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Havers
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Top100-Rezensent und Buchflüsterer

Bewertungen

Insgesamt 204 Bewertungen
Bewertung vom 30.08.2025
Konishi, Masateru

Die Bibliothek meines Großvaters


sehr gut

In „Die Bibliothek meines Großvaters“ des japanischen Autors Masateru Konishi (Debüt und Auftaktband einer Trilogie) lernen wir Kaede, eine junge, schüchterne Lehrerin kennen, die sich hingebungsvoll um ihren an Demenz erkrankten Großvater kümmert. Eine innige Beziehung, die von Respekt getragen wird, auch wenn die Umstände schwierig und von Verlustängsten geprägt sind.

Es ist die gemeinsame Vergangenheit und die Liebe zu Bücher, insbesondere zu den Klassikern der Spannungsliteratur, die ein starkes Band zwischen den beiden geknüpft haben. Als Kaede in einem Buch Zeitungsausschnitte findet, in denen ein mysteriöses Verbrechen Thema ist, nimmt sie diese bei einem Besuch mit, um sie ihrem Großvater zu zeigen, um seine Meinung zu dem Fall zu hören. Und vielleicht, so hofft sie, ihn damit an einem seiner guten Tage zu erwischen und zumindest kurzzeitig aus dem Nebel seiner Erkrankung zu befreien. Und ja, es gelingt. Gemeinsam versuchen sie, Licht ins Dunkel zu bringen, wobei die Herangehensweise und die logischen Schlussfolgerungen, die in erster Linie der Großvater zieht, seinen Verstand zu stimulieren scheinen. Neue Aufgaben/Fälle folgen, ein schöner Streifzug durch die klassische Kriminalliteratur beginnt für die Leser, in deren Verlauf Kaede auch von Freunden aus ihrem Bekanntenkreis unterstützt wird. Selbst dann, als sich die Büchse der Pandora öffnet und persönlichen Verwicklungen der Beteiligten Anlass zur Sorge geben.

Romane aus dem asiatischen Raum haben einen eigenen Sound, so auch dieser. Der Autor hat Sympathien für seine Protagonisten, geht respektvoll und empathisch mit ihnen um (insbesondere mit der Erkrankung des Großvaters), blickt hinter die Kulissen und beschreibt die Lebensumstände sehr detailliert. Er erzählt persönliche Geschichten, und obwohl auch Spannungselemente vorhanden sind, überlagern diese nicht die individuellen Schicksale, sondern bilden trotz des Verzichts auf Knalleffekte größere Zusammenhänge ab. Für manche Leserinnen/Leser mag diese Art des Erzählens langatmig und ermüdend wirken, ich empfand sie warmherzig und anrührend, und so war dieser Roman für mich eine entspannende und entschleunigende Lektüre, die ich sehr genossen habe.

Bewertung vom 27.08.2025
Oliver, Jamie

Easy Air Fryer


sehr gut

Nachdem in sehr vielen Haushalten ein Air Fryer Einzug gehalten hat, verwundert es nicht, dass es mittlerweile auch unzählige Kochbücher für dieses Küchengerät gibt, das sich anschickt dem Thermomix den Rang abzulaufen. Kein Wunder, wenn man den vergleichsweise niedrigen Anschaffungspreis zum Vergleich heranzieht.

Bei neuen Trends ist auf Jamie Oliver üblicherweise Verlass, und so hat auch er ein Kochbuch veröffentlicht, in dem er zu Beginn kurz und knapp die Funktionsweise dieses Küchengeräts erklärt, bevor auf knapp 200 Seiten der Rezeptteil folgt. Hervorzuheben ist die Vielfalt der Rezepte, in denen alles zu finden ist, was der Magen begehrt. Unterteilt sind diese in neu interpretierte „Klassiker“, Gemüsegerichte, Salate (bei denen einzelne Zutaten im Air Fryer zubereitet werden), „raffinierte Hauptgerichte“, Häppchen, Backwaren inkl. Brot sowie Desserts als süßen Abschluss. Allesamt mit ansprechenden Fotos ohne Chichi präsentiert.

