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eight_butterflies

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Insgesamt 19 Bewertungen
Bewertung vom 28.09.2025
Puchner, Eric

Weißes Licht


sehr gut

„Weißes Licht“ ist ein Buch, das mich lange beschäftigt hat, manchmal auf gute, manchmal auf eher bedrückende Weise. Im Zentrum stehen Cece, Charlie und Garrett, deren Leben seit der Collegezeit unauflöslich miteinander verwoben sind. Schon früh wird klar, dass hier nicht nur eine Dreiecksbeziehung erzählt wird, sondern ein großes Beziehungsgeflecht voller Loyalität, Schuld und verpasster Chancen.
Besonders spannend fand ich, wie der Autor Eric Puchner zeigt, dass jede Entscheidung Folgen hat, die weit in die Zukunft reichen und zwar nicht nur für die Figuren selbst, sondern auch für deren Kinder. Die traumatischen Ereignisse der Vergangenheit (ein Skiunfall, der Tod eines Freundes) hallen wie ein Echo durch die Jahrzehnte. Garrett, der für mich die faszinierendste Figur war, trägt seine Schuldgefühle wie eine zweite Haut. Ich habe ihn nicht immer gemocht, aber ich konnte ihn verstehen.
Die Landschaft Montanas, die Hitze Kaliforniens, später die apokalyptisch anmutende Luftverschmutzung, all das bildet mehr als nur eine Kulisse. Es spiegelt den inneren Zustand der Figuren. Ich mochte diese atmosphärische Dichte sehr, auch wenn es streckenweise melancholisch und schwer war.
Es gibt Passagen, die mich tief berührt haben, etwa wenn die Figuren einander in schmerzhaften Momenten begegnen und trotzdem verbunden bleiben. Andere Abschnitte haben sich für mich gezogen, und manchmal hätte ich mir mehr Leichtigkeit oder kleine Lichtblicke gewünscht.
Und trotzdem bleibt dieses Buch im Kopf. Es erzählt nicht von großen Helden oder schnellen Lösungen, sondern von Menschen, die Fehler machen, die lieben, verletzen und trotzdem weitermachen. Genau das macht es so realistisch.
„Weißes Licht“ ist kein Roman für zwischendurch. Man braucht Geduld und die Bereitschaft, sich auf stille, unbequeme Töne einzulassen. Wer das tut, wird belohnt mit einer Geschichte, die lange nachhallt. Für mich war es keine leichte, aber eine lohnende Lektüre.

Bewertung vom 14.09.2025
Huth, Peter

Aufsteiger


ausgezeichnet

Schon nach wenigen Seiten war mir klar, dass dieses Buch kein typischer Karriereroman ist, sondern vielschichtiger und aktueller, als ich es erwartet hatte. Peter Huth nimmt uns mit in die Welt des Journalismus, in der Ambitionen, Macht und Eitelkeit ständig miteinander ringen.
Im Mittelpunkt steht Felix Licht, ein erfahrener Journalist, der fest davon ausgeht, nun endlich den Posten des Chefredakteurs zu bekommen, die Krönung seiner langen Laufbahn. Doch die Ernennung trifft nicht ihn, sondern Zoe Rauch. Jung, People of Colour, klug, ehrgeizig und ausgerechnet die Frau, die er vor Jahren selbst ausgebildet hat und nie ganz vergessen konnte. Allein dieser Konflikt trägt schon eine enorme Spannung in sich, die das Buch von Anfang an vorantreibt.
Besonders fasziniert hat mich, wie Peter Huth die Figuren zeichnet. Keiner bleibt oberflächlich oder in Klischees stecken. Felix ist ehrgeizig, verletzlich, manchmal unangenehm und gerade deshalb so menschlich. Zoe wirkt entschlossen und modern, hat aber ebenso ihre Zweifel. Auch die Nebenfiguren, wie Verleger Christian Berg und seine Frau Charlotte, bekommen Tiefe und Eigenheiten, die sie glaubwürdig machen.
Das Buch lebt davon, dass es aktuelle Debatten aufgreift: Rassismus, Feminismus, Klimaproteste, Social Media und die Kluft zwischen Print und Online. Manchmal ertappte ich mich beim Kopfnicken, manchmal beim Stirnrunzeln. Genau das macht für mich gute Literatur aus, dass sie provoziert und zum Nachdenken zwingt.
Der Schreibstil ist flüssig, präzise, dabei aber nie trocken. Viele Szenen haben mich regelrecht durch die Seiten getragen, und trotzdem bleibt Raum für leise Zwischentöne. Besonders gelungen finde ich den Aufbau mit Prolog und Epilog. Anfangs hatte ich den Einstieg fast vergessen, doch am Ende schließt sich der Kreis auf eine Weise, die mich beeindruckt hat.
„Aufsteiger“ ist ein packender, intelligenter Roman, der viel mehr bietet als eine interne Redaktionsintrige. Er erzählt von Macht und Moral, von Niederlagen und Neuanfängen und trifft dabei sehr genau den Nerv unserer Zeit. Ein Buch, das ich wärmstens empfehlen kann.

