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SusanK
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Osnabrück

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Insgesamt 234 Bewertungen
Bewertung vom 21.06.2025
Gerstberger, Beatrix

Die Hummerfrauen


ausgezeichnet

Mina, 28 Jahre jung, treibt nach dem Unfalltod ihres Brudes und unter ihrer empathielosen Mutter leidend, vor sich hin und kehrt schließlich nach Maine zurück, wo sie auf der Insel Eagle Island glückliche Sommerferien mit ihrer Familie verbrachte. Dort wird sie von Ann, 72 Jahre, einer harten und sarkastischen Hummerfischerin, die von ihrer großen Liebe Carolyn verlassen wurde, aufgenommen, arbeitet mit deren Freundin Julie, 54 Jahre, die nach einem unfallbedingten Koma wieder ins Leben zurückfindet und die Liebe sucht,zusammen auf einem Hummerfangboot, . Und MIna trifft Sam wieder, der bereits in ihrer Kindheit ihr ständiger Begleiter war und der ebenfalls mit dem Tod seines Bruders zu kämpfen hat ....

Beatrix Gerstberger ist Autorin und Journalistin mit dem Schwerpunkt Reportagen, Portraits, Reisen. Sie lebte nach dem Tod ihres Partners einige Zeit in Maine, fuhr mit Hummerfischern hinaus und sprach mit ihnen über das Leben, über Verluste, Trauer und das Weitermachen. Daraus entstand dieser zuriefst berührende Roman voller Wärme, Humor und Menschenkenntnis, der auch nach dem Lesen noch lange nachhallt - und in dem man spürt, dass Gerstberger weiß, von was sie schreibt.

Das besondere Setting, die wilde Landschaft von Maine mit seiner Küstenlinie, den felsigen Inseln und das daraus resultierende harte Leben seiner Bewohner, insbesondere der Fischer, schafft einen tollen Rahmen und weckt Lust, Neuengland zu besuchen.

Den Roman hat die Autorin quasi unter die Schirmherrschaft des Hummers gestellt - und über diese Krebse ist auch im Buch eine Menge zu lernen. Einst als "Kakerlake des Meeres" verhöhnt, bilden Hummer nun eine Delikatesse und die Lebensgrundlage der Hummerfischer, die ein entbehrungsreiches Leben am und mit dem Meer führen. Ann hält sogar einen blauen, besonders tief gefärbten Hummer namens "Mr. Darcy" als Haustier - einer, "der erst einmal einen Panzer trägt, und wenn er sich häutet, kommt doch kein so großer Idiot zum Vorschein".
Und so zeigt der weiße Schutzumschlag lediglich die Großaufnahme eines roten Hummers (wie nach dem Kochvorgang) und der Einband einen blauen Hummer (eine seltene Farbe durch einen Gendefekt ).

Beatrix Gerstberger schreibt flüssig mit einem genauen Blick auf das Geschehen. Eingerahmt in Prolog und Epilog, die beide 2018 zu Anns Beerdigung angesiedelt sind, erzählt die Autorin abwechselnd von Ann, Julie und Mina in den Jahren 1982 und 2000 und in vielen Puzzlestückchen setzt sich immer mehr ein bedeutendes Bild zusammen, das von Liebe und Verrat, Verlust und Trauer und vor allem dem Weitermachen erzählt. Gerstberger zeigt dabei auf, wie unterschiedlich verschiedene Menschen das Schicksal verarbeiten und maßt sich keine Beurteilung der Wege an. In diesem Zusammenhang bleibt auch der Tod von Sams Bruder im Dunklen und die verschiedenen Wege, mit den Tatsachen umzugehen, führen zum Spannungsfeld zwischen den Figuren.

Obwohl sich kein wirklicher Spannungsbogen erkennen lässt, konnte mich die Handlung von Anfang an in ihren Bann ziehen und ich entkam dem Sog der Geschichte nicht mehr. Alle Fäden wurden am Ende schließlich zu einem bedeutenden Ganzen zusammengefügt.

Vor allem bestechen "Die Hummerfrauen" durch die großartig angelegten Figuren; im Zentrum natürlich die starken Frauen Mina, Julie und Ann aus drei Generationen, die zu einer festen Gemeinschaft zusammenfinden und sich in der Männerwelt behaupten und sich weiterentwickeln. Ihre mehrdimensionale, absolut authentische Darstellung legt eine Verletzlichkeit frei, aus der ihre Stärke erwächst und die auf besondere Weise anrührt. Ihre Auseinandersetzung mit ihren Schicksalen und die Verarbeitung derer geben Hoffnung.

