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SimoneF

Bewertungen

Insgesamt 477 Bewertungen
Bewertung vom 27.04.2025
Das Echo der Sommer
Labba, Elin Anna

Das Echo der Sommer


sehr gut

Seit ich letztes Jahr von Ann-Helen Laestadius „Zeiten im Sommerlicht“ gelesen habe, interessiere ich mich für die Geschichte der Samen. Diese wurden über Jahrhunderte systematisch diskriminiert, und die Samen kämpfen zum Teil bis heute um Anerkennung und den Erhalt ihres Lebensraumes.

„Das Echo der Sommer“ thematisiert die rücksichtslose Flutung samischer Dörfer in Schweden, um den steigenden Energiebedarf des Landes durch Wasserkraft zu decken. Immer wieder werden zwischen 1923 und 1972 Staudämme errichtet und erhöht. Die Auswirkungen auf die Samen sind massiv: Weidegrund für die Rentiere verschwindet, der Fischfang als Lebensgrundlage gerät in Gefahr, da sich die Gewässer verändern, und die Dörfer mit den traditionellen Koten versinken im gestauten Wasser. Entschädigungen gibt es keine bzw. erst ab 1972, und diese sind minimal.
Bei der Lektüre dieses Buches bin ich durch ein Wechselbad der Gefühle gegangen. Es hat mich richtig wütend gemacht zu lesen, wie herablassend und respektlos die Samen behandelt wurden. Entscheidungen würden über ihre Köpfe getroffen, und sie hatten (als gesamtes Dorf) sogar einen gesetzlichen Vormund, der ihre Interessen „vertrat“. Jeglicher Fortschritt wurde ihnen verwehrt, insbesondere auch der Anschluss an das Elektrizitätsnetz, für das sie so viel opfern mussten. Auch wurde ihnen untersagt, in rechteckigen Häusern zu wohnen, sogar Fenster waren verboten. Das ist aus heutiger Sicht unfassbar, massiv diskriminierend und widerspricht jeglichem Gerechtigkeitsempfinden.

Gleichzeitig war ich sprachlos, wie gelassen und geradezu demütig die Samen diese Behandlung hinnahmen und als gottgegeben akzeptierten. Wer protestierte und sich zur Wehr setzte, wurde zum Außenseiter bzw. zur Außenseiterin in der Gemeinschaft. Es fiel mir daher schwer, mich in die Protagonistinnen hineinzuversetzen, da mir diese Ergebenheit völlig fremd ist. Gerade Inga, die junge Tochter, hätte ich manchmal am liebsten wachgerüttelt: Wo bleibt ihr Kampfgeist? Was ist mit ihrer Lebensplanung? Warum organisiert man sich nicht strategisch über die Dörfer hinweg zu einem großen konzertierten Protest, macht international auf sich aufmerksam? (Zumindest in den späteren Jahren, bei den Flutungen in den 1940ern war durch den Zweiten Weltkrieg der Fokus der Allgemeinheit auf den Krieg gerichtet). Aber vermutlich ist meine Denkweise viel zu modern geprägt und setzt auch ein gewisses Maß an Bildung und Rechtswissen voraus, das den Samen ebenfalls verwehrt wurde. Der innere Widerstand ihrer Mutter Ravdna war für mich viel besser verständlich, aber auch bei ihr habe ich einen echten Plan, eine Strategie, vermisst.

Elin Anna Labba schreibt in einer sehr poetischen Sprache, Schilderungen der Natur nehmen großen Raum ein und in jedem Satz ist die tiefe Verbundenheit zwischen den Samen und der Natur, ihrer Demut gegenüber der Schöpfung spürbar. Ich muss gestehen, dass mir das manchmal zu viel wurde und ich lieber in einer etwas nüchterneren Sprache mehr über die Flutungen, die weiteren Lebensumstände und die rechtliche Situation der Samen in Schweden erfahren hätte. Das Buch fokussiert vor allem auf die Wahrnehmungen und Empfindungen von Ravdna und Inga, selbst ihr Alltag als Samen bleibt relativ vage.

Der Text ist immer wieder durchsetzt von samischen Sätzen und Begriffen. Hier hätte ich mir ein Glossar am Ende des Buches mit Erklärungen gewünscht.

