Mechtild Borrmann gehört für mich zu den Autorinnen, die Geschichte nicht nur erzählen, sondern fühlbar machen. Auch mit „Lebensbande“ gelingt ihr das wieder auf beeindruckende Weise. Schon nach den ersten Seiten war ich tief in der Geschichte gefangen und hatte das Gefühl, mitten in den Schicksalen, mitten in der Story zu stehen.
Der Roman spannt einen weiten Bogen - von den 1930er-Jahren über die Schrecken des Zweiten Weltkriegs bis in die Zeit nach der Wiedervereinigung. Drei Frauen, die unterschiedlicher kaum sein könnten, werden durch Zufälle und Entscheidungen miteinander verbunden. Lene darf den Mann, den sie liebt, nicht heiraten, und ihr Sohn Leo gilt im NS-Regime als „Reichsausschusskind“, ein Urteil, das über Leben und Tod entscheidet. Nora, eine Krankenschwester, riskiert alles, um Leo zu retten. Und Lotte, die an der Front in Danzig arbeitet, begegnet Nora dort, eine Begegnung, die das Leben aller verändert.
Was mich besonders berührt hat, ist die Art, wie Mechtild Borrmann ihre Figuren zeichnet. Keine von ihnen ist perfekt oder heroisch. Sie sind verletzlich, widersprüchlich, echt. Auch für deren Untaten erzeugt die Autorin in mir eine Empathie, so dass ich die Figuren in Gänze verstehen kann. Man spürt bei jeder Seite, wie sehr die Protagonistinnen kämpfen, verlieren, hoffen. Ihre Stärke liegt nicht im großen Gestus, sondern in den kleinen Momenten von Mut, Mitgefühl und Widerstand.
Der Schreibstil der Autorin ist wie man ihn von ihr kennt, ruhig und eindringlich. Borrmann braucht keine großen und nicht viele Worte, um die ganze Wucht einer Szene spürbar zu machen. Oft genügen wenige Sätze, um einem die Kehle eng werden zu lassen. Der gesamte Roman ist sehr dicht erzählt, so dass es mich beim Lesen wundert, wie diese fulminante Geschichte auf knapp 300 Seiten passt. Besonders stark fand ich die Passagen, die in der Nachkriegszeit spielen, dort, wo Schuld, Schweigen und Überleben ineinandergreifen. Auch die Zeitsprünge zwischen Vergangenheit und Gegenwart sind geschickt verwoben, sodass sich nach und nach ein ganzes Lebensmosaik entfaltet.
Ich habe das Buch kaum aus der Hand legen können. Immer wieder musste ich innehalten, weil mich die Schicksale der Frauen so bewegt haben. „Lebensbande“ zeigt, wie eng Glück und Leid, Hoffnung und Verlust miteinander verbunden sind und dass selbst im größten Schmerz noch Menschlichkeit aufscheinen kann.
Ein zutiefst berührender, historisch fundierter und literarisch starker Roman. Für mich eines dieser Bücher, die man nicht nur liest, sondern erlebt. Ich empfehle es allen, die Geschichten lieben, die nahegehen, nachklingen und lange in Erinnerung bleiben.
Carsten Henn hat nach „Der Buchspazierer“ mit „Sonnenaufgang Nr. 5“ ein Buch geschrieben, das mitten ins Herz trifft. Schon nach wenigen Seiten war ich völlig in der Geschichte von Jonas und Stella versunken. Es geht dabei um zwei Menschen, die auf den ersten Blick kaum unterschiedlicher sein könnten und doch mehr gemeinsam haben, als sie ahnen.
