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Havers
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Top100-Rezensent und Buchflüsterer

Bewertungen

Insgesamt 192 Bewertungen
Bewertung vom 29.06.2025
Storm, Andreas

Die Victoria Verschwörung / Lennard Lomberg Bd.3


ausgezeichnet

Ein neuer Fall für den Kunstsachverständigen Lennard Lomberg, in dem sich alles um ein Gemälde dreht, welches 1965 Queen Elizabeth II. bei ihrem ersten Staatsbesuch in der damaligen BRD als Gastgeschenk überreicht wurde.

2016 erreicht Lomberg eine Nachricht aus London. Sein Freund Peter, Leiter des Royal Collection Trust, bittet ihn um Hilfe. Seine Expertise wird dringend benötigt, denn ein Erpresser behauptet, selbiges Bild sei eine Fälschung und droht damit, diese Information an die Öffentlichkeit zu bringen. Eine Peinlichkeit sondergleichen, sollte sich diese Aussage bewahrheiten, nicht nur für die königliche Sammlung und ihren Verantwortlichen, sondern auch für die damaligen Gastgeber. Lombergs Interesse ist geweckt, und so macht er sich auf den Weg nach London, seine (und meine) Lieblingsstadt, um dort mit Unterstützung seiner Tochter Julie und Sina Röhm, Kriminalrätin und seine Lebensgefährtin, die Ermittlungen aufzunehmen.

Actionszenen a la James Bond sucht man hier vergebens, dafür erwartet den Leser eine verschachtelte Story auf drei klar getrennten Zeitebenen (1940, 1965 und 2016), in denen der Autor sehr gelungen und gut recherchiert reale historische Ereignisse und Personen mit der aktuellen politischen Gegenwart verknüpft (man beachte das hilfreiche ausführliche Personenverzeichnis am Ende des Buches).

Ein anspruchsvoller, informativer, aber nichts desto weniger spannender Kriminalroman, dessen Komplexität gerade durch die Verknüpfungen der Ereignisse auf verschiedenen Ebenen aufmerksames Lesen fordert. Nachdrücklich sowohl historisch interessierten Leser/innen als auch Freund/innen der britischen Lebensart empfohlen.

Bewertung vom 21.06.2025
Grandl, Peter

Reset


ausgezeichnet

In „Reset“, seinem neuen Thriller, fasst Peter Grandl ein heißes Eisen mit all seinen Konsequenzen an. Dass man Bilder faken und Nachrichten manipulieren kann, wissen wir alle spätestens seit der Krise, deren Namen nicht genannt werden soll. Aber wie gehen Gesellschaften und Individuen damit um, wenn die gesamte Welt mit sich schnell ausbreitenden Deep Fakes überzogen wird? Wenn man die Lüge nicht mehr von der Wahrheit unterscheiden kann?

Alles beginnt mit der verhängnisvollen Entscheidung eines Eurofighter-Piloten, der über seinen Nachrichtenkanal die beängstigende Information erhält, dass Terroristen den Absturz einer vollbesetzten Lufthansa-Maschine planen. Ziel ist der Münchner Flughafen, in dem sich zu diesem Zeitpunkt auch seine eigene Familie befindet. Abschuss oder nicht? Eine Entscheidung muss in Sekundenbruchteilen getroffen werden, um die Katastrophe zu verhindern. Kann er es mit seinem Gewissen vereinbaren, die Passagiere in den Tod zu schicken?

Aber das ist nur der Anfang. Es wird noch viel schlimmer kommen, denn eine außer Rand und Band geratene KI hat über alle Grenzen hinweg die Kontrolle übernommen. Die gesamte Welt droht im Chaos zu versinken, doch glücklicherweise findet sich ein internationales Team von Spezialisten zusammen, um den skrupellosen Verursacher dieses Katastrophenszenarios das Handwerk zu legen. Auch dann, wenn dies mit Verlusten verbunden sein wird.

