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SimoneF

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Insgesamt 570 Bewertungen
Bewertung vom 20.11.2025
Poschenrieder, Christoph

Fräulein Hedwig


ausgezeichnet

Christoph Poschenrieder begibt sich auf Spurensuche im Leben seiner Großtante Hedwig, Jahrgang 1884. Wenig ist zunächst bekannt über die Frau, die zeitlebens alleinstehend blieb, überaus fromm war und bereits als junge Frau zunehmend nervenkrank wurde. Als die Nationalsozialisten an die Macht kommen, wird dies für Hedwig lebensbedrohlich.
Poschenrieder stützt sich bei seiner Recherche vor allem auf die Aufzeichnungen von Hedwigs Schwester Marie und Briefe. Da diese vor allem die frühen Jahre abdecken, bleibt ein großer Teil von Hedwigs Leben im Dunkeln bzw. spekulativ. Der Autor macht jedoch stets kenntlich, wo er sich auf Quellen bezieht und wo er behutsam eigene Vermutungen anstellt.
An Hedwigs Leben wird deutlich, welchen enormen Einfluss damals die Kirche besaß, sowohl als gesellschaftlich als auch in Bezug auf die persönliche Entwicklung insbesondere junger Frauen. Kirchliche Moralvorstellungen trugen massiv zur systematischen Unterdrückung von Frauen bei und waren Teil der patriarchalen Strukturen. Generell hatten Mädchen zurückzustecken und, wenn nötig, zum Familieneinkommen beizutragen, um den männlichen Geschwistern ein Studium zu ermöglichen. Das wurde als so selbstverständlich wahrgenommen, dass den Brüdern später nicht einmal in den Sinn kam, sich dankbar zu zeigen und sich ihrerseits um die Schwestern zu kümmern. Hedwig steht so exemplarisch für viele Frauen ihrer Generation, die qua Geschlecht in besonderem Maße fremdbestimmt und in den Möglichkeiten, die sich ihnen boten, benachteiligt waren.
Ein weiterer wichtiger Aspekt des Buches ist Hedwigs sich mit den Jahren verschlimmernde psychische Erkrankung, die sich während des Nationalsozialismus zu einem großen Risiko entwickelt. Auch hier wird an Hedwigs Beispiel der menschenverachtende Umgang der Nazis mit Nervenkranken deutlich.
Man spürt, wie nahe Christoph Poschenrieder das Schicksal von Hedwig geht, und sein feinfühliger, ruhiger und nachdenklicher Schreibstil gefiel mir auf Anhieb. Gerade die sachliche, um Authentizität bemühte Herangehensweise hat mich mehr berührt als dies ein historischer Roman gekonnt hätte.

Bewertung vom 17.11.2025
Schüle, Geraldine

Unser wilder Hof


gut

Ich bin eher zufällig über dieses Buch gestolpert und kannte Geraldine Schüles Social-Media-Account bisher nicht. Parallel zur Lektüre habe ich mir jedoch die Reels, Bilder und Story-Highlights auf Instagram angesehen.

Geraldine und Patrick leben seit zwei Jahren mit ihren beiden Kleinkindern auf einem unsanierten, baufälligen Hof in Süddeutschland, ohne warmes Wasser (bis auf einen Boiler in der Dusche), ohne Heizung, in provisorisch hergerichteten Räumen. Neben dem Mammutprojekt der Sanierung, das überhaupt nur möglich ist, weil Patrick Zimmermann und Architekt ist, betreiben sie Landwirtschaft und versuchen, so autark wie möglich zu leben. Und, nicht zu vergessen: Sie sind als Content Creatoren eben auch Unternehmer, die sich durch Klicks und bezahlte Werbepartnerschaften finanzieren. So sympathisch und authentisch Account und Buch auch auf mich wirken, schwingt bei mir immer ein leises Misstrauen gegen inszenierten und werbefinanzierten Content mit.

Geraldine schreibt vor allem über ihren und Patricks gemeinsamen Lebensweg von der Jugendfreundschaft über gemeinsame abenteuerliche Reisen bis hin zur Ehe, und ihre ungewöhnlichen Wohnmodelle: Vor dem Hofprojekt lebten sie jahrelang auf 20qm in einem umgebauten Zirkuswagen.