Jonas, gerade einmal 19 und auf der Suche nach seinem Platz im Leben, möchte als Ghostwriter anderen helfen, ihre Geschichten zu erzählen. Seine erste Kundin ist Stella Dor, eine alternde Schauspielerin, die in einem Haus voller auf Zetteln notierter Erinnerungen und Geheimnisse lebt. Sie bittet ihn, ihre Autobiografie zu schreiben, eine Geschichte, die perfekt wirken soll. Doch je tiefer Jonas in Stellas Leben eintaucht, desto deutlicher wird, dass vieles, was sie erzählt, geschönt ist. Ihr Bezug zur Realität der Vergangenheit ist schräg und verzerrt. Sie sagt „…und es wäre ja noch schöner, wenn die Realität uns vorgebe, an was wir uns später erinnern sollen! Das entscheiden wir immer noch selbst.“ Am Ende geht es gar nicht darum, die Wahrheit zu verschweigen, sondern sie endlich auszuhalten.
Ich mochte besonders, wie feinfühlig Carsten Henn mit seinen Figuren umgeht. Stella ist keine einfache Person, sie ist stolz, verletzlich, manchmal herrisch, etwas schrullig aber immer faszinierend. Jonas dagegen ist still, aufmerksam und wächst im Lauf der Geschichte über sich hinaus. Auch die Nebenfiguren bleiben nicht blass. Paul und sein Hund, die alte Dame an der Bushaltestelle oder der Maler, der immer denselben Sonnenaufgang malt… sie alle tragen kleine Geschichten in sich, die das Buch zu einem echten Geflecht aus Lebenserfahrungen machen.
Der Schreibstil ist ruhig, poetisch und durchzogen von dieser besonderen Wärme, die ich bei Henn so schätze. Es gibt viele Sätze, die man zweimal liest, weil sie so schön und wahr sind. Die Atmosphäre am Meer, das Rascheln der Zettel mit niedergeschriebenen Erinnerungen, die Stille in Stellas Haus, all das hat sich beim Lesen fast real angefühlt. Meine inneren Bilder beim Lesen gaben die Atmosphäre der Verfilmung von „Der Buchspazierer“ her, etwas märchenhaft, mit gezeichneten Charakterstärken und liebevoll inszeniert.
„Sonnenaufgang Nr. 5“ ist ein kluges Buch über das Erinnern, über die Geschichten, die wir uns selbst erzählen, und über die Frage, was bleibt, wenn wir beginnen, ehrlich zu werden, zu anderen und zu uns selbst.
Ich gebe eine klare Leseempfehlung für alle, die Geschichten lieben, die berühren, ohne kitschig zu sein und die zeigen, dass jedes Leben seine eigene Wahrheit verdient.
„Weißes Licht“ ist ein Buch, das mich lange beschäftigt hat, manchmal auf gute, manchmal auf eher bedrückende Weise. Im Zentrum stehen Cece, Charlie und Garrett, deren Leben seit der Collegezeit unauflöslich miteinander verwoben sind. Schon früh wird klar, dass hier nicht nur eine Dreiecksbeziehung erzählt wird, sondern ein großes Beziehungsgeflecht voller Loyalität, Schuld und verpasster Chancen.
Besonders spannend fand ich, wie der Autor Eric Puchner zeigt, dass jede Entscheidung Folgen hat, die weit in die Zukunft reichen und zwar nicht nur für die Figuren selbst, sondern auch für deren Kinder. Die traumatischen Ereignisse der Vergangenheit (ein Skiunfall, der Tod eines Freundes) hallen wie ein Echo durch die Jahrzehnte. Garrett, der für mich die faszinierendste Figur war, trägt seine Schuldgefühle wie eine zweite Haut. Ich habe ihn nicht immer gemocht, aber ich konnte ihn verstehen.
Die Landschaft Montanas, die Hitze Kaliforniens, später die apokalyptisch anmutende Luftverschmutzung, all das bildet mehr als nur eine Kulisse. Es spiegelt den inneren Zustand der Figuren. Ich mochte diese atmosphärische Dichte sehr, auch wenn es streckenweise melancholisch und schwer war.