Fazit: Ein sehr aufwühlendes Buch, das die Diskriminierung der Samen im 20. Jahrhundert thematisiert und den Samen eine Stimme gibt. Insbesondere für alle, die ein Faible für poetische Sprache haben, ein sehr lesenswertes Buch.

Bewertung vom 21.04.2025
Sommer ohne Plan
Swanberg, Johanna

Sommer ohne Plan


weniger gut

Cassi befindet sich in einer privaten Krise, hat ihren gutbezahlten Beruf als Restaurantmanagerin hingeworfen und alle Brücken hinter sich abgebrochen. Sie lebt in einer kleinen Kellerwohnung, weiß nichts mit sich und ihren Mitmenschen anzufangen, als sie durch Zufall auf eine Immobilienanzzeige für ein heruntergekommenes altes Haus auf dem Land aufmerksam wird. Kurzentschlossen kauft sie das Haus und zieht dort hin. Durch ein Missverständnis verbreitet sich im Dorf das Gerücht, dass Cassi eine Art Selbsthilfe-Guru ist und ihre Dienste in Sitzungen und Kursen anbietet. Nach der ersten Verwunderung erkennt Cassi die Möglichkeiten, die sich ihr dadurch bieten und spielt mit...

Ich hatte eine humorvolle, mit einem Augenzwinkern erzählte kurzweilige Geschichte erwartet. Leider haben sich meine Hoffnungen nicht erfüllt.  Cassi ist mir von Anfang an äußerst unsympathisch, sowohl was ihr altes, in Rückblenden beschriebenes Ich als Restaurantmanagerin angeht, als auch die neue Cassi im Dorf. War sie früher perfektionistisch, unerbittlich mit sich und anderen, wenig empathisch und bestimmend, so vegetiert sie jetzt ungewaschen vor sich hin, betrügt durch ihre angebliche Erfahrung als Selbsthilfecoach und zeigt noch immer wenig aufrichtiges Interesse an ihren Mitmenschen. Mit einer Ausnahme: Mit Pavel, einem alten Mann, der ihr handwerklich hilft, verbindet sie bald eine Freundschaft, in der Cassi auch selbstlos handeln kann.

Cassis Verhalten in Bezug auf ihrem vermeintlichen Esoterik-Kult und ihre ständiges Geschwafel auf Kalenderspruchniveau war mir selbst beim Lesen peinlich. Ich war eher verärgert als belustigt, und empfand die Geschichte nicht als humorvoll. Der versprochene Witz oder gar Situationskomik stellte sich für mich nicht ein, sondern eher Fremdscham für Cassi. Die Handlung war sehr schnell vorhersehbar, und ich war einfach nur erleichtert, als ich das Buch beendet hatte. Meinen Geschmack hat es leider überhaupt nicht getroffen, und auch das sprachliche und erzählerische Niveau empfand ich als sehr durchschnittlich.  Daher leider nur 2 Sterne.

Bewertung vom 18.04.2025
Der Duft des Wals
Ruban, Paul

Der Duft des Wals


sehr gut

Hugo, seine Frau Judith und die ca. zehnjährige Tochter Ava verbringen ihre Ferien in einem mexikanischen 5-Sterne-Ressort am Meer – ein letzter Versuch, um die kriselnde Ehe zu retten. Céleste, die Stewardness, verbindet ihren Flug mit einem anschließenden Urlaub im selben Hotel. Der erhoffte Traumurlaub wird empfindlich gestört, als eines Nachts ein Wal strandet und aufgrund der Fäulnisgase im Inneren explodiert. Der Gestank, der sich über die gesamte Hotelanlage ausbreitet, ist übelkeitserregend und penetrant. Das Hotelpersonal müht sich erfolglos, den Geruch zu übertünchen. Zwei der Angestellten sind der Fahrer Waldemar und das Zimmermädchen Belén.