Bewertung vom 05.09.2025
Georg, Miriam

Die Verlorene


ausgezeichnet

„Die Verlorene“ war für mich das erste Buch von Miriam Georg und gleichzeitig eines, das mich restlos begeistert und emotional sehr bewegt hat. Schon nach wenigen Seiten habe ich gespürt, warum so viele Leserinnen von dieser Autorin schwärmen.
Die Geschichte entfaltet sich auf zwei Zeitebenen. In der Gegenwart stößt Laura nach dem Tod ihrer Großmutter Änne auf Ungereimtheiten in deren Leben. Gemeinsam mit ihrer Mutter begibt sie sich nach Schlesien, um Antworten zu finden. Parallel dazu begleitet man in Rückblenden die Familie Thomke in den 1940er Jahren auf dem Pappelhof, ein Ort voller Leben, Arbeit und auch Geborgenheit, bis der Krieg alles verändert. Besonders im Fokus stehen die Zwillingsschwestern Luise und Änne, deren innige, aber auch konfliktreiche Beziehung mich während des Lesens tief beeindruckt hat.
Ich habe bereits einige historische Romane rund um den Zweiten Weltkrieg gelesen, aber „Die Verlorene“ hat mich auf besondere Weise berührt. Die Autorin schafft es, historische Fakten, persönliche Schicksale und emotionale Familienkonflikte so kunstvoll miteinander zu verweben, dass man vollkommen in der Geschichte versinkt. Miriam Georg schreibt atmosphärisch und gleichzeitig voller Spannung, ein wendungsreicher Plot tut seinen Anteil dazu. Mehr als einmal habe ich mir vorgenommen „nur noch ein Kapitel“ zu lesen und konnte das Buch dann doch nicht aus der Hand legen.
Besonders stark fand ich, wie klar die Traumata dieser Zeit spürbar werden. Das Schweigen der Kriegsgeneration, die ungesagten Dinge, die über Jahrzehnte hinweg Schatten werfen. Das kenne ich auch aus meiner eigenen Familie. Vieles wurde nie erzählt, manches bleibt bis heute im Dunkeln. Umso intensiver hat mich dieser Roman getroffen, weil er zeigt, wie wichtig es ist, Fragen zu stellen, solange es noch möglich ist.
Die Figuren sind für mich keine bloßen Romancharaktere geblieben, sie fühlten sich während des Lesens real an. Ob Änne, deren Entscheidungen man nicht immer nachvollziehen kann, Luise, die mir ans Herz gewachsen ist, oder Laura, die stellvertretend für viele Enkelgenerationen auf Spurensuche geht, jede Figur hat sich fest in mein Gedächtnis eingebrannt. Besonders das Verhältnis der Schwestern, geprägt von Liebe, Rivalität und Tragik, hat mich nicht mehr losgelassen.
Die Beschreibungen des Pappelhofs und der Natur sind so lebendig, dass ich die Pappeln rauschen, die Pferde wiehern und das Summen der Mücken in den Sommerabenden förmlich hören konnte. Das macht den Kontrast umso härter, wenn Zerstörung, Flucht und Verlust hereinbrechen.
Am Ende fügen sich die beiden Zeitebenen zu einem Ganzen zusammen, das mich sprachlos zurückgelassen hat. Ich habe gelitten, gehofft, geweint und am Ende das Buch traurig, aber gleichzeitig dankbar zugeschlagen.
Für mich ist „Die Verlorene“ ein absolutes Lesehighlight, das noch lange nachklingt. Miriam Georg hat mich nicht nur bestens unterhalten, sondern mir auch viele Denkanstöße gegeben. Wer Familiengeschichten mit Tiefgang liebt, wer historische Romane sucht, die unter die Haut gehen, und wer Bücher mag, die einen nicht loslassen, für den ist dieses Werk ein Muss.
Ich bin froh, Miriam Georgs Bücher für mich entdeckt zu haben und ich weiß jetzt schon, dass es bestimmt nicht mein letztes gewesen sein wird.