Es gibt Passagen, die mich tief berührt haben, etwa wenn die Figuren einander in schmerzhaften Momenten begegnen und trotzdem verbunden bleiben. Andere Abschnitte haben sich für mich gezogen, und manchmal hätte ich mir mehr Leichtigkeit oder kleine Lichtblicke gewünscht.
Und trotzdem bleibt dieses Buch im Kopf. Es erzählt nicht von großen Helden oder schnellen Lösungen, sondern von Menschen, die Fehler machen, die lieben, verletzen und trotzdem weitermachen. Genau das macht es so realistisch.
„Weißes Licht“ ist kein Roman für zwischendurch. Man braucht Geduld und die Bereitschaft, sich auf stille, unbequeme Töne einzulassen. Wer das tut, wird belohnt mit einer Geschichte, die lange nachhallt. Für mich war es keine leichte, aber eine lohnende Lektüre.
Schon nach wenigen Seiten war mir klar, dass dieses Buch kein typischer Karriereroman ist, sondern vielschichtiger und aktueller, als ich es erwartet hatte. Peter Huth nimmt uns mit in die Welt des Journalismus, in der Ambitionen, Macht und Eitelkeit ständig miteinander ringen.
Im Mittelpunkt steht Felix Licht, ein erfahrener Journalist, der fest davon ausgeht, nun endlich den Posten des Chefredakteurs zu bekommen, die Krönung seiner langen Laufbahn. Doch die Ernennung trifft nicht ihn, sondern Zoe Rauch. Jung, People of Colour, klug, ehrgeizig und ausgerechnet die Frau, die er vor Jahren selbst ausgebildet hat und nie ganz vergessen konnte. Allein dieser Konflikt trägt schon eine enorme Spannung in sich, die das Buch von Anfang an vorantreibt.
Besonders fasziniert hat mich, wie Peter Huth die Figuren zeichnet. Keiner bleibt oberflächlich oder in Klischees stecken. Felix ist ehrgeizig, verletzlich, manchmal unangenehm und gerade deshalb so menschlich. Zoe wirkt entschlossen und modern, hat aber ebenso ihre Zweifel. Auch die Nebenfiguren, wie Verleger Christian Berg und seine Frau Charlotte, bekommen Tiefe und Eigenheiten, die sie glaubwürdig machen.
Das Buch lebt davon, dass es aktuelle Debatten aufgreift: Rassismus, Feminismus, Klimaproteste, Social Media und die Kluft zwischen Print und Online. Manchmal ertappte ich mich beim Kopfnicken, manchmal beim Stirnrunzeln. Genau das macht für mich gute Literatur aus, dass sie provoziert und zum Nachdenken zwingt.
Der Schreibstil ist flüssig, präzise, dabei aber nie trocken. Viele Szenen haben mich regelrecht durch die Seiten getragen, und trotzdem bleibt Raum für leise Zwischentöne. Besonders gelungen finde ich den Aufbau mit Prolog und Epilog. Anfangs hatte ich den Einstieg fast vergessen, doch am Ende schließt sich der Kreis auf eine Weise, die mich beeindruckt hat.
„Aufsteiger“ ist ein packender, intelligenter Roman, der viel mehr bietet als eine interne Redaktionsintrige. Er erzählt von Macht und Moral, von Niederlagen und Neuanfängen und trifft dabei sehr genau den Nerv unserer Zeit. Ein Buch, das ich wärmstens empfehlen kann.
„Die Verlorene“ war für mich das erste Buch von Miriam Georg und gleichzeitig eines, das mich restlos begeistert und emotional sehr bewegt hat. Schon nach wenigen Seiten habe ich gespürt, warum so viele Leserinnen von dieser Autorin schwärmen.