Hugo, Judith, Ava, Céleste, Waldemar und Belén erzählen die Geschichte abwechselnd aus ihrer Perspektive. Jede und jeder trägt sein Päckchen mit sich herum und reagiert unterschiedlich auf die Lage. Insbesondere die Blickwinkel der drei Familienmitglieder fand ich sehr interessant, da sie zeigen, wie jede:r von ihnen die eigene familiäre Situation beurteilt und mit den Gegebenheiten umgeht. Die Charaktere sind teilweise sehr skurril, insbesondere die tiefgläubige, sich selbst geißelnde Céleste und Ava, die ständig alles mit ihrem Etch A Sketch zeichnet und durch nichts aus der Ruhe zu bringen ist.

Was ich etwas schade fand ist, dass sich die einzelnen Erzählperspektiven kaum in ihrem Sprachduktus unterscheiden. Das hätte die Charaktere für mich noch greifbarer gemacht. Bei Ava passt der sehr erwachsene, abgeklärte Ton meines Erachtens auch nicht so gut zu einer Zehnjährigen.
Insgesamt sind Handlung und Figuren sehr skurril, mit abgründigem Humor, und ich habe viel darüber nachgedacht, was mir der Autor damit sagen möchte. Manches bleibt mir unklar, an anderen Stellen lässt sich relativ leicht Gesellschaftskritik herauslesen. Auch der achtlose Umgang mit der Natur, ihre Ausbeutung und Zerstörung werden thematisiert – und die Folgen werden von den Menschen so lange ignoriert und symptomatisch behandelt, bis die Natur eines Tages zurückschlagen wird.

Bewertung vom 18.04.2025
Ms Darling und ihre Nachbarn
Sampson, Freya

Ms Darling und ihre Nachbarn


ausgezeichnet

Dorothy Darling lebt seit 34 Jahren in Shelley House, einem historischen Mietshaus, das inzwischen ziemlich in die Jahre gekommen ist und seinen Glanz eingebüßt hat. Dorothy jedoch hängt an diesem Haus und fühlt sich dafür verantwortlich, dass alles ordnungsgemäß abläuft. Regelmäßige Kontrollgänge, Beschwerdebriefe an den Vermieter und die genaue Beobachtung der Nachbarn und ihrer etwaigen Regelverstöße gehören daher zu Dorothys Tagesroutine – ihrem wachsamen Blick entgeht nichts. Eines Tages zieht Kat, eine junge Frau mit pinken Haaren, als Untermieterin bei ihrem Nachbarn Joseph und dessen Hund Reggie ein, sehr zu Dorothys Missfallen. Doch es kommt noch schlimmer: Alle sechs Parteien bekommen Post vom Vermieter: Das Haus ist zu räumen, es muss einem Neubau weichen und wird abgerissen. Während Dorothy den Brief konsequent ignoriert, geht Joseph auf die Straße und demonstriert. Bis er eines Tages bewusstlos in der Wohnung liegt. Die Spekulationen sprießen: Was ist passiert? War es ein Unfall oder wurde nachgeholfen? Wie geht es nun weiter? Und wer kümmert sich um Reggie? Kat und Dorothy müssen wohl oder übel zusammenarbeiten, auch wenn jede ihre eigenen Interessen verfolgt.

Die meisten, die schon mal zur Miete in einem Wohnblock gelebt haben, dürften jemanden kennen, der ähnlich wie Dorothy über die Einhaltung der Hausordnung wacht und das Verhalten seiner Nachbarn beobachtet. Mir kam jedenfalls auf Anhieb eine frühere Nachbarin in den Sinn, deren Bild ich beim Lesen vor Augen hatte und die uns junge Leute damals ins Visier nahm.

Zu Beginn scheinen die Nachbarn in Shelley House bis auf die Anschrift nichts gemeinsam zu haben, und so kocht jeder sein eigenes Süppchen. Je weiter die Geschichte voranschreitet, desto besser lernt man die einzelnen Charaktere kennen, ihre Ängste, ihre Vergangenheit und die Gründe, warum sie so sind, wie sie sind. Man sieht sie in einem anderen, neuen Licht und entwickelt ein Verständnis für ihr Handeln. Das gilt auch für die Hausgemeinschaft untereinander. Mir hat das sehr gut gefallen und auch zu denken gegeben.

