Schon auf den ersten Seiten von Die Tage im Café Torunka entsteht dieses besondere Gefühl, das man kaum beschreiben, aber sofort wiedererkennen kann, dieselbe stille Magie, die schon Yagisawas Buchhandlung Morisaki so unverwechselbar gemacht hat. Kaum betritt man dieses kleine Café in einer Seitenstraße von Tokio, scheint die Welt ein wenig langsamer zu werden. Der Duft von Kaffee, das leise Klirren von Tassen, gedämpfte Gespräche ...Yagisawa erschafft einen Ort, der zugleich real und märchenhaft wirkt.
Im Mittelpunkt stehen die Menschen, die das Café Torunka bevölkern: der Besitzer, seine Tochter, der zurückhaltende Shuichi und schließlich Chinatsu, die geheimnisvolle Besucherin, die jeden Sonntag eine kleine Balletttänzerin aus Papier hinterlässt. Ihre Begegnungen entfalten sich leise und unaufgeregt, doch in diesen stillen Momenten liegt eine tiefe emotionale Spannung. Yagisawa schreibt über Erinnerungen, Verlust und neue Anfänge, ohne Pathos, aber mit feiner Beobachtungsgabe und großem Mitgefühl.
Was den Roman so besonders macht, ist sein Tempo. Er erzählt keine spektakuläre Geschichte, sondern eine, die sich im Nachklang entfaltet. Die Sprache ist schlicht, aber poetisch; jeder Satz trägt etwas Warmes, beinahe Tröstliches in sich. Yagisawa versteht es, den Zauber des Alltäglichen sichtbar zu machen: in einer Geste, einem Gespräch, im leisen Rascheln einer Serviette.
Die Tage im Café Torunka ist ein Roman über Begegnungen, die heilen, über Trauer, die still mitgetragen wird, und über den Mut, sich wieder zu öffnen. Ein leiser, wunderschöner Roman über das, was uns verbindet, mit anderen und mit uns selbst. Wer Geschichten liebt, die Wärme, Nachdenklichkeit und leise Melancholie vereinen, wird sich im Café Torunka zu Hause fühlen
Deep Cuts von Holly Brickley ist ein Roman über Musik, Leidenschaft und die Suche nach Verbindung: zwischen Menschen, aber auch zwischen Klang und Gefühl. Die Geschichte spielt Anfang der 2000er-Jahre in Berkeley und begleitet Percy Marks, eine Studentin, die Musik nicht nur hört, sondern seziert, analysiert und lebt. Als sie Joe trifft, einen jungen Musiker mit eigenen Ambitionen, entwickelt sich zwischen den beiden eine intensive, kreative und zugleich fragile Beziehung.
Was an Deep Cuts sofort auffällt, ist die starke Atmosphäre. Brickley fängt die frühen 2000er mit ihren kulturellen Referenzen, Barszenen und der Mischung aus Unbeschwertheit und Orientierungslosigkeit sehr authentisch ein. Auch die Art, wie sie über Musik schreibt, analytisch, leidenschaftlich, manchmal fast akademisch, ist ungewöhnlich und verleiht dem Roman einen eigenen Ton. Besonders Leser, die sich für Songwriting oder Musikgeschichte interessieren, werden hier viele kluge Beobachtungen entdecken.
Allerdings ist genau dieser Fokus auch die größte Herausforderung. Wer sich weniger für musikalische Details begeistert, könnte sich von den langen Passagen über Harmonien, Akkordstrukturen und Songtexte etwas distanziert fühlen. Auch bleibt die Handlung eher leise. Es geht weniger um äußere Ereignisse als um Stimmungen, Wahrnehmungen und innere Konflikte. Das funktioniert, wirkt aber stellenweise etwas zäh.
Percy als Hauptfigur ist faszinierend, aber nicht immer leicht zugänglich. Ihre Leidenschaft ist spürbar, ihre Unsicherheiten sind glaubwürdig, doch sie bleibt oft gedanklich in sich selbst verfangen. Joe wirkt im Vergleich dazu etwas blasser, was die Dynamik der Beziehung manchmal unausgewogen macht. Trotzdem gelingen Brickley einige emotionale Momente, vor allem wenn Musik und Beziehung ineinander übergehen und man spürt, wie Kunst und Liebe sich gegenseitig nähren, aber auch verletzen können.
Sprachlich bewegt sich Deep Cuts zwischen präziser Beobachtung und poetischer Leichtigkeit. Brickley schreibt klar, ohne unnötige Effekte, aber mit Sinn für Rhythmus. Man merkt, dass auch ihre Sprache von Musik beeinflusst ist.