Es ist harter Tobak, den uns Gradl hier in allen Facetten vorsetzt. In höchstem Maße beängstigend und beklemmend, gerade weil dieses Szenario absolut realistisch erscheint. Dem Wahrheitsgehalt von Nachrichten, Informationen, Anrufen, Videobotschaften, Anweisungen, ganz gleich, ob von offiziellen oder privaten Stellen kann nicht mehr vertraut werden, da die Überprüfung unmöglich geworden ist. Etwas, was wir bereits schon jetzt tagtäglich erleben.

Gradl startet die Handlung dieses realistischen, komplexen Thrillers mit hohem Tempo und, im wahrsten Sinn des Wortes, mit einem Knalleffekt. Kurze Kapitel aus wechselnden Perspektiven halten durchgängig die Spannung hoch, aber keine Angst, diese sind, sowohl was die handelnden Personen als auch die entsprechenden Orte angeht, immer entsprechend benamt. Aber obwohl es Hintergrundinformationen zu den Teammitgliedern gibt, nehmen diese nicht überhand, denn es ist immer die Mission, auf die sich der Autor konzentriert und in den Mittelpunkt stellt.

Genau das richtige Verhältnis, um mich von Beginn an zu packen und dafür zu sorgen, dass ich das Buch kaum noch aus der Hand legen wollte. Leider war die Entlarvung und das Motiv des „Superhirns“ im Vergleich zur hochspannenden und schlüssig konstruierten Handlung etwas dürftig, hat aber glücklicherweise nur einen geringen Raum eingenommen und kann deshalb verschmerzt werden. Viel wichtiger erscheinen mir die unzähligen Denkanstöße, die uns Gradl mit diesem Thriller gibt. Glaube nicht alles, was du hörst, liest oder siehst. Lass‘ dich nicht manipulieren, hinterfrage Aussagen und Bilder kritisch. Informiere dich breit aus verschiedenen Quellen und bilde dir deine eigene Meinung.

Nachdrückliche Leseempfehlung!

Bewertung vom 19.06.2025
Da Silva, Sylvie

Porto - Das Kochbuch


ausgezeichnet

Wie bereits in dem Vorgänger „Lissabon“ bietet Sylvie Da Silva (Tochter portugiesischer Eltern, in Frankreich geboren und aufgewachsen) mit „Porto“ wesentlich mehr, als man von einem Kochbuch erwartet. Einmal mehr hat sie mit dieser Mischung aus authentischen Rezepten, Impressionen und Geschichten aus der zweitgrößten Stadt Portugals genau meinen Geschmack getroffen.

Nach einer kurzen Einleitung schaut die Autorin in fünf thematischen Blöcken mit unterschiedlichen Schwerpunkten auf die Besonderheiten, die nicht nur die Küche Portos, sondern auch ganz Portugals, ausmachen: Petiscos, die raffinierten kleinen Mahlzeiten, vorzugsweise in Tabernas genossen. Nach eigener Erfahrung würde ich sie nur bedingt mit dem, was wir als Vorspeisen kennen, vergleichen, da sie sehr vielfältig und oft vollwertige Mahlzeiten sind. Die ländliche Küche, die von nahrhaften, bodenständigen Fleischgerichten, oft in Eintöpfen, geprägt ist. Die Meeresküche, die mehr zu bieten hat als Pastéis de Bacalhau (frittierte Klößchen aus getrocknetem Stockfisch), sondern den jeweilige Fang des Tages verarbeitet. Nicht zu vergessen die Desserts, die oft ihren Ursprung in der mittelalterlichen Klosterküche haben und sich, wie im Fall der berühmten Pastéis de nata, durch den exzessiven Einsatz von Eiern auszeichnen.