Das Buch ist unterhaltsam und kurzweilig geschrieben, wenn auch eher einfach im Stil. Das macht sich vor allem an den wiedergegebenen Dialogen bemerkbar, die recht platt klingen.

Die Energie und Zuversicht der beiden ist wirklich beeindruckend, und wo andere (und ganz sicher auch ich) vor allem Risiken sehen, sehen die beiden Chancen. Nur mit dieser Lebenseinstellung ist ein Projekt wie die Sanierung des denkmalgeschützten Hofs überhaupt machbar, der bei Kauf nicht nur statisch ein Desaster war, sondern auch völlig vermüllt. Mir bleibt beim Lesen und auch beim Anblick der Videos oft nur, den Kopf zu schütteln, wenn ich lese und sehe, wie ein Kleinkind bei staubigen Arbeiten oder dem Entrümpeln von völlig zugemüllten Räumen ungeschützt mitten im Dreck sitzt oder in der Rückentrage dabei ist. Abgesehen vom Feinstaub, Schimmelsporen, Krankheitserregern aus Tierkot (Mäuse, Ratten) ist bei Sanierung immer mit Schadstoffen wie Asbest, Mineralfasern, PCB oder PCP zu rechnen. Das gilt auch für alte Öfen wie die Küchenhexe. Die Unbedarftheit der Eltern ist in meinen Augen extrem riskant.

Was kann man als Leser:in Positives aus diesem Buch mitnehmen? Dass es wichtig ist, an die Realisierung seiner Träume zu glauben, Vertrauen die eigenen Fähigkeiten zu haben, und dass nicht immer alles perfekt sein muss, um glücklich zu sein.

Für Fans von Geraldine, die noch mehr über sie und ihre Familie erfahren möchten, bestimmt ganz interessant. Ansonsten ein Buch, das man nicht gelesen haben muss. Geraldine und Patrick haben sich sicherlich ein ungewöhnliches Projekt vorgenommen, stehen allerdings auch noch ziemlich an Anfang. Ob sie dieses wirklich meistern, wird erst die Zeit zeigen. Für meinen Geschmack kommt dieses Buch ein paar Jahre zu früh: Die Aussagekraft wäre wesentlich überzeugender, wenn sie die Sanierung bereits zum großen Teil erfolgreich abgeschlossen hätten.

Bewertung vom 15.11.2025
Leonard, Maya G.;Sedgman, Sam

Abenteuer-Express (Band 4) - Gefahr im Mitternachtsexpress


ausgezeichnet

Als treue Fans der Abenteuer-Express-Reihe konnten mein Sohn (11) und ich es kaum erwarten, den vierten Band in Händen zu halten: „Gefahr im Mitternachtsexpress“ entführt die jungen Leserinnen und Leser auf den Brocken in den Harz, wo Henry und sein Onkel Nat diesmal undercover im Einsatz sind, um den mysteriösen Tod von Alexander Kratzenstein aufzuklären. Welche Rolle spielt hierbei ein geheimnisvoller Fluch? Ist Alexander eines natürlichen Todes gestorben oder trachtete ihm jemand nach dem Leben?
Wie immer bei den Krimis von Maja Leonard und Sam Sedgman hat man es nicht nur mit einem spannenden Kriminalfall zu tun, der in bester Agatha-Christie-Manier bis zum Schluss hochspannend bleibt, sondern lernt nebenbei auch noch Interessantes über Land und Leute. Da das Ziel der Reise diesmal Deutschland ist, dürfte manches schon bekannt sein, aber spannende Infos zum Brocken als Abhörposten während des Kalten Krieges sind sicher auch deutschen Kids neu. Auch Goethes Faust kommt zu Ehren. Manches Klischee brachte uns beim Lesen zum Schmunzeln, wenn etwa Käsespätzle oder selbstredend Schweinebraten mit Sauerkraut und Kartoffeln gegessen werden (woher das Autorenduo allerdings zu wissen glaubt, dass man Sauerkraut hierzulande mit Roggensamen serviert, blieb uns verborgen).
Ein Highlight sind wie immer die detailreichen und sehr liebevoll gestalteten Zeichnungen, die das Geschehen wunderbar in Bilder fassen. Leider wird, wie bereits in den Vorgängerbänden, in den Zeichnungen Henry wiederholt als „Harrison“, dem Namen aus dem englischen Original, bezeichnet.
Auf Burg Kratzenstein freundet sich Henry mit anderen Kindern an, mit denen er gemeinsam in abenteuerliche Situationen gerät. Im Gegensatz zu den Vorgängerbänden arbeiten Henry und sein Onkel Nat hier nicht eng als Team zusammen, und Henry, der seine Tarnung nicht offenbaren darf, ist stärker auf sich allein gestellt. Zudem spielt die Handlung im Wesentlichen auf Burg Kratzenstein, Züge wie der Eurostar oder der namensgebende Mitternachtsexpress haben diesmal eher eine untergeordnete Rolle. Im Gegenzug bietet der vierte Band am meisten Action und spannende Wendungen sowie ganz neue Facetten bei einer Hauptfigur.