Viel Neues gibt es hier allerdings nicht zu entdecken. Meist sind es unkomplizierte Gerichte, die man bereits aus einem von Olivers anderen Kochbüchern kennt, die er aber hier für die Zubereitung im Air Fryer angepasst bzw. durch das Austauschen von Zutaten optimiert hat, um das Geschmackserlebnis zu verändern. Und das gelingt!

Was allerdings auffällt – und hier zeigt sich der große Vorteil dieses Küchengeräts – die Zeitersparnis im Vergleich mit Herd/Backofen ist enorm, was in der Tat nicht zu vernachlässigen ist. Nicht verschweigen sollte man allerdings, dass für viele Gerichte ein 2-Schubladen-Gerät benötigt wird, was wohl gerade Einsteiger in diese Kochmethode in den wenigsten Fällen besitzen werden. Aber das ist Meckern auf hohem Niveau.

In unserer Küche steht zwar auch ein 1-Kammer-Gerät, aber dennoch empfehle ich dieses Kochbuch sehr gerne, hat es mir doch jede Menge an teilweise schon in die Tat umgesetzte Anregungen geboten sowie die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten des Air Fryers aufgezeigt.

Bewertung vom 24.08.2025
Rämö, Satu

Die Toten am Meer / Hildur Bd.4


sehr gut

Der plötzliche Kindstod eines Babys, der blutüberströmte Küchenhelfer von einem Kreuzfahrtschiff mit zerschnittenem Gesicht, Einbrüche in Sommerhäuser, bei denen nichts gestohlen wird, vier Skelette im Hinterhof von Hildurs, der Todesfall im Seniorenheim, der Auffälligkeiten zeigt.

Und als wäre das noch nicht genug, müssen sich Hildur und ihr strickender Kollege Jakob auch noch mit diversen privaten Problemen herumschlagen, die ansatzweise bereits in den Vorgängern thematisiert wurden. Jakob, der ständig Nachrichten auf seinem Handy bekommt, über die er sich beharrlich ausschweigt und zudem immer noch Schwierigkeiten mit seinem Sohn hat, der die neue Lebensgefährtin seines Vaters kategorisch ablehnt. Hildur, die sich noch immer fragt, weshalb ihre inhaftierte Schwester Björk die Verantwortung in der Stutenblut-Affäre auf sich genommen hat, obwohl alle Hinweise darauf hindeuten, dass Hintermänner die Strippen gezogen haben. Und ihre Fernbeziehung zu Anton, die durch ein unerwartetes Ereignis belastet wird.

Zu viel Stoff für einen einzigen Kriminalroman, und das zeigt sich auch im Verlauf dieses vierten Bandes der Hildur-Reihe, in dem die Autorin Satu Rämö zwar gewichtige Themen wie Menschenhandel, Profitgier und Fischfangquoten anreißt, aber leider immer nur an der Oberfläche kratzt. Sie schafft es zwar, die verschiedenen Fälle zum Ende hin mehr oder weniger nachvollziehbar zu verbinden, wobei hier allerdings weniger Logik und kriminalistische Ermittlungsarbeit im Mittelpunkt steht, als vielmehr Vermutungen und Gedankenblitze Hildur zum Ziel führen.

Dennoch habe ich „Die Toten am Meer“ gerne gelesen. Ich mag diese geerdete Protagonistin und ihre komplizierte Familiengeschichte, letztere zwar immer im Hintergrund vorhanden, aber nie zu viel erzählerischen Raum einnehmend. Und ja, ich mag auch die Beschreibungen dieser dünn besiedelten, rauen Landschaft der isländischen Westfjorde, die perfekt mit dem knappen, aufs Wesentliche konzentrierten Stil der Autorin korrespondieren.