Für mich ist „Ms Darling und ihre Nachbarn“ ein wunderbarer Wohlfühlroman, der auch nachdenkliche, humorvolle und spannende Elemente enthält. Ich empfehle ihn auf jeden Fall sehr gerne weiter!

Bewertung vom 18.04.2025
Der Gott des Waldes
Moore, Liz

Der Gott des Waldes


ausgezeichnet

Mitten in einem Naturreservat in den Adirondack Mountains befindet sich ein Feriencamp, das alljährlich für zwei Sommermonate Jugendliche beherbergt. Im Sommer 1975 ist auch Barbara van Laar, die dreizehnjährige Tochter der Besitzer dabei. Gegen Ende des Camps verschwindet sie plötzlich spurlos, und eine großangelegte Suche beginnt. Barbaras Familie hat einen Sommersitz auf dem weitläufigen Grundstück, und 14 Jahre zuvor ist bereits Barbars kleiner Bruder Bear plötzlich verschwunden und nie wieder aufgetaucht...

Diese Geschichte hat auf mich von der ersten Seite an einen Sog entwickelt. Sie wird abwechselnd aus der Sicht unterschiedlicher Personen erzählt - u.a.  einem Mädchen aus dem Sommercamp, einer Betreuerin, einer Polizistin,  Barbaras Mutter und einem Feuerwehrmann, und springt dabei zwischen verschiedenen Zeitpunkten in den 1950er Jahren, 1961, 1963 und 1975 hin und her. Diese Art des Erzählens, wenn sich durch Rückblenden und Perspektivwechsel nach und nach die Puzzleteile zu einem Ganzen zusammensetzen, mag ich besonders gerne, da man hierdurch die einzelnen Charaktere aus mehreren Blickwinkeln kennenlernt. Es ist beeindruckend, dass es der Autorin Liz Moore gelingt, trotz dieser Sprünge ein angenehm zu lesendes Werk zu schaffen, bei dem man als Leserin jederzeit den Überblick behält.

"Der Gott des Waldes" ist kein klassischer Thriller, sondern eher ein raffiniert konstruierter literarischer Kriminalroman, der neben der Lösung des Falles den Blick auch auf gesellschaftliche Themen richtet. So wirft die Geschichte auch einen Blick auf die traditionellen Rollenmuster und deren allmählichen Wandel im Laufe der Jahre, auf Vorurteile gegenüber weiblichen Kriminalbeamtinnen noch in den 70er Jahren und auf die Macht, die Reichtum und Status verleihen.

Ein sehr spannender und gesellschaftskritischer Roman, den ich definitiv weiterempfehlen möchte!

Bewertung vom 15.04.2025
Von Null auf Held oder Wer ist eigentlich Amin?
Raymond, Mirjam

Von Null auf Held oder Wer ist eigentlich Amin?


ausgezeichnet

Jonas, genannt, Johnny, ist 12 Jahre alt und der Anführer der"Sheriffs", einer vierköpfigen Schulhofbande. Johnny hat ständig Unsinn im Sinn und ist folglich Stammgast im Direktorat. Eines Tages verschwindet sein Mitschüler Amin, der aus Afghanistan geflüchtet ist und in einer Flüchtlingsunterkunft lebt. Johnny hat Amin bisher kaum wahrgenommen, doch Matteo will ihm seine Bande abspenstig machen, und um weiterhin Anführer zu bleiben, muss er als Wette herausfinden, was mit Amin passiert ist. Zufällig findet Johnny dabei Amins Tagebuch, und je mehr er darin liest, desto mehr lernt er über Amin, aber auch über sich selbst. Schließlich macht sich Johnny auf, um Amin zu suchen...

Ich habe das Buch zusammen mit meinem elfjährigen Sohn gelesen.

Die Geschichte ist aus der Perspektive von Johnny geschrieben, der in lockerem Ton, und mit viel Witz und Selbstironie erzählt. Johnny war uns auf Anhieb sympathisch. Er steckt zwar oft in Schwierigkeiten, da er allerlei Flausen im Kopf hat und oft handelt ohne nachzudenken, aber es ist schnell klar, dass er im Grunde ein lieber Kerl ist und das Herz auf dem rechten Fleck hat.