Wir hatten wieder viel Spaß, mit Henry mitzurätseln und mitzufiebern, und freuen uns schon auf weitere abenteuerliche Reisen!

Bewertung vom 15.11.2025
Ventura, Maud

Der Rache Glanz


ausgezeichnet

Für Cléo Louvant ist schon als Kind klar: Sie ist zu Höherem berufen. Von Jugend an setzt sie alles daran, eines Tages als Sängerin berühmt zu werden, und es steht für sie außer Frage, dass sie dieses Ziel auch erreichen wird. Unbedingter Wille, Gnadenlosigkeit gegen sich und andere, Ehrgeiz und Perfektionismus sind ihre Triebfedern, und je höher sie klettert, desto unberechenbarer und herablassender wird ihr Verhalten gegenüber den Menschen in ihrem Umfeld.

Wie schon bei „Mein Mann“ ist auch hier die Protagonistin eine obsessive und narzisstische Person, die alles andere als sympathisch ist, aber zutiefst faszinierend, und beim Lesen begleitet einen stets ein Gefühl einer gewissen Beklemmung angesichts der Figur, die immer stärker außer Kontrolle gerät.

Maud Ventura zeigt eindrucksvoll die Maschinerie hinter der Musikindustrie, die das Leben der Künstler:innen durchtaktet und auf maximalen Gewinn ausgerichtet ist. Der Preis für die Berühmtheit ist hoch und grenzt an Selbstaufgabe, es zählt lediglich die wirkungsvolle und werbeträchtige Inszenierung in den Sozialen Medien und der öffentlichen Wahrnehmung.

„Mein Mann“ war letztes Jahr eines meiner absoluten Highlights, und auch der „Der Rache Glanz“ habe ich mit großer Begeisterung gelesen, wenn es für mich auch nicht ganz an den Debütroman heranreicht. Das lag zum einen daran, dass ich bereit von Anfang eine Ahnung hatte, wie die Geschichte enden würde (auch aufgrund des etwas unglücklich gewählten deutschen Titels), und das Ende auf mich gleichzeitig weniger glaubhaft wirkte als bei „Mein Mann“.

Nichtsdestotrotz ist „Der Rache Glanz“ ein Roman, den ich mit großen Vergnügen gelesen habe, weil ich den Schreibstil von Maud Ventura liebe und die Art und Weise, wie sie ihre Protagonistinnen konstruiert. Ich hoffe schon jetzt auf weitere Werke von ihr und empfehle sowohl „Mein Mann“ als auch „Der Rache Glanz“ uneingeschränkt weiter!

Bewertung vom 15.11.2025
Dündar, Can

Ich traf meinen Mörder


ausgezeichnet

Eindrucksvoll zeigt Can Dündar die Verstrickungen höchster türkischer Regierungskreise in illegale Waffenschiebereien mit dem IS. Auch der türkische Geheimdienst und die Mafia haben ihre Hände mit im Spiel, wie der engagierte Journalist aufdeckt. Seine investigativen Recherchen bezahlt er mit einer Verurteilung zu 27 Jahren Haft und einem Leben im Exil, sogar ein Mordanschlag auf ihn wird in Auftrag gegeben. Just dieser Mann, der dafür angeheuert wurde, kontaktiert Dündar Jahre später aus dem Gefängnis und erklärt sich zu einem Interview bereit. Auch ein Waffenhändler kommt zu Wort. Ein sehr lesenswertes und aufrüttelndes Buch!