Zu jedem der Rezeptblöcke gibt es einleitend thematisch passende Textpassagen, in denen auf die jeweiligen Besonderheiten eingegangen wird. Diese sind über das gesamte Buch verteilt und liefern sowohl Informationen zur Herkunft und Zubereitung der Gerichte als auch zur Historie der Hafenstadt am Douro. Last but not least die ganzseitigen Fotos. Hierbei beschränkt sich die Autorin nicht nur auch solche, die die Rezepte bebildern, sondern zeigt uns auch in einer gelungenen Auswahl die vielen Facetten Portos, sodass man am liebsten gleich die Koffer packen und sich auf den Weg machen möchte.

Sylvie Da Silvas „Porto“ ist eine gelungene Verbindung aus den Rezepten der traditionellen portugiesischen Küche und interessanten Informationen zu Land und Leuten. Zusätzlich gibt es aber auch noch hilfreiche Tipps für den Aufenthalt vor Ort sowie den Einkauf der für Porto typischen kulinarischen Mitbringsel, d.h. es ist sowohl ein superschönes Kochbuch mit tollen Rezepten, die Urlaubsfeeling auf den heimischen Teller bringen, gleichzeitig aber auch sehr gut vor Ort bei einem Streifzug durch die portugiesische Hafenstadt geeignet. Große Empfehlung!

Bewertung vom 14.06.2025
Gerstberger, Beatrix

Die Hummerfrauen


gut

Vor vielen Jahren haben wir auf unserem Roadtrip durch die Neuengland-Staaten unter anderem auch einige Küstenstädte in Maine besucht, in denen ein Großteil der Bewohner vom Hummerfang lebt. Allerdings haben wir damals keine Frauen bei der Arbeit gesehen, aber das mag mittlerweile wohl anders sein.

Insbesondere, wenn man Beatrix Gerstenberg glauben mag, die in ihrem Roman „Die Hummerfrauen“ Leben, Arbeit und die persönlichen Hintergründe dreier Frauen schildert, für die leben und arbeiten in Stone Harbor im Laufe der Zeit zum Rettungsanker wurde. Drei Frauen, drei Generationen, denen das Leben tiefe Wunden geschlagen hat. Ann (72), Julie (54) und Mina (28), starke Frauen, die miteinander in Beziehung stehen und ihren Lebensunterhalt als Hummerfischerinnen verdienen. Eine herausfordernde Arbeit, die im Fall der drei Frauen verschüttete Stärken wieder ans Licht bringt.

Ich bin kein großer Fan von Unterhaltungsromanen, die sich wie hier ausdrücklich an Leserinnen richten. Da ich die Gegend kenne, hat mich das Setting interessiert. Und das ist durchaus gelungen. Leider bietet die Handlung kaum Überraschungen, sondern orientiert sich an den üblichen Themen orientiert, die aktuell in sehr vielen Romanen mit entsprechenden Variationen verarbeitet werden: Frauen, die sich in einer Männerwelt behaupten wollen/müssen, Rückkehr an einen Ort aus und mit Vergangenheit, alte Geheimnisse, die noch immer schwelen, Verluste, die persönlichen Stärken hervorbringen, Rückblicke und Neuanfänge, hier in einem männlich dominierten Umfeld, das die persönlichen Stärken der Frauen hervortreten lässt und dafür verantwortlich ist, dass die Frauen Altes hinter sich lassen und Neues wagen.

Eine nette Urlaubslektüre, die man vorzugsweise in Maine genießen sollte ;-)