Bewertung vom 15.08.2025
Wen, Lai

Himmlischer Frieden


sehr gut

Bewertet mit 3.5 Sternen

In ihrem Debüt „Himmlischer Frieden“ nimmt uns Lai Wen mit nach China, das Land, das sie im Juni 1989 verlassen musste. Damals gingen in Peking die Menschen auf die Straße. Anfangs war es eine kleine Gruppe von Studenten, aber bald schlossen sich ihnen immer mehr Unzufriedene aus allen Bevölkerungsschichten an und demonstrierten für Freiheit und Demokratie. In kurzer Zeit entstand eine Protestbewegung, die die Regierung nicht tolerieren konnte und wollte, weshalb sie mit aller Härte dagegen vorging. Das Ende ist uns bekannt und ging als das Massaker von Tian’anmen in die Geschichte ein.

Wer nun aber einen politischen Roman erwartet, wird enttäuscht sein, denn in erster Linie beschreibt dieses Buch das Aufwachsen eines Mädchens in einer Gesellschaft, das gelernt hat, sich an die Erwartungen des Systems anzupassen. Lediglich ein Viertel der knapp 560 Seiten beschreiben die zögerliche Politisierung der Protagonistin, die vermutlich mit der Autorin identisch und damals als Studentin auch unter den Demonstranten ist. Allerdings nicht an vordester Front.

Lai Wen beschreibt ihre Kindheit und Jugend mit leisen Tönen, aber deshalb nicht minder eindringlich. Sie verknüpft dabei weitestgehend gelungen kulturelle Besonderheiten und private Erfahrungen mit gesellschaftspolitischen Themen und gewährt und so einen Blick auf ihr Aufwachsen, das bestimmt wird von einem durch Selbstkontrolle geprägten Verhalten, welches ihr hilft, Bestrafungen zu vermeiden. Ihre Stimme findet sie erst inmitten ihrer Freunde an der Pekinger Universität, an der sie als Stipendiatin eingeschrieben ist.

Nur schade, dass die Autorin die Themenkomplexe so ungleich gewichtet und ihrer Kindheit und Jugend einen wesentlich breiteren Raum eingeräumt hat als den Studienjahren und ihrer Politisierung, was ich nach Titel und Inhaltsangabe eigentlich erwartet hatte. Über die Gründe kann man spekulieren, aber wahrscheinlich wurde mit dieser Light-Version eine größere Reichweite erwartet. Schade.

Bewertung vom 10.08.2025
Parks, Alan

Möge Gott Dir vergeben


ausgezeichnet

McIlvanney, Rankin, Johnstone, Mina, ich habe sie alle gelesen, aber Alan Parks Harry McCoy-Reihe ist für mich mittlerweile das Maß aller Dinge, wenn es um schottische Kriminalromane, d.h. Tartan Noir, geht. Das beweist er einmal mehr mit „Möge Gott dir vergeben“, Band 5 und Fortsetzung der Harry McCoy-Reihe , in dem Glasgow einmal mehr seinem Ruf als „Murder Capitel of Europe“ in den Siebzigern gerecht wird. Geprägt von hoher Arbeitslosigkeit, Armut und Perspektivlosigkeit sind es vor allem die Jugendlichen, die in die Arme der organisierten Kriminalität getrieben werden, weil man ihnen weismacht, dass sie dort mit geringem Einsatz das große Geld machen können. Dass sie damit ihr Leben aufs Spiel setzen könnten, kommt ihnen aber nicht in den Sinn.

Aber nun zum Inhalt: Mai. 1974. Harry McCoy ist nach der Behandlung seines Magengeschwürs frisch aus dem Krankenhaus entlassen. Genesen ist er zwar nicht, sollte sich eigentlich schonen, aber er brennt darauf, auf Glasgows Straßen wieder seiner Arbeit nachzugehen, denn hey, wofür gibt es Pepto Bismol? Und davon braucht er in der Tat jede Menge, während er in den verratzten Kneipen und auf den düsteren, trostlosen Straßen Glasgows, der heimlichen Hauptfigur dieser Reihe, gemeinsam mit seinem Kollegen Douglas „Wattie“ Watts seinem Job nachgeht

Drei Fälle stehen diesmal im Mittelpunkt: Der Brandanschlag auf einen Friseursalon, für den eigentlich die Kollegen aus der Tabago Street zuständig sind, laut Murray lauter Idioten vor dem Herrn. Fünf Frauen und Kleinkinder sind dabei ums Leben gekommen. Attentäter drei Jugendliche, aber wer ist der Auftraggeber? Die Fünfzehnjährige, die stranguliert auf einem Friedhof aufgefunden wird, und der angebliche Freitod von Dirty Ally, einem zwielichtigen Zeitgenosse, der mit pornografischen Bildern von Jugendlichen gehandelt hat. Späte Reue oder Vergeltung?

