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SimoneF

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Insgesamt 563 Bewertungen
Bewertung vom 03.11.2025
Schreiber, Jasmin

Da, wo ich dich sehen kann


gut

Maja ist neun Jahre alt, als ihr Vater Frank ihre Mutter Emma tötet. Das Buch setzt einige Monate später an: Maja lebt vorübergehend bei Brigitte und Per, ihren Großeltern mütterlicherseits, und auch ihre Patentante Liv, Emmas beste Freundin, ist für sie da. Alle vier versuchen auf ihre Weise, die Tat zu verarbeiten und weiterzuleben, hadern mit Schuldgefühlen. Maja und Brigitte gehen zur Therapie.

In den Medien und gesellschaftlichen Debatten stehen meist die Täter im Fokus, während über die Opfer und deren Umfeld wenig gesprochen wird. Jasmin Schreibers Ansatz ist daher umso wichtiger: Sie legt den Schwerpunkt klar auf die Angehörigen, die nach einem Femizid in Trauer zurückbleiben, deren Leben aus der Bahn geworfen wird und die sich mit Schuldgefühlen quälen: Hätte ich etwas bemerken müssen? Genauer hinsehen, nachfragen, nicht lockerlassen? Gab es Anzeichen die ich übersehen habe? Hätte ich die Tat verhindern können?

Leider gelingt die Umsetzung nur bedingt. Keine der erwachsenen Hauptfiguren - Per, Brigitte, Liv - stand in den letzten Jahren mit Emma in so engem Kontakt, um uns Leser:innen einen Einblick in die Beziehungsdynamik der Ehe oder in das Gefühlsleben von Emma zu geben. Das bleibt weitestgehend eine Blackbox. Hierdurch liefern uns auch alle drei Perspektiven ähnliche Eindrücke, und man kann sich fragen, wozu es dann drei Figuren braucht, die in gewisser Weise redundant sind.

Der Schreibstil ist eher gewöhnlich, hierhatte ich mir literarisch mehr erwartet. Manches ist recht plump geraten, etwa wenn Liv und ihre Mutter in einem spontanen Gespräch ihre verkorkste Beziehung aufarbeiten und hierbei dem bereits verstorbenen Vater ganz bequem die Schuld daran in die Schuhe schieben. Ferner werden Emma und Liv in Rückblenden als extrem wissbegierige und begabte Kinder dargestellt, die durch Männer ihre Karriere aufgeben bzw. an die patriarchale Gläserne Decke stoßen. Das ist mir zu plakativ, zu einfach. Vieles ist Schwarz-Weiß gezeichnet, es fehlen die Zwischentöne.

Liv ist Astrophysikerin. In diesem Zusammenhang gibt es immer wieder Anspielungen auf Astronomie und Paralleluniversen, die auch als Bild für Was-wäre-wenn-Szenarien dienen. Diese Anspielungen wirkten auf mich aufgesetzt und verkrampft. Als Naturwissenschaftlerin mag ich es einfach nicht, wenn die Wissenschaft metaphysisch instrumentalisiert wird.

Nebenschauplätze nehmen relativ Raum ein, dafür kommen die Eltern von Frank zu kurz. Ein wirklich interessanter, weil häufig unterschätzter Aspekt, das Sorgerecht für Maja, wurde ebenfalls viel zu schnell abgehandelt. Ärgerlich sind zudem inhaltliche Fehler und Widersprüche im Buch.

Am stärksten ist das Buch für mich in den Maja-Kapiteln, wo ihre Zerrissenheit, ihre kindliche Vorstellung von ihrer Schuld am Tod der Mutter und die körperlichen und seelischen Folgen wirklich eindrücklich vermittelt werden. Allerdings hatte ich beim Lesen manchmal das Gefühl, dass der Schreibstil in den Kapiteln aus Majas Sicht nicht zu einer Zehnjährigen passt.

Gut gefallen hat mir, dass die Geschichte immer wieder durch Gerichtsdokumente, Protokolle und Zeitungsberichte unterbrochen wird. Etwas verwirrend war jedoch, dass die in den Berichten erwähnten Vorfälle und Namen alle fiktiv sind, während die Statistiken zu Gewalt gegen Frauen vermutlich korrekt sind.

Insgesamt muss ich leider sagen, dass ich mir mehr erwartet hatte, sowohl literarisch als auch konzeptionell.