Mich haben "Die Hummerfrauen" sehr berührt und die Geschichte hallt noch lange nach - auch, wenn ich nicht mit allen Handlungen einverstanden war. Ein außergewöhnliches Buch, das ich unbedingt weiterempfehle - auch und gerade dann, wenn man sich nicht für Hummer und Fischfang interessiert - und ein kluges Buch über das Leben.

Bewertung vom 21.06.2025
Beaumont, Sophie

Zweite Chancen à la carte (eBook, ePUB)


gut

Sylvie führt in Paris eine Kochschule, in der sie die Lust auf regionale, einfache Küche schürt. Während die Kochschule gut läuft, stellt Sylvie ihren Lover vor die Wahl, sich endlich zu ihr zu bekennen oder weiterhin vor seiner (Ex-) Frau zu kuschen; und plötzlich will ein Unbekannter ihre Kochschule in Verruf bringen. Unter ihren aktuellen Schülern sind auch die beiden Australierinnen Gabi und Kate, die beide vor einer Lebenskrise davongelaufen sind - und auf die in Paris offenbar eine zweite Chance wartet....

"Zweite Chancen à la Carte" ist der erste in Deutschland veröffentlichte Roman der erfolgreichen französischen Autorin Sophie Beaumont.

Der Roman besticht durch das Setting: VIele Beschreibungen der französischen Hauptstadt schaffen einen angenehmen Hintergund zur Handlung und wecken die Reiselust. Im Zentrum der Handlung steht Sylvies Kochschule und die ausführlichen Beschreibungen der frischen Produkte und der regionalen, trditionelle Kochkunst, die Spaß macht.

Beaumont schreibt flüssig und mit leichter Hand und das Buch war schnell gelesen. Insbesondere durch den kriminalistischen Teil - den anonymen Angriff auf die Kochschule - kommt Spannung auf.

Im Mittelpunkt der Handlung stehen die drei Frauen Sophie, Gabi und Kate. Alle stehen an einem Scheidepunkt in ihrem Leben: Sophies wirtschaftliche Existenz ist gefährdet; Kate wurde von ihrem Ehemann betrogen und verlassen und Gabi befindet sich als Kümstlerin in einer Schaffenskrise. Hierbei bleibt die Autorin jedoch immer nur an der Oberfläche und verwendet einige KLischees, bevor es zu einem doch etwas kitschigen Ende kommt, in dem alle Probleme gelöst und die Frauen vor einer vielversprechenden Zukunft stehen.

Zu viel nachdenken darf man als Leser*In hier nicht, aber der Roman soll ja auch einfach nur unterhalten.

Das größte Manko für mich war aber, dass die ausführlichen Beschreibungen der frischen, exquisieten Produkte das Wasser im Munde zusammenlaufen lässt - und sich dann leider keine zugehörigen Rezepte im Buch finden lassen. Diese wären absolut notwendig gewesen!

Alles in allem ein unterhaltsamer, netter Sommerroman, insbesondere für die LIebhaberinnen von gutem Essen und frischer KÜche und PAris-Begeisterte.

Bewertung vom 11.06.2025
Matt, Irene

Laurentius' Wunder


sehr gut

Giuliano muss bereits früh schwere Traumata erleiden: Seine Mutter verschwindet spurlos, in der Schule wird er gemobbt und in der ungeliebten Ausbildung, zu der er von dem empathielosen Vater und der selbstsüchtigen Stiefmutter gezwungen wird, erlebt er Missbrauch durch seinen Ausbilder. Als er Zuflucht als Bruder Laurentius im Kloster Assisi findet, machen ihm Intrigen eines Mitbruders zu schaffen, doch schließlich erlebt er ein Wunder: DIe Auferstehung des Heiligen Franziskus, der offenbar wirken soll, um die Welt zu retten. Laurentius Wunsch, dieses Wunder in die Welt zu tragen, bringt ihm allerdings die Zwangseinweisung in die Psychiatrie, doch er lässt nicht davon ab, seiner Berufung zu folgen....

Die süddeutsche Schriftstellerin Irene Matt legt mit "Laurentius' Wunder" bereits ihren sechsten Roman vor, der tief unter die Haut geht und dem man anmerkt, dass Matt weiß, worüber sie schreibt.

Auf keinen Fall sollte man sich von dem Titelbild des Mönches, der Nennung des Klosterlebens und des Kernthemas eines Wunders von der Lektüre abhalten lassen - dieses Buch ist auch bzw. gerade für Nicht-Gläubige geeignet und es ist alles andere als ein kitschiger Roman über großartige, die Welt verändernde Wunder oder gar die Selig- und Heiligsprechungen der Kirche in dieses Fällen.

Die Autorin nimmt ihre Leser*Innen mit nach Italien; in die Stadt Assisi, das Franziskanerkloster, nach Rom, in den Vatikan und hinaus in die Welt, ja. sogar in die Psychiatrie - und bereits das Setting hat eine gewisse Rolle inne.