Bewertung vom 22.08.2025
Allende, Isabel

Mein Name ist Emilia del Valle


ausgezeichnet

Schon ein Jahr ist das letzte Buch von Isabel Allende her und mit „Mein Name ist Emilia del Valle“ wurde mir wieder einmal bewusst, warum ihre Romane so einzigartig sind. Von der ersten Seite an hat mich die Geschichte in den Bann gezogen.
Im Mittelpunkt steht Emilia, die unter ungewöhnlichen Umständen geboren wurde. Als Tochter einer irischen Nonne und eines chilenischen Aristokraten, der nie Verantwortung übernommen hat. Aufgewachsen in San Francisco, von ihrem Stiefvater liebevoll gefördert, entwickelt sie schon früh den Wunsch, zu schreiben. Dass sie sich in einer Zeit, in der Frauen kaum Chancen hatten, als Journalistin durchsetzt, hat mich zutiefst beeindruckt. Ich habe beim Lesen oft innegehalten, um darüber nachzudenken, wie viel Mut und Willenskraft dazu gehörten.
Besonders spannend fand ich den Moment, als Emilia nach Chile reist, in das Land ihrer Wurzeln, das zugleich vom Bürgerkrieg erschüttert wird. Hier wird Isabel Allendes Erzählkunst spürbar. Sie verknüpft die politischen Umbrüche und die Schrecken des Krieges mit den sehr persönlichen Erfahrungen Emilias. Die Szenen an der Seite der Soldaten, die Armut, der Hunger, die Angst, all das hat sich für mich so lebendig und intensiv angefühlt, dass ich das Gefühl hatte, mitten im Geschehen zu stehen. Gleichzeitig bleibt immer Platz für das Menschliche, die Freundschaft und Zuneigung zu ihrem Kollegen Eric, die Suche nach ihrem Vater, die Fragen nach Herkunft und Identität.
Isabel Allendes Sprache ist, wie ich es von ihr kenne, bildreich, voller Wärme und gleichzeitig eindringlich. Ich habe es geliebt, wie detailreich sie Schauplätze und Figuren beschreibt, ohne je ins Überladene zu rutschen. Manche Passagen haben sich fast filmisch vor meinem inneren Auge entfaltet. Besonders die Figur der Emilia ist für mich ein kleines literarisches Geschenk, mutig, widersprüchlich, verletzlich und zugleich stark.
Für mich ist „Mein Name ist Emilia del Valle“ nicht nur ein historischer Roman, sondern auch ein Buch über Selbstbehauptung, über das Recht, den eigenen Weg zu gehen, und über die Kraft von Erinnerungen. Es ist ein Lebensepos, ein Zeitdokument und eine Aufklärung. Das Buch hat mich nicht nur unterhalten, sondern auch berührt und nachdenklich zurückgelassen, ein echter Pageturner.
Ich kann diesen Roman jedem ans Herz legen, der starke Frauenfiguren, atmosphärische Schauplätze und geschichtliche Tiefe liebt. Für mich war es ein echtes Lesehighlight, das sicher noch lange nachklingen wird, ein neues Meisterwerk von Isabel Allendes bester Erzählkunst, ein Jahresjuwel.