Daneben bekommen wir diesmal durch eine unerwartete Begegnung einen tieferen Einblick in Harrys Vergangenheit. Bisher wurde diese immer nur anhand seiner Beziehung zu Stevie Cooper, Freund und Beschützer aus der gemeinsamen Zeit im Kinderheim, aber mittlerweile eine einflussreiche Größe des organisierten Verbrechens, thematisiert. Eine Freundschaft, die von Harrys Umfeld äußerst misstrauisch beäugt wird, kommt er dadurch bei Ermittlungen doch immer wieder in Loyalitätskonflikte. Allerdings stellt sich bei genauerem Hinsehen die Frage, ob die Institutionen, die er repräsentiert, nicht genauso verkommen wie die Gangs der Unterwelt sind.

Jeder Band dieser mehrfach prämierten Reihe ist ein Highlight, aber ich frage mich, wenn ich das jeweilige Buch zuschlage, ob Alan Parks das noch toppen kannl. Doch mittlerweile glaube ich, dass er noch jede Menge Pfeile im Köcher hat und ihm dies auch mit Band 6, im Original „To die in June“ (leider noch nicht übersetzt), gelingen wird.

Bewertung vom 06.08.2025
Slaughter, Karin

Dunkle Sühne / North Falls Bd.1


gut

Bewertung: 3,5 von 5

Eine Kleinstadt, in der immer wieder verteilt über einen langen Zeitraum Mädchen im Teenageralter verschwinden. Eine Familie, die seit Generationen die Gesetzeshüter stellt, aber bei genauerem Hinsehen auch jede Menge der sprichwörtlichen Leichen im Keller hat. Willkommen in North Falls.

Slaughters Grant County-Krimis mit Coroner Linton und Polizeichef Tolliver habe ich sehr gerne gelesen. Kleinstadt-Vibes und spannende Fälle, die Mischung hat gestimmt. Ausgestiegen bin ich nach Tollivers Tod und Lintons Wechsel nach Atlanta, denn mit Will Trenton und dem großstädtischen Hintergrund konnte ich absolut nichts anfangen.

Jetzt also mit „Dunkle Sühne“ wieder eine Kleinstadt und mit Deputy Emmy Clifton (und ihrem Clan) eine über die Maßen vernetzte Protagonistin, womit wir schon beim Problem wären, das ich mit diesem Thriller habe. Okay, es ist der Auftakt der neuen Reihe und 550 Seiten wollen gefüllt werden, aber muss man deshalb sämtliche Familienmitglieder, Arbeitskollegen und gefühlt jeden Einwohner von North Falls im Detail vorstellen und in Beziehung zu der Protagonistin setzen?

Und auch die Krimihandlung, gesplittet in zwei Fälle im Abstand von elf Jahren, krankt an den kleinteiligen Beschreibungen der Autorin, insbesondere bei der Ermittlungsarbeit des ersten Falls, dessen zeitlicher Verlauf sich über knapp 200 Seiten (von Verschwinden bis zum Leichenfund) hinzieht. Interessanter und auch spannender ist Teil 2, was im Wesentlichen dem Auftritt von Jude, einer Verhaltenspsychologin vom FBI, zu verdanken war, die für die willkommene Dynamik zwischen den Personen, frischem Wind in den Ermittlungen und die eine oder andere Überraschung sorgt. Wäre sie nicht gewesen, hätte ich das Buch wahrscheinlich abgebrochen.

Für die Fortsetzung der North Falls-Reihe wünsche ich mir, dass Frau Slaughter sich aufs Wesentliche konzentriert und auf ausufernden Beschreibungen verzichtet. Sonst wird das nichts mit uns beiden.