Durch das Tagebuch erfährt man als Leser:in von Amins Flucht, auf der er bei einem Angriff von seinen Eltern und Geschwistern getrennt wurde und als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Deutschland kam. Der Krieg in Afghanistan wird nur sehr vage beschrieben, vielmehr liegt das Augenmerk auf Amins Situation in Deutschland: Er ist einsam, vermisst seine Familie und bleibt in der Klasse unsichtbar. Niemand will etwas mit ihm zu tun haben, er wird schnell mit Vorurteilen konfrontiert und des Diebstahls bezichtigt. Den Menschen selbst nimmt kaum jemand wahr.

Der Autorin gelingt es, für die Situation geflüchteter Kinder zu sensibilisieren und zeigt, wie wichtig es ist, diese in die Klassengemeinschaft aufzunehmen. Durch die Tagebucheinträge können sich die jungen Leser:innen in Amins Lage einfühlen und werden ermutigt, auf geflüchtete Mitschüler:innen zuzugehen. Zudem zeigt die Geschichte anhand mehrerer Figuren, wie schnell falsche Gerüchte in die Welt gesetzt werden, und wie wichtig es ist,  diese kritisch zu hinterfragen.

Trotz des ernsten Themas ist das Buch spannend und sehr unterhaltsam geschrieben, und meinem Sohn und mir hat es sehr gut gefallen. Da der Krieg in Afghanistan nur mit wenigen Worten umschrieben ist und die Flucht nach Deutschland nicht näher ausgeführt wird, habe ich mit meinem Sohn noch ausführlich darüber gesprochen.

Das Buch eignet sich meiner Meinung nach sehr gut als Einstieg in diese Thematik, und ich könnte es mir in der 5. oder 6. Klasse auch gut als Klassenlektüre vorstellen. 

Bewertung vom 11.04.2025
Die Fletchers von Long Island
Brodesser-Akner, Taffy

Die Fletchers von Long Island


ausgezeichnet

Die Fletchers sind eine reiche jüdische Industriellenfamilie aus Middle Rock, Long Island. Ein Tag im Jahr 1980 markiert einen Wendepunkt in ihrem Leben, als Carl Fletcher entführt wird. Nach Zahlung eines Lösegeldes kommt er nach einigen Tagen wieder frei, doch die Entführung prägt nicht nur Carl, sondern auch seine Frau Ruth und die drei Kinder Beamer, Nathan und Jenny für den Rest ihres Lebens. Die Familie versucht, dieses Trauma totzuschweigen, jeder geht allein und auf seine Weise damit um, und kommt doch nicht davon los.

Selten hat ein Roman bei mir eine solche Bandbreite an Reaktionen ausgelöst wie „Die Fletchers von Long Island“. Durch die meisten Kapitel bin ich nur so hindurchgeflogen, ein paar wenige haben mich aber eher abgestoßen. Die sado-masochistischen Eskapaden von Beamer hätte ich nicht in dieser Detailtiefe lesen müssen, und ich war ganz froh, als diese Passagen vorbei waren. Allerdings waren sie für die Handlung und das Verständnis der Figur wichtig. Dennoch hätte ich manchmal lieber zwischen den Zeilen gelesen und auf die ein oder andere vulgäre Wortwahl verzichtet. Abgesehen davon hat mich der Schreibstil der Autorin wirklich begeistert, und ich liebe ihren messerscharfen, schwarzen Humor. Auch die Komposition des Romans gefiel mir ausgesprochen gut: Erzählt wird äußerst unterhaltsam aus einer auktorialen Perspektive, die der Reihe nach den Schwerpunkt auf das Leben von Beamer, Nathan und Jenny legt und durch Rückblenden nach und nach deren Werdegang beschreibt. Wie bei einem Mosaik entsteht so Stück für Stück bis zum Schluss ein Gesamtbild.

Taffy Brodesser-Akner zeigt die Auswirkungen nicht aufgearbeiteter Traumata und das übersättigte Leben steinreich geborenen Nachwuchses, dem Lebensziel und Ehrgeiz fehlen. Trotz der eigentlich eher düsteren und traurigen Grundthematik schreibt sie so kurzweilig und humorvoll, dass die stattlichen 576 Seiten wie im Flug vergehen. Eine große Leseempfehlung!