Deep Cuts ist kein lauter Roman, sondern einer, der von Zwischentönen lebt. Er ist atmosphärisch dicht, musikalisch durchdrungen und introspektiv ...manchmal zu sehr. Wer sich auf die ruhige, analytische Erzählweise einlässt, findet hier eine feinfühlige Geschichte über Kunst, Nähe und Selbstwahrnehmung. Wer hingegen mehr Handlung oder emotionale Direktheit sucht, könnte sich etwas verloren fühlen.
Ich hatte große Erwartungen an "Wenn du es heimlich machen willst, musst du die Schafe töten", aber leider konnte mich das Buch inhaltlich und stilistisch kaum überzeugen.
Maschik erzählt die Geschichte einer Familie über mehrere Generationen hinweg: vom Leben auf einem Hof an der Nordsee bis in die Gegenwart. Das klingt zunächst spannend und atmosphärisch, tatsächlich wirkt der Text aber eher wie eine lose Sammlung von Momentaufnahmen. Es gibt keine klare Linie, keine erkennbare Entwicklung, sondern viele kleine Szenen, die sich kaum zu einem Ganzen fügen. Wer hier eine zusammenhängende Familiengeschichte erwartet, wird vermutlich enttäuscht sein.
Auch sprachlich blieb das Buch für mich schwierig. Die knappen, oft abgehackten Sätze sollen wohl poetisch und reduziert wirken, doch auf mich machten sie einen eher monotonen Eindruck. Nach einigen Kapiteln stellte sich eine gewisse Ermüdung ein, weil sich Formulierungen und Motive ständig wiederholten, ohne dass sie emotional etwas Neues transportierten.
Die Figuren bleiben über weite Strecken schemenhaft. Ich hatte Mühe, sie auseinanderzuhalten oder wirklich zu verstehen, was sie antreibt. Statt Nähe entsteht Distanz, und selbst die vermeintlich starken Bilder verlieren mit der Zeit an Wirkung. Auch die surrealen Elemente wirkten für mich eher aufgesetzt als bedeutungsvoll.
Am Ende hatte ich das Gefühl, dass hier vieles gewollt kunstvoll wirkt, ohne wirklich zu berühren. Die Idee, den Generationen einer Familie nachzuspüren, ist stark, aber die Umsetzung blieb für mich zu verkopft und unzugänglich.
Eine ambitionierte, aber überkonstruierte Familienerzählung, die mehr Eindruck durch Stil als durch Gefühl hinterlässt. Für mich war das leider kein Lesegenuss.
Katie Kitamuras Die Probe ist ein stiller, atmosphärischer Roman, der mehr Fragen aufwirft, als er beantwortet. Die Ausgangssituation ist ungewöhnlich und vielversprechend: Eine erfolgreiche Schauspielerin wird während eines Mittagessens in Manhattan mit einem jungen Mann konfrontiert, der behauptet, ihr Sohn zu sein, obwohl sie nie ein Kind bekommen hat. Was folgt, ist weniger ein psychologischer Thriller oder ein Beziehungsdrama als vielmehr ein diskretes Spiel mit Identitäten, Projektionen und inszenierten Rollen.
Kitamuras Stil ist kühl und oft distanziert. Das passt zur Hauptfigur, die trotz ihrer beruflichen Rolle als Darstellerin stets eine gewisse emotionale Undurchlässigkeit wahrt. Gleichzeitig erschwert genau diese sprachliche Zurückhaltung eine echte Nähe zur Geschichte. Es wirkt, als betrachte man die Geschehnisse durch eine Glasscheibe, ästhetisch ansprechend, aber auch spürbar auf Distanz gehalten.
Der Anfang des Romans fesselt durchaus mit seinem seltsamen Setting und dem intensiven Aufeinandertreffen der Figuren. Doch je weiter die Handlung voranschreitet, desto mehr verliert sich der Text in Andeutungen und lässt eine klare Entwicklung vermissen. Die psychologische Spannung, die man erwartet, bleibt oft diffus. Die Grenzen zwischen Realität, Wunsch und Inszenierung verschwimmen, was interessant ist, aber auch gelegentlich frustrierend wirkt, da vieles unausgesprochen bleibt.
Die Probe ist kein Buch für Leser, die Klarheit oder Emotionen suchen. Wer sich darauf einlässt, wird eine Geschichte über Identität, Familie und Selbstbild entdecken, doch man braucht Geduld und die Bereitschaft, mit offenen Enden zu leben.