Bewertung vom 14.08.2025
Dröscher, Daniela

Junge Frau mit Katze


ausgezeichnet

Ich habe lange auf dieses Buch gewartet, nachdem ich „Lügen über meine Mutter“ mehrfach las und kaum ein anderes Buch kenne, das mir so aus der Seele spricht, sprachlich und auch atmosphärisch. Nun legt Daniela Dröscher mit „Junge Frau mit Katze“ einen stillen und zugleich kraftvollen Nachfolgeroman vor. Mit großer sprachlicher Sorgfalt und Weite zugleich widmet sich das Buch den Verflechtungen von Körper, Psyche und Herkunft. Im Mittelpunkt steht Ela, inzwischen erwachsen, kurz vor der Promotion und zugleich am Rand ihrer Kräfte.
Was zunächst als diffuse Krankengeschichte beginnt, entwickelt sich schnell zu einer vielschichtigen Auseinandersetzung mit weiblicher Verwundbarkeit, mit dem Labyrinth eines Patienten im medizinischen System, mit familiären Altlasten und der Frage, was es heißt, in einer von Leistung geprägten Welt nicht mehr zu „funktionieren“. Dass Ela dabei nicht zur bloßen Beschwerdeführerin wird, sondern als Figur mit Tiefe und Widerspruch gezeichnet ist, macht die Lektüre umso eindringlicher.
Ich habe mich in vielen Momenten in Ela wiedergefunden, in der Erschöpfung, im Zweifeln an der eigenen Wahrnehmung, in der Suche nach Halt. Doch zugleich war das Buch für mich auch fordernd. Ich hatte aus dem Vorgängerbuch „Lügen über meine Mutter“ bereits tiefe Sympathien für die Figur der Ela und konnte die diffuse Dichte an Beschwerdebildern, Diagnosen und emotionalen Spannungen nur mit Bedrückung wahrnehmen. Vielleicht beabsichtigt, denn Krankheit und die komplexen familiären Verstrickungen sind eben nicht erzählbar in glatt gebügelten Kapiteln.
Besonders beeindruckt hat mich die Sprache der Autorin, ähnlich wie in „Lügen über meine Mutter“. Klar, fein beobachtet, stellenweise lakonisch, dann wieder fast poetisch. Daniela Dröscher schreibt mit einem Ton, der weder dramatisiert noch beschwichtigt, sondern einfach bleibt. Das Gelesene wird wahr.
Ich habe mich gefragt, wie ich das Buch erlebt hätte ohne die Leidenschaft für die Autorin und das vorhergehende Werk. Ich würde fast empfehlen, zuerst „Lügen über meine Mutter“ zu lesen, auch wenn „Junge Frau mit Katze“ ohne auskommt, jedoch wirken die beiden Bücher zusammen.
Ein wirklich notwendiges Buch.

