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MB
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Rösrath

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Insgesamt 470 Bewertungen
Bewertung vom 08.12.2025
Lewis, Caryl

Wilder Honig


weniger gut

Bienen und Garten. Wie organisieren Bienen ihr Zusammenleben? Wie verständigen sie sich? Wie kreuzt man zwei Apfelsorten und welcher Art von Pflege bedarf ein Garten? Wie funktionieren zwischenmenschliche Beziehungen? Und was passiert mit der zurückgebliebenen Ehefrau nach dem Tod ihres Mannes, wenn sie in elf Nachlassbriefen zwar ganz viel über die Bienenzucht, einiges übers Schreiben, aber schlussendlich auch das Geheimnis seines Lebens erfährt? Und gibt es eine Parallele zwischen dem Wachstum, der Pflanzenpflege im Garten, der Beziehungsstruktur im Bienenstock und den menschlichen Beziehungen? Caryl Lewis erzählt in ihrem Roman "Wilder Honig" mehr über die Natur - Garten und Bienen -, als dass sich eine Handlung entspinnt. Und die Naturschilderungen hätten ja im besten Sinne die 'eigentliche' Geschichte emotionalisieren und untermalen können... sie verlaufen aber recht unabhängig nebenher. Hannah und Sadie wohnen in einem kleinen Walisischen Dorf; John, Hannahs Mann, Bienenkümmerer und Schriftsteller verstirbt und hinterlässt Hannah 11 Briefe; Hannahs Schwester Sadie, inzwischen geschieden, gesteht ihre Liebe zu Frauen... und es taucht Megan auf, eine uneheliche Tochter, die John mit einer wesentlich jüngeren Frau gezeugt hat... Und was wird aus dieser durchaus spannungsgeladenen Grundkonstellation? Ein wenig Trauer, ein wenig Verzweiflung und Tragik, eine Prise Verzeihen... und weiter geht's... wie der ewig gleichbleibende Wechsel der Jahrerszeiten. Die drei Frauen richten sich halbromantisch ein in Haus und Garten... Ach ja - Megan verliebt sich in Jack, die jahrelange rechte Hand von John. Ein wenig Sonntagabend - im Zweiten - Kitsch...

Bewertung vom 08.12.2025
Bähr, Julia

Hustle


gut

Gute Unterhaltung. Julia Bähr ist mit "Hustle" ein netter Wochenendschmöker mit allerdings weitgehend offenem Ende gelungen. Ein Stückweit ist ihre Geschichte eine Anleitung, wie ein Überleben in einer uberteuerten Welt gelingen kann, eine Aufforderung, sich zusammenzuschließen für einen gegenseitigen, emotionalen Support und sich neben dem 'offiziellen Leben' zusätzlich ein geheimes Leben in den Grauzonen der Illegalität zuzulegen. Mit einer guten Prise Humor beschreibt die Autorin, wie sich ihre Hauptfigur Leonie, von Beruf Biologin, wegen einer Racheaktion aufgrund einer Wertedifferenz mit ihrem Chef die Kündigung bei ihrem auf Genmanipulation ausgerichteten Unternehmen einhandelt. Leonie entschwindet nach München, findet dort einen eher schlecht bezahlten Job, ihre neue Wohnstätte verdient die Bezeichnung nicht, ist aber das einzige, was sie sich leisten kann... dafür lernt sie drei andere Frauen kennen, denen es finanziell besser zu gehen scheint... die sich mittels zum Teil illegaler 'Nebenbeschäftigungen' ein recht gutes Leben in München leisten können. Und Leonie beginnt nun selbst, aus Racheaktionen für andere ein Geschäftsmodell zu entwickeln... Wie gesagt - gute Unterhaltung