Die Geschichte entfaltet sich auf zwei Zeitebenen. In der Gegenwart stößt Laura nach dem Tod ihrer Großmutter Änne auf Ungereimtheiten in deren Leben. Gemeinsam mit ihrer Mutter begibt sie sich nach Schlesien, um Antworten zu finden. Parallel dazu begleitet man in Rückblenden die Familie Thomke in den 1940er Jahren auf dem Pappelhof, ein Ort voller Leben, Arbeit und auch Geborgenheit, bis der Krieg alles verändert. Besonders im Fokus stehen die Zwillingsschwestern Luise und Änne, deren innige, aber auch konfliktreiche Beziehung mich während des Lesens tief beeindruckt hat.
Ich habe bereits einige historische Romane rund um den Zweiten Weltkrieg gelesen, aber „Die Verlorene“ hat mich auf besondere Weise berührt. Die Autorin schafft es, historische Fakten, persönliche Schicksale und emotionale Familienkonflikte so kunstvoll miteinander zu verweben, dass man vollkommen in der Geschichte versinkt. Miriam Georg schreibt atmosphärisch und gleichzeitig voller Spannung, ein wendungsreicher Plot tut seinen Anteil dazu. Mehr als einmal habe ich mir vorgenommen „nur noch ein Kapitel“ zu lesen und konnte das Buch dann doch nicht aus der Hand legen.
Besonders stark fand ich, wie klar die Traumata dieser Zeit spürbar werden. Das Schweigen der Kriegsgeneration, die ungesagten Dinge, die über Jahrzehnte hinweg Schatten werfen. Das kenne ich auch aus meiner eigenen Familie. Vieles wurde nie erzählt, manches bleibt bis heute im Dunkeln. Umso intensiver hat mich dieser Roman getroffen, weil er zeigt, wie wichtig es ist, Fragen zu stellen, solange es noch möglich ist.
Die Figuren sind für mich keine bloßen Romancharaktere geblieben, sie fühlten sich während des Lesens real an. Ob Änne, deren Entscheidungen man nicht immer nachvollziehen kann, Luise, die mir ans Herz gewachsen ist, oder Laura, die stellvertretend für viele Enkelgenerationen auf Spurensuche geht, jede Figur hat sich fest in mein Gedächtnis eingebrannt. Besonders das Verhältnis der Schwestern, geprägt von Liebe, Rivalität und Tragik, hat mich nicht mehr losgelassen.
Die Beschreibungen des Pappelhofs und der Natur sind so lebendig, dass ich die Pappeln rauschen, die Pferde wiehern und das Summen der Mücken in den Sommerabenden förmlich hören konnte. Das macht den Kontrast umso härter, wenn Zerstörung, Flucht und Verlust hereinbrechen.
Am Ende fügen sich die beiden Zeitebenen zu einem Ganzen zusammen, das mich sprachlos zurückgelassen hat. Ich habe gelitten, gehofft, geweint und am Ende das Buch traurig, aber gleichzeitig dankbar zugeschlagen.
Für mich ist „Die Verlorene“ ein absolutes Lesehighlight, das noch lange nachklingt. Miriam Georg hat mich nicht nur bestens unterhalten, sondern mir auch viele Denkanstöße gegeben. Wer Familiengeschichten mit Tiefgang liebt, wer historische Romane sucht, die unter die Haut gehen, und wer Bücher mag, die einen nicht loslassen, für den ist dieses Werk ein Muss.
Ich bin froh, Miriam Georgs Bücher für mich entdeckt zu haben und ich weiß jetzt schon, dass es bestimmt nicht mein letztes gewesen sein wird.
Schon ein Jahr ist das letzte Buch von Isabel Allende her und mit „Mein Name ist Emilia del Valle“ wurde mir wieder einmal bewusst, warum ihre Romane so einzigartig sind. Von der ersten Seite an hat mich die Geschichte in den Bann gezogen.