Bewertung vom 12.06.2025
Mason, Simon

Ein Mord im November - Ein Fall für DI Wilkins


ausgezeichnet

Oxford, das College Barnabas Hall. Im Arbeitszimmer von Provost Osborne wird am späten Abend die Leiche einer unbekannten jungen Frau gefunden, allem Anschein nach eines gewaltsamen Todes gestorben. Also ein Fall für die Thames Valley Police.
DI Wilkins hat Bereitschaft, wird telefonisch informiert und macht sich sogleich auf den Weg. Zu dumm nur, dass versehentlich der falsche Wilkins alarmiert wurde, denn mit diesem Nachnamen gibt es gleich zwei DIs auf der Dienststelle, Ryan Wilkins und Ray Wilkins, die unterschiedlicher nicht sein könnten.
Ryan, aufgewachsen in einem Problemviertel. Der Vater Alkoholiker, ein brutaler Schläger. Eine Kindheit und Jugend, die Spuren hinterlassen hat. Ryan ist impulsiv, handelt bevor er denkt, was auch dafür verantwortlich ist, dass er nach einem Ausraster, in den der Bischof von Salisbury involviert war, von Wiltshire nach Oxford wechseln musste. Mit seiner schlampigen Jogginghose, den offenen Sneakern und seinem ruppigen, oft aggressivem Auftreten ähnelt er eher einem Jugendlichen aus der Hood als einem Kriminalbeamten. Aber, ein großes Aber, er ist ein Ermittler mit außergewöhnlichen Fähigkeiten und Instinkten, auch wenn er dazu neigt, übers Ziel hinauszuschießen, wenn es darum geht, einen Verdächtigen festzunageln. Aber er ist auch ein hingebungsvoller, alleinerziehender Vater, der nach dem Drogentod seiner Frau sich liebevoll um den kleinen Ryan, seinen zweijährigen Sohn, kümmert.
Sein Kollege Ray hingegen ist langweilig, Typ Karrierist. kommt aus gutem Haus, ist Oxford-Absolvent, immer gut und teuer gekleidet, weiß sich zu benehmen, eckt nie an und lebt in gesicherten Verhältnissen Also das genaue Gegenteil von Ryan, auf den er während der Ermittlungen ein Auge haben soll. Spannungen und Probleme sind also von Beginn an vorprogrammiert.
Simon Masons Krimi lebt von diesen beiden Gegensätzen, aber da es der Auftakt einer Reihe ist, lässt der Autor sich sehr viel Zeit, um die dieProtagonisten einzuführen und auszuleuchten. Dabei gerät der eigentliche Kriminalfall zwar ins Hintertreffen, wird immer wieder von Ryans unüberlegten Aktionen überlagert, sodass man förmlich auf die nächste Eskalation wartet. Mich hat das allerdings nicht weiter gestört, aber es gibt mit Sicherheit Leser/innen, die daran Anstoß nehmen werden.
Aber schaut man genauer hin, hat „Ein Mord im November“ wesentlich mehr als der übliche Kriminalroman zu bieten, in dem es darum geht, den Täter zu entlarven. Er setzt sich mit Klassengegensätzen auseinander, vernachlässigt aber auch die dem Verbrechen zugrunde liegenden Themen Migration, Fremdenfeindlichkeit, Islamismus, Menschenhandel und Missbrauch nicht, auch wenn er hier nur an der Oberfläche kratzt.
Dennoch, ein erfrischender, rundum gelungener Reihenauftakt (und ein ausdrückliches Nein zu dem Vergleich mit Lynley und Havers), den ich sehr gerne gelesen habe und auf dessen Fortsetzung ich schon sehr gespannt bin. Aber da das bestimmt noch länger dauert, habe ich mir vorsichtshalber schonmal Band 2 im englischen Original besorgt.

Bewertung vom 31.05.2025
Peters, Amanda

Beeren pflücken


sehr gut

Amanda Peters, Autorin mit Mi'kmaq-Wurzeln, beschäftigt sich in ihrem Debüt mit einem Thema, das insbesondere in Kanada, aber auch in den Vereinigten Staaten relevant ist. Indigene Kinder wurden ihren Eltern weggenommen und in Pflegefamilien oder in den von der katholischen Kirche betriebenen Residential Schools untergebracht. Beides geleitet von dem Ziel, ihnen ihre Sprache, ihre Kultur, ja ihre Identität zu nehmen.