Bewertung vom 08.12.2025
Louis, Édouard

Der Absturz


gut

Mmmhhh... Ich habe mich beim Lesen von Édouard Louis' neuem Buch "Der Absturz" ein wenig gefühlt wie ein Voyeur... durfte ich doch als Leser Zeuge eines erschütternden Absturzes werden. Der Autor berichtet vom Niedergang und Tod seines größeren Bruders, der mit nur 38 Jahren seiner schweren Alkoholsucht erliegt. Louis beschreibt die aufeinanderfolgenden Akte des Absturzes, zitiert Personen, die mit seinem Bruder in Beziehung waren, berichtet vom ebenso alkoholkranken, entwertenden Vater und einer leidenden Mutter. Er berichtet von seinen eigenen inneren Zwiespalten - zwar gelingt ihm eine bessere Abgrenzung als der Mutter, die bis zum Schluss mit der Begründung "Aber er ist doch mein Sohn!" an der Liebesverpflichtung dem Bruder gegenüber festhält; aber Louis sieht nicht nur die selbstzerstörerische Seite seines Bruders, sondern auch die gewalttätige, gesteht sich ein, dass er ihn nicht mag. Louis stellt viele Fragen, Fragen nach dem Grund, die aber letztendlich nie eine Auflösung finden weren. Ein schonungsloser Text, in dem der Autor weder seinen Bruder, seine Familie noch sich selbst schont. Und was ich mich am Ende frage: Gehört eine derartige Auseinandersetzung nicht eher in einen geschützten Rahmen anstatt als gedrucktes Werk der Öffentlichkeit präsentiert zu werden?

Bewertung vom 04.12.2025
Keweritsch, Katja

Das Flüstern der Marsch


gut

Wie ein Freitagabend... Ein Freitagabend im Ersten - der Freitagabendfilm im Ersten, wenn es darum geht komplex-komplizierte Familienverhältnisse mit Historienbezügen auf landschaftlich ansprechendem Hintergrund am Ende in einen verkraftbar-harmonischen Zustand zu wandeln. Der Roman "Das Flüstern der Marsch" von Katja Keweritsch hat genau dazu das Zeug. Die Autorin erzählt die Geschichte einer transgenerationalen Weitergabe von Erziehungsgrundsätzen aus der Nazi-Ära mit ihren Auswirkungen. Insbesondere die Frauen sind dabei auch selbst Opfer und nicht nur 'Täter einer schwarzen Pädagogik'. Mona kehrt anlässlich des 80. Geburtstages ihres Großvaters zurück in ihr Heimatdorf in der Marsch. Wenige Tage vor der großen Feier verschwindet ihre Großmutter spurlos. Die Suche nach ihr offenbart lang gehegte Familiengeheimnisse, verschwiegenes Leid, welches über die Generationen hinweg zu einer Verhärtungen und Gefühlskälte geführt hat, die am Ende alle Familienmitglieder auf ihre Weise leiden lässt. Lässt sich das transgenerationale Erbe unterbrechen? Bei einem Freitagabendfil im Ersten würde das gelingen... Der Aufbau der Geschichte gefällt mir - treffen sich doch am Ende unterschiedliche Zeitebenen in der Erzählgegenwart und verweisen in eine mögliche Zukunft.

Bewertung vom 26.11.2025
Puchner, Eric

Weißes Licht


sehr gut

Zum Abtauchen. Die Lesezeit für den knapp 530-seitigen Roman "Weisses Licht" des amerikanischen Autors Eric Puchner beträgt natürlich nicht eine komplette Lebenszeit - das ist aber in etwa die in seinem Buch erzählte Zeit. Und weil Eric Puchner ein begnadeter Erzähler ist, kann man getrost eintauchen in die Geschichte einer lebenslangen Freundschaft und kann sich bis zur letzten Seite seiner literarischen Führung überlassen. Puchner rührt große Themen an - Freundschaft, Liebe, Tennung und Tod, Krankheit und Verlust - platziert diese in ein gegenwartsnahes Amerika, in dem inzwischen die Gletscher schmelzen, die Wälder brennen und die Natur sich auf dem Rückzug befindet; fast scheint es, als wenn allein die Bande der Freundschaft und der Liebe den Untergang verhindern könnten. Der Eigenbrötler Garret verliebt sich ausgerechnet und tragischerweise in Cece, die angehende Ehefrau seines besten Freundes Charlie, zudem soll Garret auch noch deren Trauung vollziehen. Cece heiratet zwar, verlässt aber Ehemann Charlie schon sehr bald für Garret... Eine große Herausforderung für die Freundschaft von Charlie und Garret... die noch Jahrzehnte überdauern sollte, mit Höhen und Tiefen... Ein Buch über das gelebte Leben. Ein Buch, welches Anregung ist nachdenklich zu werden - über das eigene Leben mit all seinen Widerfahrnissen.