Im Mittelpunkt steht Emilia, die unter ungewöhnlichen Umständen geboren wurde. Als Tochter einer irischen Nonne und eines chilenischen Aristokraten, der nie Verantwortung übernommen hat. Aufgewachsen in San Francisco, von ihrem Stiefvater liebevoll gefördert, entwickelt sie schon früh den Wunsch, zu schreiben. Dass sie sich in einer Zeit, in der Frauen kaum Chancen hatten, als Journalistin durchsetzt, hat mich zutiefst beeindruckt. Ich habe beim Lesen oft innegehalten, um darüber nachzudenken, wie viel Mut und Willenskraft dazu gehörten.
Besonders spannend fand ich den Moment, als Emilia nach Chile reist, in das Land ihrer Wurzeln, das zugleich vom Bürgerkrieg erschüttert wird. Hier wird Isabel Allendes Erzählkunst spürbar. Sie verknüpft die politischen Umbrüche und die Schrecken des Krieges mit den sehr persönlichen Erfahrungen Emilias. Die Szenen an der Seite der Soldaten, die Armut, der Hunger, die Angst, all das hat sich für mich so lebendig und intensiv angefühlt, dass ich das Gefühl hatte, mitten im Geschehen zu stehen. Gleichzeitig bleibt immer Platz für das Menschliche, die Freundschaft und Zuneigung zu ihrem Kollegen Eric, die Suche nach ihrem Vater, die Fragen nach Herkunft und Identität.
Isabel Allendes Sprache ist, wie ich es von ihr kenne, bildreich, voller Wärme und gleichzeitig eindringlich. Ich habe es geliebt, wie detailreich sie Schauplätze und Figuren beschreibt, ohne je ins Überladene zu rutschen. Manche Passagen haben sich fast filmisch vor meinem inneren Auge entfaltet. Besonders die Figur der Emilia ist für mich ein kleines literarisches Geschenk, mutig, widersprüchlich, verletzlich und zugleich stark.
Für mich ist „Mein Name ist Emilia del Valle“ nicht nur ein historischer Roman, sondern auch ein Buch über Selbstbehauptung, über das Recht, den eigenen Weg zu gehen, und über die Kraft von Erinnerungen. Es ist ein Lebensepos, ein Zeitdokument und eine Aufklärung. Das Buch hat mich nicht nur unterhalten, sondern auch berührt und nachdenklich zurückgelassen, ein echter Pageturner.
Ich kann diesen Roman jedem ans Herz legen, der starke Frauenfiguren, atmosphärische Schauplätze und geschichtliche Tiefe liebt. Für mich war es ein echtes Lesehighlight, das sicher noch lange nachklingen wird, ein neues Meisterwerk von Isabel Allendes bester Erzählkunst, ein Jahresjuwel.
Ich habe lange auf dieses Buch gewartet, nachdem ich „Lügen über meine Mutter“ mehrfach las und kaum ein anderes Buch kenne, das mir so aus der Seele spricht, sprachlich und auch atmosphärisch. Nun legt Daniela Dröscher mit „Junge Frau mit Katze“ einen stillen und zugleich kraftvollen Nachfolgeroman vor. Mit großer sprachlicher Sorgfalt und Weite zugleich widmet sich das Buch den Verflechtungen von Körper, Psyche und Herkunft. Im Mittelpunkt steht Ela, inzwischen erwachsen, kurz vor der Promotion und zugleich am Rand ihrer Kräfte.
Was zunächst als diffuse Krankengeschichte beginnt, entwickelt sich schnell zu einer vielschichtigen Auseinandersetzung mit weiblicher Verwundbarkeit, mit dem Labyrinth eines Patienten im medizinischen System, mit familiären Altlasten und der Frage, was es heißt, in einer von Leistung geprägten Welt nicht mehr zu „funktionieren“. Dass Ela dabei nicht zur bloßen Beschwerdeführerin wird, sondern als Figur mit Tiefe und Widerspruch gezeichnet ist, macht die Lektüre umso eindringlicher.