Der flüssige Schreibstil, die tiefen Emotionen und der angenehme Spannungsbogen zogen mich in ihren Bann, zusammen mit der Frage, ob die Erscheinung des Heiligen Franziskus' in der Basilika nun einfach nur "Laurentius' persönliches Wunder" ist oder tatsächlich ein objektives Wunder sein könnte. Im eigentlich offenen Ende löst die Autorin jedoch das zentrale Rätsel auf und lässt keine Fragen zurück.

Für mich überraschend war die Tatsache, dass Laurentius ein Wunder verspürte, das aber gerade von seinen Mitbrüdern abgetan wurde und diese ihn schließlich zwangseinweisen ließen, denn Wunder finden sich doch gerade im Zusammenhang mit christlichem Leben. DIeses Spannungsfeld vergrößerte sich sogar noch in den Schilderungen, wie eine Abteilung von Kirchendienern in Rom damit beschöftigt ist, angebliche Wunder zu überprüfen und dabei stets zu der Erkenntnis kommt, dass Wichtigtuerei oder ähnliches die Menschen dazu animiert, solche zu erfinden und damit auch Laurentius klar in diese Ecke positioniert.

Bemerkenswert ist dabei, wie viele gesellschaftliche Themen Irene Matt in die Handlung einbringt, die berühren und nachdenklich stimmen, ohne den Roman zu überladen; von der Zerstörung der Umwelt bis hin zur Corona-Pandemie finden sich zahlreiche Angelegenheiten. Die Handlung ist absolut glaubhaft und wirkt umso eindringlicher. Dabei gefielen mir besonders die Eindrücke aus der Psychiatrie mit einem Wechselbad an Gefühlen. Die Schilderung von psychisch auffälligen Patienten, mitfühlenden Psychologinnen und medikamentenhörigen unempathischen Ärzten sind wohl eher Tatsache als billige Klischees.

Vor allem besticht dieser Roman aber durch die großartige und feine Ausarbeitung der Figur des Giulianos/Laurentius, die psychologisch absolut stimmig ist. Dieser doch eher Anti-Held voller Zweifel, Ängste und Fehler, geprägt durch sein Umfeld und seine meist negativen Erfahrungen, bleibt zutiefst menschlich und entwickelt sich im Laufe der Handlung, ohne jedoch seinen Glauben aufzugeben. Gerade diese Positivität, die Hoffnung und die innere Stärke sowie sein Mut haben mich sehr beeindruckt, wenngleich mich seine seine nahezu an Bessenheit heranreichende Sturheit davon abgehalten haben, ihn wirklich zu mögen.

"Laurentius Wunder" ist wieder ein Roman von Irene Matt, der fesselt und noch lange nachhallt, absolut empfehlenswert für alle Leser*Innen, die abseits des Mainstreams an tiefsinniger Unterhaltung Spaß haben, die zum Nachdenken und Diskutieren anregt.

Bewertung vom 09.06.2025
Maury , Avril

Noch fünfzig Sommer mehr


sehr gut

Eleni, die schon früh ihre Mutter verloren hat, erlebt dennoch eine glückliche Kindheit und Jugend, bis ein dramatischer Vorfall sie in tiefe Depressionen stürzt. Zum Glück lernt sie Theo kennen, der sie geduldig zurück ins Leben holt und mit dem sie eine große Liebe verbindet, bis wieder Furchtbares passiert. Von nun an lebt Eleni zurückgezogen von allem im alten Waldhaus und verweigert jeglichen Kontakt. Doch dann erhält sie geheimnisvolle Nachrichten und Blumenbotschaften, die sie an eine glückliche Vergangenheit erinnern ...

Unter dem Pseudonym Avril Maury hat eine deutsche Autorin den hoch emotionalen Roman "Noch 50 Sommer mehr" veröffentlicht, in dessen Zentrum Angststörungen und Depressionen der Hauptfigur stehen, aber auch die Hoffnung auf immer neue Anfänge und Chancen, die zu ergreifen sind.

Avril Maury schreibt als personale Erzählerin aus der Sicht von Eleni; mithilfe von zahlreichen geschickt eingefügten Rückblicken fügen sich immer mehr Puzzleteile zu einer berührenden Geschichte zusammen. Obwohl der Spannungsbogen nicht allzu hoch ist, möchte man doch immer mehr über Eleni und die Geschehnisse in ihrer Vergangenheit erfahren und fiebert mit, wer die mysteriösen Botschaften verfasst haben könnte, die Eleni zurück ins Leben holen. Das Ende kommt dann leider ein wenig schnell und wird zu kurz abgehakt, doch obwohl es doch offen ist, empfand ich dies als in Ordnung.