Bewertung vom 20.11.2025
Gilbert, Elizabeth

All the Way to the River


sehr gut

Welch ein Hammer! Das meint sowohl die inhaltliche Qiualität des neuen Buches "All the way to the river" von Elizabeth Gilbert, wie auch die Wirkung auf mich als Leser / Hörer - es hat mich schlicht hammermäßig umgehauen. Die Leser:innen erwartet ein regelrechtes Wechselbad der Gefühle... in einigen Momenten kann man das Buch nicht mehr aus der Hand legen, in anderen würde man es am liebsten in irgendeine Ecke pfeffern. Mit schonungsloser Offenheit (ich weiß gar nicht, ob es überhaupt noch offener ginge) erzählt Elisabeth die Geschichte ihrer großen Liebe, die auch ihr Untergang hätte werden können. Elisabeth trifft ihre große Liebe Rayya in einem Friseursalon, in einer Phase, in der Rayya, eine schwer süchtige aber ungeheuer faszinierende Person, seit kurzem 'clean' ist. Was Elisabeth noch nicht weiß ist, dass auch in ihr ein süchtiger Charakter steckt, nicht nur der Alkohol sondern vor allem ihre Sex- und Liebessucht prädestinieren sie zu einer stark coabhängigen Beziehung mir Rayya... und beide kämpfen über viele auszehrende Jahre hinweg um ihre Liebe und ihr Leben, gegen Verzweiflung und Tod. Zu Beginn der Geschichte erscheint Rayya Elisabeth 5 Jahre nach ihrem Krebstod und regt an, ihrer beider Geschichte aufzuschreiben. Daraus entstanden ist eine beeindruckende Geschichte, die an vielen Stellen nur schwer aushaltbar ist, aber für jeden, der sich einlassen kann, eine gewaltige Bereicherung darstellt. Und wem es am Ende ein wenig zu spirituell zugeht, der mag dies einfach ausblenden.

Bewertung vom 20.11.2025
Goldewijk, Yorick

1000 und ich. Zweifle nicht, zögere nicht, hinterfrage nicht.


gut

Macht nachdenklich. "1000 und ich", ein Roman für Jugendliche ab 12 Jahren, geschrieben von dem Niederländer Yorick Goldewijk, hat bei mir als schon lange Erwachsenem Spuren hinterlassen - geht es doch zunächst (scheinbar) um Uniformität und den Zwang zur Anpassung in einer Welt namens 'Surdus'; diesem Druck sieht sich auch 'Ich', die eigentlich '8' ist, ausgesetzt. Doch 8 merkt, dass sie irgendwie anders ist und auch andere Dinge als all die anderen wahrzunemen scheint - bis auf ein anderes Mädchen - '1000' - dem sie sich verbunden fühlt. Zusammen wollen sie ausbrechen aus der Gleichförmigkeit, das individuelle Leben entdecken, einer verborgenen Sehnsucht nachgehen... Bis hierhin könnter man meinen, es handele sich um einen 'Ausbruchsversuch aus einem Überwachungsstaat', um die Identitätssuche Heranwachsender... aber weit gefehlt! Das Ende bringt (ich werde nicht spoilern!) eine überraschende Wende, die den Roman auf eine neue Ebene hebt... und mich als Erwachsenen sehr, sehr nachdenklich gemacht hat. Ich habe nicht den Überblick darüber, was 12-jährige sonst so lesen... ich finde es für diese Altersgruppe auf jeden Fall ziemlich anspruchsvoll!

