meine Schwester“ an. Beide Erzählungen gehören zusammen und stehen doch für sich selbst.
Des Weiteren befasst sich die Autorin mit historischen Themen des 2. Weltkriegs und der Vertreibung.
Ich wollte diese Geschichte so gern lesen, da auch Teile meiner Familie in Ostpreußen und Schlesien verwurzelt sind. Und ich habe es nicht bereut, mich auf diese intelligente, anspruchsvolle, ehrliche, harte und gleichzeitig einfühlsame Erzählung eingelassen zu haben.

Bewertung vom 07.09.2025
Dorweiler, Ralf H.

Das Lied des Vogelhändlers


ausgezeichnet

Das Lied des Vogelhändlers von Ralf H. Dorweiler
„Das ist also die Kunst der Dichter“, bemerkte Wigbert. „Ihr denkt euch ein Lied aus, das eine Geschichte erzählt, die aber noch mehr bedeutet.“
„Gute Dichtung tut das, Vogelhändler. Aber es gibt auch einfache Lieder, die man so verstehen kann, wie sie geschrieben sind. Manchmal sind das gar die schwierigeren.“
„Wird man Euch auf Burg Hachberg mit eigenen Dichtungen hören?“
„Wenn man mich dazu auffordert, tue ich das gern“, sagte Walther. S.78/79
Der historische Abenteuerroman deckt zwei Zeitebenen ab. Beginnend im Jahr 1200 befinden sich der Vogelhändler Wigbert und sein Mündel Almut auf dem Weg zur Burg Hachenberg. Die Söhne von Herman IV., Markgraf von Baden richten ein Turnier auf der Burg aus. Unter den geladenen Gästen befinden sich Anhänger des Gegenkönigs Otto IV. und ein intrigantes Spiel läuft im Hintergrund ab.Der Minnesänger Walther von der Vogelweide, als Gesandter König Philipps, kreuzt den Weg des Vogelhändlers und der Vogelsprache mächtigten Almut. Sie erklimmen zusammen das letzte Stück des Wegs zum gemeinsamen Ziel.
Im zweiten Erzählstrang entführt uns der Autor ins Jahr 1190 ins Heilige Land. Ein Kreuzzug unter Barbarossa zieht gen Osten. Franziska von Hellenau sowie eine handvoll Nonnen zu Kloster Bingen reisen mit ihnen. Hier entspinnen sich neben dem Kriegsgetümmel eine Intrige und eine Liebesgeschichte mit Folgen, die ihren Höhepunkt im Jahr 1200 im Markgräflichen Hof auf Burg Hachenstein findet.
Diese lebendig geschriebene Geschichte hat mir außerordentlich lesenswerte Stunden beschert. Der Autor schreibt in gewöhnt lebhafter und anschaulicher, der Zeit entsprechender Sprache. Das ist wohl einer gelungenen Recherche und Ortskenntnis geschuldet. Wie gewohnt aus den Romanen des Autors entdeckt man die damaligen Tätigkeitsfelder neu und kann dabei den Standesdünkel wunderbar einordnen.
Des Weiteren lebt die Erzählung aus der Mischung historischer und fiktiver Personen. Besonders Franziska ist mir ans Herz gewachsen sowie Wigbert mit seiner besonnen Art. Zur Einornung der jeweiligen Handlung der historischen Persönlichkeiten sowie zum Nachschlagen steht ein Personenregister zum Anfang des Buches zur Verfügung.
Besonders gut gefallen haben mir die einleitenden Kapitelüberschriften mit Zitaten und historischen Worten. Dabei nimmt Ralf H. Dorweiler passend bezug auf die gefiederten Tiere. Jeweils ein Vogel steht im Mittelpunkt und bekommt im laufenden Text eine entsprechende Rolle. Auch hier lernt man Neues hinzu.
Das Nachwort mit interssanten Fakten rundet diesen Roman ab.
Fazit: Eine spannende Geschichte! Wie schon in vorangegangenen Romanen vernetzt der Autor historische Handwerke und tatsächliche Persönlichkeiten in seiner Erzählung. Der vorliegende Roman ist eine gekonnte Mischung aus Historie, Krimi, Abenteuer und Liebesgeschichte. Unbedingt empfehlenswert!