Bewertung vom 10.04.2025
Mama kommt gleich
Wolf, Tina

Mama kommt gleich


gut

Toni Meier ist Sexualtherapeutin und gerade etwas in Stress, da sie sich auch noch um ihren demenzkranken Vater kümmern muss, der immer wieder ausbüxt und die Nachbarschaft mit unkonventionellen Aktionen verstört. Als sie wieder einmal kurzfristig zu ihrem Vater muss und die Praxistür versehentlich offen lässt, kommt ihr neuer Nachbar Josch Meier herein. Er möchte eigentlich nur ein Paket für Toni Meier abgeben, das aufgrund der Namensgleichheit bei ihm gelandet ist. Doch die kurz darauf eintreffende Klientin hält ihn für den Therapeuten, und so findet er sich unversehens in einer Therapiesitzung wieder. Zwei Klienten später gelingt es ihm, aus der Praxis zu entkommen. Zu Hause hat Josch, der allein erziehender Vater und Buchautor mit Schreibblockade ist, eine moralisch fragwürdige Idee, die seine kreative Durststrecke beenden könnte…

Aufgrund der Kurzbeschreibung hatte ich mir eine unterhaltsame Geschichte rund um die Praxis von Toni und die persönliche Beziehung zwischen den beiden erhofft, mit viel Situationskomik und humorvollen Wendungen. Leider haben sich meine Erwartungen nicht erfüllt. Die Figuren und ihre Handlungen wirkten auf mich wenig glaubwürdig, insbesondere Josch und sein Sohn Freddy. Ich nehme es Josch einfach nicht ab, dass er zB essentielle Entscheidungen bezüglich seiner Wohnsituation spontan trifft, und auch Freddys Reaktion passt für mich nicht zu einem Zehnjährigen. Ich kann hier leider nicht näher darauf eingehen, ohne zu spoilern. Die Handlung an sich wirkt auf mich auch etwas unausgegoren, weil nicht klar wird, warum Josch nach seiner Anfangsidee noch weiterhin ein doppeltes Spiel spielen und weitere Risiken eingehen muss. Er könnte ebenso gut die weitere Handlung seines Romans fiktionalisieren.
Der Schreibstil ist eher einfach gehalten, die Dialoge wirken einfallslos und sehr brav. Die Handlung ist von Anfang an in weiten Teilen vorhersehbar, und es kommt, wie es eben kommen muss. Mich konnte das Buch leider nicht überzeugen.

Bewertung vom 04.04.2025
Sepia und die Verschwörung von Flohall / Sepia Bd.2
Bell, Theresa

Sepia und die Verschwörung von Flohall / Sepia Bd.2


sehr gut

Mit „Sepia – Die Verschwörung von Flohall“ setzt Theresa Bell ihre Trilogie rund um die Tintenmagie fort. Da die Geschichte direkt an Band 1 anschließt, ist es auf jeden Fall ratsam, diesen zuvor gelesen zu haben.

Sepia hat ihr erstes Lehrjahr in der Druckerei Silbersilbe hinter sich und bereitet sich auf die Prüfungen vor. Gleichzeitig geschehen in Flohall seltsame Dinge, und eine drohende Gefahr ist unmittelbar spürbar. Bald geraten Sepia und ihre Freunde Niki und Sanzio in einen Strudel unheimlicher Ereignisse, und auch ihre Freundschaft muss eine Bewährungsprobe überstehen.

Der zweite Band ist genauso eingängig und flüssig geschrieben wie der erste Teil, so dass man das Buch am liebsten in einem Rutsch lesen möchte. Die Atmosphäre ist diesmal noch düsterer und unheimlicher als im ersten Band.