Die flüssige, teils poetische Schreibweise ließ mich die Seiten fast von selbst umblättern. Das Setting liegt in der Bretagne und die Liebe der Autorin zum Meer und zu Blumen bilden einen angenehmen Rahmen, in dem ich auch über einiges Unlogische hinwegsehen konnte. (Lediglich das Kaninchen namens Anemone, das von Eleni wie ein Hund gehalten wurde, frei in Bett und Wohnung herum hoppelte und scheinbar gar keine "Bedürfnisse" hatte, verstörte mich etwas...)

Die Figuren sind liebevoll ausgearbeitet, mehrdimensional und entwickeln sich im Laufe der Geschichte weiter. Dabei muss man selbstverständlich nicht jedes Verhalten nachvollziehen können oder gut heißen - Depressionen oder unheilbare Krankheiten lassen Menschen eben manchmal eigenartige Dinge tun. (Achtung: Trigger!) Meiner Meinung nach ist es der Autorin gut gelungen, gerade auch diese nicht konformen Verhalten zu skizzieren. Und wenn die Menge an Schicksalsschlägen, die die Hauptfigur erdulden muss, auch sehr groß ist, halte ich dieses trotzdem für realistisch.

Wer eine locker-leichte Sommerlektüre erwartet, wird vermutlich von den Themen überrascht sein; wer sich davon jedoch nicht abschrecken lässt. dem vermittelt Avril Maury eine positive Botschaft und schafft durch ihren Schreibstil eine berührende und mitreißende Atmosphäre, die durchaus Lesevergnügen bereitet.

Bewertung vom 07.06.2025
Winter, Claire

Die Erbin


ausgezeichnet

Köln 1957. Cosima Liefenstein, "die Erbin" einer der einflussreichsten deutschen Industriellenfamilien, gründet im Namen ihres Großvaters Wilhelm Liefenstein eine Stiftung für bedürftige Frauen und Mütter und lernt am Abend der Eröffnungsveranstaltung durch einen Autounfall den Journalisten Leo Markgraf kennen, der Nachforschungen über den Tod eines befreundeten Anwalts anstellt. Nachdem Cosima durch Zufall in einer alten Uniform einen ominösen Brief ihres früh verstorbenen Vaters findet und ihre Familie ihre NAchfragen nicht nur nicht beantworten will sondern sogar verbietet, beginnt sie gemeinsam mit Leo Markgraf ihre Familiengeschichte zu ermitteln und stößt auf viele Geheimnisse, Vertuschungen und böse Verfehlungen - und gefährdet damit sogar Menschenleben. Niemand möchte mehr an das Dritte erinnert werden und nichts ist, wie es zuvor erschien.,,,,

Claire Winter, das Pseudonym der Berliner Bestseller-Autorin Claudia Ziegler für ihre historischen Romane, legt mit "Die Erbin" einen wiedermals hervorragend recherchierten Roman vor, in dem sie die Verwicklungen der deutschen Wirtschaft mit dem Nationalsozialismus, deren Einflussnahme und Profitgier beleuchtet. Auch, wenn der Roman selbst fiktiv ist, beruhen die Geschehnisse auf den realen Sachverhalten der braunen Geschichte deutscher Industriedynastien, denen es durch geschicktes Taktieren und Anbiederung an die Entscheidungsträger um Hitler gelang, aus jüdischen Enteignungen, Krieg und Zwangsarbeitern ihren Vorteil zu ziehen und ihr Vermögen zu vervielfachen.

Die Handlung verläuft in zwei Zeitebenen: während die*er Leser*in Cosimas und Leos Nachforschungen im Jahr 1957 verfolgt, wird die Vergangenheit in chronologischen Zeitsprüngen ab 1929 geschildert, und zwar abwechselnd aus der Sicht der beteiligten Figuren Wilhelm LIefenstein, seinen Söhnen Theodor, Albert und Edmund, dessen Ehefrau Rita sowie der Angestellten Elisa, so dass sich immer mehr Puzzleteile zu einem großen Ganzen zusammenfügen, in dem immer mehr Ungeheuerliches ans Licht kommt. Dabei lesen sich die teils schockierenden Fakten spannender als jeder Thriller und erreichen darüber hinaus eine emotionale Tiefe, die den Roman zu einem absoluten Highlight werden lassen. Der flüssige, bildhafte Schreibstil der Autorin trägt zum Lesevergnügen bei.

Die Figuren sind eingänglich authentisch und mehrdimensional gezeichnet und entwickeln sich im Laufe der Geschichte weiter - teils in unterschiedliche Richtungen. Die intelligente und mutige Hauptfigur Cosima, die alles andere als eine verwöhnte, reiche Erbin ist, machte es dabei leicht, sich auf die Geschehnisse einzulassen und mit ihr mitzufühlen. Durch die unterschiedlichen Sichtweisen auf die früheren Ereignisse wird man beim Lesen angeregt, die Handlungen zu hinterfragen und sich damit zu befassen, wie man selbst gehandelt hätte.