Bewertung vom 27.07.2025
Hausmann, Romy

Himmelerdenblau


ausgezeichnet

Himmelerdenblau von Romy Hausmann (Penguin Verlag)
„Ich möchte Liv Keller auch von ihr erzählen, von Julie, von Julie ganz besonders. Ich möchte, dass aus den Sätzen, die sie in ihrem Potcast über sie formuliert hat, aus der Figur in ihrem Transkript, ein Mensch wird. Ich will, dass sie ihr Lachen hört, als wäre es echt, als stünde Julie direkt neben ihr. ...“ S. 75
Seit 20 Jahren ist Julie spurlos verschwunden. Als neue Spuren im Zuge eines Potcasts über sie auftauchen, beginnt ihr Vater Theo erneut nach seiner Tochter zu suchen. Zusammen mit Liv, die den Potcast mit ihrem Partner Phil leitet, ermitteln beide auf eigene Faust. Das gestaltet sich, durch Theos Krankheit, seine Vergesslichkeit und die daraus resultierenden spontanen Aktionen, oft schwierig. Geduld ist gefragt, bei Theo mit sich selbst und allen anderen, die mit ihm zusammen sind.
Doch die Suche wühlt alte Wunden wieder auf und setzt eine fatale Kettenreaktion in Gang. Denn nicht Julie allein ist das Opfer in diesem Roman von Romy Hausmann.
Die unterschiedlichen Protagonisten kämpfen mit mentalen und körperlichen Dämonen. Theos beginnende Demenz und das Vergessen treiben ihn an. Er weiss, dass ihm die Zeit davonläuft. Mit Theo hat die Autorin einen Akt des Verstehens geschaffen. Sie beschreibt diese Krankheit aus Theos Sicht so eindringlich, gefühlvoll, lebendig und verständlich, dass man nicht anders kann, als zu begreifen, was im Kopf ihres Protagonisten passiert. Alle Emotionen werden bedient und man fühlt einfach mit ihm. Theo Novak ist der traurige und doch hoffnungsvolle Star in Himmelerdenblau. Mit dieser einzigartigen Erzählkunst ist ihr ein großes Meisterstück gelungen.
Auch Sophia, Julies Schwester ist nie über den Verlust und das plötzliche Verschwinden ihrer Schwerster hinweggekommen. Und ebenso Liv schleppt ein großes Päckchen aus ihrer Kinder-und Jugendzeit mit sich herum. Die jeweils daraus resultierenden Folgen sind unterschwellig präsent und treten in getriggerten Situationen ans Tageslicht.
Mit dem Einbeziehen des Potcasts werden die Vor- und Nachteile dieses Formats und der Berichterstattung aufgezeigt. Schlimm, was schonungsloser Journalismus anrichten kann. Liv hinterfragt die ein odere andere Sequenz ihrer Arbeit und beginnt sich zunehmend in die Opfer sowie deren mutmaßliche Täter und die Angehörigen hineinzuversetzen. Sie ist eine absolut liebenswerte Protagonistin.
Durch den fesselnden Schreibstil versteht es die Autorin, mich als Leser zum Mitfiebern anzuregen und legt die ein oder andere falsche Fährte. Dies erhöht die Spannung und hält das Niveau auf einen anspruchsvollen Level. Da aus der Sichtweise der einzelnen Protagonisten erzählt wird, kann man sich intensiv in die jeweilige Figur hineinversetzen.
Fazit: Dieser Thriller musste erzählt werden und lag der Autorin mit Sicherheit sehr am Herzen. Überhaupt die Wahl des Titels, verflochten in der Geschichte, perfekt! Und am Ende eine leichte Enttäuschung, ich musste darüber nachdenken. Doch keineswegs, denn beim genaueren Betrachten könnte es so gewesen sein, erschreckend, eindeutig mit Spielraum für eigene Interpretationen.
Ich habe einen gelungenen Roman über die Folgen von fatalen Fehlentscheidungen, den Zusammenhalt und die Abgründe einer Familie sowie den Versuch gegen das Vergessen anzukämpfen gelesen. Danke Romy für dieses tolle Buch!