Ich habe mich in vielen Momenten in Ela wiedergefunden, in der Erschöpfung, im Zweifeln an der eigenen Wahrnehmung, in der Suche nach Halt. Doch zugleich war das Buch für mich auch fordernd. Ich hatte aus dem Vorgängerbuch „Lügen über meine Mutter“ bereits tiefe Sympathien für die Figur der Ela und konnte die diffuse Dichte an Beschwerdebildern, Diagnosen und emotionalen Spannungen nur mit Bedrückung wahrnehmen. Vielleicht beabsichtigt, denn Krankheit und die komplexen familiären Verstrickungen sind eben nicht erzählbar in glatt gebügelten Kapiteln.
Besonders beeindruckt hat mich die Sprache der Autorin, ähnlich wie in „Lügen über meine Mutter“. Klar, fein beobachtet, stellenweise lakonisch, dann wieder fast poetisch. Daniela Dröscher schreibt mit einem Ton, der weder dramatisiert noch beschwichtigt, sondern einfach bleibt. Das Gelesene wird wahr.
Ich habe mich gefragt, wie ich das Buch erlebt hätte ohne die Leidenschaft für die Autorin und das vorhergehende Werk. Ich würde fast empfehlen, zuerst „Lügen über meine Mutter“ zu lesen, auch wenn „Junge Frau mit Katze“ ohne auskommt, jedoch wirken die beiden Bücher zusammen.
Ein wirklich notwendiges Buch.
Es gibt Bücher, die man nicht einfach nur liest, sondern erlebt. „Wohin du auch gehst“ von Christina Fonthes war für mich genau so ein Buch. Es hat mich emotional, gedanklich und auch sprachlich mitgenommen auf eine Reise. Und ich habe es nicht nur gelesen, sondern gespürt.
Im Mittelpunkt des Buches stehen zwei Frauen. Bijoux ist eine eine junge queere Frau, die nach einer Krise im Kongo zu ihrer Tantine Mireille nach London geschickt wird. Und Mira, diese Tante, die ein Leben voller Brüche und Verluste hinter sich hat. Beide sind über zwei Generationen eng miteinander verknüpft. Was anfangs wie ein klassischer Konflikt zwischen Alt und Jung wirkt, entfaltet sich Stück für Stück zu einer viel komplexeren Geschichte über Herkunft, Trauma, Selbstbestimmung und darüber, wie schwer es ist, ein freies Leben zu führen, wenn einem die Welt Grenzen setzt.
Mich hat besonders berührt, wie menschlich die Figuren gezeichnet sind. Nichts ist schwarz-weiß. Ich wurde zunächst nicht warm mit der strengen Tantine Mireille, die ihrer Nichte das Leben schwer macht. Doch auch sie bekommt Raum, verstanden zu werden. Das macht die Geschichte so glaubwürdig und auch so schmerzhaft. Sie erwischte mich auch bei meinen eigenen Vorurteilen.
Christina Fonthes schreibt schnörkellos, aber eindringlich. Die kurzen Kapitel, die Perspektivwechsel, die Sprünge in Zeit und Ort (Kinshasa, Brüssel, Paris, London) machen das Buch lebendig. Manchmal hatte ich das Gefühl, gleichzeitig in einem politischen Roman, einem Familienporträt und einer queeren Coming-of-Age-Geschichte zu stecken und alles fügte sich trotzdem zu einem stimmigen Ganzen.
Was mir sehr gefallen hat, war der sprachliche Rhythmus. Immer wieder tauchen Wörter aus dem Lingala auf, die mir anfangs fremd waren, aber mit der Zeit Teil der Erzählwelt wurden. Es fühlte sich an wie ein Eintauchen, nicht nur in eine Geschichte, sondern in eine ganze Kultur.