Die Autorin erschafft ein Gemälde der Vor- und Nachkriegszeit und dem Dritten Reich, das noch lange nachhallt. Bemerkenswert ist dabei der Fokus auf die Nachkriegsjahre, denn bedauerlicherweise wird bei der Auseinandersetzung mit dem Nationalismus häufig vergessen, dass in den Nachkriegsjahren eine höchst mangelhafte Aufarbeitung der Schreckensherrschaft erfolgt ist, was durch Cosimas Familie und deren Umfeld mehr als deutlich wird.

Ein Personenverzeichnis und ein Kapitel über die Abgrenzung zwischen Wahrheit und Fiktion runden den Roman ab.

Claire Winter ist (abermals) ein brillanter, hochspannender und dramatischer historischer Roman ohne erhobenen Zeigefinger aus der Feder geflossen, den ich allen Leser*Innen ans Herz legen möchte. Gerade auch aus aktuellen Anlässen ist es so wichtig, die Geschichte zu kennen und zu begreifen, um eine Wiederholung zu vermeiden. Bitte lest dieses Highlight!

Bewertung vom 02.06.2025
Simon, Teresa

Zypressensommer


ausgezeichnet

1989. Der italienische Großvater von Julia Matthiesen hat über seine Vergangenheit und seine italienische Familie immer geschwiegen. Mit seinem Tod erbt Julia neben seinem Vermögen auch einen ominösen Zettel, mit dem sie sich auf die Reise nach Lucignano in der Toskana macht, um die Rätsel zu entschlüsseln. Hier hilft ihr der attraktive Matteo Conti bei der Spurensuche, die in die 1940er Jahre zurückführt, in die Zeit der «Resistenza» in Italien und der italienischen Militärinternierten in Deutschland ....

Teresa Simon ist das Pseudonym der promovierten Historikerin und Bestseller-Autorin Brigitte Riebe, die sich wieder einmal von den historischen Ereignissen zur Zeit des Zweiten Weltkriegs und den malerischen Orten in der Toskana hat inspirieren lassen.

Die Autorin hat gut recherchiert und ich habe gestaunt, wie wenig ich doch vom italienischen Widerstand, der Resistenza, und über die italienischen Militärinternierten (IMIs) wusste, die von der Wehrmacht nach dem Waffenstillstand zwischen Italien und den Alliierten im September 1943 gefangen genommen und nach Deutschland deportiert wurden und unter schlimmsten Bedingungen als Zwangsarbeiter eingesetzt wurden.

Geschickt verwebt Teresa Simon zwei Zeitstränge zu einer spannenden und höchst emotionalen Handlung, die mich absolut zu fesseln vermochte. Tief tauchte ich in die weltpolitischen Verbrechen genauso ein wie in die persönlichen Feindseligkeiten rund um die Familie Conti. Flüssig und anschaulich schreibt Simon und ließ mich atemlos Seite um Seite umblättern.

DIe Figuren sind authentisch gezeichnet und ich sah jeden deutlich beim Lesen vor mir. Auch, wenn ich nicht jede Handlung genauso ausgrführt hätte, war doch alles stimmig und nachvollziehbar beschrieben. Besonders gut gefällt mir, dass die Handlung in Gegenwart und Vergangenheit, in Hamburg und Lucignano von starken Frauen getragen wird.

DIe ein wenig kitschige Liebesgeschichte zwischen Julia und Matteo hätte es für meinen GEschmack nicht gebraucht; allerdings steht diese auch im wohltuenden Gegensatz zu den schrecklichen Ereignissen in der Vergangenheit.

Die Toskana als Sehnsuchtsland vieler Menschen und der Olivenanbau waren wunderbar in die Handlung eingebettet.

Ein gelungenes Nachwort und einige feine toskanische Rezepte zum Ausprobieren runden das Buch ab.

Teresa Simon zeigt ihren Leser*Innen wieder einmal, dass Geschichte keine trockene Wissenschaft ist. Gerade in den Zeiten des neu aufblühenden Faschismus ist es wichtig, sie zu kennen und zu begreifen - und macht uns (hoffentlich) aufmerksamer.

Ich möchte dieses Buch möglichst vielen Leser*Innen empfehlen, da es Geschichte auf leichte und unterhaltsame Weise darstellt und nachdenklich macht.