In „Beeren pflücken“ setzt sie diese Thematik zumindest in Ansätzen um. Die vierjährige Ruthie, Kind einer Mi'kmaq-Familie, die als Erntehelfer zur Blaubeer-Ernte nach Maine gekommen sind, verschwindet spurlos, wird im Vorübergehen einfach so von einem kinderlosen Paar mitgenommen und in eine Familie verschleppt, die peinlich darauf achtet, die Herkunft zu verschleiern. Stellt sich die Frage, was macht das a) mit dem Kind und b) dessen Eltern und Geschwistern über die Jahre? Soweit die Ausgangssituation, die Peters für ihren Roman nutzt.

Die Herkunftsfamilie leidet jahrzehntelang unter diesem tragischen Verlust. Insbesondere Ruthies Bruder Joe ist traumatisiert, damals sechs Jahre alt und der letzte, der seine Schwester am Rand der Blaubeerfelder gesehen hat. Er liegt im Sterben, ist nicht nur ein seelisches sondern auch ein körperliches Wrack, versucht Schuldgefühl und Trauma mit Alkohol zu betäuben, das Verschwinden der Schwester aus dem Kopf zu bekommen. Es gelingt ihm nicht. Ruthie hingegen wird zu Norma, die als Einzelkind eines kinderlosen, weißen, wohlhabenden Paares aufwächst, die ihre Fragen nicht hören, geschweige denn beantworten wollen. Erst nach dem Tod ihrer „Mutter“ wird das Geheimnis ihrer Herkunft gelüftet.

Fünfzig Jahre folgen wir in abwechselnden Kapiteln Joes und Normas. Wir machen Bekanntschaft mit ihrer Trauer, ihren Schuldgefühlen, aber auch ihrem Hoffen und Sehnen. All das zeichnet Peters zwar eindrücklich und mit feinem Strich, aber vermeidet eindeutige Positionierungen z.B. zu den Diskriminierungen, mit denen Indigene in Kanada noch immer zu kämpfen haben.

Eine leichte Lektüre zu einem gewichtigen Thema. Dennoch ist dieser Roman nicht schlecht, eignet sich durchaus für alle, die einen Überblick zur Situation der Indigenen in Kanada bekommen möchten. Aber wer sich umfassender in Romanform informieren möchte, sollte Richard Wagamese und Tommy Orange lesen.

Bewertung vom 28.05.2025
Bradley, Kaliane

Das Ministerium der Zeit


sehr gut

Großbritannien, in naher Zukunft. Das „Ministerium der Zeit“ holt Menschen aus längst vergangenen Tagen der Historie zurück in die Gegenwart. Damit dieser Übertritt reibungslos vonstattengeht, werden ihnen Mitarbeiter/in des Ministeriums als Betreuung zur Seite gestellt, die sie mit den Errungenschaften des modernen Lebens vertraut machen sollen. Doch ganz so einfach wie gedacht ist es nicht.

Das muss auch die (namenlose) Betreuerin feststellen, die sich um den ihr zugewiesenen Commander Graham Gore kümmert. Gore kommt aus dem Jahr 1847, war John Franklins Erster Offizier auf der Erebus, war verschollen, aber ist eigentlich schon tot. Ein viktorianischer Offizier im heutigen London? Das bietet einerseits jede Menge Stoff für Alltagssituationen, die uns ein Lächeln entlocken, andererseits vernachlässigt die Autorin aber auch nicht den Blick auf brisante und übertragbare Themenkomplexe aus Vergangenheit und Gegenwart wie z.B. Kolonialismus, Flüchtlingskrise und Migration, immer unter besonderer Berücksichtigung der individuellen Moralvorstellungen im Hintergrund in die Handlung eingebaut.

Wobei gerade die Handlung etwas mehr Drive vertragen hätte. Sie plätschert lange Zeit vor sich hin, legt den Fokus auf das Verhältnis zwischen Gore und seiner Betreuerin, das sich allmählich zu einer Romanze entwickelt. Erst Richtung Ende bringt eine unerwartete Wendung Spannung in die Story, die plötzlich völlig unerwartet durch die Verschwörungsthematik Tempo und Thrill entwickelt.