Inhaltlich ist das Buch nicht leicht. Es geht um Gewalt, Identitätsfragen, religiöse Enge, koloniale Nachwirkungen. Und doch bleibt Raum für Liebe, für Freundschaft, für Aufbruch. Am Ende war ich sehr bewegt und voller Respekt für dieses beeindruckende Debüt. „Wohin du auch gehst“ ist für mich ein Buch, das man nicht einfach wieder ins Regal stellt. Es begleitet einen weiter.
Das Buch ist lesenswert für alle, die sich für interkulturelle Perspektiven interessieren, für queere Geschichten jenseits westlicher Narrative und für Literatur, die nicht nur erzählt, sondern etwas in einem in Bewegung setzt.
Beim Stöbern im Buchladen wäre mir „Das Geschenk“ von Gaea Schoeters wahrscheinlich nicht weiter aufgefallen. Zu schmal, zu unscheinbar zwischen all den dicken Romanen, die sich nach stundenlanger Lektüre anfühlen. Was dann auf den ersten Blick wie eine schräge Satire klingt, entpuppt sich als kluges, bissiges, überraschend bewegendes Gedankenspiel über politische Verantwortung, moralische Doppelmoral und die Grenzen unseres gesellschaftlichen Verständnisses von Integration, Umwelt und Macht.
Plötzlich sind 20.000 Elefanten in Berlin, sie sind einfach da. Keine langen Diskussionen, keine Planungsprozesse, sie tauchen auf und mit ihnen ein Problem, das sich nicht mehr ignorieren lässt. Die Regierung unter Kanzler Hans Christian Winkler ist überfordert, genauso wie die Bevölkerung. Es ist ein Geschenk, das man nicht ablehnen kann, aber auch keines, mit dem man weiß, was man anfangen soll. Und genau da beginnt die Geschichte, ihre ganze Kraft zu entfalten. Denn Schoeters nutzt dieses absurde Szenario nicht für billigen Klamauk, sondern als präzise Spiegelung unserer politischen Realität. Wie handeln wir, wenn uns ein Problem trifft, das wir sonst gerne nach außen verlagern? Was passiert, wenn wir gezwungen sind, mit dem „Fremden“ zu leben?
Ich war überrascht, wie schnell ich tief in diese Geschichte hineingezogen wurde. Die Elefanten, so seltsam sie im Kontext wirken, sind dabei keine alberne Metapher, sondern echte Figuren mit Gewicht. Wie sie durch Städte stapfen, nach Nahrung suchen, Wasser trinken, unbeirrt ihren Raum einnehmen, als wären sie schon immer da gewesen. Und plötzlich ist da die Frage, wer sich eigentlich wem anpasst.
Was ich an Schoeters' Stil besonders mochte, war ihre Mischung aus Schärfe und Leichtigkeit. Sie übertreibt nie, sie kommentiert mit einem trockenen, fast beiläufigen Humor, der oft erst im Nachhall trifft. Gleichzeitig steckt in jeder Szene eine messerscharfe Beobachtung unserer politischen Wirklichkeit. Die Diskussionen über Artenschutz, über Flüchtlingspolitik, über Verantwortung und Bevormundung anderer Staaten werden hier nicht theoretisch abgehandelt, sondern durchgespielt. Und das so nah an der Realität, dass es manchmal fast weh tut.
Der Satz „Elefanten sind keine Flüchtlinge“ bleibt hängen. Weil er so klar benennt, was dieses Buch tut. Es schiebt vorsichtig, aber bestimmt unsere moralischen Selbstverständlichkeiten beiseite. Zeigt, wie schnell ein System ins Wanken gerät, wenn es seine Prinzipien nicht lebt, sondern nur verwaltet. Und ganz nebenbei erzählt es von Propaganda, Populismus, von Macht um der Macht willen, von der Schwierigkeit, richtige Entscheidungen zu treffen, wenn alles falsch erscheint.