Bewertung vom 03.08.2025
Doughty, Louise

Deckname: Bird


sehr gut

Heather Berriman, Mittfünfzigerin, Deckname Bird, arbeitet seit vielen Jahren, wie auch schon ihr verstorbener Vater, für den britischen Geheimdienst. Nie hat sie sich etwas zu Schulden kommen lassen. Bis zu dem Tag, an dem auf ihrem Konto der größerer Geldbetrag eines unbekannten Absenders eingegangen ist. Geld, das sie damals wegen einer finanziellen Klemme gut gebrauchen konnte. Aber jetzt scheint der Zeitpunkt gekommen zu sein, an dem es ihr diese Verfehlung um die Ohren fliegt.

Ihr Vorgesetzter ruft die Abteilung zusammen und informiert diese während eines darüber, dass gegen einen seiner Mitarbeiter/innen ein begründeter Verdacht wegen Bestechlichkeit besteht. Heather weiß, dass sie gemeint ist und verschwindet ohne Erklärung aus dem Besprechungszimmer. Ein Szenario, mit dem sie gerechnet hat und auf das sie vorbereitet ist. Sie schnappt sich ihre gepackte Notfalltasche und flüchtet aus dem Gebäude Richtung Bahnhof.

Damit beginnt für sie ein Versteckspiel, bei dem sie ihren Verfolgern immer einen Schritt voraus ist, hat sie ihre Fluchtroute doch schon seit langer Zeit geplant und die einzelnen Stationen im Kopf. Zuerst Richtung Schottland, dann auf die vorgelagerten Inseln im Westen, anschließend mit der Fähre nach Norwegen und schließlich zu dem Endpunkt auf Island. Immer auf dem Sprung, in ständiger Alarmbereitschaft, hochkonzentriert, bereit zum Aufbruch, alles hinter sich zu lassen.

Doughty bleibt immer nahe an ihrer Protagonistin, lässt uns durch deren Augen auf Gegenwart und Vergangenheit blicken. In einer ausführlichen Retrospektive erfahren wir viel über das, was Heathers Leben bis zu diesem Zeitpunkt ausgemacht hat. Die Ausbildung beim Militär, die Anwerbung beim Service, das Leben, in dem Verschwiegenheit an erster Stelle steht und kaum Platz für Freundschaften ist. Ein Leben, geprägt von Misstrauen und Einsamkeit, in dem für Gefühle kaum Platz und Überleben alles ist.

Leise im Ton, eindringlich in den Beschreibungen, ohne Action und Effekthascherei à la James Bond ein Ende, das von Beginn an offensichtlich ist oder vermutet werden kann. Und ob der Verlag diesem fein gezeichneten psychologischen Porträt mit der Etikettierung als Thriller einen Gefallen getan und damit Erwartungen geweckt hat, die nicht eingelöst werden können, sei dahin gestellt.

Bewertung vom 02.08.2025
Kingsolver, Barbara

Die Unbehausten


sehr gut

Zwei Zeitebenen, zwei Familien, zwei Handlungsstränge mit 145 Jahren Abstand, und dennoch zwei Gemeinsamkeiten.

Die eine schafft der Handlungsort, die viktorianische Villa in Vineland, New Jersey. Alt, heruntergekommen, baufällig vom Dach bis zu den Grundmauern, aber sowohl damals (die Greenwoods) wie heute (die Knox‘) fehlen den Bewohnern die finanziellen Mittel für eine umfassende Renovierung, die ihnen das Dach über dem Kopf sichern würde.

Die zweite Verbindung ergibt sich aus dem Wirken der historisch verbürgten Mary Treat, einer Biologin und Entomologin, die damals im Haus nebenan lebte und mit der Thatcher Greenwood die Darwinsche Evolutionstheorie diskutiert, was im konservativen Vineland zu dieser Zeit einer Gotteslästerung gleichkommt. Soll man in alten Denkmustern verharren oder Neues willkommen heißen? Thatcher entscheidet sich für den Fortschritt. Er lässt sich nicht entmutigen und mundtot machen, kämpft gegen alle Widerstände für das, was ihm wichtig ist.