Normalerweise lese keine Science Fiction, und romantisches Gedöns ist auch nicht meins. Aber ich mag historische Romane und fand deshalb die Ausgangssituation dieses Romans sehr interessant. Oft sind Zeitreise-Romane nach dem 08/15-Prinzip konstruiert, zielen ab auf die schnellen Lacher, die sich aus der Konfrontation der Zeitreisenden mit unserer Gegenwart ergeben. Kaliane Bradley macht das wesentlich einfühlsamer, geht behutsam und empathisch mit ihren Protagonisten um und macht aus einem eher abstrusen Thema einen lesenswerten und thematisch in der Gegenwart verankerten Roman, der mich sehr gut unterhalten hat.

Bewertung vom 22.05.2025
Denk, Regina

Die Schwarzgeherin


ausgezeichnet

Mitte des 19. Jahrhunderts, ein Bergbauerndorf. Weit oben in einem abgelegenen Tal in den Tiroler Bergen. Eine verschworene Gemeinschaft, die sich ihre eigenen Regeln geschaffen hat und deren Einhaltung einfordert, Abweichungen davon nicht duldet.

Regina Denk erzählt in „Die Schwarzgeherin“ die Geschichte der Theres Lachermeyer. Eine, die schon als kleines Mädchen anders war, sich diesen ungeschriebenen Gesetzen nicht gebeugt hat. Und das ändert sich auch mit zunehmendem Alter nicht. Sie hat ihren eigenen Kopf, will ihr Leben selbst bestimmen, sich den Erwartungen der Familie nicht unterordnen. Will frei und selbstbestimmt leben, was aber für die Frauen in dieser Zeit (und speziell hier in dieser Gemeinschaft) nicht vorgesehen ist.

Das Ausbrechen von Frauen aus vorgegebenen Strukturen ist ein Motiv, das sehr oft in Verbindung mit Landschaften auftaucht, die Herausforderungen sind, in denen den Protagonistinnen alles abverlangt wird. So auch hier. Aber meist sind sie auf sich allein gestellt, haben nicht, wie in diesem Fall, noch die Verantwortung für ein Kind. Hier Theres‘ unehelich geborene Tochter Maria, mittlerweile achtzehn Jahre alt, die an diesem isolierten Leben leidet und, anders als ihre Mutter, unter allen Umständen ins Dorf zurück will.

Denk lässt uns in Kopf und Herz dieser beiden Frauen schauen, nutzt dazu nicht nur abwechselnd die verschiedenen Sichtweisen von Maria und Theres, sondern im Fall der letzteren auch die beiden alles entscheidenden Jahre 1863 und 1882. Die Sprache herausragend, die Innenansichten berührend und in Kombination mit den Beschreibungen der beklemmenden Atmosphäre, der engstirnigen Dorfbewohner sowie der unwirtlichen, rauen Bergwelt einfach nur großartig. Und das Finale? Kommt mit einem Knalleffekt daher und lässt die Düsternis der Hoffnung weichen. Für alle.

Ein Highlight. Lesen. Unbedingt!

Bewertung vom 13.05.2025
Fox, Candice

Devil's Kitchen


schlecht

Ich versuche es zwar immer wieder, aber die Chancen stehen schlecht, dass Candice Fox und ich unsere Freundschaft erneuern. Ihre ersten beiden ins Deutsche übersetzten Bücher der Hades-Trilogie habe ich sehr gerne gelesen, aber alles, was danach kam, konnte mich leider nicht überzeugen. Interessanterweise sieht das bei den semiprofessionellen Krimi-/Thriller-Lesern durch die Bank weg ganz anders aus, die bei jedem Buch der Autorin verzückt juchzen und Lobeshymnen von sich geben, in die ich längst nicht mehr einstimmen möchte und kann.