Eine interessante Idee, souverän umgesetzt, aber inhaltlich oft zu vage und unnahbar, um wirklich mitzureißen.
Gesellschaftsspiel beginnt mit einem vielversprechenden Ausgangspunkt: Drei Frauen, die einander eigentlich kaum noch etwas zu sagen haben, treffen am Sterbebett der Mutter bzw. Schwester wieder aufeinander. Schon diese familiäre Spannung hat viel Potenzial und wird dann noch ergänzt durch ein großes gesellschaftliches Experiment, das von einem Tech-Milliardär ausgerechnet in ihrer Stadt gestartet wird.
Die Mischung aus persönlichem Drama und politischem Gedankenexperiment fand ich anfangs noch reizvoll. Die Idee, dass eine ganze Stadt Teil eines digitalen „Gesellschaftsspiels“ wird, hat etwas Interessantes und regt zum Nachdenken an. Auch die eingeschobenen Social-Media-Kommentare, Chatverläufe und Interviews lockern die Erzählung auf und spiegeln ganz gut, wie unterschiedlich Menschen auf Veränderungen reagieren.
Trotzdem hat mich das Buch insgesamt nicht ganz überzeugt. Die drei Hauptfiguren blieben für mich recht blass. Ich habe lange gebraucht, um sie auseinanderzuhalten, und selbst dann fiel es mir schwer, eine wirkliche Verbindung zu ihnen aufzubauen. Ihre Konflikte wirken oft eher angedeutet als wirklich durchlebt.
Auch das große Thema rund um die App und das Gesellschaftsexperiment bleibt stellenweise vage. Es gibt viele kluge Ansätze und interessante Fragen, aber manche davon versanden, statt richtig vertieft zu werden. Ich hätte mir manchmal mehr Mut zur Klarheit oder auch mehr erzählerische Konsequenz gewünscht.
Alles in allem ist Gesellschaftsspiel ein Buch mit spannenden Ideen und einem ungewöhnlichen Aufbau. Es bleibt allerdings ein bisschen auf Distanz, sowohl zu seinen Figuren als auch zu den großen Fragen, die es aufwirft. Kein schlechtes Buch, aber eben auch keines, das mich nachhaltig mitgerissen hat.
We Burn Daylight hat mich mit seiner ruhigen, aber sehr intensiven Art wirklich beeindruckt. Die Geschichte spielt Anfang der 90er in Texas und lehnt sich spürbar an die reale Tragödie von Waco an. Im Mittelpunkt stehen zwei Jugendliche, Jaye und Roy, die aus ganz unterschiedlichen Welten kommen und doch sofort eine besondere Verbindung zueinander spüren.
Jaye lebt mit ihrer Mutter auf der Ranch eines religiösen Führers, der sich selbst als Messias sieht. Sie bleibt kritisch, will eigentlich nur zurück nach Kalifornien, raus aus dieser seltsamen Welt. Roy ist der Sohn des örtlichen Sheriffs und ahnt zunächst gar nicht, in was Jaye hineingezogen wurde. Zwischen den beiden entwickelt sich eine stille, sehr berührende Liebesgeschichte: eine, die ganz ohne Kitsch auskommt und umso glaubwürdiger wirkt.
Was ich besonders mochte: Die Erzählweise ist abwechslungsreich. Neben den Kapiteln aus Jays und Roys Sicht gibt es Einschübe in Form von Podcast-Interviews, die Jahrzehnte später aufgenommen wurden. Diese Rückblicke geben der Geschichte Tiefe und zeigen, wie sehr die Ereignisse noch nachwirken.
Auch wenn das Buch nicht durchgehend hohes Tempo hat, war ich gefesselt. Die Stimmung ist oft bedrückend, manchmal fast hoffnungslos, aber es gibt auch Momente von Zärtlichkeit und Mut. Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass die Dynamik innerhalb der Sekte noch etwas genauer gezeigt wird, da bleibt manches etwas vage. Trotzdem hat mich der Roman bewegt.
Es ist ein leises, aber eindrucksvolles Buch über Kontrolle, Glaube, Zweifel und den Versuch, sich selbst treu zu bleiben. Und über zwei junge Menschen, die einander Halt geben, während um sie herum alles aus den Fugen gerät.
Reset von Peter Grandl ist ein rasantes und bedrückend realistisches Szenario über eine Welt, in der man der Wahrheit nicht mehr trauen kann. Ein Thriller, der unsere Gegenwart in erschreckend greifbare Zukunft verwandelt.