Auch in der Gegenwart ist Willa Fox nicht bereit, kampflos aufzugeben. Die Mitfünfzigerin will die drohende Obdachlosigkeit ihrer Familie abwenden, setzt ihre journalistischen Fähigkeiten ein und recherchiert. Auch wenn sie aktuell ohne Job ist, beherrscht sie ihr Metier aus dem Effeff und findet heraus, dass die Villa als historisch wertvolles Gebäude, nicht zuletzt wegen Mary Treat und den Greenwoods, einen Anspruch auf Fördergelder haben müsste. Eigentlich. Es folgen endlose Kämpfe mit den Behörden, die sie ausfechten wird.

Auf den ersten Blick scheint „Die Unbehausten“ eine Familiengeschichte zu sein, aber im Kern ist es ein höchst politisches Buch. Die Probleme, mit der Familie Knox in der Gegenwart zu kämpfen hat, speisen sich überwiegend aus Unsicherheiten, auf die sie keinen Einfluss nehmen können und die für sehr viele Amerikaner täglich Brot sind. Befristete Arbeitsverhältnisse, die nicht verlängert werden, die Rückzahlung hoher Studienkredite, ein Gesundheitssystem, das bei Inanspruchnahme den finanziellen Ruin nach sich zieht. Money makes the world go round. Der amerikanische Traum, für viele Menschen schon längst zum desaströsen Albtraum verkommen.

Im Original wurde der Roman 2018 veröffentlicht, also kurz nachdem Trump zum Präsidenten gewählt wurde. 2021 folgte Biden, seit diesem Jahr wieder Trump, aber großartig zum Besseren hat sich seither leider nichts für die Menschen in den Vereinigten Staaten verändert. Im Gegenteil. Die Alltagsprobleme der weißen, amerikanischen Familien, die Kingsolver hier ungeschönt beschreibt, bestehen weiter.

Unter diesem Aspekt hat der Roman für politisch interessiert Leserinnen und Leser wenig Neues zu bieten, aber dennoch habe ich „Die Unbehausten“ gerne gelesen, Zum einen mochte ich Kingsolvers Menschen, die trotz aller Probleme nicht klein beigeben, zum anderen aber auch die von ironischem Humor getragenen Passagen. Weniger gelungen waren allerdings die langatmigen, erklärenden Einschübe. Überflüssige und hölzerne Fremdkörper, die Dialoge langatmig und gescriptet wirken ließen. Darauf hätte ich gut verzichten können.

Bewertung vom 24.07.2025
Dunlay, Emily

Teddy


sehr gut

Emily Dunlay nimmt uns mit nach Rom, Ende der sechziger Jahre das glamouröse Zentrum der Reichen und Schönen, in dem der äußere Schein das Sein bestimmt.

Im Zentrum steht Teddy, die mit ihren 34 Jahren zum Leidwesen ihrer einflussreichen, texanischen Familie ein „spätes Mädchen“ ist, das dringend unter die Haube gebracht werden muss, bevor sie zu „verdorbener Milch“ wird. Der Plan ihrer Cousine Marcia gelingt, die Teddys Telefonnummer an David, Studienfreund ihres Mannes und mittlerweile in der römischen Botschaft beschäftigt, weitergibt. Nach einer sehr kurzen Phase des Kennenlernens heiraten die beiden und Teddy folgt ihrem Mann nach Rom. Zwanghaft bemüht versucht sie sich in ihrem neuen Leben einzurichten, perfekt zu sein, alles richtig zu machen und den Ansprüchen ihres Ehemannes zu genügen. Aber dass das in die Hose gehen wird, ist zu vermuten.

Teddy ist zu Beginn ein Ausbund an Oberflächlichkeit ist, aber dennoch eine sympathische Protagonistin, die sich leider den gesellschaftlichen Zwängen einer Zeit unterordnet, in der die Rolle der Frau zwar sehr eng gefasst ist, es durchaus aber Möglichkeiten gäbe, dieses Rollenmuster zu durchbrechen. Und dass sie es kann, zeigen die Wochen nach dem Unabhängigkeitstag.