Bewertung vom 04.08.2025
Fonthes, Christina

Wohin du auch gehst


ausgezeichnet

Es gibt Bücher, die man nicht einfach nur liest, sondern erlebt. „Wohin du auch gehst“ von Christina Fonthes war für mich genau so ein Buch. Es hat mich emotional, gedanklich und auch sprachlich mitgenommen auf eine Reise. Und ich habe es nicht nur gelesen, sondern gespürt.
Im Mittelpunkt des Buches stehen zwei Frauen. Bijoux ist eine eine junge queere Frau, die nach einer Krise im Kongo zu ihrer Tantine Mireille nach London geschickt wird. Und Mira, diese Tante, die ein Leben voller Brüche und Verluste hinter sich hat. Beide sind über zwei Generationen eng miteinander verknüpft. Was anfangs wie ein klassischer Konflikt zwischen Alt und Jung wirkt, entfaltet sich Stück für Stück zu einer viel komplexeren Geschichte über Herkunft, Trauma, Selbstbestimmung und darüber, wie schwer es ist, ein freies Leben zu führen, wenn einem die Welt Grenzen setzt.
Mich hat besonders berührt, wie menschlich die Figuren gezeichnet sind. Nichts ist schwarz-weiß. Ich wurde zunächst nicht warm mit der strengen Tantine Mireille, die ihrer Nichte das Leben schwer macht. Doch auch sie bekommt Raum, verstanden zu werden. Das macht die Geschichte so glaubwürdig und auch so schmerzhaft. Sie erwischte mich auch bei meinen eigenen Vorurteilen.
Christina Fonthes schreibt schnörkellos, aber eindringlich. Die kurzen Kapitel, die Perspektivwechsel, die Sprünge in Zeit und Ort (Kinshasa, Brüssel, Paris, London) machen das Buch lebendig. Manchmal hatte ich das Gefühl, gleichzeitig in einem politischen Roman, einem Familienporträt und einer queeren Coming-of-Age-Geschichte zu stecken und alles fügte sich trotzdem zu einem stimmigen Ganzen.
Was mir sehr gefallen hat, war der sprachliche Rhythmus. Immer wieder tauchen Wörter aus dem Lingala auf, die mir anfangs fremd waren, aber mit der Zeit Teil der Erzählwelt wurden. Es fühlte sich an wie ein Eintauchen, nicht nur in eine Geschichte, sondern in eine ganze Kultur.
Inhaltlich ist das Buch nicht leicht. Es geht um Gewalt, Identitätsfragen, religiöse Enge, koloniale Nachwirkungen. Und doch bleibt Raum für Liebe, für Freundschaft, für Aufbruch. Am Ende war ich sehr bewegt und voller Respekt für dieses beeindruckende Debüt. „Wohin du auch gehst“ ist für mich ein Buch, das man nicht einfach wieder ins Regal stellt. Es begleitet einen weiter.
Das Buch ist lesenswert für alle, die sich für interkulturelle Perspektiven interessieren, für queere Geschichten jenseits westlicher Narrative und für Literatur, die nicht nur erzählt, sondern etwas in einem in Bewegung setzt.