Bewertung vom 26.05.2025
Maly, Beate

Zeit der Hoffnung / Die Trümmerschule Bd.1


ausgezeichnet

Die junge jüdische Lehrerin Stella kehrt 1946 nach acht Jahren im Londoner Exil in ihre Heimatstadt Wien zurück, da sie sich verpflichtet fühlt, hier zu helfen. Sie wohnt bei ihrer Freundin Feli, die auf die Rückkehr ihres Verlobten wartet und die Stella eine Lehrposition am Lindengymnasium verschafft hat. Während Stella eine Anhängerin der Reformpädagogik ist, Schläge ablehnt und die ärgsten Nöte der Kinder lindern möchte, stößt sie bei einigen Kollegen auf erheblichen Widerstand....

Die Österreichische Autorin Beate Maly legt mit "Die Trümmerschule – Zeit der Hoffnung" den ersten Teil der Dilogie "Lehrerin für ein besseres Morgen" vor.

Schauplatz der Handlung ist das Wien nach dem Zweiten Weltkrieg; und aus den Schilderungen spricht die Liebe der Autorin zu ihrer Heimatstadt.

Beate Maly gelingt es, neben historischer Unterhaltung in flüssigem Stil und einer gewissen Spannung, gut recherchierte Themen lebendig und mitreißend darzustellen. Sicher spielt hierbei auch Malys beruflicher Werdegang im Bereich der Pädagogik dabei eine Rolle, dass sie die Reformpädagogik und die veralteten Ansichten von Stellas Kollegen so bildhaft beschreiben kann.

Die erheblichen Zerstörungen der Stadt, der Hunger, das Fehlen am Nötigsten, die Traumata der Kinder, über die diese nicht reden dürfen, werden sehr emotional dargestellt; aber auch die Probleme, die Stella als Jüdin hatte (mit ihrer sehr knappen Flucht vor der SS durch Felis Hilfe), die Enteignungen, der Tod ihrer ganzen Familie in Konzentrationslagern und Stellas abgelehnter Antrag auf Restitution haben mich tief berührt. Gerade in einer Zeit des wiedererwachenden Faschismus' dürfen diese Gräueltaten nicht in Vergessenheit geraten.
Aber auch die körperlichen und vor allem seelischen Verletzungen der Soldaten und die daraus für ihre Familien entstehenden Nöte sind glaubwürdig dargestellt, so dass sich ein äußerst lebendiges Gemälde der Zeit ergibt.

Die Figuren sind glaubhaft und mehrdimensional dargestellt; natürlich kommt Beate Malys Begeisterung für starke Frauen, die mutig ihren Weg gehen, auch in diesem Buch wieder zum Ausdruck. Einfühlsam beschreibt sie Freude und Leid und die Gedanken der Hauptfiguren, aber auch sehr glaubhaft die Antagonisten.

Gelungen ist auch das Nachwort, in dem die Autorin klarstellt, dass das Buch zwar fiktiv ist, jedoch der Lebensgeschichte von Stella Klein-Löws nachempfunden ist und wie sie recherchiert hat.

Mich hat "DIe Trümmerschule" tief beeindruckt und ich freue mich schon sehr auf den zweiten Teil mit dem Titel "Die Trümmerschule – Jahre der Kinder", der für Januar 2026 angekündigt ist.

Bewertung vom 01.05.2025
Mason, Simon

Ein Mord im November - Ein Fall für DI Wilkins


ausgezeichnet

Am College in Oxford wird eine junge Frau in der Wohnung des Provosts ermordet aufgefunden. Aufgrund einer Namensverwechslung wird der neue DI Ryan Wilkins noch in der Nacht zum Tatort gerufen und gerät mit seiner prolligen Art sogleich mit dem Uni-Beamten aneinander. Um die Situation zu retten, lässt die Chefin ihn gemeinsam mit ihrem besten Mann, DI Raymond Wilkins, ermitteln, einem jungen, schwarzen Überflieger, der umsichtig und wortgewandt ist, also das absolute Gegenteil von Ryan. Obwohl sich beide nicht leiden können, ergänzen sie sich bei den unübersichtlichen Ermittlungen, bei denen nicht einmal die Identität der Toten geklärt werden kann. Bis Ryan wieder einmal Opfer seiner Agressionen wird ....

"Ein Mord im November" ist der erste Fall für das explosive neue Ermittlerpaar aus der Feder des britischen Autors Simon Mason und der einzige, der bereits auf Deutsch erschienen ist, während auf Englisch bereits drei weitere Romane vorliegen.

Zentraler Schauplatz der Handlung ist die ehrwürdige Universität Oxford, an der sowohl der Autor als auch seine Figur Raymond Wilkins studierten. Einige von den in diesem Zusammenhang genannten Begriffen sind mir nicht geläufig, so dass ich diese anderweitig nachschlagen musste (wie eben z.B. "Provost"). Die verwinkelten Räumlichkeiten schaffen eine authentische und höchst britische elitäre Atmosphäre, in die der in einem Trailer-Park aufgewachsene Ryan in keinster Weise passt und folgerichtig aneckt.