Bewertung vom 02.11.2025
Lehmenkühler, Lissa

Ete Petete & Tohu Wabohu - Gegensätze ziehen sich an


sehr gut

Ete Petete wohnt mit ihrem Hund Pico Bello in einem äußerst aufgeräumten Zuhause: Jeden Tag wird gefegt und gewienert, der Garten ist akkurat gepflegt und der Tagesablauf folgt einem festen Plan. Dieser gerät gehörig durcheinander, als nebenan der chaotische Tohu Wabohu mit seiner Katze Ramba Zamba einzieht – und mit ihm Lärm und Chaos.

Ich habe das Buch gemeinsam mit meinem kleinen Neffen (3 Jahre) gelesen, und er war sofort begeistert. Vor allem die klangvollen Namen haben es ihm angetan. Auch die detailreichen, herrlich farbenfrohen und ausdrucksstarken Illustrationen haben wir immer wieder angesehen und er hat jedes Mal noch etwas Neues entdeckt. Die bunten Zeichnungen kommen in dem großformatigen Buch wirklich schön zur Geltung!

Die Geschichte wird in Reimform erzählt, was mir grundsätzlich sehr gut gefällt, da Reime eingängig sind und gerade bei kleinen Kindern besonders gut ankommen. Leider sind einige Reime etwas holprig geraten, so dass man beim Vorlesen manchmal über das unsaubere Versmaß stolpert.

Ich hatte erwartet, dass Ete Petete und Tohu Wabohu im Laufe der Geschichte voneinander lernen und Verständnis füreinander aufbringen. So könnte Tohu etwas rücksichtsvoller werden und eine gewisse Ordnung schätzen lernen, während Ete die Dinge etwas lockerer nehmen und spontaner werden könnte. Dies wird im Buch so nicht vermittelt. Nach anfänglichem Ärger versöhnen sich die beiden so schnell, dass ich zunächst dachte, im Buch würde eine Seite fehlen. Dies ist etwas schade, und ein paar Seiten mehr hätten der Geschichte sehr gutgetan.

Meinen Neffen hat das jedoch nicht gestört, und er hat viel Spaß mit dem Buch, vor allem, da die Figuren dazu einladen, sie mit verteilten Rollen zu sprechen.

Insgesamt ein wunderschön illustriertes Kinderbuch mit etwas Luft nach oben bei der inhaltlichen Ausarbeitung.

Bewertung vom 02.11.2025
Tey, Josephine

Der falsche Erbe


ausgezeichnet

Die Familie Ashby besitzt seit Generationen das Anwesen Latchetts. Da die aktuellen Gutsbesitzer vor acht Jahren bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kamen, kümmert sich Tante Bee liebevoll um die Kinder und das Gut. Kurz nach dem tragischen Unfall musste die Familie einen weiteren Schicksalsschlag verkraften: Der älteste Sohn Patrick verschwindet eines Nachts; ein Abschiedsbrief deutet auf Suizid hin. In der Erbfolge rückt sein jüngerer Zwillingsbruder Simon nach. Jahre später stehen dessen Volljährigkeit und damit der Erbantritt kurz bevor – als plötzlich ein junger Mann auftaucht, der Simon frappierend ähnlich sieht und behauptet, der verschollene Patrick zu sein.

Wie Josephine Tey in „Der falsche Erbe“ ihre Geschichte um den Hochstapler Brat Farrar aufbaut, ist einfach genial! Die Autorin geht für die damalige Zeit ganz neue Wege und bricht die starren Regeln des klassischen Krimis auf. So kommt der komplette Fall gänzlich ohne Ermittler und Polizei aus. Obwohl man als Leser:in bereits von Beginn an weiß, dass es sich bei dem geheimnisvollen jungen Mann nicht um den echten Patrick handelt, bietet der Krimi Hochspannung bis zum Schluss. Josephine Tey legt Brat Farrar fernab jeglicher Hochstapler-Klischees an; man fühlt mit dem jungen Mann, der im Grunde rechtschaffen ist, spürt seine Gewissensbisse, und kann seine Beweggründe, die ihn zu seinem Handeln verleiten, beinahe verstehen.

Auch sprachlich ist dieser Krimi von 1949 wirklich schön zu lesen und ich habe ihn von der ersten bis zur letzten Seite genossen. Sehr lesenswert!