Ich habe das Buch zusammen mit meinem Sohn (11) gelesen, und ihm hat der erste Teil besser gefallen als der zweite. Insgesamt war ihm die Geschichte etwas zu düster, und es wäre für ihn sicher ansprechender gewesen, wenn gelegentlich humorvolle Elemente enthalten gewesen wären. Obwohl mir die Idee der Reihe insgesamt sehr gut gefällt, fehlt mir im Vergleich zu anderen Kinder-Fantasy-Reihen das gewisse Etwas, um wirklich begeistert zu werden, und ich merke, dass ich zu den Charakteren eher auf Distanz bleibe. Manchmal wirkt die Geschichte auf mich etwas blutleer und konstruiert. Vielleicht ändert sich das ja im finalen Band der Trilogie noch. Wir vergeben für den zweiten Teil 3,5 Sterne.

Bewertung vom 03.04.2025
Abenteuer-Express (Band 3) - Entdeckung im Safari Star
Leonard, Maya G.;Sedgman, Sam

Abenteuer-Express (Band 3) - Entdeckung im Safari Star


ausgezeichnet

Die Abenteuer-Express-Reihe um den Hobbydetektiv Henry und seinen Onkel Nat gehört für uns zu den schönsten Kinderbuchreihen, und so konnten mein Sohn (11) und ich den dritten Band, „Entdeckung im Safari Star“, kaum erwarten.

In diese begeben sich Henry und sein Onkel Nathaniel auf eine ereignisreiche Zugreise mit einer historischen Dampflok quer durch Afrika, von Pretoria in Südafrika über den Krüger Nationalpark durch Simbabwe bis nach Sambia zu den Victoriafällen. Die Reisegesellschaft besteht aus interessanten, teils skurrilen Charakteren, und in Watson, dem Sohn der Reiseleiterin, findet Henry auch schnell einen Freund, dem sein Gelber Mungo Chippo nicht von der Seite weicht. Die unbeschwerte Reise nimmt eine unerwartete Wendung, als einer der Fahrgäste plötzlich tot in seinem Abteil liegt.

Das Grundprinzip der Reihe – innerhalb einer geschlossenen Gesellschaft geschieht ein Verbrechen – erinnert an klassische Detektivromane von Agatha Christie, und aufgrund des Zug-Settings natürlich vor allem an „Mord im Orientexpress“. Und ähnlich verzwickt sind auch die Fälle, die Henry lösen muss. Wie bei Christie stehen dabei nicht Action oder moderne Technik im Vordergrund, sondern Logik und Kombinationsgabe.

Während der Zugreise erfährt man zudem allerlei Wissenswertes über die Tierwelt, bedrohte Arten und Sehenswürdigkeiten. Uns ist auch Chippo sofort ans Herz gewachsen und hat uns dazu gebracht, noch etwas mehr über Gelbe Mungos nachzulesen.

Sehr schön dargestellt wird das vertrauensvolle Verhältnis zwischen Onkel Nat und Henry. Nat begegnet Henry auf Augenhöhe, nimmt seine Gedanken und Gefühle ernst und steht ihm jederzeit mit Rat und Tat zu Seite, ohne ihn zu bevormunden. Im Gegenzug ist Henry Onkel Nat gegenüber ehrlich und sucht seinen Rat, wenn er alleine nicht weiterkommt.

Wie bei den anderen Bänden dieser Reihe ist auch dieser wieder wunderschön mit einer Vielzahl an sehr detailliert und liebevoll ausgearbeiteten Schwarz-Weiß-Zeichnungen illustriert, die zum Großteil aus Henrys „Skizzenbuch“ stammen, da Henry ein begeisterter und begabter Zeichner ist und seine Eindrücke von der Reise und dem Fall mit Kohlestiften festhält.

Mein Sohn ist ein riesengroßer Fan dieser Reihe und stellt mit Begeisterung seine eigenen Überlegungen zur Lösung der Fälle an. Er fiebert richtig mit und findet es nach eigener Aussage besonders toll, dass die Bände in der realen Welt spielen und mal keinen Magie- oder Fantasy-Anteil haben. Angesichts des Booms magischer Welten im Kinderbuchsektor ist diese Reihe tatsächlich eine sehr willkommene Ausnahme. Auch als Erwachsene habe ich mit meinem Sohn bis zum Schluss gespannt mitgerätselt und tappte bezüglich der Auflösung im Dunkeln.

Wir freuen uns jetzt schon sehr auf den 4. Band, der im August 2025 erscheinen wird, und empfehlen diese Reihe rundum weiter!