Die Spannungskurve steigt zunächst langsam an und der Leser tappt gemeinsam mit den Detectives lange Zeit im Dunkeln bei der Suche nach der Identität des Opfers; trotzdem bleibt die Handlung lebhaft und einnehmend. Nach überraschenden Wendungen kommt es schließlich zu einem atemberaubenden Showdown, in dem alle aufgekommenen Fragen schlüssig beantwortet werden.

Für mich brilliert der Kriminalroman durch die erfrischende Zeichnung des DI Ryan Wilkins mit seinen doch mangelhaften Umgangsformen und seinen Aggressionen, die jedoch mit einer ausgezeichneten Beobachtungsgabe und großer Intelligenz versehen ist. Berührend zeichnet der Autor die von Schicksal und Privatleben benachteiligte Figur so glaubhaft, dass ich intensiv mit ihm fühlte und litt. Diese ganz neue Figur in der Welt der Ermittler machte in seiner besonderen und aufsehenerregenden Art einfach Spaß. Dazu trugen auch die Spannungen bei, die daraus natürlich im Verhältnis zu dem stets korrekten und erfolgreichen Raymond entstanden. Auch, wenn die einzelnen Figuren vielleicht etwas überzeichnet waren, trugen sie zu einem höchst unterhaltsamen Lesevergnügen bei.
Simon Mason gelingt es, dass der*die Leser*In auch bei einem spannenden Fall immer wieder schmunzeln muss - und das trotz oder gerade wegen der politischen Unkorrektheit in den Dialogen; eine Leichtigkeit, die bei Deutschen Autoren kaum zu finden ist. Auch die kurzen ruhigen Abschnitte, in denen der teils so asozial wirkende Ryan Gespräche mit seinem zweijährigen Sohn führt (der für sein Alter ziemlich reif wirkt), schaffen Tiefe und berühren auf besondere Art.

Dass auch Ryan für sein Fehlverhalten bestraft wird, bleibt natürlich nicht aus. DIe Handlung, in der nicht nur ein Fall gelöst, sondern auch das Miteinander des ungleichen Paares sich verbesserte, bietet noch viel Potential für die weitere Entwicklung der Figuren und ihr Verhältnis zueinander und ich freue mich auf baldige Veröffentlichung der Nachfolgebände.

Mich hat der inspirierende Erste Fall für DI Wilkins hervorragend unterhalten und ich empfehle ihn unbedingt weiter an Freunde britischer Kriminalromane, die auch unperfekte Ermittler mögen und die in einem einzigen Buch durch die unterschiedlichsten Gefühle gehen möchten.

Bewertung vom 28.04.2025
Nola, Fabio

Commissario Gaetano und der lügende Fisch / Commissario Gaetano Bd.1


weniger gut

Der neapolitanische Commissario Salvatore Gaetano soll den Mord an einem Turiner Geschäftsmann aufklären, der ohne Kopf in seiner Wohnung aufgefunden wird - augerechnet an dem Tag, an dem die Neapolitaner das Stadtfest ihres Schutzheiligen San Gennaro feiern und die Stadt im Chaos versinkt. Dass der Tote offensichtlich Dreck am Stecken hatte und bei seiner Umwelt äußerst unbeliebt war, macht die Sache nicht leichter. Und Gaetano hat darüber hinaus auch eine Menge eigener Probleme. nicht zuletzt mit seinem Bruder Aniello, der nach einem Unfall in einem Pflegeheim vor sich hin vegetiert und seiner Nichte Carla, die heiraten will ....

Fabio Nola ist das Pseudonym eines deutschen Historikers, der während seines Studium selbst viel Zeit in Neapel verbracht und der seiner Liebe zur Stadt und den besonderen Einwohnern und ihren Marotten viel Raum gibt. "Commisaario Gaetona und der lügende Fisch" ist der Auftakt zu einer Krimireihe um den Neapolitanischen Kommissar, der weitere folgen werden.

Dieser Neapel Krimi konnte meine - zugegebenermaßen hohen Erwartungen - allerdings nicht wirklich erfüllen, denn der eigentliche Fall spielt doch eine eher untergeordnete Rolle im Buch und kommt nur schleppend in Gang, Gaetano ermittelt, teilweise unterstützt von seiner schwangeren Kollegin Emilia und Danilo Paese, einem etwas schwerfälligen Verwandten des Primo Dirigente, schweift aber immer wieder in private Belange ab. Er stochert im Dunklen, ein Pater gibt nur mystische Auskünfte und erst ab der zweiten Hälfte kommt endlich Spannung auf und der Fall kommt zu einer - zugegebenermaßen interessanten - Aufklärung.