Bewertung vom 02.11.2025
Städing, Sabine

Petronella Apfelmus - Hexenschuss und Zaubernuss (Band 13)


ausgezeichnet

Auch wenn mein Sohn mit 11 Jahren eigentlich nicht mehr zur Zielgruppe gehört und sonst inzwischen „coole“ Bücher bevorzugt, liebt er Petronella heiß und innig und wollte auch den neuen Band unbedingt lesen, und das sagt schon sehr viel aus über die wunderbare Reihe um die sympathische Apfelhexe.

In „Hexenschuss und Zaubernuss“ herrscht große Aufregung rund um die Mühle: Eine Gruppe von Kryptozoologen zeltet auf der Wiese hinter dem Garten und geht auf die Jagd nach magischen Wesen. Damit nicht genug: Ihre Wertsachen, die sie von Herrn Kuchenbrand in einem Raum der Mühle einschließen lassen, um sie dort sicher zu verwahren, werden gestohlen, und der Papa der Zwillinge gerät unter Verdacht. Klar, dass Luis, Lea, Petronella und die Apfelmännchen ihre eigenen Nachforschungen anstellen!

Wir sind seit Jahren Fans der Reihe, und auch der dreizehnte Band bietet wieder eine sehr unterhaltsame Geschichte rund um die die Kuchenbrand-Zwillinge, Petronella, den Hirschkäfer Lucius und die Apfelmännchen. Diesmal sind auch Petronellas vom Hexenschuss geplagte Oma und die neugierige Hexobine Höckerbein mit von der Partie. Wir lieben die gemütliche Atmosphäre der Petronella-Bücher, die ideal für Kinder ab dem Grundschulalter geeignet sind. Die kurzen Kapitel sind perfekt zum Vorlesen und zum Selbstlesen für geübte Leseanfänger. Die fröhlichen schwarz-weißen Illustrationen lockern den Text zusätzlich auf.

Fazit: Sehr empfehlenswert, wie alle Bücher der Petronella-Reihe!

Bewertung vom 02.11.2025
Pflüger, Andreas

Kälter


ausgezeichnet

Amrum, 1989. Acht Jahre sind vergangen, seit Luzy Morgenroth ihrem bisherigen Leben den Rücken kehrte und nun als Inselpolizistin eine ruhige Kugel schiebt. Als der Bruder ihrer besten Freundin eines Abends jedoch spurlos von der Autofähre verschwindet, spürt Luzy instinktiv, dass dies kein Unfall war. Sie bekommt es schon bald mit einem Killerkommando zu tun und muss ihre alten Fähigkeiten und Instinkte reaktivieren. Mitten in den Wirren, die der Zusammenbruch des Ostblocks auslöst, findet Luzy sich in einem unübersichtlichen Geflecht verschiedenster Geheimdienstinteressen wieder, in der ein Dämon aus der Vergangenheit auf sie wartet.

Andreas Pflüger ist mit „Kälter“ ein rasanter, actiongeladener Agententhriller gelungen, der reich an überraschen Wendungen ist. Die Verstrickungen der einzelnen Figuren zwischen MfS, KGB, CIA, BKA, BND und Mossad sind komplex und erfordern Konzentration beim Lesen, sorgen aber bis zur allerletzten Seite für absolute Hochspannung. Viel Raum nehmen die teils recht brutalen Kampfszenen ein, die Pflüger wortreich beschreibt und häufig mit Anspielungen auf Filme, Musikstücke und Literatur verbindet. Immer wieder zitiert er auch Stephen Hawking und zieht Vergleiche zwischen Luzys Wahrnehmung und der Quantenmechanik, die mich als Naturwissenschaftlerin eher nervten. Seine verwendeten Bilder wirken dabei zuweilen etwas effekthascherisch und zogen die Szenen unnötig in die Länge; da wäre weniger mehr gewesen. Die Dialoge sind taff und markig, manchmal zynisch, und gelegentlich blitzt auch Humor durch, der für etwas Auflockerung sorgt.

Wer bereits den preisgekrönten Thriller „Wie Sterben geht“ gelesen hat, kann sich über ein Wiedersehen mit einigen Protagonisten freuen, auch bestimmte Ereignisse darin werden erwähnt. Allerdings sind diese für das Verständnis der Handlung von „Kälter“ nicht von Belang, so dass sich der neue Thriller unabhängig lesen lässt.