Bewertung vom 14.11.2025
Mustard, Jenny

Beste Zeiten


gut

Nett, aber belanglos. Liest sich gut, also 'netter' Schreibstil - aber gefühlt bereits mehr als tausendmal in ähnlicher Weise gelesen... nicht so tolle Kindheit mit nur mäßig interessierten Eltern, Loslösung, Erwachsenwerden, Freundschaft, Identitätsfindung mit Hindernissen... Der neue Roman "Beste Zeiten" von Jenny Mustard bleibt weit unter seinenMöglichkeiten: Angedeutete Konflikte, innere Spannung (und die Zeiten des endgültig Erwachsenwerdens als Twen sind voll davon!) werden nicht in ihrer möglichen Tiefe und Dynamik ausgeleuchtet, was den Unterschied zu der Vielzahl ähnlicher Geschichten hätte ausmachen können. Sickan, genannt Siv, zieht mit 21 raus aus der Provinz nach Stockholm. Ausgestattet mit einer gefühlten 'Außenseiterposition' aus den Zeiten des Schulbesuchs und mit dem Selbstbild, nicht zu den 'Schönen' zu gehören, zieht sie mit Hanna zusammen und lernt wenig später Abbe kennen, mit dem sie eine zunächst ersteinmal 'offene Freundschaft' beginnt. Sickan ist allerdings nicht ganz so 'unberührt' wie es zunächst scheint, sondern hat ihren Körper immer wieder 'an fremden Männern' ausprobiert... (Was nur erwähnt, aber im Erzählverlauf nicht als spannungsförderliches Element genutzt wird). Und wie es dann immer so ist: Am Ende ist die Selbstfindung inklusive einer Gestaltungsidee für das weitere Leben gefunden... Kann man lesen - muss man aber nicht.

Bewertung vom 04.11.2025
Biedermann, Nelio

Lázár


ausgezeichnet

Poesie des Niedergangs. Nelio Biedermann ist für seinen beeindruckenden Roman „Lazar“ zurecht für den Schweizer Buchpreis nominiert und als Lieblingsbuch der Unabhängigen ausgezeichnet worden. Biedermann, noch recht jung an Lebensjahren, bedient sich in seinem Roman einer Sprache, wie man sie von den Klassikern des ausgehenden 19. und bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein kennt – eine optimale Passung also zu Erzählzeit der Geschichte. Ein Ritt durch die Geschichte eines ungarischen Adelsgeschlechts – der Erste Weltkrieg mit seinen Folgen, die Zeiten des Aufbruchs und Umbruchs bis Nazifizierung und Zweitem Weltkrieg, die Flucht der Verbliebenen. Der Autor bettet die Geschichte der Lazars ein in das große Weltgeschehen, beschreibt dabei gleichzeitig individuelle Schicksale, wie das des Pfarrers, der sich mehr für die Philosophie und den Widerstand gegen das Regime interessiert als für die Kirche, lässt Stalin auftauchen und erzählt über Familienkonflikte Generationswechsel, unerfüllte Liebe und Vergewaltigung. Ein fulminantes Werk voller Geschichten, denen man gerne über viele weitere Seiten gelauscht hätte.

Bewertung vom 04.11.2025
Engler, Leon

Botanik des Wahnsinns


ausgezeichnet

Ziemlich genial! Leon Engler hat mit "Botanik des Wahnsinns" einen Erstling vorgelegt, der seinesgleichen sucht! In die 200 Seiten packt er die Geschichte seiner Familie, die Geschichte der Psychiatrie, interkulturelle Aspekte der Psychotherapie, psycho-philosophische Kontroversen, Kenntnisse über unterschiedliche Therapieformen - von der Psychoanalyse bis hin zur Systemischen Therapie -, eine Portion historisch angelegter Gesellschaftskritik und ein fundiertes Wissen über nahezu jede psychische Erkrankung hinein. Aber keine Angst, es handelt sich nicht um ein gut getarntes Sachbuch, weil Menschen durch das Buch führen. Da ist der Autor selbst, der anlässlich der Zwangsräumung der Wohnung seiner Mutter in die Geschichte seiner Familie eintaucht, die auch eine Geschichte des Wahnsinns und der Sucht ist, die sich über die Generationen hinweg fortsetzt. Im Vordergrund stehen dabei aber immer die Menschen und nicht ihre Erkrankungen. Der Autor verbringt als Psychologe selbst ein Jahr in der Psychiatrie und lernt, die Bedeutung von Diagnosen als Hypothesen und nicht als Etikett zu verstehen, lernt die Symptome von Erkrankungen als Erzählung über den Menschen zu deuten und erfährt viel über die Bedeutung der Beziehung in der Behandlung. Selbst unsicher in Beziehungen zu anderen, in der Beziehung zur Liebe und in der Beziehung zu sich selbst ist das Buch auch eine tiefgehende Selbsterforschung des Autors. Ziemlich genial!