Bewertung vom 30.06.2025
Sauer, Anne

Im Leben nebenan


ausgezeichnet

Im Leben nebenan ein Roman von Anne Sauer (dtv)
Was wäre wenn? Was wäre wenn, wenn es ein Leben parallel zum jetzigen eigenen gäbe? Toni: ihr Freund Jakob, eine kleine Wohnung, Workaholic, ohne Kind und Antonia: Ehemann Adam, ein Haus mit großer Küche, angrenzender Schwiegermutter und einem Kind. Zwei Entwürfe, die beide Male ihren Tribut zollen, körperlich, mental und gesellschaftlich. Welche Zweifel, Schwierigkeiten und Sehnsüchte entwickeln sich, wenn man im gewählten Lebensentwurf feststeckt. Kann man diesen revidieren, möchte man das und wenn ja, mit welchen Vorurteilen und Rollendenken hat man zu kämpfen? Kann man in eine selbstgewählte Rolle hineinwachsen? Welche Erwartungen müssen dabei erfüllt, welche Klischees bedient werden und wo bleiben, in diesem Fall, Antonia und Toni selbst?
Der Roman stellt sich auf die weibliche Seite, wertfrei, rein betrachtend und berauschend direkt erzählt.
Antonia schließt die Augen, atmet tief ein und wieder aus. Tief ein. Und aus. Wird ruhiger. Ist schon wieder und immer noch ganz am Anfang, als sie sich zu dem Baby nach unten beugt und flüstert: „Was machen wir den jetzt mit dieser Scheiße hier?“ Und von allen Dingen, die sie an diesem Tag für unwahr gehalten hat, gehört das kleine Babylächeln, das sich jetzt vor ihr ausbreitet, nicht dazu. Antonia lächelt hilflos zurück, kann gar nicht anders, außer über die rosa Zungenspitze zu schmunzeln, die ihr Hanna frech entgegenstreckt. S.69
Als sie hört, dass der Zug einfährt, löst sie sich von der Liste auf dem Bildschirm. Hat noch den Satz im Ohr, der vorhin fiel, leichtfertig in die Runde geworfen, gerichtet an niemand Bestimmtes: „Du wirst es sonst bereuen.“ Kinder zu bekommen, fragte sich Toni, oder keine bekommen zu wollen? S.167
Anne Sauer hat mich mit den Gedanken und Gefühlen der Protagonistin tief bewegt und zum Nachdenken gebracht. In ihrer sensiblen und gleichzeitig drastischen Sprache hat sie mich emotional gefesselt und direkt erreichen können.
Fazit. Ein Roman, der bewegt und nachhaltig in Erinnerung bleibt! Eine klare Leseempfehlung für diese herausragende Idee und gelungene Umsetzung.

Bewertung vom 09.06.2025
Atkinson, Kate

Nacht über Soho


ausgezeichnet

Nacht über Soho von Kate Atkinson (DuMont Verlag)
Um in den Amethyst zu gelangen, musste man als Erstes zwischen den beiden Granitobelisken von Türstehern vorbei, zwei ehemaligen gnadenlosen Straßenkämpfern, die stolz darauf waren, Nellies Wachhunde zu sein.
„Jungs“, sagte sie und nickte ihnen zu.
Sie verzogen kaum eine teilnahmslose Miene, um sie zu begrüßen, auch wenn sich in ihnen ein Gemeinschaftsgefühl regte. Beide waren mehrmals im Gefängnis gewesen. Nellie war jetzt eine von ihnen. S.184
Vorhang auf für Nellie Coker und ihren Clan. Auf der Showbühne von Kate Atkinsons Roman über das Londoner Nachtleben der 20iger Jahre tummeln sich eine Vielzahl von interessanten Charakteren. Hier besticht Kate Atkinson mit ihrem Talent der ausgezeichneten Figurenbeschreibung. Trotz der zahlreichen Protagonisten verliert man nie den Überblick, da die Autorin durch einen kalkulierten, strukturierten und bestechend bildhaften Schreibstil brilliert.
Die knallharte Geschäftsfrau Nellie, die ihre Inspiration der realen Nachtclub-Königin Kate Meyerick zu verdanken hat, ist die Drahtzieherin ihres erschaffenen Imperiums. Das Setting des Sohoer Nachtlebens und der illustren Clubgesellschaft beschreibt die Autorin in schillernden Farben. Neben den Reichen, Mächtigen, Korrupten und kriminellen Banden tummeln sich die leichten Mädchen und Nellies sechs Kinder, die zum Missfallen ihrer Mutter ihre eigenen Wünsche und Ziele verfolgen. In diesem Pfuhl ermittelt der engagierte Detective Chief Inspector John Frobisher. Sein Ziel; schwarze Schafe ausfindig zu machen und tief im Sumpf des Coker-Clans zu rühren. Er will das Kartenhaus der Cokers zum Einsturtz bringen. Mehr noch interessieren ihn die verschwundenen Mädchen, die sich im Sohoher Nachtleben in Luft aufzulösen scheinen. Aus diesem Grund schleust er Gwendolen Kelling, eine Bibliothekarin in einen von Nellies Nachtclub ein. Ihre Intention ist die Suche nach der verschwundenen Schwester ihrer Freundin. Hieraus entwickelt sich ein Kriminalfall, da einige der vemissten Mädchen bald leblos aus dem Wasser gefischt werden.
Fazit: Die britische Schriftstellerin schreibt ein Gemisch aus Gesellschaftsroman, Familiengeschichte und historischem Krimi. Sie beschert uns hervorragenede Lesestunden mit dem vorliegenden fesselndem Theater. Mit einem unaufgeregten Charme erzählt sie diese Geschichte spannend und mit einer feinen Ironie, für mich eine Mischung, die begeistert!