Wie immer beeindruckt Pflügler durch seine tiefgehende Recherchearbeit und sein Insider-Wissen. Im Nachwort erwähnt er hierbei auch Quellen vom BND, der Sicherungsgruppe beim BKA und seine Freundschaft mit dem ehemaligen Präsidenten des BKA.

Fazit: Ein sehr empfehlenswerter Thriller für alle, die komplexe Geheimdienst-Plots mit viel Action schätzen und gerne nochmal in die spannende Wendezeit abtauchen möchten.

Bewertung vom 25.10.2025
Mirow, Benedict

Joshua Jackelby


ausgezeichnet

London im Jahr 1851. Joshua Jackelby ist Zeitungsjunge und lebt zusammen mit seinen Freuden Leroy und Charlotte und seiner Hündin Hazel, die er aus der Themse gerettet hat, im Bahnhofsgebäude der „Waterloo Station“. Als sie eines Tages einen schwer verletzten Mann finden, beginnt ein großes Abenteuer für die drei Freunde, bei dem sie es nicht nur mit einer gefährliche Straßengang zu tun bekommen, sondern auch einen beispiellosen Raub verhindern müssen, der von langer Hand geplant wurde.

Ich habe dieses Buch zusammen mit meinem Sohn (11) gelesen, und dank der lebendigen und bildhaften Schreibweise konnten wir tief ins viktorianische London eintauchen. Joshua ist ein empathischer und sensibler Junge, der überlegt handelt, Charlotte („Charlie“) ist mutig und pragmatisch, und Leroy ist gut darin, Dinge zu „organisieren“ und das Überleben der drei zu sichern. Darüber hinaus unterstützt er auch seine kleinen Geschwister, die in prekären Verhältnissen leben. Die Freunde halten fest zusammen und haben früh gelernt, Verantwortung für sich zu übernehmen.
Die Handlung spielt zur Zeit der echten Weltausstellung im Hyde Park, und ganz nebenbei erfährt man interessante historische Details. Überhaupt gelingt es dem Autor Benedict Mirrow hervorragend, ein Gefühl für die damaligen Lebensverhältnisse zu vermitteln und Geschichtliches rund um Medizin (Anästhesie, Cholera-Bekämpfung), technische Erfindungen und gesellschaftliche Aspekte einzuflechten. Insbesondere die Ausbeutung von Arbeitskräften aus den Kolonien, die in Großbritannien als Haussklaven gehalten wurden, Diskriminierung und Rassismus rückt er eindrucksvoll in den Fokus.

Uns beiden hat das Buch richtig gut gefallen. Ich habe den Eindruck, dass es für meinen Sohn besonders toll war, in Joshua und Leroy zwei spannende männliche Protagonisten haben. Viele Neuerscheinungen konzentrieren sich gerade auf weibliche Hauptfiguren, und „Joshua Jackelby“ ist somit gerade für Jungs besonders interessant (und natürlich gibt es auch hier tolle weibliche Charaktere). U.a. auch durch die Konfrontation mit der Straßengang bietet das Buch auch einiges an Action. Körperliche Auseinandersetzungen und auch Polizeigewalt werden thematisiert, aber nicht detailliert beschrieben. Besonders gut gefiel mir hier Joshuas überlegte Art zu handeln, mit der er klassische Freund-Feind-Schemata durchbricht und den Menschen in den Vordergrund stellt.

Im Nachwort ordnet der Autor die Geschichte in den historischen Kontext ein, was mir sehr gut gefällt. Hier hätte ich sogar gerne noch ein bisschen mehr gelesen, insbesondere auch zum „Himmelssegler“. Dieses Fluggerät nimmt im Buch eine zentrale Stellung ein, und es wäre interessant gewesen zu erfahren, ob ein derart angetriebener Apparat tatsächlich einmal gebaut wurde. Gefunden habe ich hierzu auch im Internet nichts.

Fazit: Eine spannende Abenteuergeschichte mit sympathischen Protagonisten, interessanten historischen Hintergrundinformationen zum viktorianischen London und tollen Botschaften. Eine klare Leseempfehlung von uns!