Bewertung vom 15.11.2025
Hunter, Erin

Warrior Cats - Die Prophezeiungen beginnen


ausgezeichnet

Mein Sohn (11) hat dieses Buch in Rekordzeit weggeschmökert, und das will etwas heißen. Ich selbst bin eigentlich kein Fan von Graphic Novels, muss aber sagen, dass dieser Doppelband wirklich ausgesprochen gelungen ist. Die Zeichnungen sind sehr lebendig und ungemein dynamisch, so dass man die Action beim Lesen förmlich spüren kann. Auch die Gefühle der Katzen spiegeln sich in der Mimik ausdrucksstark wieder. Wunderbar gewählt sind die kräftigen, leuchtenden Farben, die schon beim Durchblättern Freude machen.
Aufgrund vieler Kampfszenen ist die Geschichte stellenweise recht düster, und ich halte die Altersempfehlung von 11 Jahren für angemessen. Da ich die ersten beiden Romanbände von Staffel I, die dieser Graphic Novel zugrunde liegen, nicht kenne, kann ich nicht beurteilen, wie stark die Geschichte gekürzt wurde. Die Handlung lässt sich jedoch aus der Graphic Novel sehr gut nachvollziehen, und auch die Unterscheidung der einzelnen Katzen fiel mir nach einer kurzen Eingewöhnungszeit nicht schwer.
Auch wenn die Hauptfiguren Katzen sind, sind die Themen universell: Freundschaft, Liebe, Mut, die Überwindung von Angst und Unsicherheit und die Fähigkeit, über sich selbst hinauszuwachsen.
Sehr gut gefallen hat mir als kleiner Bonus der Blick hinter die Kulissen mit den Entwürfen zum Charakterdesign von Feuerherz.
Mein Sohn kann es kaum erwarten, bis im März der nächste Doppelband erscheint, und mit der „Verbannung aus dem SchattenClan“ ist schon eine weitere GN als Weihnachtsgeschenk bestellt. Vielleicht greift er ja demnächst auch zu den dicken Romanbänden, wer weiß? Wir können diese Graphic Novel allen Fans sowie Neulingen im Warrior-Cats-Universum nur wärmstens empfehlen!

Bewertung vom 10.11.2025
Streck, Aurelia

Mein großes Magnetbuch - Das machen wir am Abend


ausgezeichnet

Das Magnetbuch bildet eine Abendroutine ab, wie sie bei vielen Familien zum Alltag gehört: Man kommt nach Hause, wäscht sich die Hände, deckt den Tisch. Nach dem gemeinsamen Abendessen ist noch etwas Zeit zum Spielen und Malen, bevor es Zeit wird, zu Bett zu gehen und den Tag mit einer Gute-Nacht-Geschichte zu beschließen.

Die Illustrationen sind farbenfroh und altersgerecht, und die vierköpfige Familie wirkt fröhlich und sympathisch. Man bekommt sofort Lust, das Buch durchzublättern! Auf jeder Buchseite gibt es kleine Texte, die das Kind ermutigen, ein bestimmtes Magnetmotiv an der richtigen Stellen anzubringen: die Jacke kommt an die Garderobe, der Brotkorb auf den Tisch usw. Auf der letzten Seite kann man mit den Magneten noch seine eigene Abendroutine gestalten und so spielerisch den Ablauf festigen. Das Schlafengehen ist ja oft ein leidiges Thema, und das Buch kann dabei helfen, das Abendritual zu mit Spaß zu verbinden.

Das Buch ist schwerer als übliche Bilderbücher und sehr stabil. Sehr praktisch ist die kleine Box auf dem Cover, in der die Magnete verstaut werden können; so geht nichts verloren. Dank der Spiralbindung kann man das Buch auch schließen, wenn die Magnete auf den Seiten angebracht wurden. Die Haltekraft der Magnete ist prima, da fällt nichts runter.

Mir gefällt besonders gut, dass das Magnetbuch auf vielfältige Weise anregend ist: Das Anbringen der Magnete schult die Motorik, die Kids werden selbst aktiv, und die Bilder laden dazu ein, über die abgebildeten Situationen zu sprechen. Durch die Aufbewahrungsbox lässt sich gleich noch Ordnung einüben. Rundum empfehlenswert!