Bewertung vom 02.06.2025
Berkel, Christian

Sputnik


ausgezeichnet

Sputnik von Christian Berkel (Ullstein Verlag)
Ein Foto von meinem Gehirn. Das wäre schon etwas anderes als der Milchzahn, mit dem sich Martin letzte Woche produziert hatte. Das war ein Mutterwort. „Produzier dich nicht so“, sagte sie immer, wenn ich Dinge etwas zu ausführlich schilderte. Sie erklärte mir, dass so etwas nur Angeber täten – besser wäre es, man übe sich in Bescheidenheit. Angeber fielen zwar auf, aber niemand erinnerte sich gerne an sie. „Und wir wollen doch nicht, dass man dich vergisst.“ Nein, das wollte ich nicht. Vergessen werden war das Schlimmste, was einem passieren konnte, schlimmer als der Tod, aber daran wollte ich jetzt nicht denken. Ich hatte noch alle Milchzähne und war von Martins Geschichte ziemlich beeindruckt gewesen. S.36
Dieses Mal steht Christian Berkel selbst auf der Bühne des Lebens. Er erzählt seine Geschichte. Und diese ist leichte und gleichzeitig schwere Kost, poetisch und alltäglich einfach, ergreifend und lustig delikat. Sein Schreibstil ist wunderbar. Ich mag seine klaren Sätze und die zahlreichen anschaulichen Anekdoten. An manchen Stellen erfasst mich eine Gänsehaut, die sich langsam über den Körper zieht, bis das letzte Wort im Bewusstsein angekommen ist. Genau so streift er privaten Themen oberflächlich und für den Leser gerade noch erträglich. Alte Bekannte aus „Der Apfelbaum“ und „Ada“ bereichern die Episoden und komplettieren diese angenehme Zeitreise.
Das Cover mit dem jungen Berkel reiht sich passend und prägend neben den zwei vorangegangenen Romanen ein.
Fazit: Mir hat dieses Werk unheimlich gut gefallen. Christian Berkel bleibt sich treu und vervollständigt mit „Sputnik“ seine Familen-Trioligie in gewöhnt angenehmen Stil. Einfach wunderbar und empfehlenswert!