Ich habe beim Lesen gelacht, gestaunt, mit dem Kopf geschüttelt. Und mich gefragt, warum nicht viel mehr Geschichten genau diesen Ton treffen, diesen schmalen Grat zwischen Unterhaltung und Ernst, zwischen Satire und Reflexion. Gaea Schoeters hat mit „Das Geschenk“ ein Buch geschrieben, das man kaum aus der Hand legen kann, weil es wirklich klug und überraschend menschlich ist.
Ich weiß nicht, wann mich ein Buch zuletzt so langsam, aber eindringlich in seinen Bann gezogen hat wie „Schattengrünes Tal“ von Kristina Hauff. Es war kein lautes „Wow“ nach den ersten Seiten, sondern eher dieses Gefühl, dass sich etwas anbahnt. Etwas, das man nicht benennen kann, aber spürt. Und genau das liebe ich an Geschichten, wenn sie sich nicht aufdrängen, sondern still unter die Haut kriechen.
Lisa war für mich sofort greifbar. Eine Frau, die still mitarbeitet, Verantwortung übernimmt, sich für andere aufopfert, aber nie wirklich im Mittelpunkt steht. Ich habe mich an vielen Stellen in ihr wiedergefunden. Dieses Gefühl, alles am Laufen zu halten, aber trotzdem übersehen zu werden, das hat mich wirklich berührt. Vor allem in der Beziehung zu ihrem Vater, der ihr zwar vertraut, sie aber nie ganz ernst nimmt. Und dann ist da Simon, ihr Mann, der sich mehr und mehr entzieht, in Gedanken und später auch emotional. Auch das kennt man vielleicht, wenn sich der Mensch neben einem langsam entfernt, ohne dass man es gleich merkt.
Und dann kommt Daniela. Und alles kippt.
Anfangs fand ich sie sogar spannend, diese Frau, die plötzlich da ist, im Hotel bleibt, mit allen gut klarzukommen scheint. Ich dachte, vielleicht tut so jemand Lisa sogar gut. Aber das hat sich schnell geändert. Ich hatte ständig ein mulmiges Gefühl beim Lesen. Wie Daniela sich in Lisas Leben schiebt, bei ihrem Vater einschmeichelt, sogar Simons Nähe sucht. Das war so geschickt geschrieben, dass ich manchmal selbst nicht wusste, ob ich mir das nur einbilde. Diese Manipulation geschieht so leise, so unterschwellig, dass man als Leserin genauso in Zweifel gerät wie Lisa selbst. Und das ist das Großartige an diesem Buch. Es lässt einen nicht außen vor, es macht einen zum Teil des Ganzen.
Kristina Hauff hat es geschafft, mich mit einer sehr ruhigen, klaren Sprache komplett in diese Welt zu ziehen. Ich konnte das Hotel richtig vor mir sehen, ein bisschen heruntergekommen, voller Erinnerungen. Der Schwarzwald mit seiner Düsternis, den Nebeln, den stillen Wegen, perfekt für die Art Geschichte, die hier erzählt wird. Ich war beim Lesen tatsächlich oft selbst wie in einem dunklen Tal. Ich wollte raus, aber konnte nicht aufhören weiterzugehen.
Was mir besonders gefallen hat, war die Mehrstimmigkeit. Die Kapitel aus der Sicht von Lisa, Carl, Margret und Simon geben dem Ganzen eine Tiefe, die es noch eindringlicher macht. Ich habe niemanden hundertprozentig gemocht oder abgelehnt, selbst Daniela nicht. Und gerade das hat mich emotional so gepackt. Diese Grautöne, dieses Menschliche, das manchmal so unbequem ist.
Für mich ist „Schattengrünes Tal“ kein klassischer Spannungsroman. Es ist ein psychologisches Kammerspiel, das sich in einen hineinbohrt und lange bleibt. Eine klare Empfehlung für alle, die Geschichten mögen, die zwischen den Zeilen wirken. Und die sich nicht scheuen, auch mal unangenehm nah heranzukommen.
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