Was wäre, wenn jede Nachricht, jedes Video, jeder Anruf gefälscht sein könnte? Wenn Deep Fakes nicht mehr von echten Aufnahmen zu unterscheiden sind, nicht für Behörden, nicht für Familien, nicht für dich selbst? Grandl greift diese Frage mit voller Wucht auf und entwickelt daraus eine globale Krise, die sich in kürzester Zeit in eine Katastrophe verwandelt.
Im Zentrum steht der irische Ermittler Valentine O’Brien, der im Chaos des digitalen Zusammenbruchs nach seiner verschwundenen Schwester sucht. Parallel dazu werden international Spezialisten zusammengezogen, die versuchen, eine außer Kontrolle geratene KI zu stoppen bevor alles kollabiert. Durch kurze Kapitel und schnelle Perspektivwechsel bleibt die Spannung konstant hoch. Das Tempo ist ein echter Pluspunkt. Grandl versteht es, mit Cliffhangern und sich zuspitzenden Situationen Sog zu erzeugen.
Besonders gelungen finde ich, wie Reset aktuelle technologische Entwicklungen - künstliche Intelligenz, Fake News, Deep Fakes - literarisch zugespitzt, aber nie völlig unrealistisch verarbeitet. Vieles fühlt sich erschreckend denkbar an. Die Idee, dass unsere digitale Kommunikation zur Waffe wird, ist so klug wie beängstigend umgesetzt.
Ein kleiner Kritikpunkt: Die Fülle an Figuren und Schauplätzen kann gerade zu Beginn etwas überfordern. Manche Charaktere bleiben dabei eher flach, was dem Roman in Bezug auf emotionale Tiefe gelegentlich etwas an Wirkung nimmt. Auch die Auflösung der Geschichte wirkte auf mich im Vergleich zur starken Ausgangslage etwas weniger kraftvoll. Das Ende ist solide, aber nicht ganz so packend wie der Rest.
Trotzdem: Reset ist ein hochaktueller Thriller mit gesellschaftlicher Relevanz, hohem Tempo und einer klaren Botschaft: kritisch denken, hinterfragen, nicht alles glauben. Für Fans von technoiden Verschwörungsthrillern mit internationalem Flair definitiv eine Empfehlung.
Shark Heart hat mich mit seiner außergewöhnlichen Prämisse sofort neugierig gemacht: Ein frisch verheirateter Mann, der sich langsam in einen weißen Hai verwandelt ...das klingt absurd, tragisch und vielversprechend. Doch je weiter ich las, desto mehr wich meine anfängliche Faszination einer gewissen Ernüchterung.
Die Geschichte rund um Lewis und Wren will viel: eine Liebesgeschichte, eine Auseinandersetzung mit Vergänglichkeit, Identität, Trauer und familiären Altlasten, alles durchzogen von einem surrealen, fast märchenhaften Ton. Doch gerade in dieser Ambition liegt das Hauptproblem des Romans: er verzettelt sich.
Der Stil wechselt oft und ist mal konventionell erzählend, dann wieder wie ein Theaterstück oder ein Gedicht. Diese stilistischen Experimente wirken nicht immer harmonisch eingebunden, sondern reißen einen stellenweise aus dem Lesefluss. Besonders die Dialoge bleiben oft seltsam distanziert. Trotz der drastischen Situation wirken viele Reaktionen der Figuren erstaunlich kühl und wenig greifbar. Es fiel mir schwer, wirklich mitzufühlen, weder mit Lewis noch mit Wren, obwohl ihr Schicksal zutiefst berührend sein könnte.
Auch die Struktur des Buches lässt die eigentliche Hauptgeschichte aus dem Fokus geraten. Die Nebenhandlung ist für sich genommen nicht uninteressant, trägt aber nur bedingt zur emotionalen Tiefe der Ausgangshandlung bei.
Was bleibt, ist ein Buch mit einer kreativen Idee, das seine Eigenwilligkeit den Rest überschattet. Vielleicht ist genau das für manche Leser gerade der Reiz. Für mich jedoch blieb vieles zu blass und unausgearbeitet.
Kokoro ist kein klassischer Ratgeber, es ist eher ein sehr persönliches Tagebuch, das zwischen Trauerverarbeitung, Kulturbegegnung und philosophischer Sinnsuche pendelt. Beth Kempton, Japanologin und Autorin, begibt sich nach einer persönlichen Krise auf eine Pilgerreise durch Japan und nimmt die Leser mit auf ihren Weg. Dabei stehen nicht To-do-Listen für ein besseres Leben im Vordergrund, sondern Beobachtungen, Begegnungen und Reflexionen, oft leise, manchmal poetisch, manchmal auch etwas ausufernd.