Bewertung vom 21.07.2025
Schoeters, Gaea

Das Geschenk


sehr gut

Beim Stöbern im Buchladen wäre mir „Das Geschenk“ von Gaea Schoeters wahrscheinlich nicht weiter aufgefallen. Zu schmal, zu unscheinbar zwischen all den dicken Romanen, die sich nach stundenlanger Lektüre anfühlen. Was dann auf den ersten Blick wie eine schräge Satire klingt, entpuppt sich als kluges, bissiges, überraschend bewegendes Gedankenspiel über politische Verantwortung, moralische Doppelmoral und die Grenzen unseres gesellschaftlichen Verständnisses von Integration, Umwelt und Macht.
Plötzlich sind 20.000 Elefanten in Berlin, sie sind einfach da. Keine langen Diskussionen, keine Planungsprozesse, sie tauchen auf und mit ihnen ein Problem, das sich nicht mehr ignorieren lässt. Die Regierung unter Kanzler Hans Christian Winkler ist überfordert, genauso wie die Bevölkerung. Es ist ein Geschenk, das man nicht ablehnen kann, aber auch keines, mit dem man weiß, was man anfangen soll. Und genau da beginnt die Geschichte, ihre ganze Kraft zu entfalten. Denn Schoeters nutzt dieses absurde Szenario nicht für billigen Klamauk, sondern als präzise Spiegelung unserer politischen Realität. Wie handeln wir, wenn uns ein Problem trifft, das wir sonst gerne nach außen verlagern? Was passiert, wenn wir gezwungen sind, mit dem „Fremden“ zu leben?
Ich war überrascht, wie schnell ich tief in diese Geschichte hineingezogen wurde. Die Elefanten, so seltsam sie im Kontext wirken, sind dabei keine alberne Metapher, sondern echte Figuren mit Gewicht. Wie sie durch Städte stapfen, nach Nahrung suchen, Wasser trinken, unbeirrt ihren Raum einnehmen, als wären sie schon immer da gewesen. Und plötzlich ist da die Frage, wer sich eigentlich wem anpasst.
Was ich an Schoeters' Stil besonders mochte, war ihre Mischung aus Schärfe und Leichtigkeit. Sie übertreibt nie, sie kommentiert mit einem trockenen, fast beiläufigen Humor, der oft erst im Nachhall trifft. Gleichzeitig steckt in jeder Szene eine messerscharfe Beobachtung unserer politischen Wirklichkeit. Die Diskussionen über Artenschutz, über Flüchtlingspolitik, über Verantwortung und Bevormundung anderer Staaten werden hier nicht theoretisch abgehandelt, sondern durchgespielt. Und das so nah an der Realität, dass es manchmal fast weh tut.
Der Satz „Elefanten sind keine Flüchtlinge“ bleibt hängen. Weil er so klar benennt, was dieses Buch tut. Es schiebt vorsichtig, aber bestimmt unsere moralischen Selbstverständlichkeiten beiseite. Zeigt, wie schnell ein System ins Wanken gerät, wenn es seine Prinzipien nicht lebt, sondern nur verwaltet. Und ganz nebenbei erzählt es von Propaganda, Populismus, von Macht um der Macht willen, von der Schwierigkeit, richtige Entscheidungen zu treffen, wenn alles falsch erscheint.
Ich habe beim Lesen gelacht, gestaunt, mit dem Kopf geschüttelt. Und mich gefragt, warum nicht viel mehr Geschichten genau diesen Ton treffen, diesen schmalen Grat zwischen Unterhaltung und Ernst, zwischen Satire und Reflexion. Gaea Schoeters hat mit „Das Geschenk“ ein Buch geschrieben, das man kaum aus der Hand legen kann, weil es wirklich klug und überraschend menschlich ist.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.07.2025
Hauff, Kristina