Bewertung vom 22.10.2025
Taschler, Judith W.

Die Deutschlehrerin


ausgezeichnet

Die Deutschlehrerin Mathilda und der Schriftsteller Xaver waren 16 Jahre lang ein Paar, bis Xaver eines Tages einfach seine Sachen packt und verschwindet, während Mathilda in der Arbeit ist. Mathilda fällt in ein tiefes Loch und braucht lange, um darüber hinwegzukommen. Viele Jahre später kreuzen sich ihre Wege durch einen Schreibworkshop an Mathildas Schule, für den ihr Xaver als Gastautor zugeteilt wird.

Mathildas und Xaver schreiben sich im Vorfeld des Workshops Emails, die im Wesentlichen die Grundlage des Buches bilden – quasi die moderne Form eines klassischen Briefromans.

Stück für Stück nähern sich die beiden per Mail an die schwierigen, bisher unausgesprochenen Themen ihrer Vergangenheit heran, und es wird klar, dass beide Geheimnisse mit sich tragen. Wortgewandt belauern und umtänzeln sie sich und versuchen, sich wechselseitig aus der Deckung zu locken, ohne selbst zu viel preiszugeben. Fiktive Geschichten, die sie sich erzählen, und Realität werden zu einem kunstvollen Reigen aus Beziehungsdrama, Krimi und Psychothriller verwoben, der einem beim Lesen den Atem anhalten lässt.

Mit jeder Mail bekommen die Charaktere mehr Kontur, und ich hatte Mathilda und Xaver beim Lesen lebendig vor Augen. Mathilda ist eine pragmatische, lebenstüchtige Frau, die in ihrem bürgerlichen Dasein als Lehrerin aufgeht und sich damals sehnlichst ein Kind von Xaver gewünscht hätte, während Xaver jegliche Verantwortung scheute und sich in der Rolle des freien, intellektuellen Künstlers gefiel, der sich in der Bewunderung seines Publikums sonnt. Auf eine bürgerliche Existenz blickt er mit Herablassung, auch wenn er sich von Mathilda während ihrer Beziehung finanziell aushalten ließ.

Bereits 2014 habe ich „Die Deutschlehrerin“ erstmals gelesen und auch 10 Jahre später zieht mich Judith Taschlers literarisch virtuos konstruierter Roman wieder in seinen Bann. Für mich ist dies das beste Werk der Autorin und ich kann es nur wärmstens weiterempfehlen!

Bewertung vom 22.10.2025
Broekaert, Joël

Die Weltgeschichte in zwölf Bohnen


ausgezeichnet

Kurz und knackig wirft Joël Broekaert auf 176 Seiten einen höchst ungewöhnlichen Blick auf die Weltgeschichte: In dreizehn Kapiteln erzählt er anhand von zwölf Bohnen (die Ackerbohne hat zwei Auftritte) und deren Einfluss kurzweilige, lehrreiche, oft ungewöhnliche historische Episoden und zeigt, wie eng verwoben Geschichte, Politik, Kultur und Ernährungsgewohnheiten sind.

Besonders gut gefiel mir das Kapitel über die Antike und die Ackerbohne, in dem der Autor etwa darüber sinniert, warum Pythagoras ein strikter Bohnen-Verweigerer war und ganz nebenbei die Wortverwandtschaft der Bohne in verschiedenen Sprachen erläutert. Diese Gedanken lesen sich höchst vergnüglich, und die Vorstellung des geräuschvoll Bohnen verdauenden Diogenes in seiner Regentonne brachte mich zum Lachen.

Für geschichtsinteressierte Leserinnen und Leser eine informative und äußerst unterhaltsame Lektüre; auch ein sehr schönes Geschenk!

Bewertung vom 22.10.2025
Tidhar, Lavie

Adama


gut

Adama ist ein epischer Familienroman, der über mehrere Generationen hinweg erzählt wird, in meinen Augen jedoch weder ein Kriminalroman noch ein Thriller. Die Erzählweise mag stellenweise Thrillerelemente aufweisen, auch das Gewaltpotential im Buch ist hoch, wer Spannung oder Suspense erwartet, wird jedoch enttäuscht werden.