Die Figuren sind überwiegend klischeehaft und nicht gerade vieldimensional; über allem lag eine recht melancholische Stimmung und ich fühlte mich nicht wirklich wohl in der Geschichte um den doch eher schwierigen Charakter des Commissarios. Das recht negative Frauenbild mag zu Süditalien passen, störte mich aber doch. (Dass Gaetano die recht tumbe Schutzpolizistin Beppa Bellucci fälschlicherweise nur Monica nach der berühmten Schauspielerin Monica Bellucci nennt, fand ich dauerhaft nicht witzig.) Viele Ansätze, die mir zunächst so vielversprechend erschienen, verliefen sich. Selbst Pater Ambrosio. den ich zunächst so interessant fand, weckte schließlich meinen Missmut.

Über Neapel, seinen doch recht ungewöhnlichen Schutzpatron und das Napultiano gibt es hingegen allerhand zu erfahren, was den Krimi für Interessierte lesenswert macht.

Ein Stadtplanauszug von Neapel und ein Glossar des Napulitanos runden das Buch ab.

ICh möchte auch eine Triggerwarnung aussprechen ohne allzu viel zu spoilern, da es um männliche sexuelle Vorlieben geht, die nur schwer zu ertragen sind (wenn Männer nur auf sehr junge Mädchen stehen und die sich daraus ergebenden Folgen...)

Insgesamt kann man sich durchaus von "Commissario Gaetano" unterhalten lassen; meine LIeblingsfigur ist er leider nicht geworden.

Bewertung vom 18.04.2025
Raabe, Marc

Die Nacht / Art Mayer-Serie Bd.3


ausgezeichnet

Art Mayer sucht immer noch nach der verschwundenen Dana Karasch. Ihre Tochter Milla, die bei ihrer dementen Großmutter lebt, hat er ins Herz geschlossen. Als ein Richter tot aufgefunden wird und auch noch MIlla verschwindet, ermittelt Art, der von dem Fall entbunden ist, gemeinsam mit seiner Partnerin Nele Tschaikowski, die eigentlich im Mutterschutz ist, und stößt auf immer mehr Ungereimtheiten, in die offenbar auch Kollegen involviert sind ...

Der deutsche Schriftsteller Marc Raabe legt mit "DIe Nacht" den dritten Thriler aus seiner "Art-Mayer-Serie" vor, der in sich abgeschlossen ist und sich problemlos ohne Kenntnis der vorhergehenden Bände lesen lässt - allerdings verpasst der Leser dann die Weiterentwicklung der privaten Beziehungen und eine Menge Lesevergnügen.

Raabe Schreibstil ist bildhaft und äüßerst rasant. DIe aktuellen Entwicklungen wechseln sich ab mit den Geschehnissen in der Vergangenheit; kurze Kapitel mit Cliffhangern führen zu höchster Spannung, die auf hohem Level die Seiten fast von selbst umblättert. Überraschende Wendungen halten das Tempo weiterhin hoch und führen schließlich zu einem positiven Abschluss.
Auch, wenn ich normalerweise jedes Detail geklärt haben möchte, versetzte der Autor mich in Erstaunen mit einem befriedigenden Ende: „In einer perfekten Welt gäbe es eine perfekte Erklärung. Aber in der Wirklichkeit gibt es immer diese merkwürdigen Unschärfen…. Aber die Wirklichkeit ist halt kein Raster. Und das lässt uns immer etwas ratlos zurück.“

Marc Raabe lässt viel Psychologie und einige psychologischen Störungen in die Handlungen einfließen und bereitet seinen Leser*Innen damit teilweise heftiges Kopfkino und der Story weitere Tiefe. Zunächst kaum vorstellbar, wie allein die Erwähnung "der Schachtel" bei allen Figuren Panik auslösen kann, um ein Beispiel zu nennen...

DIe Figuren um den angeschlagenen Ermittler Art Mayer, der sich trotz seines Einzelgängertums und seiner Regelbrüche wohltuend von dem Klischee des "lonely wolfs" abhebt, konnten mich überzeugen. Besonders in Herz geschlossen habe ich die achtjährige Milla, die ihr Schicksal annimmt und trotzdem Kind bleibt.

(Auch, wenn bei einem Thriller mit verstörenden Themen zu rechnen ist, möchte ich eine Triggerwarnung aussprechen für: Alkohol- und Drogenmissbrauch, Vergewaltigung, psychischer und körperlicher Gewalt, KIndsmord und auch Hunde kommen zu Tode.)

Ich empfehle diesen großartigen Thriller unbedingt weiter und freue mich bereits auf den vierten Band um den legendären Art Mayer und die junge Nele Tschaikowski, der unter dem Titel "Im Morgengrauen" für das Frühjahr 2026 angekündigt ist.