Bewertung vom 03.11.2025
Schreiber, Jasmin

Da, wo ich dich sehen kann


gut

Maja ist neun Jahre alt, als ihr Vater Frank ihre Mutter Emma tötet. Das Buch setzt einige Monate später an: Maja lebt vorübergehend bei Brigitte und Per, ihren Großeltern mütterlicherseits, und auch ihre Patentante Liv, Emmas beste Freundin, ist für sie da. Alle vier versuchen auf ihre Weise, die Tat zu verarbeiten und weiterzuleben, hadern mit Schuldgefühlen. Maja und Brigitte gehen zur Therapie.

In den Medien und gesellschaftlichen Debatten stehen meist die Täter im Fokus, während über die Opfer und deren Umfeld wenig gesprochen wird. Jasmin Schreibers Ansatz ist daher umso wichtiger: Sie legt den Schwerpunkt klar auf die Angehörigen, die nach einem Femizid in Trauer zurückbleiben, deren Leben aus der Bahn geworfen wird und die sich mit Schuldgefühlen quälen: Hätte ich etwas bemerken müssen? Genauer hinsehen, nachfragen, nicht lockerlassen? Gab es Anzeichen die ich übersehen habe? Hätte ich die Tat verhindern können?

Leider gelingt die Umsetzung nur bedingt. Keine der erwachsenen Hauptfiguren - Per, Brigitte, Liv - stand in den letzten Jahren mit Emma in so engem Kontakt, um uns Leser:innen einen Einblick in die Beziehungsdynamik der Ehe oder in das Gefühlsleben von Emma zu geben. Das bleibt weitestgehend eine Blackbox. Hierdurch liefern uns auch alle drei Perspektiven ähnliche Eindrücke, und man kann sich fragen, wozu es dann drei Figuren braucht, die in gewisser Weise redundant sind.

Der Schreibstil ist eher gewöhnlich, hierhatte ich mir literarisch mehr erwartet. Manches ist recht plump geraten, etwa wenn Liv und ihre Mutter in einem spontanen Gespräch ihre verkorkste Beziehung aufarbeiten und hierbei dem bereits verstorbenen Vater ganz bequem die Schuld daran in die Schuhe schieben. Ferner werden Emma und Liv in Rückblenden als extrem wissbegierige und begabte Kinder dargestellt, die durch Männer ihre Karriere aufgeben bzw. an die patriarchale Gläserne Decke stoßen. Das ist mir zu plakativ, zu einfach. Vieles ist Schwarz-Weiß gezeichnet, es fehlen die Zwischentöne.

Liv ist Astrophysikerin. In diesem Zusammenhang gibt es immer wieder Anspielungen auf Astronomie und Paralleluniversen, die auch als Bild für Was-wäre-wenn-Szenarien dienen. Diese Anspielungen wirkten auf mich aufgesetzt und verkrampft. Als Naturwissenschaftlerin mag ich es einfach nicht, wenn die Wissenschaft metaphysisch instrumentalisiert wird.

Nebenschauplätze nehmen relativ Raum ein, dafür kommen die Eltern von Frank zu kurz. Ein wirklich interessanter, weil häufig unterschätzter Aspekt, das Sorgerecht für Maja, wurde ebenfalls viel zu schnell abgehandelt. Ärgerlich sind zudem inhaltliche Fehler und Widersprüche im Buch.

Am stärksten ist das Buch für mich in den Maja-Kapiteln, wo ihre Zerrissenheit, ihre kindliche Vorstellung von ihrer Schuld am Tod der Mutter und die körperlichen und seelischen Folgen wirklich eindrücklich vermittelt werden. Allerdings hatte ich beim Lesen manchmal das Gefühl, dass der Schreibstil in den Kapiteln aus Majas Sicht nicht zu einer Zehnjährigen passt.

Gut gefallen hat mir, dass die Geschichte immer wieder durch Gerichtsdokumente, Protokolle und Zeitungsberichte unterbrochen wird. Etwas verwirrend war jedoch, dass die in den Berichten erwähnten Vorfälle und Namen alle fiktiv sind, während die Statistiken zu Gewalt gegen Frauen vermutlich korrekt sind.

Insgesamt muss ich leider sagen, dass ich mir mehr erwartet hatte, sowohl literarisch als auch konzeptionell.