Was das Buch stark macht, sind die atmosphärischen Beschreibungen des ländlichen Japans. Man spürt Kemptons Liebe zur Sprache, zur Landschaft, zur kulturellen Tiefe des Landes. Ihre Kenntnisse über japanische Begriffe, Schriftzeichen und spirituelle Konzepte wie eben „kokoro“ – ein Wort, das sowohl Herz als auch Geist bedeuten kann – eröffnen neue Perspektiven, auch wenn sie nicht immer leicht zugänglich sind.
Inhaltlich kreist vieles um Verlust, Abschied und den Umgang mit dem Tod. Die Autorin spricht offen über ihre Trauer um ihre Mutter und eine enge Freundin und genau darin liegt die emotionale Wucht des Buches. Wer eher praktische Lebenshilfen oder konkrete Alltagstipps erwartet, wird enttäuscht sein. Dafür bietet Kokoro eher einen meditativen Blick auf das Leben und lädt dazu ein, sich auf die eigenen inneren Fragen einzulassen, auch wenn es dafür keine einfachen Antworten gibt.
Allerdings muss man sich auf die ruhige Erzählweise einlassen können. Nicht jedes Kapitel zieht sofort in den Bann, manche Wiederholungen schleichen sich ein. Und wer mit japanischer Kultur bisher wenig Berührung hatte, wird sich stellenweise vielleicht etwas verloren fühlen, nicht nur wegen der vielen Begriffe und Anspielungen, sondern auch wegen des insgesamt sehr introspektiven Tons.
Kokoro ist ein stilles Buch. Kein lautes Lebenshilfe-Versprechen, sondern eine Einladung zur Selbstreflexion, mit all den offenen Enden, die das Leben mit sich bringt. Für einige mag das genau das Richtige sein. Für andere bleibt es vielleicht zu vage.
Siân Hughes’ Perlen beginnt mit einer starken Prämisse: Ein achtjähriges Mädchen wird Zeugin des plötzlichen Verschwindens ihrer Mutter, ein Verlust, der wie ein Echo durch ihr gesamtes weiteres Leben hallt. Marianne bleibt mit ihrem kleinen Bruder und dem emotional überforderten Vater zurück. Was folgt, ist eine Erzählung über Erinnerung, Trauer und die Sehnsucht nach Antworten – und doch verliert sich der Roman streckenweise in der eigenen Zartheit.
Hughes schreibt leise, mit Bedacht, fast meditativ – und genau darin liegt sowohl die Stärke als auch die Schwäche des Buchs. Die Sprache ist klar und poetisch, viele Passagen haben eine beinahe lyrische Qualität. Besonders gelungen ist, wie Marianne sich die Welt über Gerüche, Märchen und kleine Details der Vergangenheit erschließt. Dabei funktioniert die Erzählung weniger über Handlung als über Stimmung. Doch diese Entscheidung führt auch dazu, dass der Roman stellenweise fast stehen bleibt. Die Erinnerungsfragmente wirken manchmal repetitiv, der Erzählfluss stockt – und die eigentliche Frage, warum die Mutter gegangen ist, verliert an Schärfe.
Einige der literarischen Bezüge, insbesondere zur mittelalterlichen Dichtung („Pearl“), geben dem Roman Tiefe, aber sie bleiben für viele Leserinnen eher schwer zugänglich. Wer diese Kontexte nicht kennt, wird möglicherweise einige symbolische Ebenen übersehen. Auch Mariannes psychische Entwicklung wird nur angedeutet – ihre Selbstverletzung, das Schwänzen der Schule, ihre Isolation – vieles davon wird beschrieben, ohne dass es wirklich greifbar wird. Als Leser fühlt man sich dadurch manchmal außen vor, als würde man an einer verschlossenen Tür lauschen.
Spannend ist hingegen, wie sich die Erzählung verschiebt, als Marianne selbst Mutter wird. Erst dann beginnt eine zaghafte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, die mehr Fragen aufwirft als beantwortet. Das mag realistisch sein – denn nicht jeder Verlust lässt sich erklären –, aber es hinterlässt auch eine gewisse Unzufriedenheit. Besonders da der Roman sich emotional viel zumutet, aber narrativ eher zurückhaltend bleibt.
Perlen ist ein sensibles, literarisch feinfühliges Debüt, das in seiner Melancholie berührt – aber auch Geduld erfordert. Für Leser, die klare Auflösungen oder eine treibende Handlung erwarten, dürfte der Roman trotz seines zarten Tons eher frustrierend wirken.
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