Bewertung vom 21.04.2025
Hope, Anna

Wo wir uns treffen


sehr gut

Wo wir uns treffen von Anna Hope (Hanser)
„Okay“, sagte sie. „Gut. Gedankenexperiment beendet. Danke, aber nein danke. Niemals. Das wäre eine Pflichtverletzung.“
„Wem gegenüber?“
„Meinen Vorfahren gegenüber. Allen Brookes, die vor mir kamen, gegenüber. Meinem Vater gegenüber. Er hat noch nicht mal ein Grab, in dem er sich umdrehen könnte.“
„Natürlich.“ Simon lehnte sich nach vorn. „Aber angesichts der Kombination aus finanzieller Vernachlässigung vonseiten deines Vaters und – ich bin jetzt ehrlich – seitens sturer Weigerung, die Möglichkeit seines eigenen Ablebens in Betracht zu ziehen, bis es zu spät war, wirst du einige harte Entscheidungen treffen müssen, Fran, wenn du willst, dass das hier in privatem Besitz bleibt. Hätte er das Haus vor sieben Jahren auf dich überschrieben und wäre er damals in das Cottage gezogen, müssten wir uns jetzt um keinen Penny Gedanken machen.“ S.72/73
Familienoberhaupt Philip Brooke stirbt und hinterlässt ein riesiges Anwesen mit uraltem Baumbestand, Ländereien, Wild-und Tierbestand. Zur Beerdigung treffen sich die drei Geschwister Frannie, Milo und Isa. Frannie, die Haupterbin lebt von jeher auf dem malerischen Landgut im südlichen Sussex und hat vor Jahren die Führung und Verantwortung für das Familienanwesen übernommen. Sie möchte mit ihrer Tochter Rowan hier bleiben, die Landschaft renaturieren und ein gutes Leben führen. Sie stellt sich der historischen Verantwortung und möchte ihrer Familientradition gerecht werden. Im Gegensatz dazu stehen die beiden anderen Geschwister. Ihr Bruder Milo möchte die Ländereien für den Bau eines Therapiezentrums, eine Art Klinik, nutzen. Die Jüngste Schwester Isa ist mit sich selbst beschäftigt und eckt ständig an. So ist es ihr zu verdanken, dass Clara auf der Bildfläche erscheint. Clara ist die Tochter von Philip und seiner langjährigen Geliebten. Keiner kennt sie und ahnt Derartiges! Hier könnte die Autorin mit Konflikten, spannenden Dialogen und infolge des Prologs, mit ungeheurer Sprengkraft agieren. Doch Clara teilt ihr Wissen erst ziemlich spät im Roman, so dass das eigentliche Geheimnis erst recht spät für Spannung sogt. Des Weiteren schöpfen der teils zähe Verlauf und die fehlende Dynamik nicht das ganze Potenzial der Geschichte aus. Die Langsamkeit, mit der die Autorin diese Familiengeschichte erzählt, verlangte mir einerseits an Geduld ab und bringt andereseits Tiefe in das Gesagte. Somit bleibt der Roman hinter meinen Erwartungen zurück. Einzig der Schreibstil und die verschiedenen Charaktere sind vielversprechend und gut gelungen.
Fazit: Schauplatz England mit schönen Beschreibungen, vielen Themen, etwas ausufernd, doch lesenswert!

Bewertung vom 07.04.2025
Oetker, Alexander

Es kann so schön sein, das Leben


sehr gut

Es kann so schön sein das Leben von Alexander Oetker (Hoffmann und Campe Verlag)
„Ja“, sagt er und nickt, „dieser Süden hat mir eine ganz andere Dankbarkeit gegeben, für die großen Dinge, Gesundheit und Liebe, aber auch für die kleinen, den Sonnenaufgang und all das. Ich bin ehrfürchtiger geworden, vor der Schönheit – und vor dem Leben an sich.“ S.162
Dieses Gefühl, welches der Autor in seinem Buch beschreibt, ergibt sich, meines Erachtens, aus einem erfüllten Leben, aus reichlichen Erfahrungen, Lebensumständen, aus Verlusten, Wertschätzung, verschiedensten Reisen und Bekanntschaften sowie aus der Summe des eigenen Charakters und der jeweiligen Lebenseinstellung. Natürlich ist man geprägt durch äußere Einflüsse und eine gewisse Gruppendynamik. Oft zieht sich das regionale Korsett fester zu, wenn man wenig außerheimatliche Erfahrungen und Begegnungen macht.
Anderen Kulturen kennenzulernt, hilft mir zum Beispiel, besser zu differenzieren, zu vergleichen, einzuordnen, zu reflektieren und zu lernen. Und ja, auch dankbarer und ehrfürchtiger zu sein. Sicher liest man hier Klischees, doch haben mir die Anekdoten aus den südlichen Gefilden sehr gut gefallen und ich habe das ein oder andere wiedererkannt. Aus den gut gemeinten Ratschlägen kann man sich etwas passendes herauspicken und sollte nicht alles so bierernst nehmen!
Fazit: Ein nettes Buch mit sonnengewärmten Geschichten, die die Unterschiede zwischen Nord und Süd aufzeigen. Tolle Rezepte und Lebensweisheiten, Ratschläge, ein „süßes Schlusswort“ sowie Dolce Vita von A bis Z runden das Geschrieben ab.
Ja, und es kann so schön sein das Leben auch hierzulande, wenn die innere Einstellung passt! Im Hier und jetzt sein, genießen und die täglichen Aufgaben mit Freude angehen. Und sind wir ehrlich, würden wir alle im Süden wohnen, könnten wir das Meer gar nicht mehr vermissen. Die Vorfreude auf einen Urlaub im Süden ist genauso schön, wie das Leben hier!