Bewertung vom 02.11.2025
Lehmenkühler, Lissa

Ete Petete & Tohu Wabohu - Gegensätze ziehen sich an


sehr gut

Ete Petete wohnt mit ihrem Hund Pico Bello in einem äußerst aufgeräumten Zuhause: Jeden Tag wird gefegt und gewienert, der Garten ist akkurat gepflegt und der Tagesablauf folgt einem festen Plan. Dieser gerät gehörig durcheinander, als nebenan der chaotische Tohu Wabohu mit seiner Katze Ramba Zamba einzieht – und mit ihm Lärm und Chaos.

Ich habe das Buch gemeinsam mit meinem kleinen Neffen (3 Jahre) gelesen, und er war sofort begeistert. Vor allem die klangvollen Namen haben es ihm angetan. Auch die detailreichen, herrlich farbenfrohen und ausdrucksstarken Illustrationen haben wir immer wieder angesehen und er hat jedes Mal noch etwas Neues entdeckt. Die bunten Zeichnungen kommen in dem großformatigen Buch wirklich schön zur Geltung!

Die Geschichte wird in Reimform erzählt, was mir grundsätzlich sehr gut gefällt, da Reime eingängig sind und gerade bei kleinen Kindern besonders gut ankommen. Leider sind einige Reime etwas holprig geraten, so dass man beim Vorlesen manchmal über das unsaubere Versmaß stolpert.

Ich hatte erwartet, dass Ete Petete und Tohu Wabohu im Laufe der Geschichte voneinander lernen und Verständnis füreinander aufbringen. So könnte Tohu etwas rücksichtsvoller werden und eine gewisse Ordnung schätzen lernen, während Ete die Dinge etwas lockerer nehmen und spontaner werden könnte. Dies wird im Buch so nicht vermittelt. Nach anfänglichem Ärger versöhnen sich die beiden so schnell, dass ich zunächst dachte, im Buch würde eine Seite fehlen. Dies ist etwas schade, und ein paar Seiten mehr hätten der Geschichte sehr gutgetan.

Meinen Neffen hat das jedoch nicht gestört, und er hat viel Spaß mit dem Buch, vor allem, da die Figuren dazu einladen, sie mit verteilten Rollen zu sprechen.

Insgesamt ein wunderschön illustriertes Kinderbuch mit etwas Luft nach oben bei der inhaltlichen Ausarbeitung.

Bewertung vom 02.11.2025
Tey, Josephine

Der falsche Erbe


ausgezeichnet

Die Familie Ashby besitzt seit Generationen das Anwesen Latchetts. Da die aktuellen Gutsbesitzer vor acht Jahren bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kamen, kümmert sich Tante Bee liebevoll um die Kinder und das Gut. Kurz nach dem tragischen Unfall musste die Familie einen weiteren Schicksalsschlag verkraften: Der älteste Sohn Patrick verschwindet eines Nachts; ein Abschiedsbrief deutet auf Suizid hin. In der Erbfolge rückt sein jüngerer Zwillingsbruder Simon nach. Jahre später stehen dessen Volljährigkeit und damit der Erbantritt kurz bevor – als plötzlich ein junger Mann auftaucht, der Simon frappierend ähnlich sieht und behauptet, der verschollene Patrick zu sein.

Wie Josephine Tey in „Der falsche Erbe“ ihre Geschichte um den Hochstapler Brat Farrar aufbaut, ist einfach genial! Die Autorin geht für die damalige Zeit ganz neue Wege und bricht die starren Regeln des klassischen Krimis auf. So kommt der komplette Fall gänzlich ohne Ermittler und Polizei aus. Obwohl man als Leser:in bereits von Beginn an weiß, dass es sich bei dem geheimnisvollen jungen Mann nicht um den echten Patrick handelt, bietet der Krimi Hochspannung bis zum Schluss. Josephine Tey legt Brat Farrar fernab jeglicher Hochstapler-Klischees an; man fühlt mit dem jungen Mann, der im Grunde rechtschaffen ist, spürt seine Gewissensbisse, und kann seine Beweggründe, die ihn zu seinem Handeln verleiten, beinahe verstehen.

Auch sprachlich ist dieser Krimi von 1949 wirklich schön zu lesen und ich habe ihn von der ersten bis zur letzten Seite genossen. Sehr lesenswert!