Es sind die stimmungsvollen Beschreibungen der Örtlichkeiten, die mir beim Lesen immer wieder das Gefühl vermittelt haben, einen Film über das römische Dolce Vita aus der Glanzzeit von Hollywood anzuschauen, gesehen und beschrieben durch die Augen einer Amerikanerin. Das ist der Autorin sehr gut gelungen, ebenso von Beginn an die die leise Spannung, die suggeriert, dass im Verlauf der Story noch ein Knalleffekt zu erwarten ist und die Handlung eine andere Richtung einschlägt.

Mit leichten Abstrichen ein schönes Sommerbuch, das man durchaus in den Urlaubskoffer packen kann, auch wenn man nicht nach Rom fährt.

Bewertung vom 17.07.2025
Campbell, Bonnie Jo

Moorlande


gut

Auf der kleinen Insel M’sauga Island im Sumpfland vor einem Städtchen in Michigan, lebt Hermine Zook mit ihrer Enkelin Donkey. Hermine, genannt Herself, ist eine Heilerin, von Männern misstrauisch beäugt, aber für viele Frauen der letzte Rettungsanker, wenn es darum geht, entweder eine Schwangerschaft zu verhindern oder zu beenden oder, wenn alles zu spät ist, sich um ein ungewolltes Neugeborenes zu kümmern. Sie macht keinen Unterschied zwischen eigenen und fremden Kindern, hat selbst hat drei Mädchen großgezogen, die längst fernab der Insel ihr eigenes Leben leben. Rose, Donkeys Mutter, Molly, die mit ihrer Schwester Primrose in Kalifornien lebt und sich nur hin und wieder auf M’sauga Island blicken lässt, und Molly, die in einem Krankenhaus in der Nähe arbeitet und offenbar die einzige ist, die sich Gedanken um die Zukunft ihrer Nichte macht.

Donkey, eigentlich Dorothy, ist ein cleveres Mädchen mit großem Interesse an Zahlen, das Hermine in allen Belangen unterstützt, von dieser in die Wirkungsweise und Zubereitung der Heilmittel eingeweiht wird, besucht aber keine Schule. Deshalb stellt sich für Molly die Frage, wie sie sich im späteren Leben ohne richtige Ausbildung zurechtfinden soll, wenn zum einen Hermine stirbt und zum anderen ihr Lebensraum verschwindet? Letzteres eine reale Bedrohung, da ein Farmer seine Anbaufläche vergrößern möchte und dafür bereits die Insel ins Auge gefasst hat, obwohl giftige Abwässer die Marsch und das Ackerland verseuchen und unheilbare Krankheiten hervorbringen…

Leider konnte die Autorin meine Erwartungen nur in Ansätzen erfüllen. Campbells Naturbeschreibungen haben die Atmosphäre dieses einzigartigen Ökosystems gut eingefangen, aber die Handlung war, mit Ausnahme der Schlusssequenz, dermaßen von Längen geprägt, dass ich mich immer wieder zum Weiterlesen überwinden musste, wozu aber auch die Personenkonstellation beigetragen hat.

Romane, die in den amerikanischen Sumpflandschaften verortet sind, gibt es zuhauf. Ganz gleich, ob das die Bayous in Louisiana oder die Sümpfe in Florida sind, es gibt fast immer einen Schlangenkult und das Verhältnis zwischen Männern und Frauen ist meist auch identisch. Hier ist es die heilkundige Außenseiterin, die sich in ihrem Leben außerhalb der Gemeinschaft eingerichtet hat. Kennt man ebenfalls aus zahlreichen historischen Romanen. Ihre besonderen Fähigkeiten, von verzweifelten Frauen geschätzt, von trinkfesten, gewaltbereiten Männern verachtet, höchstens dann in Anspruch genommen, wenn alles andere versagt hat. Frauen als diejenigen, die bewahren. Männer, die rücksichtslos zerstören. Und so reiht sich auch hier Klischee an Klischee. Schade.