Bewertung vom 16.03.2025
Lopez, Paola

Die Summe unserer Teile


gut

Die Summe unserer Teile von Paola Lopez

„...das sind diverse Versatzstücke“, sagt Robert, und Daria nickt.
Obwohl sie seit fast dreißig Jahren echte Papierdeutsche ist, ist ihr das Deutsche immer noch nicht vollständig geheuer. Diese Sprache mit ihrer Genauigkeit, ihrer Tendenz, alles zu zerhacken. Man kann in jedes Wort mit einer Lupe bewaffnet eintreten und findet weitere Wörter, die es näher beschreiben. Auf Deutsch kann sich nichts verstecken.
Englisch ist viel nachsichtiger, weniger grob. Englisch hält einem keine Taschenlampe ins Gesicht – es ist indirektes Licht in der Zimmerecke, eine sanfte Stehlampe. Zwischen englischen Wörtern bleibt viel Platz für das Ungesagte. Englisch, Darias Sprache, die einzige Sprache, die ihre Eltern gemeinsam hatten. S.186

Daria wusste, dass ihre Mutter auf dem Gymnasium in Polen Deutsch gelernt hatte. Deutsch, die Sprache der Zerstörung, Deutsch, die Sprache der Möglichkeiten. Sie fragte sich, wessen Idee es damals eigentlich war, dass sie die Deutsche Grundschule besuchte-die ihrer Mutter oder die ihres Vaters?
Sollte sie von Anfang an zum Studieren nach Deutschland geschickt werden?
„Dinge zu präzisieren, bedeutet auch, sich ihnen zuzuwenden“, sagte Robert. S.187

Der spezielle Schreibstil mit ausufernden, oft emotionalen Beschreibungen hat mich einerseits in seinen Bann gezogen, im klaren Gegensatz dazu stehen die nüchternen, ichbezogenen Charaktere der drei Frauen nachfolgender Generationen. Tochter, Mutter und Großmutter finden keinen Zugang zueinander, obwohl ausreichend Liebe vorhanden scheint. Jede für sich ist so sehr auf ihr eigenes Leben und die Probleme darin bezogen, dass wenig Platz für Kompromisse und die Empfindungen anderer bleibt. Selbst die Beziehungen zu ihren Ehepartnern ist durchdrungen von zu wenig Wertschätzung und Interesse am Gegenüber. Gerade Daria läuft dabei zur Bestform auf. Das stört mich gewaltig.

Konflikten gehen die Protagonisten mit Kontaktabbruch und Stillschweigen aus dem Weg. Als die Hintegründe des einen Konfliktes ans Tageslicht kommen ist es zu spät um sich noch entsprechend versöhnen zu können. Wie unbefriedigend und deprimierend! Mutter Daria und Tochter Lucy hingegen sprechen sich ansatzweise aus, finden jedoch keine Lösung für ihre Differenzen. Das Rätsel um den gelieferte Steinway in Lucys Wohnung mit dem Geburtsnamen ihrer polnischen Großmutter wird ebenfalls nicht endgültig gelöst und kommt nie wieder zur Sprache. Eine unterschwellige Depression und Pessimismus durchziehen diese Lektüre. Schade!

Fazit: Die Geschichte rund um Großmutter Lyudmila finde ich spannend. Daria scheint blass und Lucy hätte ich nicht vermisst in der Geschichte. Gut zu lesen und doch bleibt ein fahler Nachgeschmack und eine unteschwellige Unzufriedenheit zurück! Meine Erwartungen konnte die Autorin leider nicht erfüllen.