Schattengrünes Tal


sehr gut

Ich weiß nicht, wann mich ein Buch zuletzt so langsam, aber eindringlich in seinen Bann gezogen hat wie „Schattengrünes Tal“ von Kristina Hauff. Es war kein lautes „Wow“ nach den ersten Seiten, sondern eher dieses Gefühl, dass sich etwas anbahnt. Etwas, das man nicht benennen kann, aber spürt. Und genau das liebe ich an Geschichten, wenn sie sich nicht aufdrängen, sondern still unter die Haut kriechen.
Lisa war für mich sofort greifbar. Eine Frau, die still mitarbeitet, Verantwortung übernimmt, sich für andere aufopfert, aber nie wirklich im Mittelpunkt steht. Ich habe mich an vielen Stellen in ihr wiedergefunden. Dieses Gefühl, alles am Laufen zu halten, aber trotzdem übersehen zu werden, das hat mich wirklich berührt. Vor allem in der Beziehung zu ihrem Vater, der ihr zwar vertraut, sie aber nie ganz ernst nimmt. Und dann ist da Simon, ihr Mann, der sich mehr und mehr entzieht, in Gedanken und später auch emotional. Auch das kennt man vielleicht, wenn sich der Mensch neben einem langsam entfernt, ohne dass man es gleich merkt.
Und dann kommt Daniela. Und alles kippt.
Anfangs fand ich sie sogar spannend, diese Frau, die plötzlich da ist, im Hotel bleibt, mit allen gut klarzukommen scheint. Ich dachte, vielleicht tut so jemand Lisa sogar gut. Aber das hat sich schnell geändert. Ich hatte ständig ein mulmiges Gefühl beim Lesen. Wie Daniela sich in Lisas Leben schiebt, bei ihrem Vater einschmeichelt, sogar Simons Nähe sucht. Das war so geschickt geschrieben, dass ich manchmal selbst nicht wusste, ob ich mir das nur einbilde. Diese Manipulation geschieht so leise, so unterschwellig, dass man als Leserin genauso in Zweifel gerät wie Lisa selbst. Und das ist das Großartige an diesem Buch. Es lässt einen nicht außen vor, es macht einen zum Teil des Ganzen.
Kristina Hauff hat es geschafft, mich mit einer sehr ruhigen, klaren Sprache komplett in diese Welt zu ziehen. Ich konnte das Hotel richtig vor mir sehen, ein bisschen heruntergekommen, voller Erinnerungen. Der Schwarzwald mit seiner Düsternis, den Nebeln, den stillen Wegen, perfekt für die Art Geschichte, die hier erzählt wird. Ich war beim Lesen tatsächlich oft selbst wie in einem dunklen Tal. Ich wollte raus, aber konnte nicht aufhören weiterzugehen.
Was mir besonders gefallen hat, war die Mehrstimmigkeit. Die Kapitel aus der Sicht von Lisa, Carl, Margret und Simon geben dem Ganzen eine Tiefe, die es noch eindringlicher macht. Ich habe niemanden hundertprozentig gemocht oder abgelehnt, selbst Daniela nicht. Und gerade das hat mich emotional so gepackt. Diese Grautöne, dieses Menschliche, das manchmal so unbequem ist.
Für mich ist „Schattengrünes Tal“ kein klassischer Spannungsroman. Es ist ein psychologisches Kammerspiel, das sich in einen hineinbohrt und lange bleibt. Eine klare Empfehlung für alle, die Geschichten mögen, die zwischen den Zeilen wirken. Und die sich nicht scheuen, auch mal unangenehm nah heranzukommen.