Stattdessen erzählt Lavie Tidhar achronologisch die Geschichte von Ruths Familie zwischen 1945 und 2009, die eng verwoben mit der gewaltvollen Gründungsgeschichte Israels ist. Der Autor deutet hier mehr an, als dass er erklärt und auserzählt, ein beträchtliches historisches Vorwissen wird also vorausgesetzt. Das war kein Problem für mich, jedoch bleiben auch bestimmte kriminelle Machenschaften und deren Auftraggeber im Dunkeln, so dass es teilweise bis zum Schluss nicht klar wird, wer auf welcher Seite für wen arbeitet. Das mag symptomatisch für die turbulente Anfangszeit des Staates Israels sein, ich empfand es jedoch als sehr unbefriedigend.

Die Charaktere sind klar gezeichnet, ambivalent und meist knallhart. Als Identifikationsfiguren eignen sie sich nicht, ich blieb zu allen auf Distanz und merkte beim Lesen, dass mir ihr Schicksal im Grunde egal war und dadurch für mich weder Spannung noch Emotionen aufkamen. Hierbei sticht besonders die sehr unerbittlich wirkende ungarischstämmige Zionistin Ruth heraus, die für das höhere Ziel eines Staates Israel buchstäblich über Leichen geht, auf brutale Rache sinnt und niemals vergeben kann. Als eine der ersten Siedlerinnen hat sie den Kibbuz Trashim mit aufgebaut und ordnet der Gemeinschaft alles unter. Das hier beschriebene Leben im sozialistischen Kibbuz fand ich sehr interessant (wenn auch für mich als Individualistin im höchsten Maße abschreckend), und machte für mich den besonderen Reiz des Buches aus. Der Blickwinkel ist stark zionistisch geprägt, da Leid der arabischen Bevölkerung durch die Nakba klingt nur schwach am Rande an.

Alles in allem ein durchaus gut geschriebenes und lesenswertes Buch, aber leider nicht mein Geschmack.

Bewertung vom 22.10.2025
Schlett, Liv K.

Birk


ausgezeichnet

Birk ist sechzehn Jahre alt und auf den ersten Blick ein typischer Teenie: Er zockt gerne, skatet mit seinen Kumpels, geht ins Fitnessstudio und ist heimlich in das hübscheste Mädchen seiner Klasse verliebt. Doch er hat ein Problem, das ihn massiv belastet und von dem niemand erfahren darf. In seiner Not eröffnet er einen anonymen Blog, um sich seine Sorgen von der Seele zu schreiben. Doch dann geschieht etwas, das sein komplettes Leben auf den Kopf stellt…
Die Autorin Liv K. Schlett hat sich ein weitgehend unbeachtetes, aber hochsensibles Thema für dieses Buch ausgesucht, das für die Betreffenden extrem belastend ist. Aber auch Jugendliche, die mit anderen, ähnlich tabuisierten Problemen zu kämpfen haben, dürften sich in Birks Gefühlsleben wiederfinden. Birk erzählt seine Geschichte in Form von tagebuchartigen Blogeinträgen, die sich über ca. ein halbes Jahr erstrecken. Hierbei gelingt es der Autorin hervorragend, sehr einfühlsam Birks Gefühlsachterbahn zwischen Hoffnung und Zuversicht, Ängsten, Verzweiflung und Einsamkeit zu schildern. Das Buch hat auch mich einen regelrechten Sog entwickelt und ich habe es binnen eineinhalb Tagen gelesen. Die dezent eingesetzte lockere Umgangssprache trifft genau den richtigen Ton und dürfte Jugendliche ansprechen, ohne anbiedernd zu wirken. Die Figuren, allen voran Birk, wirken sehr authentisch und lebendig.
Das Buch zeigt, dass Blogs und soziale Medien ein durchaus zweischneidiges Schwert sein können: Sich Probleme anonym von der Seele zu schreiben und sich mit anderen online auszutauschen, kann ein Weg oder ein Ventil sein, um mit einer Situation besser klarzukommen. Auf der anderen Seite bergen diese natürlich auch Risiken wie Cyber-Mobbing, die ebenfalls hier thematisiert werden.
Mit „Birk“ ist Liv K. Schlett ein außergewöhnlich einfühlsames, starkes Jugendbuch gelungen, das sich an Jugendliche ab ca. 14 Jahren richtet und viel Stoff zum Nachdenken bietet. Eine ganz klare Leseempfehlung und volle 5 Sterne!