Warum? Hier der Versuch einer Antwort am Beispiel von Devil’s Kitchen:

Die Inhalte ihrer Thriller sind selten neu. Sei es ein Gefängnisausbruch, verschwundene Kinder und deren verzweifelte Eltern oder, wie im vorliegenden Fall, die Feuerwehrleute als Brandstifter und Diebe. Hat man alles bereits verfilmt gesehen oder bei Autorenkollegen um ein Vielfaches besser geplottet gelesen (siehe dazu z.B. „Corruption“ von Don Winslow).

Ihre Protagonisten, in diesem Fall Ben und Andy, wecken null Sympathie, was in erster Linie daran liegt, dass sie wie künstliche, holzschnittartige Konstrukte daherkommen, die bestimmte Kriterien erfüllen müssen. Daran ändert leider auch das 9/11-Trauma des (total unsympathischen) Anführers nichts.

Die langatmigen Einschübe, die Handlungen erklären sollen/müssen, bremsen das Tempo aus und killen jeden Spannungsfunken. Das sorgt dafür, dass man ständig in Versuchung ist, große Teile zu überblättern, um endlich zum Schluss zu kommen.

Alle diese Punkte könnten damit zusammenhängen, dass Fox in der Schreibschule von James Patterson das Handwerk gelernt und in den Anfängen ihrer Karriere auch für ihn geschrieben hat (stand früher auch noch auf ihren Covern). Schaut man sich die Qualität seiner Bücher an, wirken sie wie am Reißbrett konstruiert, folgen immer wieder dem gleichen Aufbau. Uninspiriert und in ihrer Masse auf blanken Kommerz angelegt. Grottig und keine Empfehlung…so wie Devil’s Kitchen von Candice Fox.

Bewertung vom 13.05.2025
Grossman, Lev

The Bright Sword


ausgezeichnet

Die Artus-Sage gehört zweifellos zum kulturellen Erbe Großbritanniens, und schon deshalb ist es interessant, sich die Neuerzählung des amerikanischen Fantasy-Autors Lev Grossman, den einige vielleicht als Autor der Fillory-Romane oder Schöpfer der Fernsehserie „The Magicians“ kennen. Wer nun aber glaubt, dass sein Epos „The Bright Sword“ eine bloße Nacherzählung ist, wird schnell feststellen, dass er sich irrt.

Grossman hat sich die Legende vorgenommen, in ihre Einzelbestandteile zerlegt und die Punkte herausgefiltert und an die Oberfläche geholt, deren Bedeutung im Lauf der Jahrhunderte durch zahlreiche Bearbeitungen an den Rand gedrängt wurden. Das bedeutet aber nicht, dass er auf Rittertugenden, Magie, Excalibur, den heiligen Gral und das, was Camelot ausmacht, verzichtet. Aber er hüllt dies in ein „moderneres“ Gewand, in dem die Vergangenheit, die Innenansichten und die Suche nach Identität zentral sind.

Was diesen Roman allerdings komplett von der Vorlage unterscheidet ist der Verzicht auf die klangvollen Namen, die einem als erstes in den Sinn kommen, wenn man nach den Protagonisten der Artus-Sage gefragt wird. Diese sind alle in der Schlacht von Camlann gefallen, so dass nunmehr nur noch die zweite Garde am Leben ist, um die Aufgabe zu erfüllen. Ergänzt wird dies durch den Neuling Collum, ein Möchtegern-Ritter von niederem Stand, misstrauisch beäugt von dem kläglichen Rest der Tafelrunde, in der er gegen alle Widerstände seinen Platz noch finden muss.

„The Bright Sword“ ist die etwas andere Neuerzählung einer Mär aus längst vergangener Zeit. Grossman beherrscht sein Handwerk und hat mir damit ein außergewöhnliches Lesevergnügen voller Magie und Säbelklirren, aber mit einem ungewöhnlichen Touch beschert. Es passiert mir selten, aber einmal begonnen, wollte ich es kaum noch aus der Hand legen.

Überzeugt euch selbst davon. Unbedingt!