Bewertung vom 12.07.2025
Szántó, Henrik

Treppe aus Papier (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Es gibt Bücher, die einen still begleiten. Leise, unaufgeregt, aber tief. „Treppe aus Papier“ von Henrik Szántó gehört für mich genau in diese Kategorie. Der Roman hat mich auf eine ganz eigene Weise berührt, vielleicht gerade, weil er nicht laut ist, sondern nachhallt. Und weil er eine Frage stellt, die mich nicht mehr loslässt: Was würde ein Gebäude erzählen, wenn es könnte?
Die Entscheidung, das Haus selbst als Erzähler auftreten zu lassen, fand ich zunächst ungewohnt. Der Einstieg war für mich eher vorsichtig. Ich musste mich an diese raumbezogene, fast zeitlose Perspektive erst gewöhnen. Aber je weiter ich las, desto mehr ergab alles Sinn. Die Geschichte ist nicht linear. Vergangenheit und Gegenwart überlagern sich, verschränken sich an bestimmten Orten, wie in einem Echo, das durch die Wände klingt.
Besonders beeindruckt hat mich die Figur der Irma, als Kind im Nationalsozialismus groß geworden, mit all den Zwängen, den Schuldgefühlen, dem Schweigen. Und dann die Begegnung mit der 15-jährigen Nele, die heute mit ihren Eltern in der Wohnung lebt, die einst Ruth Sternheim gehörte, Irmas jüdischer Freundin. Diese generationsübergreifende Verbindung, dieses vorsichtige Annähern der beiden, das ist so feinfühlig erzählt, dass ich mehr als einmal schlucken musste.
Nele ist eine Figur, die ich sofort mochte. Klug, aufmerksam, unbequem, im besten Sinne. Ihre Fragen sind nicht naiv, sondern mutig. Und sie stellt sie dort, wo viele lieber schweigen würden, nämlich in der eigenen Familie. Die Ablehnung, die ihr da entgegenschlägt, hat mich wütend gemacht und gleichzeitig daran erinnert, wie schwer es manchmal noch heute ist, über die eigene Geschichte zu sprechen. Oder über das, was verschwiegen wurde.
Sprachlich ist das Buch etwas Besonderes. Kein übertriebener Pathos, kein pädagogischer Zeigefinger, stattdessen eine poetische, fast träumerische Sprache, die dennoch klar bleibt. Ich habe viele Stellen zweimal gelesen, weil sie in wenigen Sätzen so viel sagen. Es sind oft die kleinen Beobachtungen, die einen treffen. Eine Bewegung, ein Blick, ein Satz zwischen den Zeilen.
„Treppe aus Papier“ ist ein Buch über Erinnerung, über Verantwortung und über die Macht der Orte. Es zeigt, dass Geschichte nicht abgeschlossen ist, sondern weiterlebt, sich einschreibt in Wände, Böden, Menschen. Für mich war es nicht nur eine Lektüre, sondern eine Erfahrung. Und eine Einladung, eigene Fragen zu stellen an das, was war. Und an das, was daraus geworden ist.

Bewertung vom 10.06.2025
Noort, Tamar

Der Schlaf der Anderen


ausgezeichnet

Schon nach den ersten Seiten war mir klar, dass mich dieses Buch auf ungewöhnliche Weise bindet. Die feinfühlige Annäherung an zwei Frauenleben, die unterschiedlicher kaum sein könnten und sich doch auf eine Weise begegnen, die zutiefst berührt, zog Parallelen zu meinem eigenen Lebensverlauf.
Sina, die im Alltag zwischen Mutterrolle und Lehrberuf fast zerbricht, landet in einem Schlaflabor, weil sie seit Jahren nicht mehr zur Ruhe kommt und nachts nicht in den Schlaf findet. Janis ist die Nachtwache in ebendieser Klinik, lebt in einem selbstgewählten Rhythmus fernab vom Gewohnten aber auch fernab von echter Nähe. Als sich die beiden in einer Nacht begegnen, beginnt eine leise, aber intensive Freundschaft, die beiden den Anstoß gibt, eingefahrene Wege zu hinterfragen.
Was mich besonders überzeugt hat, ist die große Authentizität der beiden Hauptfiguren. Man merkt sofort, dass die Autorin ihnen mit viel Empathie und einem genauen Blick begegnet. Die Themen, die sie aufgreift sind Schlaflosigkeit, Erschöpfung, gesellschaftliche Erwartungen an Frauen, aber auch die heilende Kraft echter Verbundenheit. Und dies nah an der Lebensrealität vieler Lesender. Dabei gelingt es der Autorin, all das weder dramatisch aufzubauschen noch zu verharmlosen. Stattdessen bleibt sie ganz nah bei ihren Figuren und gibt ihnen Raum, sich zu entwickeln.
Sprachlich ist der Roman ruhig und unaufgeregt, klar und sehr stimmig und in einer besonderen Weise fesselnd. Sehr überzeugend fand ich die Verbindung von inneren Zuständen und dem Motiv des Schlafs, der Schlaf als Sehnsuchtsort, als Spiegel der Seele, als Symbol für Loslassen oder Festhalten.
Ein stilles, eindringliches Buch über Erschöpfung, Aufbruch und die Kraft unerwarteter Begegnungen. Für alle, die sich manchmal selbst verlieren und wiederfinden wollen. Eine klare Leseempfehlung.